KAI3*, Hörnum

„Kreativität, künstlerische Arbeit und Kultur gehören zu den wesentlichsten Elementen einer lebendigen Gesellschaft.“ (Roman Herzog)

Februar 2023

Dank eines Konzertengagements in Niebüll während der Faschingsferien fieberte ich schon ungeduldig der Gelegenheit entgegen, endlich mal wieder den besten Restaurants auf Sylt einen Besuch abstatten zu können – und dann das: sowohl der Söl’ring Hof als auch das Bodendorf’s im Landhaus Stricker und das Restaurant Jörg Müller hatten während meines Besuches wahlweise wegen Umbaumaßnahmen oder Betriebsferien geschlossen. Das gab mir zumindest die Gelegenheit, guten Gewissens in Keitum, dem mutmaßlich schönsten Dorf der Insel, stattdessen bei Johannes King in seinem Genuss-Shop vorbeizuschauen und mich dort in einem bistro-artigen Ambiente davon zu überzeugen, dass der ehemalige Chef des Söl’ring Hof gerade in Sachen Qualitätsbewusstsein nach wie vor nichts verlernt hat, selbst wenn dort natürlich einfacher aufgekocht wird als im Zweisterner in Rantum.

Zum kulinarischen Höhepunkt der Syltreise rückte dadurch ein Lokal auf, das in meiner Gunst bislang nicht so weit oben gestanden hatte, aber nun in die Bresche springen musste. Das KAI3 liegt im mondänen Hotel Budersand unweit der Südspitze der Insel in Hörnum und ist das kulinarische Aushängeschild des Etablissements, das übrigens noch mit weiteren Restaurants aufwartet. Allzu viel wusste ich im Vorfeld unseres Besuchs nicht – lediglich, dass eine Änderung der bisherigen, ziemlich stark auf Gemüse setzenden Stilistik unter Jens Rittmeyer (inzwischen im No. 4 in Buxtehude) zugunsten einer Fusionküche unter dem jungen Chef Felix Gabel stattgefunden hatte, der an diesem Abend übrigens leider nicht im Hause weilte. Erste optische Eindrücke aus dem Internet ließen mich allerdings durchaus zu dem Schluss kommen, dass hier ein experimentierfreudiger junger Mann am Werken ist, der inspiriert von Einflüssen aus anderen Kulturen farbenfrohe und geschmacksintensive Teller voller Esprit kreiert. Gespannt waren wir vor allem, ob der Geschmack mit der ansprechenden Optik würde mithalten können.

So führt man uns nach der Ankunft in einen großen, überwiegend weißen und sorgsam mit Gelb- und Blautönen ausgeleuchteten Raum mit reichlich Holz und bodentiefen Fenstern, die einen Paradeblick auf die Nordsee ermöglichen würden, wenn es eben nicht schon längst Nacht wäre um diese Jahreszeit. Die quadratischen Tische sind recht klassisch mit einem weißen Leintuch eingedeckt und in großzügigem Abstand zu den Nachbartischen gestellt, so dass den ganzen Abend über so etwas wie Privatsphäre erhalten bleiben kann. Zum Beginn bietet man uns neben einem Apéritif (meine Wahl fällt letztlich auf den neuen, mir noch unbekannten alkoholfreien Bitter auf Wacholderbasis von Jörg Geiger) zusätzlich als kostenpflichtige Option – zum Spottpreis von € 5, wie wir später auf der Rechnung erfahren – eine Sylter Royal auf Eis samt Garnitur aus Pumpernickel und Zitrone an. Wir bekennen uns ohne Umschweife zum Lokalkolorit und stellen einmal mehr fest, dass diese regionale Züchtung aus dem Wattenmeer bei List auf Sylt deutlich weniger jodig als etwa eine Gillardeau-Auster schmeckt und mit festfleischiger Konsistenz absolut zu punkten vermag. Zur Wahl steht ein einziges Menü namens Nordic Fusion zu sieben Gängen (€ 198) beziehungsweise eine verkürzte Version aus fünf Gängen (€ 168), auf die unsere Wahl aus Zeitgründen wegen der recht langen Rückreise nach Niebüll fällt. Meistens wird auch noch eine vegetarische Folge zu fünf Gängen namens Kraut und Rüben (€ 138) angeboten, doch vielleicht ließ die saisonale Marktlage dies bei unserem Besuch einfach nicht zu.

