Louis**, Saarlouis

„In diesem Moment sind unsere Gedanken bei den Menschen im Saarland. Es ist zwar nichts passiert, aber die leben da.“ (anonym)

September 2022

Eines ist sicher: wer auch immer die obige, je nach Standpunkt scherzhafte oder sarkastische Äußerung artikuliert haben mag – er kann kein Gourmet gewesen sein. Das kleinste Flächenland der Bundesrepublik wartet nämlich bei der Dichte an Sternerestaurants mit einem Wert auf, von dem andere Bundesländer nur träumen können. Trotz einer Einwohnerzahl von nicht einmal einer Million Bewohner gibt es hier sage und schreibe sieben Sternrestaurants, darunter drei Zweisterner und natürlich das Weltklasselokal Victor’s Fine Dining in Perl-Nennig, wo Christian Bau seit 2008 unangefochten drei Michelin-Sterne hält. Wer würde da nicht neidisch werden?! Natürlich spielt die Nähe zu unseren französischen Nachbarn dabei eine nicht unerhebliche Rolle, doch wenn die kulinarischen Maßstäbe der Grande Nation einen positiven Einfluss auf die hiesige Küche haben, dann soll mir das nur recht sein.

Das neueste Mitglied im Bunde der Zweisterner ist das seit diesem Jahr mit zwei Macarons ausgezeichnete Restaurant Louis in Saarlouis. Es liegt im Spitzenhotel La Maison am Rande der Altstadt von Saarlouis und ist in einem ehemaligen Gerichtssaal untergebracht. Bei unserem Besuch zeichnete noch Martin Stopp verantwortlich, der das Lokal aber zum Jahresende verlassen wird, um im Herbst des neuen Jahres sein eigenes Lokal in Sankt Ingbert zu eröffnen. Unter anderem bei Klaus Erfort in Saarbrücken ausgebildet, dürfte er saarländischen Gourmets vor allem noch als der Chef des seinerzeit zweifach besternten Le Noir in Saarbrücken ein Begriff sein, welchem er bis 2013 – und damit drei Jahre bis vor der endgültigen Schließung – die Treue hielt. Nach einem kurzen Abstecher nach Luxemburg zog es ihn 2015 nach Saarlouis ins La Maison weiter, wo er seither angestellt war.

Nach der Ankunft werden wir ohne Umschweife an unseren Tisch in dem Saal mit den hohen Decken und einem stylish-mondänen Design geführt. Sofort ins Auge springt insbesondere der opulente Blumenschmuck und die dominierenden Töne von olivgrün im Lokal. Ähnlich bunt geht es offenbar auf den Tellern zu, denn schon die ersten Apéros warten mit einer farbenfrohen Optik auf: zu einem exzellenten Cocktail von Bergamotte, Zitronenzesten und Tonic Water reicht man unter dem Namen „Herbe Begrüßung“ insgesamt vier Gaumenkitzler, die recht unterschiedlich ausfallen. Da wäre zunächst ein Gemüsebeet mit eingelegten Gemüsen, einem Wan-Tan-Knusper und einer Kohlrabi-Vadouvan-Crème, das vor allem durch die exzellent dosierte, typisch indisch anmutende Würze ganz erheblich an Kontur gewinnt. Dazu gesellt sich eine klassische Vichysoisse mit geräuchertem Lachs, Kaviar und Lauch, womit der klassischen Interpretation trotz allem ein gewisser Twist verliehen wird. Es folgt ein Beef-Raviolo mit einer gebeizten Scheibe vom Charolais-Filet, Sardellencrème und Dörrtomateneis (etwas verspielt, aber mit schöner Balance) sowie eine am Platz auf Binchotan gegrillte Riesengarnele mit Shisoblatt, Wassermelone und schwarzem Knoblauch – dank überraschender Minznoten und der unerwarteten Idee mit der Melone weht hier ein erster Hauch von Exotik durch das Lokal.

Trotz des gelungenen Einstiegs lässt man es sich nicht nehmen, mit einem augenzwinkernden Einschub quasi noch Werbung für das hauseigene Bistro, das Pastis, Werbung zu machen. Dank auffallend großer Pommes frites mit einer grandiosen Sauce bearnaise tritt zumindest bei uns die erwünschte Wirkung durchaus ein.

