bi:braud, Ulm

„Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt.“ (Theresa von Ávila)

Juli 2022

Mag schon sein, dass das Eingangszitat der berühmten spanischen Mystikerin fast fünfhundert Jahre alt ist, doch gerade in einer immer noch sehr von Männern dominierten Branche lohnt es sich bisweilen zu reflektieren, wie viele (respektive wenige) Fortschritte seit damals erzielt worden sind. Auf die 32-jährige Köchin Alina Bebrout wurde ich beispielsweise nicht etwa durch einen Profiguide aufmerksam, sondern durch einen Geheimtipp von Andreas Widmann, dem Chefkoch des ursprung in Königsbronn-Zang, das ja inzwischen zu meinen meistbesuchten Sternerestaurants gezählt werden darf. Er hatte mir von ihrem schmucken kleinen Lokal in der Ulmer Altstadt vorgeschwärmt und mich umgehend neugierig gemacht, da bei dieser Gelegenheit von einer recht gemüselastigen und zeitgemäßen Küche die Rede war, die zudem allemal das Potential für einen Michelin-Stern aufweisen würde. Tatsache ist, dass das Lokal bislang in den professionellen Restaurantführern nur beiläufig oder auch gar nicht erwähnt wurde, doch brachte der Gault&Millau, kaum dass der offizielle Guide endlich im Juni 2022 veröffentlicht war, kurz danach noch eine Sonderausgabe für Baden-Württemberg heraus, in welcher das bi:braud (das sich in Wirklichkeit sogar wie die Lautschrift des Familiennamens der Chefin schreibt) dann doch zum ersten Mal portraitiert wurde – allerdings nicht etwa in banalem Tonfall, sondern gleich prämiert in der Rubrik „Gastronomische Innovation“.

Die gebürtige Münchnerin Alina Bebrout, Jahrgang 1990, richtete ihr schmuckes Lokal samt drangvoll enger Küche vor acht Jahren in einer ehemaligen Metzgerei in Sichtweite des Ulmer Münsters ein. Die leidenschaftliche und absolut warmherzig auftretende Chefin ist trotz allem ein Energiebündel und sprüht nur so vor Ideen, die sie in aparter Optik geschmacksstark auf die Teller zu setzen scheint – da möchte ich mich doch davon selbst überzeugen! Meine Schritte führen mich durch die verwinkelten Altstadtgassen, wo das unscheinbare Lokal schon bald erreicht ist. In einem recht rustikalen und zwanglos anmutenden Ambiente entscheide ich mich für einen Platz drinnen, da die drückende Hitze draußen unangenehm aufs Gemüt schlägt. Ein Servicetrupp aus gerade einmal einer Kellnerin und einem Kellner reicht zumindest um diese Zeit aus, denn man kann hier bereits um 17.30 Uhr einkehren – ein Umstand, der mir angesichts der längeren Heimreise mit der Bahn sehr entgegenkommt. Ansonsten dominieren innen neben den quadratischen blanken Holztischen die Farben Grün und Grau sowie relativ viel Naturstein. Schnell wird mir klar, dass hier keine elegante Küche zu erwarten ist …

Zur Auswahl stehen zwei Menüs zu € 95 und € 75, wobei letztere Variante inklusive der Apéros rein vegetarisch konzipiert ist. Da meine Wahl auf letztere Option fällt, schickt die Küche zum Einstieg wie zur Bestätigung als Einstieg drei fisch- und fleischlose Apéros, die in ihrer Konzentration bereits erahnen lassen, dass dies höchstwahrscheinlich ein überdurchschnittlicher Abend werden dürfte: zur linken gefällt ein Taco mit Artischocken, Cashewkernen und Koriander vor allem dank trennscharfer Aromen und prägnanter Würze. Das Demeter-Wachtelei in der Mitte strahlt dagegen Harmonie und Schlichtheit aus, wird es doch mit Kartoffelstroh und -schnee zurückhaltend begleitet, um den Eigengeschmack des Eis nicht zu sehr in den Hintergrund zu verdrängen. Der Happen zur rechten wäre im Original mit Auster serviert worden, doch in der vegetarischen Variante wird sie durch geschmorte Karotten ersetzt, die mit Nori-Algen, Staudensellerie und Schnittlauchcrème überraschend fruchtig und filigran begleitet werden. Passend dazu offeriert man eine Lavendel-Limonade aus dem Hause Cucumis. Diese individuell gestalteten Petitessen machen bereits ohne Frage einiges her und lassen ein geschärftes Profil erahnen. Gerne darf es so weitergehen!

