Schuberts Wanderer-Fantasie ist ein großformatiges Werk, das wie kaum ein anderes eine Brücke von der Wiener Klassik zur Romantik schlägt. Die eigentlich einsätzige Werk kann problemlos in vier Teile untergliedert werden, die von ihrem formalen Aufbau her ganz klar an die Sonatenform der Klassik erinnern (Kopfsatz, langsamer Satz, Scherzo und – etwas ungewöhnlich – eine Fuge anstelle eines Rondos oder einer erneuten Sonatenhauptsatzform).
Romantische Elemente kommen aber nicht zu kurz: eine fortschrittliche Harmonik, kühne Tonarten und die schier endlos fließenden Zweiunddreißigstel im 2. Satz seien hier nur beispielhaft erwähnt. Gemessen an den spieltechnischen Möglichkeiten der damaligen Zeit gehört das Werk zusammen mit Beethovens berüchtigter Hammerklaviersonate zu den vertracktesten und schwierigsten Eingebungen, die bis dahin jemals ersonnen worden waren. Auch heute ist die Bewältigung dieses Brockens alles andere als eine leichte Aufgabe, da abgesehen von der Bewältigung der technischen Hürden ein großes Arsenal an menschlichen Gefühlen binnen kurzer Zeit plastisch dargestellt sein will. Der Legende nach soll Schubert bei einer „Schubertiaden“ zusammen mit anderen Liedern das Werk vor geladenen Gästen im kleinen Kreis vorgespielt, aber mittendrin mit den Worten „Dieses Teufelszeug sollen andere spielen!“ abgebrochen haben.
Einen klaren Favoriten habe ich bei diesem Werk nicht, zumal es viele verschiedene plausible Herangehensweisen an dieses Opus gibt.
Der noch junge Maurizio Pollini hängte die Messlatte in den 70er-Jahren jedenfalls sehr hoch. Mit seiner irren Technik, gigantischen Kraft und endloser Ausdauer schuf er eine kraftvolle Interpretation, die allerdings die klassischen Aspekte des Werkes wie beispielsweise dessen Strukturen deutlicher als die romantischen in den Vordergrund stellt. Einigen Kritikern ist diese Aufnahme daher zu kühl und sachlich, während andere die makellose Reinheit schätzen.
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Sviatoslav Richters Spiel weist ähnliche Qualitäten auf wie bei Pollini, ist aber eine Spur zurückhaltender und dadurch vielleicht auch musikalischer. Wie dem auch sei – zu den Top 5 kann die CD mit Sicherheit gezählt werden.
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Der hierzulande wenig bekannte Pianist amerikanische Pianist Leon Fleisher meidet die ganz großen Extreme und betont eher die romantischen als die klassischen Aspekte. Trotzdem kommt er ohne Effekthascherei aus und trägt eine wohltuend ausgewogene Aufnahme bei.
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Eine launige, aber hochgradig überzeugende Version spielte der phänomenal begabte russische Pianist Jewgeni Kissin ein. Dem für sein sehr spontanes und alles andere als akademisches Spiel bekannten Ausnahmepianisten schient dieses Werk wie auf den Leib geschneidert zu sein. Puristen mögen sich eventuell an zu wenig Demut stören, aber wenn diese Aufnahme eines nicht ist, dann ist es steril!
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