August 2018
Ein belgisches Drei-Sterne-Restaurant, das im Herbst 2016 seine Pforten schloss, war das in der Altstadt von Brügge gelegene De Karmeliet. Chefkoch Geert van Hecke hatte sich damals nach gesundheitlichen Problemen entschieden, den Aufwand zu reduzieren und sein Vorzeigerestaurant zugunsten eines etwas einfacher gehaltenen Lokals aufzugeben. Das neue Etablissement liegt nur zwanzig Meter vom alten Lokal entfernt und ist wesentlich bescheidener gehalten. Trotzdem gelang es van Hecke mit diesem Schritt, nicht nur einen ansehnlichen Teil seiner Mitarbeiter weiterhin an Bord zu haben, sondern auch weiterhin selbst arbeiten zu können und den Kochlöffel nicht von einem Tag auf den anderen an den Nagel hängen zu müssen. All dies wirkt auf uns wie eine wirklich durchdachte Maßnahme, die den Gästen weiterhin die Gelegenheit gibt, in der flämischen Touristenhochburg solide Hochküche genießen zu können. Außerdem gibt van Hecke nicht nur seinen Namen für das neue Lokal her, sondern steht auch weiterhin regelmäßig am Herd.
Das putzige, außen weiß getünchte Lokal, das am östlichen Rand der lebhaften Altstadt liegt, ist innen vorwiegend in schwarz und dunkelgrün gehalten, lockert aber das Ambiente gleichzeitig durch den klugen Einsatz von Glas und moderner Kunst im Stile von Picasso an den Wänden spürbar auf – ansprechend geriet auch die einsehbare Küche, in der meist nicht mehr als drei Köche ihrem Handwerk nachgehen.
Wie so viele Lokale in Belgien punktet auch dieses mit einem attraktiven Mittagsmenü für € 56 pro Person (vier Gänge, zwei Weine, Wasser und Kaffee sowie Amuses und Petits fours inklusive). Gleich auf Anhieb bekam das neue Etablissement jedenfalls wieder einen Michelin-Stern und 17 Punkte im Gault&Millau zugesprochen – während andere Köche sich ein Leben lang abrackern und niemals solche Meriten erlangen, kann van Hecke quasi ganz entspannt aus seinem riesigen Erfahrungsschatz schöpfen und ein Menü mit solchem Anspruch fast schon aus dem Armel schütteln! Auch wir hoffen auf einen inspirierten Nachmittag mit vielen bleibenden Eindrücken und warten neugierig auf das Kommende …
Ein flinker und sehr aufmerksam agierender Service fällt uns sofort auf – später erfahren wir, dass der Maitre noch derselbe wie zu Zeiten des De Karmeliet ist (leider konnte ich seinen Namen nicht ermitteln). Zusammen mit lediglich einer einzigen weiteren Servicekraft werden auch alle weiteren sechs Gäste effizient und charmant bedient. Schnell wird klar, dass hier ein absolut top geschulter und professionell agierender Serviceleiter am Werk ist, der genau weiß, was er zu tun hat und auf die Befindlichkeit des Gastes perfekt eingehen kann.
Zu einem alkoholfreien Aperitif, einer Infusion von Limette, serviert man als erste Kleinigkeiten eine Madeleine mit Tomate, Olive und Basilikum sowie frittierte Muscheln mit einem prägnanten Curry-Dip. Nach diesem noch recht verhaltenen Einstieg wird die Betriebstemperatur hochgefahren mit Ravioli vom grünen Apfel, gefüllt mit Ziegenkäse an Paprikacoulis – ein spritzig-frischer Gruß aus der Küche mit aparter Optik, sicherem Gespür für Aromenkonstellationen und weit überdurchschnittlichem Handwerk. Die qualitativ gute Brotauswahl überzeugt ebenfalls, bietet aber keine nennenswerten Überraschungen.
