Johannes Brahms (1833- 1897): Balladen op. 10 (Standardrepertoire)

Brahms‘ Balladen bilden zusammen mit der F-Moll-Sonate den Höhepunkt seiner frühen Schaffensphase für Klavier. Die vier Stücke sind in einer recht knorrigen und spröden Tonsprache komponiert; sie klingen streckenweise sehr archaisch und verdeutlichen das ausgeprägte Interesse der Romantiker am Historismus (der ersten Ballade ist sogar ein Zitat aus Herders schottischer Ballade Edward vorangestellt). Trotzdem deckt Brahms in den vier Sätzen ein breites Spektrum an Emotionen ab, das den Reiz des Werkes ausmacht: von kantablen Melodien (Nr. 4) über triste Gesänge (Nr. 1) bis zu den dämonischen Schlägen in Nr. 3. Etliche Pianisten meiden die Werke zwar wohl nicht zuletzt wegen fehlender Showeffekte, aber ihre große musikalische Substanz macht die Balladen dennoch überaus lohnenswert. Sie sind nur schwerlich vergleichbar mit Chopin Beiträgen, der in ihnen ganz Geschichten zu erzählen scheint, und werden wohl für immer in ihrem Schatten stehen – trotzdem sind sie unvergleichliche Seelengemälde, die eher Stimmungen als Handlungen abbilden und kaum typischer für die Romantik sein könnten.

Krystian Zimermans äußerst rare Aufnahme ist wie schon bei der F-Moll-Sonate das Maß aller Dinge. Sein untrügliches Gespür für Agogik, subtilste Nuancen und bis ins kleinste Detail ausgelotete dynamische Schattierungen ist sensationell und macht diese Einspielung zur absolut ersten Wahl.

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Weil obige Aufnahme aber kaum – und wenn, dann nur zu einem Wucherpreis – erhältlich ist, seien hier noch zwei andere Einspielungen empfohlen.

Arturo Benedetti Michelangeli spielte eine Version ein, die lange Zeit als ultimative Referenz galt und bis heute nichts von ihrer außergewöhnlichen Qualität verloren hat. Der Italiener verfügt über eine Farbpalette, dass es eine wahre Pracht ist.

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Grigori Sokolov, Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs von 1966, gilt nicht wenigen Kennern als bester lebender Pianist überhaupt. Mit seiner Deutung der Balladen unterstreicht er nachdrücklich, weshalb. Der als skrupulös geltende Russe veröffentlicht nur, was seinen eigenen exorbitanten Ansprüchen an sich selbst genügt. Dementsprechend rar, aber auch herausragend, sind seine vergleichsweise wenigen Live-Aufnahmen, unter denen die Brahms-Balladen meines Erachtens noch besonders herausragen.

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