Wenn bei einem Open eine Partie zwischen zwei Spielern bestritten wird, die nicht an den vorderen Brettern ausgefochten wird, dann muss schon etwas höchst Außergewöhnliches passieren, damit solch ein Duell überhaupt etwas Aufmerksamkeit erlangt. Bei dieser Partie zwischen dem bekannten Meister Emil Josef Diemer und dem „unbeschriebenen Blatt“ Fro Trommsdorf wurde von Schwarz (am Zug) ein Zug gespielt, der meines Erachtens zu den zehn besten aller Zeiten gehören könnte. Eine genaue Erläuterung dieses hochkomplexen und wahrlich atemberaubenden Beispiels finden Sie unter Beitrag Nr. 145.
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Bobby Fischer war nach seinem sensationellen Triumph über Boris Spassky in Reykjavik 1972 praktisch spurlos von der Bildfläche verschwunden und überließ die Weltbühne des Schach einem anderen, der die nächsten Jahre wie kein anderer dominieren sollte: Anatoli Karpov. Nach dem Schock des verlorenen WM-Titels schien im sowjetischen Schach somit nach Karpovs kampfloser Machtübernahme 1975 wieder allmählich alles in Ordnung, doch Viktor Korchnois Bruch mit der Sowjetunion 1976 verdeutlichte, dass die tiefen Risse nicht mehr zu kitten waren und sich allmählich immer mehr Widerstand gegen die rigide Politik des Politbüros regte. Selbstverständlich brachte jedoch auch diese unruhige Zeit im Weltschach wieder einige unvergessliche Momente hervor, die hier versammelt sind. Teil 4 der Serie widmet sich der Zeit bis zu Korchnois radikalem Schritt.
121. Spassky – Korchnoi, Kandidatenfinale, 7. Partie, Kiew 1968
Stellung nach dem 25. Zug von Schwarz
In dieser Stellung traf Boris Spassky eine berühmte Entscheidung, die alle anwesenden Zuschauer total verblüffte. Diese hatten vermutlich so etwas wie 26. Sc3-d5 erwartet, doch nach 26… De7-e6! 27. Dc6-a4 Sc7-b5 nebst Springerwanderung nach d4 hätte eher Schwarz seine gelockerte Stellung verbessert.
Stattdessen spielte Spassky den stoischen Zug 26. Dc6-b6!!, der die Verteidigung 26… De7-e6 wegen des nun möglichen 27. Le3xc5 einfach aus der Stellung nimmt. Nach 26… c5-c4 plante Spassky, seine Initiative mit 27. Db6-b8 nebst 28. Td1-d8 weiter auszubauen. In der Partie spielte Korchnoi 26… Kg8-g7, doch nach 27. Sc3-d5 De7-e6 (auch 27… Sc7xd5 28. Td1xd5 c5-c4 würde nach dem einfachen 29. Db6xa6 längst nicht alle Probleme lösen) 28. Le3xc5 hatte Spassky unter günstigen Umständen einen Bauer gewonnen. Das Finale dieser Partie finden Sie übrigens in der Rubrik 100 berühmte Damenzüge als Beitrag Nr. 24 – Spassky siegte im 35. Zug.
Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Partie ist jedoch das unscheinbare Detail, das Spassky mit seinem 26. Zug entdeckte und zu seinen Gunsten ausnutzte. Alexander Kotov widmet in seinem Klassiker Denke wie ein Großmeister dieser Partie eine ausführliche Würdigung.
122. Gufeld – Tarve, Tallinn 1969
Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz
Bevor wir genauer unter die Lupe nehmen, was Großmeister Eduard Gufeld tatsächlich in dieser Stellung spielte, schauen wir uns die naheliegende Alternative an: mit 15. a2xb3 hätte Weiß eine spielbare Stellung erhalten, denn nach 15… f7-f6 erhielte Weiß die Zeit, um auf c7 zu nehmen und den geopferten Bauer mit guter Stellung zurückzugewinnen. Alternativ würde 15… c7-c6 Weiß die Gelegenheit bieten, hier 16. Sd5-f6+! zu ziehen und nach 16… g7xf6 17. Lg5xf6 Sf5-g7 die Figur mit 18. Th1-h3 zurückzugewinnen, da Schwarz gegen den Turmschwenk nach g3 wehrlos ist. Es hätte also an sich keine Notwendigkeit bestanden, von 15. a2xb3 Abstand zu nehmen.
Gufeld hatte diese Stellung allerdings nicht deswegen angestrebt, sondern um eine Idee zu präsentieren, bei der selbst aus heutiger Sicht der Wunsch nach Schönheit offenbar triumphiert. Letzteres war stets eine Stärke Gufelds, doch die Schockwirkung des Zuges 15. Sd5-f6+! ist nicht zu unterschätzen – vielleicht hatte ihn Gufelds Gegner, der lettische und mit nur 44 Jahren verstorbene lettische Meister Udo Tarve, gar nicht auf dem Schirm. Nach der erzwungenen Zugfolge 15… g7xf6 16. Lg5xf6 Sf5-g7 17. a2xb3 Tf8-e8 spielte Eduard Gufeld 18. g2-g4! – die naheliegendere Option 18. Ta1-a4?! kann Schwarz mit dem starken 18… e5-e4! 19. d3xe4 d7-d6 20. e4-e5 Te8xe5+! 21. Lf6xe5 d6xe5 22. Ta4-h4 Kg8-f8 22. Th4-h8+ Kf8-e7 23. Th8-g8 Sg7-e8 24. Th1-h5 Se8-f6 zu seinen Gunsten entkräften, obwohl die Stellung verworren bleibt. Zurück zur Partie: nach Tarves 18… Te8-e6 spielte Weiß 19. g4-g5 und stellte damit die langsame Drohung Ke1-e2, f2-f3 und Verdopplung der Türme auf der h-Linie auf. Tatsächlich unterbreiten die Engines schon Vorschläge wie 19… Te6-a6 20. Ta1-c1 Ta6xf6 21. g5xf6 Sg7-e6, worauf Weiß aber mit 22. Ke1-d2 Se6-f4 23. Tc1-g1+ Sf4-g6 24. Th1-h5 immer noch mindestens ein Remis haben sollte. Tarve spielte in der Partie jedenfalls 19… b7-b6 und verlor im 26. Zug.
Auch wenn eine endgültige Beurteilung schwerfällt, so kann man wohl davon ausgehen, dass Weiß immer ein Remis in der Tasche hat und die psychologische Wirkung auf Schwarz das ungewöhnliche Opfer sicherlich rechtfertigt.
123. Portisch – Radulov, Budapest 1969
Stellung nach dem 29. Zug von Schwarz
Es gibt in Stonewall-Strukturen (schwarze Bauern auf c6,d5,e6 und f5) einen bestimmten weißen Zug, der ganz selten aufs Brett kommt, weil er so schwer durchzusetzen ist. Wenn es aber doch einmal gelingt, den thematischen Zug straffrei durchzusetzen, dann steht Schwarz in der Regel auf Verlust. Was in der Partie Grohmann – Engels, Aachen 1934 (Beitrag Nr. 48 in dieser Serie) bei vergleichbarer Struktur prächtig funktionierte, klappt auch hier: Lajos Portisch ersann hier den Sprengzug 30. e2-e4!!. Schwarz muss das Opfer beachten, denn Weiß droht mit dem Schlagen auf f5. Die Antwort 30… d5xe4? scheidet wegen 31. d4-d5! mit Durchbruch aus, während die Alternative 30… f5xe4? wegen 31. Lg2-h3! noch schlechter wäre. Radulov versuchte daher noch 30… Db7xb6, doch 31. e4xf5 Db6-a7 32. Dd6xe6+ Kf7-f8 33. Lg2xd5! c6xd5 34. Tb1xb5 Ta4xd4 35. De6-c8+ veranlasste ihn, die Uhr abzustellen.
Der verhältnismäßig beste Zug ist 30… Lb5-d3, doch nach 31. e4xd5! c6xd5 32. Tb1-c1 Ld3-c4 kann Weiß seinen Angriff in aller Ruhe mit 33. Lg2-f3 vorbereiten, da Schwarz kaum noch plausible Züge hat. Mit anderen Worten: Portischs Opferzug erweist sich in allen Varianten als korrekt und als effektivster Weg, Fortschritte zu erzielen. Man merke sich daher diesen thematischen Sprengzug, der in bestimmten Stonewall-Sturkturen ungeheuer stark sein kann!
124. Mecking – Cavilhas Rocha, Mar del Plata 1969
Stellung nach dem 15. Zug von Schwarz
Die schwarze Stellung sieht angesichts der rückständigen Entwicklung nicht nur verdächtig aus, sondern erweist sich als praktisch verloren, wenn Weiß richtig fortsetzt. Der brasilianische Großmeister Henrique Mecking wurde dieser Anforderung mit 16. Td1xd7!! vollauf gerecht. Nach 16… Ke8xd7 17. Sc4xb6+ Dc5xb6 (nicht besser ist 17… c7xb6 18. Db3xf7+ Kd7-c8 19. Ta1-d1 mit Gewinn, da 19… Th8-d8? an 20. Td1xd8+ Kc8xd8 21. Df7-g8+ scheitert) 18. Db3xf7+ Kd7-c8 hatte Weiß zwar eine Qualität eingebüßt, doch nach 19. Sf3xe5 hat er als Ersatz nicht nur zwei Bauern, sondern eine kerngesunde Bauernstruktur und aktives Spiel auf der 7. Reihe. Schwarz hätte hier die freudlose Angelegenheit mit 19… Kc8-b7 in die Länge ziehen können, zog es aber vor, mit 19… Db6xb2? Gegenspiel zu suchen oder eben mit wehenden Fahnen unterzugehen. Letzteres war der Fall nach 20. De7-d7+ Kc8-b8 21. Dd7-d1! Db2xc3 22. Ta1-b1+ Kb8-a7, denn die sehenswerte Kombination 23. Dd1-d4+! Dc3xd4 24. Se5xc6#! setzte der Partie die Krone auf.
