Meierei Dirk Luther**, Glücksburg (UPDATE)

„Am Strand ist das Leben anders. Die Zeit bewegt sich nicht von Stunde zu Stunde, sondern von Stimmung zu Moment. Wir leben in den Strömungen, planen nach den Gezeiten und folgen der Sonne.“ (Sandy Gingras)

Februar 2024

Nein, einladend ist das nasskalte und windige Schauerwetter an diesem Februarabend wirklich nicht. Bei meinem Eintreffen ist es schon dunkel, was Erinnerungen in mir weckt: um wie viel freundlicher wirkt doch das noble Ostseehotel direkt an der Förde in Glücksburg bei Sonnenschein! Da es in Flensburg angesichts dieser Wetterlage für mich keine brauchbaren Aktivitäten am Spätnachmittag gibt, reise ich schon ein wenig früher an, um einen Apéritif an der Bar zu nehmen. Was sich daraus entwickelte, hat jedoch Seltenheitswert …

Die privat geführte Meierei Dirk Luther gehört fraglos zu den nobelsten und vornehmsten, doch keineswegs steifen Adressen an der Ostsee. Mit dem nahegelegenen, weiß getünchten Schloss Glücksburg hat man eine der meistbesuchten Attraktionen der Region fast vor der Haustür, doch dank großzügiger Zimmer, toller Aussicht, des üppigen Frühstücks und einem modernen Spabereich fällt das Verweilen hier auch bei Schmuddelwetter leicht. Abends prasselt im Foyer ein Feuer im Kamin, und mit etwas Glück entlockt auch ein Barpianist seinem Instrument sanfte Klänge. Dirk Luther, der engagierte Patron des Hauses Alter Meierhof, ist auch gleichzeitig der Chefkoch des zweifach besternten Gourmetlokals, dem natürlich mein Hauptaugenmerk gewidmet ist. Der umgängliche, angenehme unprätentiöse und stets freundliche Chef zählt mit Sicherheit seit geraumer Zeit zu den drei besten Vertretern seiner Zunft im nördlichsten Bundesland der Republik. Sein recht transparenter Küchenstil ruht auf solidem französischem Fundament, doch werden heimische Produkte immer wieder geschickt und harmonisch integriert, wenn dies Sinn macht. Viel zu lange, nämlich knapp sechs Jahre, ist mein letzter Besuch schon her, weshalb der Wunsch nach einer erneuten Einkehr inzwischen recht drängend geworden war. Verlässlichkeit und Konstanz in der Leistung waren schon immer Erkennungsmerkmale dieser Küche gewesen, zumal auch die Profiguides in den letzten Jahren weiter konsequent an ihren sehr hohen Noten festhielten.

Voller Vorfreude auf das anstehende Mahl stelle ich mich auf einen Apéritif an der Bar ein und steige mit einem Apfelsecco vom Weingut Wilhelmina im pfälzischen Siebeldingen ein, das ich sogar schon besucht habe. So weit bloße Routine, doch darauf lasse ich angesichts genügend verbleibender Zeit einen alkoholfreien Gin Tonic folgen – der Auftakt zu einer Tonic-Verkostung der besonderen Art. Der Barkeeper verfügt nicht nur über ein umfassendes Wissen über Gin und Tonic gleichermaßen, sondern lädt mich quasi angesichts ausreichender Kompetenz meinerseits zu einer Degustation ein, in deren Verlauf ich kostenlos drei weitere Tonic probiere. Thomas Henry und Fever Tree sind noch vergleichsweise bekannte Namen, doch auch den bedeutend selteneren Vertreter aus dem Hause 1724 gibt es hier. Höhepunkt der Sammlung ist jedoch, wie der Barkeeper stolz verkündet, ein Tonic, auf den sie erst vor kurzem gestoßen waren: der Produzent verkauft seine Getränke nur an ausgewiesene Adressen und nicht im Massenhandel. Ich erkundige mich nach dem Namen und stelle fest, dass mir der Hersteller Mistelhain in der Tat nichts sagt – fraglos ein Getränk aus der Oberliga. Bei der Frage nach dem Ort der Herstellung bekomme ich zur Antwort „irgendwo im Schwarzwald“, doch ein Blick aufs Etikett zeigt dann, dass es sich um Regensburg handelt, das meines Wissens nicht im Schwarzwald liegt?! Diese klitzekleine Imkompetenz sei natürlich verziehen, zumal mir diese Entdeckung in der Tat schon einen kleinen Adrenalinschub vor dem Höhepunkt des Abends verlieh. Bei der nächsten Visite in der Oberpfalz oder im Bayerischen Wald wird wohl ein Abstecher dorthin fällig werden!

