Im Jahre 1990 erlebte die Welt den letzten von insgesamt fünf WM-Kämpfen zwischen Garri Kasparov und Anatoli Karpov. Mit dem heranrückenden Ende der K&K-Ära betreten neue, junge Talente die internationale Bühne – Spieler wie Anand, Kramnik, Kamsky und Ivanchuk mischen die Elite nun kräftig auf und drängen unerbittlich nach oben. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird das Profitum im Westen für die Spieler aus dem ehemaligen Ostblick immer attraktiver und leichter realisierbar. Kasparov muss in diesem Jahrzehnt alles aufbieten, um seine Dominanz zu bewahren (und wird es letztlich auch schaffen). Karpov rafft sich noch einmal auf, aber nach seinem letzten großen und überragenden Triumph in Linares 1994 wird er sich in den Jahren danach allmählich von der Weltelite des Schachs verabschieden.
Das einleitende Diagramm zeigt Kasparov bei dem Unterfangen, seine jungen Herausforderer zu bändigen. In diesem Fall traf es Vladimir Kramnik, der hier laut Jan Timman von einem der schönsten Züge der Schachgeschichte kalt erwischt wurde. Wenn Sie nicht erkennen, wie Kasparov hier mit den weißen Steinen fortsetzte, dann springen Sie einfach zu Beitrag Nr. 238 und lassen sich verzaubern!
201. Beljawski – Christiansen, Reggio Emilia 1987
Stellung nach dem 37. Zug von Schwarz
Diese berühmte Stellung wurde wiederholt als die „Mutter aller Schwindel“ bezeichnet. Alexander Beljawski setze in dieser haushoch gewonnenen Stellung nämlich mit 38. De6xf6?? fort und musste zu seinem Entsetzen feststellen, dass er nach 38… Ta2-h2+! und dem zwangsläufigen Schlagen des feindlichen Turms wahlweise dem Dauerschach durch Turmschachs auf der g-Linie oder der Pattfalle des Gegners nicht entkommen kann. Stattdessen hätte das zuvor eingestreute 38. Td7-h7+! dem Spuk ein Ende bereitet, denn nach 38… Kh6xh7 nimmt Weiß einfach die gegnerische Dame und steht danach klar auf Gewinn. So hingegen verschenkte der Anziehende einfach den Sieg.
202. Donchev – Nikolov, Bulgarien 1987
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
In diesem Duell setzte der nur wenig bekannte bulgarische Großmeister Dimitar Donchev nicht etwa mit dem natürlichen (und keineswegs schlechten) 20. Df3-g3 fort, sondern wählte stattdessen 20. f5-f6!! und gab seine Dame preis. Der Internationale Meister Sasho Nikolov konnte der Versuchung, die weiße Dame zu nehmen, letztlich nicht widerstehen und setzte mit 20… Lb7xf3 fort (obwohl 20… Tf8-g8! bessere Chancen versprochen hätte). Nach dem offensichtlichen 21. f6xg7+ Kh8xg7 22. Lg5-f6+ Kg7-h6 setzte Weiß den Angriff vollkommen zurecht mit 23. Lg2xf3! fort und verzichtete stattdessen auf das verlockende 23. g4-g5+?, was nach 23… Kh6-h5 24. Lg2xf3+ Kh5-h4 objektiv tatsächlich zu einer Verluststellung führt. In der Partie hatte Schwarz dagegen nichts Besseres als 23… Tf8-g8 24. Th1-g1 Dd7xe7 25. Lf6xe7, worauf sich Weiß schließlich im 81. Zug durchsetzen konnte.
Ein solch langfristiges Damenopfer sieht man auch nicht alle Tage!
203. Gauglitz – Cs. Horvath, Debrecen 1987
Stellung nach dem 43. Zug von Weiß
Möglicherweise spielte der ungarische Großmeister Csaba Horvath hier die Kombination seines Lebens, denn neben der grandiosen Ästhetik setzt der schwer im Voraus zu sehende Schlusszug, ohne den die Kombination scheitern würde, dem Abspiel die Krone auf.
Der Nachziehende wählte hier 43… e6-e5!! und erkannte, dass 44. Dd4xd5 mit 44… Df5xf4+ und Gewinn beantwortet werden kann, da dem Anziehenden wegen seines hängenden Turms auf h2 keine befriedigende Antwort zur Verfügung steht. Nach dem Partiezug 44. Dd4xe5 hatte Schwarz alles richtig berechnet – wie die Partiefortsetzung bewies: 44… Df5-c2+ 45. Kf2-g3 (die Damen kann Weiß wegen des folgenden Spießes nicht tauschen) 45… Tb1-g1+ 46. Kg3-h3. Was jetzt? Es scheint, dass sich der Nachziehende verrechnet hat, da auf 46… Ld5-e6+ einfach 47. De5xe6 möglich ist. Die wahre Größe der schwarzen Kombination bestand aber darin, dass er erkannt hatte, sich hier trotz eines Minusturms den stillen Zug 47… Dc2xc5!! erlauben zu können. Weiß hat keine Schachgebote und sieht sich zwei hängenden Schwerfiguren sowie einer potentiellen zweizügigen Mattdrohung auf f5 gegenüber. Der Anziehende hat tatsächlich keine Ausrede mehr und musste die Partie folgerichtig aufgeben!
204. Waitzkin – Frumkin, New York 1987
Stellung nach dem 24. Zug von Schwarz
Joshua Waitzkin galt eine Zeitlang als das größte amerikanische Schachtalent seit Bobby Fischer. In dieser berühmt gewordenen Partie spielte der 11-jährige Knabe den unbekümmerten Knaller 25. Te1-e3!! und ließ damit seine ungewöhnlich hohe Spielstärke für sein Alter aufblitzen. Schwarz hätte das Angebot mit 25… Tf8-g8 auf Kosten einer wenig beneidenswerten Stellung ablehnen sollen, glaubte aber wohl, sich stattdessen 25… Sb2xd1?? leisten zu können. Dass dies keine gute Idee war, wies der Youngster mit einem forcierten Mattangriff nach 26. Dg4xg7+!! Kh8xg7 27. Lh4-f6+ Kg7-g6 28. Te3-g3+ Kg6-h6 29. Lf6-g7+ Kh6-h5 30. Tg3-g5+ Kh5-h4 31. Sd4-f3# sicher nach.
205. Andruet – Spassky, Deutschland 1988
Stellung nach dem 28. Zug von Weiß
Auch im Spätherbst seiner Karriere trat Boris Spassky noch in der Schachbundesliga an und bewies, dass er auf diesem Niveau gut mithalten konnte. In dieser gar nicht so dramatisch anmutenden Position spielte er nämlich aus heiterem Himmel den Knaller 28… Df6-f3!! und erzwang damit die gegnerische Aufgabe. Die Alternative hätte darin bestanden, nach dem trostlosen 29. g2xf3 Se5xf3+ 30. Kg1-h1 Ld7-h3 auf g2 unweigerlich mattgesetzt zu werden.
206. Hodgson – S. Lalic, London 1988
Stellung nach dem 23. Zug von Schwarz
In dieser Partie gegen die Ehefrau von Großmeister Bogdan Lalic war der englische Großmeister Julian Hodgson in Schwierigkeiten geraten, die in dieser Stellung kulminierten. Die angegriffene weiße Dame muss den wunden Punkt g2 decken, wodurch die Verteidigung überlastet scheint. Allerdings kam der weiße Turm auf b4 hier auf eine Art und Weise zu Hilfe, die alles andere als naheliegend erscheint. Hodgson zog hier nämlich 24. c2-c4!! und griff seinerseits die feindliche Dame an. Da Schwarz derzeit einen ganzen Turm weniger hat, ist die Antwort 24… d4xc3 erzwungen. Das En-passant-Schlagen hatte Weiß jedoch keinesfalls übersehen, denn die schwarze Antwort ermöglichte es ihm, den aufdringlichen schwarzen f-Bauer mit 25. Tb4xf4 zu beseitigen und seiner Dame aus der Klemme zu helfen. Schwarz sollte nach 25… Ke8xd8 mittelfristig auf Verlust stehen, doch die Partie endete schließlich remis im 42. Zug.
