Anmerkung: das Restaurant, das früher „Weinhaus Uhle“ hieß, liegt immer noch in dem Gebäude desselben Namens, heißt aber nun „1751“.
„Die schönste Harmonie entsteht durch Zusammenbringen der Gegensätze.“ (Heraklit)
November 2019
Diese Adresse im Herzen der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern gab es bis vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren noch gar nicht, weil des traditionsreiche Gebäude leerstand und von der engagierten Betreiberfamilie Frymark im Frühjahr 2017 erst neu wiedereröffnet wurde. Die ersten Errungenschaften können sich dabei durchaus sehen lassen, denn unter einem Dach beherbergt das Lokal eine Weinhandlung, ein Hotel mit großen Veranstaltungsräumen und ein Gourmet-Restaurant, das unter der Leitung der beiden gebürtigen Rügener Holger Mootz und Ronny Bell steht. Auf der hauseigenen Homepage bewirbt der Besitzer das Etablissement unter anderem mit dem Slogan „Tradition trifft Moderne“ – eine auch auf das Küchenduo zutreffende Feststellung, denn die Zusammenarbeit der beiden ganz verschieden denkenden Köche bringt ganz unterschiedliche Ergebnisse hervor. Während Holger Mootz ein Vertreter klassischer Tugenden ist, gilt der 20 Jahre jüngere Ronny Bell eher als moderner Querdenker.
Das Restaurant selbst ist in einem opulent gestalteten Raum mit hohem Tonnengewölbe im Biedermeier-Stil untergebracht. Die Malereien auf der vor allem in Grün und Weiß gehaltenen Decke drehen sich rund um das Thema Wein – ein außergewöhnliches und nicht alltägliches Ambiente erhöht den Genuss somit schon vor dem Essen. Von der teils live eingespielten Klavierbegleitung lässt sich das nur bedingt behaupten, denn sie ist zum einen recht laut und (zumindest gemessen an dem Standard eines Konzertpianisten, der ich nun mal bin) nicht so überzeugend, dass es eine reine Freude wäre. Die meisten anderen Gäste dürfte dies jedoch eher weniger gestört haben …
Man geleitet mich zu meinem Tisch in einer Seitennische, was mir bald seitens eines älteren Ehepaars ein paar Tische weiter (ja, der Raum ist recht hellhörig) einen Verdacht einbringt: zum einen sitze ich ja allein da, und zum anderen kommt einer der beiden Köche immer wieder mal an meinen Tisch – das kann nur ein professioneller Kritiker sein! Ganz unrecht haben sie ja damit nicht, aber professionell bin ich nun mal nicht, und außerdem würde sich kein Profi-Kritiker zu erkennen geben, um dann hofiert zu werden und somit das Urteil zu verfälschen. Völlig vorurteilsfrei harre ich also der Dinge, die auf mich zukommen werden, wenngleich ich natürlich schon weiß, dass der FEINSCHMECKER 2,5 F, der GUSTO 7 Pfannen und der G&M bereits beachtliche 16 Punkte vergeben. Der Guide Michelin dagegen zierte sich noch mit der Vergabe eines Sterns und beließ es 2019 bei dem Prädikat „Assiette“ (Teller), der Vorstufe zum Stern.
Die Speisekarte offeriert eine Handvoll Gerichte à la carte sowie ein bis zu achtgängiges Menü für € 120. Ich lasse den Käsegang weg, nehme aber ansonsten das volle Programm. Die Mehrzahl der anderen Gäste hingegen scheint mit den Gepflogenheiten der gehobenen Gastronomie hingegen nur bedingt vertraut zu sein und entscheidet sich mehrheitlich für eine individuelle Zusammenstellung der Gerichte – was dazu führt, dass Gäste, die nach mir kamen, bereits vor mir wieder gehen. Das ordentlich gefüllte, aber keineswegs ausgebuchte Lokal scheint somit selbst an einem Freitagabend noch Kapazitäten für Kurzentschlossene zu haben.
Ein Windbeutel mit einer Sanddorn-Crème (eine nette Hommage an die Ostsee) läutet den Abend ein, gefolgt von einem Kartoffelespuma mit Segmenten von Blutwurst und Räucheraal darunter. Gewöhnungsbedürftig, aber gut – was auch für die Brotauswahl gilt, denn das hausgemachte Roggenbrot (mit Salzbutter) wurde mit etwas Trester aromatisiert. Als Amuse Bouche kommt schließlich eine aparte Trilogie an den Tisch: Saibling und marinierte Gurke auf einem Löffel, ein Mini-Sandwich mit Kürbisfüllung und Salzzitrone sowie ein Wildkräuterparfait mit Pinienkernen. Die Petitessen machen allesamt etwas her, denn die Aromen sind klar herausgearbeitet und stark, wenn auch eine gewisse Raffinesse vielleicht noch fehlt.