Zu etwas gewöhnungsbedürftigen Lounge-Musik-Klängen aus den Lautsprechern geht es weiter mit der Brotauswahl: freilich überzeugt das Bauernbrot, doch der Aufstrich aus Basilikumbutter mit Apfelbalsam zieht schnell alle Aufmerksamkeit auf sich: leicht herb und mit feiner Süße zugleich, überzeugt auch dieser Beitrag voll und ganz.

 

Marinierte Kräuterseitlinge stehen in diversen Texturen klar im Mittelpunkt des ersten Gangs: trotz durchaus präsenter Begleiter wie einer Liebstöckel-Mayonnaise, Steinpilzcrème und einem Zwiebelsud bleiben die erdigen Aromen, welche den Herbst vorwegzunehmen scheinen, so dominant, dass auch die Pimpinelle obenauf mit ihrem gurkenähnlichen Geschmack das Gleichgewicht nicht erschüttert, sondern im Gegenteil noch weiter bereichert. Dank einer erneut sehr ausgeprägten Handschrift gerät auch diese Visitenkarte zu einem für Frau Bebrout typischen Gericht, welches nicht mit intensivem Geschmack spart und einen schnell vergessen lässt, dass dieser Teller fleischlos daherkommt.

Auch die nächste Eingebung ist von einer federnden Leichtigkeit: dank einer recht mutig mit grünem Apfel, grünem Paprika und Kümmel veredelten Vinaigrette wird diese zu einem komplexen Begleiter eines ansonsten denkbar einfach konzipierten Gerichts: 24 Stunden lang eingelegter und gepickelter Sellerie sowie Staudensellerie bilden die aromatische Basis für etwas senkrecht eingestecktes Schüttelbrot. Dank der Frische der Produkte und der transparent bleibenden Aromen wird auch daraus ein richtig guter Teller, der sich stilistischen Vergleichen gekonnt entzieht und dabei trotzdem mit reizendem Charme aufwartet.

Noch puristischer ist der nächste Gang gestaltet, den man schnell zu durchschauen glaubt: Tomaten der Sorte „Berner Rose“ dienen dem Raviolo in passierter Form als Füllung, doch wer erwartet, dass die kleinen Fruchtstückchen obenauf ebenfalls aus Tomate sind, erlebt eine zünftige Überraschung! Sie sind nämlich aus Wassermelone und umspielen die Teigtasche im Verbund mit den kleeblättrigen Jalapeños, Zitronenmelisse und einer Jalapeño-Beurre-Blanc auf gänzlich unerwartete, aber trotzdem schlüssige Weise. Trotz einer gewissen Schlichtheit und markiger Schärfe knüpft dieser Beitrag in puncto Frische dort an, wo der Teller zuvor aufgehört hatte. So hallt der Sommer noch lange am Gaumen nach – und der Teller gerät trotz allem unerwartet wirkungsvoll.

Als fleischlose Option soll glasierte Aubergine die Führungsrolle im Hauptgericht beanspruchen, doch bekommt sie Schwierigkeiten, sich in diesem wuchtigen Umfeld von Misopflaume, fermentiertem Knoblauch und Erdnuss-Crumble-Topping deutlich bemerkbar zu machen. Die Aromen bewegen sich dabei allesamt in einem eher eng gesteckten aromatischen Rahmen von massiger Erdigkeit, so dass lediglich die Essiggurke mit feiner Säure etwas Abhilfe schafft. Durch die diesmal etwas weniger gelungene Differenzierung bei den Aromen belastet dieses Gericht den Magen eher, doch zumindest gelingt es der Küche auch hier, profane Produkte mit teils recht gewöhnlichen Techniken aufzuwerten. „Veredelung, nicht Verfremdung“ lautet einmal mehr das Motto – dank einer habhaften Gewürzjus bleibt das Gericht trotz allem vorzeigbar, auch wenn andere Teller an diesem Abend einen stärkeren Eindruck hinterließen.

Echten Grund zur Freude gibt es dagegen nochmals beim Dessert, welches Himbeere und Sauerampfer virtuos zusammenführt. Das Eis gerät dabei erfreulich wenig zuckerlastig und das Hafer-Panna-Cotta von duftiger Leichtigkeit. Aufgewertet wird der Teller auch durch etwas Dill, doch den eigentlichen Clou bilden die gelblichen eingelegten Dillblüten mit einer frechen und animierenden Säure. Das Sponge aus Sauerampfer ist schließlich ein netter Effekt, der eine erneut recht simple Idee ansprechend veredelt und würdig abrundet. Petits fours sind offenbar keine vorgesehen, doch nach diesen teils überraschend guten Eindrücken maß ich diesem Umstand keine besondere Bedeutung mehr bei.

