„Je mehr Einsicht, desto größere Anforderungen und, werden sie erfüllt, desto mehr Genuss.“ (Baltasar Gracián)
Juni 2023
Crissier, ein Ort mit weniger als 10.000 Einwohnern, liegt wenige Kilometer nördlich von Lausanne und sagt sicherlich jedem interessierten Gourmet etwas. Hier befindet sich nämlich das weltbekannte und dreifach besternte Restaurant de l’Hôtel de Ville, das wegen seines etwas sperrigen und nichtssagenden Namens oft einfach nur als „Crissier“ bezeichnet wird. Das im ehemaligen Rathaus des Ortes beheimatete Weltklasselokal ist seit mehr als einem halben Jahrhundert eine kulinarische Legende und gehört bis heute ununterbrochen zur Riege internationaler Spitzenrestaurants.
Begonnen hatte alles unter dem Vater von Frédy Girardet, der in den 60er-Jahren bereits in einem Bistro ein beachtliches Niveau erzielen konnte. Sein Sohn Frédy Girardet ist in der frankophilen Schweiz und weit darüber hinaus eine absolute Legende, denn er eröffnete nach dem frühen Tod des Vaters das heutige Lokal im Jahre 1971 und führte es mit seiner Nouvelle Cuisine in die Eliteliga, der es bis heute angehört – maßgeblichen Anteil am Werdegang zum professionellen Chef hatte für ihn der Besuch im französischen Roanne bei Pierre Troisgros. Fest in der französischen Tradition verwurzelt, führte auch sein Nachfolger Philippe Rochat (leider bereits im Jahre 2015 verstorben) das Lokal mit aller Konsequenz weiter. Unter Benoît Violier erlebte das Restaurant die nächste Blüte, ehe der bis heute unbegreifliche Freitod des Chefs im Januar 2016 auch diese kurzlebige Ära viel zu schnell auf tragische Weise schon wieder beendete. Heute ist dessen ehemaliger Souschef Franck Giovannini der Herr des Hauses und sorgt dafür, dass der unvergleichliche Ruf dieser legendären Institution bis heute nachhallt. Gäste wie Pelé, Michael Schumacher und Salvador Dalí belegen beispielhaft den Bekanntheitsgrad dieser Institution, die sich inzwischen auch ein kleines Museum im Untergeschoss gönnt: hier werden diverse Fotos und Memorabilia aus vergangenen Tagen ausgestellt. Außerdem findet sich hier neben einigen Kochbüchern ein aufwendig gestalteter Band mit der Historie des Hauses, wenn auch in französischer Sprache. Der Platz gegenüber dem Restaurant ist übrigens nach dem Ehrenbürger Frédy Girardet benannt, der neben Eckart Witzigmann der einzige noch lebende Jahrhundertkoch des Gault&Millau ist. Mehr ruhmreiche Historie geht nun wahrlich nicht!
Angesichts der einzigartigen Auszeichnungen für dieses Haus sind wir natürlich bei unserem Premierenbesuch ganz besonders gespannt, was uns erwartet. Ich verrate wohl kaum zu viel, wenn ich vorab preisgebe, dass es ein Abend mit ganz ausgezeichneten, ja einmaligen Eindrücken werden sollte. Das beginnt bereits mit dem Eintreffen im Flur, wo uns gefühlt die gesamte Servicebrigade in Empfang nimmt und begrüßt – es ist zwar mein Geburtstag, aber dieselbe Behandlung wird auch anderen Gästen zuteil. Eines ist gleich klar: die Serviceabläufe sind in diesem Haus in speziellen täglichen Briefings fürs Personal minutiös geplant und einstudiert. Sieht man einmal davon ab, dass selbst in diesem Haus das Englisch nicht ganz akzentfrei ist, wird dies eine der einprägsamsten Serviceleistungen seit ganz langer Zeit werden. Das Lokal fasst ca. 50 Gäste, die auf zwei Säle verteilt sind, welche die Namen von Frédy Girardet und Philippe Rochat tragen. Ein weiterer privat buchbarer Raum ist Benoît Violier gewidmet, so dass alle großen Chefs der Vergangenheit in diesem Hause zu ihrem Recht kommen. Uns geleitet man nach rechts in den Salle Frédy Girardet, wo uns neben traditionellen Elementen wie weißen Leintüchern und Stoffservietten einerseits auch einige Elemente in der Raumgestaltung andererseits auffallen, die keinen Anflug von Angestaubtheit aufkommen lassen.
