Über Sinn und Unsinn von Restaurantkritiken

Viele Menschen vertrauen auf zumindest einen Gastro-Führer ihrer Wahl, wenn sie ein Spitzenrestaurant besuchen wollen und sich bei der Suche nach dem geeignetsten Kandidaten informieren wollen. Dieses Essay versucht, diverse Facetten der Restaurantkritik zu beleuchten.

 

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Restauranttester stets anonym und unangemeldet testen. Hier fangen die Probleme bereits an, denn auch wenn kaum eine andere Lösung in Sicht ist, so bleibt doch festzuhalten, dass diese Praxis eine Menge Probleme mit sich bringt.

Zum einen hängt das Ergebnis der Kritik somit allzu häufig an dem Eindruck eines einzigen Besuchs. Wenn nun das Küchenteam einen schlechten Tag erwischt hat oder der Kritiker mit dem linken Fuß aufgestanden ist, dann hat das Lokal trotzdem die Konsequenzen ein ganzes Jahr lang zu tragen. Nun kann man natürlich argumentieren, dass von einem entsprechend dekorierten Restaurant jederzeit eine entsprechende Leistung erwartet werden darf. Doch machen wir uns nichts vor: wir wissen doch nur allzu gut von uns selbst, dass eine solche Anforderung letztlich illusorisch bleiben muss. Menschen machen nun einmal Fehler, und selbst in einem Drei-Sterne-Restaurant kann eine Enttäuschung nicht gänzlich ausgeschlossen werden, auch wenn dies natürlich höchst unwahrscheinlich ist.

Zum anderen wäre es zumindest hilfreich, wenn durch das Zulegen eines Pseudonyms wenigstens deutlich würde, welche Restaurants von ein- und demselben Kritiker besucht wurden bzw. ob die jeweiligen Restaurants im Laufe der Jahre immer von denselben Testern besucht werden. Zugegeben: auch hier wäre es natürlich ein Leichtes, diese Angaben einfach zu fälschen. Wer über Jahre hinweg die Guides verfolgt, kommt jedoch kaum um die Mutmaßung, dass in vielen Fällen über die Jahre hinweg (und sei es nur aus logistischen Gründen) immer wieder dieselben Kritiker zu denselben Lokalen geschickt werden.

Ein weiterer Schwachpunkt der Guides besteht darin, dass oftmals identische Punktzahlen für stilistisch völlig unterschiedliche Restaurants vergeben werden und sich somit Vergleiche aufdrängen, die in Wahrheit völlig an der Praxis vorbei gehen. Außerdem sollte man hierbei nicht übersehen, dass speziell jüngere Köche häufig unter dem Druck, Jagd auf Sterne, Hauben, Pfannen und sonstige Bewertungskriterien machen zu müssen, leiden. Manchmal scheinen auch Bewertungen nicht im Einklang mit den Texten zu stehen. Ein eklatantes Beispiel hierfür lieferte der Gault&Millau 2015 ab: wer die Berichte zum Münchner „Tantris“ (18 Punkte) und zu Heinz Winklers „Residenz“ (19 Punkte) in Aschau las, hätte ohne Ansicht der Punktzahlen unweigerlich zu dem Schluss kommen müssen, dass das Tantris nach Punkten besser bewertet wurde – dies traf aber nicht zu. Nicht vergessen werden sollte dabei auch, dass die Urteile der Kritiker nicht selten über wirtschaftlichen Auf- oder Abschwung eines Lokals entscheiden können. Immer wieder gab es daher Fälle in den vergangenen Jahren unter Köchen, die auf Auszeichnungen verzichteten und lieber für die Gäste als die Kritiker kochen wollten – prominentestes Beispiel hierfür dürfte Jörg Müller auf Sylt gewesen sein, dem kurzerhand 18 Punkte im Gault&Millau gleichgültig waren.

Auch die Aktualität ist ein nicht zu unterschätzendes Problem: da zum Schutz der Identität des Kritikers nie angegeben ist, an welchem Tag das Restaurant besucht wurde, ist folgende Situation durchaus denkbar: Sie besuchen im Oktober 2016 ein Restaurant und lesen in einem Guide des Jahres 2016 eine Kritik vom November 2014. Wie das möglich ist? Nun, der Redaktionsschluss für die Guides des kommenden Jahres ist meistens Mitte Oktober, so dass die ersten Restaurants, die nach diesem Termin getestet werden, bereits Berichte für die Ausgabe des übernächsten Jahres beinhalten. Sollte nach Meinung des Kritikers keine Änderung der Bewertung zum Vorjahr erfolgen, dann wird das Restaurant in der Regel kein zweites Mal mehr im fraglichen Zeitraum besucht – und knapp zwei Jahre zwischen Besuch und Veröffentlichung können in diesem Metier eine Ewigkeit darstellen.

Trotzdem werden die Guides weiter fleißig gekauft (ich mache da keine Ausnahme). Nach all der Kritik muss festgehalten werden, dass es natürlich auch Vorteile mit sich bringt, diese Texte zu lesen. Meistens bieten jedoch Quervergleiche die besten Chancen auf eine möglichst realistische Einschätzung dessen, was einen in diesem oder jenem Restaurant erwartet. Den Sinn einer guten Kritik sehe ich zunächst einmal darin, den Erstbesucher eines bestimmten Lokals genauso gut darauf vorzubereiten wie den Stammgast, der einfach auf dem Laufenden bleiben möchte. Außerdem erwarte ich, dass die Texte nach drei aufeinander folgenden Jahren nicht austauschbar wirken und in mir den Eindruck erwecken, man hätte die Kritik fast genauso gut im Voraus schreiben können. Von exzellenten Texten darf man sicherlich geschliffenen Wortwitz genauso erwarten wie eine möglichst objektive Beurteilung der Leistung eines Restaurants. Viele Restaurants bedauern, dass man ihnen auch im Falle einer Abwertung keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme gibt. Insofern erscheinen Internetportale, in denen durchaus kompetente Leute (sowohl Gäste als auch Gastronomen) berichten, eine sinnvolle Ergänzung. Besonders spannend wird es dann, wenn die Guides schon untereinander kein einheitliches Urteil fällen können und die Gäste dann auch noch polarisiert werden …

Vergessen Sie einfach bei alledem nicht: der Besuch soll in erster Linie ja Ihnen selbst und nicht dem Kritiker gefallen. Wenn Sie also risikofreudig sind, dann spricht auch überhaupt nichts dagegen, sich auch einmal unvorbereitet auf ein Restaurant einzulassen und erst nach dem Besuch die eigene Meinung mit derjenigen der Profis zu vergleichen. Nicht selten entstehen hier spannende Meinungsverschiedenheiten, die eine sinnvolle Diskussion sehr wohl bereichern können. Außerdem ist Ihr eigenes Bauchgefühl meistens noch immer mehr wert als das, was ein anderer für Sie geschrieben hat. Gott sei Dank leben wir in einem freien Land, in dem es ja auch noch erlaubt ist, seine Meinung kundzutun.