Keilings**, Bad Bentheim

Anmerkung: dieses Restaurant ist inzwischen geschlossen.

„Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, für die der Mensch bewundert wird, falls die Leute je von ihm hören sollten.“ (Edgar Watson Howe)

Oktober 2019

Als der Guide Michelin im Jahre 2018 die Bewertung für das Restaurant Keilings in Bad Bentheim auf zwei Michelin-Sterne anhob, fragte sich wohl so mancher Gourmet verwundert, wo dieser Ort überhaupt liegt. Die Antwort lautet: im südwestlichsten Zipfel von Niedersachsen, nur ganz knapp von der holländischen Grenze entfernt. Die wenigen Touristen, die sich in diese Grafschaft verirren, können sich an einer außergewöhnlichen Burg, an dem großzügigen Bad und einer pittoresken Altstadt erfreuen, die allerdings in wenigen Stunden ausreichend erkundet ist. Ansonsten kennt so mancher diesen Ort vielleicht noch von einer Posse her, über die ausreichend Material im Internet verfügbar ist und die der Stadt auch überregionale Bekanntheit durch Reportagen im Fernsehen einbrachte: das berühmteste Bahnhofsfenster der Republik. Der Mangel ist inzwischen behoben (wovon wir uns persönlich überzeugt haben), doch der ursprüngliche Grund der Reise war natürlich unter anderem der Besuch in einem der am wenigsten bekannten Zwei-Sterne-Restaurants der Republik.

Das in der Fußgängerzone gelegene Lokal ist in einem von außen völlig unscheinbaren Klinkerbau untergebracht, der genauso gut eine Kneipe beherbergen könnte. Drinnen dagegen ein ganz anderes Bild: ein in hellen Braun- und Beigetönen gehaltenes Lokal ohne Schnickschnack. In der Mitte des Raumes hängt eine gewagte, goldene Lampenkonstruktion über einem Schanktisch, doch ansonsten verzichtet dieses Lokal auf weitere Ornamente. Des weiteren fallen der große und außergewöhnlich gut bestückte Weinschrank sowie die sehr bequemen Drehsessel, in denen man Platz nimmt, positiv auf. Diese Beschreibung ist aber im Grunde genommen fast schon redundant, denn nach Streitigkeiten mit dem Pächter gaben die Betreiber des Lokals – Lars Keiling und seine Lebensgefährtin Gina Duesmann – bereits im April bekannt, das Lokal Mitte Oktober schließen zu wollen und eine neue Bleibe zu suchen. Stand der Dinge ist, dass in der näheren Umgebung, aber außerhalb von Bad Bentheim derzeit zwei Immobilien geprüft werden und das neue Lokal nach dem Umzug dann voraussichtlich im Frühjahr 2020 wiedereröffnen soll.

Verweilen wir jedoch noch ein wenig in der Gegenwart und stellen fest, dass hier ein einziges Menü mit bis zu acht Gängen zum Preis von € 189 angeboten wird. Eröffnen wir den Abend also mit einem Glas PriSecco von Jörg Geiger und harren der Dinge, die in den kommenden Stunden kommen mögen. Eingeläutet wird das Menü mit drei Petitessen: ein Puffreiscracker mit Lachs und Fenchel (ordentlich), dann ein Buchweizenmacaron mit einer Füllung von grünem Apfel und Matjes (ziemlich matt) und schließlich ein dunkler Sesamcracker mit Tatar von asiatischem Rind und Salzzitrone (mit Abstand das beste). Außerdem tischt man noch eine klassische Vichysoisse auf, die hier mit eingelegten Radieschen und kleinen grünen Puffreisperlen interpretiert wird – originell umgesetzt, aber geschmacklich eher weniger beeindruckend.

Die überdurchschnittliche Brotauswahl bietet drei Sorten an und macht mehr her: Baguette mit Kurkuma und Mandeln, Baguette mit Holzkohle und Curry sowie ein Foccaccia mit Rosmarin. Dazu gibt es Butter, Tomatenmarmelade, Olivenöl und Fleur de Sel.

Der Gruß aus der Küche besteht aus einer Sardine in einer Sauce mit Senfkörnern. Dazu gesellen sich noch Avocadosegmente in einem Röllchen, Gemüse-Brunoise und Purple Curry – eine recht ungewöhnliche Mischung, die allerdings weit besser funktioniert als erwartet.

