Adler*, Lahr im Schwarzwald

„Das Glück wohnt nicht im Besitze und im Golde, das Glücksgefühl ist in der Seele zuhause.“ (Demokrit)

November 2020

Gerade in den ländlichen Gebieten Süddeutschlands sind die zahlreichen Landgasthöfe ein so bedeutendes und typisches Kulturgut, dass man nur hoffen kann, die Corona-Krise möge ihnen möglichst wenig zusetzen. Besonders schade wäre es um ein paar wenige herausragende Exemplare, zu denen auch der Adler in Lahr im Schwarzwald gehört – genauer gesagt, liegt er im gut 15 Autominuten vom Zentrum entfernten Ortsteil Reichenbach an der zur Zeit von Baustellen gesäumten Ortsstraße. Von außen gar nicht so auffällig, öffnet sich beim Betreten jedoch schnell eine andere Welt, in der außergewöhnliches sowie ganz und gar für den Schwarzwald untypisches Design an mehr als nur einer Stelle den Ton angibt. Besonders auffällig wird dies, als wir den Gastraum des Sternerestaurants betreten, der in recht knalligen Farben gehalten ist und selbst so manchem Großstadtlokal gut zu Gesicht stünde.

Deutlich traditioneller ist die Küche in diesem Familienbetrieb, doch ein Verzicht auf einschlägige Luxusprodukte der Haute Cuisine ist damit noch lange nicht verbunden. Chefkoch Daniel Fehrenbacher und seine Ehefrau Kerstin, die als Servicechefin agiert, führen diesen Vorzeigebetrieb mit ganz viel Herzblut und enorm viel Engagement. Das kommt bei den Gästen erwartungsgemäß gut an, so dass selbst an einem verregneten Abend unter der Woche das Lokal gut gefüllt ist. Für eine derart ländliche Region wie der mittlere Schwarzwald ist das hier gebotene Niveau definitiv etwas ganz Besonderes, zumal vielleicht auch der eine oder andere französische Gast auf dem Rückweg von Baiersbronn nach Frankreich hier vorbeischaut. Wir sind jedenfalls gespannt, da wir nahezu ohne Vorwissen hier einkehren und lassen uns gerne überraschen.

Zu dem einzigen Menü, das hier zum Preis von € 132 für sieben Gänge angeboten wird und im Bedarfsfall noch um Käse vom Wagen erweitert werden kann, bestelle ich mir als Apéritif einen Ipanema, der hier allerdings nicht ganz stilecht mit Maracuja veredelt wird und sehr erfrischt, obwohl das an diesem nasskalten Abend nicht wirklich nötig gewesen wäre. Beim Blick in die Getränkekarte stechen auch zwei Flaschen Prisecco von Jörg Geiger ins Auge, die wir für den weiteren Verlauf des Abends bestellen: Nr. 23 (Rhabarber, Apfel, Blüten) und Nr. 21 (Apfel, Birne, Heublumen) – keine schlechte Wahl angesichts des mehr als gastfreundlichen Preises. Vinophile finden aber auch eine stattliche Auswahl an internationalen und deutschen Weinen, bei der allerdings die Region Württemberg so gut wie komplett ausgespart ist, weil die häufig kolportierte Fehde zwischen Baden und Württemberg hier wohl tatsächlich dazu führt, dass Flaschen „aus dem Feindesland“ hier nicht verkauft werden könnten und man deswegen auf ihnen sitzenbleiben würde! Sei’s drum – jetzt wird es aber Zeit für die Apéros!

Dieses fallen hier weniger beeindruckend, sondern eher augenzwinkernd und mit etwas Lokalkolorit versehen aus: auf der Wäscheleine Geroldsäcker Schinken, im Glas zwei Grissini und schließlich ein Mini-Club-Sandwich mit Lachs, das allerdings recht trocken gerät. Ein netter Einfall, der uns aber schwerlich vom Hocker reißt.

Ansprechender gerät da schon die Brotauswahl, bestehend aus Ciabatta, Salzbutter, mit Kräutern getoppte Limetten-Mascarpone-Crème auf dem Stein und schließlich Olivenöl in den Kapseln zum Dosieren nach eigenem Gusto. Da dies relaitv schnell verzehrt ist, dauert es bis zum erneuten Auffüllen nicht sehr lange.

Den ersten kleinen Härtetest besteht dann die Küche beim Amuse: Kürbiscrème auf einer Zitronenvinaigrette und Croustillon von Garnele ist ein fein abgeschmeckter, herbstlicher Einstieg mit Charme und einem sicheren Gespür für Temperaturen und Texturen gleichermaßen. Das gefällt uns schon deutlich besser, auch wenn die Küche sicherlich noch längst nicht alles gezeigt hat, was sie zu leisten imstande ist.

