Gut Lärchenhof*, Pulheim

„Ich verbringe so viel Zeit im Wald, dass ich schon sagen kann, welche Pflanzen essbar sind.“ (Golfprofi Lee Trevino über Golf)

April 2023

Nein, dieser Blog ist mitnichten zwischenzeitlich zu einem Golfportal umfunktioniert worden. Vielmehr erfordern die besonderen Begleitumstände unseres Besuchs in einem höchst ungewöhnlichen Sternerestaurant eine etwas detailliertere Beschreibung: das Gut Lärchenhof, knapp 25 Kilometer nordwestlich von Köln bei Pulheim gelegen, ist ein Golfresort und beherbergt dennoch eines der besten einfach besternten Lokale der Republik. Golf und Gastronomie gehen eine recht spezielle und bisweilen problematische Beziehung ein, denn die Ansprüche der Klientel können recht divergierend sein: die einen wollen ausschließlich gehoben essen, die anderen wollen nur zwischendrin etwas zu sich nehmen – und doch soll das Lokal bitteschön möglichst häufig geöffnet haben, ein preiswertes sowie ständig wechselndes Speisenangebot offerieren und zudem noch alle diese Ansprüche unter einen Hut bringen. Diese Erwartungshaltung hat schon so manches engagierte und ambitionierte Etablissement scheitern lassen, doch dass es auch anders geht, beweist eben die Gastronomie im Gut Lärchenhof.

Patron des Hauses und Übervater des Erfolges ist der omnipräsente Vollblut-Gastronom Peter Hesseler, dem außerdem auch das La Société in Köln gehört. Das Prunkstück seiner Sammlung ist jedoch das Gut Lärchenhof: ohne das Engagement dieses waschechten Rheinländers wäre die nun schon zwei Jahrzehnte andauernde Erfolgsgeschichte dieser „Sportgaststätte“, wie sie der Patron ganz gerne selbst scherzhaft bezeichnet, schlicht undenkbar. Die beiden anderen Säulen des aktuellen Erfolges sind Serviceleiter Christoph Barciaga und Chefkoch Torben Schuster, von denen noch die Rede sein wird. Ansonsten wissen wir im Vorfeld nicht allzu viel über das Lokal, aber sehr wohl, dass andere renommierte Köche wie beispielsweise Edip Sigl vom es:senz in Grassau schon durch diese Kaderschmiede gegangen sind. Anhand der Taktfrequenz zu beurteilen, mit der dieses Lokal regelmäßig Informationen nicht nur über aktuelle Gerichte, sondern auch Portraits über weiter unten in der Hierarchie stehende Küchen- oder Servicemitarbeiter in den sozialen Medien postet, lässt sich ermessen, wie wichtig den Betreibern nicht nur die Zufriedenheit der Gäste, sondern auch die der Mitarbeiter ist. Gerade in Zeiten, in denen der Umgangston und bestimmte Verhaltensweisen in Spitzenküchen genau unter die Lupe genommen werden, scheint es wichtiger denn je, dass Vorbilder vorangehen und die Reputation einer Branche pflegen, die nicht zuletzt durch die Causa Christian Jürgens wieder einmal drohte, pauschal verurteilt zu werden.

Die Anreise zu dem Lokal kann für Erstbesucher selbst mit Navi zu einer Irrfahrt geraten, wenn beispielsweise wie in unserem Fall ein anderer Wagen genau in dem Moment an der Kreuzung mit dem Hinweisschild steht und es somit perfekt verdeckt. Nach einer enervierenden Suche ist schließlich die richtige Adresse gefunden, wo man zunächst per Knopfdruck Einlass zum Gelände erbitten muss. Das große Tor zum Parkplatz öffnet sich sodann, und das Hauptgebäude ist schnell erreicht. Die Atmosphäre in dem Lokal selbst ist zunächst gewöhnungsbedürftig: nach der Anmeldung geleitet man uns durch eine riesige Räumlichkeit mit meterhoher Holzdecke zu unserem Tisch. Dieser Saal bietet weitaus mehr Gästen Platz als in der Sternegastronomie üblich und empfängt uns mit einem Lärmpegel, der mir bislang nur im Kölner Le Moissonnier begegnet war. Es gibt zudem etliche Vitrinen voller Trophäen und Memorabilia, welche die Besuche durchaus namhafter Golflegenden belegen. Ich gebe unumwunden zu, dass die ungewöhnliche Atmosphäre mir kurzzeitig zu schaffen macht, aber dann vergegenwärtige ich mir, dass wir hier im Rheinland sind und ausgelassene Lebensfreude hier ein kostbares Gut darstellt. Nach einer Anpassungsphase von fünf Minuten hat sich das Problem dann erledigt, selbst wenn für einen außenstehenden Schwaben das Maß an rheinischer Herzlichkeit und Fröhlichkeit fast schon überfordernd wirken kann – am Ende des Abends werden wir jedenfalls konstatieren, dass wir selten einen ausgelasseneren Abend in einem Sternelokal erleben durften.

