Le Cerf**, Zweiflingen (UPDATE)

„Wir müssen nicht klagen, dass alles vergänglich sei. Das Vergänglichste, wenn es uns wahrhaft berührt, weckt in uns ein Unvergängliches.“ (Christian Friedrich Hebbel)

UPDATE (Februar 2024)

Aufgrund der relativen Nähe dieses Lokals zu meinem Wohnort ist ein alljährlicher Besuch bei diesem Zweisterner in den letzten Jahren (mit Ausnahme der Lockdown-Phase) fast zur Regel geworden. Warum auch nicht? Das nach wie vor angemessene Preis-Leistungs-Verhältnis sowie die von Boris Rommel verlässlich konstant zur Schau gestellten Kochdarbietungen hätten einen fast glauben machen können, dass die Zeit hier stillzustehen scheint – und doch musste diese legendäre Institution am 10. Februar 2024 eine Zäsur verkraften, die in der Historie dieses ruhmreichen Orts nahezu beispiellos ist. An diesem Tag verstarb nämlich mit Lothar Eiermann nicht nur der langjährige Chef des Lokals, sondern einer der ersten Pioniere des deutschen Küchenwunders überhaupt. Zusammen mit heutigen Legenden wie Eckart Witzigmann, Heinz Winkler (leider auch schon verstorben), Hans-Peter Wodarz, den Müller-Brüdern und Otto Koch bildete er in der Haute Cuisine die absolute Spitze der 70er- und 80er-Jahre. Als Hoteldirektor bzw. Küchendirektor diente er dem Haus fast vier Jahrzehnte lang (!) und kam zum größten Ruhm eher unfreiwillig, als er Paul Bocuse wegen der Vermarktung von Fertigprodukten mit dessen Namen scharf anging und von diesem daraufhin böse beleidigt wurde. Auch andere Kollegen distanzierten sich daraufhin von ihm, aber aus heutiger Sicht ist das Schnee von gestern. Seinen Prinzipien blieb Lothar Eiermann stets treu; als der hochdekorierte Chef 2009 in den Ruhestand ging, ließ er sich keinen Kilometer vom Hotel entfernt nieder und schaute regelmäßig bei Boris Rommel vorbei, um sich an dessen klassisch geprägter Küche zu erfreuen, die zudem einige Traditionen Eiermanns beibehielt. Medial machte sich der Grand Chef zwar seit jeher eher rar, aber sein Einfluss auf die Nouvelle Cuisine jener Zeit wird unbestritten bleiben. Angesichts der aktuellen Geschehnisse mutete es wie eine besonders noble Geste von Boris Rommel an, einen Klassiker seines illustren Vorgängers auf die Karte zu setzen – dazu später mehr.

Nicht nur dieser Umstand, sondern auch vieles andere wirkt an diesem Abend ungewohnt: da ist zum einen die Tatsache, dass inklusive meiner Person ganze zwei Gäste das Lokal an diesem Abend aufsuchen und zum anderen die Abwesenheit von Boris Rommel festzuhalten, der an diesem Abend offenbar mitten in der Arbeit an seinem neuen Kochbuch steckte. Wenn man dann noch bedenkt, dass ich an jenem Abend leicht erkältet am Tisch sitze, so kann man wohl mit Fug und Recht von in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Begleitumständen sprechen; wenigstens hat sich an dem feudalen Ambiente oder dem bewährten Service unter Maître Max Johne nichts geändert.

Zu einem Garibaldi von der Bar werden die ersten Apéros aufgetragen, die sich wie folgt zusammensetzen: als erstes eine winzige Tarte Tatin von ausgeprägt herbem Sellerie und Haselnuss (mit eher dezenten Apfelaromen), dann ein vegetarisch gefülltes Pastrami von leichter Säure und angenehmer Mundfülle sowie schließlich eine ungewöhnliche Kreation aus Shiitake auf einem hauchdünnen Chip mit einer Art Orangenmousse. In Summe wirken diese drei Petitessen diesmal allerdings ungewohnt plakativ und erreichen für meine Begriffe nicht ganz das Niveau früherer Darbietungen zum Auftakt.

Besserung ist allerdings in Sicht, denn die erdigen Aromen der Morcheln in der Essenz des ersten Amuses werden durch das Frischkäseraviolo geschickt abgefedert. Die stärkste Impression bis hierhin hinterlässt jedoch das zweite Amuse, bestehend aus Lachstatar mit Crème fraîche, Dill, Basilikum und einem leicht säuerlichen Gelée, dessen Ankündigung mir leider entgangen ist. Wie dem auch sei: die vorzügliche Balance unter den Komponenten sowie die Klarheit in der Präsentation einer klassischen Kombination sorgt für eine eindrückliche Visitenkarte, die durch den säuerlichen Akzent das i-Tüpfelchen aufgesetzt bekommt.

Die abwechslungsreiche Brotauswahl kommt diesmal in Begleitung von Salzbutter, Fleur de Sel, Olivenöl und Kerbelcrème an den Tisch – alles sehr klassisch, aber in Referenzqualität gehalten.

Wie immer stehen zwei Menüs zur Wahl, wobei das vegetarische deutlich günstiger bepreist ist. Ich lasse mich letztlich auf einen Kompromiss ein, indem ich mich für das fünfgängige Menü namens „Légumes“ (Gemüse) zu € 164 entscheide und den eingangs erwähnten Klassiker von Lothar Eiermann à la carte aus der anderen Menüfolge für zusätzliche € 46 inkludiere.

Mit diesem beginnt das Menü sogleich, wobei die Präsentation auf dem Flambierwagen offenbar rein dramaturgischen Effekten dient und keinerlei Bedeutung für das Gericht per se hat. Jedenfalls handelt es sich bei dem Signature Dish von Lothar Eiermann um seinen berühmten Gugelhupf von Gänseleber, der auf dem Wagen angeschnitten wird und dem Gast als Segment auf dem Teller präsentiert wird. Boris Rommel bezieht dieses Produkt (im Gegensatz zu Lothar Eiermann) inzwischen in ungestopfter Form von einem Produzenten aus Österreich, hat aber ansonsten an der Rezeptur des ummantelnden Gelées von weißem Portwein nichts verändert. Die Begleitung mit roter Bete geht ebenfalls auf den verstorbenen Grand Chef zurück, wurde aber von Boris Rommel in einer fraglos zeitgemäßeren Version umgesetzt, indem er das Produkt gleich in nicht weniger als vier Texturen umsetzt. In Kombination mit gerösteten Pinienkernen macht gepickelte und sautierte rote Bete jedenfalls genauso viel her wie in Form von Essenz und Crème desselben Produkts. Durch die Reduktion aufs Wesentliche und den Rückgriff auf ein Produkt, das in den 70ern noch als Arme-Leute-Essen galt und dementsprechend verpönt war, schuf Lothar Eiermann einen Klassiker, dessen Ruf zurecht bis heute nachhallt. Die Neuinterpretation der Rübe wertet das Gericht meines Erachtens sogar noch weiter auf, denn es ist fraglos das beste und überzeugendste Gericht des Abends: die Cremigkeit der Innerei, die zuaberhaft herbe Fruchtigkeit der Bete, die nussige Aromatik und die alkoholische Note bilden einen wunderbar harmonischen Gesamtklang, der lange im kulinarischen Gedächtnis nachhallt. Es hätte mich wirklich gereut, wenn ich diesen fabelhaften Gang ausgelassen hätte!

In der kulinarischen Gegenwart angekommen, stellt Boris Rommel Zuckermais in den Mittelpunkt des ersten „echten“ Gangs. Geeiste Purple-Curry-Perlen und eine Vinaigrette desselben Produkts steuern aufgrund ihrer Kälte dosierte Würze bei, während Vogelmiere für kräutrige Facetten zuständig ist. Wie schon öfters von mir festgestellt, ist Mais unter Spitzenköchen nur ein leidlich beliebtes Produkt, denn auch in diesem Fall bleibt der aromatische Rahmen trotz der geflämmten und cremigen Variante sowie als Vinaigrette eher eng gefasst und nicht sonderlich aufregend. Die ausgelassene und farbenfrohe Gestaltung konnte leider auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das (möglicherweise begrenzte) Potential dieses Produkts nicht vollständig abgerufen werden konnte und somit ein mittelprächtiges Gericht unterm Strich stand.

Deutlich besser gefällt Bärlauchschaumsuppe, wenngleich dieser Teller für die Jahreszeit erstaunlich früh aufgetischt wird. Das Blätterteigkissen ist mit Morcheln und Birne gefüllt, welche einen reizvollen, wenn auch etwas ungewöhnlichen Kontrast miteinander eingehen. Cremig und heiß temperiert, weckt der Teller Lust auf erste Frühlingsgefühle und holt den Gast mit gehöriger Tiefe und langem Nachhall ab. In der Vergangenheit wurde schon so manche Suppe in diesem Haus aufwendiger begleitet, aber die Entscheidung pro Minimalismus scheint mir eine absolut bewusste und in diesem Fall gerechtfertigte zu sein.

Im Kontext des nächsten Gangs gilt es zunächst, Missverständnissen vorzubeugen: das im Mittelpunkt stehende Bamberger Hörnchen ist nicht die bekannte oberfränkische Süßigkeit, sondern eine Kartoffelsorte desselben Namens. Leider schweigt sich der Service über den in diesem Fall spannendsten Aspekt aus, nämlich die Zubereitung. Ich tippe eher auf ein vorsichtiges Dämpfen und leichtes Bräunen als ein Kochen in Salzwasser der im Anbau wohl eher aufwendigen Kartoffel mit dem ungewöhnlich dichten Fleisch. So bewahrt sie ihren intensiven Geschmack und kann folglich bedenkenlos von kräftiger Brillat-Savarin-Sauce mit Sauerampfercrème und Sauerklee begleitet werden. Das Schälchen à part fällt kaum weniger intensiv aus: Frankfurter Kräuter (die man als Zutaten des hessischen Klassikers Grüne Soße kennt) betten ein markiges Eis von Tagetes, das mit seiner unverwechselbaren Aromatik einen denkbaren knalligen Kontrast zu dem süffigen Hauptteller eingeht. An Mut fehlte es Boris Rommel hier offenbar nicht, wobei der angestrebte Effekt schon grenzwertig forsch ausfällt – so kühne, am Rande des Bizarren wandelnde Einfälle kannte ich in dieser Form von diesem Etablissement jedenfalls noch nicht!

Hohenloher Bio-Landei wird zum Hauptgang zunächst in Eiweiß und Eigelb getrennt: während das Omelette ausschließlich aus dem Eiweiß zubereitet wurde, tummelt sich das Eigelb in confierter Variante rund um den dominanten Hauptdarsteller. Auch wenn reichlich schwarzer Trüffel (auch als Jus) und Kartoffelbällchen das Omelette umspielen, so wirkt es fast wie ein etwas verspieltes Gericht zum Frühstück! Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, aber Boris Rommel wäre schwerlich Boris Rommel, wenn er nicht an einer Stelle des Menüs seiner Vorliebe für herbe, knackige Gemüsesorten freien Lauf ließe: mal ist es Knollenziest, mal wie hier Knollensellerie, der dem ansonsten praktisch wachsweichen Gericht den nötigen Biss verleiht und eine unerwartete Herbheit ins Spiel bringt, welche dem Gang die Vorhersehbarkeit raubt. Zum Satelliten habe ich aus mir unerfindlichen Gründen keine Notizen gemacht …

Das Pré-Dessert variiert in puncto Design schon seit Jahren nicht mehr stark (siehe meine vorangegangenen Berichte), aber irgendwie gelingt es dem Chef, dieser eigentlich reduziert anmutenden Präsentationsform jedes Mal aufs Neue faszinierende Aspekte zu entlocken. Nach Bananensplit und Zwetschgenkompott in der Vergangenheit ist es diesmal ein dekonstruierter und leicht geeister Cappucino, der einmal mehr trefflich gelingt.