Eine derart elegante Räumung einer Reihe durch einen erzwungenen En-passant-Zug dürfte es auch noch nicht so oft gegeben haben!
207. Psakhis – Speelman, Hastings 1988
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß
Die Beweggründe für die Wahl der folgenden Züge beider Spieler sind recht interessant: Speelman äußerte sich im Nachhinein dahingehend, dass er seine Stellung nach dem offensichtlichen 21… Sb4-d5 als kritisch einschätzte – zurecht, denn nach 22. b2-b4! entfaltet Weiß eine lästige Initiative, zum Beispiel: 22… a5xb4 23. a3xb4 Sd5xb4 (auf 23… Sc6xb4 folgt das lästige 24. e2-e4) 24. Lg2xc6 Sb4xc6 25. Tb1xb6 mit Druckspiel gegen die schwarze Stellung. Allerdings wäre der schwarze Nachteil stattdessen nach 21… Sb4-a6! überschaubar gewesen, da diesmal im selben Abspiel 23… Sc6xb4 problemlos möglich wäre.
Speelman gefiel aber auch dieses Abspiel nicht (warum auch immer …), und er wollte der Partie um jeden Preis eine Wendung geben. Er spielte daher das schockierende 21… Sb4-a2?! und hoffte auf die psychologische Wirkung des Schocks. Es hätte in der Tat eine Widerlegung gegeben nach 22. Tc1-c4 Sc6-d4, nämlich 23. Tb1-a1! Sd4-b3 24. Tc4-e4+ Ke7-f7 25. Ta1xa2 Td6-d1 26. f2-f4. Nach der Springergabel auf d2 bliebe Schwarz materiell klar im Nachteil, doch auch 26… Td1-c1 27. Te4-e3 a5-a4 28. Kf1-f2 ist letztlich ungenügend.
Psakhis spielte aber stattdessen das erheblich schwächere 23. b2-b3?! und gestattete Speelman damit, sein kühnes Manöver mit 23… Sd4-b5 24. Tb1-b2 Sa2-c3 25. a3-a4 Sc3-d1 26. Tb2-b1? (das stoische 26. Tb2-a2 war viel stärker!) 26… Sb5-a3 27. Tc4-c1 Sa3xb1 zu krönen. Schwarz siegte im 39. Zug, nachdem sich der inzwischen vollkommen verwirrt scheinende Lev Psakhis weitere Fehler erlaubte. Psakhis‘ Versuch, unter Druck den Springer fangen zu wollen, war somit krachend gescheitert. So oder so bleibt der kühne Rösselsprung lange im Gedächtnis haften!
208. Seirawan – Beljawski, Brüssel 1988
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß
In dieser von Alexander Beljawski schneidig vorgetragenen Angriffspartie schnitt er dem gegnerischen König elegant mit 21… Le4-f3!! den Weg ab. Der weiße König zappelt in einem Mattnetz, denn nach 22. g2xf3 g4xf3 23. Kf1-g1 Dd8-h8 gibt es kein Entrinnen. Seirawan bevorzugte daher die sofortige Aufgabe. Interessanterweise scheint dieses Beispiel Pate gestanden zu haben für die berühmt gewordene Partie Online-Blitzpartie Supi gegen Carlsen im Jahre 2020. Sie finden diesen Beitrag unter der Nummer 11 in 100 berühmte Damenzüge.
209. Kasparov – Smirin, Moskau 1988
Stellung nach dem 38. Zug von Schwarz
Keiner der anwesenden Zuschauer (einschließlich Großmeister Smirin selbst, wie er freimütig einräumte) sah, wie Weiß seinen Angriff mit einer Minusfigur fortsetzen sollte, doch Kasparov wies ihnen den Weg: mit 39. Te6xh6!! zwang er Schwarz brutal, angesichts der tödlichen Schachdrohung auf e6 zuzugreifen, doch auch das verzweifelte 39… Lg7xh6 half ihm nichts mehr: nach 40. Lh3-e6+ Kg8-h8 41. Df3-f6+ wird er erlegt (41… Kh8-h7 42. Df6-f7+ Lh6-g7 43. Le6-f5+, gefolgt von Schachgeboten auf h5, e6 und Matt auf f7) und gab daher auf.
210. Høi – Gulko, Thessaloniki 1988
Stellung nach dem 24. Zug von Schwarz
Der dänische Meister Carsten Høi spielte hier wohl die Partie seines Lebens, denn der Opferreigen, den er mit 25. Tg1xg7!! vom Stapel ließ, ist höchst sehenswert. Da 25… Sh5xg7 nach 26. Ld2xh6 nebst 27. Ta1-g1 zu einer tödlichen Fesselung mit Materialverlust führen würde, musste Boris Gulko mit 25… Kf8xg7 antworten. Darauf folgte in Form von 26. Ld2xh6+! das nächste Hinlenkungsopfer, das Schwarz annehmen muss (26… Kg7-h8 schafft wegen 27. Se4xd6! keine Abhilfe). Nach 26… Kg7xh6 folgte der Sperrzug 27. Ta1-g1!, der ein tödliches Damenschach auf e3 droht. Schwarz hat nichts Besseres als 27… f7-f5 28. Dd3-e3+ f5-f4, worauf der überraschende Zug 29. Se4xd6! eine Mattdrohung auf f7 aufstellt. Nach 29… Dc6xd6 krönte Weiß seine Partie mit dem sehr sehenswerten Matt nach 30. De3-d3 Sd7-f8 31. Dd3-h7+!! Sf8xh7 32. Tg1-g6#. Wem das nicht gefällt! Etwas hartnäckiger war zwar 30… Sh5-g3+ 31. Tg1xg3 Sd7-f8 mit vorsorglicher Räumung des Feldes h5, doch nach 32. Tg3-g6+ Kh6-h5 33. Tg6-g8! ist das Kamikaze-Opfer auf f8 mit Gewinn für Schwarz nicht zu verhindern.
211. Malinin – Andreev, Leningrad 1989
Stellung nach dem 16. Zug von Schwarz
In dieser Stellung präsentierte der Anziehende seinem vermutlich völlig verblüfften Gegner das scheinbar selbstmörderische 17. Sc3xd5!!. Weiß hatte jedoch auf 17… Tb8xb2 die erstaunliche Kombination 18. Sd5xe7+ Kg8-h8 19. Dc2xh7+!! Kh8xh7 20. Th1xh5+ Lg7-h6 21. Th5xh6+ Kh7-g7 22. Se7-f5+ Kg7-g8 23. Lg5-f6! vorbereitet. Angesichts der Mattdrohung hat Schwarz nun nichts Besseres als 23… Tb2-c2+ 24. Kc1xc2 Da5xa2+ 25. Lf6-b2 Da2-c4+ 26. Lb2-c3 f7-f6 (oder stattdessen 26… Dc4-a2+ 27. Kc2-c1 Da2-a3+ 28. Lc3-b2). Nach 27. Sf3-g5! Tf8-e8 krönte Weiß die Partie mit 28. Lg2-d5+!! Dc4xd5 (nun ist der schwarzfeldrige Läufer entfesselt – sehr wichtig!) 29. Th6-h8+!! Kg8xh8 30. Lc3xf6+ Kh8-g8 31. Sf5-h6+ Kg8-f8 32. Sg5-h7# auf ästhetische Weise.
Was für ein unglaubliches Meisterwerk!