Die Speisekarte beinhaltet zwei Menüs (Menu gastronomique zu neun Gängen zum Preis von CHF 410 oder das achtgängige Menu surprise für CHF 340). Wir entscheiden uns für die Überraschungsvariante, staunen aber gleichzeitig darüber, dass gut und gerne 20 Gerichte à la carte angeboten werden, auch wenn diese meist in die Menüfolgen eingebettet sind. Wer die Toiletten im Untergeschoss aufsucht, bleibt auf dem Weg dorthin mit seinem Blick unweigerlich an einigen bunten Plakaten hängen, die jeweils in fotografierter Form sämtliche Gerichte eines Jahres versammeln – wir reden von mehr als 100 Gerichten pro Jahr und damit einer titanischen Leistung! Professionell im Bild festgehalten, sind die farbenfrohen und höchst ästhetischen Bilder ein ausgesprochen reizvoller Blickfang, der zu genauerer Betrachtung einlädt. Atemberaubend!
Zu einem Sanbitter Orange reicht man sodann neben den folgenden Apéros auch gleich die Weinkarte, welche nicht nur alle klassischen Pretiosen zu den entsprechenden Preisen beinhaltet, sondern auch jede Menge rare Fundstücke zu bieten hat – wer in dieser kiloschweren Auswahl oder trotz des Rats von Sommelier Thibaud Gardette nichts Passendes findet, dem ist nicht zu helfen. Der überschaubare Einstieg besteht aus zwei Profiterols mit Kräutercrème beziehungsweise einer Paprikafüllung sowie den Grissini mit einer hauchdünnen Crème von Bärlauch (tippe ich jedenfalls) veredelt. Wir staunen etwas ob des mageren Einstiegs, da es danach ohne Umschweife mit dem offiziellen Teil weitergehen sollte, doch angesichts des hier betriebenen Aufwands und der durchaus stattlichen Portionen ab dem ersten Gang ist man hier nicht auf einen ganzen Reigen von Petitessen oder einem ausladenden Amuse zu Beginn angewiesen, um Eindruck zu schinden.
Schon der erste Gang verdeutlicht dann allerdings, warum dieser Institution ein legendärer Ruf vorauseilt: die Ankündigung des Gerichts mit einer kühlen Velouté von Tomaten „Rose de Berne“ mit geräuchertem Felchenfilet aus dem Hafenbecken von Ouchy ist zwar wortreich, aber erheblich harmloser als dessen fulminante Umsetzung mit weiteren, nicht annoncierten Zutaten. Neben dem sichelförmigen mediterranen Brot sind es vor allem Gurke und Zwiebel in heiterer Vielfalt, welche die dominante Tomate umspielen – diese ist der Star des Tellers, wird sie doch in einem wahren Füllhorn an Texturen und Temperaturen interpretiert, ohne dabei in irgendeiner Weise an geschmacklicher Tiefe einzubüßen. Es ist nahezu unmöglich, angesichts der Komplexität jedes Detail zu erfassen, aber die variable Intensität der Aromen und deren nahezu beispiellose Tiefe reißen den Gast gleich zu Beginn vom Hocker – ein Meisterwerk.
