Das Grace*, Flensburg

„Über dem Fangen von Fischen und Krebsen vergiss die Feldarbeit nicht.“ (volkstümlich)

Februar 2023

An der Ostseeküste Schleswig-Holsteins gilt die zweifach besternte Meierei Dirk Luther seit mindestens einem Jahrzehnt als das Maß aller Dinge. Da in besagtem Lokal aber kein Tisch zu bekommen war, führte uns der Weg diesmal in eine noch recht neue Adresse im zu Flensburg gehörenden Hafenviertel Sonwik. Durch die Flensburger Förde von der gegenüberliegenden Altstadt getrennt, entstand hier – direkt am Wasser gelegen – in einem ehemaligen Marinegebäude das Hotel Das James, das binnen kürzester Zeit bei Publikum aller Couleur voll einschlug. Dank der luxuriösen Innenausstattung und dem hohen Servicestandard konnte hier binnen weniger Jahre eine Spitzenlocation etabliert werden, die schon jetzt zu den ersten Adressen der Region gezählt werden darf. Eine Übernachtung ließ sich für uns leider nicht einrichten, aber allerlei Annehmlichkeiten wie ein üppig dimensionierter Pool, großzügige Freizeitangebote oder der Paradeblick auf die Förde lassen erahnen, warum dieses Hotel bei den Gästen so gut ankommt.

Die Verantwortlichen setz(t)en ihre Hoffnungen auch auf gehobene Gastronomie, denn mit dem Sternerestaurant Das Grace lockt man neben den üblichen Gästen zudem auch Gourmets an. Der Mann am Herd ist Mittdreißiger Quirin Brundobler, der bereits zuvor als Souschef im kürzlich von uns besuchten KAI3 auf Sylt reüssierte. Ein kleines und engagiertes Team aus nur drei bis vier weiteren Küchenmitarbeitern reichte aber schon aus, um an neuer Wirkungsstätte im GUSTO mit einer beachtlichen Einstiegsnote von 8 Pfannen auf sich aufmerksam zu machen. Wie wir später erfahren werden, erwarb sich der eine oder andere dieser Mitarbeiter auch schon erste Sporen in der eingangs erwähnten Meierei Dirk Luther im nahen Glücksburg – sie wissen also ganz offenkundig, worum und wie es geht.

Doch auch beim Service machte man Nägel mit Köpfen: an der Spitze des Serviceteams steht Sommelière und Restaurantleiterin Morlin Jochimsen, die trotz eines Alters von erst Anfang 30 bleibende Eindrücke hinterlassen wird – dazu später noch mehr. Beim Betreten des Hotels durchschreitet man die riesige Lobby des Hotels, die einen mit ihren meterhohen Decken und dem Industriechic vergangener Tage dank eines stilsicheren Designs sofort umfängt. Das bunte Völkchen an Gästen erzeugt einen ganz ordentlichen Lärmpegel, doch führt der Weg zum Sternerestaurant durch einen etwas versteckten Gang in einen deutlich ruhigeren Bereich des Foyers. Dennoch bietet sich einem auch hier ein rustikaler Anblick in Form von runden Holztischen und einer sieben Meter hohen Decke, der aber durch die Kristalllüster, die ziemlich elegant gekleideten Gäste und das edle Besteck in seiner Wirkung regelrecht konterkariert wird.

Kaum haben wir Platz genommen, da werden wir schon von der bereits vorgestellten Frau Jochimsen empfangen und kompetent in Sachen Apéritif beraten. Ohne Umschweife verkosten wir den von ihr empfohlenen alkoholfreien Sekt der hauseigenen Marke Das James und werden nicht enttäuscht. Wem danach nicht der Sinn sollte, der kann jedoch auch aus einer fast schon überbordenden Auswahl an Alternativen wählen. Die fair bepreiste Weinauswahl des noch keine drei Jahre bestehenden Lokals gibt sich dagegen noch vergleichsweise bescheiden, aber Rom wurde ja schließlich auch nicht an einem Tag erbaut. Zum Apéritif reicht man fünf erstaunlich gemüselastige Apéros, deren Niveau mühelos den erteilten Michelin-Stern rechtfertigt. Von links nach rechts handelt es sich um eine Kohlrabitasche mit körnigem Frischkäse und einem Schuss Limette, gefolgt von Walnuss Royal auf Pumpernickel. Weiter geht es mit dem Höhepunkt des Quintetts, der geeisten Kugel von Brunnenkresse mit Essig. Den Abschluss bilden ein Tramezzini mit Kohlrabi und Muskattraube sowie ein Langos mit Ziegenfrischkäse – fünf feine Häppchen mit einem ordentlichen Anspruch und vielen vegetabilen Komponenten, was man direkt an der See nicht unbedingt in dieser Form erwartet hätte.