Spürbar beschwingt schwebe ich dann geradezu gen Restaurant, als sich die Pforten endlich öffnen. Dort werde ich sogleich von Servicechef Lukas Lohse in Empfang genommen, der mich an meinen Tisch geleitet und für einen reibungslosen Ablauf des Abends sorgen wird. Die Gästezahl sollte an diesem Abend recht überschaubar bleiben, zumal lediglich zwei Dänen und eine vierköpfige Gesellschaft den Weg an diesem Abend ins Lokal fanden – allerdings bietet dieser Umstand keinerlei Rückschluss darauf, wie es sonst so unter der Woche zugeht. Mehr als nur einmal in den vergangenen sechs Jahren habe ich trotz großen Vorlaufs selbst unter der Woche keinen freien Tisch ergattern können, was auch Dirk Luther in Form von animierenden Reservierungszahlen später bestätigt. Stattdessen sitze ich in dem an diesem Abend nur spärlich gefüllten und geräumigen Lokal an einem der Tische, die hier bekanntlich aus angeschwemmten Holzplanken gefertigt wurden. Gerade zur Winterzeit wirkt das Lokal einerseits recht spärlich ausgeleuchtet, doch wird im Gegenzug der Fokus des Gasts auf die einzigartige Lampenkonstruktion an der Decke gelenkt. Notabene: da im späten Frühjahr mit Umbauarbeiten größeren Umfangs im gesamten Hotel begonnen wurde, ist nicht vollständig auszuschließen, dass das Lokal nach diesen Maßnahmen inzwischen vollkommen anders aussieht. Der Qualität des Essens dürfte es auch künftig keinen Abbruch tun …

Das einzige Menü des Abends in acht Gängen zu nicht gerade günstigen € 310 beginnt mit zwei sehr französisch anmutenden Apéros: eine fast schon forsch mit Apfel-Essig-Vinaigrette abgeschmeckte Gillardeau-Auster wird flankiert von einem gestockten Eigelb mit Sherryespuma und Kalbskopf-Ragout. Trotz unkomplizierter Umsetzung geht von beiden klassisch angehauchten Häppchen eine wohltuende Eleganz aus, zumal das Ei an diesem nasskalten Abend als echter Seelenwärmer punkten kann.

Nach diesem in puncto Artistik noch etwas zurückhaltenden Einstieg fährt die Küche die Betriebstemperatur langsam hoch und lässt fünf weitere Petitessen auftragen, die (von links nach rechts) allesamt in großer Klarheit und kraftvoll umgesetzt werden: zunächst die klassische, aber inzwischen selbst in maritimen Regionen rar gewordene Kombination einer Praliné von cremiger Gänseleber mit Aal, gefolgt vom Dauerbrenner Rindertatar mit Impérial-Kaviar und Eigelbcrème. Etwas kühner wird es sodann bei Crème von Brunnenkresse mit Makrele und Ceta-Kaviar, was auch auf das Mosaik von Lachs mit Lemon Curd auf einem Chip von Nori-Algen zutrifft. Den Abschluss der insgesamt eher braven, aber handwerklich tadellosen Parade bildet Chicken Tandoori mit geröstetem Sesam und Mangogel. Zwei-Sterne-Niveau erfüllt die bisherige Darbietung allemal, auch wenn noch kein Highlight gesetzt werden konnte.

Es folgt eine mit normannischer Salzbutter begleitete, reichhaltige und weitgehend mit Klassikern bestückte Brotauswahl, in deren Umfeld das Fujisan fast zwangsläufig auffallen muss. Das am ehesten mit einem Brioche vergleichbare japanische Gebäck scheint hierzulande zumindest in Lokalen, die sich gerne von Einflüssen aus Nippon inspirieren lassen, immer beliebter zu werden. Auf Dirk Luthers Küchenstil trifft zwar keine ausgeprägte Präferenz für japanische Techniken oder Produkte zu, doch dem insgesamt weltoffenen Charakter tut es keinen Abbruch.