Selbst wenn die Küchenbrigade heuer vielleicht nicht das Optimum aus ihren Möglichkeiten herauszuholen vermochte, so bleibt doch festzuhalten, dass die Pâtisserie sämtliche Register ihres Könnens zieht und das zum Dessert gehörende Schokoladensoufflé nicht mustergültiger ausfallen könnte: richtig heiß, wunderbar fluffig und unerhört körperbetont. „Schokoholic’s Dream“ sozusagen! Der Hauptteller kreist dagegen um Banane in allen nur denkbaren Varianten: kandiert, karamellisiert, als Eis, Mousse und Sud mit Rum verfeinert – ein Ideenreichtum, der wirklich das letzte Quentchen an Geschmack herauszieht! Die zarte Akzentierung mit Vanille nimmt man natürlich ebenfalls gerne zur Kenntnis, aber seinen hauptsächlichen Reiz bezieht das Dessert aus seinen variablen Texturen in unterschiedlichster Temperierung. So bleibt das eher traditionell konzipierte Gericht zu jeder Zeit kurzweilig – und für Abwechslung ist mit dem Soufflé ja schließlich auch gesorgt. Kurzum: einen derart launigen Abschluss rund um den fast schon banalen Dreiklang Vanille, Schokolade und Banane hätte ich mir nicht vorstellen können, zumal auch das Handwerk restlos überzeugte.

Die Petits fours sind diesmal schnell erzählt: neben klassischem Montélimar-Nougat und einem Miso-Financier ist das Pâte de fruit mit Bergamotte und Ahornsirup fraglos die interessante der drei Petitessen. Für ungläubige Freudensprünge reicht es allerdings nicht …

Stillstand ist für Boris Rommel keine Option – doch auch wenn diese Erkenntnis schon längst nach den vielen Eindrücken früherer Jahre in mir gereift war, so überraschte dieses Mal die Zahl an vergleichsweise forschen Einfällen doch einigermaßen. In der Vergangenheit hatte die Küche oft genug bewiesen, dass sie völlig ungewöhnliche Gerichte mit einem untrüglichen Gespür für Harmonie umsetzen vermag, solange die klassische Basis dieser Küche nicht verlassen wird. Sein klassisches Handwerk beherrscht Boris Rommel fraglos von der Pike auf, weshalb die teils schon experimentell wirkenden Einfälle auf mich eher unnötig wirkten. Durch die Neuinterpretation der roten Bete im Gänseleber-Gang war es ihm gelungen, einem durch und durch konservativen Gericht faszinierende neue Aspekte zu entlocken, die gänzlich ohne groteske Spielereien auskamen. Wenig überraschend ruft die Küche ergo die besten Ergebnisse genau dann ab, wenn sie sich auf ihre Stärken besinnt und das tut, was sie schon immer ausgezeichnet hat. Bei der aktuellen Stippvisite schien mir diese Maxime ein wenig aus den Augen geraten zu sein; jedenfalls brachte dieser Abend die bisher größte Anzahl an einigermaßen suspekt anmutenden Ideen hervor. Ein Hort der Avantgarde war dieses Etabilssement noch nie und wird es wohl auch nie werden, weshalb ich das kühne Experimentieren lieber den Köchen überließe, die sich in dieser Disziplin deutlich wohler fühlen. Keineswegs möchte ich jetzt alles schlechtreden, zumal einige Inspirationen sicherlich zukünftig in gereifter Form in das eine oder andere Gericht Eingang finden könnten. Dennoch gab es zweifelsohne ein paar Momente, die mich doch ratlos machten.

Der Service agiert gewohnt sicher und aufmerksam, hat aber angesichts nur zweier Gäste an diesem Abend auch eine überschaubar schwierige Aufgabe vor der Brust. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist für ein solch nobles Haus nach wie vor fair gestaltet, selbst wenn die Auswirkungen der erhöhten Mehrwertsteuer natürlich auch hier nicht spurlos vorübergegangen sind.

An diesem in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Abend bleibt letzten Endes festzuhalten, dass die jüngste Parade diesmal nicht ganz an die exorbitanten Leistungen der vergangenen Jahre anknüpfen konnte. Großartige Eingebungen vom Format der Topinambursuppe oder des Risotto fehlten diesmal, doch einzelne Höhepunkte wie das Soufflé oder der Klassiker von Lothar Eiermann machten mehr als deutlich, dass das hier offenbarte Handwerk jederzeit ein weit überdurchschnittliches Niveau erreichen kann, wenn Inspiration und Begleitumstände stimmen. Boris Rommel hat in der Vergangenheit schon allzu oft nachgewiesen, welch außergewöhnliche Fähigkeiten er besitzt und im Vollbesitz seiner Kräfte auch anwenden kann. Die Ablenkung durch die Arbeit an dem Kochbuch und die vielleicht notwendige Zerstreuung nach dem Tod der früheren Küchenlegende wirken sich wohl kaum förderlich aus, weshalb dem Lokal nach so zahlreichen brillanten Stippvisiten selbstredend auch mal ein marginal schwächerer Eindruck zugestanden sei, den ich nicht höher hängen werde als nötig. Mit dieser Erkenntnis schließe ich an jenem Abend mein Notizbüchlein und nehme nicht ohne Verwunderung zur Kenntnis, dass an diesem irgendwie seltsamen Abend das Lokal um 21.30 Uhr bereits vollkommen leergefegt ist.

Nun ja, das Datum meines Besuchs – der 29. Februar – war ja auch ein ungewöhnliches …

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Le Cerf
Kärcherstr. 12
74639 Zweiflingen
Tel.: 07941/60870
www.schlosshotel-friedrichsruhe.de

Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 3+ Toques
GUSTO 2024: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4 F

5-gängiges Menü „Légumes“: € 164

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„Der Magen eines gebildeten Menschen hat die besten Eigenschaften eines edlen Herzens: Sensibilität und Dankbarkeit.“ (Alexander Puschkin)

UPDATE (April 2023)

Schon seit den Tagen, als hier noch der legendäre Lothar Eiermann im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe groß aufkochte, ist das Gourmetrestaurant des Nobelhotels eine Veste der Klassik und des guten Geschmacks gewesen. Nach dem altersbedingten Ruhestand des berühmten Chefs im Jahre 2008 musste vieles selbstverständlich neu aufgebaut werden, aber seitdem Boris Rommel hier vor sieben Jahren übernahm, läuft vieles schon wieder in die richtige Richtung. Die zwischenzeitlich aberkannten zwei Michelin-Sterne seines Vorgängers holte er bereits 2017 wieder und verankerte das Restaurant somit sicher in der deutschen Eliteliga der Top 50. Damit ist das Le Cerf eine der wenigen verbliebenen Spitzenadressen der Republik, in denen noch genuin französisch und klassisch aufgekocht wird – ein Umstand, der umso mehr dadurch an Bedeutung gewinnt, dass beispielsweise die Residenz Heinz Winkler nach dem tragischen Tod ihres Patrons im vergangenen Jahr unsicheren Zeiten ohne echte Führung entgegen geht und den Freunden klassischer Gourmandise möglicherweise eine weitere strahlende Adresse aus vergangenen Tagen verlorenzugehen droht. Der aktuelle Chef Boris Rommel hat dem Le Cerf dagegen längst seinen eigenen Stempel aufgedrückt, indem er beispielsweise vegetarische Gerichte stärker in den Vordergrund rückt als es in den 80er-Jahren jemals denkbar gewesen wäre. Wie ich mich jedoch bei meinen jüngsten Besuchen persönlich überzeugen konnte, gelingt es Boris Rommel derzeit gerade auf diesem Gebiet, besonders bemerkenswerte Ergebnisse zu erzielen und Gerichte zu kreieren, die sich mir längst unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt haben – siehe untenstehend meine vergangenen Rezensionen.

Gerade weil sich meine Begleitung inzwischen ausschließlich vegetarisch ernährt und dennoch von Zeit zu Zeit nicht auf ein gehobenes Niveau verzichten möchte, fiel meine Wahl schnell auf das kulinarische Flaggschiff der Region Hohenlohe, das praktisch konkurrenzlos seine Kreise zieht und Gourmets von weit her anlockt. Nicht zuletzt der erheblich günstigere Preis für die vegetarische Menüfolge steigert die Attraktivität abermals, so dass auch ich mich einmal mehr schnell im Voraus festlege und wir beide bewusst fleischlos auskommen wollen.

Aus irgendeinem Grund war ich hier bislang immer nur in der dunklen Jahreszeit zu Gast und erlebe das weitläufige Gelände praktisch zum ersten Mal bei Tageslicht – wobei das regnerisch-trübe Wetter weitaus weniger Freude bereitet als die anstehenden Genüsse. Wer hier einkehrt, darf sich jedenfalls nicht nur an einem Mahl der Spitzenklasse, sondern auch an der Ruhe in diesem weitläufigen Gelände abseits des Trubels erfreuen. Mit Verlaub: in welcher Großstadt sähe man denn heute noch Sternerestaurants, in denen kostbare Tapeten, Kristalllüster und blütenweiße Leintücher das Ambiente prägen? Hier ist alles ganz eindeutig old school – und genau deshalb kehren wir gerne hier ein, weil es ab und an auch mal Abendgarderobe statt Casual Fine Dining sein darf. Steif geht es hier dennoch nicht zu, und sei es nur deshalb, weil Boris Rommel regelmäßig und gut gelaunt an den Tischen erscheint, um seine Kreationen zu erläutern. Etikette gibt es hier sehr wohl, Steifheit und Flüsteratmosphäre aber keine.

Zu einem alkoholfreien Glas Champagner Bratbirne von Jörg Geiger tischt die Küche umgehend die ersten Apéros auf, die sich deutlich vom letzten Besuch abheben, waren doch noch bei der letzten Stippvisite die allermeisten Beiträge an große Klassiker aus der Blütezeit von Paul Bocuse angelehnt. Diesmal dagegen werden die Petitessen nicht auf einem Ast, sondern auf einem Hirschgeweih präsentiert – eine genauso platzraubende Variante wie der Vorgänger, die aber zumindest einen Bezug zum Namen des Restaurants herstellt und in der hauseigenen Werkstatt auf eine praktikable Größe reduziert wird. Belegt ist das Geweih jedenfalls mit einer Art Milchschnitte (der Service selbst benennt sie so) von Pumpernickel, Mascarpone, Ananas, Schokolade und Basilikum sowie im Hintergrund ein gebeizter Langostino mit Yuzu und Wasabi. Dazu gesellen sich ein geröstetes Focaccia mit Tomate, Balsamico und Frischkäse sowie eine mit rosa Ingwer abgeschmeckte Karottenmousse in einer geeisten Hülle von Karotte. In Summe wirkt dies etwas verspielter und deutlich weniger klassisch, aber auch aromatisch mutiger als beim letzten Besuch, wobei ich darin einen Versuch sehe, sich von gar zu altmodischen Grüßen allmählich verabschieden zu wollen. Geschmacklich beeindruckt das vielleicht noch nicht so sehr wie die althergebrachten Petitessen, aber mit etwas mehr Feinjustierung dürfte auch hier schon bald wieder ein ausgezeichnetes Niveau erzielt werden.