Während wir noch unsere Wahl abwägen (es gibt zwei identisch bepreiste fünfgängige Menüs zu jeweils € 140 mit zusätzlicher Käseoption), trägt man inzwischen die Brotauswahl auf, welche mit Sauerteigbrot, Focaccia und Brot aus Flensburger Dunkelbierteig sowie Rohmilchbutter unter diversen Kräutern nicht nur qualitativ überzeugt, sondern auch der Region huldigt. Gefällt uns!

Wir tun unsere Wahl kund – nämlich das fischlastigere Menü der beiden namens Förde – und werden vor dem offiziellen Auftakt noch mit einem Amuse der edlen Sorte eingestimmt: Hansegarnele mit Salzzitrone, Topinambur und Lavendelöl verbinden sich zu einem Arrangement von großer aromatischer Klarheit. Die nur kurz gegrillte Garnele spielt ihre Qualität in der Textur voll aus und wird in dem Umfeld sparsam dosierter, aber doch recht unterschiedlicher Aromen auf sehr eigenwillige und schlüssige Weise begleitet.

Schon jetzt finden wir es interessant, dass sich der Chefkoch als gebürtiger Münchner hier im hohen Norden Deutschlands einen Küchenstil zu eigen gemacht hat, der naturgemäß viel Fisch und Krustentiere beinhaltet, dabei aber einen klassisch französischen Einschlag behält und vor allem noch leichtfüßig Produkte von der angeschlossene James Farm wie allerlei Gemüse einbaut und damit frühzeitig zu erkennen gibt, dass er das Eingangsmotto dieser Rezension durchaus umsetzt und beherzigt.

Die Kreationen werden dabei fehlerfrei und mit großem Elan, aber ohne jede Belehrung vom umtriebigen und sicher agierenden Service erläutert. So auch diese: den Auftakt ins Menü macht ein Teller, der schon optisch den Verdacht eines mit sehr viel Elan ersonnenen Tellers nährt. Das Fundament dieser kompakten Konstruktion bildet Taschenkrebs als leicht sahniges und sehr fein abgeschmecktes Tatar, das durch säuerliche Spitzen von Sanddorn noch deutlich an Wirkung gewinnt. Gerade die in der Spitzenküche oft als sperrig empfundenen Kohlsorten werden in Lokalen, die nicht gerade als ausgewiesene Spezialisten für Gemüse gelten (wie etwas das Nürnberger Essigbrätlein) gemieden, doch in eingelegter Form erweist sich dieser knackige Grünkohl nicht nur als Texturgeber, sondern als feine grüne aromatische Facette mit wohltuend leichter Bitternote. Schlüssig zusammengeführt wird alles mit geräucherter Buttermilch, die vermutlich mit Schnittlauchöl verfeinert wurde. Die Aromen treten in großer Klarheit und kraftvoll zutage, doch trotz seiner direkten, typisch norddeutschen Aussage wartet dieser Einstieg mit unerwarteter Eleganz auf. Das ist gleich zu Beginn fraglos ein Höhepunkt der Menüfolge!