Nach sieben Apéros und einer Brotauswahl rechne ich natürlich nicht mehr mit einem Amuse, doch zu meiner nicht geringen Überraschung beginnt das Menü noch immer nicht mit dem ersten Gang, sondern einem Gruß, der das Niveau sogleich spürbar anhebt: Tatar von Taschenkrebs und Sashimi von Hamachi werden auf bewährte, aber natürlich hochwillkommene Weise mit Kaviar und Crème fraîche begleitet, doch der eigentliche Clou dieser Kreation ist das hinreissende Süppchen von Tomate und Miso, an dem sich die Krustentiere laben dürfen. Die wirklich federleicht und genuin französisch anmutende Umsetzung wirkt ohnehin ausgesprochen harmonisch, gewinnt aber durch die zeitgemäße Präsentation noch weiter an Charme. Es wird offenkundig, dass detaillierte Verfeinerung ein Merkmal dieser Küche darstellt: anstatt modischen Trends zu folgen, setzt Dirk Luther weitgehend auf bewährte Klassiker und interpretiert diese dank des starken Handwerks mit Leichtigkeit immer wieder neu – so auch hier. Wunderbar!

Ein bißchen Schau darf es dann doch zum Auftakt sein, denn der goldene Boden des Tellers suggeriert dem Gast unwillkürlich, dass nun ein glänzender Beitrag folgt. Da möchte man nach den ersten zwei, drei Bissen kaum widersprechen, denn allein die Grundqualität des Parfaits von der Gänseleber überzeugt auf ganzer Linie. Die wirklich vorzügliche Cremigkeit und die praktisch optimale Temperierung sprechen Bände, so dass selbst eine missratene Begleitung nicht mehr viel ruinieren könnte. Das Format der Entourage kann sich indes genauso sehen lassen, denn sie schafft einen spannungsgeladenen Kontrast zwischen salzigen (selten genug!) und süßlichen Aromen: Avocado, Tamarillo und Estragon steuern facettenreiche Würze bei, während die Akzentuierung der Innerei mit Panna Cotta dafür sorgt, dass dem Gericht keinerlei Vorhersehbarkeit anhaftet. Durch den variablen, kreativen und einfach ausgezeichneten Umgang mit der Foie gras beweist Dirkt Luther, dass ihn der Mut durchaus nicht verlassen hat und er ausgesprochen stimmige Gerichte zu kreieren vermag, die toll gelingen.

Aus Wildfang vom relativ nahen Skagerrak kommt als nächstes ein Prachtexemplar von einem dänischen Kaisergranat an den Tisch. In sautierter Form bewahrt das Krustentier seine überragende Qualität und Konsistenz, so dass relativ wenige, sparsam dosierte Begleiter schon ausreichen, um daraus ein phantastisches Gericht zu zaubern: dank des sensationellen und unwahrscheinlich tiefen Kokos-Zitronengrasschaums fühlt man sich ein wenig nach Indien versetzt, zumal der vergleichsweise neutrale Blumenkohl in Texturen und das ebenfalls einfach herausragend abgeschmeckte Paprikachutney lediglich in angemessener Demut auftreten. Ich meine noch, Noten von fermentiertem Knoblauch auszumachen, kann mich aber täuschen. Wie dem auch sei: das bewegt sich wahrhaftig auf demselben Niveau wie die unfassbar opulente Langoustine von Clemens Rambichler aus dem Sonnora im Vorjahr und verdient ohne Umschweife das Prädikat „Sternstunde“! Für diesen Teller würde ich die ewig lange Reise an die dänische Grenze noch öfters antreten, denn er ist wahrhaftig zum Niederknien …