Mit der Opulenz vergangener Tage ist es dagegen definitiv noch nicht vorbei, denn nach gerade einmal vier Apéros geleitet man natürlich noch nicht sanft zum Menü über. Deutlich weniger experimentell gerät dieser zweite Reigen an Einsteigern: Aal und Kaviar in einer vorzüglichen Kartoffelmousseline wirkt schon deutlich gesetzter und überzeugt mit feiner Balance unter den Komponenten. Das Profiterol von Gänseleber und Birne tendiert eher in die süßliche Richtung, kann aber ebenfalls auf klassische Einflüsse verweisen. Amerikanische Vorbilder hat dagegen das Ei Benedict mit Joselito-Schwein, Wachtel und Hollandaise, welches mit kraftvollen Aromen den Einstieg gelungen abrundet.

Nach diesem Defilée von recht anders gearteter Prägung fragen wir uns gespannt, ob wohl auch die Küchenstilistik im Menü neue Wagnisse eingeht oder in erster Linie den Wünschen einer gediegen konservativen Klientel entspricht. Letzten Endes wird es ein wenig von beidem sein, denn ein inzwischen reichlich erfahrener Koch wie Boris Rommel ist sich natürlich darüber im Klaren, dass Stagnation in dieser Branche mit Rückschritt gleichbedeutend ist und letztlich den Verlust kostbarer Auszeichnungen nach sich ziehen kann. Gleichwohl erscheint klar, dass die kulinarische DNA des Hauses nicht verwässert werden darf und Anpassungen daher eher behutsam und dezent erfolgen sollten. Den Beweis dafür, dieser Anforderung immer wieder aufs Neue gerecht zu werden, hat Boris Rommel in der Vergangenheit wiederholt angetreten, weshalb ich als regelmäßiger Gast in den letzten Jahren absolut zuversichtlich bin, dass das Menü auch heuer wieder eine gekonnte Balance zwischen Konservativismus und Zeitgeist findet.

So darf die Brotauswahl einmal mehr als bezeichnendes Beispiel für eine opulente Beigabe herhalten: neben verschiedenen Brotsorten findet man auch sonst alle Klassiker wie Butter, Fleur de Sel und Olivenöl versammelt. Als weniger klassisch, aber dafür besonders gelungen empfinden wir die Frankfurter Crème, die als neue Variante das Angebot bereichert.

Eingeleitet wird das fünfgängige Menü „Légumes“ (Gemüse) zu € 134 mit einem optischen Blickfang, der alles andere als sattsam bekannt wirkt und unwillkürlich neugierig auf den Verzehr macht: grünen Spargel kombiniert die Küche in einem launigen Bouquet mit der cremigen Würze von feinen Spänen der Belper Knolle, der Erdigkeit marinierter Limonenseitlinge und blauer marinierter Kartoffel sowie den Bitterstoffen von Frisée und als Clou mit Guavensaft und eingelegtem Guavenkern. Ein derart komplexes Geflecht an Aromen fein ausbalanciert und mit gebührender Transparenz in Szene zu setzen erfordert große Meisterschaft, doch die Rechtfertigung für die zwei Michelin-Sterne bleibt nicht aus. Der Küche gelingt es, aus diesem disparitätisch klingenden Geflecht eine Kreation von großer Harmonie und Tiefenschärfe zu schaffen, die man vor allem aufgrund ihres unverwechselbaren Charakters nicht so schnell vergisst. Die enorme Spannung zwischen den Komponenten verleiht dem individuellen Gang seinen Reiz und legt nahe, dass sich Klassik und Vegetarismus keinesfalls ausschließen.

Weniger risikobehaftet, aber dafür gänzlich saisonal erscheint der nächste Gang: das geschäumte Bärlauchsüppchen bringt alles mit, was man an klassischer Harmonie von einem solchen Gang erwarten darf. Naturgemäß fällt es bei einem solchen Gang schwerer zu reüssieren, aber der mit Madeira-Morcheln, abgeflämmten roten Zwiebeln und Bärlauchpaste belegte längliche Brotchip erweist sich als dezenter und vollauf würdiger Begleiter, der dem Hauptdarsteller demütig den Vorrang lässt und ihn damit absolut bereichert. Mustergültig!

Einmal mehr geschieht dann etwas gar nicht so Seltenes in diesem Haus: das bei der Ankündigung am wenigsten animierende Gericht erweist sich als echter Volltreffer! Zweierlei Ravioli-Varianten (einmal als Tasche und einmal in offener knuspriger Form) mit gargezogener Sellerie einerseits und Rote Bete andererseits treten in einen atemberaubenden Dialog miteinander. Diese 90er-Jahre-Vokabel trifft es in diesem Fall einfach am besten, denn wie das Gericht weiterhin mit schmelzigem Ziegenkäse, Spritzern von Salzzitrone und Senfsaat kongenial veredelt wird lässt uns fast den Atem stocken. Die Vielfalt an überhaupt nicht forciert wirkenden Texturen und auch Temperaturen macht aus diesem Zwischengericht einen Einschub von überragender Tiefe mit sensationell feinen aromatischen Spitzen von unscheinbaren Nebendarstellern, die aber niemals ihren Sinn verfehlen. Dieses gleichermaßen olfaktorisch und gustatorisch höchst befriedigende Gericht mag gedrängt wirken, bleibt aber enorm vielschichtig und von glasklarer Trennschärfe. Was für ein Meisterwerk!

Dem wichtigsten Teller des Abends fehlt es letztlich an einem echten Hauptdarsteller – was einfach daran liegt, dass „Pilze“ in derart ausgelassenem Einfallsreichtum über den Teller verteilt sind, dass letztlich wirklich jede einzelne der fünf verschiedenen Pilzsorten in fünf verschiedenen Zubereitungsarten (z.B. geflämmt oder süß-sauer eingelegt) zu ihrem Recht kommt. Diese verleihen dem überzeugenden Gang fraglos sein Gepräge, aber geschmorter Gartenlauch zwischen kunstvoll drapierten Wakame-Algen sowie fermentierter Knoblauch, Hollandaise und Kartoffelbällchen machen sich durchaus bemerkbar. Das hauptsächlich um bittere und erdige Aromen kreisende Gericht erlangt eine beachtliche Intensität, die angesichts der Portionsgröße durchaus fordernd wirken kann. Dahinter steckt fraglos viel Substanz, und doch erhebt sich die Frage, ob ein bisweilen weniger kräftiger Pinselstrich und noch subtilere Effekte nicht noch bessere Ergebnisse zeitigen würden – das ist Jammern auf höchstem Niveau, versteht sich.

Die Neuinterpretation des Klassikers Kir Royal gibt es beim Pré-Dessert zu bestaunen: das in einem flachen Champagnerglas platzierte Champagnersorbet labt sich an einem federleichten Champagnersüppchen, das durch die Beigabe von Johannisbeeren und weiteren roten Beeren sowie Brause eine launige und starke Umsetzung erfährt. Erfrischend, kühl und zeitgemäß aufgehübscht – so kann auch Klassik Spaß machen!

Konservativ, aber deshalb nicht weniger überzeugend, schließt das Dessert mit einem Topfensoufflé ab, in dessen Aushöhlung vom Chef persönlich ein Kompott von Waldbeeren gegeben wird. Die konzentrierte Beerenessenz im Reagenzglas ist von straffer Säure und kaum zuckerhaltig – da möchte auch das begleitende Lorbeereis rechts nicht zu dominant auftreten und lässt lieber den Heidelbeeren darunter etwas Raum zur Entfaltung, zumal die hauchdünne Zuckerscheibe mit dem Blattgold obenauf mehr als genug Süße beisteuert. Erwartungsgemäß kommt dieses Dessert der dieser Tage häufig postulierten Forderung nach grünen Elementen im süßen Ausklang nicht nach, aber wer solch makelloses klassisches Handwerk vorweisen kann, braucht sich um solche Forderungen nicht wirklich zu scheren. Jedenfalls weist die Küche einmal mehr nach, dass sie die altmeisterlichen Techniken, die nun einmal die unentbehrliche Grundlage für das Schaffen von Profiköchen darstellen sollten, praktisch im Schlaf beherrscht und damit auch zu beeindrucken weiß.

Die Petits fours bestehen diesmal aus einem Vanille-Cannelé, einer Limettenschaum-Tarte, einer Waffel mit Crème von Waldbeerenaroma und einem mit Kakaopulver ummantelten Kokosbällchen. Highlights setzt die Pâtisserie damit zwar keine mehr, aber nach reichlich beglückenden Momenten zuvor muss ja nicht jeder Beitrag immer voll einschlagen.

Nach vollbrachtem Mahl lädt man uns sogar erstmalig in die Küche ein, wo wir angesichts der strengen Organisation und der genauen Aufteilung in verschiedene Bereiche besonders staunen: natürlich habe ich schon viele Küchen von innen gesehen, aber da von dieser einen Küche ausgehend auch das Frühstück für die Gäste serviert und auch das Zweitrestaurant bedient wird, kann man sich lebhaft ausmalen, wie es zur Stoßzeit drinnen zugehen mag. Vorratskammern und die eingangs erwähnte Werkstatt bekommen wir ebenfalls zu Gesicht und machen uns so ein selten genaues Bild davon, welch ausgeklügelte Logistik in Hotelküchen bisweilen notwendig ist, um solche Ergebnisse wie im Le Cerf präsentieren zu können.

Wie schon bei meinen jüngsten Besuchen zuvor gab es auch heuer kein Gericht, das deutlich abgefallen wäre – vielmehr drängte sich wie schon in den Jahren zuvor mit den Ravioli ein Gang erneut für die Aufnahme in meine Rubrik „Menü des Jahres 2023“ auf. Dass hier vieles im Fluss bleibt, merkten wir den Apéros diesmal am deutlichsten an, wo ein schleichender Abschied von Klassikern aus vergangenen Tagen bevorstehen könnte. Das bedeutet im Gegenzug keineswegs, dass nun alles auf den Prüfstand gestellt und hier eine neue Stilistik angestrebt würde: all die klassischen Tugenden, die Boris Rommels Küche seit jeher auszeichneten, waren dennoch überreichlich vorhanden, selbst wenn wir diesmal eine leicht größere Bereitschaft zum Risiko auszumachen glaubten. Eleganz, Gediegenheit und Ausgewogenheit werden hier auch künftig ohne jeden Zweifel fortbestehen und aus dieser Adresse eine Anlaufstelle für Anhänger von old school machen.

Dass die Zeit indes auch in dieser Veste des guten Geschmacks nicht stehen bleibt, merkten wir dem Service an. Den Abgang einer solch großen Persönlichkeit wie Servicechef Dominique Metzger würde kein Lokal dieser Welt leicht verkraften, weshalb es nicht verwundert, wenn unter dem neuen Sommelier Max Johne noch nicht alle Automatismen eingespielt wirkten. Der Service gab sich alle erdenkliche Mühe, fehlerfrei zu agieren, aber in ein paar Details merkte man die fehlende Routine noch an. Wir sind aber guter Dinge, dass dies bis zum nächsten Besuch sicherlich behoben sein dürfte. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die Weinkarte, die für ihre Jahrgangstiefe bei den Pretiosen berühmt ist und sicherlich dazu beiträgt, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gäste eher wegen des Weins als des Essens hierher pilgert.

