„Was ist ein Spekulant? Ein Mann, der ohne einen Pfennig Geld in der Tasche Austern bestellt, in der Hoffnung, mit einer darin gefundenen Perle zahlen zu können.“ (anonym)
September 2020
Spontaner geht es kaum: noch auf dem Weg tief in den Westen der Republik nach Aachen war der Besuch im Sternerestaurant La Bécasse („Die Schnepfe“) nicht eingeplant; erst eine Stunde vorher reift in uns die Idee, dass ein Besuch hier ganz gut in unsere Pläne passen könnte. Wir machen uns also auf den Weg Richtung Lokal am Rande des Stadtzentrums, finden glücklicherweise einen der spärlichen Parkplätze und fragen auf gut Glück und ohne Reservierung an, ob ein Tisch für zwei Personen verfügbar sei. Wir haben tatsächlich die Gourmetgötter auf unserer Seite, profitieren von einer Absage und bekommen umgehend einen Tisch zugewiesen. Selten war unsere Garderobe daher legerer, doch es stört hier nicht wirklich – wir entdecken nur einen Gast mit Anzug und Krawatte, der zudem ein Geschäftsmann in der Mittagspause zu sein scheint. Ich vergesse vor lauter Verwunderung sogar, ein Foto von dem Lokal zu machen – das ist mir auch noch nicht passiert! Glücklicherweise wohnt eine Freundin meiner Schwester in Aachen und hilft mir aus …
Das stylishe Restaurant, das man über eine Treppe an der Ecke des Gebäudes betritt, weist einen nahezu quadratischen Grundriss mit einem großen Barbereich (und zahlreichen Spirituosen) in der Mitte des Raumes auf. Um diesen herum finden dennoch gut und gerne zwei Dutzend Gäste Platz, die an schwarzen Kunststofftischen sitzen und von einer emsigen Servicetruppe mit allem umsorgt werden, woran es gerade mangelt. Eine interessante Deckenkonstruktion sowie großflächige Fenster verleihen dem Raum ein ungewöhnliches Ambiente, das zwangslos und charmant wirkt. Besonders gespannt sind wir, als einer der Kellner uns mitteilt, dass hier ein dreigängiges Mittagsmenü angeboten wird. Im Auszug aus der Speisekarte vor dem Lokal haben wir gesehen, dass die Menüfolge auf bis zu drei Gänge (zum Preis von € 61) reduziert werden kann. Allerdings sind wir nicht sicher, ob das Mittagsmenü zum identischen Preis angeboten wird oder nicht – andererseits halten wir es angesichts der spontanen Bereitschaft des Lokals, uns so kurzfristig als Gäste zu akzeptieren, nicht wirklich für angebracht, danach zu fragen und lassen uns am Ende überraschen, was denn nun tatsächlich am Ende auf der Rechnung stehen wird. Aufklärung folgt …
Neben einer gefälligen Brotauswahl mit Raadieschen und Oliven tischt man einen netten Gruß aus der Küche auf: ein Rösti mit Picanya-Salat (auf brasilianische Art gegrillter Tafelspitz) entpuppt sich als einwandfreier und launiger Einstieg, den wir gerne zur Kenntnis nehmen. Abgerundet wird der gelungene Auftakt mit einem Crodino Soda.
Erfreulicherweise lässt man dem Gast auch noch die Entscheidung zwischen zwei Varianten zu jedem Gang: meine Wahl fällt aus rein genuss-technischen und nicht monetären Gründen (wie dies manche laut Eingangszitat zu tun scheinen!) auf Austern Marennes Oléron mit Zitrone, Sojasauce und klein geschnittene Roscoff-Zwiebeln in Öl. Das Foto allein spricht Bände: nicht weniger als sechs riesige Prachtexemplare voll mineralischer und vibrierender Frische tummeln sich auf dem Teller! Nun ist dies vielleicht nicht das ideale Gericht, um die Leistungsfähigkeit der Küche angemessen zu evaluieren, aber wen stört das schon bei einer derart generösen und luxuriösen Vorspeise, zumal diese auch noch alles andere als vorhersehbar begleitet wird?! Diese ultrafrischen Exemplare gehörten zu den besten, die ich je verzehren durfte, und auch die absolut stimmige Begleitung (noch dazu auf einem eiskalten Teller) rundet den Eindruck perfekt ab! Mit welchem Betrag dieses Menü wohl zu Buche schlagen wird?! Schon jetzt scheint der Preis – wie auch immer er ausfallen mag – gerechtfertigt. Ein solcher Gang hätte anderswo locker 30 Euro aufwärts gekostet!
