Samstag, 9. November 2024
Auch wenn er sich in Interviews in erster Linie immer noch als Koch bezeichnet, so ist der Name von Hans-Peter Wodarz doch untrennbar mit der Erlebnisgastronomie in Deutschland verbunden. Heute ist der Name PALAZZO selbst vielen Personen, die sich ansonsten nur wenig oder gar nicht in der Gourmetszene auskennen, ein Begriff, doch bis dahin war es ein weiter Weg.
Wir schreiben den 15. Oktober 1984: zum allerersten Mal verquickt Hans-Peter Wodarz in seinem damaligen Restaurant Die Ente vom Lehel im noblen Grandhotel Nassauer Hof zu Wiesbaden (der Geburtsstadt des Chefs) das Essen mit einem bunten, revue-artigen Programm. Geahnt hatten die Gäste von dem, was auf sie zukommen sollte, nichts, denn im Vorfeld wurde von allen Eingeweihten die größtmögliche Geheimhaltung über Inhalte der spektakulären Darbietung angemahnt. Die atemberaubende Show, die an diesem Abend über die Bühne ging, setzte von Beginn an Maßstäbe – es sollte die Geburtsstunde der Erlebnisgastronomie in Deutschland werden. Fast genau fünf Jahre, nachdem Eckart Witzigmann am 19. November 1979 mit seiner Aubergine als erster Chef die drei illustren Michelin-Sterne nach Deutschland holte, war es seinem ehemaligen Protégé Hans-Peter Wodarz gelungen, seinerseits ein Datum ins kollektive Gedächtnis deutscher Gourmets zu brennen, dessen Wirkung bis heute ungebremst nachhallt. Die Inspektoren des Guide Michelin waren übrigens von diesem neuen Ansatz zunächst weitaus weniger angetan und monierten sogar, dass der Chef schon längst zwei Sterne haben könnte, wenn er nur „den Zirkus bleiben ließe“. Davon unbeeindruckt machte sich Hans-Peter Wodarz daran, seine Idee weiter auszubauen und zu professionalisieren: Anfang der 90er-Jahre hob er die relativ kurzlebige Eventreihe Panem et Circenses aus der Taufe und versuchte sich – letzten Endes erfolglos – auch an ähnlichen Konzepten in den USA. Zurück in Deutschland etablierte er 1996 Pomp Duck and Circumstance und schied zehn Jahre danach als Gesellschafter aus. Seit 2008 gibt es mit PALAZZO nun das Format, das heute noch existiert und untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Die Idee der Erlebnisgastronomie war im Laufe der letzten zwanzig Jahre zwischenzeitlich offenbar so lukrativ, dass selbst Eckart Witzigmann mit einem Format namens BAJAZZO versuchte, auf den Zug aufzuspringen – während dieses Unterfangen jedoch im Jahre 2007 Konkurs anmelden musste, erfreut sich das Original weiter eines ungebrochenen oder gar steigenden Interesses durch die Gäste.
Heuer startet das Erfolgsrezept PALAZZO in seine inzwischen 16. Saison: für die Premiere ist ein großer Bahnhof angesagt, denn wenn HPW (wie er von fast allen ausschließlich genannt wird) ruft, dann finden sich unter den mehr als 300 geladenen Gästen jede Menge mehr oder weniger bekannter Promis wie Kader Loth, Maren Gilzer oder Julian Stoeckel – kein Wunder, dass auch mindestens ein Dutzend Reporter von einschlägigen Magazinen die illustren Gäste umschwirren und ihre Eindrücke im Blitzlichtgewitter festhalten. Meine Wenigkeit begnügte sich mit einem Promi, dessen Schaffen ich praktisch schon von Anbeginn verfolge …
Oliver Kalkofe durfte mir natürlich nicht durch die Lappen gehen!
