April 2017
Schleswig-Holstein ist keineswegs arm an Restaurants, die mit Michelin-Sternen veredelt sind – allerdings befinden sich diese fast ausschließlich auf Sylt und an der Ostseeküste. Die Westküste hat dagegen für anspruchsvolle Gourmets fast gar nichts zu bieten. Unter den noch am höchsten gehandelten Lokalen befindet sich das „sterne-freie“ Eucken in Husum, dem Tor zu Nordfriesland. Namensgeber des Restaurants ist übrigens der in Aurich geborene Rudolf Eucken. Dieser Philosoph und zweite deutsche Literaturnobelpreisträger unterrichtete zwei Jahre lang an der ehemaligen Lehranstalt in Husum.
Das Restaurant befindet sich im Gewölbe des Alten Gymnasiums, das im 19. Jahrhundert noch eine Schule war. Als die Räumlichkeiten später in puncto Kapazitäten nicht mehr ausreichten, wurde das Gebäude dem Verfall übergeben und stand bis 1996 leer. Dann wurde es zu einem Spitzenhotel umfunktioniert, das inzwischen zu den beliebtesten und besten Etablissements der Nordseeküste gehört. Während das Hotel seit geraumer Zeit hoch gehandelt wird, waren die jüngsten professionellen Kritiken zum hauseigenen Restaurant dagegen schwankend. Mal sehen, was dahinter steckt …
Man geleitet uns zum Tisch und fragt sogleich wegen eines Aperitifs nach. Bereits hier die erste Merkwürdigkeit: die Nachfrage nach einem alkoholfreien Einstieg bringt die wenig charmant agierende Kellnerin gleich in Verlegenheit. Offenbar muss sie diesbezüglich erst noch einmal nachfragen gehen, obwohl – wie wir später feststellen – einige der sattsam bekannten, aber deswegen nicht weniger verlockenden Priseccos von Jörg Geiger auf der Karte stehen. Stattdessen kredenzt man einen fruchtigen Cocktail, doch damit sind die Probleme noch immer nicht behoben. Meine Begleitung bestellt einen halbtrockenen Sherry – der servierte Sherry muss aber allein schon aufgrund der Farbe sehr trocken sein. Der Irrtum wird erst auf Nachfrage behoben – allerdings stellt sich dann heraus, dass der auf der Karte annoncierte und gewünschte Sherry gerade nicht verfügbar ist. Kein gelungener Einstieg …
Danach reicht man uns die Karte, die etwas verwirrend strukturiert ist: auf drei Seiten befinden sich zwei Menus und eine reine Seite mit à la carte-Gerichten. Da aber hinter jedem Gericht ein Preis steht und bunt zusammengewürfelt werden kann, erscheint die Einteilung in Menus wenig sinnvoll und praktisch überflüssig. Nach Aufnahme der Bestellung (fünf bzw. vier Gänge für meine Begleitung), die übrigens auf einem Block mit Wirtshauscharakter notiert wird, serviert man eine Brotauswahl, deren Tapinaden aus schwarzen Oliven, Tomaten und Pilzen durchaus etwas hermachen. Die Brote selbst sind dagegen sehr fettig.
Als irritierend empfand ich auch, dass das komplette Besteck für die folgenden Gänge auf einmal links und rechts neben den Teller gelegt wird, so dass nicht weniger als neun platzraubende Werkzeuge die Bewegungsfreiheit einschränken. Auch die bestellte Flasche Wasser ließ einige Zeit auf sich warten. Der Gruß aus der Küche schließlich ist eine ausdruckslose und wenig originelle Frischkäsecrème mit etwas Speck und Paprika-Brunoise. Man gewinnt bereits frühzeitig den Eindruck, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. Schade, denn das edle Ambiente des Gewölbes, das allerdings etwas dunkel ausgeleuchtet ist, hätte Besseres verdient. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Der erste Gang, Husumer Hafenspaziergang mit Meerrettich und Gurke, besticht nur durch eine nette Präsentation. Geschmacklich dagegen bleibt das Gericht blass, hat es doch neben konventionellen Zutaten nichts Spannendes oder Ungewohntes zu bieten. Das Gericht könnte vom Niveau genauso gut in einem durchschnittlichen Lokal serviert worden sein. Dieser Kreation nach zu urteilen muss ein Hafenspaziergang in Husum eine langweilige und entbehrliche Angelegenheit sein.
Zwischen unserer Ankunft und dem Servieren des nächsten Gangs sind inzwischen sage und schreibe anderthalb Stunden vergangen, bis man endlich Bärlauchsüppchen mit Geflügelpraline auftischt. Die Veredelung der ansonsten konventionell geratenen Suppe durch die Praline wertet das Gericht zumindest etwas auf und erweist sich (leider) schon bald als das beste Gericht des Abends, das von einer gelungenen Eingebung allerdings meilenweit entfernt ist. Einen schlimmen Fauxpas leistet sich außerdem die Kellnerin, die mir den Teller abstellt und dann fragt: „Das war jetzt doch richtig, oder?“ Wenn zwei Personen am Tisch sitzen und eine davon eine Suppe bestellt, dann darf man von einer Servicekraft in einem Lokal mit diesen Ansprüchen (und diesen Preisen vor allem) doch wohl mehr Aufmerksamkeit erwarten als Plattitüden und Peinlichkeiten dieser Art.
