Letztes Jahr ging im Herbst die Meldung durch die Gastro-Medien, dass sich Harald Wohlfahrt „kurz- bis mittelfristig“ aus der Schwarzwaldstube zurückziehen würde. Nun hieß es vor einigen Tagen, dass dieser Schritt – für viele wohl überraschend – bereits im Juni erfolgen würde. Dies war mir natürlich genug Anlass, das Lokal in Baiersbronn-Tonbach nochmals aufzusuchen, bevor dort endgültig eine neue Ära eingeleitet wird. Meine Rezension (siehe Rubrik Restaurant-Kritiken) gerät denn auch zu einer halben Hommage.
Wer ist Harald Wohlfahrt? Unter Gourmets bedarf dieser Mann wohl keiner großen Vorstellung mehr: Chefkoch der Schwarzwaldstube, des wohl bekanntesten Gourmet-Restaurants von ganz Deutschland und gleichzeitig auch der bekannteste Spitzenkoch Deutschlands (nein, die möglicherweise noch berühmteren Herren Lafer, Klink und Schuhbeck gehören nicht zu dieser Liga … ). Dort behauptet er seit 1992 durchgängig die drei Michelin-Sterne und damit die höchsten Weihen, die ein Koch überhaupt erlangen kann – fast schon überflüssig zu erwähnen, dass dies in Deutschland ein einsamer Rekord ist und auch weltweit von nur wenigen Chefs in ihrem Land getoppt werden kann (neuer Rekordhalter in Deutschland wird dann übrigens Helmut Thieltges, der in seinem Waldhotel Sonnora in der Eifel seit 1999 mit drei Sternen dekoriert ist).
Fünf der übrigen neun Drei-Sterne-Köche In Deutschland standen schon bei ihm am Herd, und weitere potentielle Kandidaten für den dritten Stern gibt es immer noch einige (Dirk Hoberg oder Tristan Brandt beispielsweise). Kaum einer hat so viele angehende Spitzenköche unter seine Fittiche genommen und vorangebracht – auch in dieser Hinsicht kann es lediglich der legendäre Dieter Müller mit ihm aufnehmen. Noch Fragen?
Exemplarisch waren dies nur einige wenige der Meriten von Harald Wohlfahrt – des Mannes, der die französische Hochküche wie kaum ein anderer (Eckart Witzigmann und Heinz Winkler seien in diesem Zusammenhang noch erwähnt) in Deutschland salonfähig machte – und das zu einer Zeit, da man echte Spitzenrestaurants in der Bundesrepublik fast noch an zwei Händen abzählen konnte. Außerdem verriet er nie seine Ideale, nur um sich in lächerlichen Kochshows ein Zubrot zu verdienen – was hätte es ihn auch gereizt, einem Publikum zu erklären, was ein Chicorée ist? Dies überließ er gerne anderen, die ihr Restaurant meist dadurch vernachlässigten (und folglich Abwertungen hinnehmen mussten), und widmete sich stattdessen seinem Anspruch, Gourmets aus allen Winkeln der Welt anzulocken. Wer auch nur einmal in seinem Lokal zu Gast war, hatte gute Chancen, beispielsweise Gäste aus Fernost anzutreffen.
Nun tritt der inzwischen 61-jährige Großmeister der Haute Cuisine ab. Sicherlich ist dies ein Schritt, der nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Gourmets ein wehleidiges Seufzen entlocken wird. Sichtbare Verschleisserscheinungen zeigte der Chef noch keine, und doch ist sein Schritt allzu nachvollziehbar. Die Verteidigung der drei Michelin-Sterne erfordert tagtäglich ein Höchstmaß an Konzentration, Präzision, Energie und Leidenschaft – dass dies an niemandem spurlos vorbeigehen kann, ist offensichtlich. Außerdem war Wohlfahrt natürlich klug genug, seinen 39-jährigen Souschef Torsten Michel früh genug auf diesen Schritt vorzubereiten und ihm damit den Verbleib schmackhaft zu machen. Nach über einem Jahrzehnt der Vorbereitung ist nun der Moment gekommen, der eine ganze Ära abschließt und gleichzeitig eine neue einleiten soll. Wohlfahrt hält sich bedeckt, wenn es um seine Zukunftspläne geht, doch Ideen gibt es laut eigener Aussage noch etliche. Außerdem wolle er dem Haus, dem er vier Jahrzehnte seines Lebens widmete, selbstverständlich verbunden bleiben.
Den Zeitpunkt für einen solchen Schritt richtig zu wählen, ist außerdem gar nicht so einfach. Bei Heinz Winkler beispielsweise, der heuer 68 Jahre alt wird, gehen die jüngsten Bewertungen der Guides schleichend nach unten – was die Frage aufwirft, ob der richtige Moment, abzutreten, verpasst wurde. Natürlich ist da draußen sicherlich niemand, der Wohlfahrt den verdienten Ruhestand nicht gönnen würde, zumal er damit wohl kaum sofort in der Versenkung verschwindet, sondern weiterhin die Szene aufmerksam verfolgen wird. Was die Zukunft bringt, wissen wir jeoch nicht.
Nach dieser Laudatio bleibt eigentlich nur noch, zwei guten Wünschen Ausdruck zu verleihen: erstens, dass es Torsten Michel gelingt, in die übergroßen Fußstapfen seines Vorgängers zu treten, ein würdiger Nachfolger zu werden und das Niveau des Lokals zu halten. Dies ist sicherlich eine undankbare und vertrackte Aufgabe, doch wenigstens bleiben die übrigen Flaggschiffe dem Haus erhalten: Patron Heiner Finkbeiner, Sommelier Stéphane Gass, Maitre David Breuer und Patissier Pierre Lingelser werden weiterhin ein Dream-Team bilden. Zweitens spreche ich sicherlich vielen tausend Gourmets aus allen Winkeln der Welt aus der Seele, wenn ich zu der Erkenntnis komme, dass die Lebensleistung dieses Mannes unser aller Anerkennung verdient und wir nur demütig für zahllose Genusserlebnisse danken können.