Das einleitende Diagramm zeigt den deutschen Großmeister Hans-Joachim Hecht mit den weißen Steinen in Aktion. In dieser hochkomplexen Stellung scheint Schwarz eindeutig am längeren Hebel zu sitzen. Die Fortsetzung der Partie demonstrierte allerdings, dass die Dinge keineswegs so einfach liegen und Weiß (am Zug) mehr Ressourcen hat als auf den ersten Blick zur Verfügung stehen. Letztlich dürften sowohl Hecht selbst als auch sein Gegner, der britische Großmeister Raymond Keene, über die Fülle an Details überrascht gewesen sein!
Eine detaillierte Analyse mit korrekter Stellungseinschätzung finden Sie im Beitrag Nr. 111.
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Diese Folge führt Sie von 1957 bis ins ikonische Jahr 1968, das wie kein zweites für die Studentenunruhen in bewegten Zeiten steht. Abschnitt drei dieser Serie wendet sich somit der Phase zu, in der ein gewisser Bobby Fischer sich daran machte, die allumfassende Dominanz der Sowjets in jener Epoche zu brechen und unaufhaltsam nach oben zu streben. Mit seinem unrühmlichen Abgang nach zehn Partien beim Interzonenturnier im tunesischen Sousse 1967 hatte sich der unberechenbare US-Amerikaner allerdings wieder einmal selbst ins Abseits manövriert und vorerst indirekt auf die Schachkrone verzichtet. Die nächste Chance auf die Schach-Krone sollte er erst wieder 1972 erhalten.
81. Janosevic – Udovcic, Sombor 1957
Stellung nach dem 23. Zug von Weiß
Das ehemalige Jugoslawien gehörte zu den wenigen Nationen weltweit, die der erdrückenden Dominanz der Sowjetunion im Schach in der Zeit des Kalten Krieges halbwegs etwas entgegensetzen konnten. Namen wie Gligoric, Velimirovic, Ljubojevic und Ivkov sollten den meisten historisch interessierten Schachfreunden geläufig sein, doch auch die zweite Riege bestand aus einer ganzen Reihe beachtlich starker Schachspieler.
In dieser Partie von der Jugoslawischen Meisterschaft 1957 befinden sich nicht mehr so viele Steine auf dem Brett, was den nächsten Zug umso unwahrscheinlicher macht. Schwarz scheint wegen seines verhedderten Turms in Schwierigkeiten zu sein und könnte sich schon glücklich schätzen, wenn er das folgende Abspiel mit wahrscheinlichem Remis findet und richtig berechnet: 23… Lc6xg2+ 24. Kh1xg2 Se2-c3+ 25. Kg2-f3 Sc3xd1 26. Le5xb2 Sd1xb2 27. Kf3-e4 b7-b5. Mijo Udovcic hatte jedoch anderes im Sinn, ließ hier ungeniert einen ganzen Turm einfach hängen und zog 23… h5-h4!!. Kann die danach entstehende positionelle Dominanz wirkllich das Opfer eines ganzen Turms rechtfertigen? Da sich Weiß 24. h2-h3?? Se2-g3+ nicht erlauben darf, muss er mit 24. Le5xb2 h4-h3 25. Td1-d8+ Kg8-h7 26. Lb3-c2+ f7-f5 27. Td8-d5 fortsetzen. Schwarz hätte hier einfach auf d5 nehmen können, wählte aber das objektiv gleich starke 27… g7-g6!!, das für den Gegner psychologisch viel unangenehmer ist. Absolut unwahrscheinlich, dass Schwarz mit einem ganzen Turm weniger sich noch die Zeit für die Überdeckung des Bauern auf f5 nehmen kann! Mit 28. Lc2-d3 h3xg2+ 29. Kh1xg2 Se2xf4+ 30. Kg2-g3 Sf4-h5+ 31. Kg3-h4 c6xd5 32. c4xd5 hätte Weiß mehr Widerstand leisten können, da nach 32… Lc6xd5 33. Lb1xf5 g6xf5 34. Kh4xh5 ein Endspiel mit ungelichfarbigen Läufern entstünde. In solch einer stressigen Situation allerdings eine derartige Computervariante zu finden hätte auch andere Meister überfordert. Janosevic setzte dagegen fort mit 28. Lc2-e4!? e6xd5 29. c4xd5 f5xe4 30. d5xc6 b7xc6 31. g2xh3 Se2xf4 und unterlag im 40. Zug, da sich seine Bauernschwächen einfach als zu gravierend erwiesen.
Ich finde es absolut erstaunlich, dass Udovcic nicht nur den grandiosen 23. Zug so plante, sondern auch noch den sehenswerten stillen Zug vier Züge später nachschob.
Was für eine Bilderbuchstellung!
82. Lutikov – Gurgenidze, Sverdlovsk 1957
Stellung nach dem 45. Zug von Weiß
Willkommen in der wunderbaren Welt des Schachs, in der bisweilen gleich mehrere Damen freischwebend über ein Brett gleiten können und sämtliche Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt zu sein scheinen! Tatsächlich entstand diese Stellung zwischen zwei späteren sowjetischen Großmeistern während einer Qualifikation für die UdSSR-Meisterschaft!
In dieser sinnverwirrenden und atemberaubenden Stellung behielt der vielfache georgische Landesmeister die Übersicht und setzte hier mit dem gewinnträchtigen 45… Dg7xb2!! fort. Bei genauem Hinsehen stellt sich heraus, dass Weiß auf Verlust steht, denn 46. Ka4-a5 kann einfach mit dem Ablenkungsopfer 46… Db2xd2! beantwortet werden. Weiß versuchte daher 46. Td2xb2, aber nach 46… Tf3-a3+ 47. Ka4xb4 Df2xb2+ 48. Dd5-b3 Ta3xb3+ 49. a2xb3 Db2-f2! 50. Kb4-a4 krönte Schwarz die Partie mit 50… g4-g3!. Anstatt den hängenden Springer zu schlagen und damit ausrechnen zu müssen, ob Weiß ein Dauerschach hat, erteilt Schwarz seinem Freibauer einfach den Marschbefehl. Weiß hat kein Schachgebot, und ein Wegzug des Springers würde das Matt auf a2 gestatten. Da der Freibauer ansonsten durchläuft, musste Weiß aufgeben.
Anstatt sich in der Ausgangsstellung um seine angegriffene Dame zu kümmern, stellt Schwarz lieber noch eine weitere Dame zum Schlagen hin – wie man sieht, geht die Logik in Stellungen mit mehreren Damen oft seltsame, verschlungene Wege!
83. Rosetto – Cardoso, Portoroz 1958
Stellung nach dem 40. Zug von Schwarz
In diesem rein argentinischen Duell beim Interzonenturnier in Portoroz 1958 gab es einen höchst bemerkenswerten Moment, obwohl beide Teilnehmer letztlich abgeschlagen weit hinten landeten. Die beiden Meister sind nur wenig bekannt: Rodolfo Cardoso gelang bei diesem Turnier als krasser Außenseite allerdings in der letzten Runde ein sensationeller Sieg gegen den haushohen Favoriten David Bronstein – mit dem Ergebnis, dass Bronstein das Kandidatenturnier verpasste und sich an seiner Stelle ein gewisser Bobby Fischer im Alter von 15 Jahren dafür qualifizierte. In dieser Partie wurde Cardoso allerdings zum Opfer eines kombinatorischen Wirbelwinds, den sein noch weniger bekannter Gegner Hector Rossetto mit dem Damenopfer 41. Dc3xg7+!! einleitete. Nach 41… Kg8xg7 folgte 42. Sh4-f5+! (nicht aber 42. Te3-e7+?? Kg7-g8 43. Te7-e8+ Sd7-f8! mit schwarzem Gewinn) 42… Kg7-g6 (nichts ändert 42… Kg7-g8 43. Sf5-h6+ Kg8-g7 mit identischen Ideen wie in der Partie) 43. Te3-e6+ Sd7-f6 44. Te6xf6+ Kg6xg5 45. Te1-e6! mit einer stillen Mattdrohung. Nach 45… Ta2-g2+ 46. Kg3xg2 Dc7-d8 47. Sf5-e7! war gegen die brutale Drohung 48. Tf6-f5+ nebst 49. Tf5-h5# bzw. 49. Te6-h6# kein Kraut gewachsen. Schwarz gab auf.
Rossettos überraschendes Damenopfer gelang auch deshalb so gut, weil danach das bekannte Prinzip „alle gegen einen“ zum Tragen kam. Auch ohne Dame konnte Weiß den vollkommen schutzlosen gegnerischen König zur Strecke bringen.
84. Rosenfeld – Kimmelfeld, Tallinn 1958
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß
In einer kreuzgefährlichen Variante der Pirc-Verteidigung steht Weiß kurz davor, seinen Angriff gewinnbringend abzuschließen – jedenfalls dann, wenn es Schwarz zulässt. Der Nachziehende muss hier in der Tat sehr auf der Hut sein, denn Weiß droht mit der überaus spektakulären Idee 22. Dh4-h7+ Kg8-f8 23. Dh7xg7+!! Kf8xg7 24. Th2-h7+ und 25. Ld4xf6 mit Matt.
Mit anderen Worten: Weiß hat seinem Gegner die Pistole auf die Brust gesetzt, doch dieser konterte stark mit 21… Dc2-f2+!. Weiß muss das Opfer annehmen, denn sonst folgt 22… e3-e2+ mit Verlust des essentiellen Läufers auf d4. Nach 22. Th2xf2 streute Schwarz den wichtigen Zwischenzug 22… f6xg5! ein, denn das sofortige 22… e3xf2+? hätte 23. Ke1-f1! f6xg5 24. Dh4xf2! mit großem Vorteil für Weiß gestattet. Durch die Umstellung der Züge hat Weiß diese Option aber nicht und musste daher mit 23. Dh4xg5 e3xf2+ 24. Ke1xf2 (24. Ke1-f1!? war eine Überlegung wertman sehe: 24… Lg7xd4 25. f4-f5! Te8-e5 26. Dg5-f4 mit eher für Weiß günstigen Komplikationen, obwohl der Ausgang natürlich fraglich bliebe) 24… Lg7xd4+ 25. Kf2-g2 Ta8-d8 26. Ta1-d1 fortsetzen, worauf die Kontrahenten Frieden schlossen.