Auch wenn in diesem Hause die Teller in optischer Hinsicht manchmal so wirken, als würde den Begleitern besoners viel Raum und Gewicht zugestanden, so sei doch festgehalten, dass die Küche ihr Hauptprodukt geschmacklich stets in den Mittelpunkt stellt. Das ist auch bei konfiertem Kabeljaufilet der Fall, zumal neben dem optimalen Garpunkt einmal mehr die bemerkenswerte Produktqualität positiv auffällt. Die fast monothematisch nussig-erdige Begleitung mit Périgord-Trüffeln und Haselnusscrème erweist sich aus meiner Sicht als ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber letztlich überzeugend, während ich den Rückgriff auf Champignons Mitte Februar weitaus weniger nachvollziehen kann. Noch kritischer wirkt auf mich allerdings die Kombination dieser Produkte mit Château-Chalon-Sauce, da sich mir nicht erschließt, inwiefern die säuerlichen Noten von Vin jaune gut mit erdigen Noten korrespondieren sollen. Glasierte Trauben sollen wohl eine Art Brücke schlagen, aber trotz der Zubereitung der Sauce, die fraglos über alle Kritik erhaben ist, kam mir das Zusammenspiel mit diesen Aromen meines Wissens bislang noch nicht unter – aus gutem Grund.

Selbst wenn der Gang zuvor nicht meine uneingeschränkte Anerkennung fand, so weist die Küche überzeugend nach, dass sie die geschmackliche Intenstität von Teller zu Teller innerhalb eines gewissen Rahmens variabel zu gestalten vermag und somit über längere Zeit interessant bleibt. Optisch hält sich die Küche dagegen weitgehend zurück …

… doch selbst wenn sie von Zeit zu Zeit der Versuchung erliegt, mehr fürs Auge zu bieten, so kann man sich doch sicher sein, dass die Qualität höchstwahrscheinlich nicht darunter leidet. Jedenfalls ist das mit Abstand knalligste Gericht des Abends ein großer Wurf: dank langjähriger Erfahrung mit den Produkten der Region, zu denen sich Dirk Luther unverbrüchlich bekennt, gehen ihm die Ideen offenbar nie aus, wie man auch noch nach vielen Jahren häufig bemühte Produkte ins beste Licht rückt. Das Filet vom Nordsee-Steinbutt bittet zu einem spannenden Dialog mit Räucherlachs, der durch seinen Auftritt in dreierlei Form spürbar an Präsenz gewinnt: in confierter Form umspielt dieser den punktgenau gegarten Steinbutt in der Mitte, der zudem von einer geräucherten Tranche des Lachs bedeckt wird. Der Ceta-Kaviar sorgt nicht nur für farbige Impulse, sondern bereichert die klassische Beurre blanc auch geschmacklich immens. Weniger auffällig, aber keineswegs wirkungslos wird auch Schnittlauch in zweierlei Form eingesetzt, nämlich als Vinaigrette und als Topping für den butterzarten Steinbutt – ein zupackendes Gericht von großer Kraft einerseits und zweckmäßiger Ökonomie andererseits. Dank der effektvollen Farbigkeit und des fast forschen Geschmacks denke ich noch lange Zeit an diesen Beitrag zurück, der fraglos einen weiteren Höhepunkt nach dem Kaisergranat darstellt.

Gerade in Norddeutschland bekomme ich das nächste Produkt sehr selten vorgesetzt: das ausgebackene Kalbsherzbries erreicht ein ausgezeichnetes Niveau, wenn auch das letztlich Quentchen an Cremigkeit noch fehlt. Die krosse Zubereitung harmoniert jedenfalls prächtig mit Chorizo und – besonders interessant – mit Sardellen-Miso. Ein gehaltvoller Sud aus markiger Brunnenkresse sowie Kartoffel in Texturen runden ein mutiges, ausgesprochen zupackendes und darüber hinaus homogenes Gericht ab, das schon jetzt zu den besten Darbietungen des Jahres mit der Innerei gehört. Sehr beachtlich!

Leider gestattet sich die Küche ausgerechnet beim Hauptgericht einen Durchhänger: zum einen ist die Zubereitung der Miéral-Taube (Brust und Keule) diesmal leider nur durchschnittlich, denn ohne großes Nachdenken fallen mir einige Konkurrenten ein (z.B. Klaus Erfort), die geschmacklich deutlich mehr aus demselben Geflügel herausholen konnten. Die recht konventionelle Begleitung mit Cassoulet von Edamame, schwarzem Knoblauch, Artischocke und gebratener Gänseleber wirkt zum einen nicht sehr regional, zum anderen hält sich auch die kulinarische Aussagekraft im Rahmen. Auch der Jus kann ich kein besonderes Niveau attestieren, doch am ehesten auf einen Mangel an Esprit bei diesem Gang tippe ich wegen des grünen Spargels, der zu dieser Jahreszeit offensichtlich eine weite Reise angetreten haben muss – da hätte es mit Sicherheit stimmigere und saisonalere Begleiter gegeben. Vielleicht wäre der vollständige Verzicht darauf sogar angesichts der üppigen Begleitung die beste Wahl gewesen – den Blutampfer hätte es auch nicht gebraucht. Unterm Strich stellt der Teller zwar keine große Enttäuschung dar, aber keine einzige Komponente vermag hier das Mittelmaß erfolgreich zu durchbrechen. Das ist somit relativ schnell wieder vergessen.

