Die Zirbelstube, Stuttgart (UPDATE)

Anmerkung: Dieses Lokal ist inzwischen geschlossen.

„Orte sterben wie die Menschen, wiewohl sie fortzubestehen scheinen.“ (Joseph Joubert)

UPDATE (Mai 2022)

Selbst habe ich eine Rezension mit größerer Wehleidigkeit verfassen müssen, denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Rezension wird die Zirbelstube schon Geschichte sein. Nun kommen und gehen Restaurants bekanntlich schon seit jeher, doch in diesem speziellen Fall ist es eine weitaus traurigere Angelegenheit. Das liegt einfach daran, dass die Zirbelstube nicht irgendein Lokal war, sondern schlicht und ergreifend das nobelste, edelste und fraglos auch schönste Sternerestaurant im Herzen der Schwabenmetropole – allein das Foto spricht Bände.

Hinzu kommt eine Historie, die unter Bernhard Diers ihren glorreichen Anfang nahm und selbst in den weniger ruhmreichen Jahren unter Sebastian Prüßmann kaum etwas von ihrem Glanz eingebüßt hatte. In diese Zeit fiel die krasse Fehlentscheidung der Geschäftsleitung, das Sternerestaurant ohne Not stattdessen in den unpersönlich anmutenden und viel zu groß dimensionierten Frühstückssaal des Hotels zu verlegen, was die Gäste mit Kopfschütteln und Fernbleiben gnadenlos (und vollkommen zurecht) quittierten. Welcher Sinn hinter dieser Schnapsidee steckte, ist im Grunde bis heute vollkommen rätselhaft geblieben, denn schon immer durfte sich die Zirbelstube zu den schönsten Speisesälen Süddeutschlands zählen. Mit der Rücknahme dieser Fehlplanung kehrten die Gäste auch rasch wieder zurück, selbst als Sebastian Prüßmann das Haus verließ. Kurz darauf heuerte bekanntlich Denis Feix hier an, der aus dem niederbayerischen Bad Griesbach kam, nachdem die Columbia-Hotelkette sein Lokal Il Giardino Knall auf Fall geschlossen hatte. Unter Leitung des erfahrenen Maîtres Pascal Foechterlé und der Sommelière Katrin Feix schienen die Weichen für eine rosige Zukunft gestellt, doch dann stellte die Pandemie alles auf den Kopf. Eine ewig lange Schließzeit und dringend anstehende Sanierungsmaßnahmen führten letztlich dazu, dass das Lokal im Frühjahr 2022 nur nochmals für drei Monate öffnen würde, bevor es hieß, endgültig Abschied zu nehmen. Den dreijährigen Umbauarbeiten fällt das Lokal zum Opfer – offen war zum Zeitpunkt meines letzten Besuchs nur die Frage, ob wenigsten einige der Holzpaneele zu retten wären. Auch die Zukunft des Ehepaars Feix stand noch in den Sternen und ist Stand jetzt (Mitte Juli) immer noch nicht geregelt – welch ein Trauerspiel!

Wenigstens durften sich die Habitués – von denen es bestimmt nicht wenige gab – noch ein oder mehrere Male für immer von ihrer geliebten Zirbelstube verabschieden. Der Verlust dieser Räumlichkeiten dürfte in seiner Tragweite für Stammgäste fast schon an die Dimensionen der Schwarzwaldstube oder der damaligen Schweizer Stuben in Wertheim-Bettringen heranreichen – so legendär war die Aura dieser Institution. Auch ich ergreife daher die Gelegenheit, nach dem Besuch im März dem Restaurant noch ein letztes Mal die Ehre zu erweisen und sich dann für immer von dieser Legende zu verabschieden. Ich hoffe inniglich, dass dieses letzte Mahl hier besonders gut gelingen möge und denke, dass mit der Präsentation von langjährigen Klassikern aus Denis Feix‘ Küche die Voraussetzungen dafür allemal gegeben sein könnten.

Wie schon beim letzten Ma(h)l offeriert man zum Paketpreis von € 225 eine fünfgängige Menüfolge inklusive Apéritif, Getränkebegleitung, Kaffee, Wasser und Digestif – alles in allem ein fairer Preis, der Stammgäste sicherlich nicht abschrecken konnte. Dem Serviceteam merkte man keinerlei Resignation, sondern vielmehr den unbedingten Willen an, nochmals sein Bestes zu geben, bevor die Pforten für immer schließen würden. Dennoch kreist in meinem Kopf immer wieder der finale Satz Der Abschied aus Gustav Mahlers Das Lied von der Erde herum, weil diese unsagbar schöne Musik dem traurigen Anlass einen angemessenen Rahmen liefern würde.

Steigen wir also ein letztes Mal in das Menü Feix ein, welches auch diesmal alle Gerichte auf der Karte mit kurzen verbalen Erläuterungen zugänglicher macht und so auch unerfahreneren Gästen (gibt es so etwas hier überhaupt?!) die Hemmungen nimmt, sich auf diese Hochküche einzulassen. Den Auftakt bilden drei Apéros: ein recht knuspriges Tartelette von cremiger Entenleber mit Erbsen und aromatisch eher unauffälliger Shisokresse, dann ein durch Ingwer und Kokos veredeltes Minisandwich mit einer Füllung von Karottentatar (mit betonter Zurückhaltung und dadurch sehr produktfokussiert!) sowie schließlich Wagyu aus Kagoshima in einem Strudelröllchen mit Texturen von Orange und Auberginen – für Denis Feix‘ Verhältnisse ein ungewöhnlich intensiver Beitrag, der aber keinesfalls penetrant gerät und einen schönen Kontrast zu den „leiseren“ Beiträgen eingeht. Von einer „Geschmacksexplosion“, wie dieser Einstieg am Nebentisch bewertet wird, ist diese kleine Parade allerdings doch ein gutes Stück entfernt. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Ausdruck im Vokabular des Chefs überhaupt ein Kompliment darstellen würde, weil knallige Effekte bei ihm höchstens die zweite Geige spielen und elegante Konzentration auf das Wesentliche hier ungleich mehr geschätzt wird. Zum Apéritif verkoste ich übrigens auf Empfehlung von Katrin Feix einen „White Grape Juice“ aus Slow-Wine-Produktion in Südafrika, der mit fruchtig-herber Aromatik bestens korrespondiert.

Einen echten Höhepunkt des Abends stellt der warme Gruß aus der Küche dar: „Hühnerbrot“ (in Wirklichkeit halbwegs kross frittierte, aber auffallend deftige Hühnerhaut) bildet hier die köstliche Unterlage für ziemlich mageres Sot-l’y-laisse, aromensatte Mairitterlinge mit Pilzcrème und schließlich eingelegte Salzzitrone. Dieser ziemlich subtilen Würzung setzt die Küche allerdings präsente Schärfe von Pfeffer entgegen, so dass sowohl in puncto Gestaltung als auch Konzeption ein eher exotisch klingendes Häppchen entsteht, das sich in Wirklichkeit als ein selten originelles und hocharomatisches Amuse entpuppt – ein großer Wurf, denn alle Komponenten sind deutlich erkennbar und tragen ihren Teil zum Gelingen bei – ein Kandidat für das Menü des Jahres 2022!

Die Brotauswahl offeriert diesmal Focaccia und Laugenbrötchen mit ungesalzener Butter – ein schlichter, aber wohlschmeckender Einschub ohne Sperenzchen.

Nicht selten inszeniert Denis Feix seine Gerichte ausgesprochen puristisch: das Entrée, bestehend aus Kaisergranat, ist beileibe keine Ausnahme von der Regel. Das ansehnliche Exemplar von einem gebratenen Krustentier ist recht weich und darf in voller Reinheit erstrahlen. Die fast schon demütige Begleitung aus jodigen Algen, zurückhaltender Avocadocrème und nur minimal süßen Johannisbeeren lenkt den Fokus voll auf die Produktqualität des Hauptdarstellers, die von einem weniger dünnen Krustentiersud vielleicht noch mehr profitiert hätte – sicherlich eine gewollte, aber dennoch fragwürdige Entscheidung. Trotz allem gelingt der Einstieg trefflich, zumal ein mit Zitronensaft und markigem Apfelessig verfeinerter Ingwertee hervorragend korrespondiert.

Zum nächsten Gang schenkt man einen Rhabarbersaft ein, der ungeheuer komplex, aber stimmig mit Staudensellerie, Limette, Fenchel, Blaubeeren und Rosmarin veredelt wurde. Klingt freilich exotisch, wertet aber den nächsten Gang mit Rotbarbe spürbar auf. Abgesehen von drei entbehrlichen, winzigen Gräten, überzeugt das Fischlein mit wunderbar mürber Konsistenz und einer betont salzigen Aromatik. Der vorzüglich gedämpfte grüne Spargel und die versteckte Pistaziencrème bringen vegetabile und nussige Aromen ins Spiel, welche die Barbe ungewohnt und doch höchst aristokratisch begleiten. Die Abrundung des Tellers gelingt mit winzigen Tropfen von Sudachi-Gel, die mit der Frische der japanischen Zitrusfrucht einen hervorragenden Gang spritzig abrunden.