Vieles hat sich hier nicht verändert – was ausdrücklich als Kompliment zu verstehen ist. Wer so verlässlich auf derartigem Niveau wie Boris Rommel liefert, der muss allenfalls mal an ein paar Stellschrauben drehen, aber schwerlich ständig das Rad neu erfinden. Die große Konstanz und die faire Preispolitik machen aus dieser Adresse eine meiner liebsten Anlaufstellen in Baden-Württemberg, die stets aufs Neue zu überraschen vermag – gerade bei den vegetarischen Gerichten, wo man es wohl am wenigsten vermuten würde. Man darf gespannt sein, ob sich eines Tages tatsächlich noch ein dritter Stern hinzu gesellt …

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Le Cerf
Kärcherstr. 12
74639 Zweiflingen
Tel.: 07941/60870
www.schlosshotel-friedrichsruhe.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 3 Toques
GUSTO 2023: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 4 F

5-gängiges Menü „Légumes“: € 134

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„Wenn ich auf mein Unglück trete, stehe ich höher.“ (Friedrich Hölderlin)

UPDATE (Januar 2022)

Ganz scheinen mich meine Wahrnehmungen nicht getrogen zu haben, als ich vor zwei Monaten schon einmal hier einkehrte und völlig begeistert wieder den Heimweg antrat: inzwischen ist Chefkoch Boris Rommel, der Mann mit der Schiebermütze, nämlich vom Großen Restaurant & Hotel Guide zum „Koch des Jahres 2022“ ausgezeichnet worden. Doch auch wenn dieser Führer nicht unbedingt zu den ganz großen und renommierten seiner Zunft zählt, so verdeutlicht dieses Urteil meiner Meinung nach dennoch deutlich genug, welch starke Entwicklung hier in jüngster Zeit stattgefunden zu haben schien. Vor etwas mehr als zwei Monaten geriet meine Stippvisite hier dermaßen fulminant, dass ein schwächeres Abschneiden bei diesem erneuten Besuch gar nicht mehr so überraschend gekommen wäre. Natürlich sahen meine Hoffnungen ganz anders aus, als ich bereits nach kurzer Zeit wieder hier einkehrte. Anlass dafür war das Trüffelmenü, das nach der Betriebspause Ende Januar sicherlich nicht mehr auf der Karte stehen würde und welches sich nach dem quälend langen Lockdown im vergangenen Jahr als eine optimale Gelegenheit erwies, die Wintersaison würdig mit ihren Gaumenfreuden zu zelebrieren – ein wohltuender Kontrast im Vergleich etwa zum Nürnberger etz, wo die keineswegs minderwertige, aber eben stark saisonal ausgerichtete Karte nur heimische Produkte zu bieten hatte und in puncto Viktualien dementsprechend karg geriet.

Dass für die edlen Pilze, die von November bis Januar Saison haben, entsprechende Preise fällig werden, versteht sich von selbst, doch angesichts der luxuriösen Speisekarte scheint mir ein Betrag von € 196 für die folgende Parade nicht übertrieben – wer möchte, kann es meinem Ansinnen vom letzten Besuch natürlich gleichtun und stattdessen ein erheblich günstigeres vegetarisches Menü aufrufen, das mich beim letzten Mal zu regelrechter Glückseligkeit trieb. Wirklich schwach hatte ich hier noch nie gespeist, doch der überragende Auftritt vom letzten Ma(h)l nährte durchaus in mir die Hoffnung, dass eine abermalige Spitzentat möglich schien. Aus dem Unglück des langen Lockdowns schien Boris Rommel jedenfalls eine ganze Menge Lehren gezogen zu haben, denn das bisher nicht gekannte Niveau der jüngsten Darbietung erwies sich wahrhaftig als beeindruckend. Anstatt über sein Unglück zu jammern, nahm Boris Rommel die Herausforderungen der Corona-Krise an, nutzte den Moment für ein Innehalten sowie eine Inspektion auf dem Prüfstand und kehrte besser zurück denn je – so jedenfalls meine Eindrücke vom November. Bester Dinge machte ich mich also erneut in die Region Hohenlohe auf und erhoffte mir selbstverständlich neue Erkenntnisse darüber, wie nachhaltig die neue Qualitätsstufe denn schon ausgeprägt ist.

Wie schon erwähnt schlage ich diesmal das vegetarische Menü aus (das ohnehin noch zwei Gänge vom November beinhaltet) und entscheide mich für das Trüffelmenü, welches dem durchaus nicht geringen Selbstverständnis des Hauses ausgesprochen gut zu Gesicht steht. Ähnlich üppig wie beim letzten Besuch präsentieren sich die Apéros, zu denen ich mir einen Cocktail Garibaldi kredenzen lasse: ein Cannelono mit Füllung von Kalbstatar und Zwetschge obenauf, dann Kräuterseitling mit Silberzwiebel, Pinienkerngel und Heidelbeere, weiterhin Birne, Baiser sowie Brillat Savarin und schließlich Kürbis mit zweierlei Kerbel (Gel und Crème). Während die aromatische Balance bei den ersten beiden Beiträgen noch ein wenig hätte optimiert werden können, überzeugten die letzten beiden mit starken Kontrasten und filigraner Detailarbeit – allen gemeinsam war natürlich ein weit überdurchschnittliches Produktniveau.

Teil zwei der Apéro-Parade ist vom letzten Besuch her noch weitgehend bekannt, ist aber natürlich mehr als willkommen: hinten links pochierte Auster mit Senfgurke und Hollandaise, dann ein Bleni mit Prunier-Kaviar, dann ein Focaccia mit Fondue von Vacherin Mont-d’Or und als letztes die Hommage an Paul Bocuse in Form von Sot-l’y-laisse in einer Geflügelvelouté mit Blätterteig überbacken. Abgesehen von der etwas plakativ und zu massig eingesetzten Hollandaise ein luxuriöser Einstieg, der ganz auf Harmonie ausgelegt ist und vollauf gelingt.

Die üppige Brotauswahl knüpft nahtlos an das Niveau vom letzten Besuch an und gehört im Vergleich zu dem, was andere Lokal hier bieten, ganz klar zu den Highlights: Salz, Olivenöl und Gänserillette als Alternativen zur Butter machen eine Menge her.

Von einer früheren Stippvisite her kommt mir der erste Gang noch vertraut vor: bei Kalbstatar, schwarzer Trüffel und Petersilienwurzel (als Crème und Mousse) wird der Hauptdarsteller eher mild interpretiert und von einer mit Petersilien-Öl verfeinerten Vinaigrette umspielt. Brotchips sorgen für etwas Knackigkeit in einem ansonsten eher auf weiche Zutaten setzenden Teller, bei dem der Trüffel in Form von kleinen Scheiben noch nicht dominiert, aber eine fraglos stimmige Veredelung darstellt. Alles in allem ein Gericht von klassischer und gediegener Eleganz, das dem Anspruch eines Zwei-Sterne-Hauses vollauf gerecht wird und vor allem mit Produktfokussierung punktet, ohne dabei zum Highlight zu werden.

Das sollte sich jedoch schnell ändern bei Topinamburschaumsuppe, die mit einem Netz aus leicht knusprigem Brandteig bedeckt ist. Allein die überhaupt nicht forciert wirkende Vielfalt, mit welcher der Topinambur in Szene gesetzt wird, hätte schon ausgereicht, um diesem Teller das Prädikat der Extraklasse zu verleihen: gebraten, als Purée und in Form von kleinen Chips entlockt Boris Rommel seinem Produkt eine Diversität, die im Geschmack ihre Entsprechung findet und sensationell gut gelingt. Bei alldem bleibt die Hauptzutat angemessen demütig und lässt dem zarten Alba-Trüffel allen Raum, um die erdigen Noten gekonnt zu potenzieren. Nimmt man dann noch die grandiose Optik hinzu, so kann man hier nur von einem echten Meisterwerk sprechen. Diesem Gang dürfte schon jetzt ein Platz in meiner Menüfolge des Jahres 2022 sicher sein! Sensationell!

Obwohl bretonischer Steinbutt im nächsten Gang als aromensatter und überaus saftiger Fisch auftritt, so ist die Bereicherung des Gerichts vor allem durch Varianten von Lauch unbedingt hervorzuheben: dieser trägt ungemein viel bei, ob nun kurz frittiert, kurz gegrillt oder als Schaum. Ein Salat aus Champignons und gebackenen Steinpilzen macht aus diesem Teller eine vergleichsweise komplexe Angelegenheit, doch Boris Rommel hat alles im Griff: nicht einmal annähernd wirkt das überladen, sondern jederzeit transparent und minutiös umgesetzt. Eine ganz leichte Säure durch ein paar Spritzer Zitrone rundet die Kreation vollendet ab, so dass auch dieser Teller mehr als überzeugend gerät – erneut ein sehr starker Beitrag.

Hohenloher Rinderfilet entlockt die Küche ungeahnte aromatische Kraft, doch die Umsetzung in einem Tramezzini-Blätterteig-Mantel mit Fischfarce sowie Blatt- und Rahmspinat setzt dem Hauptdarsteller die Krone auf. Natürlich huldigt der Teller eher klassischen Formen der Präsentation, doch wen kümmert das, wenn Périgord-Trüffel und Kürbis in unterschiedlichsten Texturen das Türmchen so reizend umspielen? Die leichte Bitterkeit der eingelegten Rosenkohlblätter federt die Erdenschwere des Gangs ein wenig ab, doch dieser Trüffeljus könnte keiner widerstehen: ein Harald Wohlfahrt oder ein Heinz Winkler müssten sich dafür nicht schämen! Dieser Teller verströmt eine Grandezza mit superber Produktqualität und äußerst durchdachter Inszenierung. Bravo!

Zum Pré-Dessert denkt sich die Küche eine Variante des letzten Beitrags vom November aus: war es damals ein dekonstruiertes Bananensplit (siehe unten), so handelt es sich diesmal trotz ähnlicher Anrichte um etwas völlig anderes: ein Zimtespuma kaschiert ein darunter verstecktes Zwetschgenkompott auf einem Schokocrumble. Dezente Herbheit, fruchtbetonte Aromen und eine unerwartete Leichtigkeit zeichnen auch dieses ausgezeichnet gelungene Intermezzo aus.

Angesichts seiner aromatischen Intensität bleibt dem schwarzem Trüffel zur Abwechslung mal nur die Rolle der zweiten Geige beim Dessert, doch zugedeckt wird das gräuliche, praktisch zuckerfreie Eis des Trüffels keineswegs von der mit schwarzem Trüffel ummantelten Kastanienmousse. Im Wechselspiel von erdigen und fruchtigen Aromen durch Birnenchutney kommt dem Crumble von Pinienkernen mit seiner nussigen Note eine ideale Vermittlerrolle zu, welche die Aromen stimmig verbindet. Die Äste aus hauchdünn geeister Schokolade veredeln einen recht mutigen und individuell umgesetzten Gang, der das bisher gezeigte Niveau abermals bestätigt und zu einem runden Abschluss wird.