Dekonstruktion ist das große Thema beim Käsegang, wenn man ihn denn so bezeichnen möchte: der Vacherin Mont d’Or (dem man mit viel Wohlwollen die Hauptrolle bei diesem Gang zusprechen kann) bedeckt dabei in geschmolzener Form eine Brunoise von geräucherter Kartoffel und wird dabei stilecht mit geriebenen Périgord-Trüffeln begleitet. Der Garnitur von Kopfsalat an einer Essigmarinade ist als individueller Einfall noch etwas Senfsaat beigemischt. Trotz des überschaubaren Aufwands bietet dieser vorletzte Gang immer noch mehr als die meisten anderen Mitstreiter in Sachen Käsegang und kann auf unkomplizierte Weise mit beachtlichem Genussfaktor verzehrt werden. Kein Höhepunkt, aber ganz nett allemal.

Zum nicht annoncierten Pré-Dessert ersinnt die Pâtisserie Sorbet und Ragout von der Johannisbeere mit Champagnerschaum obenauf. Die leichte Säure und die fruchtige Süße hätten durch die Champagnernote fraglos noch an Eleganz gewonnen, wenn das Espuma etwas weniger blass geblieben wäre. Alles in allem ein recht normaler Einfall, den das kommende Dessert fraglos kompensierte …

… das ungleich komplexer gestaltet war: auf einem Törtchen mit cremigen Schichten von Kaffee und Schokolade thront unübersehbar ein mächtiges Sorbet von Sanddorn. A part reicht man im Martiniglas noch eine Haselnusscrème unter Kaffeeschaum, so dass angesichts der dichten aromatischen Fülle ein erfreulich winterliches Dessert unterm Strich steht. Das kaum erkennbare Spiel der Texturen in dem Törtchen entreißt die Angelegenheit vollends dem Durchschnitt, während die aufdringlichen Deko-Elemente im gläsernen Teller eher entbehrlich erscheinen.

Auf Zwei-Sterne-Niveau wird der Abend schließlich mit sieben Petits fours abgerundet: es sind dies Schoko-Cannelé, Earl-Grey-Macaron, Zitronentartelette, Profiterol mit Vanille-Chantilly (Leiste von hinten nach vorne) sowie drei Pralinen von dunkler Schokolade, Haselnuss und Passionsfrucht.

Nach getaner Arbeit kommt Dirk Luther auch noch an meinen Tisch und nimmt sich angesichts der geringen Gästezahl an diesem Abend relativ viel Zeit samt Fototermin für mich. Mein Eindruck aus vergangenen Jahren, dass er nicht nur zu den umgänglichsten und sympathischsten Vertretern seiner Zunft zählt, sondern auch vollkommen glücklich mir „nur“ zwei Sternen wirkt, wurde dabei abermals erhärtet.

In Summe bewegte sich diese Menüfolge im oberen Drittel der deutschen Zweisterner. Trotz eines klaren Bekenntnisses zu den Grundfesten der französischen Klassik kamen durchaus regelmäßig regionale Produkte zum Einsatz, selbst wenn die saisonale Einordnung bisweilen etwas verwunderte. Dank sicheren Handwerks kann es sich die Küche erlauben, mal mehr Mut zu zeigen als es die vergleichsweise ausgewogene Klassik zulässt. Dann entstehen hier auffallend zupackende Gerichte, die keine falsche Scheu vor zu großer Zurückhaltung an den Tag legen – das Kalbsbries oder der Foie-gras-Gang legten beredtes Zeugnis davon ab. Am stärksten erscheint mir dieses Genussrefugium jedoch immer noch dann, wenn ein herausragendes Produkt ohne allzu viel Brimborium in Szene gesetzt wird, denn ein besseres Beispiel als den Beitrag von Weltklasseformat mit dem Kaisergranat ließe sich kaum denken. Wie es genau zu dem Durchhänger beim Hauptgericht kam, vermag ich kaum plausibel zu erklären, denn mit dieser einen Ausnahme hielt das Team um Dirk Luther das Niveau wirklich durchweg sehr hoch. Das profunde Wissen um unterschiedlichste Produkte und deren Vorzüge schien immer wieder durch, wenn beispielsweise Tamarillo und Panna Cotta gleichzeitig die Gänseleber begleiten durften und ohne jede Reibung miteinander agierten. Tatsächlich gaben letztlich nur die etwas bizarre Kombination beim Kabeljau und der Hauptgang für mich den Ausschlag dafür, nicht die lange Zeit zur Debatte stehenden 19 Punkte zu vergeben. Die solide Serviceleistung unter Maître Lukas Lohse einschließlich dem angebotenen Shuttle-Service nach Flensburg stellen jedenfalls weitere Pluspunkte für einen Besuch dar.