212. Velikov – Dorfman, Palma de Mallorca 1989
Stellung nach dem 23. Zug von Weiß
In dieser Stellung überraschte Großmeister Dorfman seinen Gegner mit dem gänzlich unerwarteten 23… La6-c8!!. Wenn die weiße Dame daraufhin den Springer nimmt, dann kann Schwarz seinen Läufer nach e5 mit verheerender Wirkung ziehen. Der Anziehende favorisierte daher 24. Db8xc8+, doch nach 24… Lg7-f8 wurde der Sinn der Ablenkung der weißen Dame nach c8 deutlich: dadurch konnte der Nachziehende seinen wichtigen Springer auf f4 behaupten, der Weiß nun rasch den Garaus machen wird. Es folgte noch die beeindruckende Hetzjagd auf den weißen Monarchen nach 25. Kg1-f2 Th5-e5! 26. Kf2-e3 e4xf3+! 27. Ke3xf4 (oder 27. Ke3-d2 f3-f2) 27… d7-d6! (droht sofort Matt) 28. e2-e4 f3-f2 (droht erneut Matt) 29. Sd4-f3 f2xe1D 30. Ta1xe1. Nun krönte Dorfman sein Meisterwerk mit 30… h7-h5! 31. Sf3xe5 d6xe5+ 32. Kf4-g5 (auf das Schlagen des Bauern folgt ein Damenschach auf h2, gefolgt von – je nach Antwort – einem Schwenk nach d2 oder f4) 32… Kg8-g7!. Weiß gab auf.
213. Kupreichik – Sunye Neto, Palma de Mallorca 1989
Stellung nach dem 13. Zug von Schwarz
Schon bei flüchtiger Betrachtung gewinnt man in dieser Stellung rasch den Eindruck, dass Schwarz die Rochade zu lange hinausgezögert hat. Andererseits erweckt die Stellung nicht den Eindruck, dass es sich dabei um ein nennenswertes Versäumnis handelt, denn wie soll Schwarz letztlich an der langen Rochade gehindert werden? Viktor Kupreichik fand zwei Kraftzüge ensuite, die die Lage rasch zu seinen Gunst klärten: zunächst packte er den Hammer 14. Lc1-h6!! aus, der die schwarze Stellung gewaltig unter Druck setzt. Die relativ beste Fortsetzung hätte für Schwarz sicherlich in der wirklich nur äußerst schwer zu findenden Variante 14… Sf6xe4 15. De2xe4 g7xh6 16. Sd5-f6+ Ke8-f8! 17. Sf6xd7+ Dc6xd7! 18. De4-e5!! Dd7-c6 19. De5xh8+ Kf8-e7 bestanden, da er nach 20. Dh8-g7 Lc5xf2+ 21. Kg1xf2 Dc6xc4 noch halbwegs kämpfen kann.
Schwarz wählte stattdessen 14… 0-0-0 und hoffte dabei sicherlich auf das recht klägliche Abspiel 15. Lh6xg7 e6xd5 16. e4xd5 Dc6-d6, wonach Schwarz weiter kämpfen kann. Den Gefallen tat ihm Kupreichik jedoch nicht, sondern setzte zum zweiten Läuferhieb – diesmal auf der anderen Brettseite – an und schob mit 15. Lc4-b5!! den nächsten Knaller nach. Auf 15… a6xb5 16. a4xb5 wählte Sunye Neto das verzweifelte 16… Dc6-d6 und wurde nach 17. Sd5xf6 Dd6-f8 weiter vorgeführt mit 18. Lh6xg7! Df8xg7 19. De2-c4. Nun würde 19… Dg7-f8 mit 20. e4-e5! und vollständiger Paralysierung der schwarzen Kräfte folgen, zum Beispiel 20… Kc8-b8 21. Td1xd7. Auch der Partiezug 19… d7-d6 wurde mit 20. Td1xd6! schnell und effektiv entkräftet. Nach drei weiteren Zügen musste Schwarz aufgeben, nachdem er förmlich vom Brett gefegt worden war.
214. Olafsson – Levitt, Reykjavik 1990
Stellung nach dem 16. Zug von Schwarz
Hier verblüffte der isländische Großmeister Helgi Olafsson seinen Gegner mit einem Schocker, der zwar nicht forciert gewinnt, aber seine Wirkung nicht verfehlte: auf 17. Td6xe6!! f7xe6 18. Sf3-g5! darf Schwarz wegen des dann möglichen Damenschachs auf e6 (!) nicht auf g2 zugreifen. Jonathan Levitt setzte fort mit 18… h7-h6 19. Sg5xe4 Sb8-c6 20. Se4xc5, geriet aber sodann mit 20… Db7-c7? 21. Sc5xd7! vom rechten Wege ab und verlor nach sieben weiteren Zügen. Mit dem kaltblütigeren 20… Db7-b6! 21. Sc5xd7 Db6xe3 22. f2xe3 Ta8-c8 23. Lg2xc6 Tc8xc6 24. Sd7-f6+ hätte sich Schwarz nach 24… Kg8-f7 25. Td1xd8 Kf7xf6 stärker zur Wehr setzen können – ein Umstand, der Olafssons krassen Auftaktzug allerdings kein bißchen entwertet.
215. Seirawan – Timman, Hilversum 1990
Stellung nach dem 13. Zug von Schwarz
Schachfreunde, die mit Paul Morphys berühmter Pariser Opernpartie vertraut sind, dürften hier ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Der heute allseits bekannte Großmeister Yasser Seirawan opferte hier nämlich ganz im Stile Morphys mit 14. Td1xd7!! eine Qualität, um Schwarz nach 14… Td8xd7 15. Lf1-b5 an der Rochade zu hindern (diese würde einfach mit 16. Lb5xd7 und Figurengewinn beantwortet werden). Nach 15… Le5-d6 16. Th1-d1 0-0 17. Lb5xd7 De7xd7 18. Lg5-f4 konnte sich Jan Timman nicht mehr von der furchtbaren Fesselung auf der d-Linie befreien. Nach 18… c5-c4 19. Db3-c2 Sf6-e8 20. Sf3-g5 f7-f5 21. Dc2xc4+ Kg8-h8 22. Lf4xd6 Se8xd6 23. Dc4-d5 Tf8-d8 24. Sg5-e6 Dd7-c8+ 25. Kc1-b1 Td8-d7 krönte Seirawan sein Meisterwerk mit 26. Dd5xd6!! und erzwang die schwarze Aufgabe.
216. Kalegin – Yuferov, Moskau 1990
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
Gewiss ist die Position des schwarzen Monarchen in dieser Stellung etwas merkwürdig, doch immerhin hat Weiß ganze vier (!) Bauern ins Geschäft gesteckt, um diese zweischneidige Stellung zu erreichen. Es scheint nicht gut um Weiß zu stehen, da Schwarz demnächst den befreienden Zug e7-e5 ansetzen möchte und alle Chancen hat, den Angriff abzuschlagen. Das sah auch der Anziehende so und hatte offenbar frühzeitig den kühnen Plan ausgeheckt, hier mit dem Sperrzug 20. Te1-e6!! die Befreiung der schwarzen Stellung machanisch zu verhindern. Dass dabei ein ganzer Turm ins Geschäft gesteckt werden, schien Weiß nicht sonderlich zu stören – denn dem Nachziehenden steht eine lange und belastende Verteidigung bevor. Schwarz verteidigte sich übrigens eine Zeitlang auf dieselbe Weise wie auch heute von den Engines vorgeschlagen. Auf 20… f7xe6 21. Sd4xe6+ Kd8-c8 22. Dd1-g4 spielte er das starke 22… a7-a5!, was dem schwarzen Turm das Eingreifen über die 7. Reihe gestattet. Dagegen hätte das naheliegende 22… Sb8-d7? rasch verloren wegen 23. Dg4-f4! Sd7-e5 24. Df4xb4 Ta8-b8 25. Db4-a5, worauf Schwarz die Dame geben muss, um nicht mattgesetzt zu werden. In der Partie folgte 23. Se6xf8+ f6-f5!, was die weiße Dame daran hindern soll, über g7 in die schwarze Stellung einzudringen. Auf das erzwungene 24. Dg4xf5+ e7-e6 25. Sf8xe6 Sb8-d7 setzte Weiß mit 26. Ta1-c1 fort, was zu seinem Glück mit dem fehlerhaften 26… Ta8-a7? beantwortet wurde. Sämtliche Fallstricke zu umgehen ist nahezu unmöglich und wurde vom Nachziehenden bislang außerordentlich gut gemeistert. Hier stolpert er jedoch – stattdessen hätte er die taktische Anfälligkeit seiner Dame durch eine Gabel auf d6 mit dem Zug 26… De8-e7! aus der Stellung nehmen sollen. Der Ausgang der Partie wäre unklar geblieben, während Weiß jetzt nach 27. Sc5-e4! d5xe4 28. Tc1xc6+ das Kommando übernahm und im 33. Zug seinen Gegner tatsächlich mattsetzte.