Trotz einer großen Affinität zu bunter Optik wird auch der zweite Gang das bestätigen, was schon auf den Vorgänger zutraf: trotz einer gewissen Verspieltheit macht jede noch so kleine Komponente immer Sinn und wird minutiös integriert – so auch bei marinierter Jakobsmuschel mit grünen Bohnen. Dabei werden Segmente der Muschel in ein extrem delikates Geflecht aus grünem Spargel und grünen Bohnen des führenden Schweizer Anbieters Biscotte geflochten. Gebettet ist das Arrangement auf einer Nage von reduzierter Cépage d’Or, einer Mischung zweier Rebsorten namens Marsanne und Roussanne aus dem nahen Rhône-Tal. Eine Auflistung der Vorzüge dieses Gangs gerät zu einem wahren Vergnügen: die umwerfende Frische sämtlicher Zutaten, die kreative und doch stets harmonische Interpretation der Texturen, die unerhörte Eleganz der Nage mit ihrer feinen alkoholischen Note und schließlich die makellose Balance zwischen allen Teilen. Man muss es einfach erlebt haben, da Worte der Einzigartigkeit der hier gezeigten Höhenflüge meist nur ungenügend gerecht werden können …
An dieser Stelle offeriert man uns, aus einer Auswahl von einem guten Dutzend Brotsorten etwas zu wählen und reicht dazu ganz klassisch Butter (wahlweise auch gesalzen). Wir sehen von allzu großzügigem Brotkonsum ab, weil wir auf keinen Fall riskieren wollen, das Menü nicht stemmen zu können, zumal die Portionsgrößen im Allgemeinen recht üppig geraten. Im Rausch der Gefühle mache ich kein Foto von der opulenten Auswahl und widme meine Aufmerksamkeit sogleich dem nächsten Gang …
Gänzlich unangestrengt wirkt auch Raviolo von Pfifferlingen und Auberginen mit Lardo. Die faszinierende Optik findet im Geschmack ihre Entsprechung: welch faszinierende Vielfalt an Geschmack die Küche den Pilzen (es sind unseres Erachtens nicht nur Pfifferlinge) entlockt, ist schon bemerkenswert genug, doch die subtilen Akzente der übrigen Begleiter – ein paar Auberginensplitter sorgen für unsere Begriffe noch für etwas Knackigkeit – werten den Teller noch weiter auf. Die Crème weist nicht nur deutlich erdige Noten von Pilzen, sondern auch Aromen von Getreide auf, welche dem Gang eine weitere unerwartete Facette angedeihen lassen. Insgesamt wirkt dieser Beitrag im bisherigen Vergleich etwas reduzierter (eine kluge Maßnahme), damit nicht das komplette Menü mit Vollgas durchschritten wird – vielleicht gerade deshalb erneut ein beeindruckender Teller. Große Kunst eben!
Als nächstes gehen Filets von Makrele eine ungewohnt grüne, aber höchst stimmige Liaison mit Zucchini und einer mit etwas Chasselas (in Deutschland eher als die Rebsorte Gutedel bekannt) verfeinerten Basilikumsauce ein. Der häufig wahlweise zu trockene, weiche oder übermäßig salzige Fisch erfährt hier ein Handwerk, das alle eben genannten Menetekel mühelos umschifft und dessen Vorzüge durch meisterhafte Behandlung zum Strahlen bringt. Die Sauce wirkt trotz ihrer grandiosen Tiefe vollkommen natürlich und lässt den alkoholischen Feinschliff nur erahnen, wenn er nicht auf der der Karte stünde. Der in allen nur denkbaren Varianten inszenierten Zucchini entlockt Franck Giovannini mit seinem Team eine nicht für möglich gehaltene Palette an Aromen aus einem einzigen Produkt, wobei einige Tempura-Chips für noch mehr Abwechslung bei den Texturen sorgen. Überhaupt fällt auf, dass trotz der ausladenden Optik sehr selten mehr als drei oder vier Komponenten verwendet werden, die aber in allen möglichen Verarbeitungen bis ins letzte Detail ausgeleuchtet werden. So bleibt festzuhalten, dass einmal mehr vor uns ein Gericht steht, das im Grunde genommen nur aus weitgehend einfachen Produkten in bester Qualität besteht. Deren handwerklich virtuose und einfallsreiche Umsetzung ist freilich die Disziplin, die diesem Haus das Prädikat der Extraklasse eingebracht hat – wofür dieser Teller ein absolut überzeugendes Musterbeispiel darstellt.
Trotz all der spektakulären Darbietungen bisher sollten die zwei größten Sternstunden erst noch folgen: Royale erfährt durch Seespinne aus Cancale (an der bretonischen Küste in Sichtweite vom weltberühmten Mont St. Michel gelegen) in gezupfter Form eine luxuriöse Einlage, doch den endgültigen Feinschliff erhält das aristokratische Süppchen durch Beigabe von sorgsam dosiertem Anis. Die innerhalb des Rings platzierte Royale wird mit einer sensationellen Bouillon an Marc du Lavaux (Trester aus der UNESCO-Welterberegion um Lavaux am Südufer des Genfer Sees mit ihren ikonischen Weinbergen) umkränzt, die zudem deutliche Muschelaromen aufweist. Auf dem runden Chip finden sich weitere umwerfend zubereitete Komponenten wie Gurke in vielseitigen Texturen, marinierter Fenchel und Zitronengras. Die Harmonie in diesem Gericht, die geschmackliche Tiefe und die kaum für möglich gehaltene Balance zwischen sämtlichen Komponenten lassen nur ein Urteil zu: Weltklasse! Absolut unvergesslich und garantiert auf meiner Menüfolge des Jahres wieder zu finden.