 

Den offiziellen Auftakt bildet rote Wildgarnele, die die Küche mit Guanciale, grünem Spargel und Holunderblütenessig kombiniert. Trotz einer recht ausladenden Optik bleibt der Fokus während des Essens bei der Produktqualität – und diese kann sich durchaus sehen lassen. Sowohl die Garnele als auch der grüne Spargel geraten exemplarisch, doch weshalb eine so anti-saisonale Zutat auf den Teller gelangen musste, erschloss sich mir jedenfalls nicht – ansonsten ein solider Einstieg.

 

Bei Hamachi wird die Konstellation noch wilder: der knallige und sehr massige Gurkenschaum bedeckt die Kreation fast vollständig und dominiert die darunter befindliche Makrele viel zu stark. Da helfen auch ein kreisrunder Streifen von Koriandergel und die cleveren Texturen von Passionsfrucht wenig, zumal die Harmonie bei diesem Gericht auf der Strecke bleibt. In Summe wirkte dieser Teil des Gerichts auf uns wenig durchdacht, doch das à part gereichte Schälchen versöhnte uns wieder ein wenig: hier war der Hauptdarsteller sehr viel fokussierter in Szene gesetzt und nur sparsam von dünnen Gurkenstreifen und Tapiokaperlen begleitet.

Die Jakobsmuschel geht hier eine Liaison mit Shiitake-Pilzen, Erbsen und mariniertem Saiblingskaviar ein. Doch so sehr die unkonventionelle Idee und die Gestaltung auf dem Teller verlocken, so wenig überzeugt uns das kulinarische Endergebnis: sämtliche Nebendarsteller erschlagen mit ihrer intensiven Aromatik das zarte Muschelfleisch, das noch dazu von einer recht dickflüssigen, asiatisch anmutenden süß-sauren Sauce begleitet wird. Die Erbse erweist sich (wie schon so oft in diesem Jahr) auch hier wieder einmal als ein kaschierendes, ja kontraproduktives Element, das die Aromen noch weiter verwischt anstatt sie trennscharf darzustellen: ein Gericht ohne klare geschmackliche Aussage mit einem völlig untergegangenen Hauptdarsteller – seltsam.

Es folgt endlich ein regelrecht herbstlich anmutendes Gericht, das auch prompt zu einem Höhepunkt der Menüfolge gerät: die eigentümliche Aromatik vom Lamm paart Lars Keiling mit Karotte (in Form von Segmenten und einer dicken Crème), Salzpflaume und Kreuzkümmel. Dieses Gericht schlägt voll ein, da die intensive Würze des Gerichts sorgsam austariert ist und die Umeboshi mit ihrer fruchtig-herben Säure einen reizvollen Kontrast zu den erdig-schweren Aromen der Karotte beisteuert. Von solchen Gerichten hätten wir uns an diesem Abend mehr gewünscht.

Der letzte Gang vor dem Hauptgericht besteht aus Kalb mit Teriyaki, Kohlrabi und Kräutercrème. Die übersichtliche Gestaltung auf dem Teller mit drei Türmchen variiert die Texturen des Fleischs: einmal kräftig geschmort und glasiert auf Teriyaki-Sauce (wunderbar mürbe!), dann als Kalbszungen-Tatar mit Kohlrabi-Segmenten und schließlich fein geschnitten als kleines Kissen mit Kohlrabi-Streifen auf einer Spinatsauce. Das klingt exotisch, spielt aber gekonnt mit der verschiedenen Variationen und verblüfft durch seine Vielfalt rund um ein Grundprodukt. Ausgezeichnet!

Beim Hauptgang dagegen wird das große Risiko eher gescheut: das US-Beef wird eher konventionell und brav mit Roscoff-Zwiebel gepaart – dazu noch ein paar dekorative Texturen von geräucherter Süßkartoffel und ein paar Saucen-Kleckse. Insgesamt bietet das Gericht ein bemerkenswert sicher zubereitetes Hauptprodukt, bleibt aber ansonsten recht puristisch und ist kaum von langem Nachhall.

