UPDATE (September 2019)
Eher als gedacht kehre ich wieder hier ein nach meinem ersten Besuch im Frühjahr 2018. Allzu viel hat sich hier seither auch nicht verändert, wenn man einmal davon absieht, dass das reguläre Menü nur noch fünf anstatt sechs Gänge aufweist. Da Hungrige aber ohne Weiteres zusätzlich Gerichte à la carte bestellen können, stellt dies nicht wirklich ein Problem dar. Die Mehrzahl der Gäste, die an diesem Samstagabend einkehrt, bevorzugt das Schlemmen à la carte, doch auch in diesem Fall hat die Küche weit mehr als nur bayrische Klassiker auf gehobenem Niveau zu bieten. Die Küche von Simon Michael Reis ist inzwischen weiter verfeinert worden, stellt aber immer noch klare Bezüge zur Region her und verwendet überwiegend heimische Produkte.
Folgerichtig tischt man mir und meiner Begleitung zu einem Glas PriSecco von Jörg Geiger Amuses auf, die durchaus rustikal und heimatbezogen geraten: Schinken mit getrocknetem Radieschen (auf einer Wäscheleine aufgehängt!), ein teils mit Sesam ummanteltes Kürbis-Fiancé, ein Pilzcracker mit gelierten Pilzen darauf sowie separat noch etwas Studentenfutter. Das eigentliche Highlight folgt hier wie immer auf den recht harmlosen Einstieg: die Brotauswahl mit dem grandiosen Blutwurstbrot, das ich mir schon beim letzten Ma(h)l munden ließ. Wir entscheiden uns danach für das fünfgängige Menü samt alkoholfreier Begleitung, die hier zum Spottpreis von 22 Euro aus fünf Gläsern mit unterschiedlichen und bestens abgestimmten Säften aus dem Hause Van Nahmen besteht.
Zum Einstieg tischt Herr Reis persönlich den ersten Gang auf: Stör (gebeizt und fein gerieben) kombiniert die Küche mit mariniertem Quinoa, grünem Kren und Bronzefenchel. Wie schon beim letzten Besuch wird der erste Gang auf einem rechteckigen Teller serviert, der zur Hälfte leer bleibt. Auch diesmal ist der optische Effekt wieder gelungen, denn der gebeizte Stör befindet sich zunächst unsichtbar unter dem fein geriebenen Fisch (damals war es Wollschwein unter geeister Gänseleber – siehe untenstehend meinen ersten Bericht). Auf diesem „Boden“ drapiert Herr Reis die obigen Begleiter in einer Fülle von Texturen und verschiedenen Temperaturen so virtuos, dass nicht nur die Bandbreite an Techniken beeindruckend gerät, sondern auch die exotischen Gewürze dem Gericht eine überraschende Aromatik verleihen, die allerdings eher frühlingshaft als herbstlich wirkt.
Weniger mutig, aber durchaus schlüssig wird auch der Donauwaller inszeniert: der mit Gerstenmiso geflämmte Bauch des Fischs badet in einem dezenten, à part aufgegossenen Kartoffelsud. Viel mehr als ein paar Haselnüsse, die für den nötigen Biss sorgen, braucht dieser Gang nicht: etwas Kapuzinerkresse und Schmorsellerie steuern würzige Aromen bei, ohne die das Gericht in der Tat hätte gar zu harmlos geraten können. So aber tummelt sich auf dem Teller eine Kreation von schöner Balance mit einem glänzenden Hauptdarsteller.
Es folgt eine recht dicht gedrängte Komposition: gesurte Backe vom Spanferkel, die zudem recht lange geschmort wirde und mit Jalapeños gedopt wurde, bildet die Basis eines Türmchens mit einem violetten Senfraviolo obenauf und Crèmespinat dazwischen. Während die Würze auf meinem Teller wohltuend dosiert ist, scheint dies bei meiner Begleitung eher nicht zuzutreffen, wonach die penetrante Schärfe die Vorzüge des Fleischs kaschiert. So oder so leidet die Kreation, der eine gute Idee zugrunde liegt, ein wenig an der Eintöningkeit bei den Konsistenzen, die allesamt sehr weich geraten – ein Umstand, den auch die kräftige braune Jus nicht kompensieren kann. Mit etwas Feintuning lässt sich dieses Gericht aber sicher optimieren.