Für Amateure spielten diese beiden Kontrahenten erstaunlich stark, wenn man einmal davon absieht, dass 21… Dc2-d2+!! sogar noch etwas stärker gewesen wäre. Nach 22. Th2xd2 f6xg5! 23. Dh4xg5 e3xd2+ 24. Ke1-f1!? (nach 24. Ke1xd2!? Lg7xd4 wäre 25. f4-f5?? fatal!) 24… Lg7xd4 erkennen wir den Grund: ein schwarzer Bauer auf d2 wäre stärker als auf f2, falls Weiß weiter auf Sieg spielen möchte. Dass dieses kleine Detail den Spielern entging, ist wohl verzeihlich! Ganz gleich, wie man es sieht: das Opfer der Dame, die dem angreifenden Turm entgegen zieht, macht optisch enorm viel her und ist durchaus beeindruckend!
85. Tal – Smyslov, Bled 1959
Stellung nach dem 18. Zug von Schwarz
Exweltmeister Vasily Smyslov hatte seinem jungen Gegner Mikhail Tal hier gut Paroli geboten und hätte soeben mit 18… Ld8-f6 eine gute Stellung erlangen können. Er stellt jedoch die falsche Figur mit 18… Sd7-f6?? auf dieses Feld und wurde von einem für Tal typischen Opfer kalt erwischt: nach 19. Dh5xf7!! Da2-a1+ 20. Kc1-d2 war die d-Linie zwar temporär versiegelt, aber auch dieser Umstand half Smyslov nichts. Hier hätte der Zug 20… Da1xd1+ nichts geändert, da Weiß nach 21. Th1xd1 Tf8xf7 22. Sh6xf7+ Kh8-g8 23. Sf7xd8 eine Figur mehr behielte. Durch die Partiefortsetzung 20… Tf8xf7 21. Sg5xf7+ Kh8-g8 22. Td1xa1 Kg8xf7 geriet der materielle Nachteil „nur“ zu einem Qualitätsverlust, doch ist die schwarze Stellung danach so schlecht, dass Smyslov den Widerstand vier Züge später einstellte.
86. Van den Berg – Larsen, Beverwijk 1959
Stellung nach dem 15. Zug von Weiß
Der schwarzen Dame drohen in dieser Stellung die Felder allmählich auszugehen, weshalb viele Spieler hier wohl erwogen hätten, mit 15… Lg7xc3?! einen Bauer zu schnappen und das Beste zu hoffen: Weiß erhielte damit furchterregende Kompensation in Form des Läuferpaars und einer stark geschwächten schwarzen Königsfestung.
Dass dem furchtlosen Bent Larsen danach nicht der Sinn stand, ist nicht weiter verwunderlich. Er spielte stattdessen voller Optimismus 15… Sd7-b6!! und bot dem Gegner damit indirekt ein Damenopfer an. Weiß schnappte in der Tat nach dem Köder mit 16. Sc3-a2?! und ließ sich auf 16… Sb6xc4 17. Sa2xb4 Sc4xe3 18. Dd1-e2 Se3xf1 19. Sb4xc6 Sf1-g3+ 20. h2xg3 b7xc6 ein. Die eingeleitete Transformation der Stellung sieht Weiß zwar materiell leicht im Vorteil, aber ansonsten hat Schwarz die Trümpfe in der Hand: die weiße Bauernstruktur ist völlig entwertet, während die schwarze intakt ist und nicht angegriffen werden kann. Außerdem hat Larsen aktive Figuren und droht, mit c6-c5 die Schwäche auf b3 endgültig festzulegen. Weiß zog daher sofort 21. b3-b4, um nach 21… a5xb4 wenigstens einen Freibauer zu erhalten, doch er unterlag in einer bis zum Ende sehenswerten Partie im 42. Zug – Nachspielen empfohlen!
Die Computer sehen Larsens Opfer weitaus pessimistischer und schlagen einen starken Zug vor, der die schwarze Dame verschmäht und schon allein deshalb schwer zu finden ist. Außerdem bietet der Zug 16. Lc4-d5! auch noch den starken Läufer an, so dass man mit Fug und Recht von einem der Intuition zuwider laufenden Zug sprechen kann und Larsen darauf bauen konnte, dass sein Gegner so nicht fortsetzen würde – ganz gleich, ob Larsen den Zug selbst gesehen hatte oder nicht. Die Engines sehen Weiß nach 16… Sb6xd5? 17. e4xd5 auf der Siegerstraße, da die urplötzlich auftretende Drohung 18. Tf1-f4 höchst unangenehm ist. Allerdings vermag auch das bessere 16… Lg7-d4 17. Le3-d2 Db4-c5 18. Ta1-c1 Sb6xd5 19. Sc3xd5 Dc5-a7 20. Dd1-g4! nebst 21. Dg4-h4 nur wenig mehr zu überzeugen.
Larsens Pragmatismus rechtfertigt für meine Begriffe sein kühnes Opfer, denn die schlappe Alternative, auf c3 zu nehmen, überzeugt nicht – und außerdem war die Wahrscheinlichkeit, dass Weiß die Antwort 16. Lc4-d5! finden würde, als sehr gering zu erachten. Die Phantasie, derer es bedurfte, ein solches Opfer zu ersinnen, verdient schließlich auch Anerkennung – und letztlich wurde Larsens Mut auch belohnt. Schach lebt nun einmal von Fehlern!
87. Fischer – Uhlmann, Buenos Aires 1960
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß
Seltsamerweise hatte Bobby Fischer gegen kaum eine andere Eröffnung so signifikante Probleme wie gegen die Französische Verteidigung. Hier dürfte der ewige Verfechter dieser Eröffnung jener Tage, DDR-Weltklassegroßmeister Wolfgang Uhlmann, eine der Partien seines Lebens gespielt haben. Dank seiner immensen Routine fiel es ihm vermutlich gar nicht so schwer, in dieser Stellung einen Bauern mit 21… g5-g4!! zu opfern und nach 22. h3xg4 f6-f5! den schwarzfeldrigen Läufer Fischers dauerhaft kaltzustellen. Für diese Figur wird sich praktisch keine vernünftige Verwendung in naher Zukunft finden lassen, was die Partie eindrucksvoll bestätigte. Nach dem weiteren Zugpaar 23. g4-g5 Te8-e7! zeichneten sich die schwarzen Ideen deutlich ab: neben der Verdopplung der Türme auf der h-Linie wird Schwarz seinen eigenen Läufer über e8 ins Spiel bringen. Uhlmanns Strategie ging auf und wurde mit dem legendären Sieg im 42. Zug gekrönt.
88. Veresov – Bronstein, Moskau 1960
Stellung nach dem 17. Zug von Weiß
Dass David Bronstein als einer der originellsten und kreativsten Spieler gilt, konnte er in dieser Stellung eindrucksvoll unter Beweis stellen. Mit einem alles andere als offensichtlichen und naheliegenden Plan verstärkte er seine Stellung entscheidend. Er begann mit dem unschuldig anmutenden Zug 17… h7-h6!!, der einen diabolischen Plan einleitet. Würde Schwarz diesen Plan stattdessen mit 17… Le4-g6 einleiten, dann könnte Weiß zumindest 18. Sf3-h4 erwägen, um den gefährlichen Läufer abzutauschen. Nach 18. Lg2-h3 Le4-h7!! dürfte es Veresov gedämmert haben, welches Ungemach ihm droht, wenn Schwarz seine geplante Damen-Läufer-Batterie installieren kann. Mit 19. Td2-d7 wollte Veresov seinem König die Flucht über d2 ermöglichen, doch anstatt sofort die Dame nach g6 zu ziehen zog Schwarz 19… Tf8-e8! und aktivierte eine weitere noch untätige Figur. Nach 20. Kc1-d2 schwenkte Bronstein mit 20… Lh7-f5! komplett um und sicherte sich damit einen raschen Sieg, da nach dem Tausch auf f5 sowohl d7 als auch c2 angegriffen wären. Veresov zog noch 21. Da3-c3, gab aber nach 21… Lf5xh3 auf.
Das spektakuläre Manöver Bronsteins sorgte seinerzeit für Aufsehen in der Schachwelt, auch wenn die Batterie letztlich nie aufgebaut wurde. Ausgehend von der Diagrammstellung einen solchen Plan zu finden zeugt von großer Findigkeit und immenser Spielstärke. Das hinterlässt auch heute noch einen nachhaltigen Eindruck und überzeugt auf ganzer Linie.
89. Tal – Botwinnik, Weltmeisterschaft, 1. Partie, Moskau 1960
Stellung nach dem 10. Zug von Schwarz
Als diese beiden Kontrahenten um den Schachthron im Jahre 1960 aufeinander prallten, hätte der Kontrast nicht größer sein können. Auf der einen Seite der gestählte, unerbittliche und eiserne Kämpfer Botwinnik – auf der anderen der unbekümmerte, dreiste und unternehmungslustige Emporkömmling aus Riga. Tal wurde seinem schillernden Ruf gleich gerecht, als er in der ersten Partie eine Idee aufs Brett brachte, die zugegebenermaßen Svetozar Gligoric bereits ein Jahr zuvor aus der Taufe gehoben hatte. Dennoch hätten wohl selbst viele Fachleute nicht unbedingt erwartet, dass Tal den gewagt und widersinnig anmutenden Zug 11. Ke1-d1!? riskieren würde. Dennoch erwies sich diese Wahl als goldrichtig gegen Botwinnik, der schon bald mit dem irrationalen Charakter der Stellung seine Probleme bekommen sollte, obwohl er selbst in Form von 10… Lc8-d7! eine Neuerung vorbereitet hatte. Deren Sinn besteht in der raschen Überführung des Läufers nach a4, bevor der Damenspringer entwickelt wird. Tal antwortete mit 12. Dh7-h5+ Se7-g6?! (12… Ke8-d8 ist wohl vorzuziehen) 13. Sg1-e2, worauf Botvinnik sich für das fragwürdige 13… d4-d3?! 14. c2xd3 Ld7-a4+ 15. Kd1-e1 Dc7xe5? entschied und rasch in ernsten Nachteil geriet. Tal errang einen beeindruckenden Sieg im 32. Zug, aber die heutige Theorie gibt dennoch dem natürlicheren und auch damals schon gut bekannten Zug 11. Sg1-e2 wieder den Vorzug – ganz abgesehen davon, dass diese seltene Variante aus heutiger Sicht ohnehin nicht als ganz vollwertig für Schwarz gilt. Seinen Zweck hatte der Königszug aber mehr als erfüllt!