Nach Andreas Caminadas unvergesslichem Lamm im Frühjahr erwartet uns nun die nächste Sensation: das unvergleichlich zarte und nur knapp rosa gebratene Lammfilet (von den Hochalpen) wird hier noch ganz klassisch und fachmännisch am Tisch tranchiert. Gebettet werden die unendlich saftigen Scheiben auf einer Lammjus, die mit Sévery-Senf und etwas versteckter Senfsaat anbei charaktervoll veredelt wurde. Akribisch gewürzte Erbsen und Karotten auf einer Erbsencrème lassen durch ihren authentischen und unverfälschten Geschmack zudem jederzeit erkennen, welchen Qualitätsanspruch die Küche selbst bei einfachsten Zutaten noch erhebt. Dieser Teller ist fraglos einer der würdigsten und besten Hauptgänge, die ich je verzehren durfte – bravissimo!
Randnotiz: das Messer, das wir für diesen Gang gereicht bekommen, kann man im hauseigenen Laden samt Holzblock für schlappe CHF 418 erwerben. Wie man sieht, ist selbst das zum Essen gereichte Werkzeug qualitativ in einer eigenen Liga angesiedelt …
Das erste Dessert erweist sich als ein knalliger Farbrausch, der Himbeere voll und ganz in den Mittelpunkt rückt. Der Espuma des Grundprodukts bildet die Basis für wilde Beeren und Limettensorbet, welche beide unter dem hauchzarten, mit Pistazien bedeckten Gebäck versteckt sind. Der für einen Amateur kaum zu erahnende Aufwand bei der Verfeinerung sämtlicher Elemente ist das Merkmal dieses Tellers, das mir am meisten imponiert. Trotz aller Farbigkeit und Komplexität wirkt dieser süße Ausklang vollkommen natürlich und kommt gefühlt praktisch ohne zusätzlichen Zucker aus. So wird daraus ein Beitrag von unerwartet straffer Säure, die indes den Fruchtgeschmack in seiner Wirkung klar intensiviert, ja regelrecht potenziert. Das ist klassische Pâtisserie-Kunst auf höchstem Niveau.
Den Abschluss des Menüs bildet ein zweites Dessert rund um Mara-Walderdbeeren, die in allen nur denkbaren Varianten ihre Vorzüge auf dem Teller ausspielen dürfen. Neben einer feiner Safrannote (erkennbar an den gelben Crèmetupfen) wird das mit erstaunlich wenigen Komponenten auskommende Dessert noch mit einem Erdbeergeist leicht alkoholisch und trefflich abgerundet. Es ist der Küche stets ein Hauptanliegen, trotz aller verblüffenden Optik den Eigengeschmack des Hauptprodukts zu betonen – was hier fraglos einmal mehr auf überzeugende Weise gelungen ist.
Zusätzlich zu einem kleinen Geburtstagsgruß aus weißer und dunkler Schokolade in diversen Varianten (rechts) wird der Abend ähnlich abgerundet wie er eingeläutet wurde: die zwei Pralinen von Erdbeer-Rhabarber bzw. Cassis mögen spartanisch wirken, sind aber qualitativ in der Oberliga angesiedelt und reichen nach diesem unvergesslich opulenten Festmahl zum Ausklang locker aus.
Warum diese Adresse bei der Reservierung einen Vorlauf von mehreren Wochen oder gar Monaten erfordert, wurde uns schnell vor Augen geführt. In dieser Trutzburg der Klassik wird eine unvergleichlich bunte Hochküche präsentiert, die sämtliche Facetten französischer Kochkunst in souveräner Umsetzung erkennen lässt. Franck Giovannini pflegt hier eine Ästhetik, bei der Natürlichkeit, Harmonie und Ausgewogenheit stets im Vordergrund stehen, selbst wenn die Optik dies den Gast bisweilen gar zu gerne vergessen lässt. Vorzüglichste Produkte, die varianten- und finessenreich, aber ohne jede Überfrachtung des Tellers in Szene gesetzt werden, sowie ein umwerfend präzises Handwerk, das auf kleinteilige Kreationen mit einem halben Dutzend Zutaten getrost verzichten kann, sind die offenkundigsten Merkmale dieser Küche. Kein Wunder, dass dieses Restaurant immer wieder mal als das beste der Welt bezeichnet wurde.