Nach dieser überaus beeindruckenden Darbietung kann man locker darüber hinwegsehen, dass die Petits fours ein wenig abfallen: Madeleine mit Portweingelée und Pâte de fruit von Mandarinen geraten recht konventionell, aber die Zitronentarte vermag ihren Status als mein persönlicher Favorit seit dem letzten Ma(h)l zu behaupten und wird von einem unkonventionell interpretierten Schokomacaron würdig begleitet. Kein Finale furioso, aber nach dieser Menüfolge hätte selbst der missratenste Ausklang nicht mehr viel geändert.

Was war das wieder für eine Darbietung! Ein kulinarisches Feuerwerk oder übertriebene Schauwerte sucht man hier vergebens, denn aufgrund der extremen Substanz, die diese Küche inzwischen an den Tag legt, hat man solche Sperenzchen schon längst nicht mehr nötig – superbe Grundprodukte, bewährte Zubereitung und launige Ideen voller Esprit zeichnen diese Küche viel eher aus. Dieser erneute Besuch hier entpuppte sich allenfalls als marginal schwächer wie sein Vorgänger, denn all die Qualitäten, die zu dem überragenden Urteil von vor zwei Monaten geführt hatten, waren auch diesmal wieder auszumachen. Speziell die mittleren Gerichte dieser Folge wussten erneut extrem zu überzeugen, da die feinsinnige Balance und das sorgsame, doch niemals aufdringliche Handwerk mehr als bemerkenswert gerieten – ein Eindruck, den offenbar auch die in Sachen Hochküche versiert wirkende Dame am Nebentisch teilte, obwohl sie das vegetarische Menü gewählt hatte. Dass Boris Rommel die Gerichte inzwischen meist selbst am Tisch erklärt, war mir ein absolutes Novum, welches den Gerichten einen noch authentischeren und nachvollziehbareren Anstrich gab. Mit einer wie selbstverständlich wirkenden Akkuratesse und Perfektion wurden die Gerichte in Szene gesetzt – als ob sie gar nicht anders hätten präsentiert werden können, so schlüssig wirkte all das. Selbst wenn eine Kombination mal nicht voll einschlug, so konnte man verlässlich jederzeit auf die hervorragende und unverfälschte Qualität der Viktualien bauen. So kompliziert gestrickt sind die meisten Gerichte hier gar nicht, doch die akribische Umsetzung und das genaue Gespür für winzige Details heben dieses Lokal inzwischen aus der Masse an klassisch französischen Lokalen recht deutlich heraus.

Die Serviceleistung durfte auch diesmal wieder als vorbildlich und exemplarisch angesehen werden, selbst wenn die Extraklasse vom letzten Besuch nicht ganz erreicht wurde. Die absolut fair bepreisten Getränke und frisch an der Bar kredenzten Cocktails machen aus einem Abend hier eine erschwingliche Angelegenheit mit hohem Wohlfühlfaktor – sofern es old school sein darf. Das untrügliche Gespür des Service für die Belange und Wünsche des Gastes sowie angenehme Bräuche (zum Beispiel die regelmäßige Nennung des Gastes beim Namen) ist hier weitaus stärker als anderswo ausgeprägt – davon könnte sich so manch andere, unpersönlich agierende Truppe mal gerne eine Scheibe abschneiden.

Trotz einer mehr oder weniger genau bedienten Erwartungshaltung der eher konservativen Klientel kann man keineswegs behaupten, dass die Küche aus der Zeit gefallen oder überraschungsfrei sei – man gewinnt im Gegenteil den Eindruck, dass die dezente, aber stetige Modernisierung inzwischen ganz leichtfüßig gelingt, ohne dabei das hauseigene Credo in irgendeiner Weise zu verletzen. Vor diesem Hintergrund zolle ich auch dieser Leistungsschau meine volle Anerkennung und kann mit einer gewissen Genugtuung verkünden, dass die damalige, fast kühne Vergabe von 19 Punkten kein Strohfeuer war und aus meiner Sicht inzwischen vollauf verdient ist. Müsste ich einen absoluten Geheimtipp für den dritten Michelin-Stern verkünden, dann wäre es inzwischen tatsächlich dieses noble Etablissement unter Chefkoch Boris Rommel. Ich komme wieder – versprochen!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Le Cerf
Kärcherstr. 12
74639 Zweiflingen
Tel.: 07941/60870
www.schlosshotel-friedrichsruhe.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2022: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4 F

5-gängiges Trüffelmenü: € 196

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„Wenn gelegentlich etwas Altmodisches wieder Mode wird, merken wir, wie bezaubernd unsere Großmütter gewesen sein müssen.“ (Sigmund Graff)

UPDATE (November 2021)

Das Le Cerf im noblen Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe des Impresarios Reinhold Würth durchlief während der bisherigen Pandemie offenbar besonders unruhige Zeiten, denn eine deutlich längere Schließzeit des Lokals über das offizielle Ende der Maßnahmen hinaus hatte die größten Skeptiker vielleicht schon veranlasst, über eine dauerhafte Schließung zu spekulieren. Diese trat mit der Wiedereröffnung im August dieses Jahres zwar nicht ein, doch hatte man in zwei renommierten Führern Abwertungen zu verkraften, die wohl der aktuellen Situation geschuldet waren. Insofern war ich gespannt, ob die jüngsten Urteile an diesem Abend leider bestätigt werden würden oder ob die schlimmste Phase überwunden wäre. Dass Chefkoch Boris Rommel und sein Team prinzipiell in der Lage sind, eine aristokratisch anmutende Hochküche zu zelebrieren, war für mich schon seit der Erlangung des zweiten Michelin-Sterns 2017 in Stein gemeißelt. Ziemlich sicher wäre es den Betreibern nicht eingefallen, bei offenkundigen qualitativen Abstrichen wieder zu öffnen – sollen also die drei Tage unter der Woche (Mittwoch bis Freitag), an denen das Lokal derzeit geöffnet ist, darauf hindeuten, dass das Interesse seitens der Gäste geringer geworden ist? Basierend auf dieser Annahme rufe ich einen Tag vor meinem spontanen Besuch an und gehe davon aus, dass ein Tisch unter der Woche zu haben ist, doch zu meiner nicht geringen Überraschung erfahre ich, dass mein Besuch nur aufgrund einer kurzfristigen Absage eines anderen Gastes möglich geworden ist. Dann wäre das auch mal geklärt …

Ansonsten hat sich nicht viel verändert: nach wie vor geleitet einen der Service durch das in recht dunklen Tönen gehaltene, feudale Ambiente zum Tisch, der ganz klassisch eingedeckt ist. Dass die Gästeklientel hier traditionell ein wenig konservativer ist, mag schon sein, aber andererseits pflegt man hier eben noch eine Tischkultur, die schon bei angemessener Garderobe beginnt. Kein Wunder, dass man hippe, nach Neuerungen lechzende Foodblogger hier vergeblich sucht und man dem arg strapazierten Modebegriff Casual Fine Dining offenbar nichts abgewinnen kann und will. Beim Blick auf die Speisekarte findet man prompt jede Menge einschlägiger Luxusprodukte, die allerdings in durchaus ungewöhnlichen Kombinationen inszeniert werden. Tatsächlich drohte mir auf diesem Gebiet eine gewisse Reizüberflutung, so dass ich diesmal schon mit dem Vorsatz anreise, das vegetarische Menü zu nehmen und dies auch einhalte. Das hat zum einen den Grund, dass diese Menüfolge tatsächlich signifikant preiswerter gerät und sich zum anderen wahrlich spannend liest. Da diese viergängige fleischlose Menüfolge (€ 116) namens „Légumes“ – der französische Begriff für Gemüse – einen Gang weniger als das große Menü zu fünf Gängen (€ 184) aufweist, ergänze ich die Folge noch um einen Käsegang à la carte (€ 24), den ich nicht bereuen sollte.

Schon der Einstieg gerät ausgesprochen attraktiv, wenngleich er nach wie vor recht platzraubend dargeboten wird. Dessen ungeachtet wird der trockene, alkoholfreie Champagner-Bratbirne-Sekt von Jörg Geiger zu einem würdigen Begleiter der fünf folgenden Apéros: Karotte, Kokos und Estragon (hinten) sowie Rindertatar mit Crème fraîche, Zwiebeln und Sellerie im Cornetto (vorne). Dazu gesellen sich Lachs mit Sauce Gribiche und Tagetes (links), Kohlrabi und Bulgur (Mitte) sowie schließlich Avocado und Brombeere auf Sauerteig (rechts). Trotz der großen Diversität ist allen Einstimmungen ein ganz starkes Handwerk gemeinsam, denn auf ihre eigene Art geraten alle Beiträge aromensatt, ohne je aufdringlich zu wirken.

Zu meiner großen Überraschung folgt nun kein Gruß aus der Küche im konventionellen Sinn, sondern ein weiterer Reigen rund um fünf opulente Extras: ganz hinten ein Käsefondue mit Vacherin Mont d’Or, dann zur linken ein Bleni mit Impérial-Kaviar, davor ein Wachtelei auf Maronencrème und rechts davon mit Yuzu verfeinerte, gebackene Langustine. Das Kronjuwel der Sammlung ist aber selbstverständlich die Geflügelvelouté im Blätterteig mit unglaublich generös darüber geriebenem schwarzen Trüffel. Die in einer Tasse ausgebackene Kreation geht natürlich auf Paul Bocuse zurück, dem hier angemessen gehuldigt wird. Luxus und Schlichtheit gehen hier insgesamt eine fast schon als ideal zu bezeichnende Synthese ein, die sehr beeindruckt. Noch vor dem ersten Gang drängt sich mir der Eindruck auf, dass die aktuell geltenden Urteile der einschlägigen Guides bereits vollkommen obsolet geraten.

Auch bei der Brotauswahl begnügt man sich nicht mit halben Sachen, denn diese wird mit Rillette von der Gänseleber plus Apfelmus, Olivenöl, australischem Fluss-Salz und Butter in einer beachtlichen Vielfalt begleitet. Der restliche Käse vom Mini-Fondue zuvor macht sich auch ausgezeichnet als Aufstrich, so dass ich diesen unter keinen Umständen auslassen möchte. Außerdem lasse ich mir noch von der phantastischen Bar zum Spottpreis von € 7,50 einen Ipanema kommen, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Nach dieser Ouverture von Wagner’scher Dimension hat die Küche die Messlatte bereits in für dieses Etablissement ungeahnte Höhen gehängt, so dass ich inständig hoffe, die Küche möge in der Folge nicht an ihrem selbst gesteckten Anspruch scheitern. Offen gestanden wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn das Niveau fortan wieder irdische Sphären erreicht hätte – zu sehr schien mir diese Küche bisher von ihrer Reputation zu zehren, in erster Linie auf Luxusprodukte zu setzen. Mit anderen Worten: meine Wahl des vegetarischen Menüs empfand ich als echte Feuertaufe, denn die Arbeit mit simplen und keineswegs hochpreisigen Viktualien hatte ich im Le Cerf bislang noch nicht bewerten dürfen. Selbst in noch höher dekorierten Lokalen ist es immer wieder zu erleben, dass vegetarische Menüfolgen oft lästig, verkrampft oder alibihaft wirken und nur deshalb auf der Karte stehen, um auch den Wünschen einer größer gewordenen, vermeintlichen Nischenklientel gerecht zu werden.