90. Wexler – Bazan, Mar del Plata 1960
Stellung nach dem 25. Zug von Weiß
Einen extrem sehenswerten Zug, mit dem Schwarz drei Figuren gleichzeitig hängen lässt und trotzdem auf Sieg steht, spielte Osvaldo Bazan in diesem rein argentinischen Duell: nach dem schockierenden 25… Td5-d1!! gibt es keine Ausrede für Weiß. Bernardo Wexler gab sofort auf.
91. Fischer – Tal, Bled 1961
Stellung nach dem 22. Zug von Schwarz
Das berühmte Remis dieser beiden Kontrahenten ein Jahr zuvor bei der Schacholympiade in Leipzig markierte so etwas wie einen Wendepunkt für Fischer, der fortan gegen Tal fast nur noch Siege einfuhr, nachdem es zuvor ständig Niederlagen gegeben hatte. Den Anfang dieser Serie markierte die vorliegende Partie, in der man meinen könnte, Tal habe mit Weiß gespielt!
Ein flüchtiger Blick genügt schon, um zu erkennen, dass bei Schwarz hier einiges in der Eröffnung schiefgelaufen sein muss. Auch nach „normalen“ Zügen wie 23. Df6-h4 hätte sich Schwarz wohl kaum mehr erfolgreich aus der Affäre ziehen können. Fischer spielte hier einen Zug, den Tal sicherlich gerne auch selbst gespielt hätte: mit 23. f4xe5!! erarbeitete sich Fischer mit Hilfe eines Damenopfers ein erdrückendes positionelles Übergewicht. Nach der erzwungenen Folge 23… Tb6xf6 24. e5xf6 hatte Fischer den kostbaren Freibauer auf g7 wie einen Stachel in der schwarzen Stellung verankert. Wenn Schwarz versucht, den stützenden Bauer umgehend mit 24… Dc7-b6 zu attackieren, dann kann Weiß in aller Seelenruhe mit 25. Th1-f1 antworten, da das Schlagen auf h7 unweigerlich folgen wird. Tal versuchte stattdessen 24… Dc7-c5 und setzte nach 25. Ld3xh7 mit 25… Dc5-g5 fort, um den Turm auf g7 zu opfern, falls Weiß 26. Th1-f1 zieht. Fischer spielte jedoch das genauere 26. Lh7xg8 Dg5xf6 27. Th1-f1 Df6xg7 28. Lg8xf7+ und verwertete ohne Probleme seinen materiellen Vorteil im 47. Zug.
92. Tonoli – Borodin, Brüssel 1961
Stellung nach dem 22. Zug von Schwarz
Zu dieser ungewöhnlichen Stellung war es zwischen zwei starken belgischen Amateuren gekommen. Die Position des schwarzen Königs wäre unter normalen Umständen bei einem solch vollen Brett als verheerend zu erachten, doch in dieser vollkommen blockiert anmutenden Stellung scheint ihm keine Gefahr zu drohen – im Gegenteil könnte man vielleicht meinen, er stünde sogar nützlich auf e6. Hätte Weiß seinen nächsten Zug nicht, dann wäre dieses Urteil tatsächlich nicht so einfach zu erschüttern. Sicherlich würde Weiß nach dem recht natürlichen Zug 23. b2-b3 auch das Geschehen diktieren, aber ein langer Kampf stünde bevor. Dass im Schach allerdings ein einziger Zug einen gewaltigen Unterschied ausmachen kann, weiß natürlich jeder, der schon mal ernsthaftes Turnierschach gespielt hat.
Der Anziehende überrumpelte hier seinen Gegner mit dem schockierenden 23. De2xc4!!, was meines Erachtens einen weitaus pragmatischeren Gewinnversuch darstellt als die oben geschilderte Alternative, selbst wenn der Computer nicht einverstanden ist. Auf 23… d5xc4 walzte Weiß die gegnerische Stellung mit 24. d4-d5+ Ke6-e7 25. d5xc6 platt. Es droht nicht nur das Nehmen der Dame und ein potentielles Läuferschach auf c5 – auch der Freibauer auf b7 dürfte Schwarz enormen Verdruss bereiten.
In dem Dickicht an Varianten verlor Schwarz hier die Orientierung und spielte 25… b7xc6, worauf Weiß objektiv einfach hätte auf d8 nehmen sollen. Er wählte stattdessen 26. Lg2xc6, worauf anstelle von 26… Ke7-e6? die Alternative 26… Dd8-c8! angesichts der dreisten Variante 27. Le3-c5+ Ke7-e6 28. Lc6-d5+ Ke6-d7 29. Ld5xa8+ Kd7-c7 30. Lc5-d6+ Lf8xd6 31. e5xd6+ Kc7-b8 32. La8-f3 Schwarz viel bessere Chancen eingeräumt hätte. Ob man Monsieur Borodin allerdings einen Vorwurf machen kann, dieser Variante wegen eines Abzugsschachs ausgewichen zu sein, sei dahingestellt. Nach dem schwarzen Fehler im 26. Zug nahm Weiß allerdings doch die Dame und siegte im 34. Zug.
Der kritische Test der weißen Idee bestand wohl in 25… Dd8-c7 26. c6xb7! Ta8-b8 27. Td1-d6!. Wahrscheinlich wäre Schwarz am besten beraten, sofort 27… Tb8xb7 zu ziehen, doch selbst dann behielte Weiß mit 28. Lg2xb7 Dc7xb7 29. Ta1-d1! spürbare Initiative. Wie dem auch sei – das faszinierende Damenopfer des Anziehenden bleibt auf jeden Fall im Gedächtnis haften!
93. Rossolimo – Livingstone, New York 1961
Stellung nach dem 17. Zug von Weiß
Ein Kuriosum erleben wir in der folgenden Partie: in diesem Moment spielte Großmeister Nicolas Rossolimo seinen wohl absurdesten Zug, nämlich 18. c2-c4!?. Mit diesem verrückten Einfall konnte Schwarz nie und nimmer rechnen, aber kann so eine gewaltige materielle Einbuße wie diejenige, die nach diesem Zug eintritt, wirklich durch positionelles Übergewicht gerechtfertigt werden? Schwarz setzte fort mit 18… Dh4xg5+ 19. Le5-g3 Td5xd1 20. Ta1xd1 und musste nun eine kritische Entscheidung treffen. Er spielte nun 20… Sf6-d5? 21. c4xd5 c6-c5? (das Schlagen würde dem Gegner die c-Linie öffnen) und unterlag im 28. Zug. Mit 21… e7-e5! hätte sich mehr Widerstand leisten lassen, doch ist dies ohnehin Makulatur. Mit der Fortsetzung 20… Sf6-d7! (anstatt 20… Sf6-d5?) 21. Td1xd7 e7-e5! hätte Schwarz alle Gefahren abwenden und auf Sieg spielen können, da Weiß nach 22. Tf1-e1 oder 22. Tf1-d1 ein Tempo aufwenden muss, um die mit 22… Lf8-c5! aufgestellte Drohung gegen g3 zu entkräften.
Was Rossolimos Wahl allerdings auch so schwer verständlich macht, ist die Tatsache, dass das nicht unmöglich zu findende 18. Se5xf7! Weiß eine klare Gewinnstellung gibt. Schwarz hat nichts Besseres als 18… Td5xd1 19. Ta1xd1 Sf6-d5 20. Sf7xh8 und kann mit 20… Dh4-g4+ nur noch im Trüben fischen, zum Beispiel: 21. Le5-g3 e7-e5 22. Sh8-f7 Lf8-c5 (oder 22… e5-e4 23. La6-b5!) 23. Td1-d3 e5-e4 24. Td3-b3. Die Stellung bleibt komplex, aber mit etwas Akkuratesse sollte Weiß recht einfach gewinnen.
Was ist nun von Rossolimos irrem Zug zu halten? Machen Sie sich am besten selbst ein Bild!
94. Fischer – Najdorf, Varna 1962
Stellung nach dem 15. Zug von Schwarz
Hier haben wir es mit einem interessanten Fall für die Regelhüter zu tun: Fischer zog hier nämlich 16. Sf5-g7+! Ke8-e7 17. Sg7-f5+ Ke7-e8 und wiederholte nun natürlich nicht die Stellung, sondern setzte mit 18. Lc1-e3 Lc5xe3 19. f2xe3! fort und gewann in fünf weiteren Zügen.
Was dieses Beispiel jedoch so selten macht, ist die Frage, ob nach Fischers Stellungswiederholung von derselben Stellung die Rede sein kann. Das Zugrecht ist dasselbe, aber was sich verändert hat, ist das Rochaderecht. Durch das eingestreute Zugpaar darf Schwarz nun nicht mehr rochieren, was durchaus einen Unterschied macht. Hätte Fischer nämlich sofort 16. Lc1-e3 gezogen, dann wäre Schwarz die zusätzliche Option auf die Rochade noch geblieben. Tatsächlich wäre nach 16… Lc5xe3 17. f2xe3 die kurze Rochade die relativ beste Option gewesen, obwohl Schwarz auch dann nach 18. Ta1-d1 vor großen Schwierigkeiten stünde. Nach der Partiefolge muss der schwarze König hingegen in der Mitte verweilen, wo er schnell erlegt wird.
95. Dueckstein – Petrosian, Varna 1962
Stellung nach dem 18. Zug von Weiß
Tigran Petrosian hatte bekanntlich ein ausgesprochen gutes Gespür dafür, wann allgemein gültige Grundsätze auch mal verletzt werden dürfen. In dieser Stellung spielte er einen Zug, der wohl nur den wenigsten Schwarzspielern hier in den Sinn gekommen wäre.