Dass die selbst kredenzten Getränke hier meist deutlich mehr überzeugen als in den ach so hippen Sternerestaurants von Berlin, zeigt, wie durchdacht inzwischen auch die Getränkebegleitung auf das Menü abgestimmt ist. So passt auch Grapefruitsaft mit Tonic Water und Kerbel ausgezeichnet zu Chicorée, der zunächst eingelegt und gegart, bevor er letztlich gratiniert wird. Ihn umspielen Mais in verschiedenen Texturen (eingelegter Mini-Mais, Popcorn, geflämmt), Polenta und Iyokansaft, der eine reizende Süße bei gleichzeitig herbem Abgang ins Spiel bringt. Außerdem wird die ohnehin schon komplexe Würze durch Cayenne-Pfeffer im Popcorn noch weiter aufgewertet. Das körperbetonte Gratin und die entwaffnende Bitterkeit des Chicorée ergänzen einander gut – und doch bleibt unterm Strich der Eindruck des am wenigsten überzeugenden Gerichts an diesem Abend. Keine Enttäuschung, aber die Vorzüge einer Kombination der eingesetzten Produkte erschlossen sich mir nur bedingt.

Zum Hauptgang gießt man einen ausgesprochen kräftigen Begleiter ins Glas: Assam-Tee mit Nelken, Lorbeer, Thymian und in Gewürze eingelegte Johannisbeeren vereinen sich zu einem kraftvoll-würzigen Cocktail, wobei der homogen tiefrot gebratene Rehrücken eine solch präsente Begleitung ohne Weiteres verträgt. Die Betonung der fleischlichen Röstaromen gelingt durch eine Wildjus von beachtlicher Tiefe sowie einer Sauce von Gartenkräutern ausgezeichnet – überhaupt fällt auf, dass die Saucen in puncto Qualität nochmals um ein gutes Stück zulegen konnten. Das filigrane Türmchen anbei verquickt glasierte rote Bete, eingelegte gelbe Bete, Himbeere, Petersilie und Radieschen zu einem filigranen Bouquet voller schlüssiger vegetabiler Aromen. Handwerk, Ausgewogenheit und Eleganz hieven diesen Hauptgang auf ein wirklich beachtliches Niveau, das an Denis Feix‘ beste Zeiten mit zwei Michelin-Sternen in Niederbayern erinnert. Stark!

Das recht simpel gestrickte Dessert wird durch große Variabilität und geschmackliche Tiefe erfolgreich vor dem Abdriften in die Banalität bewahrt. Das beginnt schon bei dem sehr heißen Rooibos-Vanille-Tee, der mit Nuancen von Früchten, Chili und Karamell regelrecht verzückt. Das Dessert selbst wartet mit Manjari-Schokoladencrème und -mousse in der Mürbteigtarte auf, während Kirschsorbet, eingelegte Kirschen und Kirschblüten souverän durch den Einsatz von geradezu ätherischem Sanchopfeffer (auch in der Vanillesauce) auf erstaunliche Weise gewürzt werden. Definitiv ein würdiger Ausklang mit Gute-Laune-Potential.

Die Petits fours bestehen aus drei schmelzigen Pralinen von jeweils weißer Schokolade mit Rosenblüten, Aprikose oder Fichtensprossen, während der Erdbeer-Macaron rechts ganz klassisch einen gelungenen Abend angemessen ausklingen lässt. So endet also diese allerletzte Stippvisite in einem außergewöhnlichen Restaurant, das mir sicherlich noch sehr lange im Gedächtnis bleiben wird. Da der Digestif (leider habe ich vor lauter Kümmernis, dass der triste Moment nun unvermeidlich eingetreten ist, nicht notiert, worum es sich handelte) im Preis inkludiert ist, genehmige ich mir selbstverständlich noch, auf das Wohl des Lokals anzustoßen und sage somit indirekt Lebewohl: Zirbelstube ade, Scheiden tut weh …

Denis Feix ist sich auch bei meiner definitiv letzten Einkehr hier treu geblieben und hat seinen Stil allenfalls optimiert, aber keinesfalls verändert. Stets sind seine Teller auf durchdachte Weise mit kaum mehr als drei Komponenten gestaltet und immer von dem Wunsch nach großer Harmonie beseelt. Offensive oder knallige Kreationen suchte man bei ihm stets vergebens; vielmehr handelte es sich bei seiner Kulinarik um ein durchaus weltoffenes Kochen mit ungewöhnlichen Produkten und teils auch seltenen Techniken, aber niemals wäre es ihm eingefallen, einen Gast mit einem Teller vor den Kopf stoßen zu wollen. Das honorierten die zahlreichen Stammgäste, die sich sicher sein konnten, hier stets großen Genuss im gediegenen, aber keinesfalls langweiligen Stil vorgesetzt zu bekommen. Mit einer gewissen Gemüselastigkeit deutete der Chef ja auch immer wieder an, dass er neuen Trends gegenüber durchaus aufgeschlossen ist und willens ist, mit der Zeit zu gehen, was ihm meist auch ganz ausgezeichnet gelang. Mag sein, dass man sich von dem einen oder anderen Teller gelegentlich etwas mehr aromatische Kraft gewünscht hätte, doch welch kleine Kritik stellt dies dar, wenn man bedenkt, wie konstant zuverlässig dieser Koch stets lieferte!

Das unvergesslichste Gericht, das ich je hier verkosten durfte, war Spargel mit Amalfi-Zitrone und Senfsaat (siehe „Menü des Jahres 2019“). Ein viel typischeres Beispiel für die Ästhetik von Denis Feix konnte es kaum geben: fast schon minimalistisch, von reizender Optik und von einer geschmackliche Tiefe, die angesichts nur dreier Komponenten durchaus bemerkenswert geriet. Für mich ruhten seine Gerichte ganz in sich, wirkten niemals forciert oder gar überdreht und waren stets von einer klaren Idee durchdrungen – Tugenden, die längst nicht alle Spitzenköche heutzutage im selben Maße pflegen. Wenn man dann noch so eine charmante, tiefenentspannte und kompetente Ehefrau wie Katrin Feix als Servicechefin an seiner Seite weiß, dann ahnt man, wie viel Herzblut diese beiden letztlich in ihr Gastgebertum stecken. Die Darbietungen der Servicebrigade hatten unter ihrer Leitung stets großen Stil und erwiesen sich als absolut angemessen für das noble Ambiente.

Tatsächlich konstatiere ich mit der mir eben größtmöglichen Objektivität, dass Denis Feix bei meinem allerletzten Dîner hier seine bislang beste Leistung abrufen konnte – was beileibe keine Selbstverständlichkeit darstellt, wenn die eigene Zukunft vollkommen in der Schwebe ist und die schwierige Situation für alle so belastend gerät. Nun ist dieser Bericht natürlich ungewöhnlich, weil er einem inzwischen geschlossenen Restaurant gewidmet ist; wenn er allerdings als schöne Hommage an eine legendäre Gourmet-Institution dient und gleichzeitig ein Empfehlungsschreiben für Denis Feix darstellt, dann sehe ich den Sinn dieser Rezension trotz allem als erfüllt an. Hoffen wir, dass uns Denis Feix auch weiterhin an einer neuen Wirkungsstätte erhalten bleibt!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Die Zirbelstube
Schillerstraße 23
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/20260
www.hotelschlossgarten.com

Guide Michelin 2022: –
Gault&Millau 2021: –
GUSTO 2022: –
FEINSCHMECKER 2022: –

5-gängiges Menü inkl. Apéritif, Wasser, Weinbegleitung, Kaffee und Digestif: € 225

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„Auf jedes Ende folgt wieder ein Anfang, auf jedes Äußerste folgt eine Wiederkehr.“
(Lü Buwei)

UPDATE (März 2022)

Nach einer inzwischen jahrelangen Hängepartie herrscht nun endlich Klarheit, wie es um eine der legendärsten Gourmet-Institutionen von ganz Baden-Württemberg bestellt ist: nämlich sehr schlecht, um es mal ganz nüchtern auszudrücken. Als eines der ersten Lokale in ganz Deutschland erwischte der Lockdown Stuttgarts nobelsten Speisesaal mit voller Wucht – erst Ende Februar dieses Jahres gab es überhaupt wieder eine neue Wasserstandsmeldung: das Lokal würde ab Mitte März nochmals für gut drei Monate öffnen, bevor Ende Juni dem gesamten Hotel am Schlossgarten wegen unvermeidlicher, zirka dreijähriger Renovierungs- und Sanierungsarbeiten die endgültige Schließung bevorstehe. Für mich konnte das nur eines bedeuten: nichts wie nochmals hin, zumal sich Chefkoch Denis Feix trotz nicht endenwollender Passivität anlässlich dieser Ankündigung bereit erklärte, für diese Dauer ein Menü mit bisherigen Highlights zusammenzustellen.

