Franz Liszt (1811 – 1886): Sonate h-moll S. 178 (Standardrepertoire)

Franz Liszts große Klaviersonate aus dem Jahre 1853 ist ein Eckpfeiler der Klavierliteratur und eines der bedeutendsten Meisterwerke in der Geschichte der abendländischen Musik. Sie ist so etwas wie die Geburtsstunde einer neuen Ästhetik und wird in den folgenden Jahrzehnten eine der größten Polemiken in der Geschichte der Musik auslösen. Worum es geht? Nach dem Tode Beethovens herrscht große Uneinigkeit darüber, welches der rechte Weg im Umgang mit den großen tradierten Formen der Wiener Klassik ist.

Auf der einen Seite bildet sich ein Lager konservativer Musikfreunde, zu denen Johannes Brahms und der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick gehören. Sie möchten eine musikalische Sprache etablieren, die zwar genuin romantisch ist, sich dabei aber eng an die ästhetischen Vorgaben der Sinfonik wie unter Beethoven zu halten hat. Dies betrifft die Einhaltung bestimmter formaler Regeln, bestimmter Besetzungen und absolute musikalische Inhalte („Absolut“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Musik nichts abbilden dürfe und möglichst rein zu sein habe).

Auf der anderen Seite stehen die sogenannten Neudeutschen, zu denen Richard Wagner,  Hector Berlioz, Franz Liszt und mit Abstrichen Anton Bruckner gezählt werden – später kommen auch noch die jüngeren Komponisten Richard Strauss und Hugo Wolf hinzu. Sie lassen programmatische Inhalte zu, dramatisieren ihre Musik und suchen neue Formmodelle, indem sie alle Sätze zu einem einzigen großen Satz verbinden.

Auf dem Gebiet der Sinfonik hatte Berlioz bereits mit seiner „Symphonie fantastique“ im Jahre 1830 den Nährboden für das neue Gedankengut bereitet. Liszt leitet mit seiner Sonate im Jahre 1853 den endgültigen Startschuss für die neue Ästhetik ein. Das halbstündige Werk ist von revolutionärem Charakter und hat bereits ganze Bücher mit Untersuchungen gefüllt.

Neu ist neben der Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit vor allem die ungeheure klangliche Wucht und Dramatik in dem Werk. Liszt setzte sich mit größtem Interesse für technische Neuerungen im Klavierbau ein: man kann nämlich sagen, dass alle fundamentalen Veränderungen von den Hammerklavieren Beethovens bis zum modernen Konzertflügel fast ausschließlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stattfanden und somit von Liszt persönlich miterlebt wurden. Wenn es ein Werk gibt, das nun wirklich für den Flügel komponiert wurde, dann ist es Liszts H-Moll-Sonate: die urtümliche Gewalt des Werkes würde auf einem Klavier überhaupt nicht zur Geltung kommen.

Die eingangs erwähnte Polemik lässt sich auch anhand einer (nicht gesicherten) Anekdote ablesen: angeblich sei Johannes Brahms, als man ihm die Sonate vorspielte, während der suggestiven ersten Takte eingenickt!

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Nach dieser kurzen Einführung seien nun ein paar Aufnahmen empfohlen: der akribisch arbeitende polnische Pianist Krystian Zimerman hängt die Messlatte mit seiner Einspielung in ungeahnte Höhen – ein idealer Balanceakt zwischen Intellekt, Struktur und Emotion mit Referenzcharakter.

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Die Live-Aufnahme von Martha Argerich aus dem Jahre 1972 ist ebenfalls ein echter Dauerbrenner unter den Favoriten: mit ihrer unvergleichlichen Power stürzt sich die Argentinierin auf das Werk und beleuchtet im Gegensatz zu den meisten ihrer Kollegen die Ecken und Kanten des Werkes stärker als die lyrischen Passagen. Adrenalin pur!

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Natürlich führte auch Sviatoslav Richter das Werk in seinem Repertoire – ein Titan des Klaviers spielt die Komposition eines Titanen! Richter ist kontrollierter als Argerich, aber dafür noch um einiges wuchtiger. Mit scheinbar grenzenloser Kraft bewältigt er das Werk, ohne dabei die kantablen Passagen im geringsten zu vernachlässigen. Superb!

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Claudio Arraus Version von 1970 ist ebenfalls eine Version von großer Erhabenheit und Würde. Er dosiert seine Kraft etwas sparsamer als Richter (der Ukrainer war auch ungleich korpulenter) und betont die formalen Neuerungen des Werkes stärker. Eine sehr homogene Darbietung, die man nicht verpassen sollte!

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Zum Schluss noch ein Geheimtipp: der amerikanische Pianist Leon Fleisher spielte die Sonate in den 1950er-Jahren ein. Die Karriere dieses Virtuosen wurde Mitte der 1960er-Jahre durch eine Lähmung der rechten Hand quasi beendet. Fleisher spezialisierte sich auf das schmale Repertoire für die linke Hand und kann seit etwa 2000 dank neuartiger Behandlungsmethoden mit Botox wieder beide Hände einsetzen. Sein Album „Two Hands“ wird noch an anderer Stelle empfohlen (bei Schuberts B-Dur-Sonate D 960 im Aufbaurepertoire).

Fleishers Spiel ist ziemlich schnörkellos, aber dafür direkt und zupackend. Die Klangqualität dieser Aufnahme, die derzeit leider nur in der gesamten Leon-Fleisher-Box erhältlich ist, leidet an einem etwas spröden und trockenen Klang. Interpretatorisch gesehen konnte Fleisher damals bei dieser Sonate keiner das Wasser reichen.

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