125. Osnos – Yuchtman, Volgograd 1969
Stellung nach dem 34. Zug von Weiß
Vermutlich war Weiß in dieser Stellung noch ganz guter Dinge: sein König steht zwar recht exponiert, aber durch die Fesselung des schwarzen Turms wird er eine Qualität gewinnen und danach ordentlich stehen. Diese Überlegungen hätten sich als richtig erweisen können, wenn Schwarz hier nicht den spektakulären Verstellungszug 34… Lf4-e3!! gefunden hätte. Der Läufer hängt dreifach, doch die Drohungen gegen f1 und e4 entscheiden die Partie zugunsten des Nachziehenden. Weiß gab sofort auf, denn 35. Tf1xf7 Dg6xe4+ 36. De2-g2 Tf8xf7! 36. Le8xf7 hilft ihm wegen 36… De4-d3! 37. Lc1xe3 Dd3xe3 mit baldigem Matt nicht. Auch 35. Le8xf7 erwiese sich nach 35… Dg6xe4+ 36. De2-g2 De4-d3! 37. Lc1xe3 Dd3xe3 als nur marginal besser, da die unparierbare Drohung 38… Kh8-g7 wie ein Damoklesschwert über der weißen Stellung schwebt und auch 38. Lf7xh5 Tf8xf1+ 39. Dg2xf1 De3-e4+ 40. Df1-g2 De4-e1+ zum Matt führt. Immerhin hatte Weiß Stil bewiesen und mit der berechtigten Aufgabe der Partie den Schlusszug gewürdigt.
126. Planinc – Marangunic, Novi Travnik 1969
Stellung nach dem 16. Zug von Schwarz
Der furchterregende Aufmarsch der weißen Schwerfiguren auf den offenen Linien am Königsflügel lässt einen durchaus so manches Opfer in Erwägung ziehen, doch nur eines davon, das man zudem kaum berücksichtigt, funktioniert. Albin Planinc spielte hier allen Ernstes den unfassbaren Gewinnzug 17. Dh6xg6!! und bewies nach 17… h7xg6 18. Tg1xg6, dass er alles richtig berechnet hatte. Da nun 18… Kh8-h7?? an dem stoischen 19. e4xf5! mit sofortigem Gewinn für Weiß scheitern würde, musste sich Schwarz wohl oder übel auf das forcierte Abspiel 18… Sf7-h6 19. Th1xh5 Tf8-f7 20. Tg6xh6+! Kh8-g7 21. Th6-h7+ einlassen. Nun würde Weiß nach 21… Kg7-g6 22. Th5-h6+ Kg6-g5 23. f3-f4+! Kg5xf4 24. Th7xf7 nicht nur mehr als genug Material für die Dame bekommen, sondern auch gewinnbringenden Angriff behalten. Marangunic zog daher notgedrungen 21… Kg7-g8 und musste nach 22. Th7-h8+ seine Dame ebenfalls preisgeben. Weiß verwertete seinen Vorteil mit etwas Mühe im 48. Zug.
Welch ein unglaubliches Damenopfer!
127. Taimanov – Larsen, Vinkovci 1970
Stellung nach dem 14. Zug von Weiß
In dieser wenig aufregend anmutenen Stellung spielte der stets kreative und risikofreudige Bent Larsen aus heiterem Himmel einen Zug wie er nicht typischer für ihn sein könnte: 14… g7-g5!. Die allermeisten Spieler hätten diesen Zug wohl nicht einmal gefunden – und falls doch, dann ihn nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Ob Sie es nun glauben oder nicht: moderne Engines bezeichnen diesen Zug allerdings als die stärkste Wahl in dieser Stellung! Natürlich würde unter normalen Umständen eine derart verhängnisvoll anmutende, freiwillige Schwächung der eigenen Königsfestung gravierende Konsequenzen nach sich ziehen – und so verwundert es kaum, dass Taimanov nie und nimmer mit diesem anfängerhaft anmutenden Zug rechnen konnte. Zur Ehrenrettung von Anfängern sei ergänzt, dass der Bauer ohnehin „hängt“ und dieser Zug damit nicht infrage gekommen wäre. Larsen bringt diesen Zug aber zum Funktionieren, denn Weiß hinkt in der Entwicklung zurück, kann somit den Vorstoß nicht bestrafen und muss bei genauerem Hinsehen tatsächlich selbst eine recht unangenehme Wahl treffen. Das zweifache Schlagen des Bauern würde umgehend wegen 16… d5-d4! mit einem Doppelangriff verlieren, aber sollte Weiß nicht etwa in der Lage sein, von Materialgewinn einfach abzusehen und Larsens Dreistigkeit rein positionell zu bestrafen?!
Tatsächlich liegen die Dinge nicht so einfach, denn nach der zu erwartenden Partiefortsetzung 15. Lf4-g3 g5-g4 16. Sf3-d4?! Le7-g5 war Weiß nicht nur weit davon entfernt, Larsens Kühnheit zu bestrafen, sondern sah sich im Gegenteil selbst mit der Drohung eines Turmschachs auf e8 bei gleichzeitiger Bedrohung seines eigenen Turms konfrontiert. Taimanov rochierte hier und unterlag später im 34. Zug, wobei die berühmte Stellung in dieser Partie nach dem 23. Zug von Weiß auch schon als Beitrag Nr. 29 in 100 berühmte Läuferzüge zu finden war. Kritischer wäre übrigens 16. Sf3-e5! gewesen, doch auch dann bliebe Larsens Zug nach der sehr starken Folge 16… d5-d4! 17. Se5xc6 b7xc6 18. Db3-a4 (nicht 18. e3xd4? wegen 18… Lc8-a6!) spielbar, was übrigens auch auf 17. e3xd4! Sc6xd4 18. Db3-d5 mit unklarer Stellung zuträfe. Eine bessere Fortsetzung hatte Taimanov wohl nicht, so dass Larsens Zug jedenfalls nicht zu widerlegen war. Dass die Wirkung eines solchen Schocks wie nach 14… g7-g5! selbst an einem so erfahrenen und starken Spieler wie Taimanov nicht spurlos vorbei geht, zeigt doch, dass Mut immer wieder belohnt wird!
128. Ostapenko – Kurkin, Sowjetunion 1970
Stellung nach dem 18. Zug von Schwarz
Wer auch immer dieser Weißspieler gewesen sein mag – sein Beitrag schaffte es damals sogar in den Informator und hätte fast den Preis für die beste Partie des vergangenen Bandes gewonnen! Leider zählten bei der Kür des Gewinners oft die Namen der Spieler und deren Spielstärke oftmals die bedeutendere Rolle, denn ansonsten hätte dieses Finale furioso allemal gewinnen können. Jedenfalls entdeckte der Weißspieler hier den Zug 19. e5-e6!! und ließ ungerührt seine Dame hängen! Nach dem erzwungenen 19… g7xh6 20. g5xh6+ Kg8-f8 21. Td1-f1 konnte Weiß vermutlich nicht alle Varianten bis ins letzte Detail berechnen, aber eine moderne Analyse bestätigt jedenfalls, dass der Anziehende in der Tat auf Gewinn steht. So hätte Weiß ja nach der Verteidigung 21… Lc6-e8 notfalls einen halben Punkt sicher, falls er nach 22. Ld4-g7+ Kf8-g8 die Pointe 23. Le2-h5! nicht finden sollte. Die Varianten erfordern allerdings große Genauigkeit von Weiß, denn Abspiele wie 23… f7-f6 24. Lh5xe8 Tc8xe8 25. Lg7xf6+ Kg8-f8 26. Lf6-d4+ müssen auch erst einmal gefunden werden.
Der Schwarzspieler verteidigte sich stattdessen mit 21… Le7-g5+ 22. Tg2xg5, was gegen ungenaue Angriffsführung durchaus auch Chancen auf Rettung geboten hätte. Nach 22… Tc8-c7 23. Ld4-g7+ Kf8-e8 24. e6xf7+ Ke8-d7 25. Le2-g4+ Kd7-e7 26. Lg7-f6+ Ke7-f8 (oder 26… Ke7xf7 27. Lf6-d8+! mit Matt im nächsten Zug) 27. Tg5-g8+ Kf8xf7 28. Tg8-g7+ Kf7-e8 hätte das sehenswerte 29. Lg5-e7! zu einem Matt in zwei Zügen geführt, aber Ostapenkos 29. Lg4-h5+ reichte nach 29… Tc7-f7 30. Tg7xf7 ebenfalls aus, um die Aufgabe zu erzwingen.
Ein solcher Angriffswirbel gelingt einem auch nur einmal im Leben – sollte man meinen, denn in einer Fernpartie ein Jahr zuvor spielte Ostapenko gegen einen gewissen Yartsev ein genauso sehenswertes doppeltes Turmopfer aus heiterem Himmel.
129. Fischer – Matulovic, Palma de Mallorca 1970
Stellung nach dem 14. Zug von Schwarz
Selbst ein Bobby Fischer konnte in ganz seltenen Fällen mal die Eröffnung misshandeln. Weshalb er hier gegen den jugoslawischen Großmeister Matulovic die Partie völlig untypisch für ihn mit dem Rossolimo-Sizilianer eröffnete (1. e2-e4 c7-c5 2. Sg1-f3 Sb8-c6 3. Lf1-b5) anstatt seine geliebten Stellungen im offenen Sizilianer mit 3. d2-d4 anzustreben, dürfte nur er selbst gewusst haben. Jedenfalls nimmt er in dieser Stellung eine Position ein, deren einziger Trost in einem Mehrbauer besteht, der allerdings auch nicht mehr lange bestehen wird. Die weiße Entwicklung ist völlig rückständig, so dass Schwarz klaren Vorteil haben sollte. In dieser prekären Situation zog Fischer 15. f2-f4!! und bot Schwarz seinen Turm an. Nach 15… Sd3-f2+ 16. Kd1-e2 Sf2xh1 geschieht allerdings 17. d2-d4, was das einst so labile weiße Zentrum plötzlich zementiert. Da der Nachziehende auf jeden Fall nach Zügen wie Lc1-e3 und Sb1-d2 den gestrandeten Eckspringer verlieren würde, hätte Weiß angesichts seines starken Zentrums ordentlich Kompensation. Das Nehmen des Bauern mit 15… Sd3xf4 würde das überraschende 16. d2-d4! gestatten, da weder die Varianten 16… Sf4-d3?! 17. Kd1-e2 noch 16… Sf4xg2? 17. h2-h4! nebst 18. Th1-h2! überzeugen können. Selbstverständlich kann Schwarz den Springer stattdessen nach e6 ziehen, aber Vorteil hat er definitiv danach keinen mehr.