Die Qualität der Partie wird sicherlich nochmals dadurch erhöht, dass das Opfer keineswegs zwingend durchschlägt und sich Schwarz lange Zeit gut verteidigte. Dem Mut des Anziehenden, einen solchen Zug auszuhecken, gebührt allerdings unser genauso großer Respekt!
217. Lesiège – Kozul, Toronto 1990
Stellung nach dem 17. Zug von Schwarz
Der kanadische Großmeister Alexandre Lesiège ist kein besonders bekannter Spieler, aber hier dürfte er zumindest die Partie seine Lebens gespielt haben: mit dem ausgesprochen fulminanten Opfer 18. Te1xe7+!!, dessen genaue Berechnung nicht so einfach war, zertrümmerte er die Verteidigungsbastionen seines Gegners. Ohne diesen Zug wäre die Stellung ziemlich unklar, da Schwarz immerhin zwei Bauern für die Qualität hat und eine Mehrheit am Damenflügel genießt, die durchaus gefährlich werden könnte. In der Partie folgte nun 18… Kf7xe7 19. Lc1-g5+ Lg7-f6 20. Dd1-e2+ Ke7-f8 (oder 20… Ke7-f7?? 21. Lg5xf6!) 21. Lg5-h6+!, was Schwarz vor große Probleme stellt. Auf 21… Kf8-f7 könnte nun die richtig kraftvolle Fortsetzung 22. Ta1-e1 Sb8-c6 24. De2-e8+! Dd8xe8 25. Lg2xd5+ De8-e6 26. Ld5xe6+ Kf7-e8 27. Le6-d5+ Ke8-d7 28. Ld5xc6+ mit Figurengewinn folgen.
Zdenko Kozul favorisierte daher 21… Lf6-g7, stand aber nach 22. De2-e5! Lg7xh6 23. Lg2xd5 genauso auf Verlust, obwohl Weiß erstaunlicherweise noch bis zum 61. Zug brauchte, um die Partie nach Hause zu führen.
Erstaunlicherweise nahm die weiße Figurenaktivität nach dem Turmopfer derartige Ausmaße an, dass selbst eine solch gewichtige Preisgabe von Material damit gerechtfertigt werden konnte. Gerne wüsste ich, ob der kroatische Großmeister den Einschlag vorausgesehen hatte oder vollkommen von ihm überrascht wurde …
218. Marovic – Benjamin, Toronto 1990
Stellung nach dem 44. Zug von Weiß
In dieser messerscharfen Stellung kommt es auf jeden einzelnen Zug an, denn schnell wäre die korrekte Stellungsbeurteilung eine komplett andere nach einer zweitklassigen Wahl. Der amerikanische Großmeister entschied sich richtigerweise für 44… f7-f5!! und musste lange im Voraus erkennen, dass dies der einzig korrekte Weg ist, um den versteckten Damenschwenk nach h7 anzudrohen. Weiß hat keine Zeit, den a-Bauer vorzuschieben, da das Schlagen auf g4 zu einem zweizügigen Matt führen würde. Was die Kombination aber so schwer zu berechnen macht, ist die Tatsache, dass je nach weißer Antwort die schwarze Riposte anders ausfällt. In der Partie folgte 45. e4xf5 e7-e5!!, was einen weiteren Bauer en passant hinstellt, aber das tödliche Damenmanöver auf der 7. Reihe vorbereitet und gleichzeitig den Damentausch auf e6 verhindert. Es folgte 46. De2-g2 Dd7-h7+! 47. Kh3-g3 g6xf5! 48. Dg2xg1 (oder stattdessen 48. a6-a7 f5-f4+ 49. Kg3-f3 Dh7-d3+ mit Matt) 48… f5-f4+ 49. Kg3-f3 Dh7-d3+ und Gewinn sieben Züge später.
Hätte Weiß allerdings im 45. Zug mit 45. g4xf5 auf die andere Art und Weise genommen, dann hätte das identische 45… e7-e5? wegen des Verstellungsopfers 46. De2-h5!! sogar verloren. Auf 46… g6xh5 würde sich Weiß mit 47. a6-a7 eine neue Dame holen und auf Gewinn stehen! Stattdessen lautet der richtige Zug diesmal 45… e7-e6!, damit Schwarz auf 46. De2-h5 mit dem stoischen, aber dennoch unglaublichen 46… e6xf5! antworten könnte. Nun würde tatsächlich weder 47. Sc4-b6 Dd7-b5 noch 47. e4-e5 d6xe5 etwas an der Situation ändern.
Faszinierend, nicht wahr?
219. Kasparov – Karpov, WM-Kampf, 20. Partie, Lyon 1990
Stellung nach dem 33. Zug von Schwarz
Mit dem Gewinn dieser Partie verschaffte sich Garri Kasparov einen entscheidenden Vorsprung im letzten von insgesamt fünf WM-Matches gegen Anatoli Karpov. Das ging bekanntermaßen so: 34. Dh4xh6+! Df6xh6 35. Sg5-f7+ Kh8-h7 36. Lb1xf5+ Dh6-g6 37. Lf5xg6+ Kh7-g7 38. Te8xa8. Nachdem Kasparov die Zeitkontrolle im 41. Zug geschafft hatte, stellte Schwarz die Uhr ab. In der 23. Partie konnte Karpov nochmals zurückschlagen, aber es reichte nicht mehr, um den Rückstand von zwei Niederlagen nach dieser Partie noch aufzuholen.
220. Shirov – Andersson, Biel 1991
Stellung nach dem 44. Zug von Weiß
Es ist gut denkbar, dass der noch junge Alexej Shirov hier die Inspiration für seinen späteren Jahrhundertzug in der sehr berühmt gewordenen Partie gegen Topalov 1998 (siehe Beitrag Nr. 2 in 100 berühmte Läuferzüge) erhielt, in der er ebenfalls aus heiterem Himmel in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern seinen eigenen Läufer einfach preisgab.
Der erfahrene schwedische Großmeister Ulf Andersson, stets bekannt für seine großartige Technik und geduldige Verwertung kleinster Vorteile in Endspielen, zog hier kurzerhand das verblüffende 44… Le1xh4!! und beraubte den Gegner damit seines größten Trumpfes. Nach der Vernichtung des feindlichen Freibauern muss der weiße Monarch dem gegnerischen König den Zutritt ins eigene Lager gestatten, wenn er den schwarzen Läufer beseitigt. Nach dem impulsiven 45. Kg4xh4? hatte Schwarz erreicht, was er wollte: während Weiß mit seinem verbliebenen Läufer keinen einzigen der feindlichen Bauern wird angreifen können, verschafft sich Schwarz Zutritt zum weißen Lager mit 45… Kg6-f5 46. Kh4-g3 Kf5-e4 47. Kg3-f2 Ke4-d3. Würde Weiß den c-Bauer mit dem Läuferschach auf e2 decken, dann verliert er den gegnerischen a-Bauer aus dem Auge. Andersson gewann im 53. Zug.