Der erste Gang, ein Arrangement von Tomaten, Avocadomousse, Kroepoek, Lauch und Aprikose erinnert im ersten Moment ziemlich stark an ein ähnliches Gericht eine Woche zuvor bei Hertog Jan, entpuppt sich aber schnell keineswegs als bloße Kopie. Hier ist die Tomate nicht so puristisch inszeniert wie in Zedelgem und wird mit fernöstlichen Akzenten umspielt. Das elegante Changieren zwischen Süße (Aprikose) und Säure (Tomatenemulsion) verblüfft, und auch die zahlreichen Texturen von Lauch machen aus diesem Gericht trotz einer gewissen Ähnlichkeit mit dem Signature Dish des Hertog Jan weit mehr als nur ein verkapptes Plagiat.
Als ganz stark empfinden wir ein rein vegetarisches Gericht mit noch ausgeprägteren asiatischen Elementen: Aubergine, Enoki-Pilze und Lauch. Auf dem Teller passiert erheblich mehr als die Beschreibung vermuten ließe, denn Koriander, Nuri-Algen und eine Zitronengrassauce machen aus dieser Kreation einen komplexen Teller, der allerdings stets verständlich bleibt. Die herrlich mürbe Konsistenz der Aubergine verleiht dem Gericht Schmelz, während die Gewürze reizvolle Kontraste setzen. Dies war jedenfalls eines der besten vegetarischen Gerichte seit langer Zeit!
Auch beim Hauptgericht ist auf dem Teller eine ganze Menge los: Seebarsch, Fenchel, Estragonkartoffel und Muscheln galt es auf engen Raum zu pressen. Die generösen zwei Tranchen Fisch, die vorzüglich kross auf der Haut gebraten wurden, wurden auf sehr subtile Weise von dem fast schon dominanten Fenchel begleitet, während Safran und die Kartoffel sich dezent im Hintergrund hielten. Zusammengehalten wurde das Gericht von einem Sud aus Zitronengras, in dem auch die Muscheln aromatisch zur Geltung kamen. Vielleicht hätte eine Reduktion von Komponenten diesen Gang noch weiter aufgewertet, aber auch so gab es nichts Wesentliches auszusetzen. Van Heckes Gespür für klare, würzige Aromen ließ ihn jedenfalls auch hier nicht im Stich.
Einer große Überraschung kam dann das Dessert gleich, das im Vergleich zum vorherigen Menü ultra-schlicht geriet: Dame Blanche wurde lediglich von einem mit Whisky aromatisierten Schokoladenespuma und mit einer herzhaften Schokosauce umspielt. Machen wir es kurz: im Falle solch bestechender Produktqualität bedarf es keiner Schnörkel, um ein hervorragendes Hauptprodukt aufzuwerten. Wenn das Vanilleeis so trefflich schmeckt wie in diesem Fall, akzeptieren wir ein deart schlichtes Dessert jederzeit gerne wieder! Unter den sehr guten Petits fours befinden sich beispielsweise noch Apfelküchlein und Mürbteigtörtchen mit grünem Apfel und Vanilleeis.
Dieses Mittagsmenü hatte es durchaus in sich und verdeutlichte an mehr als nur einer Stelle, dass der Grand Chef nichts verlernt hat und ihm auch vermeintlich schlichtere Gerichte mühelos gelingen. Den überraschend asiatischen Einschlag hatten wir so nicht erwartet, doch als Teil einer klaren kulinarischen Handschrift war er deutlich auszumachen. Trotz teils komplexer Teller wirkten die Gerichte nie überfrachtet oder beliebig, sondern folgten der Ästhetik, den Hauptdarsteller in einem Umfeld von vorzugsweise Gemüse ins beste Licht zu rücken.
Die aktuellen Urteile der Profi-Guides waren für uns vollkommen nachvollziehbar. Die gastfreundliche Kalkulation sowie die wunderbare Küchenstilistik machen einen Besuch hier zu einem gleichermaßen vergnüglichen und erschwinglichen Ess-Erlebnis, zumal die Hauptstadt West-Flanderns derzeit nichts deutlich Besseres zu bieten hat. Gerne wieder!