März 2019
Das Steigenberger-Hotel Drei Mohren ist die erste Adresse in der Innenstadt von Augsburg und liegt etwa einen halben Kilometer südlich des Rathauses an der Maximilianstraße, die man von vielen Fotos mit dem berühmten Herkulesbrunnen und den Kirchen St. Ulrich sowie St. Afra im Hintergrund kennt. Hier kocht im Restaurant Sartory seit einigen Jahren der 38-jährige Simon Jung, der sich nach eher unauffälligen Auftritten zuletzt steigern konnte und heuer den ersten Michelin-Stern verliehen bekam. Kulinarisch gesehen hat Augsburg vergleichsweise wenig Außergewöhnliches zu bieten – viele Jahre lang hielt das zweifach besternte August von Christian Grünwald in der Villa Haag die Fahne der Haute Cuisine ganz alleine in der Fuggerstadt hoch. Während das August jedoch eher aufgeschlossene Gäste anspricht, bewegt sich die Küche des Sartory in deutlich konservativerem Rahmen. Namensgeber des Restaurants ist übrigens Johann Georg Sartory, der im 19. Jahrhundert zu Augsburgs bekanntesten Köchen zählte und 1846 gar ein Kochbuch herausgab.
Von der Hotellobby aus erweist sich der Weg zum Restaurant gefühlt als kleine Weltreise, denn das im Südflügel des Hotelbaus gelegene Restaurant ist ziemlich versteckt – dafür kann es aber auch von außen betreten werden, sofern man dessen unscheinbaren Eingang kennt. Innen ist es eher klassisch gestaltet: einige Gemälde an den Wänden, Parkettboden, überwiegend Grautöne und eine Beleuchtung, die für meine Begriffe etwas heller hätte ausfallen dürfen. Küchenchef Simon Lang kommt übrigens gleich zu Beginn des Menüs an den Tisch und wünscht einen angenehmen Abend. Meine Erwartungshaltung ist angesichts des neuen Sterns und eher mageren 13 Punkten im G&M nicht sonderlich hoch, aber 7 GUSTO-Pfannen sind andererseits auch nicht zu verachten. Ich bin gespannt …
Man kann hier auch à la carte essen oder die Menüfolge verkürzen, doch ich enstcheide mich für das Menu du Chef in sieben Gängen zu € 139, was für Augsburg Downtown einen verhältnismäßig günstigen Preis darstellt, zumal einige hochpreisige Viktualien in der Menüfolge stehen. Die Nebenpreise sind – wie sich später herausstellt – durchschnittlich, allerdings mit Ausnahme der ambitionierten Beträge in der Weinkarte. Zum Einstieg reicht man zunächst ein ansprechendes getrüffeltes Kartoffelsüppchen sowie drei Grüße: als erstes ein mit Eigelb-Espuma gefülltes goldenes Ei mit einem Brotchip, der mit etwas Rindertatar und Imperial Gold Kaviar belegt ist, dann eine Auster mit grünem Apfel und einer Algenspitze. Schließlich das gewagteste Experiment: Gänseleberrillette mit Räucheraal, grünem Apfel und einem dominanten Sauternes-Gel. Der Einstieg macht durchaus etwas her, denn die hochpreisigen Produkte und deren durchaus aparte Präsentation enttäuschen nicht. Das gilt auch für die überdurchschnittliche Brotauswahl, die als Besonderheit unter anderem ein hauchdünnes, hausgemachtes Knäckebrot nach einem original finnischen Rezept beinhaltet. Der herbe Crodino dazu rundet den ersten gelungenen Eindruck würdig ab.
Die Menüfolge beginnt mit einem echten Highlight: Carpaccio von der Kalbszunge kombiniert der Küchenchef mit nicht weniger als fünf weiteren Komponenten: Imperial Gold Kaviar, rote Bete, Borretaine-Zwiebeln, Meerrettich-Mayonnaise und Champagner-Vinaigrette. Der klug dosierte und durchdachte Einsatz in dem optisch aparten Gang sorgt jedoch für ein ausgesprochen frühlingshaft-frisches Gericht, das mit unerwarteten feinsäuerlichen Aromen punkten kann und keineswegs überfrachtet wirkt.