Da die Premiere diesmal exakt auf den 35. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer gelegt wurde, findet sich auch jede Menge Politprominenz unter den Gästen – darunter die ehemaligen Regierenden Berliner Bürgermeister Walter Momper, Klaus Wowereit, Franziska Giffey und Michael Müller. Erstgenannter wird sogar von den Gastgebern gebeten, seine Eindrücke von jenem Schicksalstag als damaliger Regierender Bürgermeister dem Publikum zu präsentieren, so dass die gebührende Würdigung jenes unvergessenen Tages auch während dieser ausgelassenen Veranstaltung in Erinnerung gerufen wird. Der bemerkenswerteste Gast des Abends ist jedoch ohne jede Frage die 103-jährige Überlebende des Holocaust, Margot Friedländer. Trotz ihres biblischen Alters ist die rüstige Dame bei glasklarem Verstand und nutzt auch weiterhin jede Gelegenheit, politische Aufklärungsarbeit jedweder Art zu leisten. Ihr Geburtstag wenige Tage zuvor bringt ihr nicht nur die Ovationen des Publikums, sondern auch eine Geburtstagstorte ein, die von Edmond Becker, einem engen Freund von Hans-Peter Wodarz, in Auftrag gegeben wurde. Wenige Tage zuvor hatte der umtriebige Betreiber des Falkenseer Restaurants Hexenhaus in Potsdam nicht nur das ehemalige Promi-Restaurant Zum Starstecher wiederbelebt, sondern auch gleich das angrenzende Café nebenan zu neuem Leben erweckt. Da bot es sich freilich an, die Torte gleich dort anfertigen zu lassen, zumal die junge Konditorin Miriam Tews – wovon wir uns tags darauf persönlich vor Ort überzeugen konnten – eine wahre Meisterin ihrer Disziplin ist.
Das Hauptaugenmerk des Abends liegt freilich auf der fulminanten Show namens Unikate, welche einzigartige Nummern ohne Kohärenz aneinander reiht und verdeutlicht, dass jede Performance hier auf ihre Art außergewöhnlich ist. Das Renommée der Veranstaltung muss überaus beachtlich sein, denn die Künstler, die bereit sind, hier aufzutreten, stehen inzwischen regelrecht Schlange und bewerben sich offenbar schon in Castings, darauf hoffend, einen Platz zu ergattern. So versammeln die Organisatoren angesichts der großen Auswahl letztlich fast mühelos eine internationale Truppe an Darstellern und Akrobaten von absolutem Weltklasseformat: trotz der spärlich bemessenen Manege im Spiegelpalast nahe dem Bahnhof Zoologischer Garten reicht der Raum aus, um dem staunenden Publikum einen überaus bunten Strauß an unterschiedlichsten Darbietungen zu präsentieren. Dabei kommen akrobatische Auftritte, welche die Schwerkraft regelrecht zu verleugnen scheinen, genauso zu ihrem Recht wie etwa Balanceakte, Jonglage, Stepptanz und Bauchreden. Praktisch während des ganzen Abends (selbst beim Essen) wird die glänzende Show live musikalisch untermalt, so dass nicht mal der leiseste Anflug von Langeweile aufkommen kann. Offizielle Bilder der Darbietungen finden sich anderswo im Internet zuhauf, weshalb ich hier im Sinne der Spannung darauf verzichte, diese zum ungezählten Mal zu reproduzieren. Aufregender ist es jedenfalls, wenn man nicht gleich weiß, was alles auf einen zukommt – so erging es auch dem Schreiberling dieser Zeilen, der nichtsahnend und unfreiwillig ein Teil der letzten Nummer des Abends werden sollte. Verraten sei über die Art des Auftritts nichts, aber dem Vernehmen nach hat er seine Rolle so souverän gemeistert, dass die Organisatoren im Anschluss wiederholt von Gästen gefragt worden sein sollen, ob „der auch gecastet“ gewesen sei! Ja, auch ich hatte meinen Spaß an diesem Abend …
Kommen wir noch zum Essen: nach der Schließung seines damaligen Restaurants VAU suchte der allseits bekannte Chef Kolja Kleeberg eine neue Herausforderung und wirbt seit 2017 an der Seite von HPW mit seinem Namen für die Veranstaltung. An der Gestaltung des italienisch geprägten Essens ist er natürlich maßgeblich beteiligt und erläutert dieses dem Publikum vorab in groben Zügen. Dass insgesamt jeweils ca. 360 Teller des aktuellen Gangs im Zwei-Sekunden-Takt von den Servicemitarbeitern am Pass abgeholt werden, ist dagegen nur der Infobroschüre am Tisch zu entnehmen – ein Umstand, der einem gehörigen Respekt abnötigt und zugleich anschaulich macht, warum das Essen schwerlich mit konventionellen Maßstäben in einem Sternelokal zu bewerten ist. Die gigantische Logistik hinter einem solchen bis ins Detail getakteten Ablauf erweist sich natürlich als minutiös ausgetüftelt und setzt der Küchenbrigade naturgemäß bestimmte Grenzen. Dennoch sei angemerkt, dass kein Geringerer als der heutige Drei-Sterne-Koch und absolute Ausnahmekönner Jan Hartwig vor zwanzig Jahren auch schon mal für eine Saison hier am Herd stand und die Erfahrung in einer solch großen Küche bis heute als wertvoll einschätzt. Aufgrund der farbigen Scheinwerfer fällt die Beleuchtung des Essens nicht immer zu dessen Vorteil aus, aber für einen flüchtigen Eindruck sollte es reichen.