Matulovic wählte daher 15… Lg7-h6, worauf die Partie mit 16. Kd1-c2 Sd3xc1 17. Th1-e1! fortgesetzt wurde. Nach 17… 0-0-0 18. Kc2xc1 Lh6xf4 19. g2-g3 Lf4-h6 20. Kc1xc2 Td8-d5 zog Fischer 21. b2-b4 (von 21. d2-d4 sah er wohl wegen 21… c6-c5 ab), worauf die Partie schließlich im 60. Zug remis endete. Schwarz dürfte sich tüchtig geärgert haben, dass er trotz seiner guten Stellung nur unentschieden spielte – allerdings galt Fischer als einer der hartnäckigsten Verteidiger überhaupt. Dieser Umstand wird ganz gerne übersehen, da er nur selten in solch eine Lage geriet, aber wer beispielsweise die berühmte 1. Partie seines Kandidatenfinales gegen Petrosian (Buenos Aires 1971) nachspielt, kann sich gerne vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage überzeugen. Es ist ähnlich wie im Fussball: mit starken Angriffen gewinnt man einzelne Partien, mit starker Verteidigung gewinnt man Turniere!
130. Fox – Timman, Islington 1970
Stellung nach dem 15. Zug von Weiß
In dieser Stellung machte der junge Jan Timman mit Hilfe eines Damenopfers kurzen Prozess. Er spielte hier nämlich 15… Sc3xe2!! und profitierte dabei unter anderem von dem Umstand, dass 16. Sd4xe2 an 16… Da5-d5! mit sofortigem Zusammenbruch scheitert. Nach 17. c4xd5 Tc8xc2 würde Weiß an seiner ungelenken Figurenkoordination sofort zugrunde gehen, da die Fesselung des Springers sowie das einladende Loch auf f3 rasch klare Verhältnisse schaffen. Terry Fox musste also mit 16. Ld2xa5 Se2xd4 17. Dc2-b2 fortsetzen und schickte seinen armen König nach 17… Tc8xc4 18. Kf1-g2 La6-b7+ 19. Kg2-h3 Se5-d3! 20. Db2-d2 Se5-f3 21. Dd2-e3 Sf3-g5+ ins Verderben. Angesichts des Matts im nächsten Zug gab Weiß auf.
131. Spassky – Donner, Oegstgeest 1970
Stellung nach dem 20. Zug von Schwarz
Viele Spieler hätten hier vermutlich über das einfache 21. Kc1-b1 nachgedacht, um Schwarz erst gar keine Schwindelchancen in Verbindung mit e6-e5 zu geben. Spassky fand aber einen noch sträkeren Weg, seine Stellung zu verbessern, indem er eine der faszinierendsten Umgruppierungen einleitete, die ich kenne: er spielte hier 21. Lh3-f1!! und drohte mit der Überführung seines Läufers nach c4, wo er unzweifelhaft besser steht als auf h3. Im Falle von 21… e6-e5? könnte Weiß nun einfach 22. b2-b3! antworten und dank der erneuten Drohung einer Fesselung klaren Vorteil behalten. Jan Donner zog stattdessen 21… Td8-d6 und erlaubte sich nach 22. Lf1-c4 den schweren Patzer 22… Ta8-d8?, der – wohl oder übel – durch das positionell wenig wünschenswerte, aber erzwungene 22… f6-f5 hätte ersetzt werden müssen. Das Druckspiel gegen e6 ist natürlich viel wichtiger als der Bauer auf d4, weshalb Spassky konsequent mit 23. f4-f5! fortsetzte und nach 23… Td6xd4 24. f5xe6 Td4xd1+ (oder 24… Df7-e7 25. Df3-a3!) schnell mit 25. Te1xd1 Td8xd1+ 26. Df3xd1 gewann. Donner gab auf, denn 26… Sf8xe6 scheitert an 27. Dd1-d6, während 26… Df7-e7 viel spektakulärer mit 27. Dd1-d8!! widerlegt wird.
Schade, dass der Niederländer Spassky diesen Knalleffekt nicht mehr zugestand!
132. Tukmakov – Korchnoi, Riga 1970
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
Die wohl beste Partie seines Lebens gelang Großmeister Vladimir Tukmakov gegen Viktor Korchnoi. Hier spielte Weiß nämlich 20. Ld3-g6!!, musste dabei aber vorhersehen, dass sein Zug nach der zu erwartenden Antwort 20… Ld7-e8 mehr als nur ein nutzloser Einfall „für die Galerie“ war. Dies unterstrich Weiß mit der Fortsetzung 21. Dd2xh6!!, die den vorausgegangenen Zug rechtfertigt. Die Dame ist wegen Matts tabu (jetzt ist das Feld e8 nämlich verstopft!), und die Option 21… f7xg6 22. Dh6-h8+ Sf6-g8 23. Sc3xd5 kommt für Schwarz kaum infrage.
Korchnoi setzte den Widerstand fort mit 21… De7-b4 22. Dh6-h8+ Kf8-e7 23. Dh8xg7 Db4xd4 und hielt noch bis zum 41. Zug durch, ehe er verlor. Tukmakov spielte in dieser Stellung nämlich das suboptimale 24. Se5-d3?! und verschenkte damit einen beträchtlichen Teil seines Vorteils. Effektiver, aber nicht unbedingt einfacher zu finden war das sehr viel bessere 24. Se5-f3! Dd4-b4 25. Lg6xf7 Le8xf7 26. Sf3-e5 Td8-f8 27. Sc3xd5+ Sf6xd5 28. Lc1-h6 Ke7-e8 29. Se5xf7. Es ist gut möglich, dass Tukmakov bereits frühzeitig in Zeitnot geraten war und nach seiner spektakulären Abwicklung etwas nachließ, aber dennoch sicher genug gewann. Jedenfalls hat man nicht alle Tage zwei gleichzeitig hängende Figuren nebeneinander auf der 6. Reihe stehen!
133. Fischer – Schweber, Buenos Aires 1970
Stellung nach dem 22. Zug von Schwarz
Einen der berühmtesten Zwischenzüge aller Zeiten ersann Bobby Fischer, als er in dieser Stellung zunächst mit 23. Te3xe4!! fortsetzte. Da Weiß nun mit einem Läuferspieß auf f4 droht, ist die schwarze Antwort 23… Dc7xg3 zwar erzwungen, aber offenbar auch gut. Es scheint, als hätte Weiß soeben die Partie mit einem Patzer weggeworfen, denn was soll Weiß jetzt tun? Die Antwort lautet 24. Te4xd4!!, was den Umstand ausbeutet, dass die schwarze Dame keinen Rückzug zur Verfügung hat. Rückzüge entlang der Diagonale beantwortet Weiß mit dem Läuferzug nach f4, so dass Schweber nichts anderes übrig blieb, als seine Dame möglichst teuer mit 24… Dg3-g4 zu verkaufen. Zwar hat Schwarz nach 25. Td4xg4 Ld7xg4 26. Ld3xg6 vorübergehend eine Qualität mehr, aber der starke weiße Freibauer wird ihn absehbarerweise einen Turm gegen eine Leichtfigur kosten. Schweber setzte fort mit 26… Th8-g8, was Fischer mit 27. Lg6-h7 Tg8-h8 28. Lh7-d3 Td8-e8 29. f6-f7 Te8-e7 30. f7-f8=D+ und Rückgewinn der Qualität nach 31. Ld2-b4 beantwortete. Der Mehrbauer und die bessere Bauernstruktur reichten Fischer völlig aus, um die Partie sicher im 47. Zug zu gewinnen.
134. Stein – Tal, Leningrad 1971
Stellung nach dem 17. Zug von Schwarz
Eine der stärksten Stellungstransformationen, die ich kenne, spielte Leonid Stein in dieser Position gegen Exweltmeister Mikhail Tal. Der Schlüsselzug 18. Sf3-d2! selbst ist vielleicht gar nicht so schwer zu entdecken, aber er erforderte eine genaue Berechnung. Nach 18… Lb7xg2 geschah natürlich nicht 19. Kg1xg2?! wegen 19… Sd7-b6 20. Sc3-e4 Sf6-d5 mit schwarzem Gegenspiel, sondern 19. Sd2xc4 Da5-b4. Hätte Stein hier nicht den in der Vorausberechnung leicht zu übersehenden Sprung 20. Sc3-a2!, dann wäre es jetzt schlecht um ihn bestellt. So aber musste sich Tal auf das Abspiel 20… Lg2-e4 21. Sa2xb4 Le4xc2 22. Sb4xc2 einlassen, was Weiß dauerhafte Kontrolle über das Feld c4 gibt. Tal versuchte natürlich, diese dem Gegner in Form von 22… Sd7-b6 streitig zu machen, doch nach dem akkuraten Zwischentausch 23. Td1xd8+! behielt Weiß alles im Griff. Nähme nun der Turm, so würde 24. Sc4xb6 a7xb6 25. Lf4-c7 Td8-d2 26. Sc2-e3! mit totaler Dominanz folgen, da nach 26… Sf6-e4 (ansonsten folgt 27. Se3-c4!) Weiß mit dem präzisen 27. Ta1-e1! Se4xf2 28. Se3-c4 Sf2-h3+ 29. Kg1-h1 Sh3-f2+ 30. Kh1-g2 Sf2-d3+ 31. Sc4xd2 Sd3xe1+ 32. Kg2-f1 Se1-c2 33. Lc7xb6 allen Gefahren trotzt.