Zwar steht Schwarz keineswegs besser nach diesem Zug, aber die strategische Weitsicht des neunten Weltmeisters beeindruckt hier enorm. Er spielte nämlich 18… a7-a5!! und gestattete dem Gegner damit Linienöffnungen an dem Flügel, wo sich sein eigener König verbirgt. Dass das Ganze zudem in einer Stellung mit entgegengesetzen Rochaden geschieht, wo es normalerweise auf jedes Tempo ankommt, macht dieses Beispiel nur noch bemerkenswerter. Andererseits macht die schwarze Stellung ohnehin einen nur wenig überzeugenden Eindruck, so dass derart rabiate Maßnahmen durchaus vertretbar erscheinen.
Petrosian schätzte die Lage so ein, dass es dem weißen Angriff an Durchschlagskraft mangeln würde und begann frühzeitig, auf die bessere Bauernstruktur (!) zu spielen. Der vorgepreschte weiße Bauer auf c5 gerät allmählich unter Druck, so dass Schwarz seinen passiven Läufer befreien kann. Nach 19. Ta1-d1 (oder 19. Tf1-e1 f7-f6) 19… Td8xd1 20. Tf1xd1 Th8-h4?! bröckelten die weißen Bastionen schon leicht – dennoch war 20… Sf5xg3 solider. Dueckstein wickelte danach mit 21. b4xa5 Lf8xc5 22. a5-a6 ab. Nach Duecksteins 22. a5-a6 erwiderte Petrosian 22… b7-b6 und war noch immer nicht über den Berg. Allerdings hätte Weiß hier 23. Sg3xf5! den Vorzug geben sollen – anstelle von 23. Td1-e1?, wonach Petrosians Antwort 23… Kb8-a7! die Stellung wieder ins Gleichgewicht rückt. Letztlich setzte sich die größere Spielstärke doch noch durch: Petrosian gewann diese nicht leicht zu führende Partie im 40. Zug.
Petrosians ikonische strategische Grundsätze legten den Grundstein für viele heute anerkannte Ideen, doch damals hätte es kaum jemand gewagt, derart dreist gegen die Schablone die eigene Königsfestung so waghalsig zu schwächen.
96. O’Kelly – Penrose, Varna 1962
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
Da es für Weiß nach dem naheliegenden 20. Se4-g5? h7-h6 keine Fortsetzung des Angriffs gibt, scheint es nicht gut um den Anziehenden bestellt. Er hatte jedoch noch ein As im Ärmel, das ihm zumindest einen halben Punkt sicherte – und eine Ehrenplatz unter den berühmtesten Punkteteilungen, die es jemals bei einer Schacholympiade gab.
Alberic O’Kelly spielte hier 20. Dh5xh7+!! und forcierte mit 20… Kg8xh7 (nicht 20… Kg8-f8? wegen 21. Se4-g5 Ld4xe3 22. f2xe3! mit entscheidendem Angriff) 21. Se4-f6+ Kh7-h6 22. Te3-h3+ das Remis, das nach 22… Kh6-g5 23. Sf6-h7+ Kg5-g4 24. Ld3-e2+ Kg4-f4 25. Le2-d3! erzwungen ist, da Schwarz das drohende Matt auf h4 nur mit 25… Kf4-g4 26. Ld3-e2+ umgehen kann.
97. Benkö – Petrosjan, Los Angeles 1963
Stellung nach dem 16. Zug von Weiß
Eine besonders beeindruckende strategische Erkenntnis, die wir Tigran Petrosian verdanken, ist die Entdeckung des heutzutage für das Orthodoxe Damengambit typischen Plans mit 16… b6-b5!. Dieser Zug leistet eine ganze Menge – und doch würden ihn viele weniger erfahrene Spieler vermutlich wegen des rückständigen c-Bauern auf der halboffenen Linie verwerfen. Die Vorteile wiegen aber die Nachteile mehr als auf: dieser Zug gestattet zum einen, dem Springer über b6 nach c4 zu gelangen und die c-Linie zu versiegeln. Es ist wahr, dass dieser dort beseitigt werden kann, aber dann erhielte Schwarz im Gegenzug einen gedeckten Freibauer – ein Umstand, der übrigens nicht eintreten würde, wenn analog ein weißer Springer auf c5 abgetauscht würde. Außerdem wird der weiße Bauer auf b4 nun dauerhaft festgelegt, so dass Schwarz nach Belieben die a-Linie öffnen kann – es sei denn, Weiß tauscht auf a5 und nimmt eine minderwertige Bauernstruktur in Kauf. Schwarz hat den klaren Plan, die Türme auf der a-Linie zu verdoppeln, seinen Springer nach b6 zu stellen und den weißfeldrigen Läufer anschließend nach c8 zu ziehen. Weiß fällt es in der Zwischenzeit schwer, etwas Konstruktives zu unternehmen. Benkö wurde in der Partie jedenfalls völlig von Petrosian überspielt, so dass das neuartige Konzept des Nachziehenden in dieser Partie in vollem Glanz erstrahlen durfte. Die Parte wurde fortgesetzt mit 17. Db1-b3 Sd7-b6 18. Tc1-a1 Ta8-a7 19. Ta1-a2 Td8-a8 20. Td1-a1 Lb7-c8 21. Le2-d3 Lc8-g4. Schwarz hat gewaltige Fortschritte gemacht und die weißen Figuren auf passive Felder gedrängt. Nach 22. Sf3-d2 Lf6-g7 23. h2-h3 Lg4-e6 24. Db3-c2 a5xb4 25. a3xb4 Ta7xa2 26. Sc3xa2 Sb6-c4 hatte Petrosian seine Stellung weiter verstärkt. Nach 27. Sd2-b3 De7-g5 28. Kg1-f1 Lg7-f8 hatte Schwarz endgültig die Initiative übernommen und siegte im 55. Zug.
98. Suetin – Bagirov, Leningrad 1963
Stellung nach dem 17. Zug von Schwarz
Nach Vladmir Bagirovs letztem Zug 17… Le7-d6! muss sich Weiß in einem größeren Konflikt befunden haben: soll er auf d6 mit sterilem Ausgleich tauschen (das doppelte Nehmen verbietet sich natürlich wegen des Abzugsschachs auf g2) oder alles auf eine Karte setzen?
Alexej Suetin entschied sich für Letzteres und brachte hier eines der unklarsten und verrücktesten Damenopfer, das ich je gesehen habe. Er spielte hier 18. Dg3xg7+!? und setzte seinem Gegner damit die Pistole auf die Brust. Bagirov musste nach 18… Kg8xg7 19. Le5xf6+ nicht nur überlegen, ob er nun den König nach g6 oder h6 stellt, sondern auch, auf welches Ergebnis er spielen möchte: Sieg oder Remis?
Mit einem kühlen Bier in der Hand und mit einer Engine ausgestattet, ist es leicht zu erkennen, dass Schwarz nach 19… Kg7-g6! 20. Le2-d3 Ld6-e7!! 21. Lf6xe7 Td8xd3! 22. Ta1-f1 Td3xc3 gewinnen sollte, zum Beispiel: 23. Tf5-f6+ Kg6-g7 24. Le7xf8+ Kg7xf8 25. Tf6xf7+ Kf8-e8. Nach 26. Tf7-f8+ Ke8-d7 27. Tf8-f7+ Kd7-d6 28. Tf1-f6+ Kd6-c5 29. Tf1-f5+ Kc5-d4 30. Tf5-f4+ Kd4-e3 ist es vorbei. Auch 20. Ta1-f1 Db6-e3! ergibt nichts für Weiß.
Diese Unterstützung hatte Bagirov natürlich nicht (zumal „Computer“ damals ja eh ein Fremdwort darstellte). Er spielte stattdessen 19… Kg7-h6?!, hätte damit aber wenigstens noch ein Remis erreichen sollen. Nach 20. Ta1-f1 wäre dies mit 20… Tf8-e8! zu erreichen gewesen, da Weiß angesichts des drohenden Kamikazeopfers auf e2 nichts Besseres als die Turmschaukel auf h5 und g5 mit Dauerschach hat. Nach Bagirovs Partiezug 20…Db6-e3? spielte Suetin allerdings zurecht mit 21. Tf5-h5+ Kh6-g6 22. Th5-h4! Ld6-f4 (einziger Zug!) 23. Th4xf4 h7-h5 24. Lf6xd8 auf Sieg und setzte sich tatsächlich im 84. Zug durch.
Suetins faszinierendes (und erstaunlich wenig bekanntes) Damenopfer mag nicht völlig korrekt gewesen sein, aber seine vernichtende psychologische Wirkung verfehlte es dennoch nicht. Ich zolle Weiß nicht nur großen Respekt für seinen Mut, sondern auch für die Tatsache, dass er nach Bagirovs fehlerhaftem Königszug nach h6 immer die besten Züge fand und jede neue Gelegenheit ergriff, sobald sich eine auftat.
99. Evans – Reshevsky, New York 1963
Stellung nach dem 48. Zug von Weiß
Die weiße Stellung ist klar verloren, so dass Großmeister Larry Evans selbst die Partie wohl längst abgeschrieben hatte. Schwarz hätte hier beispielsweise mit Hilfe einer Mattdrohung durch 48… Dg5-g6! 49. Tf7-f8 Dg6-e6! schnell für klare Verhältnisse sorgen. Weiß müsste danach die Damen tauschen und könnte getrost aufgeben. Stattdessen tat sich Evans plötzlich eine unverhoffte Gelegenheit auf, als Samuel Reshevsky hier nichtsahnend (und ziemlich naiv) mit 48… Dg5xg3?? zugriff. Darauf spielte Evans 49. Dc8-g8+!! Kh7xg8 50. Te7xg7+! und überließ dem verdutzten Gegner die Wahl, ob er ein Remis durch Patt oder Dauerschach bevorzugt. Schwarz hat keinen Weg, den Nachstellungen des Turms zu entkommen ohne pattzusetzen!
Dennoch musste Evans mit Genauigkeit zu Werke gehen. So hätte stattdessen das scheinbar gleichwertige 49. Tf7xg7+?? Dg3xg7 50. Dc8-g8+ wegen 50… Kh7-h6! 51. Dg8-e6+ Dg7-g6! verloren. Evans hatte jedoch alles richtig gemacht und so die „Mutter aller Schwindel“ kreiert.