Wäre dieses Lokal nicht das nördlichste deutsche Sternerestaurant auf dem Festland und damit so entsetzlich weit weg von der Heimat, ich wäre fraglos versucht, regelmäßiger hier einzukehren. Der Menüpreis ist nicht gerade einladend, aber im Gegenzug sind zumindest die Nebenkosten recht gastfreundlich kalkuliert. Der groß angelegte Umbau des Resorts und der damit verbundene Versuch, abermals um ein gutes Stück attraktiver zu wirken, nähren ebenfalls meinen Wunsch nach einer baldigen weiteren Einkehr. Seit Jahren kann sich dieses Restaurant dabei offenbar den Luxus erlauben, rund um den August herum – und damit zur absoluten Hochsaison – für fünf Wochen am Stück (!) zu schließen. Die Reservierungslage muss offenbar eine rosige sein, doch verständlich ist das nach diesem Besuch …

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Meierei Dirk Luther
Uferstraße 1
24960 Glücksburg
Tel.: 04631/6199411
www.alter-meierhof.de

Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 4 Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4,5 F

8-gängiges Menü: € 310

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April 2018

Das Vitalhotel Alter Meierhof in Glücksburg liegt direkt an der Flensburger Förde und darf mit Fug und Recht als eines der allerbesten Wellnesshotels von Norddeutschland bezeichnet werden. Glücksburg liegt 10 Kilometer östlich von Flensburg und hat außerdem ein berühmtes Wasserschloss sowie die für ausgedehnte Wanderungen vorzüglich geeignete Halbinsel Holnis, die zugleich Deutschlands nördlichsten Punkt auf dem Festland markiert, zu bieten.

Kein Wunder also, dass es diesem Vorzeigehaus nie an Gästen fehlt, die Outdoor-Aktivitäten, Wellness und Genuss auf höchstem Niveau miteinander verquicken wollen. Kulinarisches Aushängeschild des Hauses ist die Meierei Dirk Luther, ein mit 18 Punkten im Gault&Millau und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnetes Lokal. Es kommt nicht so oft vor, dass der Chefkoch gleichzeitig der Patron des Hauses ist, aber wie ich zum wiederholten Male feststellen konnte, gelingt Dirk Luther der Spagat ganz ausgezeichnet und scheinbar ohne große Mühe. Dies ist auch das Verdienst der emsigen und aufmerksamen Servicebrigade im gesamten Haus, die nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Stimmung einen untadeligen und sehr angenehmen Job macht.

Das vor wenigen Jahren neu gestaltete Lokal punktet mit lichten Farben und einer interessanten Lichtinstallation an der Decke. Die hölzernen, lasierten Tische bestehen aus ehemaligen Planken und wirken doch keineswegs klobig. Haupttrumpf des Hauses ist und bleibt jedoch der von allen Plätzen aus zu erhaschende Paradeblick auf die Flensburger Förde bis nach Dänemark (mit Sonnenuntergang inklusive). Da besteht schon einmal die Gefahr, dass der Blick recht oft vom Teller abschweift …

