August 2018
Durch schier endlos anmutende Baustellen führt der Weg zum Yachthafen in Antwerpens Norden. Dort befindet sich das Museum aan de Stroom, ein spektakulärer Turm mit gläsernen Elementen immer dort, wo eine rundherum führende Rolltreppe Panoramablicke in jede Richtung gestattet. Der rote Bau hat sich binnen kürzester Zeit zu einem Publikumsmagneten entwickelt und lockt mit seinem zeitgenössischen Museum die Gäste in Scharen in die belgische Diamantenmetropole. Im obersten Stock des 62 Meter hohen Bauwerks befindet sich ein Zwei-Sterne-Restaurant, das neben einer fantastischen Weitsicht auch angesichts 18 G&M-Punkten kulinarische Höhenflüge verspricht.
Gleich am Eingang durchlaufen wir erst einmal den Security-Bereich, da das Museum montags geschlossen und der Zugang dann ausschließlich Restaurantgästen vorbehalten ist. Nachdem unser Name auf der Gästeliste stand und wir offenbar als unverdächtig eingestuft wurden, geleitete man uns zum Aufzug, der uns flugs in die oberste Etage brachte (auf dem Rückweg nahmen wir dann die berühmten Rolltreppen, die rund um das Gebäude führen). Empfangen wurden wir sogleich von einer herzlichen Dame, die einen Kollegen damit betraute, uns zu unserem Tisch zu führen. Auffallend neben dem Blick war auch das geschmackssichere Design, das mit viel Glas aufwartete. Ein generöser Blick in die offene Küche und die großen Weinschränke wurde so zu einem vielversprechenden Anblick. Die geräumigen Tische aus Holz (mit einem Lack überzogen) sind pflegeleicht und machen auch in optischer Hinsicht durchaus etwas her. Des weiteren fallen auch originelle Trinkgläser und elegant designte Servietten auf, deren Aussehen beide mit dem Interieur des Lokals, das vor allem in den Farben Weiß, Schwarz und Rot gehalten ist, harmonieren. Die Damenwelt dürfte sich zudem an einer Riege ausschließlich männlicher junger Servicekräfte erfreuen, die im dunkelblauen Anzug und Krawatte, aber mit weißen Chucks auftreten. Der durchweg aufmerksame und stets präsente Service garantierte einen absolut entspannten Nachmittag und war immer zur Stelle, wenn notwendig.
Schon die ersten Einstimmungen scheinen die Auszeichnungen zu bestätigen: ein Mini-Taco mit etwas Frischkäse und Salatgurke sowie ein hauchdünnes Knäckebrot-Sandwich mit Hering und Dill. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt eine Geflügelleberpraline mit etwas gestoßener Mandel obenauf – allesamt wunderschön drapierte Amuses mit viel geschmacklichem Tiefgang. Dazu gibt es einen leicht säuerlichen, aber erfrischenden Cocktail aus roten Früchten.
Zu unserer Überraschung folgen aber noch gleich zwei weitere Grüße aus der Küche, obwohl für das dreigängige Mittagsmenü ein verhältnismäßig günstiger Preis von € 68 aufgerufen wurde. Einen Bloody Mary dekonstruiert Chefkoch Viki Geunes auf geradezu geniale Weise: die Tomate landet sowohl in Form von Crème als auch als Crumble in einer tiefen Schale, in der sich ein Yuzu-Granite, sparsam dosierter Wodka und auch noch ein wenig Parmesan befinden. Das schmeckt großartig, aber mit dem letzten Gruß setzt Geunes sogar noch einen drauf: Nordseekrabbe mit Karotte und Mango, die fast wie gewoben aussieht. Ein wenig klein gewürfelter Speck rundet diese sensationelle Petitesse ab. Wir sind uns einig: sollte nichts Unvorhergesehens passieren, dann wird dies ein großartiger Nachmittag!