100. Neukirch – Radulov, Sinaya 1964
Stellung nach dem 15. Zug von Weiß
In diesem Duell zweier starker Amateure dürfte sich Weiß ganz wohl gefühlt haben, da er die Minusfigur zurückgewinnen und einen Mehrbauer behalten wird, für den auch das gegnerische Läuferpaar wohl keine ganz ausreichende Kompensation darstellt.
Schwarz entdeckte jedoch einen gut versteckten Weg, aus der weißen Grundreihenschwäche Kapital zu schlagen und eine für ihn günstige Stellungstransformation durchzusetzen. Dies kam wie folgt: nach 15… La7-c5!! erzwang er die für ihn günstige Öffnung der d-Linie. Weiß hätte hier auch 16. Sb1-a3 versuchen können, doch mit 16… h7-h6! 17. Lg5-h4 Lf7-e8! kann Schwarz das weiße Konzept nach 18. Df7-f8+ Se7-g8! (oder 18. Df7-e6 Dd8-d6!) widerlegen. In der Partie folgte 16. d4xc5, worauf 16… Ld7-e6! (schwächer ist 16… Ld7-e8 17. Df7-b3) 17. Df7-h5 Dd8-d5 Schwarz aus den Komplikationen als Sieger hervorgehen ließ. Weiß leistete ob der unerwarteten Wendung der Ereignisse nur wenig Widerstand und verlor im 26. Zug.
101. Nezhmetdinov – Utjelky, Sochi 1964
Stellung nach dem 63. Zug von Weiß
Partien von Rashid Nezhmetdinov versprachen fast immer hohen Unterhaltungswert – auch diese irrsinnige Partie macht da keine Ausnahme, selbst wenn sich hier zur Abwechslung mal sein Gegner, der slowakische Meister Maximilian Utjelky, durchsetzte. Tatsächlich ist diese Schlacht, die mit dem sogenannten Hippopotamus-Aufbau begann, von vorne bis hinten unbedingt sehenswert und gar nicht so sehr auf einen einzigen Zug zugeschnitten.
In dieser fast schon willkürlich anmutenden Stellung sicherte sich Schwarz mit 63… c4-c3! entscheidenden Vorteil – und das, obwohl Weiß zwei weit vorgerückte Freibauern hat. Der gefährlichste Freibauer auf dem Brett wird aber der schwarze c-Bauer sein! Nach 64. Ta5-a1 (der Bauer war natürlich wegen der Springergabel auf e2 tabu) 64… c3-c2 bot Nezhmetdinov seine ganze Kreativität auf, doch es nützte gegen den stark aufspielenden Gegner nichts mehr: die Partie endete mit 65. Tf6-g6 Ta8-h8! 66. a6-a7 Db6-b2! 67. Tg6-h6 Sd4-e2+! (noch stärker wäre allerdings 68… Sd4-f3+!! 69. g2xf3 Db2-g7+ 70. Kg1-f1 Ld7-b5+ gewesen) 68. Kg1-h2 c2-c1=D! 69. Ta1xc1 Se2xc1 70. De1-a5 Ld7-c6 und der weißen Aufgabe fünf Züge später.
102. Tal – Tringov, Amsterdam 1964
Stellung nach dem 12. Zug von Schwarz
In dieser Partie musste der bulgarische Meister Georgi Tringov eine bittere Lektion lernen, wie man auf keinen Fall gegen Tal spielen durfte – nämlich zuerst um den Gewinn eines Bauern willen die Entwicklung vernachlässigen und dann noch die Stellung zu öffnen. Tals nächster Zug muss ein Schock für Tringov gewesen sein, aber dass sich der Exweltmeister in derartigen Stellungen wie ein Fisch im Wasser fühlte, dürfte jedermann klar gewesen sein. Für Tal selbst war die Entdeckung des Knallers 13. Dd2-d6!! wahrscheinlich eine vergleichsweise leichte Übung: anstatt eine hängende Figur wegzuziehen, lässt er stattdessen eine weitere einstehen! Was immer Schwarz jedoch auch unternimmt, die weißen Drohungen sind nicht mehr zu parieren. Wenn Schwarz auf f4 zugreift, dann offenbart der Zug 14. Sc3-d5! die Vorteil des Turms auf der e-Linie. Den Springer kann Schwarz nicht nehmen, ohne die tödliche e-Linie zu öffnen, aber was soll er angesichts der Drohungen 15. Sd5-c7+ und 15. Sf3-g5 sonst tun? Die Antwort lautet: nichts! Doch auch nach Tringovs Antwort 13… Da5xc3 ließ das Ende nicht lange auf sich warten. Mit dem unerwarteten 14. Te1-d1! sorgt Weiß für klare Verhältnisse: nach 14… Sb8-d7 15. Lc4xf7+ war es vorbei, denn auf 15… Ke8xf7 folgt ein vierzügiges Matt nach 16. Sf3-g5+ Kf7-e8 17. Dd6-e6+. Tringov gab auf. Es hilft aber auch weder 14… Lc8xd7 15. Tb1xb7 noch 14… Lg7-f6 15. Sf3xe5.
Tringov hatte ein Jahr zuvor den Großmeistertitel erlangt, doch hier wurde er von Tal wie ein besserer Anfänger vorgeführt. Die Eröffnungsregeln gelten nun mal für alle! Sie ausgerechnet gegen den unerbittlichen „Zauberer aus Riga“ zu brechen, ist schon sehr leichtsinnig!
103. Fuchs – Korchnoi, Jerewan 1965
Stellung nach dem 25. Zug von Weiß
Mit Hilfe eines Motivs, das im Problemschach unter dem Namen Novotny bekannt ist und die Verstellung zweier Figuren durch die Besetzung des Schnittpunkts ihrer Wirkungslinien meint, konnte Viktor Korchnoi hier rasch den vollen Punkt einfahren. Nach dem einfach grandiosen Zug 25… Lc2-d3!! hätte Weiß schon aufgeben können (das tat er zwei Züge später), denn der Turm auf d6 hängt und gleichzeitig droht nun Matt auf der Grundreihe. Beide Drohungen kann Weiß nicht gleichzeitig parieren, so dass Schwarz in der Tat siegbringenden Vorteil hat.
104. Ujtumen – Lein, Sochi 1965
Stellung nach dem 12. Zug von Weiß
In dieser Stellung hatte Großmeister Anatoli Lein eine spektakuläre Idee vorbereitet, die Weiß vor eine schwere Probe stellte. Die Idee wirkt wie eine Anleihe aus Varianten des Paulsen-Sizilianers, aber entstanden war diese Stellung in Wirklichkeit aus dem Bird-System des Spaniers. Der Nachziehende verblüffte hier seinen Gegner mit 12… h7-h5!! und musste dabei eine ganze Menge unklarer Varianten im Voraus akkurat einschätzen. In der Diagrammstellung ist Leins Zug bei genauem Hinsehen allerdings alternativlos, denn das „normale“ 12… Se5-g6? 13. Dd1-f3 ist klar unbefriedigend für Schwarz. Jetzt war es hingegen an Weiß, eine wichtige Entscheidung zu treffen: soll er die Provokation ignorieren oder sie zu bestrafen suchen?
Objektiv hätte sich Weiß besser auf das unklare 13. Te1-e3! einlassen sollen. Danach erzeugt die Variante 13… Se5-c4 14. Te3-f3! (nicht 14. Te3xd3?? wegen 14… Sc4xb2) 14… Lc8-g4! (auf b2 zu nehmen verbietet sich wegen 15. Dd1-b3) 15. b2-b3! ein totales Chaos, in dem alles hätte passieren können. Eine andere Chance hatte Weiß aber nicht.
In der Partie griff Weiß mit 13. f4xe5? zu und geriet nach 13… Lc8-g4! 14. Dd1-b3 Db6-f2! in eine wenig beneidenswerte Lage. Die weißen Figuren sind derart verknotet, dass Schwarz selbst nach 15. Te1-d1 den dargebotenen Köder verschmähen und stattdessen mit 15… 0-0-0! und gefährlichem Angriff fortsetzen kann. Angesichts dieser wenig erquicklichen Aussichten griff der mongolische Meister Tudev Ujtumen stattdessen lieber mit 15. Db3xb7?! zu, doch 15… Ta8-d8 führt objektiv zu deutlichem weißem Verlust. Da 16. Db7xc6+? Lg4-d7 nebst 17… Df2xe1 sofort verlieren würde, versuchte Weiß stattdessen 16. Te1-d1! Lg4xd1 17. Db7xc6+ und hatte damit sogar Erfolg, denn nach dem fehlerhaften 17… Ke8-e7? hätte 18. Lf1xd3! das Gleichgewicht gewahrt – tatsächlich wählte Weiß 18. Dc6-c7+?? Td8-d7 19. e5xd6+ Ke7-f6! 20. e4-e5+ Kf6xe5 21. Dc7xd7 Df2xf1+ 22. Kh1-h2 und verlor nach 22… Lf8xd6 23. c3-c4 Df1-f4+ 24. Kh2-h1 Ke5-f6.
Es gibt aber noch einiges zu klären: was würde Weiß auf 18. Lf1xd3! Ld1-f3! antworten? In diesem Fall kann Weiß Damenschachs so gestalten, dass der Läufer auf d3 letzten Endes gedeckt bleibt und Weiß dann auf f3 mit Remis nehmen kann. Eine Beispielvariante verdeutlicht dies elegant: 19. Dc6-b7+ Td8-d7 20. e5xd6+ Ke7xd6! 21. Db7-b8+ (aber auf keinen Fall 21. e4-e5+? Kd6xe5 22. Db7xf3 Df2xf3 23. g2xf3 Td7xd3) 21… Td7-c7 22. Db8-d8+ Kd6-e6 23. Dd8-d5+ Ke6-e7 mit Dauerschach nach 24. g2xf3 Df2xf3+.
Stattdessen hätte 17… Td8-d7! alles geändert. Zwei Varianten drängen sich auf, doch beide verlieren für Weiß. Auf 18. Dc6-c8+ Ke8-e7 19. e5xd6+ Ke7-f6! 20. e4-e5+ Kf6xe5! gewinnt Schwarz nach 21. Lf1xd3 Lf8xd6! 22. Dc8xd7 Df2-e1+ 23. Kh1-h2 Ke5-d5+! klar oder stattdessen 21. Db8-e8+ Lf8-e7! 22. De8xd7 (bzw. 22. De8xh8 Df2xf1+ 23. Kh1-h2 Le7xd6 mit Gewinn, da das Schlagen auf g7 einen Gegenabzug des schwarzen Monarchen mit Schach zulässt) 22… Df2xf1+ 23. Kh1-h2 Le7-g5 24. Dd7-b5+ Ke5-f6, ebenfalls mit Gewinn.