Der Stuttgarter Zirbelstube haftet unter Gourmets eine Aura an, die sich im Ländle allenfalls mit der Reputation der Speisemeisterei in der Universität Hohenheim vergleichen ließe. Der Glanz beider Lokale beruhte vor allem auf den Leistungen früherer großer Chefs – im Falle der Speisemeisterei (die sich seit jüngstem endlich wieder zum Kreis der Zweisterner zählen darf) war es Martin Öxle, bei der Zirbelstube war es Bernhard Diers, den wir ja in Verden an der Aller in seinem Café vor zwei Jahren besuchten. Trotz allem wurden beide Betriebe auch nach ihrer Blütezeit unter teils großen Widrigkeiten fortgeführt, was die Gäste im Allgemeinen wohlwollend zur Kenntnis nahmen und weiterhin mit ihren Besuchen honorierten. Unter Denis Feix, der 2017 gekommen war, befand sich die Zirbelstube gerade wieder auf dem besten Weg zu altem Glanz, doch die unselige Corona-Pandemie hatte offensichtlich andere Pläne für das legendäre Restaurant parat. Maître Pascal Foechterle war des langen Nichtstuns überdrüssig und schloss sich inzwischen dem Fässle im Stuttgarter Stadtteil Degerloch an, doch Katrin Feix, die Ehefrau des Chefs, hielt dem Haus und ihrem Mann selbstverständlich die Treue. Nun heißt es also von einer Institution Abschied nehmen und nicht nur gehoben speisen, sondern sich auch vor Ort nach den Fakten zu erkundigen, die im Allgemeinen eher nicht in den Medien kommuniziert werden.

Wie in Trance steige ich die Treppe zum Speisesaal empor und fühle mein Blut schon in Wallung geraten! Wie schön, gleich als allererster Gast nach der temporären Neueröffnung hier einkehren zu dürfen, zumal meine beiden Begleiter ein wenig später, aber natürlich pünktlich, eintrudeln. Ich nehme Platz und lasse mich nochmals von dem einmaligen Ambiente regelrecht berauschen, das es in dieser Form schon bald nicht mehr geben wird – eine schwer erträgliche Vorstellung, doch alles hat nun einmal seine Zeit. Unter Gourmets jedenfalls ist das Ambiente der Zirbelstube für Stuttgart so etwas Prägendes wie das mondäne Louis XV für Monte Carlo.

Schon bald sind wir komplett versammelt und verkosten zunächst einmal die drei Apéros, bevor wir ins Detail gehen. Los geht es mit Strudelröllchen, Aubergine und Olive – eine feinherb abgeschmeckte und rein vegetarische Petitesse. Eingelegter Kohlrabi, Yuzucrème und Kresse entwickelt eine unerwartete Mundfülle, nicht zuletzt wegen etwas versteckter Senfsaat im Verbund mit wohldosierter Säure und grünen Aromen. Deftiger geht es zum Abschluss der Trilogie bei Focaccia, Rind und Schnittlauch zu, doch Denis Feix wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch hier einen klassischen Charakter anstreben würde, indem er zwar die mineralischen Noten betont, aber in der Intensität lieber noch mit etwas Crème fraîche abfedert. So oder so ein gelungener Start, der mit einem Glas Ruinart Rosé (ausnahmsweise Alkohol für mich, wenn schon im Preis inkludiert) veredelt wird.

Da einer der Begleiter de facto zum ersten Mal hier einkehrt (ja, so etwas gibt es tatsächlich …!), leiste ich noch ein wenig Aufklärungsarbeit und freue mich, dass auch Katrin Feix umgehend ein paar meiner drängendsten Fragen beantwortet, da sich das Restaurant erst langsam füllt. So erfahren wir, dass die kulinarische Zukunft des Ehepaars Feix offenbar noch völlig ungeklärt ist und es Bemühungen gibt, die legendären Holzpanele, die das Lokal zieren, irgendwie vor der Zerstörung zu bewahren – Ausgang offen. Ob nach der Wiedereröffnung des Hotels 2025 ein gehobenes Restaurant angedacht ist, scheint derzeit ebenfalls noch in den Sternen zu stehen. So verweilen wir notgedrungen in der Gegenwart und verkosten ein Menü, das zum Preis von € 225 nicht nur sämtliche fünf Gänge, sondern auch Apéritif, Wasser, Kaffee, Weinbegleitung (eine alkoholfreie Variante ist etwas günstiger zu haben) und Digestif inkludiert. Jüngere Bewertungen als die Urteile der Profi-Guides von vor zwei Jahren gab es selbstredend keine, so dass wir als Richtschnur nur die Ergebnisse von damals zur vagen Orientierung hatten (17 Punkte im G&M sowie ein Michelin-Stern). Dennoch bestand für mich kein ernsthafter Grund, daran zu zweifeln, dass Denis Feix trotz der endlosen Zwangspause das Niveau würde halten können.

Die Brotauswahl ist schwerlich der beste Gradmesser hierfür, aber die Selektion aus typisch schwäbischen Laugenwecken, Focaccia, Butter und Fleur de Sel überzeugt durchweg.

Ein recht kühnes Amuse unter dem Motto „Schwaben trifft Hessen“ rundet die Parade an Einstiegen ab: drei Ravioli, gebettet auf dem hessischen Klassiker Grüne Sauce, sind gefüllt mit Kartoffeln und etwas geriebenem Bottarga. Etwas Crème von pochiertem Ei ändert nichts an dem relativ teiglastigen und recht bitteren Eindruck (der hauptsächlich auf das Bottarga zurückzuführen ist), so dass ein ungewohnt herber Auftakt zum Menü überleitet.

Dieses wird eingeläutet mit nur knapp gebratener Jakobsmuschel, die in großer Klarheit mit glasigem Charakter auf den Teller gelangt. Die fruchtbetonte Garnitur besteht aus mit Olivenöl und Koriander marinierter Pomelo, während ein Purée von Batate diesen ziemlich puristischen Gang abrundet. Wie so oft bei Denis Feix gelangen durchaus ungewöhnliche Konstellationen auf den Teller, die aber keinen Gast wirklich erschrecken werden. Meist geht es eher darum, nur drei bis vier Produkte abwechslungsreich in Szene zu setzen und ein stimmiges Gesamtbild entstehen zu lassen. Das gelingt hier schon mal ausgezeichnet, zumal ein mit Blutorange, Limette und Korainder verfeinertes Tonic Water bestens auf das Gericht abgestimmt wurde.

Noch zurückhaltender wird die sanft gegarte norwegische Fjordforelle begleitet: ein bestens abgeschmeckter Ingwer-Kokos-Sud bereitet dem wunderbar mürben und saftigen Fischlein eine leicht würzige, aber keinesfalls knallige Bühne. Die Begleitung mit diversen Pilzen erstaunt angesichts der Jahreszeit ein wenig, doch eine Fülle reizender Texturen und eine gelungene Detailarbeit (nicht zu vergessen: Ceta-Kaviar) lenken rasch von diesem Umstand ab. Die erdigen Noten gehen eine ungewohnte Kombination mit der Muschel ein, doch letztlich überzeugt auch diese Idee. Ingwertee mit Zitrone und Apfelessig zur Begleitung entspringt einer Idee von Katrin Feix, die ja schließlich auch Tee-Sommelière ist und profundes Wissen auf diesem Gebiet offenbart.

Leider ist mir beim nächsten Gang – was selten vorkommt – das Foto durch die Lappen gegangen, so dass Duroc-Schweinebauch mal abstrakt bleiben muss. Erneut sehr sanft gegart, behält das Fleisch seinen zarten Charakter, doch geht es andererseits zu Lasten des deftigen Charakters. Sicherlich eine bewusste Entscheidung, aber angesichts der bisher zur Schau gestellten Zurückhaltung hätte eine etwas mutigere Interpretation durchaus eine willkommene Abwechslung dargestellt. Nun gut: die knusprige Panade steuert diesem Eindruck etwas entgegen, während Piemonteser Haselnuss und – besonders ungewohnt – Hagebutte eine straffe Fruchtigkeit und Biss ins Spiel bringen. Die Vielfalt der Aromen, die sich allerdings in einem relativ engen Rahmen bewegt, überzeugt einmal mehr. Ein eigens kredenztes Glas aus Scheurebe, Dornfelder und Beeren wartet mit mehr Power als der Gang selbst auf.

Lamm vom Gutshof Polting, eines der Lieblingsprodukte des Chefs aus seiner niederbayrischen Heimat, wird zum Hauptgang als gegrillter Tafelspitz serviert.  Puntarelle (einigen vielleicht auch eher unter dem Namen Spargelchicorée bekannt) erinnert mich ein wenig an Artischocke in puncto Geschmack, doch die Lammjus und cremige Avocado reichen mir diesmal nicht aus, um den inzwischen doch sehr dominanten Eindruck übermäßiger Demut zu entkräften. Anstelle einer recht auffälligen Gemüselastigkeit (obwohl die Begleiter ziemlich sparsam portioniert sind) wäre ich schon versucht gewesen, ein Statement zu setzen und eine Sauce von monumentaler Wucht zu riskieren. Saft von schwarzer Johannisbeere, verfeinert mit Trauben, diversen Gewürzen und Assam-Bari-Tee, ist ein spannender Begleiter, der zu einem wuchtigeren Gang allerdings noch besser gepasst hätte.