Wie dem auch sei – die ersten Apéros können sich so oder so absolut sehen lassen: unser Favorit ist angesichts des exzellenten Handwerks die mit Nüssen ummantelte und mit Bitterschokolade sowie Kirschgel verfeinerte Gänseleberpraline, welche in einer klassischen Kombination praktisch perfekt dosierte Süße mit optimaler Portionierung und großartigen Texturen verbindet. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass der Bread Bun in der Mitte signifikant abfiele, denn die vom Service als „Mini-Pizza“ gebrandmarkte Petitesse versammelt Lachskaviar, Sushireis, Tempura und Mayonnaise von fermentiertem Chili auf dichtestem Raum ohne dabei an Balance einzubüßen. Gerade den salzigen Macaron von roter Bete mit Meringue und Labskaus-Elementen nehmen wir allerdings besonders wohlwollend zur Kenntnis, betont er doch erneut (wie schon die Auster) die Stärken regionaler Produkte und Gerichte, so dass trotz aller anstehenden Fusion-Elemente eine genuin norddeutsche Note immer wieder durchdringt.

Nach diesem unerwartet verheißungsvollen Auftakt geht es mit Takoyaki, einer japanischen Teigkugel, weiter. Getoppt ist sie mit Tofu sowie Wintertrüffel auf einer Käse-Trüffel-Crème und gefüllt mit einer vegetarischen Bolognese. Der intensiv erdige Geschmack, der gerade für norddeutsche Gaumen ein wenig ungewohnt sein mag, verleiht auch diesem letzten, handwerklich untadeligen Apéro einen körperbetonten Geschmack und rundet so eine ziemlich bemerkenswerte Parade an durchdachten und ausdrucksstarken Eingebungen unerwartet gut ab.

Auch beim Amuse bouche lässt sich die Küche nicht lumpen und stellt ein vorzügliches Carpaccio von Garnele in den Mittelpunkt, welches mit Kaviar und Texturen von Mandarine zugleich fruchtig und jodig begleitet wird. Das muss keinen Widerspruch darstellen, zumal auch das säuerlich verfeinerte Krustentieröl und der Schnittlauch ein großes Aromenspektrum abstecken, das wir als sehr harmonisch empfinden. Die durchaus kosmopolitisch anmutenden Kreationen lassen Inspiration und Kühnheit bei der Erforschung wenig ausgetretener Pfade erkennen, zumal alle bisherigen Darbietungen uns trotz ungewöhnlicher Kombinationen voll einschlugen. Allenfalls ein weitgehender Verzicht auf Gemüse war uns bisher aufgefallen, doch auch dies sollte sich im Laufe der Menüfolge noch ändern.

Auch die Brotauswahl präsentiert sich in durchaus ungewohntem Gewand: sie besteht aus dänischem Plunder mit Salzbutter und Fleur de Sel.

Offiziell eröffnet wird das Menü mit der „Makrele der Schweinebucht“: die gebeizte japanische Makrele ist mit Lardo ummantelt und von einem Brotchip abgedeckt, auf welchem ein komplexes Defilée aus Gurke und Fenchel-Ingwer-Salat thront. Obschon die Würze recht präsent ist, verleihen Akzente von Wasabi (am Platz von Hand direkt von der Wurzel auf den Teller gerieben) und der herzhafte Trüffel-Ponzusud dem Gang eine Umami-Wucht, die man ihm rein optisch durchaus nicht ansieht. Der launige und moderne Einfall gerät absolut exzellent, denn neben einer klar erkennbaren geschmacklichen Aussage punktet der Gang auch mit einer deutlichen Erkennbarkeit sämtlicher Komponenten und wirkt doch nie forciert oder überdreht. Notabene: mit der Schweinebucht ist übrigens nicht die vor allem Historikern geläufige Bucht auf Kuba gemeint, wo die US-Amerikaner 1961 in einer militärischen Operation versuchten, das Castro-Regime zu stürzen, sondern die engste Stelle der Bucht am Lister Ellenbogen gemeint, die für ihr hohes Aufkommen an Makrelen bekannt ist.

Spätestens mit dem Auftragen des zweiten Gangs muss man anerkennen, dass Felix Gabel und sein Team ein ausgeprägtes Gespür für Ästhetik und farbenfrohe Optik haben. Die abgebildete Kreation namens „Mittwochs im Hause Gabel“ unten zaubert er aus magerem, mit einem herzhaften Teriyaki-Lack überzogenen Schweinebauch. Umspielt wird der Hauptdarsteller mit einem heiter-ausgelassenen Arrangement an unterschiedlichsten Texturen von Mais, Furikake, Imperial Kaviar, essbaren Blüten und Nori-Algen. Ob jede einzelne dieser Komponenten wirklich etwas beiträgt sei dahingestellt, aber die geschmackliche Abrundung mit der geschäumten Krustentiersauce gelingt einmal mehr vorzüglich. Den Fusion-Charakter erhalten die Teller bisweilen auch durch einen Tausch üblicher Produkte, denn an sich hätte man in diesem Umfeld eher ein Krustentier als einen Schweinebauch erwartet; dennoch bleibt der Fokus erstaunlich stark auf das Hauptprodukt gerichtet, was bei einem Chef Mitte dreißig durchaus nicht immer selbstverständlich ist. Schon weit vor dem Ende des Menüs erkennen wir ein beachtliches Potential für zukünftige Meriten und noch höhere Weihen.

