Brasserie Les Deux, München

„Es gibt fast keine Eigenschaft, welche nicht durch den Mangel an Lebensart in ein nachteiliges Licht gestellt oder verunstaltet wird.“ (John Locke)

August 2023

Fabrice Kieffer ist in der Gastroszene weiß Gott kein Unbekannter: als langjähriger ehemaliger Serviceleiter der Residenz Heinz Winkler (zusammen mit seinem Bruder Renaud) beherrscht er alle Facetten seines Berufs im Schlaf und hat sich einen Ruf der Extraklasse als herausragender Gentilhomme alter französischer Schule erarbeitet. Nach seinem Weggang 2011 machte er sich selbständig und eröffnete schon bald darauf das Restaurant Les Deux im etwas versteckten Schäfflerhof, nur zwei Steinwürfe vom Münchner Marienplatz entfernt. Auch die Tatsache, dass es in den letzten zehn Jahren (Glückwunsch zum Jubiläum!) drei Wechsel auf der Position des Küchenchefs gab, konnte nichts daran ändern, dass sich diese feine Adresse, die zwischenzeitlich sogar mit zwei Sternen dekoriert war, längst unter dem besten Dutzend Adressen der Landeshauptstadt etablieren konnte – angesichts der inzwischen dort herrschenden Konkurrenz eine umso höher einzuschätzende Leistung. Maßgeblichen Anteil am Prestige des Sternerestaurants im ersten Stock des keilförmigen Gebäudes (ich berichtete vor einigen Wochen) hat allerdings auch die Brasserie im Erdgeschoss, die bei schönem Wetter zudem eine angenehme Terrasse zu bieten hat. Sie hat im Gegensatz zum Sternerestaurant ab dem Mittag geöffnet und bietet ein attraktives Business Lunch sowie durchgehend warme Küche bis weit in die Abendstunden, auch wenn in den weniger frequentierten Stunden am Nachmittag nur eine reduzierte Karte geboten wird. So oder so wird das Zweitetablissement sehr gut angenommen und dient den Betreibern auch als Visitenkarte für das Sternerestaurant, das sicherlich nicht wenige Gäste der Brasserie auch einmal zu besuchen erwägen.

Nach inzwischen einigen Stippvisiten dort hielt ich es für angemessen, auch der Brasserie mal eine Rezension zu widmen, die einen Fingerzeig darstellen soll, was einen hier so erwartet, wenn es mal weniger sein darf als die kunstvolle Küche eine Etage höher. In Empfang genommen wird man fast immer von einer der beiden Stammkräfte im Service: zum einen ist da der erfahrene und stattliche Servicechef, zum anderen ein dunkelhäutiger Kellner, der stets gute Laune versprüht, immer einen Scherz auf den Lippen hat und schon lange ein fester und voll akzeptierter Teil des Teams hier ist.

Eine durchaus beachtliche Getränkeauswahl zu für die Landeshauptstadt gewöhnlichen Preisen erschwert die Auswahl gehörig, doch ich bleibe meinen Prinzipien treu und spreche wie immer entweder dem roten Apfelsecco „Red Moon“ von der Kellerei Kaltern in Südtirol oder dem Apfelsecco „Glockenapfel“ von Duttenhofer aus Sulz am Neckar zu. Anschließend stelle ich mir noch à la carte ein dreigängiges Menü zusammen, das an diesem Tage ausreichen muss. Nach der nicht weiter erwähnenswerten Brotauswahl geht es mit einem Caesar Salad (€ 18) los, der neben den erwartbaren Komponenten wie Romanasalat, Kirschtomaten und Parmesan auch etwas ungewöhnlich mit Kapern interpretiert wird. Der Speck des österreichischen Herstellers Vulcano ist in Kennerkreisen schon lange als gehobene Option bekannt, und auch die nicht so häufig anzutreffende Veredelung des Dressings mit Dijonsenf sorgt dafür, dass das gewöhnliche Niveau bei diesem Gericht doch deutlich überboten wird. Es gibt sogar ein verstecktes, kleines Rucolaeis, mit welchem die ausgetretenen Pfade endgültig, aber dennoch auf reizende Art verlassen werden. Der aufgerufene Preis ist angesichts der Produktqualität und der zünftigen Überraschungen jedenfalls gerechtfertigt.