Die nächste Chance dafür bekommt sie beim ersten Gang, bestehend aus Gänseleber. Die Terrine ist vergleichsweise kühl und betont aufgrund des eher süßlichen Charakters der Begleiter zwar dezent, aber durchaus bewusst die Bitternoten der Innerei. Die senkrecht darin befindlichen Texturen von Feige und Schwarzbrot steuern etwas Biss und elegante Süße bei, während der Sauerklee nicht nur für optische Reize sorgt, sondern mit seinen grünen Aromen Leichtigkeit versprüht. Leider gelang es mir nicht, die leicht herbe Sauce genauer zu identifizieren: ich tippe auf eine Art eingedickten Traubenmost. So oder so ein eher unkompliziert in Szene gesetztes Gericht, das aber gerade aufgrund der leisen Töne, die es anschlägt, dennoch gut gefällt.

Vermisste man beim ersten Gang eventuell noch ein gewisses Maß an Raffinement, so wird dies im zweiten Gang nachgereicht: Aubergine „Raz el Hanout“ bettet die Küche auf einer zwischen süßlich und leicht scharf changierenden Vinaigrette mit Anklängen von afrikanischen Aromen. Getoppt wird das Türmchen nicht nur von Zwiebeln, sondern auch von Ziegenkäse, Quinoa und Holunderbeeren. Die schön mürbe und relativ zurückhaltend interpretierte Frucht bleibt im Mittelpunkt des Geschehens in einem feinsinnig ausbalancierten Gericht. Dass die Aubergine zwar nicht die umwerfende Klasse des denkwürdigen Exemplars von Andreas Döllerer erlangt, ist klar – dennoch ein ordentlicher Gang.

Den vielleicht ungewöhnlichsten und mutigsten Gang des Abends gibt es anschließend zu bewundern: sanft gegarter Hummer (das Exemplar im Hintergrund ruht auf dem Deckel des Schälchens und ist nicht essbar) wird hier als Bolognese zwischen Tagliatelle und Majoran leicht gratiniert interpretiert. Was manche wohl als Stilbruch empfinden würden, funktioniert aber gar nicht schlecht – die entwaffnende leichte Tomaten-Käse-Sauce geht eine stimmige Liaison mit dem ungewöhnlichen Nudelgericht ein. Da der Hummer auch noch kurz frittiert wurde, fehlt es dem Gericht auch nicht an Körper. Das erfordert sicherlich kein Handwerk auf Weltklasseniveau, aber gefällig und fast schon opulent gerät dieser Einschub allemal.

Ein Gericht, das ganz in sich ruht, ist Seehecht und Schweinebauch. Der Fisch mit seiner leicht bissfesten Konsistenz harmoniert wunderbar mit dem etwas habhafteren, aber insgesamt doch recht mageren Schweinebauch. Der Schaum gerät allerdings recht zwiebellastig, wobei eine leicht säuerliche Komponente sie weniger rustikal erscheinen lässt. Knackige Radieschen sind ein unkomplizierter Begleiter, doch mit Hilfe von Zwiebelkaramell bekommt dieser Gang noch einen Feinschliff, der das Ganze würdig abrundet.

Nicht ganz so harmonisch gerät dagegen Wildente „Krautwickel“, weil der geschmorte Apfel relativ dominant auftritt. Die Kombination mit Topinambur und Vogelbeer-Jus dagegen erweist sich als interessant und verleiht diesem Gang herbstliche Abwechslung, obwohl die ganz große Begeisterung nicht aufkommen will: im Laufe dieses Abends lässt es die Küche für meine Begriffe ein wenig an Wagemut vermissen. So gerät auch dieser Gang fraglos ordentlich, aber eben auch recht brav. Wahrscheinlich möchte man das hier doch eher etwas konservativer erscheinende Publikum nicht zu sehr verstören und setzt daher auf Teller mit einem gewissen Wohlfühlfaktor.

Das muss per se nichts Schlechtes sein, denn der Hauptgang erweist sich dieses Titels als absolut würdig und verdeutlicht zugleich, warum dieses Etablissement durchaus das Prädikat der Extraklasse verdient: Kalbsfilet in Steinpilzkruste setzt zurecht voll auf die Produktqualität und kommt ohne große Verfremdung aus. Der fluffige Semmelknödel erhöht nochmals die Aromendichte, während ein konventioneller Begleiter (zweierlei Petersilie) und ein ungewöhnlicher Kompanion (gegrillte Wassermelone) dem Gang auch in puncto Ausführung doch noch ein Profil verleihen, das über 08/15-Niveau hinausreicht. Kein Chichi, solide Handwerkskunst und echtes SoulFood – mehr braucht es (frei nach Demokrit) manchmal eben nicht für ein gelungenes Hauptgericht und bescheidenes Glück.