Chefkoch Torben Schuster wurde hauptsächlich von zwei mir gut bekannten Chefs ausgebildet, deren Einflüsse trotz ihrer Verschiedenheit seinen Stil maßgeblich prägen: zum einen verdanken wir die asiatischen Elemente Yoshizumi Nagaya aus dem nach ihm benannten Restaurant in Düsseldorf, zum anderen finden sich avantgardistische Elemente, die hauptsächlich auf Jonnie Boer aus dem De Librije im niederländischen Zwolle zurückzuführen sind. Mit zwei solchen Großmeistern unter seinen Lehrmeistern sollten denkbar gute Voraussetzungen für einen außergewöhnlichen Abend geschaffen sein. Das volle Menü (€ 199) umfasst acht Gänge und lässt schon bei der Lektüre deutliche Einflüsse der beiden Mentoren erkennen. Wir entscheiden uns aufgrund der sättigenden Erfahrungen der vorangegangenen Tage nur für sechs Gänge (€ 169) und sind sicher, dass wir auch so mehr als profunde Eindrücke mitnehmen werden, die ein aussagekräftiges Urteil erlauben werden. Den Gästen, die mehr Zeit auf dem geräumigen Golfplatz als in der Gastronomie verbringen, bietet man zudem ein Bistromenü und eine Bistrokarte mit Gerichten à la carte an, so dass den eingangs geschilderten, unterschiedlichen Erwartungshaltungen in ganz besonderer Weise Rechnung getragen wird.

Serviceleiter Christoph Barciaga ist zwar im Hause, aber relativ selten an unserem Tisch, da er angesichts der immensen Zahl an (teils auffällig elegant gekleideten) Gästen eine emsige und überwiegend weibliche Servicetruppe von beachtlicher Grüße dirigieren muss. So kommt es, dass wir schnell die Bekanntschaft einer jungen Kellnerin machen werden, die während des Abends weitgehend für unseren Tisch und diejenigen in unserer unmittelbaren Umgebung verantwortlich sein wird – Sie fragen sich vielleicht schon, warum ich einen derart banalen Umstand überhaupt erwähne, aber das hat schon seine Gründe. Welche? Aufklärung folgt später, aber vorab sei schon mal erwähnt, dass die junge Dame mit blumigen Worten meine Neugier weckt und mir erfolgreich die recht günstige alkoholfreie Getränkebegleitung schmackhaft macht.

Auffällig erscheint, dass die Tische trotz der einigermaßen rustikal anmutenden Atmosphäre (die hauptsächlich der imposanten Holzdecke geschuldet ist) klassisch mit einem weißen Leintuch eingedeckt sind, welches die Bühne für die Kreationen von Torben Schuster und seinem Team bereitet. Bezug nehmend auf das Eingangszitat halte ich fest, dass der Chef meines Wissens selbst zwar kein Golf spielt und auch keine Kräuter im Wald selbst einsammelt, aber sein profundes Wissen rund um die verwendeten Produkte wird uns dennoch schnell verdeutlicht – so zum Beispiel beim hervorragenden Rindertatar in einer Parmesan-Tartelette mit Schnittlauch oder in einer weiteren, mit Sepia gefärbten Variante mit Seeteufel, Gänseleberfarce und Ceta-Kaviar. Dass der Kaviar auf einem separaten Löffelchen zum linken Apéro gereicht wird, macht nicht nur optisch, sondern auch geschmacklichen Sinn, da die individuelle Dosierung durch den Gast angesichts der aromatischen Kompaktheit eine vernünftige Idee darstellt.

Trotz dieser sorgsam und elegant komponierten Einsteiger sollten uns noch nicht weniger als drei weitere Amuses bevorstehen, die eine bemerkenswerte Visitenkarte darstellen: den Auftakt macht eine asiatisch inspirierte Kreation, deren zahlreiche Komponenten in einem heißen Krabbentee bestens harmonieren. Fermentierte Algen und Krabbensalat werden derart schlüssig mit Chili, Ingwer und Zitronengras gewürzt, dass der Umgang damit bereits das Prädikat „virtuos“ verdient. Trotz der satten Umami-Wucht bleibt dieses recht komplexe Amuse gut ausbalanciert und überraschend im Geschmack bis zum letzten Löffel – ein sehr starker Einsteiger!

