Viele der Klavierwerke Robert Schumanns galten zu seinen Lebzeiten als schwer zugänglich und wenig publikumswirksam. In der heutigen Zeit hat die Wertschätzung seiner Klavierwerke unter Kennern eine radikale Kehrtwendung vollzogen, während Teile des „gewöhnlichen“ Publikums diesbezüglich immer noch ihre Schwierigkeiten mit der Musik des rastlosen und vielschichtigen Romantikers haben.
Schumanns „Carnaval“ ist eines seiner extrovertiertesten Werke: auf einer imaginären „Weltbühne in As-Dur“ (Joachim Kaiser) treten allerlei skurrile Gestalten aus der italienischen Commedia dell’Arte sowie viele Zeitgenossen Schumanns (beispielsweise seine Frau Clara, Chopin und Paganini) auf. Der unmittelbar ansprechende und flatterhafte Charakter des Werkes macht es definitiv zu einem leicht erschließbaren Opus mit viel Charme, Humor und Esprit – für den Einstieg in Schumanns Klangwelten ist es praktisch ideal geeignet. Der wankelmütige Charakter des Werkes führte aber auch dazu, dass viele verschiedene interpretatorische Ansätze denkbar sind und dementsprechend auch von den unterschiedlichsten Interpreten ausprobiert wurden.
Eine der beliebtesten Interpretationen bleibt diejenige von Arthur Rubinstein, der den verschiedenen Charakteren mit allerlei subtilen Effekten zum Leben verhilft. Sie wirken unglaublich realitätsnah und sind mehr als bloße Eingebungen musikalischer Art. Rubinsteins souveräne Technik setzt dem Kaleidoskop schließlich die Krone auf.
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Nicht wenige schätzen unter den älteren Aufnahmen auch diejenige von Solomon Cutner. Er spielt vielleicht etwas nüchterner als Rubinstein, verleiht dem Werk aber dank enormer Hingabe und Spontaneität einen unnachahmlichen Esprit. Leider ist diese rare Aufnahme vergriffen und dementsprechend teuer auch nur gebraucht zu beziehen.
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Sergej Rachmaninoff spielte viel nüchterner als man aufgrund seines kompositorischen Stils denken könnte. Mit atemberaubender Technik reitet er durch das Opus und lässt gerade in den virtuosen Sätzen nur so die Funken sprühen. Da sieht man gerne über die Aufnahmetechnik der 30er-Jahre hinweg …
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Unter den neueren Versionen steuerte der brasilianische Pianist Nelson Freire eine herausragende Lesart bei. Durch die Beigabe eines genuin brasilianischen Elements wirken die Figuren hier ausgesprochen flüchtig, aber sehr intensiv. Wie in einem imaginären Reigen scheinen die Figuren hier schwerelos vorbei zu huschen. Wenn Freire etwas neu einspielt, dann werden seine Aufnahmen inzwischen sehnsüchtig von Connoisseurs erwartet – aus gutem Grund! Sein Schumann-Album ist eine seiner besten Aufnahmen für das Label Decca. Von all den erwähnten Aufnahmen hat diese hier natürlich noch den großen Vorteil der besten Aufnahmetechnik.
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Schließlich sei aber noch an eine Pianistin erinnert, die den „Carnaval“ sehr häufig spielte: die britische Pianistin Dame Myra Hess ist hierzulande fast nur noch Kennern bekannt, während ihre Meriten in Großbritannien weitaus höher in Ehren gehalten werden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie während der deutschen Bombenangriffe auf London im 2. Weltkrieg jeden Nachmittag ein Konzert gab und so zu einer wichtigen Symbolfigur des Widerstands wurde. Bis zum Kriegsende brachte sie es dabei auf knapp 1700 (!) Konzerte. Ihr „Carnaval“ ist forsch zupackend und alles andere als verzärtelt (aufgrund ihrer korpulenten Struktur wurde sie von Spöttern häufig „Sir“ Myra Hess genannt). Insgesamt entspricht ihr Spiel in dieser Aufnahme von 1938 nicht unbedingt mehr dem Geschmack der heutigen Zeit, aber die große Inspiration macht den gewissen Mangel an Risikobereitschaft in ihrem Spiel wieder wett. Unter den erstaunlich wenigen Aufnahmen, die sie hinterließ, ist dies wohl die bekannteste und eine der besten.
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