Das eingeschobene Pré-Dessert aus Pfirsichragout, Rosmarin-Eis und Sesamcracker spielt geschickt mit verschiedenen Temperaturen und erweist sich als erfrischender Gaumenkitzler mit Biss – letztlich wird dieser Einschub länger nachhallen als das eigentliche Dessert …

… denn Zitronentarte, Schokoladensorbet „Originale Beans“ und Waldbeeren hätte zwar alle Chancen, einen Designpreis zu gewinnen, doch summa summarum ist dies leider der klar schwächste Gang des Abends. Trotz aller Farbenfreude bleibt mir nicht verborgen, dass dies nicht nur ein sehr biederes Dessert darstellt, sondern auch mit einem weniger gelungenen Tarteboden irritiert. Aufgrund der üppigen Portion hält nach einer gewissen Zeit Langeweile Einzug, weil diesem Ausklang einfach eine zündende Grundidee fehlt – da helfen auch die kleinen grünen Brauseperlen nicht wirklich weiter. Die Frische der Beeren sowie die Qualität des Eises sind nicht zu beanstanden, aber von der Substanz her ist dieses Dessert eher Unterkante für ein Sternelokal. Damit wir uns nicht falsch verstehen: mein Fazit stand mehr oder weniger auch schon vor diesem Gang fest, doch das endgültige Finale empfand ich dann als verstörend …

… weil die Küche den ganzen Abend mehr oder weniger sicheres Terrain nicht wirklich verließ und jetzt auf einmal den Grant Achatz in sich entdeckte. Der legendäre Chef des Drei-Sterne-Restaurants Alinea in Chicago ist berühmt für seine Kreationen, die er oftmals am Platz des Gastes und nicht selten sogar direkt auf dem Tisch anrichtet! Während ich prinzipiell keine Einwände gegen so eine Stilistik hege, erscheint mir dies hier doch reichlich deplatziert. In einer komplett entbehrlichen Showeinlage zertrümmert der Service eine Schokoladenkugel auf dem Tisch, so dass eine Art Bruchschokolade entsteht und die keineswegs denkwürdigen kleinen Schokoladen-Kugeln darin über den halben Tisch kullern. An diesem Eindruck vermag auch das Walnuss-Eis auf dem Stein nichts mehr zu ändern. Betrachtet man das Foto, so kann man glauben, dass die obigen Fotos im selben Lokal entstanden sind! Schade, dass die Küche auf der Zielgeraden noch so einen Irrweg einschlagen musste! Das war wirklich unnötig …

Der Service unter der Leitung von Kerstin Fehrenbacher nimmt im Laufe des Abends immer mehr an Herzlichkeit zu: auskunftsfreudig erzählt die Gastgeberin, wie viel Arbeit hinter so einem Landgasthof steckt und welche Restriktionen auch schon vor der Pandemie solchen Betrieben das Leben schwer machten. Dass die aktuelle Situation die Lage noch weiter verschärft, dürfte klar sein, doch ländliche Gebiete scheinen insgesamt besser wegzukommen als städtische. Bei einem längeren Plausch stellt sich dann dabei heraus, dass sie Familie Widmann vom ursprung in Königsbronn-Zang gut kennt und ich sie grüßen solle (was ich natürlich auch getan habe). Jedenfalls gibt es keinen Grund, sich hier nicht wohlzufühlen: gastfreundliche Preise, ein herzlicher Service und ein individuelles Ambiente machen einen Besuch hier zu einem entspannten Erlebnis, auch wenn sich der Abend doch gut vier Stunden hinzog.

Mein Bericht und die Fotos sollten verdeutlichen, dass Chefkoch Daniel Fehrenbacher im Allgemeinen auf Bewährtes setzt und damit die Erwartungshaltung seiner Gäste bedient. Angestaubt ist seine Küche dabei jedoch keinesfalls, denn reizende Ideen oder der Einsatz ungewöhnlicher Produkte zugunsten der Originale (z.B. bei der Bolognese) sorgen dafür, dass so schnell keine Vorhersehbarkeit aufkommt. Allerdings fehlte mir im Laufe des Abends dann doch mal ein Gericht, das den Gast auch mal aus der Komfortzone lockt und ihn fordert. Bei dem wie nachträglich anmutenden Versuch, dies beim Ausklang nachzuholen, ist man dann doch deutlich übers Ziel hinausgeschossen. Die gar zu harmlosen Apéros wären ansonsten ein weiterer Punkt, an dem ansetzen könnte, wenn das Niveau noch weiter gesteigert werden sollte. Ansonsten bleibt klar festzuhalten, dass die Küche über ale Voraussetzungen verfügt, um den Michelin-Stern weiter halten zu können.

Wäre der Ausklang nicht so missraten, dann wäre dieser Besuch hier ziemlich genau so abgelaufen, wie man ihn von einem Landgasthof mit Sterneniveau erwartet. Ich bin mir allerdings sicher, dass dieser Umstand zu beheben ist und man mehr Ideen als nur diese fragwürdige auf Lager hat, um die Gäste zu unterhalten. So oder so kann man hier ohne die ganz große Attitüde einen entspannten Abend im Herzen des Schwarzwalds erleben.

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Adler
Hauptstraße 18
77933 Lahr im Schwarzwald (Reichenbach)
Tel.: 07821/906390
www.adler-lahr.de

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 17 Punkte
GUSTO 2020: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3 F

7-gängiges Menü: € 132