Sosein*, Heroldsberg

Anmerkung: das Restaurant ist inzwischen geschlossen. Chefkoch Felix Schneider kocht inzwischen im Nürnberger etz mit einer ähnlichen, aber noch stärker verfeinerten Stilistik groß auf.

Juni 2017

Es ist schon eine Kunst, ein Restaurant neu zu eröffnen und binnen zwei Jahre in aller Munde zu sein. Felix Schneider, ausgebildet bei Thomas Kellermann in dessen Restaurant Kastell im gut eine Stunde entfernten Wernberg-Köblitz in der Oberpfalz, eröffnete gut 15 Kilometer nördlich von Nürnberg in Heroldsberg ein Lokal, das in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen fällt. So richtig konnte sich die Neue Nordische Küche, die zur Zeit so en vogue ist, nie durchsetzen in Deutschland, aber hier kommt man ihren Prinzipien ziemlich nahe. Soll heißen: mit dem Küchenstil seines Lehrmeisters hat Schneider offensichtlich gebrochen und seinen eigenen Kopf durchgesetzt. Der Besuchserfolg gibt ihm zumindest insofern recht, als keineswegs immer ein Platz so ohne weiteres zu ergattern ist. Dass nach dem Besuch so mancher Gast aber nicht immer Begeisterung verspürt, ist ebenfalls gut vorstellbar – mehr zu den Gründen weiter unten.

In einem Gasthof aus dem 16. Jahrhundert wird hier eine Küche präsentiert, die einerseits absolut zeitgemäß ist, andererseits aber durchaus aneckt. Das rustikale Fachwerkambiente passt zu manchen Speisen ganz ausgezeichnet, da die Küche durchaus auf konventionelle (um nicht zu sagen in Vergessenheit geratene) Tugenden zurückgreift, aber gleichzeitig ausgetretene Pfade vermeidet und große Experimentierlust an den Tag legt. Das auf alle Gäste synchron abgestimmte Menü verringert jedenfalls den hohen Arbeitsaufwand und ermöglicht dem aufmerksam agierenden Service, längere Erklärungen nicht unnötig oft wiederholen zu müssen. Außerdem wird ständig kostenlos Wasser nachgeschenkt – ein weiterer, nicht zu unterschätzender Bonus. Als Aperitif genehmige ich mir einen Prisecco von Jörg Geiger, dessen Credo vortrefflich zu diesem Haus passt.

Dem eigentlichen siebengängigen Menü (Auswahl gibt es keine) geht ein Prolog in fünf Teilen voraus, der eine Art Visitenkarte des Küchenstils und der Philosophie des Hauses sein soll. Der Reigen bestand aus einer Art hausgemachtem „Mini-Döner“ mit marinierten Kräutern, Eiszapfen (Rettich) und Lachs, grünem Spargel aus Schweinfurt, Aal und Rosenblätter sowie eine Wild-Consommé mit Pilzen aus der Region. Was schlicht klingt, ist sehr häufig durch bestimmte Kniffs, die vom Service ausführlich erläutert werden, veredelt. So werden beispielsweise die verarbeiteten Tiere hier teils komplett und lebend angeliefert, um schonende Verfahren anwenden zu können. Die Zusammenarbeit mit Züchtern, Biologen und Pilzsammlern ist ein weiterer Beleg für die Philosophie, das was die Natur zur Verfügung stellt, zu achten und ins bestmögliche Licht zu rücken – mit unterschiedlichem Erfolg allerdings, wie sich später noch zeigen wird.

Ein Höhepunkt ist das hausgemachte Brot, das noch wie im 17. Jahrhundert hergestellt wird: unter Weglassung aller Komponenten (Hefe statt Milchsäurebakterien), die Schimmel ansetzen können, wird ein Sauerteig gemacht, der in kaltem Zustand fünf Tage aufgehen darf. Nach dem Backen entsteht eine ziemlich harte Brotkrume, die allerdings vortrefflich schmeckt. Auch die Butter verzichtet auf rasch verderbliche Zutaten und schmeckt trotz ihres Alters von 15 Wochen leicht nach Käse, aber ansonsten ganz ausgezeichnet.