Auch die Brotauswahl mit Ficelle (Dinkelbrot) und einem Vollkorn-Sauerteigbrot kann sich dank ihrer Qualität durchaus sehen lassen, zumal nicht nur burgundische Butter, sondern auch eine etwas rustikale Crème von Grillhähnchen die Darbietung weiter aufwertet.

Ein offizielles Amuse bouche folgt zu unserer nicht geringen Überraschung auch noch – und was für ein exquisites! Ganz im Sinne des ukrainischen Klassikers wird das Gericht mit frischem Dill verfeinert und Borschtsch als reduzierte Essenz von roter Bete kalt angegossen. In einer weiteren Variante bringt das Bete-Ingwer-Gelée Abwechslung bei den Texturen ins Spiel, doch damit nicht genug: neben dem herzhaften Krautsalat mit Kümmel ist es vor allem die überraschende Beigabe von Stopflebereis, die für ein reizendes Spiel bei den Temperaturen sorgt und mit der die Konventionen letztlich doch verlassen werden. Dank subtiler Würzung wirkt das ausgelassene Spiel nicht überdreht, sondern punktet mit unerwarteter Tiefe. Dass man außerdem Foie Gras schon beim Amuse geboten bekommt, erlebt man auch nicht alle Tage …

Die ausladende Ouverture stellt schon einen ersten Fingerzeig dar, was uns an diesem Abend noch so erwarten sollte – nämlich eine sinnliche Küche, die sich auf französischer Basis den Einflüssen der weiten Welt durchaus öffnet und fast schon in den Bereich einer Fusion-Küche vorzudringen scheint. Wir lassen uns daher ohne weiter Umschweife auf das siebengängige Menü zu € 205 ein und sind gespannt, wie gut uns die jeweiligen Exkursionen in bestimmte Regionen zusagen werden.

Den Auftakt bildet dabei ein Ausflug nach Wien: eine kühne und dabei nicht zu rustikale Mélange zaubert die Küche aus dem Klassiker Kalbstatar (anstelle eines Wiener Schnitzels) eine Neuinterpretation mit Gurken-Kartoffel-Salat und Preiselbeer-Zitronen-Bouillon einerseits, andererseits aber mit einer sehr französisch anmutenden Begleitung in Form von Impérial-Kaviar, geeister Crème fraîche und Gurkenöl. Das Gericht steht kurz vor der Überfrachtung, aber dank des handwerklich herausragenden (und ziemlich dick aufgetragenen) Tatars mit schöner Konsistenz bleibt der Fokus im Wesentlichen beim Hauptprodukt – und der Eindruck eines augenzwinkernden Auftakts bestehen.

Französische Eleganz in Form von Foie Gras und deutsche Rustikalität, vertreten durch Boudin Noir (auch als Blutwurst in teutonischen Landen bekannt), prallen beim nächsten Gang als dekonstruierte Version des rheinischen Klassikers „Himmel un Äd“ aufeinander. Das führt zu einer recht deftig und (endlich mal wieder!) salzig interpretierten Gänseleber, die konsequent stilecht mit säurestraffem grünem Apfel (als Sorbet und als Gel mit Verbene) durchdekliniert wird. Ein Röstzwiebel-Apfel-Crumble steuert wohltuenden Biss bei, während die lauwarme Enten-Consommé, auf der das Ganze gebettet ist, der Kreation eine gewisse Bodenhaftung verleiht. Diese launige Paarung trifft den richtigen Ton: nicht zu derb für ein Sternerestaurant, aber auch nicht zu elitär für einen – wenn auch eher frei interpretierten – rheinischen Klassiker, dem allerdings das stilprägende Kartoffelpurée fehlt.

Hochwertiger bretonischer Hummer trifft im nächsten Gang auf ägyptische Gewürze. Umspielt von einer Limonenmarinade, ruht der Hauptdarsteller auf einem Krustentierschaum mit zitrusfrischen Aromen von Orange und Zitronengras sowie einem Purée von grünen Bohnen mit Za’atar (nordafrikanische Gewürzmischung). Dazu reicht man à part einen Chicorée-Salat mit geeister Baharat-Brotcrème, so dass ein recht herber Kontrast bei den Temperaturen zwischen dem Hauptteller und dem Satelliten entsteht. Die Idee überzeugt, aber ihre Umsetzung lässt zumindest im Detail noch Luft nach oben: die Fruchtigkeit ist fast schon zu dominant, und nicht jede Komponente scheint das Gericht, das sich am Rande der Überfrachtung bewegt, wirklich zu bereichern – dennoch ein ungewöhnlicher Gang mit einem gewissen Charme.