Zu einem großartigen Hauptgericht gerät Poltinger Lamm, das hier überraschenderweise nordafrikanisch interpretiert wird: gebratene und geschmorte Tranchen des Lammfleischs werden hier virtuos und bestens abgestimmt mit Lauchherzen, gebackenen Kichererbsen, Kerbelwurzel und Raz el Hanout begleitet. Trotz des üppigen Défilées sind es jedoch die Qualität und die traumwandlerisch sichere Zubereitung des Lammfleischs, die uns tief beeindrucken, zumal der alles andere als süße Holundersaft eine ideale Begleitung dieses Gangs darstellt. In Summe ein launiges und hervorragendes Hauptgericht!
Das Dessert mit dem Namen „Wilde Pflaume“ kombiniert Mousse von Toblerone-Schokolade (!) mit wilden Pflaumen, einem Brownie und Graumohn-Softeis. Trotz aparter Optik und durchaus vorhandener Abwechslung bei den Texturen gelingt es dem Gericht nicht, den lukullischen Fokus auf die Pflaume zu lenken, die mengenmäßig für unsere Begriffe unterrepräsentiert ist und der mächtigen Mousse das Feld überlassen muss. Die fruchtig-herbe Aromatik der Pflaume hätte durch eine andere Balance bei der Portionierung der Komponenten sicherlich besser zur Geltung kommen können, was dem Gang dann auch eine individuellere Note verliehen hätte. Handwerklich ist alles absolut in Ordnung, doch die ganz große Begeisterung will nicht aufkommen.
Dass sich ein gutes Gedächtnis lohnen kann, zeigt sich allerdings bei diesem Besuch: das sensationelle Dessert mit dem Namen „Honigbiene“ vom ersten Besuch stand glücklicherweise ebenfalls auf der Karte, so dass wir uns das Vergnügen dieses grandiosen Ausklangs natürlich noch separat leisteten – Details im Vorgängerbericht. Unbedingt probieren, wenn man hier einkehrt! Die Petits fours drehten sich wie schon beim ersten Besuch erneut um das Thema Kaffee und rundeten einen zwanglosen, ganz spontan erfolgten Besuch (selbst am Morgen desselben Tages war diese Stippvisite noch nicht eingeplant) würdig ab.
Die auffälligste Änderung gegenüber dem ersten Besuch bestand darin, dass der Posten des Restaurantleiters offenbar abgeschafft worden ist – was am Anfang zur Folge hatte, dass der Service ein wenig fahrig agierte. Nach ein paar Minuten kehrte allerdings rasch Besserung ein, denn dann lief alles wieder so geregelt ab wie man es in einem Sternerestaurant auch erwarten darf. Chefkoch Simon Martin Reis zeigte sich dagegen alles andere als scheu und tauchte immer wieder an diversen Tischen im Laufe des Abends auf, um Gerichte aufzutragen und zu erläutern – ich hätte jedenfalls kein Problem damit, wenn sich eine derartige Praxis flächendeckend einbürgern würde. Andererseits ist auch klar, dass die Arbeitsatmosphäre in der Küche in vielen höher dekorierten Lokalen erheblich angespannter wirkt als hier – wovon man sich beim Blick in die große, offen einsehbare Küche auch selbst überzeugen kann.
Waldkirchen kann sich jedenfalls glücklich schätzen, dass eine derart ländliche Region wie der untere Bayrische Wald eine solche Küche offerieren kann. Der Michelin-Stern und die 16 Punkte im G&M erachte ich als angemessene Bewertungen, zumal man bei diesen Preisen schwerlich noch mehr erwarten durfte. Zwei sechsgängige Menüs, zweimal alkoholfreie Begleitung, ein Digestif und Trinkgeld in Höhe von 10 % – das macht hier € 255 auf der Rechnung. Für zwei Personen, versteht sich! So einen Beitrag bin ich meist eher bei einer Person gewohnt …!
Mit anderen Worten: günstiger kann man auf Sterneniveau kaum essen. Schon deshalb kehrt man in diesem Dachrestaurant mit dem loungeartigen Design immer wieder gerne ein – das wissen auch die übrigen gut vierzig Gäste an diesem Abend. Trotzdem bekommt man hier praktisch immer mit wenig oder gar keiner Vorlaufzeit immer noch einen Tisch, da die schiere Größe des Lokals schon imponiert. Shoppen im Modehaus und dann essen – was will man mehr?