Mit dem nächsten Gang, als „Chicken Parm – KAI3 Style“ getauft, verlässt die Küche nun deutlich die japanischen Gefilde und wendet sich dem Mittelmeer zu: die Leber der Wachtel wird unerwartet – und fast klassisch, möchte man sagen – mit zweierlei Schaum umspielt. Hinter der dunkleren Variante verbirgt sich ein Wachteljus-Schaum, während die hellere Auslegung mit Aromen von Basilikum und Parmesan besticht. Feine Akzente von Tomate und Basilikum bereichern außerdem das Topping des Hauptdarstellers in einer krossen Panade. Unerwartete Würze steuert jedoch erneut ein asiatisches Element, nämlich die chinesische Hoisin-Sauce bei, was nichts daran ändert, dass dies der reduzierteste Beitrag des Abends war und auch im Sinne der Dramaturgie die Intensität rechtzeitig gedrosselt und variabel gehalten wird. Man muss das so deutlich sagen, dass hier bislang kein einziger schwacher Teller auszumachen war und der Abend unsere Erwartungen bisher um einiges übertreffen konnte.

Das Hauptgericht wird in norddeutschem Dialekt kommentiert als „Mach det Mäh mal ei“ und besteht aus orientalisch interpretiertem Lamm. Das tiefrosa gebratene Fleisch wird mit einem Dattellack überzogen, mit einer Gewürzmischung garniert und zur linken Seite schließlich mit einer Salz-Pistaziencrème flankiert. Der mit Aprikosengel getoppte Dumpling ist mit Innereien gefüllt, während die mit Limettenblättern verfeinerte Lammjus trotz aller geschmacklichen Tiefe leicht fruchtige Akzente zu setzen vermag. A part gibt es noch ein Fladenbrot mit Aprikosengel, Feta und Artischockencrème, welches einen absolut stimmigen und handwerklich sicher umgesetzten Bonus darstellt, den wir gerne zur Kenntnis nehmen. Dank des Ideenreichtums und vieler kleiner Facetten, die bei hastigem Verzehr der Aufmerksamkeit des Gastes durchaus entgehen könnten, attestieren wir auch dem Hauptgang einen überzeugenden Charakter.

Der optisch knalligen Linie bleibt die Küche auch beim Pré-Dessert treu, bei dem sich die Küche vielleicht am weitesten aus dem Fenster lehnt. Das dominante und recht herbe Bronzefenchel-Eis in der Mitte wird alles andere als nur süßlich in Form von Pesto, Walnuss, Dill, Orange, zweierlei Schokolade (weiß und Mandelschokolade) sowie karamellisierter Fenchelsaat (!) begleitet. Der zeitgemäßen Forderung nach wenig süßen und mit grünen Elementen versehenen Desserts entspricht die Küche voll und ganz mit diesem launigen Ensemble. Mag sein, dass zwei Komponenten weniger auch ausgereicht hätten, aber am grundsätzlich positiven Eindruck ändert sich nichts. Die Vielzahl an komplexen Aromen wird übrigens durch die separat zu diesem Gang empfohlene Heckenrosen-Limonade mit Zitronenmelisse, Thymian und Begramotte potenziert, so dass mit diesem regelrechten Aromengewitter das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Der vielleicht optisch befriedigendste Gang von allen sollte sich unserer Meinung nach leider als der schwächste Beitrag des Abends herausstellen, zumal die Frage erlaubt sein muss, weshalb Mitte Februar ein so herbstlicher Ausklang ersonnen werden musste: die Kreation namens „Süßes, sonst gibt’s Saures“ spielt natürlich auf Halloween an, zumal Kürbis als Hauptzutat diese Bezugnahme durchaus rechtfertigt. Das Kürbistörtchen unter dem Chip von Pekannuss schmeckt leider nahezu neutral und entfaltet nicht dieselbe aromatische Kraft wie wir sie von den Vorgängern bisher gewohnt waren. Leider vermag das kunstvolle Arrangement obenauf nicht allzu viel daran zu ändern, denn mit dem Eis von grünem Apfel, Texturen von weißer Schokolade (erneut?!) und Kürbis sowie Herbstgewürzen ringen diesmal für unseren Geschmack einfach zu viele Komponenten um ihre Daseinsberechtigung, ohne dabei richtig zur Geltung zu kommen. Bedenklicher als die massige Ansammlung an Komponenten an sich (bisher hat es ja durchaus funktioniert) bleibt aber für mich der unsaisonale Charakter dieses Ausklangs, was seltsamerweise in letzter Zeit auch in anderen Lokalen wieder häufiger zu beobachten ist. Ich denke nicht, dass er vermessen ist, auch bei Desserts auf saisonale Elemente denselben Wert zu legen wie bei den anderen Tellern – es sollte kein Ding der Unmöglichkeit darstellen.