Glasig gedämpfte Jakobsmuschel drapiert die Küche auf einem Kerbelsud, doch auch in Form von Kerbelwurzel kommt noch eine weitere Facette desselben Produkts zum Einsatz. Im Prinzip basiert dieser Teller auf der Idee, dass die festfleischige Konsistenz der Muschel bestens mit der erheblich weicheren Wurzel korrespondiert, weshalb als weitere Begleitung dieses Tellers zwei optisch kaum merkliche, aber dennoch wesentliche Elemente ausreichen: animierende Säure kommt diesmal von der (meiner Meinung nach in der Spitzenküche viel zu sehr vernachlässigten) Stachelbeere, während die Salinität des im Watt beheimateten Queller vor allem die grünen Elemente weiter aufwertet. In Summe ist dies ein leichter und bekömmlicher Teller mit klaren Aromen und einer deutlichen Idee dahinter, die uns einmal mehr zu überzeugen vermag.

Der Saibling im nächsten Gang gerät dagegen für meinen Geschmack einen Tick zu weich, doch schnell wandert der Fokus beim Verzehr ohnehin auf die in zahlreichen Texturen auftretende Steckrübe, welche grenzwertig viel Aufmerksamkeit beansprucht. Eine wunderbare leichte Emulsion von Rapsöl sowie Petersiliencrème und Senfsaat steuern entgegen und retten letztlich den Eindruck eines soliden Gangs, der im bisherigen Vergleich bestenfalls etwas brav wirkt und wegen des kleinen handwerklichen Mangels sowie einer etwas unausgewogen anmutenden Balance nicht dasselbe Maß an Begeisterung in uns weckt wie das zuvor Dargebotene.

Bei der Bewertung dieses Gangs wird letztlich alles an der Auslegung eines einzelnen Aspekts hängen: Fisch im Hauptgang ist eher selten zu beobachten, doch an der makellosen Qualität des Steinköhlers selbst gibt es genauso wenig etwas auszusetzen wie an der kompakten Begleitung aus einer präsenten Kalbsjus, dem deutlich weniger intensiven Nussbutterschaum und roter Bete obenauf – eine schöne Abstufung der Intensitäten. Der Aspekt, an dem ich mich letztlich störe, ist die Temperatur des Hauptdarstellers, die mit etwas mehr als 40 Grad erstaunlich niedrig ausfällt. Ich erfahre später am Tisch, dass die Küche den Fisch mit vollem Bewusstsein bei Niedrigtemperatur gart, während ich in dieser Form dem Steinköhler eine gewisse Wehrlosigkeit gegenüber insbesondere der kraftstrotzenden Kalbsjus attestieren muss – zumal ich dem Trend des Servierens bei niedrigen Temperaturen in Hauptgängen herzlich wenig abgewinnen kann. Es wird aber der einzige Punkt des Abends bleiben, an dem ich keine Einigung mit dem Chef erzielen werde – keine Sorge, wir sind auch nicht im Streit auseinander gegangen …

Das Pré-Dessert besticht durch eine auffällige Reduktion bei der Wahl der eingesetzten Viktualien: geschmorte Quitte und Quittenschaum paart die Pâtisserie mit Blätterteig und Vanilleeis. Fertig ist ein simpel gestricktes, aber keineswegs banales Dessert, das voll von der Qualität der eingesetzten Produkte sowie seinem Handwerk lebt und sicherlich keinen Gast überfordert. Eine gewisse Skepsis der mehrheitlich eher unerfahren anmutenden Gäste will ja schließlich auch bedacht sein!

Eine bei genauer Betrachtung noch auffälligere Ökonomie als zuvor hindert die Pâtisserie nicht daran, zum Abschluss ein beachtliches Meisterwerk von einem Dessert zu kreieren: obwohl dieser Ausklang gefühlt nur aus einem Pekannuss-Törtchen und Mandarinen in einer geradezu rauschhaften Vielfalt an Texturen besteht, kommt durch die fein und diffizil abgeschmeckte Süße keinerlei Langeweile auf. Den letzten Feinschliff steuert das Eis von Molke unten links bei, das dank einschmeichelnder Cremigkeit dem Teller gut zu Gesicht steht. Das letzte Maß an Risikobereitschaft fehlt diesem Ausklang vielleicht noch, aber dennoch ist dies fraglos der zweite große Höhepunkt der Menüfolge nach dem Taschenkrebs zu Beginn. Man erlebt nicht allzu oft, dass gerade Anfang und Ende des Menüs am meisten überzeugen!