Zum Einstieg ins Menü serviert man passend zu diesem Ostersonntag ein goldenes Ei, das mit gestocktem Eigelb und Sherryessig gefüllt ist. Getoppt wird dieser intensive und gelungene Aromenflash mit etwas Kartoffelespuma. Dazu lasse ich mir ein Glas spritzigen Frucht-Secco aus dem Hause Van Nahmen (Apfel – rote Johannisbeere – Himbeere) einschenken. Es folgt ein bildschön drapierter Reigen an Amuses: da wären beispielsweise gelierte Gartenkresse auf einem Brotchip, ein krosses Röllchen mit Ziegenfrischkäse oder Büsumer Krabben auf einem Krabbenchip mit etwas Senfgurkengel obenauf. Allesamt intensive Happen, was hingegen von der seltsam ausdruckslosen und matten Avocadomousse mit Tomate und Sardelle nicht behauptet werden konnte. Als Gruß aus der Küche tischt man ultrafrischen Färöer-Lachs auf, der in einem Gurkensud schwimmend mit etwas Gurkenmousse und Ceta-Kaviar schön in Szene gesetzt wird. Nach diesen Entrées wird schnell klar, dass Fisch und Meeresfrüchte wenig überraschenderweise eine echte Domäne von Dirk Luther sind. Die Brotauswahl offeriert zu gesalzener Butter aus der Normandie immerhin fünf hausgemachte Brotsorten, deren ungewöhnlichste diejenige ist, deren Teig mit Flensburger Bier veredelt wurde. Der geneigte Gast stellt sich sodann aus einer Auswahl von elf Gerichten ein Menü von maximal acht Gängen zusammen, das € 189 kostet.

Der Einstieg mit Hamachi (Gelbflossenmakrele) gerät überzeugend, wenngleich die kreisrund angeordneten Tranchen von einem recht herben Petersilien-Dashisud begleitet werden. Die sparsam dosierte Eigelbcrème federt den Kontrast jedoch wohltuend ab, und der weiße Spargel veredelt das ohnehin schon elegante Gericht nochmals spürbar – die Betriebstemperatur ist erreicht.

Gedämpfte Jakobsmuschel setzt Dirk Luther mit Brunnenkresse, Dillsud und Saiblingskaviar in Szene. Die Gerichte sind oft wesentlich komplexer in der Zubereitung als die bloße Ankündigung vermuten ließe. Der Service muss eine recht beachtliche Gedächtnisleistung abliefern, um den Facetten des Gerichts annähernd gerecht zu werden. Beispielsweise wird dieses frühlingshaft frische Gericht noch zusätzlich mit Zunge vom Seeigel begleitet. Genau wie der erste Gang sehr ordentlich, aber zu diesem Zeitpunkt bin ich dennoch überzeugt, dass der Chef noch mehr auf Lager hat …

… und prompt nimmt die Menüfolge bei Filet von der Seezunge nun richtig Fahrt auf. Das à point gegarte Filet hat genau die richtige Mischung aus Biss und Saftigkeit. Nichts soll dem Hauptdarsteller die Schau stehlen, sodass lediglich eine ungeheuer tiefe Morchelsauce, etwas Zitrone und grüner Spargel die umrahmenden Begleiter in einem sensationellen Gang darstellen.

Auch die bretonische Langustine wird eher puristisch, aber ganz vortrefflich in Szene gesetzt: etwas hinreißende Krustentierjus und Erbsen in dreierlei Form (Sud, geliert und „pur“) reichen schon aus, um diesen Gang in ungeahnte Dimensionen zu hieven – ein ganz starkes Gericht, das vollkommen unverkrampft und durchdacht daherkommt.

Ich bin gespannt, ob nun mit dem Verlassen des maritimen Bereichs die Menüfolge etwas nachlassen wird – tut sie (jedenfalls vorerst) nicht, wie die gebratene Entenstopfleber sogleich beweist. Die mit etwas Gewürzlack ummantelte Leber wird lediglich von Apfel in allen nur denkbaren Texturen begleitet. Des Pudels Kern ist jedoch die Füllung der Leber mit herzhaftem Räucheraal, der eine wunderbare fleischige und an Speck erinnernde Nuance ins Spiel bringt. Zusammen mit dem Lack ergibt dies eine verblüffende Liaison, die der oft nachgesagten Langeweile und Vorhersehbarkeit von Gänseleber-Gerichten entgegen tritt. Glänzend!