Tal spielte daher 23… Le7xd8 und geriet nach 24. Sc2-e3 Sb6xc4 25. Se3xc4 Sf6-d5 26. Ta1-d1! in einen positionellen Würgegriff. Stein verwertete seinen Vorteil im 33. Zug.
135. Harper – Zuk, Burnaby 1971
Stellung nach dem 34. Zug von Weiß
In diesem Beispiel ist die Lösung nicht schwer zu finden, aber die Konstellation, die danach auf dem Brett eintritt, ist so rar, dass ich auf dieses Beispiel beim besten Willen nicht verzichten wollte: nach 34… g5-g4! 35. Dh3-h2 h6-h5 36. b2-b4 Tf2-f1 (36. Sg1-e2 hätte übrigens auch nicht geholfen, da 36… Tf2-f1+ den Springer nach g1 zurück zwingt) sind die weißen Figuren komplett beerdigt! Alles, was Schwarz noch tun muss, ist so lange abzuwarten, bis dem Anziehenden die Bauernzüge ausgehen, wonach Weiß in Ermangelung anderer Züge seine Dame nach h3 ziehen muss und selbst dann nicht mal im Patt stehen wird, weil dann der weiße König das Feld h2 zur Verfügung hat. Eigentlich hätte Weiß hier schon aufgeben können (das tat er drei Züge später).
Im Englischen wurde diese Partie wiederholt mit dem Prädikat „the Tomb Game“ (auf Deutsch in etwa „die Grabespartie“) versehen, denn ich kenne keine andere Partie, in der eine Armee so komplett eingemauert war wie in dieser Partie. Wie passend, dass Weiß diese gruselige Stellung auch noch in einem Turnier einnehmen musste, das allen Ernstes „Halloween Open“ hieß!
136. Korchnoi – Najdorf, Wijk aan Zee 1971
Stellung nach dem 25. Zug von Schwarz
In dieser Stellung könnte man zunächst auf die Idee 26. d5-d6 mit Bildung eines Freibauern kommen, doch nach 26… De7-a7 27. Lb3-c2 bekommt Schwarz gleich dero zwei, so dass seine Chancen sicherlich höher einzuschätzen wären. Korchnoi sah das auch so und hatte diese Position dennoch wissentlich angestrebt. Der Grund bestand darin, dass er wieder einmal eine Idee von geradezu außerirdisch anmutender Tiefe ausgeheckt hatte.
Er setzte hier fort mit dem Opfer 26. d5xe6!! und musste nach bereits 26… a4xb3 27. e6xf7+ unglaublich viele Varianten akkurat eingeschätzt haben. Korchnoi musste erkannt haben, dass 27… Kg8xf7? an 28. Td1xd8 De7xd8 (oder 28… b3xa2 29. Td8-a8! Ta3xa8 30. Dg4-f3+ mit Gewinn) 29. e5-e6+ Kf7-g8 30. e6-e7 Dd8-e8 31. Dg4-f3! scheitert, denn sowohl die plausible Variante 31… Sf8-g6? 32. Df3-d5+ Kg8-h8 33. Dd5-d8 Ta3-a8 34. Dd8xa8! als auch das Abspiel 31… h7-h6! 32. Df3-d5+ Kg8-h7 33. Dd5-d8 Ta3-a8 34. Dd8xa8!! führt zu einem ähnlichen Verlauf nach 34… De8xa8 35. e7-e8=D Da8xe8 36. Te1xe8 b3xa2 37. Te8-a8 mit Gewinn.
Die Komplikationen gingen aber noch tüchtig weiter, denn Najdorf umschiffte gekonnt die Klippen mit 27… Kg8-h8! 28. Td1xd8 De7xd8 29. a2xb3 Dd8-e7 30. e5-e6 Ta3-a6!. Stattdessen wäre die Alternative 30… Ta3xb3? an 31. Dg4-g5 De7-b4 32. Dg5-e5! Db4-e7 33. Te1-d1! gescheitert, zum Beispiel: 33… Tb3-a3 34. Td1-d7!! Sf8xd7 35. e6xd7! mit einer Bilderbuchstellung.
Nach Najdorfs 30… Ta3-a6 kam Korchnoi geniales Konzept erst zum Tragen: mit 31. f2-f4! drohte er, den Keilbauer auf e6 zu zementieren. Dabei musste er voraussehen, dass die skurrile Variante 31… Ta6xe6 32. Te1xe6 De7xe6 33. Dg4xe6 Sf8xe6 34. f4-f5 Se6-f8 35. h4-h5 g7-g6 36. h5-h6!! Weiß entscheidendes positionelles Übergewicht gäbe. Die schwarzen Figuren wären in dieser Stellung vollkommen paralysiert, so dass Weiß in aller Seelenruhe mit dem König die schwarzen Bauern abräumen und problemlos siegen könnte!
Najdorf wählte daher 31… h7-h6, doch nach 32. f4-f5 stand Korchnoi praktisch auf Gewinn. Er siegte auch tatsächlich im 40. Zug, aber nicht ohne zuvor bei beidseitiger Zeitnot einen groben Fehler zu produzieren, für den sich Najdorf allerdings revanchierte: den plötzlich möglichen halben Punkt verschenkte er doch noch. Das im Vergleich zum Glanz dieser Kombination unwürdige Ende dieser Partie erspare ich mir daher an dieser Stelle.
137. Beyen – Filip, Luxemburg 1971
Stellung nach dem 27. Zug von Schwarz
Eine wahrlich traumhafte Abwicklung zum Sieg entkorkte Weiß in dieser Stellung: mit dem Abspiel 28. Ld3xg6!! h7xg6 29. Te1-e7+! Tf7xe7 30. d6xe7+ Kd7xe7 und der genialen Schlusspointe 31. Td5-d8!! überrumpelte er seinen perplexen Gegner, den tschechischen Großmeister Miroslav Filip. Mit etwas mehr Kampfgeist hätte Schwarz die Partie hier vielleicht noch mit 31… Ke7xd8 32. h6-h7 fortsetzen können, doch er präferierte die sofortige Aufgabe.
Respekt, wenn auch Sie diese keineswegs leicht zu entdeckende Abwicklung fanden! Allerdings hätte in der Diagrammstellung wohl auch das simple 28. c4xb5 gereicht.
138. Timman – Ivkov, Amsterdam 1971
Stellung nach dem 49. Zug von Schwarz
Objektiv steht der junge Jan Timman in dieser Stellung auf Gewinn, doch in derart scharfen Positionen haben Halluzinationen und Konzentrationsmängel oft gravierende Folgen. Der Gewinn war am leichtesten mit 50. Tg7-g3! a3-a2 51. Tg3-d3+! Kd6-e6 52. e7-e8=D+ Ta8xe8 53. Td3-a3 bzw. 51… Kd6-c5 52. Td3-d1! zu erzielen. Eine solche Variante – möglicherweise auch noch in Zeitnot – zu finden, ist jedoch nicht ganz einfach, weil man versucht ist, „mehr“ aus den verbundenen Freibauern zu machen.
Das nun folgende Geschehen mit einem doppelten Blackout zweier solch starker Spieler ist nahezu beispiellos. In dem Bemühen, das Maximum aus seinen eigenen Freibauern zu machen, verfiel Jan Timman hier auf die „geniale“ Idee, mit dem Hinlenkungsopfer 50. Tg7-g8?? das entscheidende Tempo für die Umwandlung eines der Bauern zu gewinnen. Boriskav Ivkov antwortete mit 50… Ta8xg8 und ließ seinerseits nach 51. f6-f7 die unverhoffte Chance, die ihm Timman geboten hatte, aus. Er revanchierte sich hier mit 51… a3-a2?? und unterlag drei Züge später. Mit dem Zwischenzug 51… Tg8xg2+! hätte Schwarz allerdings das entscheidende Tempo gewonnen, um den weißen e-Bauer in aller Ruhe mit dem König zu vertilgen und dann den eigenen Bauer zur Dame zu führen.
Was für ein unfassbares Drama!
139. Velimirovic – Bukal, Jugoslawien 1971
Stellung nach dem 28. Zug von Schwarz
Großmeister Dragoljub Velimirovic hatte in dieser Partie lange Zeit sein Glück mächtig strapaziert, denn in verlorener Stellung war es ihm immer wieder gelungen, dem Gegner so viele Steine in den Weg zu legen, dass dieser keinen Weg gefunden hatte, den Sack zuzumachen. Schwarz hätte soeben mit 28… Kh8-h7! immer noch unbeschadet allen Gefahren entkommen können, doch nach dem letzten schwarzen Zug 28… Te4-g4?? zahlte sich die Hartnäckigkeit des gefürchteten jugoslawischen Angriffsspielers doch noch aus. Velimirovic ließ hier mit 29. Td6xf6!! alle drei weißen Figuren hängen, doch amüsanterweise darf Schwarz keine davon schlagen, wenn er nicht mattgesetzt werden will! Schwarz versuchte hier noch das amüsante 29… Tg4-g1+!, das auch funktioniert hätte, wenn Weiß auf irgendeine Art geschlagen hätte. Velimirovic erhielt aber den Status quo mit 30. Kc1-d2! aufrecht und zwang seinen Gegner nach 30… Tg1-g2+ 31. Kd2-e3 zur Aufgabe – es gibt keine Ausrede mehr gegen das drohende Matt. Ganz bitter für Schwarz!