Den mit Abstand mutigsten Einfall des Abends bestaunen wir dann zu unserer einigermaßen großen Überraschung beim Dessert: Edelweiß-Felchlin-Schokolade kombiniert Denis Feix auf seine fast schon ureigene Weise, denn Entenleber – diesmal in Form von Eis – ist quasi schon ein Dauergast unter seinen süßen Ausklängen. Wobei: habe ich gerade von „süß“ gesprochen? Tatsächlich überwiegt ein stark jodiger Eindruck, der von Algen herrührt, welche als Pulver und Crème aufgrund dezenter Dosierung duftige Aromen versprühen. Mag sein, dass diesem neuartig kühnen Ausklang vielleicht noch das letzte Maß an Feinabstimmung fehlt, aber unterm Strich ist es dennoch ausgezeichnet gelungen, zumal die Mixtur aus Apfel, Birne, Essig und Tee dem Avantgarde-Charakter des Tellers vollauf gerecht wird.

Weitaus gefälliger und klassischer kommt als nachgeschobene Petitesse Rhabarber-Sorbet, Erdbeerkompott, braune Butter und Crumble daher – weitaus konservativer gestrickt, aber von zurückhaltender Süße und federnder Leichtigkeit, die zum Frühling bestens passt.

Die Pralinen zum Abschluss überzeugen durchweg: es handelt sich um Erdbeere mit dunkler Schokolade, dann weiße Schokolade mit Curry und Aprikose, und zu guter Letzt Karamell mit Himbeere – schön zu sehen, dass die Spielereien früherer Tage mit gefärbtem Popcorn und dergleichen inzwischen offenbar der Vergangenheit angehören. Die Erkenntnis, dass in letzter Instanz immer der Geschmack über die Optik triumphieren sollte, scheint sich durchgesetzt zu haben. Wunderbar!

Was bleibt am Ende dieses besonderen Essens in nostalgischem Ambiente? Wir erlebten hier einen Abend auf dem Niveau, wie wir es aus den Zeiten vor dem Lockdown im Gedächtnis behalten hatten. Denis Feix hatte erwartungsgemäß nichts verlernt und zog seine Linie mit den wenigen Komponenten und den aristokratischen Geschmacksbildern unbeirrt durch. Der Erfolg gibt ihm ja auch recht: kein einziges Gericht wäre merklich abgefallen, auch wenn im Gegenzug festgehalten werden muss, dass echte Highlights spärlich gesät waren. Im Grunde genommen bemängelte ich am Ende dieses Abends nur einen einzigen Umstand, der in dieser Form nicht so häufig auftritt: während jedes Gericht für sich genommen praktisch untadelig geriet, fehlte es dieser Menüfolge deutlich an einer klaren Dramaturgie. Sämtliche Gerichte wirkten balanciert und ausgewogen, aber spürbare Power verströmte eben auch keines von ihnen. So pegelte sich das Maß an kulinarischer Aufregung nur innerhalb eines ganz kleinen Intervalls ein; ein gelegentliches stärkeres Ausschlagen in die intensivere Richtung hätte ich mir dann doch an der einen oder anderen Stelle gewünscht, weil das Menü trotz aller inhärenten Qualitäten etwas mutlos wirkte. Das war schwerlich in dieser Form gewollt und wäre sicherlich auch vermeidbar gewesen, doch an diesem Eindruck hielt ich auch etliche Tage nach dem Besuch noch beharrlich fest.

Ansonsten überwog neben der Freude über ein grundsolides Mahl zum fairen Kombipreis die ernüchternde Erkenntnis, dass diese legendäre Institution schon Ende Juni Geschichte sein wird. Ein weiterer Besuch vor der Schließung ist daher durchaus angedacht – und ambitionierten Gourmets mit Hang zur Nostalgie sei dies ebenfalls ausdrücklich empfohlen, zumal zumindest unter der Woche noch einige Plätze zu haben sind. Gerade Katrin Feix vereinnahmt die Gäste regelrecht mit ihrer ruhigen, unaufgeregten und kompetenten Art für sich – eine perfekte Gastgeberin der leisen Töne, der affektiertes Gehabe vollkommen zuwider ist. Wie es mit Denis Feix und seiner charmanten Frau weitergeht, steht wie gesagt noch in den Sternen. Hoffen wir, dass sie nach dem vor wenigen Jahren erfolgten Umzug vom niederbayrischen Bad Griesbach nach Stuttgart auch diesmal das Glück haben werden, eine angemessene Location bekochen und leiten zu dürfen! Ich hätte jedenfalls keine Einwände, wenn die neue Bleibe ebenfalls wieder in Baden-Württemberg liegen würde – gerade die Ostalb könnte ein wenig Aufwertung vertragen …

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Die Zirbelstube
Schillerstraße 23
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/20260
www.hotelschlossgarten.com

Guide Michelin 2022: –
Gault&Millau 2021: –
GUSTO 2022: –
FEINSCHMECKER 2022: –

5-gängiges Menü inkl. Apéritif, Wasser, Weinbegleitung, Kaffee und Digestif: € 225

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„Eleganz heißt nicht, ins Auge zu fallen, sondern im Gedächtnis zu bleiben.“ (Giorgio Armani)

UPDATE (März 2021)

Anmerkung (1): Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat das Restaurant nicht wiedereröffnet. Ein für den Herbst vorgesehener Termin kam wegen des zweiten Lockdowns erst gar nicht zustande. Vielen sehnen den Moment herbei – Ausgang allerdings ungewiss.

Anmerkung (2): Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit entstanden diese Fotos ausnahmsweise nicht mit einer Kamera, sondern einem Smartphone – daher das ungewohnte Bildformat.

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UPDATE (Januar 2020)

Denis Feix geht heuer mit seinem eingespielten Team nun ins vierte Jahr in Stuttgarts nobelstem Speisesaal, dem er inzwischen wieder erfolgreich zu altem Glanz verholfen hat. Nach dem krankheitsbedingten Ende von Bernhard Diers vor einigen Jahren hatte ja die Entscheidung, das Spitzenrestaurant stattdessen in den viel zu großen und unpersönlich anmutenden Raum, der jetzt wieder als Frühstücksraum des Hotels dient, für Unmut gesorgt. Mit der Korrektur dieser Fehlplanung und der Anwerbung von Denis Feix ist das Restaurant seither jedoch wieder in deutlich ruhigerem Fahrwasser unterwegs. Die eher konservativen Habitués finden hier, in einem der nobelsten Speisesäle von ganz Süddeutschland, eine zeitgemäße und elegante Küche, die konservativere Esser sicherlich nicht überfordert oder gar brüskiert. Dennoch hat sich der Küchenstil von Denis Feix seit dem erzwungenen Abgang aus dem niederbayrischen Bad Griesbach im Jahr 2016 deutlich verändert: früher bestimmten farbenfrohe Kreationen, denen manchmal eine recht exotische Idee zugrunde lag, das Bild. Selbst wenn die Stilistik, mit kaum mehr als drei prominenten Zutaten pro Teller auszukommen, noch immer die Teller heutiger Zeiten kennzeichnet, so ist doch eine deutliche Abkehr von Schäumen und Düften auszumachen. Stattdessen prägen nun elegante Optik und Zurückhaltung die Kreationen: was hier praktiziert wird, ist kein lärmender oder auf Sensationen ausgerichteter Küchenstil, sondern einer der auf nachhaltige Beglückung setzt.

Auch ich brauchte eine Weile, um mich mit diesem durchaus gewöhnungsbedürftigen Stil anzufreunden, doch mein letztjähriger Besuch war gegenüber früheren Stippvisiten deutlich überzeugender ausgefallen. Deswegen waren wir durchaus gespannt, ob die angedeutete Entwicklung des Vorjahres auch diesmal bestätigen werden würde. Keinerlei Bestätigung brauche ich jedenfalls für die Erkenntnis, dass mit Maître Pascal Foechterlé und Sommelière Katrin Feix die Schlüsselpositionen im Service absolut angemessen besetzt sind. Dieses ruhig, aber stets freundlich auftretende Gespann gehört praktisch schon zum Inventar – ich möchte die recht sachliche, aber durchaus herzliche Art dieser Servicekräfte jedenfalls nicht missen.

Wie schon im vergangenen Jahr gönnen wir drei uns das viergängige Überraschungsmenü, das hier von Dienstag bis Donnerstag zum Preis von € 99 angeboten wird. Es besteht meist aus vier Beiträgen, die auch in den beiden Menüs zu fünf bzw. sieben Gängen aufgelistet sind. Gerade zum Kennenlernen des Lokals ist diese Offerte ideal, denn angesichts der spürbaren Nebenkosten sollten sparsame Schwaben davon besonders angetan sein.

Läuten wir den Abend also mit einem PriSecco „Weißduftig“ von Jörg Geiger ein, wonach als Amuses drei Kleinigkeiten gereicht werden, die in konzentrierter Form präsentiert werden: zum einen Rote-Bete-Macaron mit Gänseleberfüllung und Périgord-Trüffel obenauf, dann fein geschnippelte Ringelbete mit etwas Räucheraal und schließlich eine kleine Blätterteig-Tarte von gelber Bete und Meerrettich. Die Präzision des Handwerks beeindruckt, denn trotz der kleinen Größe erweisen sich diese Miniaturen als ausgesprochen aromatisch und stimmig. So darf es gerne weiter gehen!