Als süße Einstimmung (auf den Käsegang haben wir diesmal verzichtet) gab es ein Dessert, in dem fruchtige Noten dominierten, wobei Eis und Obstsegmente mit Gel und einer Art Baiser kombiniert wurden. Leider habe ich meine Notizen hier irgendwie verlegt und muss es daher bei dieser eher vagen Beschreibung bewenden lassen.

Das offizielle und eher sommerlich anmutende Dessert hätte uns in einer anderen Jahreszeit sicherlich noch mehr zugesagt, denn absolut betrachtet war das launige Spiel rund um Fromage Blanc (als würfelförmiger Käsekuchen) entzückend: Sommerbete (in großer Vielfalt als Baiser, Crumble und Scheiben), Kalamansi (sparsam als Gel dosiert) sowie ein herrlich erfrischendes Dill-Eis baten zu einem ausgelassenen Reigen um säuerliche und fruchtige Aromen. Die klug dosierten Bestandteile ergänzten einander prächtig und sorgten für ein kleines Feuerwerk am Gaumen. Der Abschluss des Menüs war somit gleichzeitig der Höhepunkt, selbst wenn er nicht so herbstlich geriet. Unter den Petits fours fanden sich so aparte Dinge wie ein kleines Vanille-Eis am Stiel mit Mandeln ummantelt (einem Klassiker nachempfunden, nur erheblich besser) sowie diverse überwiegend schokoladenlastige Törtchen.

Es ist einerseits schon beachtlich, was Lars Keiling und seine Lebensgefährtin Gina Duesmann hier unter bescheidenen Bedingungen und ohne großen PR-Rummel (selbst viele Bewohner des Orts kennen diese Adresse offenbar nicht einmal) mit nur vier Personen erfolgreich betreiben: zwei Servicekräfte und zwei Küchenmitarbeiter leiten ein Zwei-Sterne-Restaurant. Das muss man erst einmal schaffen! Doch trotz des aufmerksamen Service und der guten Rahmenbedingungen hat uns dieser Abend ein paarmal seltsam kalt gelassen. Das lag weder an irgendwelchen handwerklichen Beanstandungen oder an den fairen Nebenkosten, sondern in erster Linie an drei anderen Dingen: erstens, dass der Menüpreis angesichts des weitgehenden Verzichts auf Luxusviktualien für unsere Begriffe ziemlich hoch ausfiel. Zweitens, dass die Portionen nicht kleiner hätten sein dürfen (was den Preis ja quasi nochmals erhöht) und drittens, dass wir neben so befremdlichen Produkten wie grünem Spargel Mitte September bisweilen ganz allgemein das Fehlen einer klaren Handschrift bemängelten. Manche Gerichte waren asiatisch inspiriert, während andere wiederum gar nicht zu dieser Stilistik passten, was von uns als ein unstetes Schwanken empfunden wurde. Hinzu kam, dass keines der Gerichte zwar wirklich enttäuschte, aber andererseits auch weit und breit kein Teller auf den Tisch kam, der uns wirklich nachhaltig beeindruckt hätte, geschweige denn unvergesslich geriet. Meiner Ansicht nach müsste man unter Berücksichtigung der gezeigten Gesamtleistung ein Urteil fällen, das ich mit „Unterkante zum zweiten Michelin-Stern“ formulieren würde. Zu vielen Gerichten musste man unserer Meinung nach zumindest kleinere Mängel unterstellen.

Vielleicht bietet der anstehende Umzug auch die Chance auf noch bessere Arbeitsbedingungen wie eine größere Küche und mehr Entspannung. Es wäre Lars Keiling durchaus zu wünschen, denn das Potential dieser Küche war für uns trotz der Vorbehalte bei diesem Besuch durchaus erkennbar. Es gibt eben manchmal diese Tage, an denen der Funke einfach nicht überspringen will – vielleicht hatten wir einen von dieser Sorte erwischt. Sollte es uns nochmals in die Gegend verschlagen, dann will ich einen weiteren Besuch im neuen Etablissement jedenfalls nicht kategorisch ausschließen. Dennoch war dies unter den besuchten Restaurants mit zwei Sternen in diesem Jahr bisher eher eine der schwächeren Erfahrungen und definitiv nicht mehr wert als die 17 Punkte im G&M. Schade!