Es vergehen weitere quälend lange 45 Minuten bis zum nächsten Gang. In der Zeit werden die anderen Gäste, bei denen es sich offensichtlich um Hotelgäste handelt, die ein dreigängiges Tagesmenü vorbestellt hatten, zügig und durchaus nicht zum Nachteil der Gäste bedient. Die leeren Wassergläser auf unserem Tisch indessen fallen über 30 Minuten lang keiner Servicekraft auf. Es ist bemerkenswert, dass Gäste, die anderthalb Stunden nach uns eintrafen, das Lokal wesentlich früher als wir verließen. Allmählich wird es uns zu bunt …
Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es weiter mit Carpaccio vom Rind, gebratenen Waldpilzen, Rucola und Parmesan. Allein die Präsentation des Gerichts ist äußerst profan: das Tatar wird praktisch flächendeckend unter dem Rucola versteckt, während Parmesan und Pilze zu Statisten degradiert werden. Abgesehen davon: der Rucola ist so penetrant dosiert, dass kein subtiler Geschmack entstehen kann. So verwundert es nicht, dass das geschmackliche Niveau und die plakative Präsentation praktisch Hand in Hand gehen – eine echte Enttäuschung. Der Tiefpunkt sollte aber noch kommen …
Eine geraume Zeit später teilt man uns auf Nachfrage mit, dass ein Unfall in der Küche und der damit verbundene Ausfall eines Kochs die Ursache für die Verzögerungen sei. Wann genau sich dieser Unfall zuzog, wissen wir bis heute nicht – als viel ärgerlicher empfanden wir, dass man uns diese Information vorenthielt und sie nur auf Nachfrage zu uns vordrang. Der darauffolgende Kommentar der Kellnerin, es würde gleich weiter gehen, war abermals mit einer Wartezeit von mehr als einer halben Stunde verbunden.
Unsere Laune war bereits auf dem Tiefpunkt, aber die beiden Hauptgerichte rundeten diesen Abend zum Vergessen noch nach unten ab. Seeteufel-Medaillons an Hummerschaum mit Tomatenrisotto und feinem Gemüse sah nur optisch schön aus. Das Gemüse war bissfest, das Risotto fade und der Seeteufel war hoffnungslos übergart. Logische Konsequenz: der Fisch hatte eine unangenehme, gummi-artige Konsistenz und war praktisch ungenießbar. Keinen Deut besser auch das Deichlamm meiner Begleitung: das Fleisch war trocken, zäh und schmeckte wie Leber.
Nach all diesen Affronts verzichteten wir auf das Dessert (sonst würden wir vielleicht heute noch dort sitzen und auf Godot warten) und reklamierten. Man erließ uns wenigstens die Getränke und die Hauptgerichte, die wir gar vorzeitig zurückgehen ließen, aber zu retten war dieser vollkommen mißratene Abend nicht mehr. Der Geschäftsführer gesellte sich später noch hinzu und entschuldigte sich samt einem Präsent für die Unannehmlichkeiten, was aber nicht über fundamentale Probleme, die derzeit in diesem Lokal vorherrschen, hinwegtäuschen kann.
Der GUSTO vergab 2015 noch 6 Pfannen, distanzierte sich aber im Folgejahr von dieser Wertung mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Vorjahreswertung praktisch nichts mehr mit den jüngsten Eindrücken zu tun hätte. Auch der Gault&Millau 2017 benennt die Probleme ganz klar und verweist mit Wehmut auf die Vergangenheit, als das Lokal ein Anwärter auf bis zu 16 Punkte gewesen war. Heuer wurde die Note sogar ganz ausgesetzt, nachdem es im letzten Jahr immerhin noch zu 14 Punkten gereicht hatte.
Wir wissen nicht, was genau in den letzten Monaten eigentlich vorgefallen ist, aber Chefkoch André Malewski scheint den Laden momentan nicht im Griff zu haben. Die Küche kämpft offenbar mit handwerklichen Problemen und kann zudem den kurzfristigen Ausfall einer Person scheinbar in keinster Weise kompensieren. Wenn dem so ist, dann sollte man in solch einem Fall das Lokal an einem derartigen Tag besser gleich geschlossen halten. Außerdem ist die unsägliche Wartezeit, wenn ein Gast versehentlich einmal nicht das vorgefertigte dreigängige Menü bestellt, nicht hinnehmbar. Auch der Service agierte allzuoft einfach plump, unaufmerksam und lustlos. Patzer wie die oben geschilderten müssen, wenn der Michelin-Stern tatsächlich eines fernen Tages erreicht werden soll, natürlich abgestellt werden. So bleibt festzuhalten, dass hier derzeit nur die Preise Sterneniveau haben, während alle anderen relevanten Kriterien sich momentan sämtlich in die verkehrte Richtung zu entwickeln scheinen.
Es bleibt dabei: Nordfriesland ist mit Ausnahme von Sylt immer noch kulinarische Diaspora. Wer auf dem Festland etwas erreichen will, sollte es mit etwas Engagement allerdings nicht allzu schwer haben, das Eucken derzeit zu toppen.
Fazit: dieser Besuch war ein echter Rohrkrepierer und die größte Enttäuschung überhaupt, seit ich im Jahre 2011 anfing, gehoben essen zu gehen. Es lief rein gar nichts zusammen an diesem katastrophalen Abend. So wird das nie etwas mit dem Michelin-Stern!