140. Voronov – Estrin, Leningrad 1971
Stellung nach dem 24. Zug von Weiß
Es ist schwer zu sagen, ob Yakov Estrin diese Stellung absichtlicht angestrebt hatte (in dem Glauben, gut zu stehen) oder erkannte, dass er objektiv auf Verlust steht und sich somit alles erlauben kann. Jedenfalls hat Schwarz einen ganzen Turm und Läufer weniger, so dass jedwedes Schlagen auf d8 oder e2 Schwarz nicht weiter bringt. Er spielte hier stattdessen 24… Dc7-b8! und verfolgte damit die Idee, weiterhin den Punkt g3 anzugreifen, sobald der alles deckende Bauer auf f2 vernichtet ist.
Bleiben wir in dieser erstaunlichen Stellung zunächst bei der Partie. Wie komplex die Stellung danach ist, zeigt die Tatsache, dass beide Kontrahenten danach nicht gerade auf der Höhe des Geschehens waren: zunächst spielte Weiß hier das äußerst schwache 25. Sg4-h6+??, was dem Bauer auf f2 die Deckung entzieht und bei richtiger schwarzer Antwort verlieren sollte. Diese bestünde in 25… Kg8-g7, denn 26. Sh6-f5+ könnte Schwarz dann einfach mit 26… Tf8xf5! beantworten. Estrin zog aber 25… Kg8-h8?, was Weiß die Gelegenheit gegeben hätte, seinen soeben erfolgten Patzer mit 26. Ld8-e7!! zu rechtfertigen. Nimmt der schwarze Läufer, dann entfällt die Bedrohung von f2, aber 26… Tf8xf2+ 27. De2xf2 Lc5xf2 ist nach 28. Le7-d6!! nicht spielbar. Die Dame ist angegriffen und kann den Läufer wegen der Gabel auf f7 nicht nehmen – es droht aber auch ein tödliches Schach auf e5, so dass Schwarz aufgeben könnte. Voronov ließ indes die günstige Chance mit 26. De2-d2?? verstreichen und verlor nach 26… Tf8xf2+ in nur drei weiteren Zügen.
Yakov Estrins originelle Idee hätte sich mit Computerhilfe wie folgt eindrucksvoll widerlegen lassen: 25. Lc2xd3 Lc5xf2 (auch 25… Tf8xf2+ 26. Sg4xf2 Db8xg3+ 27. Kg2-h1 Lc5xf2 28. De2-g4! ist nicht ausreichend) 26. e4-e5! c4xd3 27. Ld8-f6!! (droht Matt auf h6!) 27… Sh5xf6 28. Sg4-h6+ mit überzeugendem Gewinn nach 28… Kg8-g7 (oder 28… Kg8-h8 29. De2xf2) 29. e5xf6+ Tf8xf6 30. De2xd3 Lf2xe1 31. Sh6-g4 Db8-b7+, weil der weiße König furchtlos nach 32. Kg2-h2 Db7-b6 33. Ta1xe1 Tf6-f2+ mit 34. Kh2-g1! ins Abzugschach ziehen kann. Auf 34… Tf2-f3+ hat Weiß die Antwort 35. Sg4-e3, während 34… Tf2-d2+ auf 35. Dd3-e3 träfe.
Dass eine solche Kaltblütigkeit allerdings nur eine Engine an den Tag legen kann, erscheint auch klar. Ich halte es gut für möglich, dass Voronov auch nach der Analyse der Partie weiterhin glaubte, auf Verlust zu stehen. Jedenfalls war Estrins Konzept objektiv fehlerhaft, aber psychologisch unangenehm und am Brett praktisch nicht zu widerlegen.
141. Runau – Schmidt, BRD 1972
Stellung nach dem 10. Zug von Schwarz
Diese Partie aus der deutschen Bundesliga endete mit einem selten effektvollen Schlussakkord: der damals 20-jährige Ralf Runau (noch heute mit einer ELO von ca. 2350 aktiv) zauberte hier ein wahrhaft unvergessliches Finale aufs Brett. Das kam so:
11. d5xc6!! Td8xd1 12. c6xb7+ Kc8-b8 13. Tf1xd1 c7-c6 14. Lf3xc6 Kb8-c7 15. Td1-d7+ Kc7xc6 und nun der Höhepunkt der Kombination mit 16. b7-b8=S#! Wem das nicht gefällt!
142. Portisch – Petrosian, San Antonio 1972
Stellung nach dem 24. Zug von Weiß
Dem ungarischen Großmeister Lajos Portisch ist es in dieser Partie gelungen, eine recht unangenehme Druckstellung gegen die schwarze Bastion aufzubauen. Speziell der rückständige Bauer auf e7 gerät ins Visier der weißen Figuren und bereitet Schwarz einigen Verdruss. Der naheliegendste Zug ist 24… Sd7-e5, doch nach 25. Lf3-e2 liegt die Option f2-f4 stets in der Luft. Außerdem stoplern die schwarzen Figuren regelrecht wegen des Raummangels übereinander.
Exweltmeister Tigran Petrosian war jedoch bekannt für seine Qualitätsopfer – und zwar nicht nur für aggressive, positionell günstige, sondern auch für defensive Ausführungen. Hier spielte er eines seiner berühmtesten Opfer in Form von 24… e7-e5!!, was übrigens auch die Präferenz einiger heutiger Engines ist! Portisch überlegte wohl etwa zehn Minuten und nahm das Angebot des „Einstellers“ mit 25.Lg5-e7?! an. Umsichtiger wäre wohl doch 25. d5xe6 gewesen, denn nach 25… f7-f5 26. Le7xf8 Sd7xf8 27. Lf3-e2 Lg7-h6 28. Tc1-c2 Lb7-c8 29. Sb1-c3 Sf8-d7 30. Tf1-e1 hatte Schwarz doch ordentliche Kompensation. Sein unantastbares Bauernzentrum sowie das potentiell starke Läuferpaar versprechen mehr als genug Ersatz, zumal der weißfeldrige Läufer Portischs einer echten Perspektive entbehrt und der optisch schön plazierte Springer auf c6 in Wirkllichkeit herzlich wenig leistet. Leider zog Petrosian nach 30… Sd7-f6 31. Le2-f1 das übereilte 31… f5-f4?!. Nach 32. Tc2-e2! (droht mit dem äußerst kräftigen Manöver Sc6-d4-b3!) 32… Te8-f8 33. Sc3-a4! Sc5xa4 34. Dd1xa4 ist die entscheidende Stellung erreicht. Da 34… Tf8-f7 nun das starke 35. c4-c5! zuließe, musste Schwarz 34… Sf6-d7 ziehen und den Abtausch seines kostbaren Läufers mit 35. Sc6-e7+ in Kauf nehmen, wonach die Partie im 39. Zug remis endete.
Mit dem besseren 31… Kg8-h8 32. Tc2-e2 Te8-f8 33. Sc3-a4 Sc5xa4 34. Dd1xa4 hätte Schwarz diese lästige Option unterbunden, denn jetzt wäre das von der Partie her bekannte 34… Sf6-d7! angesichts von 35. Sc6-e7?? Sd7-c5! möglich, da der Springerzug nach e7 ohne Schach erfolgt.
143. Knaak – Velimirovic, Sombor 1972
Stellung nach dem 12. Zug von Schwarz
Zu dieser berühmten Stellung war es schon beim Kandidatenturnier 1953 in Zürich zwischen Kotov und Gligoric gekommen. Kotov spielte 13. Le3-f2, wonach sich eine strategisch lehrreiche und interessante Partie entwickelte, die letztlich remis endete.
Seit jener Partie galt der schwarze Aufbau als absolut zufiredenstellend, doch Rainer Knaak spuckte dem Nachziehenden hier mit dem unerwarteten Zug 13. e4-e5!! in die Suppe. Mit seinem dreisten Zug bezweckt der deutsche Meister zweierlei: wenn Schwarz auf e3 zugreift, dann spielt Weiß – ohne zuvor auf h7 zu nehmen – 14. e5-e6! und mauert die schwarzen Kräfte ein. Das Zwischenschach würde den Läufer für einen unwichtigen Bauer nur auf ein exponiertes Feld stellen, doch der sofortige Vorstoß ist unangenehm für Schwarz. Velimirovic spürte die Gefahr und wollte nicht in die weiße Vorbereitung laufen, obwohl die Engines Schwarz nach der Anahme des Opfers eine verteidigungsfähige Stellung nach 14… Kg8-h8 bescheinigen. Dennoch ist klar, dass die Verteidigung viel Kraft und Zeit kosten wird, zumal der Gegner vorbereitet ist. Velimirovic favorisierte daher 13… Lg7xe5, doch die Räumung des Feldes e4 und der plötzlich wichtigen Diagonale b1-h7 machte sich nach 14. Ld3xh7+ Kg8-h8 15. Le3-f2 Dd8-g5 16. Dc2-g6 bemerkbar. Knaak hatte ein gute Stellung und siegte im 39. Zug.
144. Keres – R. Byrne, San Antonio 1972
Stellung nach dem 31. Zug von Schwarz
Auch drei Jahre vor seinem überraschenden Tod durch einen Herzinfarkt hatte der sympathische Großmeister Paul Keres nur wenig von seiner Spielstärke eingebüßt. Einen schönen Beweis dafür lieferte er im Herbst seiner Karriere, als er hier mit 32. Tf3xf7!! fortsetzte und das Matt trotz einer Mehrdame für Schwarz nach 32… a2-a1=D+ 33. Kg1-g2 forcierte.
Rien ne va plus! Robert Byrne gab daher auf.
145. Diemer – Trommsdorf, Bagneuax 1973
Stellung nach dem 32. Zug von Weiß
Wo „Diemer“ draufstand, war meistens nichts anderes als Chaos enthalten. Was sollte man auch anderes erwarten vom Mitbegründer des Blackmar-Diemer-Gambits (1. d2-d4 d7-d5 2. e2-e4)?!
Diemers Gegner, ein gewisser Fro Trommsdorf (über den praktisch nichts zu finden ist), schenkte ihm jedoch nichts in dieser Partie und hielt sich lange Zeit trotz einiger Ungenauigkeiten gut.