Das sofortige 18. Lf1xd3 Ld1-f3! 19. Dc6-c8+ Ke8-e7 20. e5xd6+ Ke7-f6 21. e4-e5+ Kf6-g5! würde Weiß nach 22. g2xf3 Kg5-h4!! mit Mattideen nach 23… Kh4-g3! auch nicht weiter helfen.
Unterm Strich steht ein faszinierendes und korrektes Opfer, dessen bestmögliche Umsetzung ohne die Hilfe einer Engine allerdings nahezu unmöglich ist. Zum anderen verdeutlichen die sinnverwirrenden Varianten, dass auch Schwarz nicht alle Facetten am Brett hatte richtig einschätzen können und die weiße Verteidigung durchaus zum Remis hätte führen können.
105. Fischer – Kholmov, Havanna 1965
Stellung nach dem 19. Zug von Weiß
Großmeister Ratmir Kholmov gehört zu den im Westen immer noch am unbekanntesten Spielern. Er spielte nur selten außerhalb der Sowjetunion, gehörte aber zu seinen besten Zeiten zu den Top Ten der Welt! Außerdem ist er neben Viktor Korchnoi der einzige Nicht-Weltmeister, der sowohl Fischer als auch Kasparov (1978) in einer Turnierpartie schlagen konnte.
Neben den beiden berühmten Partien gegen Keres (Tbilissi 1959) und Bronstein (Kiew 1964), die Sie in der Rubrik 100 berühmte Springerzüge unter den Nummern 99 und 100 finden, dürfte dies sein drittes großes Meisterstück gewesen sein. Durch die freiwillige Inkaufnahme eines Doppelbauern auf der e-Linie hat Schwarz einen weißen Springer von d5 oder f5 fernhalten können. Nach Fischers achtlosem letzten Zug 19. b2-b4? ließ sich der Großmeister die einmalige Gelegenheit natürlich nicht nehmen, die Bauernstruktur stark zu seinen Gunsten mit dem Scheinopfer 19… Sc6-d4!! zu verändern. Nach 20. c3xd4 e5xd4 21. a2-a3 ließ Schwarz nicht locker und fand in Form von 21… d4-d3! wieder die beste Fortsetzung. Am großen schwarzen Vorteil gibt es nun keinen Zweifel mehr. Fischer setzte sich erbittert und gewohnt hartnäckig zur Weher, verlor aber letztlich im 46. Zug. Kholmov starb übrigens 2006 im Alter von 80 Jahren.
106. Matulovic – Zvetkov, Varna 1965
Stellung nach dem 31. Zug von Schwarz
Mit einer grandiosen und sehr schwer zu entdeckenden Kombination verblüffte hier der jugoslawische Großmeister Milan Matulovic seinen nichtsahnenden Gegner. Weiß spielte völlig überraschend 32. Df4-c1!! und ließ damit eine Abwicklung zu, die er bis zum Ende genau berechnet hatte. An dieser Stelle schlagen die Engines übrigens das klägliche 32… Sc6-e7 vor, wonach Schwarz weiter zurückgedrängt wurde und am Rande das Abgrunds wandelt. Natürlich spielte Alexandar Zvetkov stattdessen das kritische 32… Sc6xd4+ und bekam die Pointe der weißen Kombination nach 33. Ke2-d3 Dg7xe5 demonstriert: 34. Dc1-c8+ Kg8-g7 35. Dc8-h8+!!. Scheinbar führt diese Abwicklung letzten Endes sogar zu Bauernverlust, doch bei näherer Betrachtung geht der schwarze Springer nach 35… Kg7xh8 36. Sg5xf7+ Kh8-g7 37. Sf7xe5 einfach mitten auf dem Brett verloren! Unglaublich! Schwarz zögerte den aussichtslosen Widerstand noch bis zum 41. Zug hinaus, konnte aber natürlich die Niederlage nicht abwenden.
107. Korchnoi – Petersons, Kiew 1965
Stellung nach dem 31. Zug von Schwarz
Es gibt schwierigere Aufgaben in dieser Sammlung als die hier vorliegende, aber Korchnois Epaulettenmatt gehört zu den schönsten und bekanntesten Exemplaren dieser Gattung.
Leider streckte Schwarz schon nach 32. Dg7xe7+!! die Waffen, weil er sich das erzwungene Matt nach 32… Ke8xe7 33. Tg3-g7+ Ke8-e8 34. Se4-f6# nicht mehr zeigen lassen wollte.
108. Botwinnik – Keres, Moskau 1966
Stellung nach dem 26. Zug von Schwarz
Im Herbst seiner Karriere spielte der ehemalige Weltmeister Botwinnik einen seiner bekanntesten Schlusszüge. Sein Opfer war dabei wieder einmal sein Lieblingsgegner Paul Keres. Die brettumfassende Dimension des Ablenkungsopfers 27. Tb1-b8!! ist dennoch sehr ästhetisch. Keres sah sich zur Aufgabe genötigt, da die schwarze Dame die Deckung des Feldes h4 nicht mehr aufrechterhalten kann und die weiße Dame nach ihrem Auftauchen dort rasch mattsetzt
109. Kostro – Simagin, Varna 1966
Stellung nach dem 15. Zug von Weiß
In dieser scharfen Schlacht, die aus einem Sizilianer hervorgegangen war, brachte Großmeister Vladimir Simagin hier ein bemerkenswertes defensives Damenopfer mit 15… Sd5xf4!!. Anstatt sich weiterhin Gedanken über die lästige Fesselung auf der d-Linie machen zu müssen, wirft Schwarz um einen relativ geringen Preis seine größten Sorgen über Bord. Für die Dame erhält Schwarz nicht nur Läufer und Turm, sondern auch eine nachhaltig geschwächte weiße Köniigsstellung und ein schönes Läuferpaar. Nach dem forcierten 16. Td1xd8+ La5xd8 bleibt von der weißen Initiative jedenfalls nichts mehr übrig, zumal die schwarze Stellung frei von Schwächen ist und eine harmonische Entwicklung gestattet.
Zwar mögen die Engines zunächst weniger begeistert sein, aber mit fortwährender Spieldauer erkennen sie immer mehr die schwarze Kompensation an. Außerdem ist die weiße Stellung für einen Menschen psychologisch unangenehm, weil sich nun keine einfache Strategie mehr auftut und die geschwächte Stellung sorgsam behandelt sein will. Weiß unterlag tatsächlich im 29. Zug.
110. Gligoric – Averbach, Titovo Uzice 1966
Stellung nach dem 34. Zug von Schwarz
Es ist gut möglich, dass sich Juri Averbach in Gedanken hier schon den weißen Freibauer einsacken sah und dann wegen der ungelenken Stellung des weißen Turms trotz des dann gleichen Materials vielleicht sogar auf Sieg hätte spielen können. Gligorics Antwort riss ihn jedoch jäh aus allen Träumen, denn 35. Th3-h6!! dürfte Schwarz kaum auf dem Schrim gehabt haben. Die Annahme des Opfers würde nach zwei konsekutiven Damenschachs auf d4 und d5 rasch verlieren, weshalb Averbach 35… Dd8-d7 zog, damit seinen Turm deckte und die Drohung, auf h6 zu nehmen, damit erneuerte. Mit dem nächsten Traumzug 36. Th6-e6!! zog Weiß jedoch abermals den Kopf aus der Schlinge. Schwarz fand nun nichts Besseres als die wenig erfreuliche Abwicklung 36… Dd7xe6?! 37. d6-d7 Tc6-d6 38. d7-d8=D+ Td6xd8 39. Dd1xd8+ De6-g8, die ihn nach 40. Dd8xb6 nicht nur in eine passive Lage brachte, sondern ihm auch nach wie vor einen Bauer weniger bescherte. Der schwarze Plan, den weißen Freibauer ohne gegnerische Kompensation einzusacken, war damit gescheitert. Gligoric siegte im 87. Zug.
Mit 36… h7-h6! 37. Dd1-d5 Tc6-c5 hätte Schwarz mehr Widerstand leisten können, wäre aber natürlich auch dann in einer schwierigen Lage gewesen. Was jedoch für immer bleibt, sind die zwei unfassbaren Züge des unverwundbaren weißen Turms, der aus dem Abseits mitten ins Geschehen eingriff und dazu beitrug, den kostbaren Freibauer in einen anderen Vorteil umzumünzen anstatt ihn einfach ersatzlos zu verlieren.
111. Hecht – Keene, Brunnen 1966
Stellung nach dem 24. Zug von Schwarz
Schnallen Sie sich an und machen Sie sich auf ein außergewöhnlich komplexes Beispiel gefasst!
Der deutsche Meister Hans-Joachim Hecht (leider am besten bekannt für seine berühmte Niederlage gegen Mikhail Tal bei der Schacholympiade 1962 im bulgarischen Varna) hatte diese zweischneidige Stellung bestimmt absichtlich angestrebt, denn er präsentierte hier sicherlich voller Stolz den Zug 25. Td1-d5!, der die lange Diagonale einen Zug lang entscheidend versiegelt und nach 25… e6xd5 die Bombe 26. De2-h5!! ermöglicht. Raymond Keene versuchte in seiner Verzweiflung noch 26… Lc5xf2+, aber nach 27. Kg1xf2 Sd6-e4+ 28. Sg5xe4 g6xh5 29. Ta1-g1+ wurde er in zwei Zügen mattgesetzt. Eine traumhafte Kombination!
Großmeister Alexander Kotov veröffentlichte dieses Beispiel auch als Demonstrationsobjekt für ein Verstellungsopfer in seinem Lehrbuch der Schachtaktik (Band 1) und pries vollkommen ahnungslos sowie unkritisch die Schönheit der weißen Kombination. Vermutlich hatten auch beide Spieler noch lange nach der Partie nicht die schockierende Wahrheit geahnt, dass hier in Wirklichkeit Schwarz und nicht Weiß auf Gewinn steht …!
