etz, Nürnberg

Das etz hat inzwischen ein neues Quartier westlich der Altstadt bezogen. Ein Besuch dort ist für2023 fest eingeplant – Bericht folgt!

„Handgemacht, hausgemacht, aus der Region – und das absolut konsequent. Felix Schneider treibt die Debatte um Nachhaltigkeit voran wie nur wenige andere.“ (DER FEINSCHMECKER)

Dezember 2021

Das war kein kleines Wagnis, das Felix Schneider da eingegangen war, als er vor fast sechs Jahren im mittelfränkischen Heroldsberg anheuerte und sich bereit erklärte, ein Restaurant in einem Fachwerkbau nach seinen Vorstellungen zu bekochen. Natürlich wäre dieser Umstand kaum eine gesonderte Erwähnung wert, wenn Felix Schneider die Stilistik beibehalten hätte, die er einst bei Thomas Kellermann auf Berg Wernberg in dessen (inzwischen geschlossenem) Restaurant Kastell in Wernberg-Köblitz mit auf den Weg bekommen hatte. Zumindest deutete auch nach seinen zwei Jahren als Souschef im Aumer’s La Vie in Nürnberg (das ebenfalls nicht mehr existiert) noch nichts auf die stilistische Kehrtwende hin, die der ambitionierte Jungkoch schon bald hinlegen sollte. Als dann 2016 das Sosein schließlich eröffnet wurde, eckte das Konzept schnell an und trennte die Gäste in zwei Lager aus Befürwortern und Skeptikern.

Grund für die Polarisierung war im Wesentlichen das radikale Konzept, das dem Publikum in einer doch recht ländlich geprägten Region am Rande der Fränkischen Schweiz erst einmal so richtig schmackhaft gemacht werden musste. Basierend auf ausschließlich heimischen Produkten, teils jahrhundertealten Techniken und stark saisonal geprägten Gerichten offerierte man den Gästen eine selten rustikale Küche, die bisweilen in derber Direktheit und kompromissloser Reduktion auf den Teller gelangte. Da die Fermentation der allermeisten Produkte zudem überwiegend mit Milchsäurebakterien erfolgte, war ein starker Magen durchaus nicht die schlechteste Eigenschaft, wenn man hier einkehrte – etwas, das sich von „gewöhnlichen“ Sternerestaurants nicht unbedingt behaupten ließe und die meisten Gäste wohl auch verstören würde. Doch nicht nur tragfähige und zukunftsorientierte Nachhaltigkeit, sondern auch angemessene Bezahlung der Mitarbeiter in einer Branche, die immer noch allzu oft von Unterfinanzierung zehren muss, waren Felix Schneider schon immer ein Anliegen. Kein Wunder, dass er bislang ein Team von festen Mitarbeitern um sich scharen konnte, die ihm bis heute treu zur Seite stehen und seinen Weg begleiten – eine Seltenheit in der schnelllebigen Gastrobranche, wo Servicekräfte regelmäßig in großer Fluktuation kommen und gehen. Nicht nur die Aussicht auf ein angemessenes Gehalt, sondern auch die konsequente Verfolgung und Umsetzung der eigenen Ideen scheint sein Gefolge zusammenzuschweißen, so radikal das Konzept auch sein mag. Wahrscheinlich gab es bis dato kein Lokal in Deutschland, das so nahe an die Nova-Regio-Bewegung herangerückt war.

Beseelt von dem Wunsch nach Selbständigkeit, erwies sich die Pandemie offenbar als der ideale Zeitpunkt für Felix Schneider, nochmals alles auf den Prüfstand zu stellen und dem vermutlich in wirtschaftliche Schieflage geratenen (und bis heute geschlossenen) Sosein den Rücken zu kehren. Zwei Michelin-Sterne hatte das Lokal zuletzt sein Eigen genannt, doch die Aussicht auf mehr Aufmerksamkeit in einer nahen Metropole und noch stärkere Gestaltung der eigenen Vorstellungen lockten Felix Schneider – „Koch des Jahres“ 2020 im FEINSCHMECKER – in den Norden der Nürnberger Altstadt, wo er im August dieses Jahres das etz (fränkisch für „jetzt“) eröffnete. Das als Pop-Up konzipierte Lokal in einer ehemaligen Apotheke wird allerdings im Frühjahr schon wieder geschlossen werden, denn dann steht der endgültige Umzug in neue Räumlichkeiten westlich der Altstadt an. Wer sich also durch diese Rezension inspiriert sieht, sollte sich mit seinem Besuch beeilen, wenn er das derzeitige Etablissement, das überaus vorzeigbar ist, noch kennenlernen möchte.

