Zur Linde, Hankensbüttel

„Ein Pessimist zu sein hat den Vorteil, dass man entweder ständig recht behält oder angenehme Überraschungen erlebt.“ (Peter Will)

Oktober 2020

Wenn es Sie jemals nach Hankensbüttel, etwa 50 Kilometer nördlich von Braunschweig gelegen, in den Süden der Lüneburger Heide verschlagen sollte, dann vermutlich deshalb, weil Sie Kinder haben und das dortige Otterzentrum besuchen möchten (obwohl sich auch eine Stippvisite in das nahegelegene Kloster Isenhagen anbietet). Dieser Touristenmagnet lohnt definitiv einen Abstecher, doch ist dies nun mal kein Reiseportal, sondern eines, in dem Restaurants vorgestellt werden. Im Herzen des kleinen Orts liegt nämlich das unscheinbare Lokal Zur Linde.

Wir betreten ahnungslos dieses Lokal, einfach weil wir Hunger haben und es an diesem Sonntag schon relativ spät am Abend ist. Mangels hochdekorierter Alternativen in der unmittelbaren Umgebung kehren wir also hier ein und machen uns mental auf einen Abend der durchschnittlichsten Art gefasst. Einen Kommentar gestatte ich mir gleich vorweg: in diesem Lokal erwartet Sie auch tatsächlich kein herausragender Service, kein außergewöhnliches Landhausambiente, kein bildschön angerichtetes Essen und stattdessen eine gestrig anmutende Schanktheke samt Lampe mit der programmatischen Aufschrift „Asbach Uralt“ – trotzdem widme ich dieser Zufallsentdeckung, die in keinem gängigen Gastroführer zu finden ist, einen kurzen Bericht. Weshalb? Aufklärung folgt …

Tatsache ist jedenfalls, dass dieses Lokal als insgesamt eines von sieben in der Lüneburger Heide (darunter auch so illustre Vertreter wie das damalige Sternerestaurant Endtenfang [sic] im Hotel Fürstenhof zu Celle) Erwähnung fand in einem vom NDR im Jahre 2004 veröffentlichten Buch mit dem Titel Landpartie Spezial – eine kulinarische Entdeckungsreise vom Weserbergland bis zur Nordsee. Chefkoch Jens Olvermann, der den Familienbetrieb in vierter Generation führt, wurde in namhaften Häusern wie den zweifach besternten (und inzwischen beide leider geschlossenen) Restaurants Zur Traube in Grevenbroich und der Résidence in Essen-Kettwig ausgebildet. Nach der Rückkehr an den heimischen Herd wurde der kunstvolle Stil der Haute Cuisine zwar wieder verworfen, doch anhand der Gerichte (dazu gleich noch mehr) wird dennoch schnell deutlich, dass hier ein überdurchschnittlich gut ausgebildeter Koch mit dem Kochlöffel hantiert.

Der Hauptgrund für meinen Bericht besteht darin, dass man hier ungewöhnliche Speisen und auch Getränke zu absolut fairen Speisen geboten bekommt. Am ersten Abend, an dem wir hier einkehrten, fiel uns die Wahl bereits so schwer, dass ein zweiter Besuch noch vor der Abreise aus dem Urlaub praktisch schon feststand. Bereits die hausgemachte Quittenschorle, die man so nicht unbedingt erwartet hätte, ließ uns erstmalig aufhorchen, doch die Speisekarte hatte noch mehr Überraschendes zu bieten: so fiel unsere Wahl am ersten Abend auf Yakbraten – ja, Sie haben richtig gelesen! Die Betreiberfamilie unterhält vor den Toren der Kleinstadt eine Yakzucht und bietet hier somit eine Delikatesse der ungewöhnlichsten Art an, die man nie und nimmer hier vermutet hätte! Dazu gibt es eine nicht sonderlich originelle, aber tadellos zubereitete Gemüsebeilage mit Kartoffeln und eine beachtliche Burgundersauce. Auf ästhetische Optik legt man hier keinen allzu großen Wert (es würde vermutlich eher mehr Gäste abschrecken als anlocken), aber auf Qualitätsbewusstsein allemal. Als Ration für eine passende Gelegenheit nehmen wir außerdem noch eine Portion Spargelcrèmesuppe (vom Juni) im luftdichten Weckglas mit, die sich ebenfalls als weit überdurchschnittlich entpuppen sollte – selbst wenn der Verzehr von Spargelsuppe im September schon bizarr wirkt.

Bei der zweiten Einkehr eine Woche später entscheiden wir uns für das Gericht, das dem Lokal nicht nur den Eintrag in das oben erwähnte Buch, sondern im Jahre 2004 auch einen kurzen Beitrag im Regionalmagazin des NDR im Sonntagabend-Programm bescherte. Seither ist das von uns bestellte Gericht der Klassiker des Hauses schlechthin: Heidschnuckenbraten, der trotz des offensichtlichen Vorkommens dieser Schafe in der Region gar nicht so häufig auf den Speisekarten der heimischen Lokale zu finden ist. Frische Champignons, Bohnenröllchen mit Speck sowie Rösti sind natürlich altmodische 60er-Jahre-Beilagen, doch auch hier überzeugt die Qualität – angesichts des absolut vorzeigbaren Bratens nimmt man die gewisse Einfallslosigkeit bei der Präsentation gerne in Kauf, zumal man ja weiß, dass dies kein Sternerestaurant ist.

Nicht verschweigen wollen wir auch, dass unser zweiter Besuch binnen einer Woche uns sogar eine ansprechende Hochzeitssuppe aufs Haus einbringt. Natürlich verlassen wir das Lokal auch diesmal nicht ohne zwei Gläser Spargelsuppe und denken noch einige Zeit an die ungewöhnlichen Speisen, die wir hier verkosten durften, zurück …

Mein Gesamturteil: 11 von 20 Punkten

 

Zur Linde
Hindenburgstraße 2
29386 Hankensbüttel

Tel.: 05832/468
www.zur-linde-hankensbuettel.de

Guide Michelin 2020: –
Gault&Millau 2020: –
GUSTO 2020: –
FEINSCHMECKER 2020: –

3-gängiges Menü: ca. 35 Euro