In dieser völlig chaotischen und nahezu beliebig anmutenden Stellung hat Schwarz nicht nur das Gröbste überstanden, sondern steht bei korrekter Fortsetzung sogar auf Gewinn – andernfalls aber leider auf Verlust. Das Gewicht des nächsten Zuges ist somit außerordentlich hoch. Nehmen Sie sich erst einmal ordentlich Zeit, um in die Geheimnisse der Stellung einzudringen …
Schnell wird klar, dass die weißen Freibauern im Falle eines Damentauschs die Partie sofort entscheiden würden – daher scheidet das Schlagen auf g4 wegen der Gabel auf f6 natürlich aus. Was soll Schwarz aber angesichts seiner hängenden Dame und dem Springer tun? Die Antwort lautet: einen der schönsten Züge der gesamten Schachgeschichte zu spielen: 32… b4-b3!!. Es ist kaum zu glauben, aber nach diesem komplett verrückten und sinnlos anmutenden Zug steht Schwarz objektiv auf Gewinn! Wenn Weiß die schwarze Dame nimmt, dann wird er nach offensichtlich nach 33… b3xa2 zwingend mattgesetzt! Auch 33. a2-a3 scheitert an 33… Te3-c3!! mit forciertem Matt nach dem traumhaften 34.b2xc3 d4xc3!! 35. c2xb3 La6-d3!!. Die letzte Alternative zum Partiezug ist 33. c2xb3, doch darauf folgt 33… Sd2xb3+! 34. Kc1-b1 (oder stattdessen 34. a2xb3 Te3-c3+ 35. Kc1-b1 La6-d3+ 36. Kb1-a2 Sc6-b4+ 37. Ka2-a3 Tc3-c6!! mit Matt) 34… La6-d3+ 35. Td1xd3 Te3-e1+ 36. Td3-d1 Dg5-c1+!!.
Diemer zog in der Partie 33. a2xb3, die mit 33… Sd2xb3+! (entscheidend war aber 33… Sc6-b4!!) 34. Kc1-b1 Te3-d3? schön, aber leider fehlerhaft fortgesetzt wurde – stattdessen hätte wieder 34… Sb3-d2+ 35. Kb1-a1 Sc6-b4 gewonnen. Da der Platz hier nicht für eine vollständige Analyse reicht und dieser Beitrag in erster Linie einem Zug und nicht einer ganzen Partie gewidmet ist, muss es hier reichen, festzuhalten, dass 35. Td1-g1 wohl remis gehalten hätte, während Weiß nach 35. Dg4-g1? Sb3-d2+ 36. Kb1-a1 Dg5-d8 auf Verlust stand. Schwarz hätte nun gewinnen sollen, doch in beidseitiger Zeitnot erlaubten sich beide Kontrahenten weitere Schnitzer, woraufhin die Partie doch noch friedlich endete!
146. Mikenas – Kupreichik, Gomel 1973
Stellung nach dem 13. Zug von Weiß
In dieser Stellung ergriff der gefürchtete Angriffsspieler Viktor Kupreichik die Gelegenheit, mit Hilfe eines selten schönen Damenopfers einen ungestümen Angriff vom Zaun zu brechen. Das kam so: 13… Sf6xe4!! 14. Lh4xd8 Lb4xd2+ 15. Ke1-e2 (mit der verzweifelten Rückgabe der Dame hätte Weiß den Angriff stoppen können, aber eine minderwertige Stellung behalten) 15… d4-d3+! 16. Ke2xd3 Sd7-c5+ 17. Kd3-e2 (oder 17. Kd3-c2 Se4-f2+ 18. Kc2xd2 Ta8xd8+ mit entscheidendem Vorteil für Schwarz) 17… Ta8xd8. Schwarz hat ordentlich Material für seine Dame bekommen und verfügt über drückendes positionelles Übergewicht. Wegen der völlig ungelenken Stellung der weißen Figuren nach 18. g2-g4 Lf5-e6 musste Vladas Mikenas die Dame bald zurückgeben und zog den aussichtlosen Widerstand noch bis zum 50. Zug (!) in die Länge.
Randnotiz: die Stadt Gomel im heutigen Belarus, in der diese Partie gespielt wurde, ist eine der von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl (1986) am stärksten betroffenen Städte – heute haben die Menschen dort ganz andere Sorgen als Schach.
147. Shashin – Korchnoi, Leningrad 1973
Stellung nach dem 26. Zug von Weiß
Der nur wenig bekannte Meister Aleksander Shashin stand kurz vor einer Sensation: sollte er tatsächlich den legendären Spieler und haushohen Favoriten Viktor Korchnoi bezwingen? Shashin hatte diese Stellung absichtlich angestrebt – nun musste sich zeigen, ob er richtig gerechnet hatte oder nicht. Ein wichtiges Detail in dieser Stellung besteht darin, dass Weiß in Fällen droht, seinen Turm von f7 so abzuziehen, dass er gleichzeitig ein gegnerisches Schachgebot verstellt und selbst durch den Abzug eines gibt. So würde beispielsweise 26… Sf5-e3+? 27. f2xe3 Td1-d2+ mit 28. Tf7-f2+ und sofortigem Gewinn beantwortet werden.
Korchnoi spielte natürlich stärker und zog 26… Sf5-h4+!, was große und kaum akkurat einzuschätzende Komplikationen nach 27. g3xh4 Dd6-h2+ 28. Kg2-f3 ergab. Nun würde beispielsweise 28… Dh2xh3+? 29. Kf3-e4! Dh3-g2+ 30. Tf7-f3+! zu der vorhin angedeuteten Situation führen, die Schwarz vermeiden muss. Korchnoi wählte daher 28… Dh2xf2+! und hoffte vergebens auf 29. Kf3xg4??, was nach 29… Td1-g1+ 30. Kg4-h5 g7-g6+! zum Matt führen würde. Shashin zog naütrlich 29. Kf3-e4. Nun würde auf 29… Td1-e1+! der Zug 30. Ke4-d5!! dem Anziehenden eine sehr gute Stellung einbringen, obwohl Schwarz jetzt den Turm auf f7 nehmen kann! Schwarz müsste hier 30… Df2xf7+?? wegen 31. Kd5-d6!! Te1-d1+ 32. Kd6-c5 unbedingt vermeiden. Besser ist 30… Sg4-f6+!, worauf die Partie nach 31. Tf7xf6! Df2xf6 keineswegs entschieden ist, auch wenn Weiß die besseren Chancen behielte.
Korchnoi zog das scheinbar gleichwertige 29… Df2-e2+?, musste aber nach 30. Ke4-f4! Td1-f1+ 31. Kf4-g5 h7-h6+ 32. Kg5-g6! zu der Einsicht gelangen, dass er unglaublicherweise auf Verlust steht! Ein Schachgebot auf e4 würde dem weißen Turm wieder gestatten, mit Gegenschach auf f5 dazwischenzuziehen, weshalb Korchnoi noch 32… Sg4-e5+ 33. Dc3xe5 Tf1-g1+ versuchte. Nach 34. De5-g5!! Dc2xb2 35. Tf7xg7+ war der Ofen allerdings endgültig aus. Stattdessen hätte auch 34… Tg1xg5+ 35. h4xg5 De2-e8 (nicht besser ist 36… Dc2xb2 37. Tf7xb7+) 36. g5xh6 g7xh6 37. Kg6xh6 nicht geholfen. Ob Shashin wirklich all diese Verwicklungen vorhergesehen hatte oder nach dem Springerschach auf h4 einfach einen Risenschock bekam?! Wie dem auch sei – dass er diesen Titanen des Schachs zu Fall brachte, dürfte sein größter Triumph geblieben sein.
148. Dzindzichashvili – Tseshkovsky, Tbilissi 1973
Stellung nach dem 30. Zug von Schwarz
In dieser ausgesprochen scharfen und unausgewogenen Stellung ersann der georgische Großmeister Roman Dzindzichashvili einen ausgesprochen kreativen Weg, um hier anzugreifen. Die weißen Möglichkeiten scheinen angesichts der lästigen Fesselung des weißen Turms eingeschränkt, zumal auch der neuralgische Schnittpunkt g7 gut gedeckt ist. Das hielt Weiß jedoch nicht davon ab, hier mit 31. Tg1xg7!! zuzuschlagen. Vielleicht war Vitali Zeschkowski hier schon in Zeitnot, dann angesichts seiner damaligen Spielstärke hätte er mit entsprechender Ruhe sicherlich das kaltblütige 31… Kh8xg7! finden können. Dass man bei knapper Zeit so eine verantwortungsvolle Entscheidung allerdings nicht treffen möchte, erscheint auch natürlich. Objektiv wäre die Partie danach mehr oder weniger erzwungen remis, da Weiß keine wirklich gefährlichen Abzüge mit dem Springer hat, das Läuferschach bequem auf d4 geblocket werden kann und nach einem Abzug des Springers auch der Turm auf f3 hängt. Ein plausibles Ende wäre 32. Se5-d7+ Sf5-d4 33. Lb2xd4+ c5xd4 34. De6-e5+ Kg7-g8 35. De5-g5+ Kg8-h8 36. Dg5-e5+ mit Dauerschach gewesen. Dass Zeschkowski nicht so spielte, mag außer Zeitnot noch zwei andere Gründe gehabt haben: entweder glaubte er, mit der Alternative auf Sieg spielen zu können oder er hatte den nächsten Zug des Anziehenden nicht auf dem Schrim gehabt. Wie dem auch sei – nach 31… Sf5xg7 spielte Weiß das stoische 32. Kh1-g1!! und ließ einfach seine Dame hängen! Diese darf wegen des dann folgenden zweizügigen Matts nicht genommen werden, so dass Schwarz nun eine schwierige Entscheidung treffen muss. Objektiv ist die Stellung immer noch remis, nur war in praktischer Hinsicht dieses Ergebnis mit der Alternative im 31. Zug leichter zu erreichen gewesen. Um die Springerschach-Drohung auf g6 abzuwehren, versiegelte Schwarz die gefährliche Diagonale nun mit 32… Td8-d4!, worauf Dzindzichashvili nun zurecht mit dem ambitionierten 33. Lb2xd4 c5xd4 34. De6-h6! auf Sieg spielte, obwohl er eine Figur weniger hat. Dagegen hätte er auf Wunsch auch 33. Se5-g6+ h7xg6 34. Tf3-h3+ Sg7-h5 35. De6xg6 Db7-g7 36. Th3xh5+ Kh8-g8 37. Dg6xg7+ Kg8xg7 38. Th5xc5 Tf8xf4 39. Tc5-c7+ mit deutlichem Remis wählen können. Die Partiefortsetzung ist stärker, weil Weiß das Remis immer noch sicher hat, aber Schwarz hier leichter danebengreifen kann. Nach Zeschkowksis Antwort 34… Kh8-g8? hatte Weiß erreicht, was er wollte – mit 34… Tf8-e8! wäre die Partie dagegen ausgeglichen geblieben. Nun setzte Weiß mit 35. Tf3-h3 Sg7-f5 36. Dh6-e6+ Kg8-g7 37. Se5-d7! fort und sicherte sich großen Vorteil, da 37… Tf8-f7?? mit 38. Th3xh7+! entscheidend beantwortet würde. Zeschkowski wählte stattdessen 37… Db7-c8, unterlag aber nach dem einfachen 38. Sd7xf8 vier Züge später.