Die Brotauswahl (unter anderem Brioche und mit belgischem Bier gebackenes Brot) verzichtet ganz auf Butter, kann sich dies aber angesichts des fettigen Brioche sowieso leisten. Wir verschwenden daran auch keine weiteren großen Gedanken und staunen stattdessen über den ersten Gang, der auf zwei Tellern serviert wird: Seebarsch, Tintenfisch, Avocado und Jalapeño. Während auf dem einen Teller der Fisch bestens begleitet von ausgebackener und in kleinen Scheiben geschnittener Avocado zur Geltung kommt, widmet sich der andere Teller dem Tintenfisch, der auf einer Avocadocrème thront und von Rettich und Rüben kongenial umspielt wird. Dieser hinreißende Wechsel zwischen feinsten säuerlichen Aromen gerät geschmacklich außerordentlich erfrischend und tiefgründig – das hat wirklich große Klasse!
Auch das Hauptgericht Kalb, Cévennes-Zwiebel, Pilze und Anchovis kann uns überzeugen: das sensationelle Fleisch wird nur mit etwas Knoblauch-Crumble getoppt und blüht im Kontext von hauchdünnen Champignonscheiben, Kartoffelbällchen und einer angenehm dezent gehaltenen Sardellenpaste auf – und das obwohl diese Konstellation wahrlich nicht auf der Hand liegt. Trotz einer großen Komplexität der Gerichte blieb auch hier – und wie bei den anderen Gängen zuvor – der Hauptdarsteller stets im Mittelpunkt des Geschehens. Ein gewagter flüssiger Begleiter dazu ist ein alkoholfreier Bloody Mary, der sich allerdings besser als erwartet einfügt. Superb!
Das Dessert hielt das Niveau ebenfalls hoch: falsche Kirsche, Pistazie, Verbene und Baumkuchen. Das keinesfalls zu süße Dessert stellte zwei falsche Kirschen (Stiel aus hauchdünner geeister Schokolade und Füllung aus Verbene-Creme) in den Mittelpunkt, die von hauchdünnen Scheiben von Baumkuchen interessant umspielt wurden. Aufgegossen mit einem Kirschsud wurde die Pistazie als Herzstück einer Zuckerskulptur präsentiert. Über den kulinarischen Wert dieser Idee ließe sich vielleicht streiten, aber nicht über den optischen!
Doch damit nicht genug: zu einem Ananas-Granité mit weißer Schokolade und einer äußerst gehaltvollen darunter versteckten Praline, die mit Chartreuse gefüllt ist, wird noch ein opluent bestückter Patisserie-Wagen vorgefahren. Ein Erdnussbutter-Macaron, ein wunderbar saftiges Schoko-Cannelé, ein klassischer Javanais und ein Florentiner mit einem Tupfer Aprikose können allesamt mehr als nur überzeugen, doch der großartige Yuzu-Cheesecake ist die Krönung eines phänomenalen Lunchmenüs.
Der Besuch dieser mir zuvor nur wegen der spektakulären Location bekannten Adresse erwies sich als echter Glücksgriff: VIki Geunes ist ein ambitionierter Koch, der sein volles Potential noch keineswegs ausgeschöpft zu haben scheint. Dieses Menü hatte wirklich alles zu bieten, was man von einem zeitgemäßen Menü erwarten darf: Kreativität, Wagemut, klare Aromenkonstellationen und jede Menge Stoff zum Nachdenken.
Belgien läuft Gefahr, im Jahre 2019 nach der angekündigten Schließung des Hertog Jan in Zedelgem mit nur noch einem Drei-Sterne-Restaurant (Hof van Cleve) dazustehen. Das ´t Zilte ist jedenfalls eine Adresse, die man im Auge behalten sollte, wenn es darum geht, wer in die Riege der Allerbesten vorstoßen kann, zumal auch die Leistung des Service und die gesamte Atmosphäre uns restlos begeistert hat. Lediglich die hohen Nebenkosten hätten das Potential dazu gehabt, die Freude ein wenig zu trüben. Sollte es irgendwann noch einen weiteren Besuch dieses Lokals geben, ist das große Abendmenü fest im Visier. Vielleicht spielt dann auch noch das Wetter mit, das an diesem trüben Tag – im Gegensatz zur großartigen Küche hier – leider vieles schuldig blieb.