Mit zwei geeisten Pralinen aus Schokolade beziehungsweise Malz wird der Gast nach einer zuvor eingestreuten Trias, bestehend aus Crème brûlée, einem Käsekuchen-Eis auf Crumble und einem Sorbet von dehydrierter Ananas (von rechts nach links) würdig verabschiedet.

Wie schon mehrfach einigen anderen meiner Rezensionen zu entnehmen war, hege ich gegen die Fusionküche meist einige Vorbehalte, da mir gerade bei diesem Stil in der Vergangenheit besonders viele Enttäuschungen untergekommen waren. Meistens waren diese auf eine gewisse Beliebigkeit bei der Zusammensetzung der Kompositionen auf den Tellern oder das Fehlen eines roten Fadens zurückzuführen, das durch fleißige Anleihen aus unterschiedlichsten Winkeln der Welt begünstigt wurde und so etwas wie Kohärenz vermissen ließ. Dieser Besuch hingegen überzeugte mich unterm Strich wesentlich mehr als viele andere Fusionküchen, weil sich die Anleihen aus anderen Kulturräumen über den Abend hinweg nur auf wenige Regionen beschränkten und vieles deutlich durchdachter wirkte als anderswo. Außerdem gab es hier eine relativ große Fokussierung auf die Qualität der Produkte zu beobachten, während bei diesem Stil sonst optisches Blendwerk vom Wesentlichen ablenkt oder kaschieren muss, dass die verwendeten Viktualien vergleichsweise durchschnittlich in puncto Qualität auftreten. Jedenfalls ist es Felix Gabel schon jetzt gelungen, binnen kurzer Zeit eine eigene und unverwechselbare Handschrift zu entwickeln, deren Vorzüge mit wachsender Reife wohl noch deutlicher zutage treten dürften. Etwas mehr Reduktion zugunsten mehr geschmacklicher Tiefe möchte man hier und da durchaus noch anraten, aber insgesamt triumphierten die Stärken im Laufe des Abends ganz eindeutig über die wenigen Schwächen. Ohne das abfallende Dessert zum Schluss hatte ich sogar kurzzeitig eine noch höhere Note erwogen.

Doch auch so spricht einiges dafür, zum Wiederholungstäter zu werden: neben einer umfangreichen Weinkarte sind es die für Sylter Verhältnisse geradezu unglaublich kulanten Nebenkosten, die einen Besuch hier keinesfalls zu einer unerschwinglichen Angelegenheit werden lassen. Der Service könnte die Ansagen vielleicht ein wenig kürzen, doch die emsigen Mitarbeiter gestatten sich beim Erläutern der Speisen auch so kaum Fehler und tragen damit zu einer zwanglosen Atmosphäre bei, die diesem modern, geräumig und licht inszenierten Speisesaal ausgesprochen gut zu Gesicht steht.

Die attraktive Lage des Hotels sowie der Paradeblick aufs Meer stellen weitere Gründe dar, dem KAI3 mal einen Besuch abzustatten. Kulinarisch gesehen hatte der Abend jedenfalls angesichts einiger Höhepunkte und soliden Handwerks mehr zu bieten als im Vorfeld erwartet. Hier kocht ein ambitionierter junger Chef auf, der weiter nach oben strebt und mittelfristig dem Bodendorf’s den Rang des zweitbesten Lokals der Insel vielleicht streitig machen kann. Alles in allem wurden wir angenehm überrascht und haben diese feine Adresse, die noch immer so etwas wie ein Mauerblümchendasein fristet, fortan auf dem Schirm. Der Esprit des Küchenteams und die fehlerlos, durchaus individuell gestalteten Teller stellen die offensichtlichsten Vorzüge dieser feinen Adresse dar, deren attraktive Umgebung zudem sehr verlockend ist. Klare Empfehlung!

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

KAI3
Am Kai 3
25997 Hörnum
Tel.: 04651/46070
www.budersand.de/de/restaurants-bar/kai3

Guide Michelin 2022: *
Gualt&Millau 2022: 3 Toques
GUSTO 2023: 7,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 2,5 F

Menü „Große Aromenreise“ (5 Gänge): € 168