Samstag, 3. August 2024
Ende Frühling stolperte ich eher zufällig über eine Ankündigung, die mir sofort den Atem stocken ließ: im Rahmen einer Sommerparty bot sich mir nämlich die unverhoffte Gelegenheit, einen weiteren Giganten der deutschen Hochküche endlich einmal persönlich kennenzulernen …
Austragungsort besagter Party sollte der Garten des traditionsreichen Hotel Elephant sein, direkt am Marktplatz in Weimar neben dem Rathaus gelegen. Ich kannte das Hotel schon von einem Besuch kurz vor Weihnachten im Jahre 2012, als Chefkoch Marcelo Fabbri (inzwischen im nahen Blankenhain gelandet) noch im hauseigenen besternten Restaurant Anna Amalia eine italienische geprägte Hochküche anbot, die in der Region damals weithin bekannt und gerühmt war. Ein Ticket für die anstehende und vielversprechende Veranstaltung, die in Weimar schon seit einigen Jahren stattfindet, war für € 249 schnell gebucht, so dass die Vorfreude an der Teilnahme lange Zeit gären konnte. Im ansonsten nur leidlich spannend in Sachen Haute Cuisine ausgestatteten Bundesland Thüringen soll daher nicht unerwähnt bleiben, dass in diesem Hause mehrere beachtliche Veranstaltungen pro Jahr stattfinden, die unter dem originellen Namen „Elephantastische Veranstaltungen“ angekündigt werden. So begrüßt Chefkoch Johannes Wallner unter anderem dieses Jahr noch am 26. Oktober den Gastkoch Anton Schmaus vom Regensburger Storstad und am 14. Dezember den allseits bekannten Alexander Herrmann vom Restaurant AURA in Wirsberg.
Doch auch für die aktuelle Veranstaltung hatte sich der Chefkoch illustre Gäste ins Boot geholt, die der Veranstaltung fraglos einen größeren Glanz verliehen. Da wäre zunächst Maria Groß zu nennen, die in Thüringen in der Szene überaus bekannt ist und dank ihrer unverwechselbaren Art große Popularität genießt. Die ehemalige Chefköchin des Sternerestaurants Clara in Erfurt entsagte vor einigen Jahren dem Druck der Sternegastronomie, verzichtete auf Auszeichnungen aller Art und eröffnete schon bald darauf die Bachstelze vor den Toren der Landeshauptstadt, wo sie dem Vernehmen nach noch origineller und kühner aufkocht als zuvor.
Der zweite Gast ist der unvergleichliche Franz Keller, den ich schon einige Monate zuvor bei dem Four-Hands-Cooking im Kleinwalsertal mit Sascha Kemmerer kennenlernen durfte. Der ehemalige Gastronom bewirtschaftet inzwischen seinen eigenen Bauernhof im Taunus, ist aber in der Szene selbstverständlich immer noch weithin bekannt und für seine unerschütterliche Prinzipientreue geschätzt.
Mein Hauptaugenmerk galt jedoch voll und ganz dem eingangs erwähnten Gast, der zu den größten Figuren in der Geschichte der deutschen Hochküche gezählt werden muss: Dieter Müller, langjähriger Chefkoch der Schweizer Stuben und später im Gourmetrestaurant Dieter Müller auf Schloss Lerbach, hat so viele spätere Sterneköche ausgebildet im deutschen Raum wie sonst wohl nur Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Harald Wohlfahrt. Der in Odenthal im Bergischen Land wohnhafte Chef führt schon lange kein Lokal mehr, war aber beispielsweise auch mehrere Jahre als Koch auf der MS Europa in der ganzen Welt unterwegs. Einen viel erfahreneren und charismatischeren Gast hätte sich das Management des Hotels kaum angeln können!
Dementsprechend werden die Schlüsselpersonen des Abends den Gästen kurz nach dem Ende des offiziellen Einlasses präsentiert:
Der Moderator stellt die wichtigsten Personen vor: Franz Keller,
Johannes Wallner, Maria Groß und Dieter Müller
Alle drei Gastköche erläutern nochmals kurz ihre Beiträge
und machen sich dann an die Arbeit
Der geräumige Innenhof des Hotels stellt die Bühne für die Gartenparty dar; trotz des recht großzügigen Platzangebots reicht es nicht aus, um gleichzeitig alle Gäste und Kochstationen unterzubringen, weshalb manche Speisen auch drinnen angerichtet werden. Beitragende zu der Veranstaltung sind übrigens auch drei Weingüter (allein zwei davon aus Deidesheim in der Pfalz) und das FrischeParadies (vermutlich von der Filiale aus Leipzig), welches die Austern bereitstellt. So erwartet die Gäste für das Eintrittsgeld neben lukullischen Freuden aller Art auch eine üppige Auswahl an hochwertigen Getränken und Livemusik, die schwungvoll durch den Abend geleiten soll – viel Platz zum Tanzen ist allerdings nicht vorhanden. Für die Bediensteten gibt es jedenfalls genug zu tun, denn auch die hauseigene Brigade muss tüchtig an den verschiedenen Stationen anpacken. Es gibt so viele auf mich einprasselnde Eindrücke, dass ich erst hinterher feststelle, aus irgendeinem Grund die Fotos von Maria Groß bei der Arbeit versäumt zu haben.