Die vielleicht am reinsten französisch anmutende Darbietung gibt es auf dem nächsten Teller zu bewundern: gebeiztes und in Butter gebratenes Zanderfilet labt sich an einer Beurre Jaune (wie der Name schon verrät, ist diese mit Vin Jaune aromatisiert) und einer Pilzessenz, die mit Erbsen, Kohlrabi und Speck einigermaßen rustikal, aber durchaus stilecht begleitet wird. Lediglich die Beigabe von Vadouvan verleiht dem Teller einen Hauch von indischer Exotik, doch insgesamt ist dies der stärkste Teller des Abends: neben der exemplarischen Qualität des Fischs sind es vor allem die wunderbar leichte Säure der alkoholischen Beurre und die stärker als sonst an diesem Abend zu beobachtende Produktfokussierung auf den Hauptdarsteller, die dieses Gericht herausragen lassen.

Als unerwarteten Einschub gibt es noch ein Kartoffel-Speck-Brot, zu welchem man eine körperbetonte und exzellente Kräuter-Hollandaise bereitstellt.

Das Plat principal an diesem Abend stellt französische Taube ins Zentrum des Geschehens. Trotz der Glasur der Brust mit Mirabelle und des Praliné mit der Keule, welches zusätzlich mit gedämpftem Pak Choi gefüllt ist, bleibt das Geflügel aromatisch eher blass – woran auch der hohe Fettgehalt des Fleischs und seine mehr als vorzeigbare Qualität erstaunlich wenig ändern. Die Beigabe eines Tempura von Shisoblatt, eingelegter Mirabelle und Dijon-Senf vermochte daran auch nicht viel zu ändern – allenfalls die Langpfeffer-Jus sorgte für einen längeren Nachhall am Gaumen. In diesem Fall vermochte das gezeigte Handwerk nicht, den Gang in irgendeiner Form der Mittelmäßigkeit zu entreißen, weshalb bei diesem Teller keine rechte Freude aufkommen wollte.

Die inhärenten Qualitäten des baskischen Weichkäses Ossau-Iraty werden anschließend – inzwischen selten zu beobachten – in einem auskomponierten Käsegang in geeister Form stark betont. Eine recht individuelle Begleitung aus einem mit Chartreuse verfeinerten Kräutersud, Mandarine (als Gelée und Baiser), Salzzitrone und einem Baumnuss-Gel führt dabei zu einem starken Spannungsfeld zwischen straffer Säure und spürbar herber alkoholischer Noten. Fraglos bemüht sich dieser Gang um eine eigenwillige und damit einprägsame Sensorik und Aromatik, doch für meinen persönlichen Geschmack ist der Kontrast etwas zu disparitätisch geraten – die Optik freilich kompensiert diesen Umstand bis einem gewissen Grad, auch wenn der Käse so viel Brimborium um ihn herum nicht nötig gehabt hätte.

Das Dessert variiert schließlich Piemonteser Haselnuss auf launige, aber deutlich kompaktere Weise als dies bei den meisten Vorgängern zu beobachten war: rund um ein Törtchen von Buttermilch mit Aprikosenfüllung tritt die Haselnuss in Form von Eis, Crème und Öl auf. Durch den zusätzlichen Aufguss eines Matchatees treibt man dem Gericht jedwede plakative Süße aus und schafft so ein bekömmliches und zeitgemäß anmutendes Dessert, auch wenn es nicht sonderlich grün gerät. Die Reduktion auf wenige Grundkomponenten und der Verzicht auf allzu süße Produkte führen hier zu einem mehr als vorzeigbaren Ergebnis, welches das Menü würdig abrundet.