Im Wesentlichen ist das Lokal in zwei Bereiche gegliedert: ein hinterer Teil, einem loungeartigen Séparée nicht unähnlich, wo vor allem größere Gruppen auch auf mehreren Ebenen bequem Platz finden und dem vorderen, geräumigen Teil mit weiteren kleinen Tischen und der offenen, einsehbaren Küche. Als Einzelgast habe ich offenbar besonderes Glück und bekomme den Platz direkt an der Theke, quasi den „Chef’s Table“. Von meinem kreisrunden, mit einer grauen Decke eingedeckten Tisch bekomme ich in der Tat vieles von den Abläufen in der Küche mit und werde auch immer wieder mal von einem der Mitarbeiter in der Küche in ein Gespräch verwickelt. Zur Klarstellung sei hier verdeutlicht, dass mit Ausnahme des Küchenchefs alle anderen Mitarbeiter praktisch gleichzeitig als Kellner und Hilfsköche agieren – das sieht man hierzulande nicht oft.

Auch über die fix vorgegebene Speisekarte, die zudem schon bei der Reservierung mit € 210 (Wasser und Kaffee inklusive) im Voraus bezahlt werden muss, lohnt es sich ein paar Worte zu verlieren. Sie besteht je nach Saison aus zwölf bis sechzehn Gängen, wobei tradierte Begriffe wie „Amuse“ oder „Hauptgang“ angesichts der Tatsache, dass viele Portionen nahezu gleich groß sind, nur relativen Wert besitzen. Da das Angebot stark saisonal und vom Wetter abhängig ist, sind drei verschiedene Speisekarten innerhalb weniger Tage hier durchaus mal denkbar. Vereinfacht gesagt hat das Team um Felix Schneider zwar den Jahreslauf in sieben Abschnitte eingeteilt, die den Inhalt der Menüfolgen maßgeblich bestimmen; dennoch ist die starke Ausrichtung auf die aktuelle Marktlage ein Grund dafür, weshalb Flexibilität und profundes Wissen rund um die eingesetzten Produkte hier eine große Rolle spielen – von deren Wertschätzung ganz zu schweigen. Erfahrene Nürnberger Gourmets werden hier sicherlich bemerken, dass das nur unweit entfernte Essigbrätlein diesbezüglich einer vergleichbaren Ästhetik folgt. Kein Wunder, dass sowohl das Sosein als auch das Essigbrätlein schon mit dem grünen Stern des Guide Michelin für Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurden.

Typischer könnte ein Gang zu Beginn hier auch kaum sein: „EIN BLATT SPINAT: Blatt und Stiel, Cassis Strauch“ vereint auf engstem Raum neben den annoncierten Produkten des weiteren Nelke, Tropea-Zwiebel und Sauerkirsche. Abgerundet wird dieser Einsteiger mit einer Vinaigrette von Spinat, die recht herb gerät. Tatsächlich wird das Gericht von einer erdig anmutenden Pilzaromatik dominiert – das ist wohl kaum der Höhepunkt des Menüs, aber ein unverwechselbarer und ansprechender Einfall, der schon einmal auf sehr durchdachte Weise andeutet, was den Gast an diesem Abend so erwarten wird. Ein hausgemachter Aperitif aus unreifen Äpfeln, Quitte und Rosenblättern verleiht einen zusätzlichen Säurekick.

Weiter geht es mit „DAS BESTE DES SONNTAGSBRATENS – Endivie, Himbeermostessig, Hasenpfeffer“. Der optisch dominante Hauptdarsteller wird mit Himbeerpulver bestäubt und zusätzlich mit dem Essig mariniert, während eine sehr dichte, gebundene Wildjus einen denkbar scharfen Kontrast dazu eingeht. Ähnlich wie im nahegelegenen Essigbrätlein geht es hier immer wieder um die Veredelung vermeintlich simpler Viktualien. Während man bei der Konkurrenz diesen Endivienstrunk jedoch eher mit dem Saft des Gewächses selbst begleitet, setzt man hier auf einen knalligen Kontrast, der auf stimmige Weise vegetabile, säuerliche und erdige Aromen miteinander verquickt. Fraglos kühn, aber für meine Begriffe gelungen!