Die Grillstation erfreute sich besonders großer Beliebtheit
Franz Keller und Assistentin bei der Arbeit
Ein hochkonzentrierter Dieter Müller bei der Arbeit: gar
nicht so leicht „einzufangen“, da sich sein Kochbereich in einer
Art Nische mit Verbindung zum Hauptrestaurant drinnen befand
Hier ein paar Eindrücke der diversen Häppchen und Speisen des Abends:
Frische Austern vom FrischeParadies
Roastbeef auf Senfcreme und eine Lachskreation
aus der Küche von Maria Groß
Fenchel-Salami sowie Filetkette vom Falkenhof-Rind
mit Pfifferlingen und jungem Knoblauch von Franz Keller
Ziegenkäse, Melone und Pistazie (Equipe des Hauses)
Caesar Salad (Equipe des Hauses) – exzellent!
Wachsweich pochiertes Ei und Ragout vom Kikok-Huhn
(Equipe des Hauses)
Wagyu und Kräuterkraut mit Pita und Bolognese
(Equipe des Hauses)
Neben einigen überraschend gut gelungenen Beiträgen der kochenden Angestellten des Hauses bleibt allerdings festzuhalten, dass die Höhepunkte fraglos von Dieter Müller stammten, der nichts verlernt hat und mit zwei Beiträgen seine Extraklasse unter Beweis stellen durfte:
Gazpacho mit Kräuter-Espuma
Klassiker von Schloss Lerbach: Steinbutt und Kompott
von Pfefferzwiebeln mit Melone und Safran-Estragon-Fumet
Nachdem genug vorhanden ist und mich Dieter Müller fast schon bedrängt, nochmals zuzugreifen, verkoste ich dieses zauberhafte Meisterwerk gleich drei Mal (!) an diesem Abend. Die Zubereitung des Fischs und die Qualität des Fumets sprechen Bände, selbst wenn man merkt, dass so eine Stilistik vor zwanzig Jahren aktueller war als heute. Es ändert aber nichts daran, dass tadelloses Handwerk die Basis einer jeden guten Küche darstellen sollte – ganz gleich, ob sie nun klassisch angehaucht ist oder state of the art darstellen möchte. So gegen 21.30 Uhr lässt der Andrang spürbar nach, weshalb die Assistenten mit dem Aufräumen beginnen. Damit ist für den inzwischen 76-jährigen, aber immer noch sehr vital wirkenden Chef der Zeitpunkt gekommen, sich etwas zu entspannen, wobei ich es bemerkenswert finde, dass die Mehrzahl der Gäste des Abends sich gar nicht sonderlich darum schert, wer die Ehrengäste sind. Das gibt mir die willkommene Gelegenheit, nicht nur mein Buch aus der Reihe der Süddeutschen Zeitung von 2008 signieren zu lassen und ein gemeinsames Foto zu schießen, sondern mich in ein Gespräch mit dem bescheiden gebliebenen und bodenständig wirkenden Chef zu vertiefen, das letztlich über eine Stunde gehen und mich um den Nachtisch bringen sollte (ich konnte es verschmerzen). Da ich übrigens nur ein paar Tage später in Person von Tillmann Hahn den letzten Küchenchef der berühmten Schweizer Stuben auch noch kennenlernen durfte, erfahre ich von diesen beiden ehemaligen Chefs binnen einer Woche mehr über dieses untergegangene Lokal in Wertheim-Bettingen als im ganzen Leben zuvor.
Dieses Foto allein mit Dieter Müller war schon die Mühen wert!
Der kurz vor 22 Uhr einsetzende gewittrige Regen schlägt meiner Wahrnehmung nach einige Gäste ohnehin vorzeitig in die Flucht, weshalb gegen 23 Uhr, als sich Dieter Müller verabschiedet, die Räumlichkeiten drinnen schon deutlich geleert sind. Den Hartnäckigen und Feierwütigen wird allerdings noch eine Art Disco angeboten, die den Abend sicherlich noch um ein, zwei Stunden verlängerte. Den verregneten Ausklang hätte es nicht gebraucht, aber am Erfolg des Abends konnte auch dieser Umstand nichts mehr ändern.
Dank der straffen und umsichtigen Organisation geriet der Abend zu einem überaus launigen und kurzweiligen Sommervergnügen, zu dem man die Veranstalter nur beglückwünschen konnte. Wenn man davon ausgehen darf, dass alle Veranstaltungen in diesem Hause so souverän organisiert werden, dann lohnt sich der regelmäßige Blick auf den Veranstaltungskalender mit Sicherheit. Nun ist Weimar nicht gerade um die Ecke für mich, aber den Weg nach Thüringen habe ich keine Sekunde bereut. Daher sage ich: vielen Dank für dieses starke Event! Chapeau!