Wozu überhaupt gehobenes Essen?

„Essen ist eine Notwendigkeit, Genießen eine Kunst.“

(Francois de la Rochefoucault)

 

„Ja, gutes Essen kann gesundheitsschädlich sein. Schlechtes ist es in jedem Fall.“

(Wolfram Siebeck)

 

Schon im 17. Jahrhundert schätzten französische Edelmänner offenbar den Stellenwert von bewusstem Essen und gehobenen Viktualien. Auch der unlängst im Alter von 87 Jahren verstorbene und zumindest in der Gourmetszene als einer der gefürchtetsten Kritiker bekannte Wolfram Siebeck war ein unermüdlicher Kämpfer gegen Fast Food und unterdurchschnittliche Qualität. Stellt sich also die Frage: wozu das alles? Lohnt sich das überhaupt? Nun, meine persönliche Antworten auf diese beide Fragen soll das nachfolgende Essay ein wenig erhellen.

 

In einem anregenden Gespräch mit einem Hotel-Gastronomen, dessen Sohn ein Zwei-Sterne-Restaurant betreibt, bemühte dieser folgendes plakative, aber erschreckend authentische Bild, um die Verhältnisse hier in Deutschland zu beschreiben: während in Frankreich eine betagte Großmutter mit ihrem Peugeot 206 aus den 70er-Jahren vor den Supermarkt fährt und dort gut und gerne 300 bis 400 Euro für bessere Lebensmittel ausgibt, fährt hierzulande die oberflächliche Tussi mit ihrem Porsche Cayenne vor, um sich zwei Tiefkühlpizzas zu kaufen. Natürlich ist dies eine stark vereinfachte Darstellung, doch auch in anderen instruktiven Gesprächen mit diversen Chefs ist deutlich zu erkennen, dass der grundsätzliche Tenor den obigen Sachverhalt im Wesentlichen bestätigt.

Tatsache ist, dass in Frankreich ein anderes Bewusstsein vorherrscht, wenn es um gehobene Küche geht. Das beginnt bereits bei der Bereitschaft, mehr Geld für bessere Produkte auszugeben und setzt sich fort mit der Tatsache, dass man dem Essen überhaupt mehr Zeit einräumt. Gemeint sind damit sowohl der Prozess des Kochens selbst als auch der Verzehr der zubereiteten Speisen. Auch in Japan ist die Demut vor den verwendeten Produkten und der Stellenwert des Essens an sich ein ganz anderer und fester in Form von Ritualen in den Köpfen der Gesellschaft verankert.

In vielen anderen Industrienationen hingegen gibt es leider kein auch nur annähernd so ausgeprägtes Bewusstsein – mit all seinen Konsequenzen. Essen ist vielerorts ein Vorgang, der oftmals nur unbewusst oder ohne große Sorgfalt zur Kenntnis genommen wird. Seltsamerweise reden wir bei dem Thema Ernährung von etwas, das jeden einzelnen von uns angeht, aber bei den meisten leider keinen besonderen Stellenwert genießt – was natürlich nicht ganz stimmt, denn beim Kritisieren der Praktiken der Lebensmittelindustrie und ihrer Zulieferer wird die Kritik doch plötzlich immer wieder laut. Selbstverständlich ist ein Teil dieser Kritik durchaus angebracht: wer möchte schon statt Obststückchen in seinem Joghurt aromatisierte Sägespäne vorgesetzt bekommen? Wieso werden Massenprodukte mit Pestiziden zweifelhafter Qualität behandelt? Was aber allzu gerne übersehen wird, ist dass das Konsumverhalten der Käufer diese Praktiken natürlich nachhaltig bedingt.

Würden viele Personen auch nur einen Bruchteil dessen, was sie lieber in teure (und meist nutzlose) Extras am Auto, Urlaubsreisen, technisches Zubehör und sonstige Luxusprodukte stecken, in ihre Ernährung investieren, dann würde sich schon vieles zum Guten ändern. So aber bleibt das Interesse der Lebensmittelindustrie am Geld des Konsumenten größer als an dessen Gesundheit – eine dubiose Einstellung, aber viele Millionen Verbraucher befeuern diese Praxis ja und sind offenbar bei der Ernährung nicht bereit, mehr als das Nötigste zu zahlen. Wie soll bei einem Liter Milch, der nicht einmal 50 Cent kostet, für den Bauer noch etwas verdient sein?

Ein anderes Beispiel: Wieso schmecken so viele Biere in Deutschland nahezu gleich? Antwort: wenige große Dachkonzerne der Lebensmittelbranche wie Dr. Oetker, Unilever oder Nestlé stellen mehrere und damit gleichzeitig den Großteil dieser Biere her, die zwar anders heißen, sich aber in ihren Rezepturen nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Trotzdem – oder gerade deshalb – gehen hierzulande viele kleine Brauereien, die oft bessere und vor allem individuellere Produkte herstellen, bankrott, weil sie nicht so billig produzieren können und der Geiz des Käufers auf kaum einem anderen Gebiet so ausgeprägt ist wie bei Lebensmitteln. Wenn die breite Masse sich offenbar bereitwillig mit hoffnungslos überzuckerten, durch Geschmacksverstärker verfälschte sowie durch und durch aromatisierten Produkten (im wahrsten Sinne des Wortes) abspeisen lässt, dann wird sich an diesem Menetekel nichts ändern.

Die Herstellung besserer Produkte ist natürlich kostspieliger, aber eben auch um so viel lohnender. Ein jeder Psychologe wird bestätigen, dass gutes Essen glücklich machen kann. Außerdem wird der Hungertrieb durch bessere Produkte nicht nur nachhaltiger, sondern auch schneller eingeschränkt, weil man nicht nur besser, sondern auch bewusster und damit langsamer isst. Da biologisch gesehen ein Sättigungsgefühl erst nach 10 Minuten eintreten kann, hat der Inhalt schon so mancher Tüte Chips trotz eines einzigen Verbrauchers keine 10 Minuten nach Öffnung der Tüte überlebt, ohne dass der Hunger des Essers auch nur im Geringsten gestillt worden wäre. Auch deshalb kämpf(t)en Kritiker wie Wolfram Siebeck so unerbittlich gegen das zu rasche Essen, das maßgeblich für schlechte Essgewohnheiten verantwortlich ist.

Ich bin der festen Überzeugung, dass jedes Individuum ohne allzu große Schwierigkeiten auf diesem Gebiet etwas für sich ändern kann. Wieso beispielsweise nicht mal den etwas teureren und sorgsamer hergestellten Serrano-Schinken an der Theke anstatt den in Plastik verpackten Schinken kaufen? Nicht nur der Geschmack des Serrano ist viel besser, sondern auch die Menge, die man isst, um satt zu werden, ist viel geringer. Somit sind die teureren Produkte meist gar nicht so viel luxuriöser, weil man eben auch sparsamer und bewusster mit ihnen umgeht – und damit seiner Gesundheit meist auch noch etwas Gutes tut.

Wenn der Wille zur Veränderung da ist, sollte eine Umstellung der Kauf- und Essgewohnheiten gar nicht so schwerfallen. Man muss er nur wollen! Liebe (zukünftige) Gourmets: die Bereitschaft, etwas bei sich selbst zu ändern, wäre einer meiner größten Wünsche an meine Leserschaft für das kommende Jahr!