Dieses Beispiel genießt wahren Seltenheitswert, denn wer steckt schon einen ganzen Turm ins Geschäft, um darauf mit einem stillen Königszug gefährlich fortzusetzen!?
149. Keene – Kovacevic, Amsterdam 1973
Stellung nach dem 21. Zug von Schwarz
Soeben hatte Weiß mit einem Figurenopfer den schwarzen Königsflügel merklich aufgerissen, doch eine offensichtliche Fortsetzung des Angriffs gibt es hier nicht – das glaubte jedenfalls auch Vladimir Kovacevic, der hier laut seinem Gegner Raymond Keene den Schock seines Lebens erfuhr, als ihm Weiß hier den Zug 22. Ta1-a7!! aufs Brett knallte. Schwarz hat keine andere Wahl, als den angebotenen Köder mit 22… Dd7xa7 zu schlucken, da nach anderen Antworten der schwarze Läufer mit total verlorener Stellung hinge. Den Sinn des Lenkungsopfers demonstrierte Keene darauf mit 23. Sd4xc6 Da7-d7 24. Sf5xe7+ Kg8-g7 25. De2-h5!. Schwarz gab auf, denn das Nehmen des Springers würde ihn nach 26. Dh5-g5+ nicht nur die Dame, sondern auch noch den hängenden Springer auf b6 kosten. Auch 25… h7-h6 26. Se7-f5+ Kg7-g8 27. Lb2xf6 hilft Schwarz nicht weiter – das gilt auch für 25… Tf8-a8 26. Dh5-g5+ Kg7-f8 27. Lb2xf6 Ta8-a1+!? 28. Kg1-g2!.
Kehren wir aber nochmals zum 23. Zug von Schwarz zurück: 23… Da7-a2? wäre wegen des schönen Abspiels 24. Sc6xe7+ Kg8-g7 25. Se7xf5+ Kg7-g8 26. De2-g4+!! Sf6xg4 27. Sf5-e7#! keine Verbesserung gewesen. Am stärksten war jedoch 23… Le7-a3! 24. Sc6xa7 (keineswegs besser ist 24. Lb2xf6 Da7-a4!) 24… La3xb2 25. c2-c4! Lb2-a3 26. Sa7-b5 Tf8-e8 27. De2-d2, auch wenn Schwarz nach 27… La3-f8 28. Dd2-g5+ Lf8-g7 29. c4-c5 nach wie vor wenig beneidenswert steht – aber wenigstens verliert er nicht sofort.
150. Planinc – Minic, Ljubljana 1973
Stellung nach dem 22. Zug von Weiß
In den 1970er-Jahren brachte Jugoslawien eine erstaunlich hohe Anzahl starker und taktischer veranlagter Spieler hervor, die sich in schöner Regelmäßigkeit mit den schärfsten Varianten duelleren würden. Hier lieferten sich die Großmeister Albin Planinc und Dragoljub Minic beispielsweise ein unfassbar scharfes Gefecht im Najdorf-Sizilianer, bei dem ein weißer Fehler drei Züge zuvor ausreichte, um aus einer völlig unklaren Stellung eine verlorene zu machen – allerdings nur dann, wenn Schwarz hier richtig fortsetzt. Selbst der laut PC zweitbeste Zug würde nicht viel mehr als eine unklare Stellung nach 22… Ta1-a2 ergeben.
Minic hatte sich allerdings genau in die Stellung vertieft (und war zudem wohl so gut vorbereitet in diese Partie gegangen wie es damals eben ohne Computer möglich war) und fand hier das entscheidende 22… Ta1-a4+!!, dessen Idee darin besteht, ein hochwichtiges Tempo für das Läuferschach auf c6 zu gewinnen, was die b-Linie räumt und dem verbliebenen Turm gestattet, entscheidend einzugreifen. Nach 23. Kb4xa4 Lb7-c6+ 24. Ka4-b4 Th8-b8+ 25. Kb4-c4 hätte Minic mit 25… Lc6-d5+! 26. Td4xd5 Tb8-b4+!! 27. Kc4xb4 Sf6xd5+ und Damengewinn schneller siegen können, doch auch seine Wahl 25… Sf6-d5 erwies sich letztlich als ausreichend für den Sieg. Die aufkommende Zeitnot forderte jedoch ihren Tribut, so dass Schwarz den Sieg erst im 54. Zug sichern konnte, obwohl er mehrmals zuvor hätte rascher gewinnen können.
An seinem absolut sehenswerten Opfer, das in diesem Chaos auch erst einmal gefunden sein will, ändert dies freilich nichts!
151. Keres – Westerinen, Tallinn 1973
Stellung nach dem 21. Zug von Schwarz
Auch im Spätherbst seiner Karriere hatte der estnische Großmeister Paul Keres (der posthum übrigens zum Sportler des Jahrhunderts in seinem Heimatland geehrt wurde) nichts verlernt: gegen den finnischen Großmeister Heikki Westerinen opferte er hier mit 16. Tc1xc5!! die Qualität und brach nach 16… d6xc5 17. d5-d6! einen ungestümen Angriff vom Zaun, der Schwarz für die versäumte Rochade bestraft. Unter den vielen möglichen Übeln entschied sich Schwarz für das wenig erfreuliche 17… e7xd6 18. Sb5xd6+ Ke8-f8 und wurde gleich von dem nächsten unangenehmen Hieb 19. Sd6xf7! erwischt. Nach 19… Ld7-e6 griff Keres jedoch nicht etwa auf h8 zu, sondern spielte 20. Sf7-g5! Le6xa2 21. Le3xc5+ Kf8-g8 22. b2-b4!. Schwarz kann die Drohung nicht mit 22… a5xb4? abwehren, da Weiß dann trotzdem mit der Dame auf a2 nimmt und dann mit dem Läuferschach auf c4 mattsetzen würde. Nach 22… La2-b3 23. Dd2-d3! Lb3-f7 (der Läuferzug nach a2 würde mit 24. Dd3-c4+! beantwortet) 24. Sg5xf7 stand Weiß auf Gewinn und siegte wegen der Stärke des Läuferpaars problemlos im 30. Zug.
152. Solmundarson – Smyslov, Reykjavik 1974
Stellung nach dem 18. Zug von Weiß
Im Moment hat Weiß einen Bauer weniger, doch sein Druckspiel gegen f5 und g7 scheint mehr als ausreichende Kompensation zu bieten. Der Anziehende hatte diese Stellung daher absichtlich angestrebt, wurde aber von der Antwort Smyslovs hier gewaltig überrascht. Die Routine des Exweltmeisters gestattete ihm, ohne Probleme den Zug 18… g7-g6!! zu entdecken, der alle schwarzen Probleme löst. Die Preisgabe der Qualität nach 19. Lc3xh8 Lf8-h6+ 20. Kc1-b1 Dd8xh8 sichert Schwarz nicht nur den Erhalt des Mehrbauern, sondern auch die totale und unangefochtene Dominanz auf den schwarzen Feldern. Der weißfeldrige Läufer des Anziehenden ist dagegen von seinen eigenen Bauern eingezwängt und kann nicht effektiv eingesetzt werden. Plötzlich wirkt die noch soeben attraktiv erscheinende Stellung des Anziehenden wie eine Auster ohne Perle, da seine Position mit dem Verlust des schwarzfeldrigen Läufers jedwede Dynamik verliert. Der Computer möchte übrigens lieber auf e4 nehmen und die Dame dann nach h4 ziehen, was meiner Meinung nach komplizierter ist und Weiß Gegenchancen einräumt. Die langfristige Kraft, die der schwarzfeldrige Läufer ausübt, ist für meine Begriffe schwer für einen Computer zu verstehen, so dass die menschliche Lösung Smyslovs zumindest als die weitaus pragmatischere angesehen werden muss. Die Partie ging jedenfalls weiter mit 21. Lf1-d3 Lh6-e3! 22. Tg1-e1 f5-f4 und totaler Kontrolle über die dunklen Felder. Smyslov siegte im 51. Zug.