Hechts schönes Turmopfer ist natürlich so oder so erzwungen, denn ohne diesen Zug stünde Weiß klar auf Verlust. Wegen der Optik und der höchst versteckten Widerlegung sei Hechts Zug immer noch mit einem Ausrufezeichen geschmückt, aber es ändert leider nichts daran, dass die Engines mal wieder ein Haar in der Suppe entdecken und mit knallharter Logik das weiße Konzept widerlegen. Das geht so: zunächst wird mit 25… Sd6-e8! der Stachel im schwarzen Fleisch befragt. Auf 26. Lf6-e5 geschieht nicht etwa das zu erwartende, aber maue 26… e6xd5? wegen 27. De2-h5!! Se8-f6 28. Lc2xg6!!, sondern der unfassbare und für Menschen zunächst gar nicht verständliche Zug 26… Se8-f6!!. Damit wird die Idee De2-h5 vorübergehend aus der Stellung genommen und die Drohung, auf d5 zu nehmen, erneuert. Weiß muss also 27. Le5xf6 ziehen, aber dann erhellt die Pointe nach 27… e6xd5 28. De2-h5, denn auf 28… Lc5xf2+! würde diesmal der Läufer auf f6 mit Schach fallen, falls Weiß auf f2 zugreift. Diese Option hatte Schwarz in der Partie nicht, da dort der Springer auf d6 im Wege stand und nach dessen „Entsorgung“ auf e4 der schwarzfeldrige Läufer auf f6 wieder mit Schachgebot gedeckt war! Durch die rechtzeitige Vernichtung des eigenen Springers von Schwarz steht Weiß auf Verlust, denn auch 29. Kg1-f1 würde natürlich wegen 29… Dc6xc4+ verlieren. Schwarz kann danach entweder mit Schach den Läufer auf c2 beseitigen oder mit der Dame notfalls entscheidend nach h4 schwenken – in beiden Fällen mit klarem Gewinn. Auch 29. Kg1-g2 würde wegen 29… d5xc4+ 30. Lc2-e4 Dc6xe4+! 31. Sg5xe4 Lc6xe4+ 32. Kg2xf2 g6xh5 nichts ändern, da Schwarz den letzten Versuch 33. Ta1-g1+ einfach mit 33… Le4-g6 entkräftet und gewinnt.
Kaum zu glauben, dass der weiße König den Verstrickungen nicht entkommen kann, aber hier zeigt sich eben wieder einmal die furchterregende Spielstärke heutiger Engines, die aus einer vermeintlich perfekten Kombination Kleinholz machen und als Spielverderber auftreten.
Hätten Sie etwa diese Widerlegung gefunden?
112. Petrosian – Gheorghiu, Moskau 1967
Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz
Unser heutiges Arsenal an typischen Ideen wäre ohne die ikonischen Beiträge des neunten Weltmeisters, Tigran Petrosian, entschieden ärmer. In dieser Stellung beispielweise dürfte seine Idee stärkeren Spielern absolut geläufig sein, doch damals kam dieser Einfall einer Offenbarung gleich. Wahrscheinlich glaubte der rumänische Großmeister Florin Gheorghiu mit dem erzwungenen Abtausch des weißen Fiacnhettoläufers etwas Signifikantes erreicht zu haben. Petrosian spielte daher in dieser Stellung 15. e2-e4! und baute damit das berühmte Botwinnik’sche Bauerndreieck c4-d3-e4 auf. Gheorghiu spürte offenbar die ihm drohende Gefahr nicht und nahm – ganz nach Plan – auf g2, was sich im Nachhinein aber als keine gute Idee erwies. Mit dem cleveren letzten weißen Zug hatte Petrosian nämlich seinen „guten“ Läufer in einen „schlechten“ verwandelt und damit bei diesem Tausch letztlich den wertvolleren Läufer erhalten: den weißfeldrigen Läufer Gheorghius. Der Rumäne hätte angesichts der nun gänzlich anderen Konstellation besser den Läufer nach e6 zurückgezogen, aber das neuartige Konzept hatte ihn wohl verwirrt. Tigran Petrosian strebte nach 15… Lh3xg2?! 16. Kg1xg2 konsequent eine Stellung an, in der er mit dem Springer gegen den schlechten schwarzfeldrigen Läufer des Gegners spielen würde. Die vermeintliche Schwächung des Feldes d4 ist ohne Belang, da Weiß einen dort auftauchenden Springer stets gegen seinen Läufer abtauschen kann, wonach das Feld mit einem Bauer verstopft und somit für den Gegner nutzlos wäre. Die weiteren Züge belegten die Korrektheit dieser Einschätzung, denn es folgte 16… g7-g6 17. h2-h4 Lf8-g7 18. h4-h5! g6-g5 19. Sc3-d5 Sc6-d4 20. Sd5-e3 f7-f5 und nun das konsequente 21. Lc1-b2!. Eine optimale Wahl hat Schwarz nun nicht: nach der Partiefortsetzung 21… f5xe4 22. d3xe4 hatte Weiß einen kleinen, aber dauerhaften Vorteil herausgeholt. Die Nutzlosigkeit seines Läufers konnte Gheroghiu auch nicht mit aktivem Figurenspiel kompensieren – er unterlag im 41. Zug.
Petrosians hervorragendes Gespür für Veränderungen in der Bauernstruktur und die damit einhergehenden Folgen war seinerzeit nahezu konkurrenzlos. Ich kann jedem Schachfreund das Buch Python Strategy (Quality Chess) mit einer ausführlichen Sammlung seiner Partien nur jedem Schachfreund ans Herz legen – zumindest, wenn seine Englischkenntnisse ausreichen.
113. R. Byrne – Fischer, Sousse 1967
Stellung nach dem 13. Zug von Weiß
Nichtsahnend hatte Großmeister Robert Byrne in dieser Stellung gerade rochiert, als er einen Schock erlitt, mit dem er beim besten Willen nicht rechnen konnte. Heutzutage ist diese Idee allen Sizilianisch-Spielern geläufig, aber damals war dies eine fundamental neue Ressource, die Weiß bereits an den Rand des Abgrunds bringt: Fischer spielte hier das sensationelle 13… h7-h5!! und verhindert damit nicht nur jedwede weiße Idee in Verbindung mit Lg5xf6 nebst Sg3-h5, sondern droht natürlich auch noch den weißen Springer von g3 zu verjagen, um anschließend mit b5-b4 den anderen Verteidiger des e-Bauern auch noch zu entwurzeln.
Was soll Weiß in dieser Stellung unternehmen? 14. Lg5-h4 kann nach 14… b5-b4 15. Sc3-a4 (der Sprung nach d5 würde nach 15… Sf6xd5 16. Lb3xd5 Le7xh4 17. Ld5xb7 Dd8-b6+ eine Figur kosten – stattdessen würde Weiß nach 15. Lh4xf6 Sd7xf6 zwar keine Figur verlieren, aber nach 16. Sc3-d5 Lb7xd5 17. Lb3xd5 Dd8-b6+ 18. Kg1-h1 h5-h4 in einen stürmischen Angriff geraten) 15… Sf6xe4 nicht überzeugen, da Weiß einfach einen Bauer weniger hat.
Byrne wollte seinen Springer auf g3 bewahren und wählte in der Partie 14. h2-h4, was allerdings nach 14… b5-b4! 15. Lg5xf6 Le7xf6 16. Sc3-d5 Lf6xh4 17. Sg3xh5 Dd8-g5! 18. f5-f6! g7-g6! zu einer für Schwarz gewonnen Stellung nach 19. Sh5-g7+ Ke8-d8! führt, auch wenn diese kompliziert bleibt. Fischer gewann im 28. Zug.
Robert Byrne konnte einem in dieser Stellung fast schon leid tun, dass er völlig ahnunglos mit einer damals neuen Idee von solcher Wucht konfrontiert wurde!
114. Korchnoi – Udovcic, Leningrad 1967
Stellung nach dem 24. Zug von Schwarz
Einen besonders kühnen Zug musste Viktor Korchnoi hier voraussehen, als er sich hier für das scheinbar naheliegende 24. Sf3xg5!! entschied. Hätte Schwarz das volle Ausmaß der Gefahr erkannt, dann hätte er hier wohl 24… Kf8-g8 bevorzugt, um nach 25. Lb4xe7 Dd8xe7 26. Sg5-f3 ein schlechteres Endspiel zu verteidigen. Udovcic glaubte jedoch, seinen renommierten Gegner in eine Falle gelockt zu haben und spielte hier stattdessen 24… Kf8-e8?, wohl in der Hoffnung, dieselbe Variante wie gezeigt zu erreichen, nur mit dem König auf e8 anstatt g8. Korchnoi machte diese Hoffnung jedoch zunichte, als er mit 25. Ld3-b5+ Lc8-d7 26. Sg5xe6!! fortsetze. Die weiße Dame ist wegen des Matts auf g7 unantastbar, und auf 26… Ld7xb5 würde der Knaller 27. Tc1-c7!! am elegantesten gewinnen. Udovcic wählte daher 26… f7xe6, doch war seinem König nach 27. Dh4-h5+ Ke8-f8 28. Tc1-c3 Th8-h7 29. Dh5-g6 Th7-g7 30. Dg6xh6 Ld7xb5 31. Tc3-g3 nicht mehr zu helfen. Schwarz gab daher in dieser Stellung auf.
115. Fischer – Myagmarsuren, Sousse 1967
Stellung nach dem 28. Zug von Schwarz
Fischers berühmte Entscheidung in dieser Partie ist wiederholt mit dem Prädikat „tödlichster stiller Zug aller Zeiten“ versehen worden. Es ist nicht so, dass Weiß keinen anderen Gewinnweg als den von Fischer gewählten gehabt hätte, aber erstaunlich kaltblütig ist die Wahl des exzentrischen US-Amerikaners schon. Er spielte hier das unschuldig anmutende 29. Lh3-g2!! und dürfte seinen mongolischen Gegner damit tüchtig überrascht haben. Dieser antwortete erwartungsgemäß mit 29… d3xc2, worauf Fischer mit 30. Dg5-h6! fortsetzte. Schwarz zog darauf 30… De8-f8 (nichts hätte auch 30… c2-c1=D+ 31. Ta1xc1 Tc8xc1+ 32. Kg1-h2! geändert) und wurde sehenswert mit 31. Dh6xh7+!! Kg8xh7 32. f5xg6+ und Matt im nächsten Zug erlegt. Die Vorbereitung des Läuferschwenks nach e4 mutet plötzlich ganz selbstverständlich an!