Sollte das auch hier der Fall sein? Es hätte mich nicht überrascht, doch der weitere Verlauf des Abends sollte meine Befürchtungen sowas von eindrucksvoll zur Seite fegen: schon der erste Gang mit Gartenkarotte, Koriander und Mascarpone geriet für mich zu einer echten Sensation, die zweifellos in die kurze Liste der besten drei vegetarischen Gerichte aller Zeiten aufgenommen gehört. Neben der grandiosen optischen Gestaltung im Stile einer Malerpalette ist es die umwerfende Fülle an Texturen rund um die Karotte, die dem Gericht den Stempel aufdrückt. Die Karottenwürfel hinten rechts sind nicht massiv, sondern mit einer fluffigen Karottenfarce gefüllt, wobei insbesondere die ausgesprochen harmonische Abwechslung bei den Texturen und Temperaturen beeindruckt. Die falsche gelbe Karotte aus Koriandercrème ist perfekt abgeschmeckt und und verschmilzt prächtig mit dem Eis von Mascarpone auf etwas Bulgur. Die süß-saure Vinaigrette (rote Bete und vermutlich Limette, wenn ich mich recht entsinne) rundet diesen unfassbaren Geniestreich, der keine Sekunde langweilig geriet, würdig ab. Mein Gott, was für ein Einstieg!

In ein schlichteres Gewand gekleidet kommt Acquerello Risotto auf den Tisch. Das unter einer Scheibe von leicht frittiertem Parmesan befindliche Risotto punktet mit unwahrscheinlichem Tiefgang im Geschmack, seinem süffigen Charakter und der völlig unangestrengten Harmonie mit den weißen Alba-Trüffeln (als Schaum und geriebene Scheiben). Etwas Rote Bete sorgt schließlich für höchst angenehmen Biss in einem unerhört luxuriösen Gang ohne Chichi. Das ist schon vor dem Verzehr ein olfaktorisches Vergnügen (dieser Trüffel!) und bis zum letzten Bissen eine vollkommen natürlich anmutende Wohltat von grandioser Qualität. Bravo!

Den Hauptgang dominiert der herbstliche und seltene Pilz Kastanienseitling. Umspielt wird er dabei von Topinambur in gebratener und frittierter Form sowie als Crème. Eine à part aufgegossene Apfel-Topinambur-Vinaigrette verleiht dem Gang spritzige Frische, während deutlich würzigerer schwarzer Knoblauch für eine angemessene geschmackliche Abrundung sorgt. Der eine halbe Stunde lang gedämpfte Pilz geriet dabei für meine Begriffe nicht ganz optimal – ob dies eher auf die Zubereitung oder die inhärenten aromatischen Qualitäten des Pilzes zurückzuführen ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Alles in allem somit ein leicht schwächerer Gang (gemessen an den Vorgängern), dessen säurebetonte Begleitung allerdings sehr gut korrespondierte und auch optisch lange Zeit im Gedächtnis haften blieb.

Der Verzicht auf den zuvor erwähnten und an dieser Stelle eingestreuten Käsegang hätte mich wahrlich geärgert, denn auch hier setzt die Küche Maßstäbe, die ich in dieser Form hier bislang noch nicht erleben durfte: der ausgesprochen luftig-leichte Tête de Moine erstrahlt hier in voller Pracht, denn dezente Süße eines Gels von Williams-Christ-Birne in Kombination mit den deftigen Würfeln von Pata-Negra-Schinken entpuppt sich als launige und völlig angemessene Idee, um die vergleichsweise milden Aromen des meist zu Rosetten geformten Schweizer Hartkäses in heiterer Vielfalt zu präsentieren. Es geht jedoch auch herber, denn Purée und Vinaigrette von Sellerie steuern markige Würze bei, die von ein paar Brotchips passend begleitet werden. Wegen des Specks steht dieser Gang wohl nicht in der vegetarischen Folge, doch gliedert sich er an dieser Stelle vollkommen passend ein. Definitiv einer der stärksten Käsegänge dieses Jahres!

Trotz eines relativ niedrigen Menüpreises und üppiger Apéros zu Beginn lässt man sich weiterhin nicht lumpen und streut ein Pré-Dessert in Form eines dekonstruierten Bananen-Splits ein. Auf einem mit Crema Catalana veredelten Schokocrumble ruht Banane in Form von Espuma, Gelée und Crème. Die hinreißende Optik geht Hand in Hand mit der wunderbar herben Süße und macht aus dieser Neuinterpretation abermals einen echten Volltreffer. Überhaupt fällt auf, dass die allermeisten Gerichte hier mit wenigen verschiedenen Komponenten auskommen und doch stets mit launigen Einfällen umgesetzt werden, die enorm durchdacht wirken – ein besseres Beispiel dafür konnte es an diesem Abend nicht geben. Da gönnt man sich von der Bar noch einen Virgin Colada, denn bei diesen Preisen käme es einer Sünde gleich, der gigantischen Auswahl von Cocktails vorzeitig zu entsagen.

Das letzte Dessert, das offiziell mit Zwetschge, Apfel und Buchweizen annonciert war, hätte in Summe nach diesem Pré-Dessert vielleicht die größere Abwechslung bedeutet, doch schon zu Beginn hatte ich das Dessert gegen den Beitrag des großen Menüs ausgetauscht: Schokolade, Kalamansi und Olive punktete dennoch mit kompaktem Geschmack auf kleinem Raum. Auf einem Olivenbiscuit thront ein Kalamansi-Eis, während ansonsten der Schokolade weitgehend die Bühne überlassen wird: Crumble, Perlen von weißer Schokolade sowie ein Ast aus zartherber Schokolade runden ein kleinteiliges Dessert im Verbund mit einer Kalamansi-Vinaigrette, die zudem mit etwas Olivenöl verfeinert wurde, prächtig ab. Obwohl durchaus körperbetont, ist dies ein heiteres und ausgelassenes Dessert mit feinsäuerlichen Spitzen und einer klaren Idee. Das Niveau wird somit bis zum Ende hochgehalten – Chapeau!

Bei den Ausklängen konnten das Kaffee-Marshmallow und die mit geeister Schokolade ummantelte Praline von Minze und Himbeere nur bedingt überzeugen, doch das Törtchen von Zitrone und Meringue schlug nochmals voll ein. Nach dieser Menüfolge hätte allerdings selbst der missratenste Ausklang nichts mehr an meiner Hochstimmung zu ändern vermocht.

Dass im Le Cerf eine bereits mehrfach in der Vergangenheit ausgezeichnete Tischkultur zelebriert wird, wird jeder schnell feststellen können, der hier einmal eingekehrt ist. Die fast rein männliche Servicebrigade unter der Leitung von Dominique Meyer lieferte an diesem Abend eine Leistung alter Schule ab, die für meine Begriffe zu den besten Serviceleistungen gehörte, die mir je zuteil wurde. Ohne jede Steifheit oder gar Herablassung geleitet diese Truppe so was von aufmerksam, souverän, hochprofessionell und tiefenentspannt durch den Abend, dass diesmal selbst der Standard für Serviceleistung aus der Schwarzwaldstube übertroffen wurde. Hinzu kommt noch, dass das gezeigte Preis-Leistungs-Verhältnis für dieses Niveau geradezu unfassbar günstig gerät – seien es die Cocktails von der grandiosen Bar, die Weinbegleitung oder Digestifs.

Und dann wäre da natürlich noch die Küchenleistung selbst zu würdigen: in meinen kühnsten Träumen hätte ich eine derart überzeugende Darbietung auf vegetarischen Gebiet hier nicht erwartet. Was Boris Rommel mit seinem Team diesmal auf die Teller zauberte, war nicht nur handwerklich makellos, sondern stets von einer klaren Idee durchdrungen und geschmacklich so harmonisch ausgelotet, dass die Begeisterung meinerseits fast gar kein Ende nehmen wollte. So geschickt wirkte auch die Dramaturgie dieser Menüfolge, die geschickt die aromatische Intensität variierte, dass keinerlei Vorhersehbarkeit oder Überforderung beim Gast eintrat. Die weitgehende Gestaltung der Kreationen mit nur wenigen Komponenten wirkte zudem ungeheuer fokussiert und mit einer klaren Handschrift gestaltet. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die Zukunft hier inzwischen eingeläutet worden ist – mit einem zeitgemäßen Profil, das die Grundfesten dieses Hauses allerdings in keinster Weise erschüttert. Dass Impresario Reinhold Würth schon immer buchstäblich Nägel mit Köpfen zu machen pflegte, ist in der Region Hohenlohe keine ganz neue Erkenntnis. Dennoch hat mich das Ausmaß des Fortschritts hier seit meinem letzten Besuch regelrecht überwältigt, da der ganze Abend so wunderbar stimmig, edel und entspannt verlief bei praktisch durchgehend exzellentem Niveau. Angesichts solcher Qualität komme ich kaum umhin festzustellen, dass old school hin und wieder einfach mal sein muss, da diese nach wie vor ihre Daseinsberechtigung hat, wenn sie sich so perfekt darstellt wie hier. Eine glasklare Empfehlung meinerseits, die an diesem Abend mit der zweithöchsten Note definitiv nicht übertrieben bewertet worden ist!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Le Cerf
Kärcherstr. 12
74639 Zweiflingen
Tel.: 07941/60870
www.schlosshotel-friedrichsruhe.de

Guide Michelin 2021: **
Gault&Millau 2021: 17 Punkte
GUSTO 2022: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 4 F

4-gängiges Menü „Légumes“ plus Käsegang: € 140

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„Kochen ist Leben. Das ist alles, was zählt.“ (Boris Rommel)

UPDATE (März 2020)

Die Region Hohenlohe vermarktet sich zwar ganz gerne – und auch zurecht – als Genussregion, doch in Sachen Hochküche kann es diese Gegend nicht mit der Strahlkraft des Schwarzwalds oder der Bodenseeregion aufnehmen. An der Spitze steht somit seit inzwischen vielen Jahrzehnten fast konkurrenzlos das Gourmetrestaurant des Wald & Schlosshotels Friedrichsruhe, das zum Imperium des Milliardärs Reinhold Würth gehört. Der großzügige Förderer von Kunst und Kultur punktet nicht nur mit Ausstellungen hochrangiger, internationaler Kunst in Schwäbisch Hall und Künzelsau, sondern fördert auch die stets subventionierungsbedürftige Hochküche.

Bereits Ende der 70er-Jahre übernahm hier der heute legendäre Lothar Eiermann das Kommando und führte das Lokal die meiste Zeit über in die Zwei-Sterne-Liga. Der drei Tage vor meinem Besuch 75 Jahre alt gewordene Chef wohnt immer noch in Sichtweite zum Hotel und zählt heute zu den großen Pionieren der Haute Cuisine in Deutschland. Er wagte es sogar einst, den legendären Paul Bocuse dafür zu kritisieren, dass dieser seinen Namen für Fertigprodukte hergeben würde. Das brachte ihm eine böse Tirade seitens der französischen Ikone ein, doch seiner Reputation tat dies keinen Abbruch. Seit der Pensionierung des ehemaligen Chefs im Jahre 2009 war unter verschiedenen Chefs, die hier meist nur recht kurz verweilten, ein wenig Unruhe eingekehrt. Seit allerdings mit Boris Rommel ein klassisch veranlagter und hochtalentierter Jungkoch für die Küche gewonnen werden konnte, erstrahlt das Lokal inzwischen wieder wie zu besten Zeiten: zwei Michelin-Sterne und 18 Punkte im Gault&Millau sind nicht die schlechtesten Referenzen.