153. Spassky – Capelan, Solingen 1974
Stellung nach dem 17. Zug von Schwarz
Boris Spassky musste in dieser Stellung ganz genau rechnen, ob das klassische Läuferopfer auf h7 in dieser Stellung funktioniert. Nach ausgiebiger Rechenarbeit griff Spassky mit 18. Ld3xh7+!! zu und setzte mit 18… Kg8xh7 19. Df2-h4+ Kh7-g8 20. Dh4-g5 fort. Jetzt musste sich zeigen, ob der Exweltmeister richtig gerechnet hatte. Nach dem logischen 20… Td8xd1+ 21. Tg1xd1 c3xb2+ 22. Kc1xb2 Dc7xc2+ 23. Kb2-a3 hat Schwarz zwei plausible Möglichkeiten: nach 23… Dc2xa2+ 24. Ka3-b4 a6-a5+ 25. Kb4-c3 wäre der Ofen sofort aus, weshalb Guenter Capelan 23… Dc2-g6 favorisierte, aber nach 24. Td1-d8+ Kg8-h7 25. Dg5-h4+ Dg6-h6 26. f6xg7! Kh7xg7 27. Td8-g8+! ebenfalls in einer verlorenen Stellung landete. Schwarz gab vier Züge später auf.
In dieser Form hat man das Opfer auf h7 auch noch nicht oft gesehen, aber es funktionierte hier jedenfalls prächtig!
154. Perecz – Hever, Ungarn 1974
Stellung nach dem 23. Zug von Schwarz
Es ist ein wenig bedauerlich, dass Weiß auch mit dem profanen 23. Td8xc8 Ld7xc8 24. Ta1-f1+ eine klare Gewinnstellung erlangen kann, doch glücklicherweise suchte der starke ungarische Amateur hier nach etwas Besserem – und wurde fündig: nach 24. Ld3-h7!! musste Schwarz schon aufgeben. Die Hauptvariante 24… Tc8xd8 25. Ta1-f1+ Kf7-e8 26. Lh7-g6#! würde in ein absolut einmaliges Matt münden, doch die einzige Alternative 24… Tc8-c4 (mit der Idee, das Turmschach auf f4 zu blockieren) entkräftet Weiß mit dem stoischen 25. g2-g3!, wonach Schwarz genauso gut das Handtuch werfen kann.
155. Catig – Mills, San Francisco 1974
Stellung nach dem 18. Zug von Weiß
Diese Partie ist wiederholt als die beste Amateurpartie aller Zeiten bezeichnet worden. Trotz eines bisher nicht fehlerfreien Verlaufs (was bei zwei Spielern mit einer Wertungszahl um die 1500 auch nicht unbedingt zu erwarten war) lief Schwarz hier plötzlich zu großer Form auf, als er das sagenhafte 18… Le6-c8!! spielte und wissentlich 19. Sc3xd5 zuließ. Nach 19… Lc8-a6+ 20. c2-c4 spielte Mills 20… Dc7-b7 und baute seinen Angriff stetig aus. Nach dem erzwungenen 21. Sd5-b4 setzte Schwarz mit dem nächsten Tiefschlag 21… e7-e5!! fort. Nun scheitert 22. f4xe5? an dem niedlichen 22… Lh4-e7!, weshalb Catig mit 22. Sb4xa6 antwortete. Mills ließ nicht jedoch locker mit 22… e5xf4 (das Nehmen auf b2 war auch stark) 23. Le3-d4 Ta8-e8+ (das Schach auf f3 war auch attraktiv!) 24. Ke2-f3 Te8-e3+!! 25. Kf3-g2 (oder 25. Ld4xe3 f4xe3+ 26. Kf3xe3? Lh4-f2+) und krönte seine Partie nach 25… f4-f3+ 26. Kg2-f1 Tf8-e8!! 27. Kf1-g1 (oder 27. Ld4xe3 Db7xb2) mit 27…. Lh4-g3! 28. Ta1-f1 Te3-e1 29. Ld4-c3 Db7xb2!!. Was für ein Finale!!! Weiß gab auf.
156. Vaganian – Planinc, Hastings 1975
Stellung nach dem 19. Zug von Weiß
Der jugoslawische Großmeister Albin Planinc krönte diese furiose Angriffspartie gegen Rafael Vaganian mit dem spektakulären Opfer 19… Lc8-f5!! und verhinderte so gleichzeitig ein Läuferschach auf d3. Nach 20. De8xa8 Db6-d6+ 21. Kd2-c1 folgte der überaus sehenswerte Zug mit dem Springer in die Ecke: 21… Sc2-a1!. Konfrontiert mit der Mattdrohung auf b3 ließ Vaganian seine Konzentration hier schleifen und ermöglichte damit das zauberhafte Finale nach 22. Da8xb7?? Dd6-c7+!!, was die weiße Dame ablenkt und das Matt auf b3 ermöglicht oder alternativ ersatzlos die Dame kostet. Der armenische Großmeister gab daher auf.
Allerdings hätte Weiß mit 22. Lf1-c4! entschieden mehr Widerstand leisten können. Sicherlich steht Schwarz nach einer Mustervariante wie 22… Dd6-c6 23. Sd1-c3 Dc6xc4 24. Da8-d8 Sa1-b3+ 25.Kc1-d1 Dc4-g4+ 26. Sc3-e2 Dg4-e4 dominant, aber das Remis ist längst nicht außer Reichweite für Weiß – wenngleich klar ist, dass der Anziehende sich sehr sorgsam verteidigen müsste, um den halben Punkt zu retten.
157. Kaplan – Bronstein, Hastings 1975
Stellung nach dem 24. Zug von Weiß
Hier fand David Bronstein sicherlich ohne größere Mühe den zwingendsten Weg, aus einer Fesselung in Verbindung mit Zugzwang eine klare Gewinnstellung zu erreichen: er wickelte hier mit 24… Te2xd2! 25. Td5xd2 Tf8-d8 26. Th1-d1 c5-c4! in eine sehenswerte Zugzwang-Stellung ab. Nachdem die weißen Bauernzüge zur Neige gehen, muss Weiß den König ziehen und büßt dadurch eine ganze Figur ein. In Anbetracht dessen gab Weiß umgehend auf.
158. Larsen – Ljubojevic, Mailand 1975
Stellung nach dem 26. Zug von Weiß
Es ist nicht schwer, sich auszumalen, dass viele Spieler diese Stellung mit Schwarz sogar noch verloren hätten! Schwarz hat ein mustergültiges Läuferpaar für die Minusqualität, doch zwei seiner Figuren sind gleichzeitig angegriffen. Mitte der 1970er-Jahre gehörte Ljubomir Ljubojevic allerdings zu den stärksten Spielern der Welt, so dass kaum davon auszugehen ist, dass er absichtlich eine verlorene Stellung anstreben würde. Mit zwei Kraftzügen klärte er die Situation auf dem Brett sofort zu seinen Gunsten, denn Schwarz setzt zwingend in wenigen Zügen matt: zunächst zog Schwarz 26… Dg5-h4!! und beantwortete 27. De2xe5 mit 27… Dh4-f2!!, worauf es keine Ausrede gibt, zum Beispiel 28. Tf1-g1 Ld5xg2+ mit forciertem Matt.
Wenn man die Lösung kennt, ist sie im Grunde recht einfach. Ljuobjevic musste diese Idee allerdings lange im Voraus geplant haben, denn sein Qualitätsopfer bereits vier Züge davor erforderte eine Menge Mut und Phantasie. Larsen fand sich in den Verwicklungen danach allerdings nicht zurecht und stand auch schon vor seinem letzten Zug 26. Sb5-a7 auf Verlust.
159. Zuidema – Sosonko, Amsterdam 1976
Stellung nach dem 22. Zug von Weiß
Der niederländische Großmeister Gennadi Sosonko spielte hier wohl die Partie seines Lebens. In diesem scharfen Gefecht, das aus der Drachenvariante hervorgegangen war, scheint Schwarz eine Qualität für unklare Kompensation einzubüßen. Der Nachziehende hatte aber den Zwischenzug 22… c4xb3!! vorbereitet, der die Situation für Schwarz bereinigt. Da die Variante 23. a2xb3 Db6xb3 für Weiß nicht infrage kommt, musste sich der Anziehende wohl oder übel auf 23. Sa4xb6 b3xa2 24. Kc1-b2 Tb8xb6+ 25. Kb2-a3 einlassen. Sosonko sicherte sich den Sieg mit 25… Tb6-a6+ 26. Ka3-b4 Tc5-c4+ 27. Kb4-b5 Ta6-b6+ 28. Kb5-a5 f6-f5 29. Te1-e3 Tb6-b1 und zwang Weiß mit 30. Te3-a3 Lg7-c3+ zur Aufgabe.
Ein so traumhaftes Läuferpaar und ein derart quecksilbriger Freibauer können locker mal eine ganze Dame kompensieren!
160. Keene – Miles, Hastings 1976
Stellung nach dem 19. Zug von Schwarz
Man spürt, dass der ungestüme weiße Angriff, den Großmeister Raymond Keene mit Hilfe eines doppelten Figurenopfers entfacht hat, gute Chancen hat, durchzudringen. Dennoch ist in dieser Stellung absolute Präzision gefragt, um die Stellung zu verwerten. Das sofortige Schlagen auf g6 würde es Miles gestatten, 20… Kg8-h7 21. Dd1-b1 Sc6xd4 22. Tg6xf6+ Sd4-f5 23. Tf6xe6 Tc8-c5 mit guten Chancen auf eine erfolgreiche Verteidigung zu wählen.
Somit drängt sich die Idee auf, mit der Dame anstelle des Turms auf g6 einzudringen. Allerdings würden weder 20. Dd1-d3? Sc6-e5 noch 20. Dd1-c2? Sc6-e5! 21. d4xe5 Sf6-e4! überzeugen. Den gordischen Knoten diurchschlägt Weiß mit 20. Dd1-b1!!, was den taktischen Finessen aus dem Weg geht und die Partie sicher gewinnt. Miles versuchte in seiner Verzweiflung noch 20… Sc6-e5 und ließ sich nach 21. d4xe5 Sf6-e4 22. Sc3xe4 Kg8-h7 23. Se4-f6+ freundlicherweise mattsetzen.