Der erste Gang fällt gewagt aus: gebeiztes Reh mit Cranberries, Rote Bete und Gin. Die Sülze in der Mitte des Tellers wird von knalligen Texturen der Bete dominiert – leider auch geschmacklich, denn die zu ähnlichen Cranberries schaffen keinen ausreichenden Kontrast. Da helfen auch die vielen Variationen der Bete (gekocht, eingelegt, Gel usw.) nicht wirklich – ein aus der Balance geratener Gang.
Müritz-Zander mit Tomate und Spitzkohl gefällt da schon wesentlich besser: eine satte Tranche des Fischs, ummantelt mit einer Kichererbsen-Asche, ruht fast schon bescheiden am Rand des Tellers und lenkt den Fokus auf die zahllosen Konsistenzen der Tomate, die hier als Eis (sogar unter einer Glasglocke!), Chutney, dehydriert, geräuchert und als weiße Crème auf den Teller gelangt. Im Gegensatz zum ersten Gang setzt der aromensatte Hauptdarsteller hier aber einen ausreichend gewichtigen Kontrapunkt – speziell das virtuose und stimmige Spiel mit Temperaturen beeindruckt hier nachhaltig.
„Das Wurzelwerk“: Petersilie, Mais, Topinambur und Dinkel-Flakes ist ein ungewöhnlicher, rein vegetarischer Gang, dem eine beachtliche Idee zugrunde liegt. Die zeitgemäße Präsentation der erdig-herben Aromen scheitert leider an ein paar Details: der Petersilienschaum ist praktisch geschmacksneutral und stört auch farblich, während die übrigen Komponenten, die auf einer Malzcrème ruhen, schon in zu großer textureller Vielfalt dargeboten werden, um eine klare geschmackliche Aussage zuzulassen. Mit etwas Nachjustierung an den Stellschrauben kann dieser recht überladene Gang aber in Zukunft noch ein großartiger Beitrag werden.
Eine reine Enttäuschung ist dagegen Grevesmühlener Garnele mit Kürbis und Gurke. Bereits die wenig ansprechende Präsentation scheint schon vorwegzunehmen, was bald darauf leider bestätigt wird: die Crème sowie die diversen Varianten von Kürbissorten in sehr groben Strukturen kaschieren mit ihrer arg plumpen Aromatik die (vorbildlich zubereitete) Garnele vollkommen, zumal auch der Gurkenschaum wie ein reiner Fremdkörper bei diesem Gang auftritt und partout nicht mit einer der anderen Komponenten harmonieren will. Dieser Beitrag wirkte nicht sehr durchdacht und stellte den Tiefpunkt der Menüfolge dar.
Spürbar zieht das Niveau wieder mit Wolfsbarsch, Schnittlauch, Karottenrisotto und Ingwer an: der bisher mit Abstand am wenigsten gedrängte Teller rückt (ausnahmsweise, möchte man fast schon feststellen) den krossen Hauptdarsteller voll in den Mittelpunkt und kleidet ihn in ein elegantes Gewand mit wunderbarer Beurre blanc. Die dezent portionierten Begleiter schmiegen sich nahtlos an und machen aus diesem Gang ein kleines Meisterwerk an Demut – etwas, das bislang an diesem Abend nicht gerade eine Grundtugend der Küche zu sein schien.
Ein Hauptgericht, das den Namen verdient, ist Wiesenkalb „hoch drei“. Zur Abwechslung darf anstelle der Begleiter hier mal der Hauptdarsteller in den unterschiedlichsten Facetten beleuchtet werden – und der zahlt es mit teils verblüffender Aromatik zurück: in Form von Filet, Mini-Sandwich mit einer Art Zürcher Geschnetzeltes als Füllung und Ragout von Zunge. Außer einer kräftigen Bratensauce und sparsam eingesetzten Pilzen, Esskastanien und Zwiebeln braucht dieses Gericht nicht mehr, um zu glänzen. Gekrönt wird es von den subtilen Nuancen von Sherry, die diesen exquisiten Hauptgang würdig abrunden.
Als Pré-Dessert streut die Küche einen Trester-Keks (mit der Eule als Logo des Hauses obenauf) mit einem weißen Schokoladen-Parfait ein – ungewöhnlich und leicht herb, aber gut.