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April 2018
Genüsslich sitze auf der Terrasse im obersten Stockwerk eines Modehauses, schlürfe einen Prisecco „rotfruchtig“ von Jörg Geiger und staune über das absolut unwahrscheinliche Ambiente des dort befindlichen Restaurants …
Nein, dies wird keine Rezension über das Zwei-Sterne-Restaurant Opus V in Mannheim, das im obersten Stockwerk des Modehauses Engelhorn liegt, auch wenn sich dem Kenner (und den Lesern meiner Rezensionen) dieser Verdacht natürlich sofort aufdrängt. Hier in Waldkirchen, 20 Kilometer nördlich von Passau im tiefsten Niederbayern gelegen, steht das Modehaus „Garhammer“, das angesichts seiner Architektur, der Größe des Gebäudes und des Angebots jeder deutschen Großstadt gut zu Gesicht stünde. Das überaus mondäne und weitläufige Modehaus schmückt jedoch den Marktplatz eines 10.000-Seelen-Orts inmitten der Ausläufer des unteren bayerischen Walds, wo die Landschaft sanft gewellt ist und der Blick kilometerweit schweift. Die Krone des Hauses ist in doppeltem Sinne das „Johanns“, das sich im obersten Geschoss des Anbaus befindet und die beste kulinarische Adresse der Region weit und breit ist. Seit der Eröffnung vor knapp fünf Jahren steht hier der gebürtige Passauer und Mittdreißiger Michael Simon Reis am Herd.
Das stylish eingerichtete Lokal wirkt fast wie eine Lounge und punktet mit einer gelungenen Synthese verschiedener Werkstoffe wie Holz, Glas und Stein. Vergleichsweise konservativ sind hier eigentlich nur die Gedecke der Tische, während die einsehbare gläserne Küche und der Weinschrank voll dem Zeitgeist huldigen. Nimmt man dann noch den Paradeblick über den Bayerischen Wald hinzu, könnten die Rahmenbedingungen kaum besser sein! Dies ist umso erstaunlicher, da der Bayerische Wald (im Gegensatz zum Schwarzwald beispielsweise, der eine ausgewiesene Genussregion ist und von seiner Nähe zu Frankreich profitiert) eine eher strukturschwache Region ist und damit nicht allzu viele zahlungskräftige Gäste bieten kann. Außerdem ist die Küche in dieser Gegend im allgemeinen eher schlicht, deftig und bodenständig. Mit anderen Worten: die Haute Cuisine hatte es in diesem Winkel noch nie leicht und sah schon etliche Projekte in der Vergangenheit scheitern. Prominentestes Beispiel war im Jahre 2013 Erich Schwingshackl, der sein Zwei-Sterne-Restaurant in Bernried aufgab und stattdessen an den Tegernsee abwanderte, obwohl die Konkurrenz dort natürlich erheblich größer ist.
Was für eine Küche kann man denn in dieser Region überhaupt etablieren? Der junge Koch wählt einen Spagat zwischen teils regionalen und fernen Zutaten und scheut auch das Experiment, althergebrachte Konventionen aufzubrechen und neu durchzudeklinieren, nicht. Mit welchem Erfolg? Das wird sich ja nach diesem Test zeigen …
Erfreulicherweise offeriert die Karte nicht nur ein sechsgängiges Menü (das auch verkürzt werden kann), sondern auch jeweils eine Handvoll Gerichte in den Rubriken „Tradition“ und „Innovation“. Kombinieren und Tauschen ist problemlos möglich, so dass nun wirklich jeder Gast in der Lage sein sollte, das Passende zusammenzustellen, zumal auch nachmittags noch ein weiteres kürzeres und weniger kostspieliges Menü angeboten wird. Ich entscheide mich für das komplette Menü samt alkoholfreier Begleitung.
Bereits mit den Einstiegen wird die Stilistik des Chefs unterstrichen: da wird beispielsweise schon einmal ein Wan-Tan mit herzhaftem Rindertatar gefüllt oder ein Knusper-Röllchen nicht nur mit Frischkäse, sondern auch mit Felchen und etwas Salatgurke gefüllt. Auch der Gruß aus der Küche macht dort weiter: ein sehr frischer Lachs schwimmt in einer reduzierten Buttermlich, die mit etwas stark verdünntem Bärlauchpesto veredelt wird, und wird mit allerlei hauchdünn geschnittenem Gemüse obenauf veredelt. Beeindruckend! Die Brotauswahl überzeugt ebenfalls, auch wenn die Brotsorten – bis auf eine – von einer mehrfach ausgezeichneten ortsansässigen Bäckerei geliefert werden. Die Krönung ist aber trotz allem das hausgemachte Blutwurstbrot, das wunderbar intensiv schmeckt und regelrecht süchtig macht.