Mit „GEFLÄMMTER WALLER – milchsauer fermentierte Rocot-Chili und Radieschen“ zeigt die Küche ein weiteres Mal auf, dass sie keine falsche Scheu an den Tag legt und den Gast durchaus fordert: der nach der IkeJime-Methode paralysierte Waller wurde zuerst in Salzlake eingelegt, dann geräuchert, in äußerst herzhafter Misopaste mariniert und schließlich geflämmt. Die direkte und kraftvolle Schärfe des Hauptdarstellers wird durch diejenige des Chili abermals potenziert, während das Radieschentatar nur leicht abschwächende Wirkung hat. Ein derart mutiges, kraftvolles und kompromissloses Gericht ist mir schon länger nicht mehr untergekommen. Es dürfte schwerlich nach jedermanns Gusto sein, aber die verwegene Direktheit, mit der hier teils zu Werke gegangen wird, ist sehr bemerkenswert. Mir hat es jedenfalls sehr gut zugesagt.

Ein Klassiker, den Felix Schneider glücklicherweise aus Heroldsberger Zeiten im Sosein bewahrt hat, ist seine „SCHLACHTSCHÜSSEL – Kartoffel, milchsaure Blaukraut-Beurre-Blanc mit Schweineleber“. Bereitwillig erteilt man mir Auskünfte über dieses ikonische Gericht: die Basis aus Rotkohlsud wurde fermentiert und mit kalter Butter gebunden. Darauf thront eine sogenannte Quarta-Kartoffel, deren Name allerdings keine eigene Sorte darstellt, sondern eher eine Anbaumethode beschreibt. Sie stammt in diesem Fall aus Kalchreuth am Rande der Fränkischen Schweiz, wo aufgrund besonders sandiger Böden keine zusätzliche Wässerung durchgeführt wird, sondern nur natürliche Niederschläge das Wachstum bestimmen. Direkt vor Ort geschält, frisch gekocht und sofort auf den Teller gebracht, wird darüber schließlich neun Monate lang eingelegte, gesalzene und geräucherte Schweineleber von unbeschreiblicher aromatischer Dichte darüber gerieben. Die Vermeidung der für dieses Gericht sonst so typischen Fleischberge führte in diesem Fall zu einem bis ins Detail durchdachten und geschmacklich derart genau ausgeloteten Teller, dass man schlichtweg von einer Eingebung von unvergesslicher Wirkung reden muss. Grandios!

Dass die Fermentation auch bei kalten Viktualien funktioniert, beweist die „BROTZEIT – Sauerteigbrot, doppelt fermentierte Butter, Mangalica Charcuterie und Pickles“. Höhepunkte der Darbietung sind die hausgemachte Butter und die Variationen von Schinken: die Reife und geschmackliche Tiefe der fleischlichen Produkte suchen ihresgleichen. Faszinierend gut!

Ein relativ anstrengendes und in all seinen Facetten nicht leicht zu entwirrendes Gericht ist „WINTERLAGER – schwarzer Rettich roh, eingelegt und sehr langsam in Butter gegart, Wallerschmalz, Buttermilch“. Der confierte, in Wallerbutter eingelegte Rettich ganz unten wird belegt mit rohen Rettichröllchen, einer nicht näher definierbaren Crème mit Krustentieraroma, dünn geraspeltem Rettich und umspielt von einer Buttermilch-Vinaigrette mit Schnittlauch. Das die volle Aufmerksamkeit beanspruchende Gericht zeigt die Wandelbarkeit des Rettichs überzeugend auf und überrascht mit einer geschmacklichen Vielfalt, die auch diesen Gang zu einem Highlight werden lässt – nicht zuletzt, weil die diversen Konsistenzen sowie die verschieden intensiven Einzelkomponenten sehr viel hermachen und dem vermeintlich langweiligen Winterprodukt ungeahnte Facetten abringen.

Mit der Beschreibung „SASHIMI UND NIGIRI – Seeforelle roh, fermentierter junger Ingwer, Meerrettich und Goldlein, Seeforelle geflämmt mit Spirulina-Miso und Weißkohl“ ist der nächste Gang fast schon ausreichend erläutert. Der grün gefärbte Meerrettich (kein Wasabi!), die Goldleinsaat und etwas Ingwer begleiten die wirklich exzellenten, buttrigen Stücken von Fisch angemessen dezent. Doch wäre man hier nicht im etz, wenn das Nigiri rechts unten auf Reis thronen würde, den es in Franken nun einmal nicht gibt. Stattdessen bettet die Küche den Fisch auf Weißkohl und beizt das Nigiri in Miso, was zu einer wohldosierten Schärfe führt. Getoppt wird das Ganze schließlich mit hervorragendem Kaviar aus Mittelfranken von Sebastian Salomon. Wir brauchen nicht um den heißen Brei herumreden: die Rechtfertigung der fränkischen Interpretation dieses japanischen Tellers gelingt der Küche ganz ausgezeichnet. Sensationell gut!