Nach diesen drei Krachern gerät das Hauptgericht für meine Begriffe dagegen eher enttäuschend: die Impérial-Taube (Brust und Keule) ist grenzwertig kurz gebraten, und auch die Begleitung mit Sellerie, Buchenpilzen und schwarzem Knoblauch bietet für meine Begriffe eine wenig aussagekräftige und etwas diffus anmutende Begleitung – ein Gang ohne bleibende Eindrücke.

Auch der Käsegang kann mich nicht wirklich überzeugen: selbst wenn der cremige Taleggio ganz ausgezeichnet schmeckt, so wirkt die Komposition mit Bratkartoffelsud, Majoran und Lauch dennoch wie ein Gericht, das sich der geneigte Amateur (jedenfalls mit Ausnahme des Suds) auch bei einem Raclette-Abend zusammenstellen könnte. Der originelle Teller wirkte so, als wollte er von dieser substantiellen Schwäche ablenken. Ist der gute alte Käsewagen ohnehin schon vom Aussterben bedroht, so gilt dies für Käsegerichte erst recht. Die Anzahl überzeugender Käsegerichte in Sterne-Restaurants in meinem ganzen Leben könnte ich immer noch mühelos an zwei Händen abzählen – und auch dieses Exemplar wird keinen Eingang in die kurze Liste finden.

Mit dem Pré-Dessert verlässt die Küche jedoch die Niederungen von Fleisch und Käse, deren Stärke nun einmal beide nicht sind. Ein Kokos-Curry-Eis mit Passionsfruchtsorbet und frischen Früchten punktet mit geschmacklicher Tiefe und komplexem Geschmacksbild.

Ein echter Hingucker ist nochmals das eigentliche Dessert: Dessert von der Rose mit Shisokresse, Himbeere und weißer Schokolade. Hier fährt die Patisserie alle Geschütze auf und offeriert nicht nur ein so schönes Gericht, dass man es kaum zerstören möchte, sondern schafft ein enorm diffiziles und facettenreiches Dessert, das elegant schwankt zwischen der leichten Bitterkeit der Kresse und den süßeren Komponenten, die in einer Vielfalt an Texturen dargeboten werden, dass es die reine Wonne ist. Verblüffend gut!

Wer nach den fünf hausgemachten, exzellenten Petits fours noch nicht genug hat, kann zum Ende noch aus einer dekadenten Auswahl an hausgemachten Pralinen wählen – ich entscheide mich für Tonkabohne, Nougat und Limette.

Sommelier Tim Blaszyk leitet eine aufmerksame und stets präsente Servicetruppe noch recht junger Männer. Mit Charme, Lockerheit und Souveränität wird der Gast zwanglos und leichtfüßig durch den Abend geleitet. Auch Chefkoch Dirk Luther ließ sich kurz an unserem Tisch blicken, wenngleich das Gespräch eher etwas pflichtbewusst als herzlich wirkte. Die Kosten für den Gast bewegen sich in etwa in dem Rahmen, den man bei einem solchen Haus erwarten darf, so dass auch hier keinerlei übertriebene Preispolitik den Abend irgendwie trüben würde.

Die Leistung der Küche überzeugte über weite Strecken an diesem Abend – und doch kommt es nicht ganz von ungefähr, dass der GUSTO jüngst dem Haus vorübergehend eine Pfanne entzog und die Höchstwertung von 10 Pfannen momentan auf 9 Pfannen herabstufte. Speziell das Hauptgericht und der Käsegang ließen doch die ganz große kulinarische Aussage vermissen. Außerdem scheint die klassisch französische Grundhaltung derzeit eher ein wenig in die japanische Richtung abzudriften – mit wechselhaftem Erfolg, da die stilistische Ausrichtung weder in die eine noch in die andere Richtung derzeit komplett ausgereift wirkt. An Highlights mangelte es dem Menü dennoch nicht, und so bleibt dies natürlich ein Jammern auf hohem Niveau. Produktqualität und Zubereitung sind nach wie vor makellos – nur beim Geschmack haperte es hin und wieder ein wenig. Zu den Top 20 von Deutschland zähle ich dieses Lokal allemal, und zu den besten drei von Schleswig-Holstein (zusammen mit dem Söl’ring Hof in Rantum und dem Courtier in Weissenhaus) darf es ebenfalls gezählt werden. Ein Besuch hier lohnt sich also mit Sicherheit, zumal auch die attraktiven Rahmenbedingungen einen Aufenthalt der besonderen Art garantieren.