Der ausgesprochen bescheiden auftretende und voll auf seine Arbeit fokussierte Chef feilt unablässig an seinen Fähigkeiten und holt natürlich auch ganz gerne mal den Rat des ehemaligen Chefkochs ein, wenn dieser doch schon so geschickt verfügbar ist. In seinem unlängst erschienen Kochbuch offenbart Boris Rommel überdies nicht nur sein kulinarisches Credo, sondern erfährt auch von Lothar Eiermann eine entsprechende Würdigung für seine bisherigen Verdienste – und das Ende der Fahnenstange scheint noch lange nicht erreicht.

Man geleitet mich nach verregneter Anreise zu meinem klassisch eingedeckten Tisch, hinter dem an der Wand übrigens das Gemälde „Der rote Hut“ von Josef Engelhart hängt, das eine unbekleidete Frau mit rotem Hut zeigt. Ansonsten erfüllt das ausgesprochen feudal eingerichtete Restaurant mit den Kristalllüstern, den Seidentapeten und den Gemälden aus der Sammlung WÜRTH so ziemlich jedes Klischee über Sternerestaurants von unbedarften Nicht-Gourmets, führt aber genau deshalb dazu, dass die Gäste hier eben eine Spur eleganter gekleidet und kultivierter als anderswo erscheinen. Entsprechend opulent oder gar dekadent sind auch manche Gerichte auf der Speisekarte, die immerhin in drei Menüs eingeteilt sind (eines davon vegetarisch). Meine Wahl fällt auf das saisonale fünfgängige Périgord-Trüffel-Menü, das angesichts des hochpreisigen Namensgebers mit € 178 erwartungsgemäß nicht ganz billig gerät.

Zu einem Cocktail namens „Cranberry Rust“ werden die ersten Kleinigkeiten präsentiert, die hier aus irgendeinem Grund immer auf einem sperrigen und platzraubenden Ast präsentiert werden müssen: ein Kartoffelblini mit eingelegtem Sauerkraut, dann etwas Tatar vom Hohenloher Rind mit Kaviar und Crème fraiche auf einem hauchzarten Cracker sowie mit Yuzu verfeinertes Lachstatar. Das Quintett komplettieren eine mutige Komposition aus Sellerie und Feige sowie ein Mini-Käsefondue aus Vacherin-Mont-d’Or, für das ein gedämpftes Brot auf einem kleinen Spieß bereit steht – ein gelungener Einstieg, wenn man einmal davon absieht, dass der erste Gang des späteren Menüs einigermaßen ähnlich wie das Rindertatar gerät.

  

Es folgen noch ein kalter und ein warmer Gruß: Filet vom Kaninchen in einer Kerbelvinaigrette mit eingelegten Beten und Karotten-Julienne sowie „fiorentinisches Ei“ mit Eigelb, Spinat, Nussbutterschaum und schwarzem Trüffel. Beide Kreationen gelingen vollauf, zumal der warme Gruß trotz seiner sattsam bekannten Kombination weit überdurchschnittlich gelingt. Zum Ende des Einstiegs werden außerdem diverse Laugenbrote mit Olivenöl, Fleur de Sel, Salzbutter und einer Petersiliencrème gereicht.

 

 

Ganz große Genuss-Oper gibt es dann im ersten Gang: Kalbstatar mit schwarzem Trüffel und Petersilienwurzel ist ein wunderschön angerichtetes Arrangement von Türmchen des Tatars, die auf einem länglich-ovalen Teller in einer erdigen Vinaigrette ruhen. Getoppt sind sie nicht nur mit den annoncierten Komponenten, sondern mit fernherber Würze verbreitendem und leicht geschmolzenem Brillat Savarin, der erst für die vollendete Veredelung sorgt. Dieser Gericht sorgt für ewig langen Nachhall am Gaumen und tiefe Beglückung gleich zu Beginn. Was für ein Einstieg!

 

Es folgt eine Ochsenschwanzessenz mit Tortellini, Wurzelgemüse und Sherry. Die Essenz ist von göttlicher Tiefe und lässt erahnen, wie viel Stunden Arbeit dahinter stecken müssen. Angesichts eines solch kraftvoll zupackenden Hauptdarstellers bedarf es nicht viel mehr als der angekündigten Komponenten, um ein Gericht von monumentaler Wucht zu kreieren. Spritzer von Zitrone sorgen für ganz leichte Frische und werten den Gang weiter auf. Wenn das so weiter geht, dann wird dies ein fulminanter Abend werden!

 

Die Intensität wird bei bretonischem Steinbutt, Blumenkohl und Eigelb etwas reduziert. Der zarte Hauptdarsteller ist saftig und vorbildlich gegart, doch im Verbund mit den Begleitern ist mir dieser fraglos elegante und schnörkellose Gang fast ein wenig zu blass. Mit einer etwas weniger zurückhaltenden Entourage könnte dieses Gericht für meine Begriffe sogar noch weiter an Kontur gewinnen. Beileibe keine Enttäuschung, doch insgesamt etwas ausdruckslos. Eine schöne und originelle Idee hingegen ist das Schachbrettmuster aus Trüffel und Blumenkohlcrème.

Das Hauptgericht vermag mich mehr als versöhnlich zu stimmen: Hohenloher Rinderfilet mit Trüffeljus stellt ein generöses Stück saftigen und tiefroten Fleischs, das mit einer Trüffelkruste ummantelt ist, in den Mittelpunkt. Eine Kartoffeltasche mit aufgesteckten, bunten Sorten von Wurzelgemüse ist alles, was hier begleitend zur Seite gestellt wird, doch die wohltuend zurückhaltende Kombination überlässt mit Recht dem brillanten Hauptprodukt die Bühne. Dieses Stück Rinderfilet muss sich in seiner Perfektion keineswegs vor den Fleischgerichten von noch höher dekorierten Häusern verstecken. Wer braucht schon Wagyu?! Großartig, einfach großartig!

  

Als eingeschobenes Pré-Dessert gibt es Dreierlei von der Orange (Filets, Sud und Curd) mit Sorbet von Passionsfrucht kombiniert – eine fruchtig-leichte Überleitung mit Charme.

Das Dessert (das ich von einem anderen Menü ausgetauscht habe) besteht aus Valrhona-Schokolade, Sanddorn und Curry. Das spärlich gewürzte Gericht konzentriert sich im Grunde genommen voll auf eine möglichst vielseitige und kreative Inszenierung seiner beiden Hauptkomponenten. Beide werden als Crème aufgeschichtet – während Sanddorn vor allem in gelierter Form und leicht geeister Form auf den Teller gelangt, sind es bei der Schokolade mehrere Crumbles und kleine Pralinen. Was hier ausladend klingt, gerät mit der Zeit trotz einer Fülle an Texturen leider dennoch etwas eindimensional und vorsehbar. Nach zwei, drei Bissen ist eigentlich schon alles gesagt – vielleicht hätte eine dritte Komponente hier Abhilfe geschaffen. So bleibt dies unterm Strich ein durchschnittlicher Beitrag.

Weit weniger gewöhnlich geraten die Ausklänge (diesmal nicht auf den Ästen): ein Blätterteigröllchen mit Vanilleeis darin und mit Haselnuss ummantelt, ein Topinambur-Krapfen (mit verhaltener Aromatik), ein Zitronentartelette sowie ein mit Kaffee und Kakao aromatisiertes Éclair. Bis aus den Windbeutel können diese Petits fours überzeugen, doch dann kommt überraschenderweise noch eine zweite Fuhre mit edlen Pralinen: ich entscheide mich für Passionsfrucht, Fleur de Sel, Toffee und Oreo (!) – ein würdiger Abschluss eines über weite Strecken ausgesprochen gut gelungenen Abends.

Der formvollendete Service unter der Leitung von Maître Dominique Metzger setzt diesem Abend die Krone auf. Die stets aufmerksame und überaus persönliche Betreuung durch die fast komplett männliche Servicebrigade ist mustergültig und absolut untadelig. Hinzu kommt eine der für Vinophile attraktivsten Weinkarten weit und breit, die vor allem mit üppiger Jahrgangstiefe und keineswegs überzogenen Preisen punktet. Überhaupt sind die Nebenkosten hier noch recht moderat, wenngleich freilich die Menüpreise eher im oberen Bereich angesiedelt sind. Das einzig Kritikwürdige an den Rahmenbedingungen ist die Musik, denn zunächst ertönen Adaptionen von Rockklassikern für Cello und Klavier, gefolgt von Soulbeiträgen mit sehr markanten und bisweilen recht schrillen Stimmen. Dürfte ich hier mal Haydn-Streichquartette oder Mozart-Klavierkonzerte anregen?! Mehr als nur einmal an diesem Abend fiel die Musik in diesem feudalen Rahmen zumindest mir eher negativ auf.

Kommen wir noch zur Küchenleistung: der im Habitus völlig unaufgeregte und voll auf klassische Tugenden setzende Küchenstil von Boris Rommel passt zu diesem Etablissement wie der Topf auf den Deckel. Man spürt, dass der Chef sein Motto (siehe Eingangszitat) bis in die Haarspitzen lebt und unaufhaltsam nach oben strebt. Der ambitionierte Mittdreißiger hat für mich mittelfristig das Potential für den dritten Stern und verdient es daher mit Sicherheit, im Auge behalten zu werden. Die ersten, noch leicht unsteten Jahre sind inzwischen Geschichte, so dass wohltuende Kontinuität, gepaart mit makelloser Eleganz hier inzwischen Einzug gehalten hat. Man spürt allenthalben, dass die Geschäftsleitung mit ihrem Chef sehr zufrieden zu sein scheint, da dieser binnen kürzester Zeit die Erwartungen übertreffen konnte und dennoch auf dem Teppich geblieben ist. Die kräftigen Aromen scheinen für meine Begriffe der Küche noch etwas leichter als die dezenten von der Hand zu gehen, doch auf gutem Wege ist diese Küche im Hinblick auf die sichere Beherrschung des Handwerks allemal. Ein Besuch hier alle ein bis zwei Jahre lohnt sich also mit Sicherheit, da nicht wenige Gourmets inzwischen gehörige Distanzen in Kauf nehmen, um hier zu dinieren. Die Wenigsten dürften es bislang bereut haben.

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Le Cerf
Kärcherstr. 12
74639 Zweiflingen
Tel.: 07941/60870
www.schlosshotel-friedrichsruhe.de

Guide Michelin 2020: **
Gault&Millau 2020: 18 Punkte
GUSTO 2020: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3,5 F

5-gängiges Périgord-Trüffel-Menü: € 178

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März 2018

Der Eingang des Wald- und Schlosshotels Friedrichsruhe (ein Ortsteil von Zweiflingen) im Herzen der Region Hohenlohe setzt auf Understatement: was auf dem Foto vordergründig allenfalls wie ein leicht gehobenes Hotel wirken mag, ist zweifellos die erste Adresse der Region und eines der besten Etablissements von ganz Deutschland. Eigentümer der Anlage ist der Milliardär Reinhold Würth, der durch sein Schrauben-Imperium weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt ist. Würth glänzt allerdings auch als großzügiger Förderer von Kultur und hat der Region einen enormen Schub verliehen, indem er beispielsweise in so vergleichsweise kleinen Städten wie Schwäbisch Hall oder Künzelsau Kunstsammlungen von Weltrang zusammentrug. Folglich vermarktet sich die Region nicht nur als Genussregion mit jeder Menge Erzeugern regionaler Produkte von gehobener Qualität, sondern auch als Kunsthochburg wie es sie auf dem Lande nicht häufig in dieser Republik gibt.