In drei Teile wird „LETZTE ERNTE – Kohlrabi, Flower Sprout und Grünkohl in verschiedenen Texturen“ zerlegt: zum einen ein geschäumtes Schwarzkohlsüppchen von ungeahnter Intensität. Das Kohlrabiröllchen mit Quittenzesten, Apfel, Koriander und Sauerklee ist dagegen ein grenzwertig radikales Experiment von ausgesprochen herber Aromatik, während der dritte Teil wieder etwas gefälliger wirkt. Dabei wird Grünkohl frittiert, geschmort oder roh mariniert – je nachdem, um welchen Teil des Kohls es sich handelt. Das Gericht ist so drapiert, dass es auf einer großartigen Essenz von Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch ruht und so von unten nach oben aufgeschichtet ist, dass die unteren Teile den innersten Bereich des Kohls darstellen (roh mariniert), die mittleren Teile sich nach außen „vorarbeiten“ (geschmort) und die obersten Teile die frittierten Blätter darstellen. Meinem Gefühl nach kann man aus diesem anstrengend zu verzehrenden Gang mit etwas mehr Feintuning vielleicht in Zukunft noch mehr machen, aber seinen Idealen ist das etz natürlich auch diesmal wieder treu geblieben.

Zum Hauptgang – falls ein solches Etikett hier überhaupt Sinn macht – tischt die Küche „WILD UND REIF – Wildente, Sonnenblumenkernmiso, Traubenkirschblüten-Salz und Waldmeister, Blaubeerkraut“ auf. Die tagelang abgehangene und mit Waldmeister gewürzte Ente strotzt vor mineralischer und kraftvoller Aromatik, doch zurückhaltend sind die Begleiter keineswegs: speziell die (laut Service auf dieselbe Weise wie Sauerkraut) eingemachten Blaubeeren verstecken sich keineswegs. Die geschmackliche Abrundung mit den ungewöhnlichen Gewürzen macht aus diesem Gang einen sehr direkten und markanten Beitrag mit Langzeitwirkung am Gaumen.

„ERINNERUNG AN EINE KOKOS-MAKRONE – Feigenblatteis und Topinambur roh und geröstet“ entpuppt sich zum ersten Dessert als Trompe-l’œil (Täuschung) vom Feinsten. Da der Kokosnuss das fränkische Klima leider nicht behagt, gelangt sie hier auch nicht auf den Teller. Stattdessen behilft man sich hier mit rohem Topinambur als Kokosfleischersatz und frittiert dasselbe Produkt, um die Raspel obenauf zu imitieren. Das ist allerdings weit mehr als eine zweckfreie Spielerei, denn mindestens die Hälfte der Gäste würde diese Variante vermutlich nicht durchschauen, wenn sie nicht eingeweiht wären! So täuschend ähnlich schmeckt dieser Ausklang, der zudem mit dem leicht rahmigen und keineswegs zu süßen Eis überzeugend veredelt wird. Dank seines makellosen Handwerks ist dies ein augenzwinkerndes Dessert ersten Ranges!

Unschuldig fragt die Küche auch beim finalen Dessert nach „SCHOKOLADE? – Soufflé, Eis, Ganache“. Da Kakao im nur ungenügend tropischen Franken nicht gedeiht, greift die Küche auch hier zu einem Kniff. Alle drei Varianten – die Ganache ist auf dem Foto leider ziemlich versteckt – sind nämlich aus Getreide gemacht und erzielen dank ihrer ausgezeichneten handwerklichen Herstellung (das gilt insbesondere für das in diesem Etablissement geradezu altmodisch anmutende Soufflé) eine geschmackliche Wirkung, die dem Originalprodukt verblüffend nahekommt und ganz nebenbei jede Menge CO2 einspart. Nicht zuletzt dank des Preiselbeerstaubs überwiegt der Eindruck einer geschmacklich überzeugend umgesetzten Idee.

Den abermals auf Täuschung bedachten Ausklang bildet eine Crème brûlée, die aus Chicoreewurzel (als Muckefuck-Ersatz) extrahiert wurde und überraschend intensiv schmeckt. Immer wieder erstaunlich, was mit dem notwendigen Wissen und den entsprechenden Techniken für Ergebnisse zu erzielen sind!