Das Ceviche vom Wolfsbarsch (€ 22) ist eigentlich ebenfalls als Vorspeise konzipiert, aber angesichts der hohen Temperaturen ziehe ich eine leichte Mahlzeit einem schweren Gericht wie etwa geschmortem Shortrib deutlich vor. Die Interpretation des südamerikanischen Klassikers gelingt hier dank Radieschen, Tigermilk, Passionsfrucht und Senfsaat ganz ausgezeichnet, zumal die vermutlich mit Yuzu verfeinerte Mayonnaise und etwas Crème fraîche für federne Leichtigkeit sorgen. Damit demonstriert die Küche ein kreatives und solides Handwerk, das zu bekömmlichem Genuss führt und für diesen drückend heißen Tag wie gemacht ist. Sehr schön!

Etwas unerwartet sollte sich jedoch das Dessert (€ 14) als Höhepunkt des Tages entpuppen: die mit Mokka verfeinerte Ganache wartet zudem mit deutlichen Kirscharomen auf, welche auch als winzige Segmente die Verveinesauce und den Löffelbiskuit umspielen. Der reizende Dialog um säurebetonte Fruchtigkeit einerseits und die Bitterstoffe des Kaffees andererseits führt zu einem spannungsgeladenen Dessert, dem nichts Vorhersehbares anhaftet und das für meine Begriffe nur dann noch etwas an Kontur gewonnen hätte, wenn in dem insgesamt weichen Arrangement eine etwas festere Komponente noch hinzugefügt worden wäre. So oder so ist dies definitiv eines der besten Desserts, das ich jemals in einem sterne-freien Lokal verzehren durfte. Das bewegt sich vom Anspruch her fast schon auf Sterneiveau und erweist sich als absolut vorzeigbar.

Wer die guten alten Zeiten vermisst, der findet auf der Karte auch Referenzen an Altmeister wie den im letzten Jahr verstorbenen Heinz Winkler: so steht beispielsweise der ikonische Sauerrahm mit Impérial-Kaviar auf Kartoffelschnee meines Wissens immer auf der Karte. Für ein Bild verweise ich auf das Original bei meinem letztjährigen Besuch in der Aschauer Residenz, doch auch die Brasserie in Pirmasens hat diesen Gang immer im Repertoire – was angesichts der Tatsache, dass der dortige Chefkoch Vjekoslav Pavić drei Jahre bei Heinz Winkler als Souchef arbeitete, nicht weiter verwunderlich ist.

Neben diesen grundsoliden Klassikern, die Fabrice Kieffer als Gastgeber des Sternerestaurants keineswegs nur den Gästen im 1. Stock vorbehält, hat die Brasserie immer wieder mal ein paar spannende Einblicke zu bieten, die man selbst von einem Restaurant dieser Klasse nicht unbedingt erwarten würde – das Dessert war das beste Beispiel dafür. Die etablierten Speisen auf der Karte beherrscht die Küche sicher – doch selbst wenn mal die ganz große Raffinesse aus Zeit- oder Kostengründen fehlt, so sorgt in diesen Fällen allein schon die überdurchschnittliche Produktqualität für ein Erlebnis abseits einer allzu gewöhnlichen Darbietung. Das ist durch und durch französisches savoir vivre und hätte bestimmt auch dem englischen Philosophen John Locke im Eingangszitat gefallen!

Das Preis-Leistungs-Verhältnis darf als stimmig bezeichnet werden, zumal die Pacht angesichts der Lage des Lokals schwerlich zu vernachlässigen ist. In dem sicheren Wissen, mit seinem Geld zum Erhalt dieses Lokals und einer inspirierten Küche beizutragen, kehrt man gerne hier ein und erfreut sich auch an der relativen Ruhe in diesem Innenhof, der wie fernab vom Großstadttrubel wirkt. Dieses Zweitrestaurant ruft im allgemeinen ein Niveau ab, von dem andere Lokale froh wären, sie würden es jemals erreichen – so lockt die Brasserie zwar eher die gehobene Gesellschaft an, doch die selten gelöste Stimmung auf der Terrasse verströmt einfach ihren eigentümlichen Reiz und macht einen Besuch hier zu einer charmanten Einkehr. Klare Empfehlung, wenn es mal etwas schneller gehen und trotzdem pfiffig sein soll!

Mein Gesamturteil: 14 von 20 Punkten

 

Brasserie Les Deux
Maffeistr. 3a
80333 München
Tel.: 089/710407373
www.lesdeux-muc.de

Guide Michelin 2023: –
Gault&Millau 2023: –
GUSTO 2023: 5+ Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 2 F

3-gängiges Menü à la carte ab ca. € 60