Ein im Vergleich zu früheren Besuchen geradezu ungewohnt opulenter Gruß aus der Küche stimmt dann endgültig auf das Menü ein: Seeigel-Espuma mit Kaviar, Kräuterseitlingen und Sauerkraut-Eis entpuppt sich als sorgsam abgeschmeckte Kreation mit deutlich auszumachenden Komponenten und erfrischendem, leicht süßlichem Meeresaroma. Das kann uns voll und ganz überzeugen: die Begleiter schaffen ein spannendes Aromengeflecht aus opulenten und zweckmäßig eingesetzten Produkten. Wunderbar! Schließlich reicht man noch (ohne Foto) das klassische Roggen-Anis-Brot mit Butter – nicht sehr abwechslungsreich, aber dafür weit überdurchschnittlich und immer wieder ungewohnt im Geschmack.

Zum ersten Gang lässt die Küche eine Seltenheit auftischen: blaue Garnele (aus der Südsee) wird hier auf der einen Seite nur ganz kurz gebraten und auf der anderen Seite gar roh belassen. Im Verbund mit Pomelo und Mandeln entsteht hier ein nicht gerade alltäglicher, knackiger und erfrischender Einstieg, der kongenial von einem Kokossud und Texturen von Avocado abgerundet wird. Am erstaunlichsten gerät an diesem Gericht die hervorragende Liaison von Produkten aus ganz unterschiedlichen Winkeln der Welt, die indes prächtig harmonieren. Auch in farblicher und geometrischer Hinsicht (Denis Feix hat eine Schwäche für Formen wie Kreise oder Rechtecke) kann dieser sehr beachtliche Gang punkten – ein wirklich starker Auftakt! Dazu schenkt Katrin Feix mit Prisecco Nr. 22 (Apfel, Brennessel und Stachelbeerlaub) einen äußerst passenden, weil leicht herben Begleiter ein.

Weniger farbenfroh und puristischer gerät Chicorée, der hier in geschmorter Form auf den Teller gelangt und mit Périgrod-Trüffeln, Perlzwiebeln und Hollandaise ohne jedwede Süße in Szene gesetzt wird. Croutons und winzige, leicht geröstete Haselnusssegmente steuern nicht nur den nötigen Biss, sondern auch eine dezente Note bei, die die gekonnt zwischen herb und bitter changierende Eingebung etwas in ihrer Intensität abfedert. In Summe wirkt dies genauso durchdacht wie die Begleitung „Inspiration 4.4“ (Grüne Jagdbirne, Weißdorn, Holz), die sich aufgrund ihrer floral-herben Noten bestens anschmiegt. In Summe erweist sich dieser Menüpunkt als dezenter im Vergleich zu seinem Vorgängern, aber kaum weniger schlüssig. Ausgezeichnet!

Zum Hauptgang überrascht die Küche mit einer Rarität: Filet vom kanadischen Bison. Der gar nicht so leicht zu beschreibende Geschmack des klassisch gebratenen Hauptdarstellers weicht signifikant vom üblichen Rind ab und geht schon in Richtung Wild – allerdings paart Denis Feix das Filet mit mexikanischer Mole-Crème. Die kräftigen, an Kakao erinnernden Aromen der klassisch lateinamerikanischen Sauce verleihen dem Fleisch nicht nur zusätzlichen Körper und Intensität, sondern kleiden ihn auch in ein Gewand, das gerade deshalb überzeugt, weil diese Kombination überhaupt nicht auf der Hand liegt und dennoch funktioniert. Damit die Sauce das Filet nicht regelrecht erschlägt, wird etwas gedünsteter Sellerie auf dem Teller drapiert. Prisecco Nr. 20 (Mostbirne, Wacholder, Schlehe) erweist sich als angemessen kräftiger und feinherber Begleiter, wieder einmal genau von Katrin Feix ausgesucht. Der exzellente Gang erinnert fast schon an ein kleines Steak mit Barbecue-Sauce – nur eben sehr viel besser.

Fürs Dessert kommen gewöhnliche Zutaten ins Rezept: eine halbe Banane wird hier karamellisiert auf dem Teller platziert und von Femmes-de-Virunga-Schokolade in Form von Sorbet und geeisten Perlen umspielt. Das Ganze ruht auf einer Bananencrème, die mit geräuchtertem Paprikapulver bestäubt ist und die Kreation gekonnt aus der Vorhersehbarkeit entreißt. Auch geschmacklich hat diese Eingebung einiges zu bieten, kann doch die Schärfe dem Gang den gewissen Twist verleihen. Mag sein, dass der Ausklang nicht ganz so kreativ wie die Vorgänger geriet, doch enttäuschte er keineswegs. Vielmehr war dies ein versöhnlicher und leichter Abschluss eines gelungenen Menüs.

Doch halt, da wären ja noch die Petits fours: auch diese sind nicht mehr so experimentell wie früher und bestehen aus zwei wunderbaren Pralinen mit Füllung (Earl Grey bzw. Karamell), einem Passionsfrucht-Törtchen mit einem Häubchen aus Tonkabohnenschaum sowie einer reizenden Mini-Milch-Schnitte mit Passionsfrucht-Füllung. Ein würdiger Abschluss eines gelungenen Menüs!

An diesem Abend der leisen Töne mag kein so großartiger Knaller wie im letzten Jahr das Spargel-Gericht, das es ja sogar in mein „Menü des Jahres 2019“ schaffte, dabei gewesen sein; dennoch stand unterm Strich eine Soirée der dezenten Freude über eine elegante Küche mit Langzeitwirkung am Gaumen. Die recht ungewöhnlichen Produkte (wie z.B. blaue Garnele), die ihrerseits auf ziemlich unkonventionelle Weise ins beste Licht gerückt wurden, erhoben diese Menüfolge weit über bloße Routine hinaus; außerdem kennzeichnete eine klare geschmackliche Botschaft alles, was auf die Teller kam. Bei den Amuses und den Petits fours scheinen die radikaleren Experimente der Vergangenheit inzwischen auch passé zu sein, doch gewinnen die Kleinigkeiten dabei eher an Geschmack und Profil. Wenn hier etwas verfremdet wirkt, dann geschieht dies nicht durch schwer dechiffrierbare Texturen oder Konsistenzen, sondern meist allein durch die Beigabe ungewohnter Begleiter wie z.B. dem Pfeffer im Dessert und den ungewöhnlichen, daraus resultierenden Aromenspielen.

Alles in allem könnte ich mir vorstellen, dass die Zirbelstube auf dem besten Weg zurück zu zwei Michelin-Sternen ist, die Denis Feix in Bad Griesbach ja schon einmal innehatte. Die inzwischen spürbar ausgebaute Weinkarte, der Service, die raren Spirituosen (wie zum Beispiel einige Pretiosen von der bereits aufgegebenen Brennerei Stählemühle am Bodensee) und das edle Ambiente sowieso liefern dafür schon einmal passende Rahmenbedingungen. Doch auch die Leistung der Küche steigert sich langsam, aber stetig und wird auch entsprechend von den Profi-Guides so zur Kenntnis genommen: der GUSTO vergibt derzeit 8,5 Pfannen, der G&M 17 Punkte und der FEINSCHMECKER 3,5 F. Das sind schon ganz ordentliche Urteile – und Mittvierziger Denis Feix (der sich heuer auch zum ersten Mal in persona blicken ließ und sympathisch bescheiden gab) hat sein Potential definitiv noch nicht ausgereizt, zumal die inzwischen weitgehend vollzogene stilistische Wende immer überzeugender gerät und die Leistung des Vorjahres mindestens bestätigt wurde. Wer also hier einkehrt, darf sich auf eine sinnlich-elegante Küche freuen, die sich nicht groß aufspielt, aber dennoch zeitgemäß gerät und für konservativere wie progressivere Esser gleichermaßen etwas zu bieten hat. Für den 2020er Guide Michelin wäre dies einer der klassischen Geheimtipps für den zweiten Stern, den nur wenige auf dem Zettel haben dürften. Seien wir gespannt, ob es klappt …

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Die Zirbelstube
Schillerstraße 23
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/20260
www.hotelschlossgarten.com

Guide Michelin 2019: *
Gault&Millau 2020: 17 Punkte
GUSTO 2020: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3,5 F

4-gängiges Überraschungsmenü (dienstags bis donnerstags): € 99

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UPDATE (April 2019)

In meiner letzten Rezension hatte ich ja schon angedeutet, dass Denis Feix‘ Küchenstil nicht unbedingt zu meinen Favoriten in der Region zählt. Insofern erwartete ich vor meinem jüngsten Besuch einen durchschnittlichen Ein-Sterne-Abend mit ein paar Höhepunkten auf Kosten einiger weniger gelungener Eingebungen. Feix‘ Ästhetik, die sich als ohne Weiteres als „gemüselastige Drei-Komponenten-Stilistik“ bezeichnen ließe, hatte mich in der Vergangenheit nicht immer angesprochen, weil seltsame Produktallianzen oder zu verkrampft wirkende Texturen allzusehr vom Geschmack ablenkten. Es war beileibe nicht alles kritikwürdig, aber in der Gesamtheit blieb bei mir schon öfter der Eindruck einer unsteten Küchenleistung haften.