Stand beim ersten Amuse eher Yoshizumi Nagaya Pate, so ist nun offenbar Jonnie de Boer an der Reihe: ein Granité von Shisokresse wird nicht nur auf erwartbare Weise mit Yuzu und Shisoblättern veredelt, sondern mit einer höchst ungewöhnlichen Pointe der bloßen Routine entrissen. Dabei handelt es sich um eine mit Speck veredelte hausgemachte Kaffee-Mayonnaise, was zugegebenermaßen bei der Ankündigung reichlich verwegen und seltsam klang. Noch überraschender geriet allerdings die Tatsache, dass das Kalkül dennoch aufging und das faszinierende Spiel um unterschiedliche Texturen sowie Temperaturen von der überwiegend herben Aromatik (Shiso und Kaffee dominierten) bestens aufgefangen wurde. So ein Schälchen hätten sich fraglos nur wenige Chefs zugetraut – die bescheidene Optik konterkariert geradezu die kühne Produktankündigung, doch dieses voller Überraschungen steckende Kleinod würde auch dem Grand Chef vom De Librije gut zu Gesicht zu stehen – eine würdige Hommage! Der eigens kredenzte Cocktail aus Ginger Ale, Maracuja und Balsamicoessig verdeutlicht ebenfalls schnell, dass der Wille zum Wagemut hier keinesfalls bei den Gerichten endet, sondern sich bei den Getränken nahtlos fortsetzt.

Den Abschluss des Trios bildet Shabu-Shabu vom Wagyu-Rind, das mit fermentiertem Knoblauch einen aromenstarken Begleiter zur Seite gestellt bekommt. Gebettet ist das Ganze auf einem Dashisud, dessen enorme Tiefe nicht zuletzt auf die Beigabe eines zusätzlichen Rinderfonds zurückzuführen ist. Das Konzept hinter dieser Petitesse zielt einfach darauf ab, den schlicht überragenden Geschmack des Hauptdarstellers ohne Chichi ins beste Licht zu rücken – was auf vorzügliche Weise gelingt und diesem Einfall vielleicht sogar einen Platz in meinem Menü des Jahres einbringt.

Kommen wir einmal mehr auf die eingangs erwähnte junge Kellnerin zurück, die sich erstaunt zeigt, dass wir die Lehrmeister von Torben Schuster kennen und deren Einflüsse in den bisherigen Darbietungen durchaus nachvollziehen konnten. Umgekehrt sind wir genauso überrascht, als wir erfahren, welche hochdekorierten Lokale die junge Dame zu besuchen plant, im Alter von 23 Jahren aber leider noch nicht alle geschafft hat. Dass sie sich aber zumindest in der Bundesrepublik bestens in der Szene auskennt, finden wir in einem solchen Alter schon außerordentlich bemerkenswert – und es sollte nicht nur bei dieser Gelegenheit Potential zur Verwunderung geben. Fortsetzung folgt!

Den vier Brotsorten mit zweierlei Butter vergesse ich ein Foto zu widmen, so dass hier nahtlos mit dem Entrée fortgefahren wird: Würfel von Gänseleberterrine kombiniert die Küche in einer gewagten Weise mit Gillardeau-Auster, denn sie wird nicht nur auf dem Hauptteller eingesetzt, sondern auch à part mit Eis und Espuma von Passionsfrucht höchst ungewöhnlich begleitet. Gemäß der Speisekarte setzen Gurke, Sonnenblumenkerne und Salzwiesenkräuter (z.B. Queller und Dill) weitere Akzente, die schon bei der bloßen Lektüre so klingen, als müsste dieser Teller spätestens jetzt wegen vollkommener Überfrachtung aus der Kurve fliegen, doch nichts von alledem geschieht: viel zu durchdacht und in allen Nuancen perfekt ausgewogen gibt sich diese Kombination, als dass sie scheitern könnte. Gelernt ist gelernt – die Küche umschifft gekonnt alle Klippen, denn Torben Schuster hat bei seinem Ausbilder sicherlich ganz genau aufgepasst, worauf man bei einem derart forschen Teller achten muss, wenn er nicht misslingen soll. Alles in allem ein aufrüttelnder Gang abseits der Konvention, der meinen kulinarischen Horizont wieder um ein kleines Stückchen erweitert hat – und sei es nur durch die Erkenntnis, wie erstaunlich gut manche Früchte als Begleiter für die Auster taugen. Ins Glas schenkt die junge Kellnerin einen hausgemachten Drink von Gurke, dehydrierter Olive und Limette ein. Wir erhalten detaillierte Auskunft zu jeder Komponente und erfahren, wie das Getränk in Abstimmung mit dem Chef entstanden ist – selten genug, dass eine 23-jährige Mitarbeiterin bereits so viel Vertrauen ausgesprochen bekommt, sich mit dem Chef auf Augenhöhe bewegt und gleich ein Meisterwerk von einem flüssigen Begleiter ins Glas gießt.