Längst hat Alina Bebrout mit ihrer schon ziemlich reif wirkenden Küche weit über die Grenzen der Münsterstadt hinaus auf sich aufmerksam gemacht. Dank handwerklich größtenteils schon sicher umgesetzter Einfälle voller Esprit und Leidenschaft bekommt man im Laufe eines Besuchs ohne Weiteres zwei bis drei Teller vorgesetzt, die man so schnell nicht vergisst. Bei aller Gemüselastigkeit und Regionalität geraten die Grundpfeiler dieser Küche dennoch niemals zum reinen Selbstzweck – viel zu überzeugend ist die Darbietung schon jetzt als dass irgendwelche alibihaften Einfälle das hauseigene Credo untermauern müssten. Die Raffinesse höher ausgezeichneter Lokale fehlt bisweilen noch, aber mehr kann man für den aufgerufenen Preis schwerlich verlangen (zumal auch die Nebenkosten überaus fair gestaltet sind). Schon jetzt sei Andreas Widmann für den Tipp und Frau Bebrout für die gezeigte Leistung gedankt – das hatte sich fraglos gelohnt!

Auch wenn die ganz großen Namen unter Frau Bebrouts Ausbildern fehlen, so weiß sie doch ganz genau, nicht nur was sie sich zumuten kann, sondern auch was dem Gast zugemutet werden kann. Konservative oder wenig erfahrene Gourmets dürfte es in dieser spärlich mit Spitzenrestaurants ausgestatteten Region wohl etliche geben, doch selbst diese lassen sich meist bereitwillig auf das Spiel der Küche ein, weil keines der Gerichte auch nur annähernd an der Grenze zum Affront kratzt. Gerade die Aufwertung simpler oder gar fast schon vergessener Viktualien (wie die Pimpinelle) überzeugt in der Mehrzahl der Fälle bereits deutlich; doch selbst wenn mal ein Gericht weniger gut gelingt, so ist mit einem Nachjustieren an den Stellschrauben mit geringem Aufwand sofort wieder ein deutlich größerer Ertrag möglich. Bei aller Artistik zeichnen sich Frau Bebrouts Teller doch immer wieder durch ein hohes Maß an Natürlichkeit aus, einfach weil die verwendeten Produkte praktisch immer erstaunlich gut harmonieren. Gleichzeitig wirkt das Konzept tragfähig und zukunftsweisend, so dass ein stetiger Fluss an nachfolgenden Gästen inzwischen gewährleistet sein dürfte. Ähnlich wie das ursprung in Königsbronn-Zang, das etz und das Essigbrätlein (beide in Nürnberg) setzt auch das bi:braud auf Nachhaltigkeit und die Erzeugung möglichst weniger Abfälle. Bei der Umsetzung dieses Ziels bleiben natürlich schon noch deutliche Unterschiede zwischen diesen Lokalen erkennbar, aber der große gemeinsame Nenner verbindet sie doch wieder untereinander. Mich überrascht es jedenfalls nicht, dass Andreas Widmann Frau Bebrout zu seiner alljährlichen Küchenparty im Oktober für dieses Jahr als eine von insgesamt fünf Köchen und Köchinnen eingeladen hat.

Dank spürbarer Fortschritte in den letzten Jahren kann Ulm ja inzwischen zwei Sternerestaurants sein Eigen nennen: allerdings liegen sowohl das Siedepunkt als auch der Seestern beide deutlich außerhalb des Zentrums, so dass ein besterntes Restaurant im Zentrum nur eine folgerichtige Entwicklung darstellen würde. Das Potential dafür ist sicherlich vorhanden – warten wir mal ab, wie die Profiguides im nächsten Jahr reagieren. Ich für meinen Teil wünsche dem Lokal samt seiner vitalen und umtriebigen Chefin weiterhin viel Erfolg und werde die weitere Entwicklung beobachten. Ein vielversprechender Anfang ist bereits gemacht!

Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten

 

bi:braud
Büchsengasse 20
89073 Ulm
Tel.: 0731/1537512
www.bebrout.com

Guide Michelin 2022: –
Gault&Millau 2022: –
GUSTO 2022: –
FEINSCHMECKER 2022: 1,5 F

5-gängiges vegetarisches Menü: € 75