Diesmal sollte jedoch alles anders kommen: in einem der schönsten Speisesäle Süddeutschlands hat für meine Begriffe ein spürbarer Aufschwung stattgefunden, der sich nicht nur in einer weitaus üppigeren Weinkarte als zuvor manifestiert, sondern auch in einer stärkeren Fokussierung auf den Inhalt der Teller – dazu gleich Näheres. Verlass war dagegen schon immer auf das bestens eingespielte und reibungslos funktionierende Serviceteam unter der Leitung von Maître Pascal Foechterlé und Sommelière Kathrin Feix. Monsieur Foechterle punktet mit absolut natürlicher und authentischer Herzlichkeit; Madame Feix überzeugt nicht nur mit profundem Wein- und Teewissen, sondern versteht es auch, dieses Wissen kompetent, ohne jede aufgesetzte Belehrung und mit hinreissendem Charme an den Gast zu bringen. Dieses Gespann gehört unter den Servicebrigaden in Deutschland eher zu den Leisetretern, doch in diesem altehrwürdigen und legendären Ambiente, in dem praktisch alle männlichen Gäste mit Anzug und Krawatte erscheinen, ist dies ungemein wohltuend. Hier ist der Service nicht Teil einer Inszenierung oder reine Selbstdarstellung, sondern zweckdienliche und angenehm zurückhaltende Begleitung des Gastes durch den Abend. Für die Gastgeber weniger motivierend, für den Gast dafür aber umso erfreulicher erscheint die Tatsache, dass man hier unter der Woche selbst bei kurzem Vorlauf meist problemlos einen Tisch bekommt. Offenbar ist den konservativen Schwaben diese Küche immer noch zu modern (oder zu teuer) …

Gerade von Dienstag bis Donnerstag bietet man hier allerdings ein viergängiges Überraschungsmenü samt Wasser und Kaffee für € 99 an, das sich ideal zum Kennenlernen eignet. Auch ich verzichte diesmal auf das große siebengängige Menü, weil ich am selben Nachmittag noch gar nicht wusste, dass ich hier abends aufkreuzen würde und dementsprechend nachmittags normal und nicht zurückhaltender gegessen hatte. Zu einem Prisecco Nr. 26 von Jörg Geiger (Apfel, Birne, Quitte, weißer Pfirsich) kommen neben einem hausgemachten Roggenbrot mit Butter und hawaiianischem schwarzen Pfeffer zwei kleine Einstimmungen mit identischer Thematik: Honigmelone, Yuzu und Basilikum werden einmal als Mürbteig-Tartelette und einmal als Komposition mit kandierter Melone, auf der dann Basilikum-Samen drapiert sind, interpretiert. Wie so oft in diesem Haus sind die Einstimmungen recht bescheiden wirkende Anreger, die die Philosophie der Küche allerdings schon nachdrücklich anzeigen. Diese Petitessen gelingen besser als so mancher Einstieg vergangener Jahre, weil sie gut ausbalanciert sind und die Fruchtigkeit die Papillen auf Betriebstemperatur bringt. Das Amuse besteht aus Karotte (glasiert und eingelegt) mit Sauerteig-Eis und Noten von Estragon – das Gericht hätte noch mehr überzeugt, wenn die Karotte nicht ganz so massig eingesetzt worden wäre.

Nach diesen recht bescheidenen, aber deswegen nicht weniger gelungenen Einstiegen wird als erstes Bruchsaler Spargel aufgetischt. Der nur mit etwas Olivenöl, Senfsaat und Gel-Perlen von Amalfi-Zitrone veredelte Hauptdarsteller kann sich wunderbar in seiner ganzen Aromatik entfalten, zumal er in perfekter Konsistenz in Form von vielen kleinen senkrechten „Stämmen“ auf den Teller gelangt. Die säuerlichen Spitzen der Zitrone verfehlen ihre Wirkung nicht und machen aus diesem ganz und gar zurückhaltend wirkenden Gericht einen echten Volltreffer. Phantastisch, obwohl es so einfach wirkt! Passend dazu schenkt man Prisecco Nr. 28 (Apfel, Emmer und Kräuter) ein.

Als Fischgang offeriert die Küche butterzarten Zander, der mit Texturen von Stielmus und geeisten Meerrettich-Perlen interpretiert wird. Die dezente und perfekt dosierte Schärfe harmoniert prächtig mit dem Hauptdarsteller, der seine Qualitäten voll ausspielen kann. Wer solche Produkte hat, braucht eben keine Kinkerlitzchen drumherum und kann es sich erlauben, seine Produkte derart puristisch und fokussiert in Szene zu setzen – auch dies ist wieder ein großartiger Gang, an den sich Jörg Geigers Inspiration 4.3 (Apfel, Staudensellerie und Essig) mit seinen herben Noten wunderbar anschmiegt.

Zum Hauptgericht beeindruckt dann Suprème von Stubenküken mit geschmortem Wirsing und Harissa. Ganz ohne modische Gewürze geht es dann wohl doch nicht, aber nichtsdestotrotz überzeugt das durchdeklinierte Gericht mit seinen Morcheln und dem makellosen Wirsing mit einer Harissa-Paste gefüllt auf ganzer Linie. Zubereitung und Konsistenz des Fleischs sind vorbildlich – auch dieser Hauptgang kann mich überzeugen. Die Inspiration 4.4 (grüne Jagdbirne, Weißdorn, Holz) ist ein subtil abgestimmter Begleiter, von Kathrin Feix mit Bedacht ausgesucht.

Das alles abrundende Dessert ist etwas für Schokoladen-Liebhaber: Femmes de Virunga-Schokolade dient als Basis eines „Kinderriegels für Erwachsene“, wie ihn der Service tituliert. Dieser ruht auf dem Rand des tiefen Tellers, in dem es sich ein wunderbar erdiges Macadamia-Eis auf einem Sorbet aus Berberitze und einem Schokoladen-Crunch bequem macht. Das durchaus gehaltvolle Dessert punktet mit zartbitterer Aromatik und Geschmackstiefe sowie einem untrüglichen Gespür für hinreißende Kombinationen. Inspiration 4.0 (Kirsche, Paprika und rote Bete) ist eine der gewagtesten Eingebungen aus Jörg Geigers Reich, doch der mir bereits geläufige Begleiter unterstützt die herbe Aromatik nochmals um ein Vielfaches und erweist sich als ein trefflicher Kompagnon. Nach diesem überraschend intensiven Aromenreigen lasse ich mir zu den Petits fours, die drei Variationen von Schokolade mit Orange und Kardamom darstellen (Praline, Törtchen und geeiste Kugel auf Mürbteig), anstelle eines Kaffees einen grünen Tee bringen (Choice Oolong), dessen zurückhaltender und schonender Geschmack einen wirklich gelungenen Abend würdig abrundet.

Besonders überraschend an diesem Abend war die neue Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in der Küche, die jedoch mit einer superben Intensität an Geschmack gepaart war und mich staunen ließ. Vorbei offenbar die Zeit, in der überdrehte Ideen mangelnde Inspiration kompensieren mussten oder der Geschmack sich krampfhafter Originalität unterordnete. Ich erinnere mich noch an so manche Spielerei wie das gefärbte Popcorn zum Amtsantritt hier oder noch extremere Experimente zu Bad Griesbacher Zeiten, deren kulinarischer Wert angezweifelt werden durfte. Inzwischen wirkt Feix‘ Stil jedoch weitaus geläuterter, gereifter und in sich ruhender. Der Produktfetischismus, den der Chef hier inzwischen betreibt, kommt so auch viel besser zur Geltung, denn Viktualien von solcher Qualität glänzen bekanntlich eher durch Purismus und Bescheidenheit denn durch Überladung der Teller mit fremdartig anmutenden Texturen. Diesmal wirkte nichts auch nur im Entferntesten verspielt oder zweckfremd, sondern war in ungeheuer konzentrierter und durchdachter Form auf den Teller gezaubert – allemal 17 Punkte im Gault&Millau, was auch der aktuellen Wertung entspricht. Würde ich diese Leistung zugrunde legen, dann müsste dieser phantastische Abend sofort mit zwei Sternen honoriert werden. Selbige besaß Herr Feix ja schon zu seinen Zeiten in Niederbayern, aber seit seinem Antritt hier standen diese eigentlich noch nicht wieder so recht zur Debatte. Selbige möchte man aber nach dieser Performance unbedingt anstoßen …

Die tiefenentspannte Atmosphäre, an der selbstredend auch der souveräne Service seinen Anteil hatte, trug ganz erheblich zum Genuss bei und lenkte den Fokus auf Grundtugenden der Haute Cuisine, die trotz zeitgemäßer Kreationen unverkennbar blieben – nichts wurde diesmal so verfremdet wie schon so manches Mal in der Vergangenheit. Im Gegenteil, diese Menüfolge bestach durch Harmonie, Ausgewogenheit, verblüffende Produktqualität und atemberaubend reine Aromenspiele von lang anhaltender Wirkung am Gaumen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war in diesem Etablissement zugegebenermaßen noch nie das stärkste Argument für einen Besuch hier, doch nach dieser eindrucksvollen Visitenkarte hinterfragt dies keiner mehr. Der Kampf um die Pole Position in der Schwabenmetropole ist somit neu entflammt, denn die Zirbelstube, das Olivo und das Délice wetteifern weiterhin in einer für den Gast so was von vorteilhaften Weise um die Spitzenposition, dass die Auswahl schwer fällt, zumal alle diese drei Lokale jeweils eine ganz andere Stilistik einschlagen.