Nach diesem „kraftraubenden“ Gang wird ein Passionsfruchtsorbet (ohne Foto) vor dem Hauptgang eingeschoben, das zudem auf Wunsch (ohne Aufpreis!) auch noch mit Belvedere-Wodka aufgegossen werden kann.
Beim Hauptgang bekommen die beiden Chefköche Christof Lang und Andreas Schaffrath nun die Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen: Rinderrücken mit Lauch und Pilzen klingt nur leidlich spannend, erweist sich aber beim Verzehr als facettenreiches Gericht. Nicht nur wird das Gericht weiter mit nicht annoncierten Komponenten wie sehr buttriger Kartoffelmousseline, getrüffelten Kartoffelchips und einer tiefen Rotwein-Rosmarin-Jus aufgewertet, sondern auch die angekündigten Begleiter machen in Form von zweierlei Pilzen (teils gebacken) und sehr cremigem Lauch enorm viel her. Dabei fußt das Gericht auf unverkennbar französischer Basis, hat aber doch so manch modernen Twist zu bieten.
Zum Abschluss lasse ich mir eine Käseauswahl (unter anderem mit Parmesan und Fourme d’Ambert) zusammenstellen, die mich überzeugt und vor allem mit der exzellenten Bitterorangenkonfitüre punktet. Dass außerdem zahlreiche Bruchschokoladen von Valrhona-Schokolade (z.B. mit Haselnüssen oder Zartbitter) und Klassikern wie Madeleines das Mahl würdig ausklingen lassen, nehmen wir ebenfalls erfreut und wohlwollend zu Kenntnis. Fehlten nur noch die Aachener Printen!
Die junge Servicetruppe trägt mit ihrem lässigen Habitus einiges zum Gelingen des Konzepts in diesem Hause bei. Zwanglos und unkompliziert werden hier Getränke empfohlen, die Gerichte erläutert und Gespräche mit dem Gast – sofern gewünscht – auch durchaus angestrebt. Da passt es auch ins Bild, dass der Patron des Hauses eine kurze Stippvisite an jedem Tisch einlegt. Aufgrund des Fehlens eines echten Sommeliers würde der Service höchsten Ansprüchen zwar sicherlich nicht genügen, doch scheint auch keiner der Gäste ernsthaft eine solche Erwartungshaltung an den Tag zu legen, da das La Bécasse ja schließlich mit einem und nicht mit drei Michelin-Sternen dekoriert ist.
Die Menüfolge bot der Küche in diesem Fall insgesamt nicht so viele Möglichkeiten, einige Register ihres Könnens zu demonstrieren, doch das wenige wirklich Aufschlussreiche konnte uns absolut überzeugen. Die makellose Frische der Austern ist auf diesem Niveau keineswegs selbstverständlich, und die Veredelung des vermeintlich simplen Hauptgerichts gelang auch ausgezeichnet. Im Verbund mit der ansprechenden Serviceleistung erlebten wir hier einen tiefenentspannten Nachmittag mit ein paar durchaus denkwürdigen Momenten.
Bleibt noch die Rechnung: als wir diese überreicht bekamen, staunten wir ob des Menüpreises nicht schlecht: man rief einen Spottpreis von sage und schreibe € 38,50 für diese Menüfolge pro Kopf auf! Bei den Nebenkosten geht es ebenfalls sehr fair zu, so dass meine Begleitung das Fazit des Tages ohne Umschweife auf den Punkt bringt: „Bei diesen Preisen wäre man schön dumm, woanders sein Mittagessen in Aachen einzunehmen!“
Tatsächlich ist dem wenig hinzufügen – dieser gelungene, charmante Nachmittag ohne Allüren hat uns nachhaltig beeindruckt, weshalb auch allen Aachen-Besuchern ein Lunch hier dringend empfohlen sei! Die zahlreichen Stammgäste – darunter auch einige aus Belgien und den Niederlanden – haben dies offenbar schon längst für sich entdeckt. Sollte es sich mal wieder einrichten lassen, dann kommen auch wir gerne wieder!
Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten
La Bécasse
Hanbrucher Straße 1
52064 Aachen
0241/74444
www.labecasse.de
Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3 F
7-gängiges Abendmenü: € 105