Freilich folgt noch eine Handvoll Petits fours, die nochmals überraschend hochwertig geraten und sehr zu überzeugen vermögen, wenngleich eine gewisse Schokolastigkeit nicht von der Hand zu weisen ist: es sind dies Nougat-Haselnuss-Praline, Salzkaramell (links), Kir-Royal-Praline, ein Karamell-Brownie (Mitte) und ein Schokocrisp mit Himbeere (rechts). Ausgezeichnet!

Dieser neue Zweisterner nahm uns auf eine recht interessante Reise mit, deren Ästhetik unserem Empfinden nach vor allem darauf abzielte, auf klassisch französischer Basis zu kochen und sich den Einflüssen der übrigen Welt zu öffnen, wo immer dies sinnvoll erschien. Dem interessanten Ansatz ließ die Küche durchaus Taten folgen, deren Ergebnis allerdings nicht immer im gleichen Maße schlüssig geriet – fast schon bezeichnend, dass der vierte Gang mit dem Zander am wenigsten kosmopolitische Einflüsse abbekommen hatte und trotzdem zum Höhepunkt der Menüfolge geriet. Auf Martin Stopps Tellern passiert im Allgemeinen ziemlich viel, so dass in manchen Fällen eine deutliche Reduktion zumindest dann anzuraten wäre, wenn Komponenten nichts Wesentliches beizutragen schienen oder allenfalls die Optik eines Gerichts aufwerteten. Da es den verwendeten Grundprodukten durchweg nicht an Klasse fehlte, wäre es meines Erachtens gar nicht notwendig gewesen, ständig mit lautstarker Begleitung von deren Qualität ablenken zu müssen. Freilich kommt im Gegenzug bei einer solchen Stilistik der Humor – wie beim ersten Gang, wo Paris quasi ein Date mit Wien hatte – dabei nicht zu kurz, doch auf Dauer sollte einfach beachtet werden, dass die Effekte sich meist schnell abnutzen und dann eher Langeweile als Begeisterung Einzug hält. Eine separate Betrachtung jedes einzelnen Gangs wies dabei kaum merkliche Schwächen auf, aber in Summe wirkte die Dramaturgie der Menüfolge recht gewollt und fast ständig um Aufmerksamkeit bemüht – eine temporäre Reduktion der Intensität hätte hier und da sicherlich mal gut getan.

Unter der Leitung von Robert Jankowski hat die Servicebrigade ganz gut zu tun und erledigt ihren Job im Wesentlichen ohne Schwierigkeiten. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt man dabei noch nicht, aber angesichts sehr moderater und transparent gestalteter Nebenkosten sehen wir darüber gerne hinweg. Lediglich die gewählte Hintergrundmusik dürfte angesichts einigermaßen dominanter Bässe kaum den Geschmack aller Gäste treffen.

In Summe bewegte sich dieser Abend – wie so oft bei einem neuen Zweisterner zu beobachten – in meiner subjektiven Grauzone zwischen 17 und 18 Punkten oder bei 1,5 Sternen. Gönnen wir den Betreibern einfach die Auszeichnung mit dem zweiten Stern und hoffen, dass dieser angesichts des bevorstehenden Abgangs von Martin Stopp auch gehalten werden kann. Im Vergleich zu den anderen, neu mit zwei Macarons ausgezeichneten Restaurants sehe ich diese Lokale (allen voran das es:senz in Grassau) allerdings derzeit etwas weiter vorne, weshalb ich mich mit einem etwas zurückhaltenderen Urteil begnüge. Gut möglich, dass ich mich beim nächsten Mal auch zur Abwechslung mit dem sehr ansprechend wirkenden Bistro Pastis zufrieden gebe, da die Werbung hierfür jedenfalls ganz ausgezeichnet gelungen ist. Die weitere Entwicklung des Louis dagegen wird natürlich in hohem Maße von der Nachfolge des scheidenden Chefs abhängen, weshalb diese Rezension nur eine bedingt aktuelle Aussagekraft aufweist. Eine weitere kulinarische Bereicherung des Saarlands stellt diese Adresse aber allemal dar.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Louis
Prälat-Subtil-Ring 22
66740 Saarlouis
Tel.: 06831/89440440
www.lamaison-hotel.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 3 Toques
GUSTO 2022: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 3 F

7-gängiges Menü: € 205