Da der Konkurrenzdruck angesichts einer sprunghaft gestiegenen Zahl an herausragenden Lokalen heute ungleich größer als früher ist, mag mancher widersprechen wollen oder einfach zu der Erkenntnis kommen, dass angesichts einer extrem breiten Streuung an Stilen eine solche Auszeichnung heutzutage vielleicht weniger sinnvoller erscheint als in vergangenen Tagen. Dessen ungeachtet hat uns die Meisterschaft des Franck Giovannini tief beeindruckt. Er kommt nicht nur an unseren Tisch, um sich nach unserem Urteil zu erkundigen, sondern stellt sich an meinem Geburtstag bereitwillig für ein Foto zur Verfügung und signiert auch mein soeben erworbenes Buch über die Historie des Restaurants. Später erhalten wir zudem noch Einblick in das Herzstück des Lokals, wo mir erst die ganze Logistik vor Augen geführt wird: diese Küche ist die Abstand größte, die mir je untergekommen ist. So erfahre ich aus dem Munde des Chefs, dass das Etablissement insgesamt fünf Dutzend (!) Mitarbeiter in der Küche, dem Service oder dem Feinkostladen gegenüber beschäftigt. Wie außergewöhnlich die hier gezeigte Leistung ist, wird auch daran deutlich, dass man sich zweimal pro Tag an fünf Tagen die Woche ein Pensum von jeweils 50 Gästen zumutet – eine irrsinnige Quote, die es auf diesem Weltklasseniveau nicht oft geben dürfte. Viel können die Betreiber jedoch nicht falsch machen, wenn man bedenkt, dass sich dieses Lokal nach wie vor eines ungebrochenen Zustroms an Gästen aus aller Welt erfreut.
Der Service, ganz klassisch eingekleidet, agiert förmlich, aber ohne Fehl und Tadel. Allzu leger gekleidet sollte man (trotz des Verzichts auf einen Dresscode durch das Lokal) hier sowieso nicht erscheinen, weil es einfach noch diese altehrwürdigen Häuser gibt, deren edles Ambiente eine Entsprechung in der Garderobe der Gäste finden sollte – und dieses gehört mit Sicherheit dazu! Die Kosten für einen Besuch hier sind natürlich nicht von der Hand zu weisen, aber der immense Aufwand hinter einer so einmaligen Darbietung wie dieser verdient auch unsere volle finanzielle Anerkennung, zumal man sich ein solches Erlebnis ja nur selten gönnt. Die Nebenkosten geraten dabei gar nicht mal so spürbar wie erwartet, so dass wir diesen Abend mit einem wunderbar kräuterbetonten Chartreuse ausklingen lassen – das Erlebnis war es wert!
Ich werde diesen Besuch jedenfalls auf Platz 6 meiner Top-25-Liste einordnen. Weshalb? Hier wird einfach noch eine großartige Küche auf streng klassischem Fundament zelebriert, die niemals aus der Mode kommen wird – da lege ich mich fest. Bei allem Traditionsbewusstsein haftet ihr indes überhaupt nichts Verstaubtes oder aus der Zeit Gefallenes an. Im Gegenteil: mit Ausnahme des Sonnora in der Eifel würde ich behaupten wollen, dass man im gesamten deutschsprachigen Raum kein weiteres Lokal finden wird, in welchem noch auf derart exorbitant hohem Niveau so konsequent klassisch und doch hervorragend aufgekocht wird. Seit mehr als einem halben Jahrhundert bringt diese Stilistik nun dem kleinen Örtchen Crissier vollkommen zurecht den Ruf eines kulinarischen Wallfahrtsorts ein. Wer als ernsthafter Gourmet nie hier eingekehrt ist, der sollte diese Pflichtadresse schleunigst nachholen!
Gemäß der Definition des Guide Michelin bedeuten drei Sterne, dass ein Restaurant mit dieser Auszeichnung „eine Reise wert ist“ – ein Urteil, dem es nichts hinzuzufügen gibt.
Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten
Restaurant de l’Hôtel de Ville
Rue d’Yverdon 1
1023 Crissier (Schweiz)
Tel.: 0041-21634-0505
www.restaurantcrissier.com
Guide Michelin 2022 (Schweiz): ***
Gault&Millau 2023 (Schweiz): 19 Punkte
8-gängiges Überraschungsmenü: CHF 340