Die Petits fours möchten da natürlich nicht merklich abfallen und schließen den Abend würdig ab: Macarons (Vanille und Schokolade), Madeleine (fehlt im Bild), Kalamansi-Praline, Tonkabohnen-Praline und Himbeer-Champagner-Praline bestätigen den starken Eindruck, welchen die süße Abteilung hinterließ. Wir sind durchaus angetan!

Dass Quirin Brundobler nicht viele, aber dafür umso kompetentere Mitarbeiter um sich scharen konnte, zahlt sich bereits jetzt aus. Sein Küchenstil strebt eine Liaison der französischen Ästhetik mit norddeutschen Elementen und Produkten an, wobei das bislang erreichte Niveau schon sehr beachtlich ist und das Urteil des GUSTO vollauf bestätigt. Alle Teller sind von einer durchdachten Aussage durchdrungen, wobei deren Umsetzung teils noch nicht immer im selben Maße gelingt. Demgegenüber steht sicheres Wissen um die Vorzüge der eingesetzten Produkte bei gleichzeitiger Bereitschaft, heimischen Produkten eine angemessene Bühne zu bereiten und diese organisch in seine Kompositionen einzubauen. Wo es Sinn macht, räumt man ihnen gerne auch mal die Hauptrolle ein. Gewisse Aspekte wie eine suboptimale Balance oder das Fehlen einer noch größeren geschmacklichen Tiefe sind sicherlich noch zu verbessern, aber der Trend zeigt ganz eindeutig in die richtige Richtung.

Die engagierte Servicetruppe unter der Leitung der quirligen und sehr selbstbewusst agierenden Morlin Jochimsen brennt sich uns rasch ins Gedächtnis ein, denn speziell der selbstsichere Auftritt der Serviceleiterin beeindruckt uns. Mit großem Sachverstand, nah am Gast und doch mit dem richtigen Maß an Diskretion geleitet sie so souverän und tadellos durch den Abend, dass mir keine vergleichbare Leistung einer derart jungen Servicechefin in den Sinn kommt seit dem Abgang von Barbara Englbrecht aus dem Münchner Atelier vor knapp zwei Jahren. Wohl nicht zuletzt dank ihrer Fürsprache nimmt sich Quirin Brundobler am Ende sehr viel Zeit für uns, setzt sich zunächst an unseren Tisch und geleitet uns dann auch noch durch die heiligen Hallen der Küche, wo wir abermals interessante Dinge, die teils in verstreuter Form Eingang in diese Rezension gefunden haben, erfahren sollten. Bereitwillig werden wir in Aspekte der Arbeit in diesem Haus eingeweiht (nichts Geheimes), die wohl sonst nur die wenigsten Gäste zu hören bekommen. Mag sein, dass es selbige auch langweilen würde, aber mich hingegen faszinieren solche Einblicke in eine Welt, die den Gästen meistens verborgen bleibt – und meinen Respekt vor der gezeigten Leistung meist nur noch potenziert.

Flensburg sollte sich glücklich schätzen, nun über eine solch herausragende Adresse zu verfügen, die schon jetzt scharenweise Gäste an die Innenförde lockt. Mit der weiteren Gewährleistung der nötigen Unterstützung sehe ich hier absolut das Potential als gegeben an, um noch weiter nach oben zu streben. Ein vielversprechender Anfang ist auf jeden Fall gemacht, und auch die Besetzung der Schlüsselpositionen mit kompetentem Personal gibt uns Anlass zur Hoffnung, dass der Weg des Quirin Brundobler im Das Grace noch lange nicht zu Ende ist. Regelmäßige Besuche lassen sich wegen der räumlichen Entfernung zwar nur schwer realisieren, aber wir bleiben mit Sicherheit am Ball!

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Das Grace
Fördepromenade 30
24944 Flensburg
Tel.: 0461/1672360
www.dasjames.com

Guide Michelin 2022: *
Gautl&Millau 2022: 2+ Toques
GUSTO 2023: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 2,5 F

5-gängiges Menü „Förde“: € 140