Die in Japan für Fisch bevorzugte Schlachtmethode des Ikejime beherrscht Torben Schuster natürlich, so dass trocken gereifter Hamachi in einer Aromatik auf den Teller gelangt, die ganz dezidiert Nippon ist. Die Rose aus dem Hauptprodukt in Form von zartem Sashimi hält auch dadurch zusammen, dass Daikon (Winterrettich) als hauchdünne Scheiben Platz zwischen den falschen Blüten findet. Den vegetabil-herben Charakter erweitert die Küche um eine würzige Komponente in Form von Aji Amarillo Chili, während der Taler aus Buchweizen, auf dem die Rose thront, eher neutralisierenden Charakter hat. Die Buttermilch-Molke-Kombucha als Fundament erweist sich trotz der Beigabe von Tropfen aus Buchweizenöl als dezenter Begleiter, der seine asiatische Aromatik jedoch nicht verhüllt und mit angemessener Zurückhaltung dafür sorgt, dass die fragile Transparenz zwischen den Zutaten erhalten bleibt. Dank einer kompakten und stilsicher umgesetzten Inszenierung mit originellen Einfällen bleibt dieser Gang auch wegen der Optik, aber vor allem wegen des genuin japanischen Kolorits in handwerklich sicherer Umsetzung noch lange im Gedächtnis haften. Für den letzten Feinschliff sorgt das Getränk zu diesem Gang: eine leicht gezuckerte Buchweizenessenz mit Wasabi-Wasser klingt nicht sonderlich aufregend, entpuppte sich aber einmal mehr als das genaue Gegenteil davon.

Deutlich mediterraner wird es bei gegrillter portugiesischer Felsenrotbarbe, die mit einer am Platz aufgegossenen, erdigen Bouillabaisse begleitet wird. Dem Gang verleiht eine Concassée aus Paprika, Tomaten und Roscoff-Zwiebeln sein Gepräge, wobei Pinienkerne sowie handgerollte Krustentier-Gnocchi unter dem Safranschaum den buttrig-zarten, aber aromatisch insgesamt recht zurückhaltenden Fisch ausdrucksstark begleiten. Neben dem ungewöhnlich facettenreichen Geschmack ist es auch die reduzierte Optik, die angesichts der Vielzahl an Komponenten sehr verdichtet und doch nie zu forsch wirkt. Eine reduzierte Tomatenessenz, die mit typischen Gazpacho-Gewürzen bereichert wurde, wird zudem ins Glas geschenkt und ergänzt diesen Teller auf prächtige Weise: fast schon fruchtig und von durchaus präsenter Würze.

Eines der Signature Dishes dreht sich um Kalbsbries – wie schön! Nachdem diese Delikatesse im letzten Jahr seltsam unterrepräsentiert war, häuft sich ihr Erscheinen zum Glück wieder – dass das Bries indes direkt am Platz auf Binchotan gegrillt wird, ist mir in all den vielen Jahren auch nicht noch untergekommen. Es wird sodann auf dem Teller mit einem köstlichen Teriyaki-Lack übergossen und mit Enokipilzen, Kartoffel, Bohne und schwarzem Knoblauch begleitet. Die leicht geschäumte Sauce auf Basis von Epoisses setzt dem Gericht die Krone auf, das voll und ganz auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten ist: unfassbar cremig und mit einer wunderbar krossen Panade. Eine derart kraftstrotzende Aromatik kennt man bei Kalbsbries sonst nur von Jan Hartwig, und auch das begleitende Getränk ist wieder mal vortrefflich abgestimmt: Saft von Passionsfrucht und Zitrone mit geräuchertem Thymian. Sachen gibt’s!