Den Auftakt ins Menü bildet gesurtes Wollschwein mit fein geriebener Geflügelleber. Präsentiert wird das Gericht auf einem rechteckigen Teller (minimal größer als eine Tafel Schokolade), der zur Hälfte leer ist und auf der anderen Seite eine Art Teppich aus sehr fein geriebener Leber bildet. Darunter versteckt sich das Schweinefleisch, doch gekrönt wird das Ganze von der à part aufgetragene Masse aus Rhabarber und Liebstöckelsenf und dem augenzwinkernden Laugen-Brioche (!). Die sehr moderne Präsentation steht auf einem Niveau mit dem Geschmack, der unglaublich facettenreich gerät – säuerlich leicht, diffizil und genauestens ausgelotet. Das ist ganz großes Gaumenkino und hat definitiv das Zeug zum Signature Dish. Prächtig harmoniert dazu auch der Rhabarbersaft aus dem Hause van Nahmen. Unvergesslich!
Es folgt Egli mit weißem Spargel, Topfen-Mohn-Gnocchi und Brunnenkresse. Der wunderbare und kross auf der Haut gebratene Barsch wird charmant von dem Spargel in diversen Texturen umspielt, während die Brunnenkresse sparsame aromatische Akzente setzt. Die Gnocchi sind sehr zurückhaltend aromatisiert – wenn dies so gewollt war, dann war es sehr vorausschauend. Mit etwas mehr Präsenz hätten die Gnocchi dieses Gericht locker aus der Bahn werfen können – so aber stand unterm Strich ein weiteres recht überzeugendes Gericht. Ein alkoholfreier Rieslingsaft (Van Nahmen) fügt sich wunderbar dazu ein.
Wesentlich habhafter ging es dann bei Gekochtem vom bayerischen Milchkalb, Mairüben, Gerste und Blutwurst zu. Seiner Stilistik treubleibend kreiert Herr Reis auch hier Allianzen, die Gewohnheitsesser schnell aus der Bahn werfen können. Das solide Gericht ist vielleicht nicht ganz so sorgsam in puncto Balance geraten, doch die hinreißende Optik und die Vielzahl der Texturen machen den Mangel fast wieder wett. Dazu schenkt man einen Apfel-Quitten-Saft von Van Nahmen ein.
Bei Taube mit Zuckererbsen, eingelegten Mispeln und Dattelessig-Jus passiert mir dann doch zuviel auf dem Teller. Keine Frage, die Taube (in Form von Brust und Haxe) gerät vortrefflich, doch die üppig portionierte Begleitung erfordert vom Gast die volle Aufmerksamkeit und lenkt den Fokus doch ein wenig zu sehr weg vom Hauptdarsteller. Mit etwas anderen Portionen bei den einzelnen Komponenten ließe sich hier aber sicher schnell Abhilfe schaffen, zumal das Gericht an sich keineswegs schlecht war, sondern nur ein wenig eine klare geschmackliche Aussage vermissen ließ. Der Pflaumensaft (Van Nahmen) hatte jedenfalls Körper und ergänzte diesen Gang würdig.
Das wagemutigste Gericht von allen war das erste Dessert: Fenchel-Rohkost mit geeister Goldpomeranze, Pink Pomelo, Basilikum und Blutorange klingt schon so als könne dies nicht funktionieren – tut es aber doch! Und wie: die sauren Begleiter überspielen den Fakt, dass sie auf einem fein geriebenen Bett einer Gemüsesorte ruhen, spielend leicht! Dieses überaus erfrischende Pré-Dessert huldigte der Avantgarde, schlug aber geschmacklich voll ein! Bestens ausgewählt dazu auch das Getränk: eine mit Bitter Lemon aufgegossene Calpis-Milch, die zuvor mit etwas Zitrone aromatisiert wurde. Das geschmackliche Ergebnis war einem Ipanema nicht unähnlich und erwies sich als vollendeter Begleiter für diesen Gang.