Dagegen ist der nächste Gang ein Aussetzer: Hummereintopf mit Safran, Estragon, Gemüse-Panaché und Champignon gerät aufgrund überaus grober Texturen zu einer zähen Angelegenheit ohne großen Genuss. Das meiste an Gemüse ist nahezu naturbelassen oder nur ganz kurz gekocht bzw. blanchiert; auch der per se ausgezeichnete Hummer ist in so großen Stücken in die Schüssel eingelassen, dass ein Verzehr lediglich mit Löffel und Gabel kaum möglich ist. Mit einer größeren Vielfalt an Texturen und vor allem kleinteiligeren Strukturen hätte man ohne große Mühe aus diesem Gang erheblich mehr machen können – so hingegen wirkt dieser unausgegorene Gang unbeholfen und wie eine missratene Reifeprüfung.
Mit der saftigen Seezunge ist jedoch schnell wieder Besserung in Sicht: Habanero-Hollandaise, Vinaigrette von Kalamata-Oliven, Basilikum, getrocknete Tomaten, Kapern und wilder Brokkoli sind möglicherweise ein bis zwei Komponenten zuviel, aber dennoch ist in der mediterran geprägten Komposition wenigstens so etwas wie eine einheitliche Stilistik zu erkennen. Außerdem sind die Aromen deutlich herauszuschmecken, was bei einer solchen Vielzahl an Komponenten keineswegs selbstverständlich ist. Summa summarum ein solider Fischgang.
Zum Höhepunkt des Abends geriet Challans-Ente (Brust und Keule), Topfen, glasierte Schwarzwurzel, Petersilienwurzelpüree und Piemonteser Haselnuss. Wenn auch das Potpourri an Begleitern (mit Ausnahme der Haselnuss, die sich in Cremeform als absolut gewinnbringend erweist) als eher bewährt zu bezeichnen ist, so beeindrucken die aromensatte, tiefe Aromatik und das makellose Handwerk dennoch über die Maßen. Speziell die Brust entfaltet aromatische Wucht und wird doch bestens aufgefangen. Mit diesem Gang zeigt die Küche jedenfalls, wozu sie inzwischen in Topform in der Lage ist. Großartig!
Trotz der eher klassischen Ausrichtung huldigt die Küche doch dem einen oder anderen Trend und kombiniert beispielsweise im nächsten Gang Limousin-Lamm mit modischem Ras el Hanout, Hummus, gebratener Artischocke, Paprikachutney und Salzzitronensauce. In diesem Ambiente wirkt das Gericht stilistisch eher deplatziert, aber geschmacklich gibt es nichts zu bemängeln: das herzhaft gebratene Lamm harmoniert mit der tiefen Jus und dem afrikanischen Umfeld ausgesprochen gut. Auch dieser Gang kann sich sehen lassen!
Irisches Rinderfilet mit BBQ-Lack, Grenaille-Kartoffel, glasiertem Gemüse und Kopfsalat lässt dem Hauptdarsteller erheblich mehr Raum zur Entfaltung als jeder andere Gang zuvor – insofern schon eine kleine Kehrtwende, die aber durchaus berechtigt erscheint. Die eigentümliche Aromatik dieses speziellen Rindfleischs kommt durch die zurückhaltende Begleitung in der Tat gut zur Entfaltung und bietet mehr als bloße Routine, was auch Fleischliebhabern gut zusagen sollte.
Soufflé von Manjari-Schokolade mit Kokos, Banane und Passionsfrucht klingt nicht allzu mutig, macht aber den gewissen Mangel an Originalität durch Vielfalt an Texturen, sicheres Handwerk und schöne Optik mehr als wett. Der intensive Körper des Soufflé wird durch eine schön ausbalancierte Bananen-Sauce und einer Vielzahl kleinteiliger Texturen von Banane und Passionsfrucht wieder angemessen aufgefangen. Erhebt sich nur die Frage, wer danach noch nicht weniger als zwei Macarons und neun (meist alkoholisch) gefüllte Kugeln aus der Patisserie zum Abschluss verzehren soll?!
Insgesamt drei Servicedamen machen einen guten Job, denn ohne jede Aufdringlichkeit oder Hast wird das Menü zügig binnen drei Stunden abgewickelt, obwohl doch nahezu dreißig Gäste zu versorgen sind. Die gezeigte Leistung ist korrekt, präzise und ansprechend, auch wenn sie vielleicht nicht besonders persönlich wirkt. Trotzdem gab es am Service absolut nichts zu bemängeln.