Angesichts der zahlreichen Details habe ich an diesem Abend Mühe, mit meinen Notizen Schritt zu halten und frage an dieser Stelle bei besagter Kellnerin nochmals wegen einer Komponente in einem begleitenden Getränk vor drei Gängen nach. Ich rechne damit, sie eigentlich nur ungewollt außer Tritt zu bringen, doch zu meiner großen Überraschung lässt sie sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen und antwortet mit kompetenter Auskunftsfreude. Wir fragen nach, weshalb sie so souverän auftritt und bekommen als unerwartete Antwort den gänzlich uneitlen Verweis auf ihre großartigen Ausbilder – als ob ein solch gelassener Auftritt in einem derart jungen Alter selbstverständlich wäre!

Ein Drink abseits ausgetretener Pfade aus Johannisbeersaft, Monin und alkoholfreiem Rum ist schon vor dem Auftragen des Hauptgangs ein echtes Highlight, das auf ein eher herbes Fleisch hindeutet. So ist es auch: Miéral-Taube kommt zum Hauptgang als tiefrot gebratene Brust und Keule auf den Teller und wird mit einem reizenden Türmchen begleitet. Die Erdigkeit der Morcheln korrespondiert dabei wunderbar mit der eigentümlichen Aromatik der Taube und der süßlich-herben Jus, während gepuffter Quinoa etwas Biss beisteuert. Ähnlich wie Preiselbeere wie Wildgerichten funktioniert bei Taube eine fruchtig-herbe Komponente vergleichbar gut: hier setzen Texturen von Johannisbeere leicht fruchtige Akzente, die dem edlen Gang ein klein wenig die Schwere austreiben und gleichzeitig einen thematischen Bezug zum Getränk herstellen (was nicht in vielen Lokalen überzeugend gelingt). Das ist ein solider und durchdachter Hauptgang, wobei hier vielleicht ein Fingerzeig angebracht scheint, dass die Zubereitung des Fleischs überzeugt, aber noch nicht die Klasse eines Klaus Erfort oder Sven Elverfeld hat – aber es müssen ja noch Ziele für die Zukunft bleiben …

Einem mir in letzter Zeit häufiger untergekommenen Produkt beim Dessert huldigt die Küche auch hier: Sauerteig (das Brot daraus ließ man sehr lange ziehen und kochte es dann ein) paart die Pâtisserie mit Texturen von Birne, gerösteter Hefe und Nussbutter nahezu zuckerfrei und erstaunlich leicht. Da kann man es sich erlauben, bei der Schokolade auf die „blonde“ Valrhona Dulcey mit nur 35% Kakaoanteil zurückzugreifen – wer sie je als Tafel verkostet hat, wird jedoch schnell feststellen, dass sie sehr cremig ist und ohne plumpe Süße auskommt. So entsteht letztlich ein Dessert, bei welchem Brauntöne überwiegen und eine etwas herbstlich anmutende Aromatik zueinander findet – dennoch weitet dieser Beitrag den Horizont und bewegt sich sicher auf weitgehend unerforschtem Terrain. Ein Drink aus grünem Tee, Apfel, Pfirsich und Thymian ist trefflich abgeschmeckt und setzt ebenfalls auf herbe, wenngleich etwas fruchtigere Noten.

Die Petits fours bestehen aus Muscovado-Ingwer-Praline, Macaron von Schwarztee, einer Sauerkirsch-Malz-Praline und einem klassischen Cannelé. In Summe gibt es hier nochmals ein ordentliches Niveau zu bestaunen, aber das Highlight ist fraglos das augenzwinkernde „Bier“ im Hintergrund, das in Wirklichkeit aus Passionsfrucht und Vanilleschaum besteht.

Das war ein Abend mit teils rauschhaften Eindrücken – nicht zuletzt deshalb, weil sich offenbar die geradezu animierende Kühnheit auf manchen Tellern regelrecht auf die Gäste übertrug. Allenthalben blickte man an den anderen Tischen nur in glückliche Gesichter – ganz gleich, ob die anderen vornehm oder leger gekleidet, nüchtern oder angeheitert, jung oder alt waren. Die Gründe für die Euphorie sind vielfältig: ein mehr als faires Preis-Leistungs-Verhältnis auch bei alkoholischen Getränken, eine Küche voller ungewöhnlicher Ideen und dennoch sicher im Handwerk, ein ausgelassenes Ambiente ohne Hemmungen sowie eine bemerkenswert gut geschulte und teils blutjunge Servicetruppe. Nein, das Gut Lärchenhof ist kein Sternelokal wie jedes andere – zumal man im Rheinland dem Frohsinn wohl von Natur aus mehr frönt als irgendwo sonst in Deutschland. Wer Golf nur mit Spießigkeit in Verbindung bringt, dürfte hier sein blaues Wunder erleben!