Das eigentliche Dessert „Honigbiene“ ist ein weiterer ganz großer Wurf: die produkt-orientierte Kreation wartet mit karamelisierter weißer Schokolade mit eingelegtem Honigapfel, Blütenpollen und Bienenwachs-Eis auf. Der am Tisch aufgeträufelte Honig wird auf dem Eis sofort kristallin und schmeckt bestens im Verbund mit dem Honigwaben-Gelée, das auf der Schokolade ruht. All dies ist nicht nur handwerklich makellos, sondern ein echtes Plädoyer für eine praktisch vergessene Zutat, deren Stärken hier bestens zum Tragen kamen und die trotz ihrer Dominanz keine Sekunde eintönig wirkte. Phänomenal! Genauso perfekt wie der Gang selbst war auch der Begleiter: Saft vom „Cox Orange“-Apfel.
Nach diesen Knaller-Desserts störte es mich wenig, dass die originell auf einer Kaffeemühle bzw. auf einem Teller Kaffebohnen präsentierten Petits fours allesamt um das Thema Kaffe kreisten und den Kaffee-Abstinenzler in mir natürlich nicht zu Freudensprüngen veranlassten. Um aber bei der Wahrheit zu bleiben … sie schmeckten trotz allem erstaunlich gut! Dazu den Abend auf der Terrasse ausklingen lassen – was will man mehr?
Diese Menü-Dramaturgie hatte es wahrlich in sich: nach dem umwerfenden Einstieg ließ der Spannungsbogen natürlich ein klein wenig nach. Diesem Präludium folgend musste fast zwangsläufig ein Abstieg auf (immer noch sehr gutes) irdisches Niveau einsetzen. Wo aber in anderen Lokalen dann nach dem Hauptgang das Dessert oftmals eher pflichtbewusst als inspiriert wirkt, zauberte Michael Simon Reis hier gleich zwei Kaninchen aus dem Zylinder, die zu den stärksten Desserts gehörten, die ich je gegessen habe. Chapeau! Ich kenne praktisch keine anderes Lokal, in dem man sich so sehr auf die Desserts freuen darf!
Das an diesem Abend überraschend schwach besuchte Restaurant (sieben Gäste insgesamt) erforderte den Einsatz von lediglich zwei Servicekräften, die ihre Sache indes ausgezeichnet machten: sowohl Empfangschefin Susanne Zellner als auch Chef de Rang Bernd Müller treten mit entwaffnendem Charme auf und scheuen sich keineswegs, regionalen Dialekt einzusetzen, wenn dies beim Gast gut ankommt. Flexibilität zeichnet das Team ebenfalls aus, denn wann immer ich einen Moment auf der Terrasse wieder genießen wollte, wurde einfach mit dem nächsten Gang gewartet, bis ich wieder am Tisch Platz genommen hatte. Auch beim Verlassen des Lokals (ich war der letzte verbliebene Gast) zeigten sich beide Mitarbeiter durchaus von einer geerdeten sowie redseligen Seite und wünschten mir, ich möge bald wieder einmal vorbeischauen. Nichts lieber als das, aber Waldkirchen ist von der Ostalb aus leider nicht gerade um die Ecke …
Die Küchenleistung überzeugte nahezu auf ganzer Linie (drei superbe Gänge und drei „nur“ irdische) und sollte auch angesichts des fast schon beschämend gastfreundlichen Preis-Leistungs-Verhältnisses überhaupt nicht getadelt werden. Die Balance zwischen Tradition und Innovation zu finden gelingt dem Chef ganz ausgezeichnet, so dass man in Zukunft von ihm sicherlich noch die Verfeinerung seiner Handschrift erwarten kann. Jedenfalls macht Herr Reis aus vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten (nur wenige Mitarbeiter in der Küche und Randlage in Deutschland) enorm viel. Andererseits scheint zumindest finanzielle Unterstützung jederzeit gewährleistet zu sein – die Synergieeffekte kommen letztendlich natürlich auch wieder dem Modehaus zugute. Würde dieses Lokal in Passau stehen, dann könnte sich das überaus geräumige Lokal wohl bald nicht mehr vor Gästen retten. So hingegen wird es vermutlich immer noch eine ganze Weile als Geheimtipp taugen (es sei denn, die Michelin-Inspektoren beweisen sehr viel Mut und verleihen tatäschlich den zweiten Michelin-Stern) und nur sehr kurze Wartezeiten auf einen Tisch anbieten können, zumal man selbst für spontane Gäste aus dem Modehaus gewappnet ist. Eine Anhebung von derzeit 16 Punkten im Gault&Millau auf 17 scheint jedenfalls berechtigt, während ein zweiter Michelin-Stern vermutlich noch etwas warten muss – aber auch so gehört dieser Besuch schon jetzt zu den angenehmsten Überraschungen des Jahres!