Wir brauchen nicht lange drumherum zu reden, dass der Erhalt des Michelin-Sterns berechtigt ist und die Erwartungen des roten Guides erfüllt wurden. Die Küche des Sartory bemüht sich aber auch, den Vorgaben des Geschäftsleitung zu entsprechen und bedient in erster Linie die Erwartungshaltung einer insgesamt konservativeren Gästeklientel. Diese wird dabei keineswegs enttäuscht, denn sicheres Handwerk (mit Ausnahme des missratenen Hummer-Gangs) und insgesamt recht bewährte Kreationen mit hochwertigen Luxusprodukten versprechen sicheres Terrain, dessen Betreten wahrlich niemand fürchten muss. Für Einsteiger der Szene (und von denen dürfte es in Augsburg einige geben) ist dies daher mit Sicherheit eine Adresse, deren Kennenlernen sich durchaus lohnt. Fortgeschrittene dagegen würden sich zumindest hier und da etwas mehr Wagemut wünschen, da trotz aller Akkuratesse eine gewisse Vorhersehbarkeit den Eindruck ein wenig trübt. Es ist verständlich, dass man nach dem Erhalt des ersten Michelin-Sterns nicht gleich alles auf den Kopf stellt, aber andererseits ist Simon Jung mit 38 Jahren schon in einem recht fortgeschrittenen Alter für den ersten Stern. Wenn es also noch weiter nach oben gehen soll, dann wird das Verlassen der sicheren und ausgetretenen Pfade irgendwann notwendig werden. Mit anderen Worten: das Menü war insgesamt schon überzeugend, aber Überraschungen gab es doch recht wenige – ich denke, mit etwas mehr Esprit ließe sich hier schnell Abhilfe schaffen.
Dass der Gault&Millau mit seinen Urteilen in Augsburg schon öfters mal angeeckt hat, kann das August sicherlich bestätigen, denn trotz zweier Michelin-Sterne vergibt der G&M hier seit Jahren nur kümmerliche 13 oder 14 Punkte. Es bleibt festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen der Stadt Augsburg und dem Gault&Millau auch weiterhin ein seltsames bleibt, denn die gezeigte Leistung im Sartory war definitiv mehr wert als die aktuell vergebenen 13 Punkte – speziell dann, wenn ich beispielsweise an die äußerst biedere Darbietung letztes Jahr im Alt Wyk auf Föhr zurückdenke, die vom G&M mit 15 Punkten ausgezeichnet wurde. Ich persönlich würde jedenfalls für das Sartory 15 Punkte vorschlagen, was in etwa auch der durchschnittlichen Bewertung eines neuen Sterne-Restaurants entspricht. Unabhängig von allen Beurteilungen bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die Stadt Augsburg nun endlich auch ein zweites besterntes Lokal anbieten kann, das konservativeren Gästen erheblich mehr zusagen sollte als das August. An weiterem Zulauf dürfte es dem (an diesem Abend gut gefüllten) Lokal nicht fehlen, zumal es an nur drei (!) Abenden in der Woche sowie Samstagmittag geöffnet hat und doch etliche Hotelgäste dem Lokal einen Besuch abstatteten. Vielleicht traut man sich hier noch nicht, häufiger zu öffnen, weil man erst die Akzeptanz des Sterne-Restaurants abwarten will – wenn dem so ist, dann sollte sich diese Sorge schnell als unbegründet erweisen.
Ach ja: die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist durchaus zu empfehlen, denn die Tram hält unweit des Hotels. Wer mit dem Auto anreist, kann dies nach einer labyrinth-artigen Anreise durch Baustellen und enge Einbahnstraßen zwar im hoteleigenen Parkhaus hinter dem Gebäude abstellen, berappt dafür aber auch stolze € 2,50 pro Stunde bei einem Tageshöchstsatz von € 25. Es wäre meines Erachtens eine Überlegung wert, den Restaurantgästen diese Gebühr zu erlassen, denn im Münchner EssZimmer in der BMW-Welt etwa oder im Vendôme auf Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach gehört dies schon längst zum guten Ton.