Ein opulentes, wenngleich nicht sehr subtiles Dessert ist Original-Beans-Schokolade mit Sumpfbrombeere und Haselnuss. Ein mit gelierter Brombeere ummanteltes Schokoladen-Mousse sowie ein Haselnuss-Eis stehen im Mittelpunkt des Gerichts, dessen Bett aus Schokoladen-Crumble besteht. Die Brombeere tritt dehydriert und als „reine“ Frucht auf, während Tupfen von Aprikosengel noch etwas Farbe ins Spiel bringen – ein effektiver Gedanke, der ein stimmiges Dessert auf Ein-Sterne-Niveau abrundet. Zum leichten Ausklang gibt es noch eine Kürbiskernpraline und ein Schoko-Ganache.
Insgesamt war dies ein Abend mit einigen Höhen und Tiefen: der Service trug zu letzterem immer wieder seinen Teil bei, weil zum Beispiel ein leeres Wasserglas mehrfach erst nach einiger Verzögerung registriert wurde. Bei einer anderen Gelegenheit wurde die Brotauswahl zwar nochmals aufgefüllt, doch weshalb bei dieser Gelegenheit auch gleich praktischerweise der Brotteller mitgenommen wurde (und vor allem nicht bzw. erst nach Aufforderung wiedergebracht wurde), erschloss sich mir nicht. Außerdem schien es keinen wirklich festen Ablauf zu geben, wer wann an den Tisch kommt: mal war es einer der beiden Köche, dann wieder der Sommelier und andermal die Chefin des Hauses, Frau Frymark persönlich. Insgesamt wirkte der Service recht unpersönlich: häufig bekam ich Standardfloskeln und -fragen zu hören, wobei auch manche Abläufe noch nicht so gut eingespielt wirken wie man es in einem Lokal erwarten darf, das nach dem ersten Stern strebt. Mit anderen Worten: hier gibt es noch ganz klaren Optimierungsbedarf.
Die drei großen Trumpfkarten des Hauses sind die Weinkarte, die in einem Weinhaus natürlich außerordentlich reichhaltig bestückt ist, die atemberaubenden Räumlichkeiten und die fairen Preise. Bei diesem Angebot sollte eine allzu hohe Erwartungshaltung auch nicht vorausgesetzt werden, doch führten die bisherigen Urteile der Profi-Guides auch nicht gerade zu einer völlig zurückhaltenden Herangehensweise.
Die Küche offenbarte streckenweise ein unstetes Schwanken zwischen gelungenen, handwerklich sauber konstruierten Tellern und Gerichten, die noch unausgegoren wirkten und geschmacklich nicht überzeugen konnten. Die aktuellen 16 Punkte im Gault&Millau sind für mich allerdings deutlich zu hoch angesetzt, denn meinerseits hätte es für diese Darbietung 14 oder höchstens 15 Punkte gegeben. Der Bezug zur Region ist allenthalben zu spüren, doch allzu oft wurde hier die gute Qualität der Grundprodukte verwässert, wenn aufdringliche Texturen vom eigentlichen Geschehen vollkommen unnötig ablenkten oder diese gar zum reinen Selbstzweck gerieten. Auffällig dabei: wenn der Hauptdarsteller im Fokus stand, gelang der Teller meist besser als wenn es die Nebendarsteller waren. Das unvermittelte Springen zwischen konservativ und avantgardistisch anmutenden Tellern macht zudem eine stilistische Einordnung dieser Küche schwierig. Neben einigen Schwächen (insbesondere im 4. Gang) fehlte manchen Gängen auch eine gewisse Raffinesse, während andere sich schon auf einem höheren Level bewegten.
Aller Anfang ist ja bekanntlich schwer, zumal ein Kochduo an der Spitze auch nicht so häufig vorkommt und dieses erst einmal zusammenfinden muss (selbst wenn wie hier beide Köche schon an anderer Wirkungsstätte zusammengearbeitet haben). Die von Heraklit im Eingangszitat geforderte Harmonie ist jedenfalls noch nicht perfekt, aber was nicht ist, kann ja noch werden! So oder so sollte sich die Stadt Schwerin glücklich schätzen, ein solches (recht günstiges) Lokal anbieten zu können, da es in dieser Region bis zur nächsten nennenswerten Adresse schon einer einstündigen Fahrt an die Ostsee bedarf. Auf die künftige Entwicklung hier darf man durchaus gespannt sein, doch ein weiterer Besuch hier ist meinerseits bislang nicht eingeplant, zumal diese Adresse auch nicht gerade um die Ecke liegt. Das Essen selbst würde – im Gegensatz zu den Räumlichkeiten – einen Besuch derzeit nur bedingt rechtfertigen.