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass der reifere Alexej Shirov späterer Jahre die schwarze Provokation ignoriert und dem Zug 45. Kg4-f3! den Vorzug gegeben hätte, wonach es äußerst fraglich erscheint, ob Schwarz gewinnen kann. Shirov selbst gab an, dass Schwarz selbst dann gewinnt, indem er über die 1. Reihe (!) mit dem schwarzen König in die weiße Stellung eindringt. Leider ist dies nicht der Platz für eine eingehende Analyse, doch so oder so bleibt festzuhalten, dass Anderssons Zug seine Schockwirkung nicht verfehlt hatte!
221. Brodsky – Kramnik, Kherson 1991
Stellung nach dem 18. Zug von Weiß
Schon in jungen Jahren überspielte der unaufhaltsam nach oben strebende Vladimir Kramnik in schöner Regelmäßigkeit starke Gegner und beeindruckte mit der Variabilität seines Spiels. In dieser Stellung beispielsweise spielte einen seiner berühmtesten Züge und präsentierte dem verdutzten Gegner den Tiefschlag 18… Lf8-h6!!, welcher Kramnik eine Gewinnstellung einbringt. Die Beseitigung des kecken Läufers mit 19. Dh5xh6? scheitert an 19… Tf2xc2+!! mit nachfolgendem Matt auf b3 oder e2 – je nachdem, wie Weiß zurücknimmt. Ohne die zuvor erfolgte Ablenkung der weißen Dame wäre das Feld e2 gedeckt gewesen.
In seiner Not versuchte Weiß noch 19. Th1-e1, doch nach 19… a6xb5 20. Ld3xb5+ (oder stattdessen 20. Dh5xh6 La2-c4 mit deutlichen Mattdrohungen) 20… Ke8-e7! 21. Dh5-h4+ antwortete Kramnik mit 21… f7-f6 22. Dh4xf2 La2-f7! und verwertete seinen Vorteil, der hauptsächlich auf dem bärenstarken Läuferpaar beruht, sicher im 31. Zug.
222. Passov – Sammour-Hasbun, New York 1991
Stellung nach dem 21. Zug von Weiß
Heute kaum mehr bekannt, gehörte Jorge Sammour-Hasbun einst zu den Wunderkindern seiner Generation: er wurde der jüngste FIDE-Meister und war seinerzeit der jüngste Spieler, der einen Großmeister in einer Turnierpartie besiegen konnte. Durch eine lange Abstinenz vom Turnierschach geriet er allerdings rasch in Vergessenheit. Sein Potential ließ er in dieser Stellung mit 21… Te8xe3+!! aufblitzen. Nach 22. Df3xe3 Dg5-g2+ 23. Ke2-d3 würde das Schlagen des hängenden Turms zu einer Minusfigur führen, weshalb er lieber den starken Angriff mit dem kraftvollen 23… Tf8-d8+ 24. Kd3-c4 (oder 24. Sb3-d4 Lh4-f2) 24… Dg2-d5+ 25. Kc4-b4 Td8-b8+ 26. Kb4-a3 (oder 26. Kb4-c3 Lh4-f6+ 27. Sb3-d4 c7-c5) 26… Lh4-e7+! 27. De3xe7 Tb8xb3+!! sehenswert krönte. Weiß gab auf, da Matt im nächsten Zug folgt.
223. Belov – Prohorov, Tscheljabinsk 1991
Stellung nach dem 69. Zug von Schwarz
Eine der irrsinnigsten Partien aller Zeiten erleben wir hier. Trotz dreier Damen ist es eher Weiß, der ums Remis kämpfen muss: er zog hier 70. Dd8-e7!, aber der Nachziehende ließ sich nicht beirren, den angebotenen Köder in irgendeiner Weise zu nehmen (und sich mattsetzen zu lassen). Er zog stattdessen 70… Df1-f7 (vielleicht war 70… Lg6-f7!? noch etwas stärker) und konnte die Partie nach 71. De7xf7 Lg6xf7 72. De5-f5+ Kh7-g8 tatsächlich im 82. Zug zum Sieg führen. Fünf (!) Damen erlebt man selten genug, aber dass die Partei mit einer Dame mehr auch noch verliert, ist noch viel rarer!
224. Ivanchuk – Kasparov, Linares 1991
Stellung nach dem 22. Zug von Schwarz
Dieser Moment ging in die Schachgeschichte ein, denn Garri Kasparov dürfte hier die schlimmste Niederlage seines Lebens in einer Turnierpartie kassiert haben. Der aufstrebende ukrainische Jungstar Vasily Ivanchuk hätte hier sicherlich auch 23. f2-f4 mit einigem Vorteil spielen können, wählte aber stattdessen das unerwartete 23. c4-c5!? und spekulierte zurecht darauf, dass das erzwungene 23… d6xc5 mit passiver schwarzer Stellung überhaupt nicht dem Gusto des dynamischen Weltmeisters entsprechen würde. Es folgte stattdessen 23… Tc8xc5?, worauf der Sturm sofort mit 24. Sd2-c4 Ke8-f8 25. Sc4xb6 Ld7-e8 26. f2-f4! losbrach. Kasparovs Läuferpaar kam nie mehr zur Geltung in dieser Partie, während Ivanchuk einen der schönsten und wichtigsten Siege seiner Karriere verbuchen konnte. Als Kasparov im 38. Zug aufgab, stand seine Dame bei fast vollem Brett nutzlos auf h8 herum.
Unbedingt die ganze Partie nachspielen!
225. Yang – Nunn, Manila 1992
Stellung nach dem 22. Zug von Weiß
Eine spektakuläre Kombination erspähte Dr. John Nunn in dieser Partie, bevor er hier für Weiß unerwartet mit 22… Sh5xg3!! zuschlug. Weiß muss das Opfer nicht annehmen, verbliebe aber dann einfach mit einem Bauer weniger. Nach 23. Kh2xg3 folgte die Pointe 23… Dd8-h4+!!, was die Position des hängenden weißen Turms ausbeutet. In der Partie ging Weiß tatsächlich nach h2 zurück, gab die Qualität und verlor in weiteren drei Zügen. Das Nehmen der dargebotenen Dame mit 24. Kg3xh4 hätte ihn nach 24… f5-f4! allerdings auch nicht gerettet, da er nach 25. Kh4-g5 (anders ist die Mattdrohung auf f6 nicht zu parieren) 25… Tf7-f8 26. b2-b4 h7-h6+ 27. Kg5xg6 schön mit 27… Ld7-e8# zur Strecke gebracht würde.
226. Krasenkow – Sveshnikov, Moskau 1992
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
Eine geradezu dämonische Kombination, die viele sicherlich versäumt hätten, ließ der polnische Großmeister in dieser Stellung gegen seinen langjährigen Kompagnon Evgeny Sveshnikov vom Stapel: sein Zug 20. Sg4-h6+!! erscheint wie ein impulsives und nutzloses Schachgebot, doch nach 20… Kg8-h8 21. Tg2xg7!! Kh8xg7 22. Td1-g1+ Kg7-h8 packte Weiß den alles entscheidenden Hammer 23. Dd2-e2!! aus. Schwarz hat keine Ausrede, denn fast unabhängig vom nächsten schwarzen Zug, z.B. 23… Lc8-e6, wird Weiß auf f7 schlagen und entscheidenden Vorteil erlangen. Nur auf 23… Td8-e8 würde das profane 24. De2xe7 folgen.
227. Seirawan – Short, Amsterdam 1992
Stellung nach dem 16. Zug von Weiß
In dieser chaotisch anmutenden Stellung scheinen die Chancen durchaus verteilt zu sein, doch der zu Beginn der 90er-Jahre im Zenit seiner Fähigkeiten befindliche Super-GM Nigel Short entkorkte hier das überraschende 16… Sc6-b4!!, was Schwarz bei sorgfältiger Analyse schon entscheidenden Vorteil gibt. Wenn Weiß das Opfer nun annimmt, dann folgt 17. a3xb4 Le7xb4+ 18. Ke1-e2 (oder 18. Td1-d2 Le6xd5! mit tödlichem Angriff auf den Springer auf b3) 18… Ta8-c8! 19. Dc2-d3 Le6-d7 20. Ke2-f3 Lb4-e7! (mit Mattdrohung auf g4) 21. e3-e4 Le7xf6 mit praktisch gewonnener Stellung für den Nachziehenden, da die exponierte Position des weißen Königs die Partie zu seinen Ungunsten entscheidet.