Am Ende dieses ungewöhnlich erhellenden Abends muss ich die Flut an neuen Erkenntnissen tatsächlich erst einmal kanalisieren und einordnen. Jedenfalls wirkt das etz Im Vergleich zum Sosein noch um einiges reifer: insgesamt wirkten die Gerichte etwas eleganter und noch vielseitiger als zuvor. Die noch abwechslungsreichere Verarbeitung der Produkte und deren teils filigrane Präsentation stellten nochmals eine klare Steigerung gegenüber früheren Zeiten dar. Von der Umstellung auf den Kojipilz bei der Fermentation profitierten nicht wenige Gerichte in noch stärkerem Maße als man das schon zuvor gewohnt war. Die Reife und die geschmackliche Tiefe so mancher eingelegten Produkte waren in der Tat bemerkenswert, doch all dies ging niemals zu Lasten des einmal eingeschlagenen Weges. Es wäre ja auch schade gewesen, wenn die Schlachtschlüssel – fraglos das „Signature Dish“ des Sosein schlechthin – gefehlt hätte. Mit anderen Worten: Erkenntnisgewinn durch Experimente führt zwangsläufig dazu, dass Gelungenes beibehalten und weniger Überzeugendes verworfen wird. Dieser Prozess ist hier in stetigem Fluss und verleiht diesem Lokal damit etwas Unberechenbares, aber zugleich auch Spannendes.

Mag sein, dass weniger aufgeschlossene Gäste diesem Konzept tatsächlich nichts abgewinnen werden. Es ist wahr, dass es das etz seinen Gästen nicht immer leichtmacht, doch das will es auch nicht unbedingt. Das Aufzeigen von Wegen in eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft kann nicht ohne kontroverse Aspekte auskommen, die den Gast auch mal aus seiner Komfortzone locken und ihn zum Nachdenken anregen. Auch unter finanziellen Aspekten geht das etz voran und bezahlt nicht nur seine Angestellten, sondern auch seine Produzenten und Lieferanten mit beispielhafter Angemessenheit. Dass diese Kosten letztlich der Gast tragen muss, versteht sich von selbst, doch Lebensmittel sind hierzulande ohnehin schon preiswerter als in nahezu allen anderen westlichen europäischen Ländern. Erstaunlicherweise wurden übrigens die Preise für die Getränkebegleitung gegenüber früheren Zeiten gesenkt, was sicherlich zur weiteren Attraktivität beitragen dürfte.

Das Konzept der völlig offenen Küche ist hierzulande auch noch nicht so etabliert, doch gerade dies trägt zur lässigen und entspannten Atmosphäre bei. Die recht laute Musik scheint sich animierend auf die Mitarbeiter auszuwirken, die ihrer Arbeit in der Küche hochkonzentriert angehen und absolut mit Elan bei der Sache sind. Die Überzeugung, hier für eine gute Sache einzustehen und zu arbeiten, merkt man den (übrigens allesamt männlichen) Mitarbeitern jederzeit und glaubhaft an. Trotz Corona-Vorgaben legt das Team eine Punktlandung hin und beendet die Arbeit wie vorgegeben um 22 Uhr – und das, obwohl die Öffnung des Lokals nur um 15 Minuten auf 18.00 Uhr vorgezogen wurde.

Fordernd ist ein Besuch hier definitiv, denn sowohl das unverhohlen kühne Vorsetzen extrem scharfer Speisen als auch das verblüffende Spiel mit fehlgeleiteten optischen Erwartungen beim Dessert dürften nicht nach dem Gusto sämtlicher Gourmets sein. Ich denke, dass diese ausführliche Reportage samt Bildern einen guten Eindruck von dem vermittelt, was einen hier so erwartet. Felix Schneider steht vorbehaltslos für seine Überzeugungen ein und hat hier seine persönliche Vision einer nachhaltigeren und besseren Ernährung in die Tat umgesetzt. Das Schöne daran: dieser Weg ist noch längst nicht zu Ende und wird sicherlich spätestens mit dem Bezug des neuen Lokals im Herbst 2022 fortgesetzt werden. Bis dahin vergebe ich die dritthöchste Note, verbunden mit der Aussicht, dass Felix Schneider seine Ästhetik auch in Zukunft noch um einiges optimieren kann, will und auch wird. Einen Michelin-Stern wird er sicherlich sofort wiederbekommen, wenn nicht gar beide.

Fazit: eine Pflichtadresse für aufgeschlossene Gäste, die auch für Provokationen zu haben sind und sich schon heute ein Bild von morgiger Ernährung machen wollen.

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

etz
Bindergasse 22
90403 Nürnberg
Tel.: 0911/47712809
www.etzrestaurant.de

Guide Michelin 2021: –
Gault&Millau 2021: –
GUSTO 2022: –
FEINSCHMECKER 2021: –

12- bis 16-gängiges Menü: € 210 (inkl. Wasser und Kaffee)