Los geht es mit einem buntem Linsen-Brotsalat mit confierter Tomate, frischen Kräutern und marinierten Austernpilzen. Das hat durchaus Stil und betont dank recht knackiger Hülsenfrüchte die verschiedenen Konsistenzen auf dem Teller – ein bekömmlicher, leichter und gelungener Start.
Das „Risotto“ ist (auch von den Veranstaltern) in Anführungsstrichen gesetzt, weil es in Wirklichkeit nicht aus Reis, sondern aus Fregola sarda besteht – jene Pastasorte, die in Sardinien oft so lange gewälzt wird, bis sie die charakteristische winzige Kugelform annimmt. Zusammen mit Spinat und sautierten Garnelen in Krustentierschaum wird daraus ein Gericht, das dank eines Schusses an Orange die Sinne stärker als erwartet schärft.
Zum Hauptgang gibt es – na klar – Ente, denn dieses Geflügel begleitet HPW schließlich schon sein ganzes Leben lang! Die mustergültig confierte Entenkeule an Balsamico-Jus wird zusammen mit überbackenen Polentatalern und Wurzelgemüse präsentiert, wobei die für die Präsentation unerlässlichen silbernen Cloches mit dem zu einer Ente geformten Griff einen netten Clou für besonders aufmerksame Gäste darstellen.
Das relativ biedere Tiramisu „PALAZZO“ wird durch zwei Löffel an Senfsaat interessant, aber auch einigermaßen kontrovers begleitet – Erdbeeren und Mascarponeeis stellen hingegen eher konventionelle und verlässliche Begleiter für konservative Esser dar.
Alles in allem bewegt sich das Essen weitgehend an der oberen Grenze dessen, was angesichts der immensen Anforderungen an einem solchen Abend machbar erscheint. Der Fokus der meisten Gäste dürfte eher auf das Programm als auf das Essen gerichtet sein, doch für die Mehrzahl der Besucher in der Saison dürften die Darbietungen auf den Tellern immer noch deutlich besser sein als das, was sie sich sonst so in kulinarischer Hinsicht gönnen. Nur wer mit der falschen Erwartungshaltung herangeht, etwa in Stuttgart aufgrund der Vita von Harald Wohlfahrt ein Menü auf Drei-Sterne-Niveau vorgesetzt zu bekommen, dürfte ernsthaft enttäuscht werden. Ansonsten greift hier das bewährte Wodarz’sche Motto: Ente gut, alles gut!
Das Fazit fällt somit eindeutig aus: das Konzept hinter PALAZZO ist fraglos tragfähiger denn je. Auch nach sechzehn Jahren zeigt das Unterfangen keinerlei Verschleißerscheinungen und expandiert im Gegenteil sogar noch: so findet man inzwischen in Hamburg, Nürnberg, Stuttgart und Wien weitere Ableger des Konzepts. Dort werben übrigens in Form von Cornelia Poletto, Alexander Herrmann, Harald Wohlfahrt und Toni Mörwald ähnlich renommierte und bekannte Chefs mit ihrem Namen für die schillernde Eventreihe. In Berlin erfreut sie sich gar solcher Beliebtheit, dass für dieses Kalenderjahr inzwischen keine Tickets mehr verfügbar sind! Wer die Show also erleben möchte, der hat im neuen Jahr noch bis zum 9. März Zeit dafür. Die Preise weichen je nach Kategorie etwas voneinander ab: so werden für eine Loge mindestens € 99 pro Kopf fällig, während ein Platz vorne an der Manege mit mindestens € 150 zu Buche schlägt. Gemessen an der Qualität des Essens und den Darbietungen während der Show von dreieinhalb Stunden Dauer sind diese Preise jedoch absolut gerechtfertigt.
Mir bleibt nur noch, stellvertretend in Form von Kolja Kleeberg und natürlich Hans-Peter Wodarz den Organisatoren der durchweg professionellen Veranstaltung zu danken. Die Teilnahme an der Premiere, die durch das Foto mit den Machern gekrönt wurde, war mir ein echtes Privileg, das ich mit Sicherheit nicht so schnell vergessen werde!
Kolja Kleeberg, Hans-Peter Wodarz und der Autor dieser Zeilen