Mit diesen wenig erfreulichen Aussichten konfrontiert versuchte Weiß stattdessen 17. Dc2-e4, doch nach dem einzigen deutlichen Gewinnzug 17… Ta8-c8! (droht ein Springerschach auf c2 mit Abzugsangriff auf die Dame) fand Weiß nicht das relativ beste 18. f2-f3, zog stattdessen das den Untergang beschleunigende 18. a3xb4? Le7xb4+ 19. Ke1-e2 Da4xb3 und konnte nun nicht einmal den hängenden weißfeldrigen Läufer nehmen, weil das einfache Zurückschlagen mit dem Bauer auf e6 die f-Linie tödlich öffnen würde. Nach dem doch verzweifelten Versuch 20. Lf6xe5 Tc8-c4! 21. Td1-d4 Tc4xd4 22. De4xd4 Le6xd5 stellte der Anziehende die Uhr ab, da gegen die tödliche Schachdrohung auf c2 kein Kraut gewachsen ist. Im 21. Zug hätten übrigens auch die Alternativen 21. Le5-d4 Tc4-c2+ 22. Ke2-f3 Le6xd5 oder 21. De4-d3 Le6-g4+! nichts geholfen.
228. Kr. Georgiev – Miles, Kreta 1992
Stellung nach dem 8. Zug von Schwarz
Der bulgarische Großmeister Krum Georgiev (der nicht mit seinem wesentlich bekannteren Landsmann Kiril Georgiev verwandt ist) spielte in dieser Partie eines der kreativsten Damenopfer, das mir je untergekommen ist – und das auch noch gegen einen Spieler, der selbst zu den erfindungsreichsten Vertretern des Schachspiels aller Zeiten gezählt werden kann. Jedenfalls dürfte Tony Miles hier kaum ernsthaft mit 9. Sf3xe5!! Lg4xd1 10. Lb5xd7+ Ke8-e7 gerechnet haben, obwohl dieses Motiv an sich vom Seekadetten-Matt her gut bekannt ist. In diesem Fall hält sich die Ähnlichkeit aber sehr in Grenzen, da keine Gefahr auf f7 droht und der weiße Angriff scheinbar schnell verpufft. Es zeigte sich aber rasch, dass Weiß nach der atemberaubenden Pointe 11. Se5-c6+!! b7xc6 12. d5xc6 prächtige Kompensation hat. Durch die entstandene Mattdrohung auf d5 gewinnt Weiß entweder noch den schwarzen Läufer oder Schwarz willigt in die Rückgabe seiner Dame ein. Miles entschied sich für die erste Option (obwohl die zweite die vermutlich etwas bessere war) und setzte fort mit 12… f7-f6 13. Ta1xd1 Ke7-f7 14. 0-0 Lf8-e7. Weiß hat nur einen Bauer und zwei Leichtfiguren für die Dame, aber die unkoordinierte Position der schwarzen Steine sowie das fehlende Gegenspiel geben Weiß weitere Trumpfkarten in die Hand. Tatsächlich rang der Anziehende seinen illustren Gegner im 38. Zug erfolgreich nieder.
229. Gelfand – Dreev, Tilburg 1993
Stellung nach dem 24. Zug von Weiß
Im Zenit seiner Kräfte arbeitete sich Großmeister Alexej Dreev bis auf Platz 11 der Weltrangliste vor, blieb aber meiner Wahrnehmung nach immer seltsam unterschätzt. Ich wäre nicht überrascht, wenn sein Gegner Boris Gelfand in dieser Stellung nur mit dem naheliegenden und keinesfalls schlechten 24… Sf6xh5 gerechnet hätte, denn 25. Dh4xh5+ Tg8-g6 ergibt eine zweischneidige Stellung – vorausgesetzt Weiß fällt nicht auf 26. Dh5xh7+?? Lf8-g7 herein, denn 27. Tf1-g1 Tg6xg1+ 28. Kh1xg1 Ta8-h8 29. Dh7-f5+ Lg7-f6 30. Df5-e6+ Kf7-g7 31. d5-d6 Dc7-f7 ist eine nahezu erzwungene Variante, an deren Ende Weiß höchstwahrscheinlich nicht ins Remis entkommen würde. Natürlich darf Weiß nicht auf h7 nehmen, sondern sollte einfach mit so etwas wie 26. Lc1-d2 Kf7-g7 mit verteilten Chancen fortsetzen. Übrigens würde sich in der Diagrammstellung das naheliegende 24… Kf7-e7?? 25. Lc1xf4! mit raschem Zusammenbruch der schwarzen Stellung eindeutig verbieten.
Der Weltklassegroßmeister verblüffte hier aber seinen Widersacher mit dem schockierenden Qualitätsopfer 24… Tg8-g6!!, das nach 25. Lh5xg6+ h7xg6 26. Tf1-g1 Lf8-e7 27. Dh4-h6 Ta8-g8 zu einer stabilen Stellung am Königsflügel führt und Weiß das Grübeln überlässt, was er nun gegen das schwarze Gegenspiel am Damenflügel zu unternehmen gedenkt. Auf das ziemlich naheliegende 28. a2-a3 könnte beispielsweise das hinterlistige 28… Lb7-c8!? folgen, denn nach dem zu erwartenden 29. f2-f3 folgt das scharfsinnige 29… Sf6-h5! mit spürbarer Einengung der weißen Dame und nicht geringen Problemen für Weiß. Angesichts dieser Aussichten bevorzugte Gelfand stattdessen 28. f2-f3, doch nach 28… b5-b4 29. Sc3-e2 zeigte sich eine weitere Quelle des schwarzen Gegenspiels in Form von 29… Sf6xd5! (auf 29… c4-c3!? könnte Weiß ein Springeropfer auf f4 erwägen). Auf 30. e4xd5 Lb7xd5 31. Tg1-f1 musste auch Dreev der Komplexität der Stellung Tribut zollen und wählte das suboptimale 31… Le7-f6?!, worauf Gelfand nach 32. Dh6-h7+ Tg8-g7 33. Dh7-h3 wieder Ausgleich erreicht hatte, aber trotzdem im 44. Zug verlor. Mit dem von den Engines empfohlenen 31… Dc7-c8! hätte Schwarz sein Spiel dagegen ohne weitere gegnerische Mithilfe krönen können: da die weiße Dame ziemlich verheddert ist und 32. Dh6-h7+ Tg8-g7 33. Dh7-h6 Dc8-g4! Weiß schwerlich gefallen kann, muss der Anziehende nun zu rabiaten Mitteln greifen und den Springer auf f4 opfern, wonach die Stellung verworren bleibt, aber Schwarz objektiv im Vorteil ist.
Wie sich der Nachziehende hier zu einem großartigen Qualitätsopfer durchrang und damit seine Stellung sicherte, macht gehörigen Eindruck – zumal viele schwächere Spieler diesen Zug gar nicht erwogen hätten!
230. Kamsky – Shirov, Luzern 1993
Stellung nach dem 25. Zug von Weiß
Wer mit Schwarz die messerscharfe Botvinnik-Variante der Halbslawischen Verteidigung spielt, sollte besser keine Angst vor tollkühnen Verwicklungen und spektakulären Zügen haben. Der durch seinen schneidigen Angriffsstil bekannt gewordene Super-GM Alexej Shirov bewies, dass er wie selbstverständlich über die notwendige Kaltblütigkeit verfügt und setzte hier ungerührt mit 25… Da6xa3! fort, obwohl sich sein König nach 26. Dh7-h8+ Kf8-e7 27. Th1-e1+ Ke7-d7!! einem Doppelschach auf vollem Brett ausgesetzt sieht! Da Schwarz ein dreizügiges Matt droht, die weiße Dame hängt und „normale“ Abzugsschachs mit einem Gegenschach beantwortet werden (wenn der schwarze Springer auf d1 zugreift), sind die weißen Optionen in Wirklichkeit rasch erschöpft. Das Doppelschach auf e6 beantwortet Schwarz mit einem Schritt des Königs auf die c-Linie (beide Felder gewinnen). Kamsky versuchte noch 28. Dh8-h3+, doch die starke und kaltblütige Antwort 28… Kd7-d6! verdeutlichte, dass Weiß sein Pulver nach 29. Ld5xb7+ Sb2xd1+ 30. Kc1xd1 Da3xa2 31. Dh3-g2 Da2-b1+ verschossen hat und aufgeben muss.