Die allenthalben empfohlene Saftbegleitung mit hausgemachten Erzeugnissen gönne ich mir zum Menü, das mit Salatstrünken und Gartenkräutern beginnt. Frei nach dem Prinzip, dass eine Zutat sich auch selbst würzen kann, wird aus dem Saft der Strünke ein Sud aufgegossen, der eine optisch schöne Anrichte von Kräutern allerlei Art zusammenhält. Dazu gibt es eine erfrischende, mit Sauerampfer aromatisierte Molke, die quasi ein Abfallprodukt der Butter ist. Bereits hier wird deutlich, dass in diesem Lokal möglichst wenig weggeworfen werden soll. Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass der Genuss dieses bissfesten Gerichts einigermaßen anstrengend ist.

Lachs „blau“ und Zwiebel rückt den Fisch voll und ganz in den Mittelpunkt. Nach detaillierter Ausführung durch den Service erfährt man, weshalb der Fisch gar nicht blau wirkt und dass die Produktion des Fischs quasi ebenfalls im Haus erfolgt, da die Fische im Teich hinterm Haus gehegt und gepflegt werden. Ein paar Zwiebelringe sorgen für etwas Biss in diesem gut gelungenen Gericht. Äußerst gewöhnungsbedürfitg (um es positiv auszudrücken) ist hingegen der leicht mit Kohlensäure versetzte Saft aus Petersilie.

Weißer Spargel kommt in vierfacher Form auf den Teller: drei kurze Stangen Spargel (eine roh, ein kurz geflämmt und eine klassisch gekocht) ruhen auf einer falschen Sauce Hollandaise: diese besteht aus Eigelb und dem Saft der Spargelspitze. Die Sauce bekommt dadurch einen ungewohnt süßlichen Geschmack, der nicht unbedingt gewinnbringend ist. Ein sehr experimenteller Gang mit wenig Substanz. Wesentlich intensiver ist da der hausgemachte Quittensaft dazu.

Stör, Navette (alt/neu) und Backenschinken stellt die Rübe stärker in den Vordergrund als den langsam und bei Niedrigtemeperatur gegarten Stör. Konsistenz und Geschmack des Fischs sind vorzüglich, und doch gilt die Hauptaufmerksamkeit der Rübe, die in verschiedenen Texturen und Konsistenzen das Gericht dominiert. Auch hier würzt das Gemüse sich quasi wieder selbst, während der Backenschinken den Fisch dezent ummantelt. Eine mit Salatgurke aromatisierte Buttermlich ist ein interessanter Begleiter dazu.

Das Hauptgericht Wollschwein, Salatherz und Schlachtsoße gerät zu einem der puristischsten Teller des Abends: einer ausgezeichnet zubereiteten Scheibe vom Wollschwein wird nur ein Salatherz und etwas Soße, die mit dem Saft des Fleisches sowie Leber und Blut des Tiers gebunden wurde, beigegeben. Was schlicht klingt, ist in der Zubereitung des Fleisches (wie der Service versichert) keineswegs einfach und schmeckt ausgezeichnet. Der Saft von grünem Salat (mit Tomate, Gurke und Salat) ist sehr säuerlich und mir fast zu penetrant für das Gericht.

Grüne Sonnenblume, Bohnenkraut und Feldsalat ist ein ungewöhnliches Dessert, dessen hauptsächlicher Clou in der Verwendung der Sonnenblume besteht. Der Kerne wurden zu einer Art Brei verarbeitet und anschließend in eine alkalische Flüssigkeit gelegt. Die Masse bekommt dadurch einen Geschmack, der an Nougat erinnert und eine Dominanz, in der die ohnehin sparsam eingesetzten Begleiter zu Statisten verkommen. Dazu reicht man einen Tee auf Basis von Salbei und Minze, aber natürlich wieder veredelt mit diversen Kräutern.

Das zweite Dessert schließlich, unreife Streuobstwiese genannt, präsentiert eine süßlich aromatiserte weiße Sauce, auf der sich ein bildschönes Potpourri unreifer Früchte befindet. Die dadurch weniger süßen und insgesamt festfleischigeren Obstsorten harmonieren prächtig mit der Crème, was sich auch von dem gereichten Quittentee behaupten lässt.

Zum Ausklang besinnt man sich wie schon beim Brot auf Tradition, fernab von industrialisierten Methoden und künstlichen Aromen: ein schön fruchtiger Guglhupf mit etwas Eierlikör (ja, so konservierte man früher übrig gebliebene Eier!) bildet den Abschluss eines Menüs mit einigen Höhen und wenigen Tiefen.