Summa summarum stellte dieser Besuch für mich eine in diesem Umfang nicht für möglich gehaltene Leistungssteigerung dar, die weitere künftige Besuche in kürzeren Abständen wahrscheinlicher macht. Es scheint fast so als würde Denis Feix mit der Vollendung des vierten Lebensjahrzehnts zu voller Blüte gelangen – es hat lang genug gedauert, doch das Warten hat sich allemal gelohnt. Was für ein unwahrscheinlich gelungener Abend!

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UPDATE (Januar 2018)

Nach nunmehr einjähriger Eingewöhnungszeit für Denis Feix und ersten Urteilen der Gastro-Guides war es wieder einmal Zeit für einen Besuch in Stuttgarts edelstem Speisesaal. Rein äußerlich hat sich nicht viel verändert: für den Service zeichnen weiterhin Kathrin Feix und Pascal Foechterlé verantwortlich, und in der Küche ist Chefkoch Denis Feix endgültig angekommen. Sieht man einmal von einem tadellos agierenden, aber manchmal aufgrund seiner fernöstlichen Herkunft leider nur schwer zu verstehenden Kellner ab, beherrscht die Brigade ihre Arbeit sicher und stets zum Vorteil des Gasts. Größte Veränderung insgesamt: die Nebenkosten haben spürbar angezogen.

Der diesjährige Einstieg nach Prisecco Nr. 7 von Jörg Geiger hinterließ keinen nachhaltigen Eindruck: drei Petitessen rund um Avocado. Ein kleines Törtchen aus Avocado, Apfel und rotem Ingwer war wenig sorgsam ausgelotet, da der Apfel viel zu dominant alles kaschierte. Eine als falsche Avocado angekündigte, verfeinerte Crème schmeckte nur nach Avocado, und das Tartelette von Kaviar und Avocado war auch nicht unbedingt ein Plädoyer für diese ungewöhnliche Kombination. Nennen wir es mal einen sehr verhaltenen Einstieg …

Besser gefiel der zweite Gruß aus der Küche: geschmorte Haferwurzel (scheinbar ein Liebling von Denis Feix) mit Haferflocken obenauf, Olivensphäre, Noten von Artischocke und einem frittierten Grünkohlblatt war ein gewagter, aber dennoch ansprechenderer Einstieg als die Kleinigkeiten zuvor. Die Brotauswahl bestand auch heuer aus dem hausgemachten Roggenbrot, Butter und Meersalz aus Hawaii.

Makrele, griechischer Joghurt und Ratatouille geriet zu einem Teller voll mediterranen Kolorits. Die Makrele wusste sowohl in marinierter als auch in gebratener Form zu überzeugen. Der Joghurt kam als Schaum und in eingedickter Form als Türmchen auf den Teller – eine reizvolle Spielerei. Das zu einer Art Millefeuille aufgeschichtete Ratatouille steuerte vielfältige Paprikanoten bei und trug seinen Teil zu einem Gericht bei, das dem Potential des Chefs gerecht wurde.

Blaue Garnele, Leindotter und Mandarine war das erste echte Highlight des Abends. Der Hauptdarsteller, von dem sowohl der Schwanz als auch der ausgebratene und somit essbare Kopf auf den Teller kam, stand voll im Zentrum des Tellers und wurde kongenial von zitrischen Aromen uin vielfältigen Facetten begleitet. Ausgezeichnet!

Heilbutt, Grüne Soße und Meerrettich klingt im ersten Moment wie eine Allianz scheinbar unverträglicher Komponenten. Das auch optisch bildschön arrangierte Gericht offeriert Heilbutt in gebratener und geräucherter Variante (als Fischstäbchen!). Der wunderbar zarte und saftige Fisch thront auf einem Kreis, dessen Ränder Tupfen von Meerrettich bilden – einer Perlenkette nicht unähnlich. Der hessische Klassiker „Grüne Soße“ schwimmt in diesem Kreis, und das beigefügte Getreiderisotto harmoniert ebenfalls prächtig mit dem Atlantikfisch. Erstaunlich auch die üppige Portion auf dem Teller, die trotzdem keine Sekunde langweilig oder vorhersehbar wirkt. Dieses Gericht toppte seinen Vorgänger sogar nochmals!

Bresse-Schwarzfederhuhn, Fenchel und Ananas machte in puncto Niveau dort weiter, wo das vorige Gericht endete. Von der Optik her ähnlich arrangiert wie der Gang zuvor, durfte auch hier der Hauptdarsteller sämtliche Freiheiten genießen und bestens zur Geltung kommen. Der in Salz gegarte Fenchel steuerte wunderbar austarierte, leicht bittere Aromen bei, die von der fruchtigen Ananas wieder bestens kontrastiert wurden. Ein elegantes und sehr überzeugendes Gericht mit Stil, keine Frage.

Eine der Paradedisziplinen von Denis Feix ist es, möglichst wenig verschiedene Komponenten auf den Teller zu bringen. Wie gut ihm dies in den inspiriertesten Momenten gelingt bewies das Hauptgericht: Roastbeef mit Topinambur und Trüffel. Die erdigen Noten des vegetabilen Begleiters wurden in allen nur denkbaren Facetten ausgeleuchtet und in Szene gesetzt, ohne dass es jemals verkopft wirkte. Im Gegenteil: das insgesamt recht herbe Gericht stellte einen spannenden Kontrast zu den eher fruchtig-frischen Gängen zuvor dar. Die superbe Zubereitung des Fleisches tat ihr Übriges, so dass unterm Strich ein wirklich gelungenes Plat principal stand.

Gänseleber, Feige und Vogelbeeren war hingegen ein Dessert, das mich nur bedingt überzeugte. Das in der Karte als gewagtes Gericht annoncierte Dessert bot mir ein zu wenig differenziertes Geschmacksbild, in dem die Gänseleber ihre Qualitäten nicht ausspielen konnte. Hier wurde sie zwar einmal tatsächlich für ein Dessert verwendet (sonst werfe ich ja manchen Chefs vor, ihre Gänseleber-Gerichte seien eher Desserts als Vorspeisen), aber das in der Karte angepriesene Süße-Säure-Spiel der Vogelbeeren empfand ich als nicht so gelungen.

Auch heuer erwies sich – wie im vergangenen Jahr – das zweite Dessert als das bessere: Schokolade, Mangostanen und Basilikum. Das Kraut mit dem unverwechselbaren Geschmack scheint in Stuttgart irgendwie ein Liebling der Köche zu sein – hier lieferte es einen reizvollen Kontrast zu dem fruchtig-süßen Reigen der beiden anderen Komponenten. Der Verzehr dieses letzten Gangs geriet so tiefenentspannt wie im Grunde genommen schon der ganze Abend. Dennoch bleibt festzuhalten, dass im Dessert-Bereich vielleicht noch das größte Potential brachliegt – eine Domäne des Kochs sind die Desserts jedenfalls nicht.

Was bleibt also von diesem Abend? Leider endete er fast genauso verstörend wie der Einstieg: die drei Kleinigkeiten am Ende waren wohl als originelle Spielereien rund um Süßkartoffel gedacht. Doch egal, ob es nun ein Cheesecake mit Süßkartoffel oder eine Praline sein sollte – das Ende blieb leider blass und riss mich nicht vom Hocker.

Insgesamt würde ich die Küchenleistung bei „1,5 Sternen“ ansiedeln, während die 17 Punkte im Gault&Millau nachvollziehbar waren. In den gelungensten Momenten kann der Stil von Denis Feix, der trotz aller Reduziertheit meines Erachtens diesmal nicht immer leicht zu erschließen war, absolut stimmige, ja traumhafte Gerichte auf den Teller zaubern. Immer wieder schleichen sich jedoch auch Momente ein, die gewollt oder verkrampft originell wirken sollen, aber eher den Geschmack dem Intellekt opfern. Speziell die Einstimmungen und Ausklänge gehörten für mich zu den schwächsten seit Monaten – und das obwohl die Spielereien wie zu Zeiten in Bad Griesbach (wie bereits letztes Jahr berichtet) schon erheblich reduziert wurden.

Wer die jüngste Kritik des Gault&Millau liest, kann allerdings eher den Eindruck gewinnen, dass die aktuelle Bewertung auch auf die offenbar derzeit nicht so zufriedenstellende Weinkarte zurückzuführen ist. Wie dem auch sei – ich hätte der Küche auch ohne Berücksichtigung dieses Aspekts 17 Punkte gegeben. Der elegante Speisesaal lockte an diesem Abend nur acht Gäste ins Lokal – trotz aller Schwankungen hätte sie dann doch mehr verdient.

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Januar 2017

Schrieb ich vor einigen Wochen an dieser Stelle noch, dass sich in Stuttgart erst allmählich mit dem „Olivo“ der potentielle Nachfolger für die kulinarische Pole Position in der Schwabenmetropole herauskristalliert hätte, dann wirkt diese Einschätzung angesichts der jüngsten Entwicklung schon fast wieder überholt, denn nun kocht mit Denis Feix kein Unbekannter, sondern ein hoch dekorierter Koch in der Zirbelstube.