231. Xu Jun – Ivanchuk, Luzern 1993
Stellung nach dem 13. Zug von Weiß
Großmeister Vasily Ivanchuk hatte diese vollkommen verworrene Stellung absichtlich angestrebt, weil er offenbar lange im Voraus den einzig möglichen Zug für Schwarz hier berechnet hatte. Wenn Schwarz auf g7 nimmt, dann schlägt Weiß auf b2 mit dem Läufer und hat angesichts der schwarzen Schwächen eine prächtige Stellung. Das Schlagen auf c1 würde mit dem erzwungenen Schlagen auf f8 und dem anschließenden Nehmen auf c1 beantwortet, ebenfalls mit ausgezeichneter Stellung für Weiß. Wenn sich Schwarz auf a1 eine Dame holt, dann tut Weiß dasselbe auf h8 und steht auf Gewinn, da allerlei Läuferabzüge mit Damengewinn drohen.
Ivanchuk hatte aber alles im Griff und spielte das einzig korrekte 13… b2xa1=S!!. Durch den anschließenden Angriff auf die weiße Dame behält Schwarz nach 14. g7xh8=D?! Sa1xc2 vorübergehend eine Figur mehr, die für seine löchrige Königsfestung entschädigt (besser war wohl daher 14. g7xf8=D+ Th8xf8 15. Dc2-c3), aber Weiß erlag wohl der Illusion eines Angriffs, den er in der Partie mit 15. Lc1-g5 fortsetzte. Ivanchuk wollte das schwächende 15… f7-f6 wohl nicht unbedingt riskieren und setzte daher mit dem praktischeren 15… Lb7xf3!! fort, was wiederum nach 16. Lg5xd8 Lf3xe2 17. Ld8xc7 Tb8-b7 zu tollen, aber für Schwarz günstigen Verwicklungen führte. Schwarz siegte schließlich im 62. Zug.
232. Karpov – Kasparov, Linares 1993
Stellung nach dem 22. Zug von Weiß
Diese Partie muss Kasparov ein diebisches Vergnügen bereitet haben, denn in keiner anderen Partie gelang es ihm, seinen langjährigen Kontrahenten derart vorzuführen: die tragikomische Anordnung der weißen Figuren auf der Grundreihe spricht Bände, so dass auch andere Fortsetzungen als der Partiezug in Frage gekommen wären. Dennoch erleidet Weiß fraglos nach 22… c4-c3! die ungefähr schlimmste Demütigung, die sich überhaupt nur denken ließe: nach dem weiteren 23. Sc1xa2 c3-c2 verlor Karpov völlig die Contenance und zog 24. Dg1-d4??, woraufhin er nach 24… c2xd1=D+ 25. Ke1xd1 Sd7-c5 26. Dd4xd8 Tf8xd8+ 27. Kd1-c2 Se4-f2 in verlorener Stellung die Bedenkzeit überschritt. Nach einem Zug des angegriffenen Turms würde das Läuferschach auf f5 die Entscheidung bringen.
Mit 24. Td1-c1 Sd7xe5 25. Tc1xc2 Lc8-g4! hätte Weiß den Widerstand in die Länge ziehen können, aber nach 26. Lf1-e2 Se5-d3+ sieht es ebenfalls schlecht für ihn aus.
Nach teils heftigen Niederlagen insbesondere gegen Vladimir Kramnik verbannte Kasparov den Königsinder später aus seinem Repertoire – in seiner ruhmreichen Liste an Siegen mit dieser Eröffnung nimmt diese Darbietung aber auf jeden Fall einen Ehrenplatz ein!
233. Thinius – Beim, Berlin 1993
Stellung nach dem 22. Zug von Weiß
Man kann sich leicht ausmalen, in welch frohgemuter Stimmung Marco Thinius, seines Zeichens immerhin ein Internationaler Meister, hier soeben seinen (scheinbar unantastbaren) Springer nach b6 gezogen und mit dem Gewinn der Qualität gerechnet hatte. Er wurde aber kalt erwischt von der forcierten Zugfolge 22… a7xb6!! 23. a5xb6 Ta8xa4 24. b6xc7 Ta4xa1 25. c7-c8=D Td7-d1!. Nun wollte Weiß offenbar nicht wahrhaben, dass er trotz zweier Damen nichts Besseres hat als auf d1 umgehend eine der Damen mit etwa gleichem Spiel zurückzugeben. Er entschied sich stattdessen für 26. Dc8-b8?? und erlag dem Angriffswirbel nach 26… Td1xf1+ 27. Kg1-h2 Tf1-h1+ 28. Kh2-g3 Ta1-g1! (droht Matt auf h3) 29. Kg3-h4 Sf4xg2+ 30. Kh4-g5 Sg2xe3+. Zwar setzt Schwarz nicht forciert Matt, gewinnt aber nach 31. Kg5-f6 Th1xh3 soviel Material, dass die Partie trotz zweier weißer Damen nur noch vier Züge lang ging.
234. Kasparov – Short, PCA-WM-Kampf, 17. Partie, London 1993
Stellung nach dem 24. Zug von Weiß
Nigel Short scheint hier in Schwierigkeiten zu sein: Weiß hat die bessere Bauernstruktur, das Läuferpaar und einen Freibauer auf der h-Linie, den er mit h2-h4 sofort vorziehen würde, wenn er am Zug wäre. Der britische Großmeister präsentierte hier allerdings die Keule 24… Lb6-f2!! und nutzte damit die scheinbar harmonische, aber in Wirklichkeit mangelnde Koordination zwischen den weißen Figuren aus. Nach dem erzwungenen 25. Kg2xf2 Th8xh2+ 26. Kg1-f1 versuchte Short noch, mit 26… Te4xe2 27. Te1xe2 Th2-h1+ 28. Kf1-f2 Th1xd1 auf Sieg zu spielen, aber die Partie endete im 41. Zug remis. Allerdings wäre Schwarz ohne seinen dreisten Läuferzug deutlich schlechter gestanden, so dass es keinen Grund gab, sich über die Punkteteilung zu ärgern.
235. Rozentalis – Appel, Deutschland 1993
Stellung nach dem 39. Zug von Schwarz
Scheinbar kann die auf tönernen Füßen stehende schwarze Stellung gerade noch so zusammengehalten werden, da der Nachziehende dem gegnerischen Turm den Zutritt zu seiner Festung verwehrt – oder jedenfalls glaubte er das. Hat man den nächsten Zug allerdings erst einmal überhaupt erwogen, dann wird schnell klar, dass die schwarze Position verloren sein muss. Der litauische Großmeister durchschlug hier nämlich den gordischen Knoten mit 40. Tb5-b6!! und profitierte davon, dass 40… a7xb6?? wegen 41. a6-a7 ausscheidet. Andernfalls dringt aber der weiße Turm mit verheerender Wirkung ins schwarze Lager ein und entscheidet die Partie. Drei Züge später musste Schwarz bereits den Widerstand einstellen.
Sich trotz des ziemlich reduzierten Materials derart elegant in einem Endspiel Zutritt mit dem eigenen Turm zu verschaffen hat schon Stil!