Dass dieses Restaurant schon seit langem als ernsthafter Kandidat für den zweiten Stern gehandelt wird, scheint der Mehrzahl der Gäste klar zu sein – aber leider den Inspektoren der roten Gourmetbibel offenbar nicht, die dem Lokal die erwartbare Auszeichnung erneut verweigerten. Argumente für eine Beförderung gäbe es jedenfalls mehr als genug: trotz der Einflüsse prominenter Vorbilder hat sich Torben Schuster längst von ihnen emanzipiert und setzt teils wuchtige aromatische Statements von urwüchsiger Kraft – das Kalbsbries möge als besonders beeindruckendes Beispiel dienen. Selbst wenn mancher Teller etwas verspielt wirkte, so steckte grundsätzlich eine klare Idee dahinter, und die eigentümlichen Texturen machten dabei stets Sinn. Die Fülle an Techniken, die das Küchenteam souverän beherrscht, erweist sich als echte Trumpfkarte, denn die auffallend große Palette gestattet natürlich ein mutigeres Experimentieren als anderswo üblich. Der Service allein gibt sich schon alle erdenkliche Mühe, auch jüngeren Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, doch die Küche zieht nach und schafft Gerichte, deren Geschmack trotz allem noch die instagram-affine Optik übertrifft. Mit stetig neuen und trotzdem exzellenten Gerichten wird das Publikum ständig bei Laune gehalten, wobei kaum ein anderes Sterneetablissement so regelmäßig und konsequent Werbung in den sozialen Medien betreibt wie dieses – ein nicht zu unterschätzender Umstand in Zeiten, in denen immer noch die Konsequenzen der Pandemie recht spürbar sein können: Gästeschwund und Mangel an Mitarbeitern sind da nur die zwei drängendsten Probleme.

Auch die schon mehrfach erwähnte junge Kellnerin hat uns über alle Maßen begeistert: im Laufe des Abends gewannen wir den Eindruck, dass sie trotz ihrer 23 Jahre ohne Weiteres in die Rolle der Servicechefin hätte schlüpfen können und es keinem neuen Gast negativ aufgefallen wäre. Wir wurden mit einer solch unfassbaren Kompetenz und unvergleichlichem Charme durch den Abend geleitet, dass unter normalen Umständen drei Jahrzehnte Berufserfahrung dafür nötig erschienen. In ihrem Fall reichten schlappe sieben Jahre seit Beginn ihrer Ausbildung aus, doch blieb diese junge Dame stets bescheiden und wirkte einfach nur natürlich – joviales Verhalten (keine Seltenheit im Rheinland!) oder Allüren suchte man bei ihr vergeblich. Stattdessen ging sie gut gelaunt ihrem Job mit sichtbarer Freude nach. Ich bin bis heute fassungslos, dass ich sie nicht einmal nach ihrem Namen gefragt habe …

Es lohnt sich mit Sicherheit, hier die weitere Entwicklung zu verfolgen, denn zu den fünf besten Einsternern der Republik zähle ich dieses Lokal allemal. Mit den allermeisten Gerichten trifft die Küche in diesem Golfresort voll ins Schwarze – pardon, ins Loch natürlich, wobei der ganz besondere Kalbsbries-Gang auch ein „hole in one“ sein könnte. Chefkoch Torben Schuster erscheint nach vollbrachter Tat auch noch persönlich zum Fototermin an unserem Tisch und erkundigt sich – ganz gemäß der Vorgabe des Hauses – nach dem Wohlergehen und dem Urteil der Gäste. Wir bekommen sogar noch einen Digestif spendiert, allerdings nicht ohne zuvor ausführlich durch den hauseigenen Experten auf diesem Gebiet beraten worden zu sein. Angesichts all der lukullsichen Freuden, die wir an diesem Abend erlebten, versprechen wir im Gegenzug, dass weitere Besuche fest eingeplant sind – frei nach dem Kölner Motto: „Küss de hück nit, küss de morje.“

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Gut Lärchenhof
Hahnenstraße
50259 Pulheim
Tel.: 02238/9231016
www.restaurant-gutlaerchenhof.de

Guide Michelin 2023: *
Gault&Millau 2022: 3 Hauben
GUSTO 2023: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 3,5 F

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