Der Anspruch des Hauses ist zwar enorm, doch die gezeigten Leistungen werden diesem auch jederzeit gerecht. Diese Luxusherberge schmiegt sich sanft an die hügelige Landschaft mit Weinreben, Schlössern sowie entzückenden Fachwerk-Städtchen und liegt fernab vom emsigen Treiben größerer Städte. Die über vier Hektar große Anlage umfasst das Jagdschloss, mehrere angrenzende Gebäude, den mutmaßlich besten Spa-Bereich eines deutschen Hotels, einen 27-Loch-Golfkurs und ein Restaurant, das seit 2018 mit zwei Michelin-Sternen dekoriert ist. Und das Schönste daran: die Hotelpreise sind trotz allem immer noch einigermaßen erschwinglich.

Als der Guide Michelin in seiner Ausgabe für 2018 vier Restaurants den zweiten Stern verlieh, waren darunter zwei, die kaum als Überraschung gelten konnten („Burg Schwarzenstein“ und „Courtier“ – siehe meine Rezensionen) und zwei, die die Wenigsten auf dem Zettel gehabt haben dürften. Eines davon war „Keilings Restaurant“ im niedersächsischen Bad Bentheim unweit der holländischen Grenze, das andere das „Le Cerf“ in Zweiflingen. Bis 2016 kochte hier noch Boris Benecke auf hohem, aber vermutlich doch nicht ausreichendem Niveau im Hinblck auf die Erwartungshaltung. Als dieser ankündigte, das Haus verlassen zu wollen und sich privaten Dingen widmen zu wollen, wurde mit Boris Rommel ein Koch geholt, der angesichts prominenter Stationen wie dem Hotel Bareiss in Baiersbronn oder dem Colombi-Hotel in Freiburg sicherlich schon Referenzen vorzuweisen hatte. Die Rückholaktion des ehemaligen Sous-Chefs, der zwischendurch das Restaurant „Simplicissimus“ in Heidelberg leitete, war aber wegen seines noch jungen Alters von 33 Jahren trotzdem ein gewisses Risiko – heute weiß man jedoch bereits, dass das Kalkül voll aufgegangen ist.

Das Restaurant gehörte bereits in den 1970er-Jahren zu den besten Restaurants in Deutschland, als es seinerzeit unter der Leitung des legendären Lothar Eiermann den Sprung in die Eliteliga schaffte und zwei Michelin-Sterne sein Eigen nannte. Eiermann etablierte damals eine weithin bekannte Küche, die auf den klassischen Prinzipien der französischen Hochküche basierte – noch berühmter wurde er allerdings, als er die Ikone Paul Bocuse in einem Brief scharf angriff. (Auf dem Portal www.sternefresser.de findet sich die ganze Geschichte sowie ein interessantes Portrait.) Schnell wird beim Betreten des feudalen Restaurants deutlich, dass sich der Küchenstil auch nach Eiermanns Ausstieg im Jahre 2009 nach wie vor den klassischen französischen Idealen gegenüber verpflichtet sieht. In diesem Ambiente alter Schule sind die Tische natürlich mit einem blütenweißen Leintuch, einem Blumengesteck und edlem Besteck eingedeckt. Von der Decke hängen Kristalllüster, und die Wände, an denen zum Teil Kunst aus der Sammlung „Würth“ prangt, sind mit feinsten Tapeten bespannt. Kurzum: ein nobles und altehrwürdiges Ambiente wie es in deutschen Spitzenrestaurants nur noch selten zu finden ist. Auch der Service agiert relativ förmlich, doch stets angemessen und wenigstens immer mit einem kleinen Schuss Lockerheit. Im Wesentlichen reichen zwei Servicekräfte aus, obwohl das Lokal doch recht ordentlich an diesem Abend gefüllt war und sogar noch kurz vor 21.00 Uhr spontane Gäste eintrafen. Sommelier Dominique Metzger war an diesem Abend nicht zugegen, doch seine zwei Stellvertreter machten ihre Sache ausgezeichnet. Sieht man von einer sporadischen Hilfskraft aus der Küche ab, die am Nebentisch manchmal noch etwas hölzern und plump agierte, war ein verwechseltes Getränk der einzige Fauxpas des Serviceteams an diesem Abend. Vinophilen sei diese Adresse übrigens ganz besonders ans Herz gelegt, denn der beneidenswerte Keller umfasst etliche Pretiosen und Klassiker in einer Jahrgangstiefe, die ihresgleichen sucht.

Da passt es auch ins Bld, dass ein alkoholfreier Aperitif selbstverständlich an der angrenzenden Bar in der Lobby nebenan kredenzt und nicht einfach offen ausgeschenkt wird. In meinem Fall war es ein herrlich fruchtiger Cocktail mit Noten von weißer Schokolade – wirklich hinreißend. Die Karte listet drei Menüs (eines davon vegetarisch) und eine Handvoll Gerichte à la carte, so dass der geneigte Gast wenigstens etwas Auswahl hat. Die ersten kleinen Amuses werden zwar optisch schön, aber platzraubend auf einem Ast serviert. Darauf befinden sich beispielsweise ansprechende Kleinigkeiten wie ein Sepia-Macaron mit Räucheraal, ein winziger Zwiebelkuchen mit etwas Sauerkraut obenauf oder eine Gänseleberpraline im Pistazienmantel auf einem Brotchip – ganz nett, aber noch nicht allzu aussagekräftig. Ich entscheide mich sodann für das Menü „Gourmand“ und bin gespannt, ob der recht hohe Preis von €156 für das fünfgängie Menü gerechtfertigt werden kann. Nach der Präsentation der Amuses blieben mir da noch leichte Zweifel, aber das sollte sich bald ändern …

Mit dem ersten „echten“ Küchengruß erreicht Rommel sogleich Betriebstemperatur: ein mariniertes, kaltes Roast Beef wird mit etwas Mayonnaise, Zwiebeln und Wachteleigelb kongenial begleitet und entfaltet großen, edlen Geschmack. Auch der exzellente warme Gruß kann sich sehen lassen: ein geflämmter Stör mit etwas Kaviar obenauf badet in einem leichten Kartoffel-Lauch-Schaum.

Der offizielle Start ins Menü erfolgt mit Variation von der Jakobsmuschel, Périgord-Trüffel, Madeira und Topinambur. Der Topinambur umkreist als Carpaccio die Muschel, die sowohl in roh marinierter als auch darunter in leicht geflämmter Form auf den Teller gelangt. Der nur dezent eingesetzte Madeira sowie die Trüffel verleihen dem Gericht Glanz, ohne dass dabei der Hauptdarsteller in den Hintergrund gedrängt würde. Ein sehr elegantes und edles Gericht – keine Frage.

Kabeljaumedaillon mit Dijon-Senf, Spinat und Kartoffel überzeugt vor allem durch die makellose Qualität und Zubereitung des Hauptprodukts. Der aufgegossene Senfsud und die Kartoffel harmonieren auch optisch prächtig, während dies von dem knallgrünen Spinat, der die hellen Farbtöne empfndlich stört, nicht gerade behauptet werden kann. Geschmacklich setzt er jedoch nicht zu aufdringliche Akzente, so dass unterm Strich ein weiteres ausgewogenes Gericht steht.

Etouffé-Taube mit Karotte und schwarzem Knoblauch sollte der Höhepunkt eines Abends mit etlichen bemerkenswerten Momenten werden. Das à part gereichte Schälchen mit dem Taubenragout ist die reine Wonne, aber auch der Hauptteller überzeugt voll und ganz mit Erfindungsreichtum bei den Texturen der Begleiter. Die wunderbar gebratene Taube erfährt so eine würdige Begleitung, die ihr dennoch allen Raum zur Entfaltung lässt. Superb!

Nicht ganz so überzeugend gerät Zweierlei vom Hohenloher Rind mit Knollenziest und Petersilienwurzel, weil hier die handwerkliche Qualität meines Erachtens doch am Optimum vorbeischrammt: das Filet ist etwas zu trocken, was nur durch den beigegebenen Sud wieder etwas aufgefangen wird. Besser gefällt das geschmorte Stück Fleisch, doch bleiben hier die Begleiter ungewohnt blass und wenig aussagekräftig. Optisch schön, aber geschmacklich eher der schwächste Gang des Abends.

Als Pré-Dessert reicht man ein herrlich erfrischendes Pina-Colada-Eis auf Ananaswürfeln – eher unkompliziert, aber dennoch sehr wirkungsvoll. Alte Schule dann beim eigentlichen Dessert: Grand-Marnier-Soufflé mit Vanille und Orange. Diese Produktallianz muss man wohl als Hommage an vergangene Zeiten interpretieren, doch verfehlt diese Kreation ihre Wirkung keineswegs. Das dargereichte Soufflé würde jedem Spitzenpatissier zur Ehre gereichen, und die Vielfalt an Texturen bei der Orange ist schlicht atemberaubend. Ein echter Volltreffer!

Zum Schluss reicht man vier Pralinés – darunter ein Karamelltoffee oder einen bunten Macaron mit Ganache gefüllt. Zu meiner nicht geringen Überraschung kommt der Maitre danach noch ein weiteres Mal vorbei mit einer opulent gefüllten Kiste an hausgemachten Kugeln. Ich entscheide mich für Mandarine, Gin-Limette sowie Ivoire-Schokolade und stelle fest, dass der hohe Standard des Restaurants auch bis zum Schluss durchgezogen wird.

Dies war ein durchweg überzeugender Abend – sieht man einmal von dem kleinen Hänger beim Hauptgericht ab. Boris Rommel zelebriert hier eine Hochküche auf solider klassischer Basis, doch moderne Akzente fehlen hier keineswegs. Foodblogger, die nach Neuerungen lechzen, können sicherlich getrost einen großen Bogen um dieses Lokal machen, während diejenigen, die einfach nur unbeschwert und in feudalem Rahmen edel essen wollen, hier genau richtig aufgehoben sind. Eine gar zu moderne Küche würde auch der Erwartungshaltung der meisten Gäste kaum entsprechen, und so setzt das Haus mit Recht auf bewährte Tugenden, herausragende Produkte und Spitzengewächse aus aller Welt. Das alles hat natürlich seinen Preis, doch der überwiegenden Klientel des Hauses bereitet dies keinen echten Kummer. Wer hier einkehrt, darf sich also auf einen tiefenentspannten Genuss einlassen, der niemanden überfordert und doch nicht angestaubt wirkt. Fehlende Schauwerte werden hier mühelos durch superbes Handwerk und feinste Grundprodukte aufgefangen. Es bleibt festzuhalten, dass der zweite Stern zweifelsohne verdient ist und die Entwicklung des jungen Chefs durchaus mit Spannung verfolgt werden darf, zumal der Weg zu 18 Punkten im Gault&Millau auch nicht mehr sonderlich weit erscheint – speziell dann, wenn die kleinen Patzer beim Service auch noch abgestellt werden können.