Der einzige Weg, den Mattmechanismus zu zerstören, hätte in dem sofortigen 29… De8-f8 bestanden, doch auch in diesem Fall hätte Weiß nach dem einfachen 30. c2xd3 oder dem objektiv stärkeren 30. Lg2-e4 mit Vorbereitung eines Opfers auf g6 entscheidenden Vorteil behalten. So oder so gibt es in der Schachgeschichte nur ganz wenige andere Züge, die derart „still“ und doch so tödlich sind.
116. Kotov – Saizev, Sochi 1967
Stellung nach dem 18. Zug von Weiß
Einen selten schönen Gegenangriff kontte Großmeister Igor Saizev in dieser zunächst trostlos anmutenden Stellung initiieren. Sein Gegner, der erfahrene Großmeister Alexander Kotov, hatte nach eigenem Bekunden natürlich noch mit 18… Lc8xf5! 19. De4-e8+ Kf7-g7 20. Td8xa8 gerechnet, aber danach die Berechnung als günstig für Weiß abgebrochen. Das erwies sich als schwerer Fehler, denn nach dem dreist anmutenden 20… Kg7-h6!! war Weiß plötzlich in großen Schwierigkeiten. Es droht nicht nur 21… Lf8-g7, sondern auch die gelüftete weiße Königsfestung gibt Anlass zu Sorge.
Weiß hat tatsächlich keinen Ausweg aus dieser misslichen Lage, zum Beispiel 21. Kc1-d2 Dc5-b4! 22. b2-b3 Db4-d6+ mit tödlichem Einstieg der schwarzen Dame auf d3. Auch 21. e3-e4 Dc5-e3+ 22. Kc1-b1 Lf8-g7 23. De8xh8 Lf5xe4+ 24. Kb1-a1 Lg7xh8 25. Ta8-e8 f6-f5 26. Sc3xe4 Lh8xb2+ verspricht Weiß keine Rettung. Nach Kotovs Partiezug 21. Th1-e1 verdeutlichte die Abwicklung 21… Lf8-g7 22. De8xh8 Lg7xh8 23. Ta8xh8 b7-b5!, dass Weiß materiell gesehen gar nicht so übel dran war. Die hoffnungslos übers Brett verstreuten und unkoordinierten weißen Kräfte sind jedoch kaum in der Lage, ernsten Widerstand zu leisten. Kotov unterlag im 39. Zug.
Saizews schockierender Königszug stellte die Bewertung der Position komplett auf den Kopf – und das, obwohl die halbe schwarze Armee unentwickelt ist und Weiß sogar schon mit seinen Schwerfiguren auf die gegnerische Grundreihe eindringen konnte. Schach ist ein konkretes Spiel!
117. Fomenko – Radchenko, Sowjetunion 1967
Stellung nach dem 25. Zug von Weiß
Es ist gut vorstellbar, dass viele Spieler hier minutenlang die Stellung begutachten könnten und doch nicht den schnellsten Weg zum Matt finden würden. Die Stellung des weißen Königs ist natürlich einfach erbärmlich, aber sorglos sollte Schwarz deswegen nicht werden. Der Nachziehende blieb aber hochkonzentriert und entkorkte hier den Zug, der das Matt in spätestens vier Zügen erzwingt: 25… Dd8-b6!!. Dieser diabolische und unwahrscheinlich elegante Zug, der die Dame einer gleich zweifachen Bedrohung aussetzt, krönt eine schöne Partie. Die Dame zu schlagen würde die tödliche a-Linie öffnen, während gegen die Drohung eines Damenschachs auf a6 sonst kein Kraut gewachsen ist. Weiß gab auf, denn auch die relativ beste Fortsetzung 26. Ka3-a4 hilft ihm nach 26… Db6-b5+ nebst 27… Db5-a6+ nicht weiter.
118. Keres – Portisch, Moskau 1967
Stellung nach dem 63. Zug von Weiß
Ob Paul Keres wohl ahnte, welche Überraschung ihn in dieser Stellung erwartete?! Die spontane Reaktion des Nachziehenden bestünde natürlich darin, irgendwie auf h4 zurückzuschlagen, doch dann würde der Anziehende dem schwarzen König mit 64. Kg2-f3 den Zutritt zur weißen Stellung verwehren. Daher spielte Portisch unerwartet 63… Kg5-f4!! und ließ den weißen Freibauer am Leben. Eine solche Kaltschnäuzigkeit hätten vermutlich nicht viele Spieler an den Tag gelegt, aber in Wirklichkeit hält der schwarze Läufer den Freibauer gut im Zaum. Nach 64. h4-h5 Kf4xe4 65. h5-h6 Sd3-f4+ 66. Kg2-f1 Le1-h4 67. Sa2-b4 Lh4-f6 hatte Schwarz eine ganze Menge erreicht: nicht nur ist der weiße Freibauer gebändigt, sondern auch der schwarze König konnte sich Zugang zur weißen Festung verschaffen. Nach 68. Kf1-e1 Ke4-f3 69. h6-h7 spielte Portisch das pragmatische 69… Lf6-g7!, was den Läufer aus dem Dunstkreis des weißen Springers entfernt und zugleich eine Art Zugzwangssituation schafft. Nach 70. Sb4-c2 Sf4-d5 71. Ke1-d2 Sd5-f6 vernichtete der ungarische Großmeister erst einmal in aller Ruhe den nervigen Freibauer und machte sich dann an die Verwertung des Vorteils, die ihm im 91. Zug auch gelang.
119. Bronstein – Saizew, Ost-Berlin 1968
Stellung nach dem 31. Zug von Weiß
Man kann nicht behaupten, dass Schwarz in dieser Stellung nicht alles versucht hätte, um die entsetzliche Stellung seiner Figuren auf a8 und b8 auszubügeln. Igor Saizev spielte hier das charmante Turmopfer 31… Tc5xc4+!, doch leider gibt es aus seiner Sicht im Schach keine Pflicht, ein angebotenes Opfer auch anzunehmen (was Schwarz nach 32. Kd4xc4?? gestattet hätte, mit 32… a6xb5+ 33. Kc4-b3 Ta8xa3+ 35. Kb3xa3 Lb8xd6+ den Spieß umzudrehen!). Bronstein spielte stattdessen viel stärker 32. Kd4-d5! und hatte nach dem mehr oder weniger forcierten Abspiel 32… Tc4-c5+ 33. Kd5-e6 Tc5xe5+ 34. Ke6xe5 Kd8-d7 35. Ke5-d5 trotz so weniger verbliebener Steine ein so deutliches Übergewicht, dass Schwarz bald in Zugzwang gerät. Saizev gab zwei Züge später auf. Diese wunderbare Partie kommentiert Bronstein übrigens auf seine unnachahmliche Art und Weise in seinem Buch Der Zauberlehrling, das jedem seriösen Schachfreund unbedingt ans Herz gelegt sei.
120. Bronstein – Tal, Riga 1968
Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz
Der gleichermaßen listige wie findige David Bronstein gab sich in dieser Stellung nicht mit dem (durchaus auffindbaren) Vorschlag des Computers zufrieden, der wie folgt fortsetzen möchte: auf 15. Td1-e1+ Ke8-d8 16. Te1-e7 c7-c5 17. Te7xf7! Ld5xf7 18. Sg5xf7+ Kd8-c7 19. Sf7xh8 Ta8xh8 gibt das weiße Läuferpaar klar den Ton an – mit deutlichem Vorteil für Weiß nach 20. Lf1-b5.
Bronsteins tatsächlich gespielter Zug ist weitaus schockierender und psychologisch sehr unangenehm. Aus heutiger Sicht neigen wir dazu, spekulative Opfer wegen der gnadenlosen Kaltblütigkeit der Engines sehr viel schlechter einzuschätzen als damals. In einer praktischen Partie hat man indes keinen Computer – und wenn das Opfer ausreichte, um einen Exweltmeister in die Knie zu zwingen, dann kann die Partiefortsetzung wohl kaum so schlecht sein!
Bronstein spielte hier 15. g2-g3!! und konnte auch darauf bauen, dass Schwarz nach der erwzungenen Folge 15… Ld5xh1 16. g3xf4 in dem Variantendickicht nicht den besten Zug finden würde. Tal spielte hier jedenfalls 16… c7-c5?! und geriet nach dem unerwartet scharfen Abspiel 17. Lf1-c4 Lh1-c6 18. Sg5xf7 b7-b5! 19. Sf7-d6+! Ke8-e7 20. Sd6xb5 ins Kreuzfeuer der Läufer. Er hätte hier den Schaden mit 20… Lc6xb5! (anstelle von 20… Th8-f8?) im Rahmen halten können, doch wer gibt schon dem Gegner freiwillig das Läuferpaar in einer solchen Stellung? Tal unterlag im 43. Zug, doch kehren wir noch einmal zurück zum 16. Zug von Schwarz.
Der Computer zeigt, dass 16… 0-0-0! die beste Option gewesen wäre, obwohl Schwarz damit die Springergabel auf f7 zulässt! Nach 17. Sg5xf7 Lh1-f3 18. Td1-d3 Lf3-e4 19. Td3-g3 g7-g6 muss Weiß auf h8 nehmen und kann auf sein Läuferpaar pochen – im Gegenzug ist allerdings seine Bauernstruktur ramponiert, so dass Schwarz gute Remischancen behält.
Man kann also streiten, ob das Turmschach auf e1 anstelle von 15. g2-g3 die bessere Wahl gewesen wäre oder nicht. Da Schach weit mehr als nur ein Spiel von kühler Logik ist, sollten emotionale Faktoren bei so einer Entscheidung stets berücksichtigt werden. Ich bleibe deswegen dabei, dass Bronsteins Zug die entsprechende Würdigung verdient.
Ich hoffe, auch im dritten Teil der Serie wieder bemerkenswerte Beispiele zusammengetragen zu haben und stelle die Fortsetzung mit Teil vier schon mal in Aussicht!