Regionalität, Saisonalität und Ursprünglichkeit sind Markenzeichen dieser vielleicht spannendensten Neueröffnung der jüngeren Vergangenheit. Die extremen Auswüchse der nordischen Küche (Mosse, Flechten, Baumrinden und Ameisen) werden hier vermieden, aber eine klare Hinwendung zur Natur und zum Sammeln dessen, was sie anbietet, ist hier zweifellos festzustellen. Die Leistung des jungen Teams ist auch insofern hervorzuheben, da gerade einmal derzeit fünf Mitarbeiter (ab Juli sollen es sieben sein) den gesamten Laden am Laufen halten. Vor dem Hintergrund des enormen Aufwands und eines Lokals, das sich von selbst tragen muss, ist dies eine mehr als bemerkenswerte Leistung.

Sommelier Dominik Altenkamp offeriert eine Weinbegleitung, die bei den anderen Gästen sehr gut ankommt, und eine alkohlfreie Saftbegleitung, die über weite Strecken ausgezeichnet gelingt. Der aufmerksame und stets präsente Service, der beim Servieren der Gerichte manchmal von der Küchenbrigade unterstützt wird, überzeugt mit direkter Herzlichkeit und Kompetenz. Lediglich ein leichter Hang zum Einfordern eines wohlwollenden Urteils nach jedem Gericht störte mich ein wenig. Als eine Dame am Nebentisch ein Gericht als (im eher negativen Sinne) „interessant“ empfand, war die Antwort des Kellners, er „wolle das jetzt einfach einmal so stehen lassen“. Außerdem zog sich der Abend dann doch über viereinhalb Stunden hin, was zwangsläufig ein Nachlassen der Aufmerksamkeit des Gastes zur Folge haben muss.

Wem der Sinn nach einem leicht bekömmlichen und konventionellen Menü steht, der sollte besser einen weiten Bogen um dieses Lokal machen. Nicht wenige Gerichte erfordern die volle Aufmerksamkeit des Gastes, und außerdem wird der Magen durchaus auf eine harte Probe gestellt, da der Anteil an Milchsäure über den Abend verteilt recht hoch ist. Die Gerichte werden in rustikaler Direktheit, mit viel Gemüse im Fokus des Interesses, präsentiert und erfordern seitens des Gastes Aufgeschlossenheit und Neugierde. Langweilig oder vorhersehbar war der Besuch hier nie, aber manchmal geht mit der Küche noch der Gaul ein wenig durch: immer dann, wenn eine vermeintlich tolle Idee oder Veredelung zu Lasten des Geschmacks umgesetzt wurde, entstand ein schwächeres Gericht, das wie beim Spargel etwas eindimensional wirkte oder aromatische Tiefe (wie bei der Sonnenblume) vermissen ließ. Gleichwohl ist klar, dass Experimentierlust auch mit Enttäuschungen einhergehen muss und ein so junger Koch natürlich noch nicht in der vollen Blüte seiner Kochkunst stehen kann. Insofern darf man die weitere Entwicklung des Chefs gespannt verfolgen. Der rege Besuch des Lokals scheint ihm im Großen und Ganzen jedenfalls recht zu geben, auch wenn mancher Gast sich eher nicht mit all den Gepflogenheiten dieses Lokals oder den wenig eleganten und sehr direkten Inszenierungen auf dem Teller anfreunden mag. Trotz allem haben der wohlverdiente Michelin-Stern und die derzeit 17 Punkte im Gault&Millau natürlich ihren Anteil daran, so viele Gäste in die fränkische Provinz zu spülen.

Größter Wermutstropfen des Abends war dann die Rechnung: während Aperitif und Menüpreis (sowie Wasser kostenlos) sich in absolut angemessenem Rahmen verhielten, schlug die siebengängige Saftbegleitung mit sage und schreibe 65 Euro zu Buche! Bei aller Liebe: letztes Jahr kostete mich selbst die achtgängige Saftbegleitung im Drei-Sterne-Restaurant Aqua im Wolfsburger Ritz-Carlton Hotel weniger als hier – und damals waren ebenfalls einige außergewöhnliche Eingebungen wie eine geeiste reduzierte Gazpacho zum Trinken und nicht nur fertig abgefüllte Säfte dabei. Hausgemacht hin oder her – dass die Saftbegleitung derart aufs Portemonnaie schlagen würde, hat mich dann doch nachhaltig verärgert, zumal die eingeschenkten Mengen überschaubar waren. Beim nächsten Mal werde ich mit Sicherheit darauf verzichten, auch wenn das Lob darauf noch so toll ausfallen sollte.