236. Speelman – Asmaiparashvili, Menorca 1994
Stellung nach dem 30. Zug von Schwarz
In dieser Position erkannte der niederländische Großmeister das Potential eines stillen Zugs und zog nach genauer Berechnung 31. Te1-e7!!, was immerhin einen Turm mit Schach hängen lässt und nicht einmal forciert zum Matt führt. Nach der weiteren, erwartbaren Zugfolge 31… Dh2xg1+ 32. Kc1-c2! Dg1-f2+ 33. Kc2-b3 Df2-f3+ 34. Kb3-a2 hatte Schwarz den weißen Monarchen maximal abgedrängt und musste nun mit 34… Df3xf6 die Dame preisgeben, um das Matt auf h7 abzuwenden. Nach 35. Lg5xf6+ Kh8-g8 36. Te7xb7 versuchte Schwarz noch, mit 36… b6-b5 ein verzweifeltes Gegenspiel aufzuziehen, doch Jon Speelman ließ natürlich nicht mehr locker: nach 37. Tb7-g7+ Kg8-f8 38. Tg7-h7! b5xa4 (oder 38… Kf8-g8 39. Th7-h8+ Kg8-f7 40. Th8xa8 Kf7xf6 41. a4xb5) 39. Lf6-c3! Ta8-e8 40. Th7-h8+ Kf8-f7 41. Th8xe8 Kf7xe8 42. Lc3-f6! ist das Endspiel für Schwarz unhaltbar. Somit blieb dem Nachziehenden nur die Aufgabe.
237. Kasparov – Ivanchuk, Wijk aan Zee 1994
Stellung nach dem 29. Zug von Schwarz
Zu einer wahrhaftig spektakulären kombinatorischen Abwicklung kam es in diesem Duell der Titanen. Wie so häufig im Botwinnik-System der Halbslawischen Verteidigung zählt auch in dieser messerscharfen Stellung jedes Tempo, doch der tiefe Sinn hinter Kasparovs unglaublicher Bombe 30. Te1-e8!! ist nicht so schnell zu entziffern. Weiß droht jedenfalls einfach mit Matt auf a7, was die schwarzen Optionen stark einschränkt. Den dreisten Turm kann Schwarz nicht einfach nehmen, da dann seine Dame hinge. Ein Zwischentausch auf b6, um das zu vermeiden, würde stattdessen ein Abzugsschach mit dem a-Bauer gestatten und den Turm auf h8 einbüßen. Schwarz musste also zunächst mit 30… Dh6-h2+ 31. Kg1-f1 fortsetzen, konnte dann aber immer noch nicht auf e8 zugreifen, da in diesem Fall 32. a5-a6 sofort gewinnen würde. Ivanchuk spielte natürlich stärker und zog seinerseits 31… Dh2xg2+! 32. Kf1xg2 d5-d4+ und hoffte sicherlich auf 33. f2-f3?, was Schwarz nach 33… Th8xe8 gestatten würde, den Widerstand erheblich in die Länge zu ziehen, da jetzt auf 34. a5-a6 der Läufer nach d5 ausweichen kann. Weiß sollte immer noch gewinnen, dass Kasparov wählte das viel stärkere Gegenopfer 33. Db6xb7+!! Td7xb7 und wickelte nach 34. Te8xh8 Tb7xb5 mit 35. a5-a6 Ka8-a7 36. Th8-f8 Tb5xb2 37. Tf8xf7+ Ka7-a8 in eine gewonnene Stellung nach 38. a6-a7 c4-c3 39. Tf7-f8! ab. Schwarz gab auf.
Was für ein unfassbarer Schlagbtausch!
238. Kasparov – Kramnik, Novgorod 1994
Stellung nach dem 26. Zug von Schwarz
Gemäß der Meinung von Jan Timman spielte Kasparov in dieser Stellung einen der größten Züge in der Geschichte des Schachspiels: trotz der ungeheuren Komplexität der Stellung und der Vielzahl hängender Figuren spielte er hier 27. h4-h5!! und wickelte damit wie folgt in eine gewonnene Stellung ab: 27… Sd5xf4 28. h5xg6 Db6xd6 (keine Abhilfe schafft 28… Sf4xh3 wegen 29. g6xf7) 29. Th3xh7+ Kh8-g8 30. g6xf7+ Kg8xh7 war praktisch erzwungen, doch nach dem starken Abspiel 31. f7xe8=D Sf4xe6 32. Lg4-f5+! Kh7-g7 33. De8-g6+ Kg8-f8 34. Dg6xf6+ Kf8-e8 35. Lf5xe6 stand Weiß mittelfristig auf Gewinn. Mit 35… Dd6-e7 36. Df6-e5 hätte Schwarz den letztlich aussichtslosen Widerstand wohl noch in die Länge ziehen können, doch Kramnik erlaubte sich stattdessen den Bock 35… Dd6-f8?? und stellte nach 36. Le6-d7+ die Uhr zurecht ab.
239. Kasparov – Nikolic, Horgen 1994
Stellung nach dem 8. Zug von Schwarz
In der Zeit, als die Computer noch nicht so erschreckend stark waren wie heute brachte Garri Kasparov ein dynamisches Spielverständnis ins Schach ein, das bis dato als beispiellos zu gelten hatte. Wer wäre vor ihm auf die Idee gekommen, in dieser Stellung mit 9. Dg4-d1! einen (oder gar mehrere) Bauern für langfristige positionelle Kompensation zu opfern?! Nikolic schluckte den Köder und setzte – wer konnte es ihm verdenken? – prinzipiell mit 9… c5xd4!? 10. c3xd4 Dc7-c3+ 11. Lc1-d2 Dc3xd4 12. Sg1-f3 Dd4-e4+ 13. Lf1-e2 fort. Eine erschöpfende Analyse dieser Stellung ist an dieser Stelle viel zu platzraubend und vermutlich ohnehin immer unvollständig, da es einfach zu viele Optionen für beide Seiten gibt. Jedenfalls wurde die Partie mit 13… b7-b6 14. 0-0 fortgesetzt, worauf Kasparov das zu erwartende 14… Lc8-a6 mit dem weiteren überraschenden Bauernopfer 15. c2-c4! konterte. Diesen Happen verschmähte Nikolic mit 15… Sb8-c6, doch mit 16. Sf3-g5! wurde gleich der nächste Bauer angeboten. Nach 16… De4xe5 17. Tf1-e1 hatte Weiß langfristige Kompensation – vor allem, weil der schwarze König auf f8 die Koordination der schwarzen Kräfte massiv behindert und der Königsturm nicht einfach ins Spiel gelangen kann. Allerdings verteidigte sich der bosnische Großmeister lange Zeit sehr gut und musste erst sehr viel später der Komplexität der Stellung Tribut zollen. Kasparov siegte im 39. Zug. Des Weltmeisters Verständnis für dynamische Möglichkeiten, die etwa auf Entwicklungsvorsprung, Raumvorteil oder temporäre gegnerische Schwächen beruhen, war einfach überragend und trug erheblich zu unserem heutigen Spielverständnis bei.
Für eine ausführliche Analyse dieser bahnbrechenden Partie sei auf Band 2 von Igor Stohls epochalem Werk Garri Kasparovs beste Schachpartien verwiesen.
240. Kamsky – J. Polgar, Buenos Aires 1994
Stellung nach dem 37. Zug von Weiß
Ein uvergessliches Finale zauberte Judit Polgar in dieser Partie aufs Brett: trotz der drohenden Umwandlung des gegnerische Freibauern und der verlockenden (aber verlustträchtigen) Möglichkeit, auf h1 zu nehmen, behielt sie klaren Kopf und zog hier 37… h7-h5!!. Kamsky gab nach 38. Db4-f8+ Kh8-h7 auf, denn es gibt keinen Ausweg für ihn: es hilft weder 39. Lh1xf3 wegen 39… Db1-f1+ noch 39. g3-g4 wegen 39… Db1xh1+ und Matt auf h2. Falls dagegen das verzweifelte 39. Df8xf3 geschieht, dann gewinnt 39… Tf1xf3 40. Lh1xf3 Db1-f5+. Zauberhaft!