Als die Columbia-Hotelgruppe in den vergangenen zwei Jahren mit einer unverhohlenen Dreistigkeit binnen kürzester Zeit ihr bundesweites Engagement für die Haute Cuisine einstellte, schlossen in rascher Folge das „Marco Polo“ (Wilhelmshaven), das „Navette“ (Rüsselsheim) und das „La Belle Epoque“ (Travemünde). Kevin Fehling ist bekanntlich – nicht zu seinem Nachteil – mit seinem neuen gastronomischen Konzept im „The Table“ in der Hamburger HafenCity inzwischen wieder voll durchgestartet. Offensichtlich ist ihm – nicht zuletzt deshalb, weil er die Zeichen der Zeit in Travemünde damals wohl richtig zu deuten verstand – der Sprung in die Selbständigkeit vollauf geglückt. Mit seinem mutigen Schritt kam er wohl der unausweichlichen Schließung des Restaurants zuvor und wollte sich neu erfinden.

Warum ich das hier erzähle? Nun, um das letzte verbliebene Restaurant der Columbia-Gruppe, das „Il Giardino“, malerisch in Bad Griesbach im niederbayerischen Bäderdreieck unweit von Passau gelegen, herrschte lange Unklarheit, ob das Restaurant der Politik der Vorstandsetage der Hotelgruppe ebenfalls zum Opfer fallen oder doch verschont bleiben würde. Inzwischen wissen wir es besser: im Mai 2016 wurde nach sehr kurzfristiger Ankündigung auch die letzte „Filiale“ geschlossen. Damit stand Chefkoch Denis Feix nach 10-jähriger Arbeit zusammen mit seiner Frau Kathrin vor dem Aus. Nun ist der vormals mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Koch also in die traditionsreiche Zirbelstube (die zur Althoff-Hotelgruppe gehört) eingezogen. Er löst dort Sebastian Prüßmann ab, der das schwere Erbe des erkrankten Bernhard Diers antrat und dieser Rolle vermutlich nie ganz gerecht werden konnte. Tatsache ist, dass das Haus seit Diers‘ Rückzug nie auch nur annähernd an die glorreichen alten Zeiten anknüpfen konnte – außerdem bedarf es nicht allzu viel Phantasie, um sich auszumalen, dass die Leistung des jungen Kochs den Ansprüchen der Althoff-Hotelgruppe möglicherweise nicht genügte. Es darf also spekuliert werden, ob Prüßmanns Abgang freiwllig war: während er beispielsweise im Gault&Millau stets nur 15 oder 16 Punkte bekam, gehören das „Vendome“ in Bergisch-Gladbach und das „Überfahrt“ in Rottach-Egern (die beide zu den Althoff-Hotels gehören) mit jeweils 19,5 Punkten und drei Michelin-Sternen zu den weltbesten Restaurants. Selbst das weniger ambitionierte Restaurant „Endtenfang“ (kein Tippfehler!) im Fürstenhof Celle holte konstant 17 Punkte in den letzten Jahren. Offensichtlich soll nun mit Denis Feix ein renommierter Koch (der zuletzt 18 Punkte im Gault&Millau holte) dem Restaurant wieder zu altem Glanz verhelfen. Der Wunsch erscheint auch durchaus berechtigt, denn der aus meiner Sicht ernstzunehmendste Konkurrent „Olivo“ befindet sich ja nur zwei Steinwürfe von der Zirbelstube im Steigenberger Hotel gegenüber dem Bahnhof entfernt. Konkurrenz belebt auch bekanntlich das Geschäft, und so darf man für ambitionierte Gourmets von rosigen Zeiten in Stuttgart ausgehen, nachdem es dort in den letzten Jahren nicht allzu viel Bewegung in der Gourmetszene gegeben hatte.

Außerdem erinnert sich ja noch mancher, dass selbst Starkoch Nils Henkel sein Restaurant in Bergisch-Gladbach Anfang 2015 schließen musste. Die ehrgeizige Althoff-Gruppe entschied damals, dass zwei eigene Hotels in einer Stadt sich wohl eher Konkurrenz machen würden. Sie behielten ergo das Kronjuwel ihrer Gruppe, das Schlosshotel Bensberg, und stießen daher den „kleinen Bruder“ Schloss Lerbach ab. Nils Henkel übernimmt übrigens ab Februar 2017 das Zepter auf Burg Schwarzenstein in Geisenheim, während sein Vorgänger Dirk Schröer auf Schloss Johannisberg wechselt.

Sebastian Prüßmann wird übrigens künftig am Herd der „Villa Rothschild“ in Königstein am Taunus stehen. Als Nachfolger des nach Rheinland-Pfalz abwandernden Christian Eckhardt übernimmt er ebenfalls ein Amt, durch das es sein Vorgänger auch zu 18 Punkten und zwei Michelin-Sternen brachte. Ob Prüßmann dort glücklich wird, muss sich erst noch zeigen …

Nach diesem ausführlichen Exkurs nun aber wieder zurück zu Denis Feix und seinem neuen Arbeitsplatz: als erste Maßnahme wurde das unter dem Vorgänger zu einem Alibi verkommene 2-gängige (!) Mittagsmenü gestrichen. Dass Denis Feix seinem bisherigen Stil weitgehend treu bleiben würde, war ebenfalls nicht anders zu erwarten. Der Service wird geleitet von seiner Frau Kathrin Feix, die nicht zuletzt aufgrund ihres profunden Tee-Wissens vom Gault&Millau 2016 zur Oberkellnerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Sie punktet mit Natürlichkeit und Herzlichkeit – ihr charmantes Wesen nimmt einem Besuch jedwede Steifheit. Ihr zur Seite steht Maitre Pascal Foechterlé, der in Stuttgart längst eine Institution ist. Nach einem vierjährigen Gastspiel im „Olivo“ kehrte er Anfang 2016 an die alte Wirkungsstätte zurück und verleiht seither der Zirbelstube wieder gehobenes Standing und neuen Glanz. Mit seiner guten Laune und unanfechtbaren Kompetenz trägt er ebenfalls zum Erfolg wesentlich bei. Das Gespann an der Spitze dirigiert eine sehr aufmerksame und charmant agierende Servicetruppe, die die Lage jederzeit im Griff hatte. Auch unserer Anfrage, ob das Tempo vor dem Dessert angesichts der lästigen Abhängigkeit von der Deutschen Bahn ein wenig erhöht werden könnte, wurde entsprochen, ohne dass der geringste Anflug von Hektik entstanden wäre.

Der heimliche Star des Lokals ist jedoch die Räumlichkeit selbst, denn die fast ausschließlich mit Holz verkleideten Wände machen in Verbindung mit der massiven Holzdecke gehörigen Eindruck und hieven diesen Raum in die Top-Liga der schönsten Speisesäle deutscher Spitzenrestaurants. Die dezent mit moderner Kunst verzierten Wände runden das unverwechselbare Gesamtbild stimmig ab – heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass der Restaurantbetrieb vor einigen Jahren in den großen und unpersönlich wirkenden Speisesaal nebenan verlegt wurde und erst auf Druck der Gäste wieder zur Zirbelstube zurück fand!

Zu einem Glas Prisecco von Jörg Geiger reicht man uns sodann die Karte und die erste Einstimmung: eine Art Mini-Sandwich, der als Rote-Bete-Macaron mit säuerlich-zitrischer Füllung daherkommt, befindet sich auf einem Austernblatt und stellt einen schönen Einstieg dar. Der zweite Gruß präsentiert Crème von Piemonteser Haselnüssen mit Brokkoli und Dörrtomaten. Das durchaus kräftige Röstaroma der Nüsse wurde von einer Art dünnen Sülze aufgefangen, die zudem mit ein paar Tropfen von Balsamico-Essig, der schon 50 Jahre reifen durfte, veredelt wurde. Die Brotauswahl fällt dagegen mit Roggenbrot auf Sauerteigbasis und zweierlei Butter vergleichsweise spartanisch aus.

Das erste Gericht der 7-gängigen Menüfolge (es gibt auch andere kürzere Menüfolgen sowie die Möglichkeit, das große Menü abzukürzen) sollte gleich das unumstrittene Highlight werden: Jakobsmuschel, Penang Curry und Pomelo. Die für Feix’sche Verhältnisse in ungewohnt opulenter Optik daher kommende Kreation bietet ein hervorragendes Grundprodukt, das sowohl in marinierter als auch kurz gebratener Form von markanter Würze und eleganter Säure umrahmt wird. Selten hat man diesen so stimmig und im Grunde genommen doch nicht kompliziert begleiteten Produktklassiker genießen dürfen!

Skrei, Avocado und Tamarinde hatte ein ähnlich hohes Niveau vorzuweisen. Der köstliche Stockfisch wurde nur dezent frisch-fruchtig begleitet, da die Avocado nur in winzigen Türmchen auf dem Teller dargeboten wurde und den zarten Geschmack des Fischs wohl nicht anfechten sollte.

Rosenkohl, wilde Erdnuss und Preiselbeeren ist ein Gericht, das es auch schon früher gab, aber trotzdem zu den gewagteren Einfällen im Repertoire dieser Küche gehört. Das rein vegetarische Gericht erinnerte in seiner Stilistik stark an so manche elaborierte Kreation aus dem Nürnberger „Essigbrätlein“. Ähnlich wie dort wird auch hier an Geschmacksnuancen sattsam bekannter Produkte gefeilt, um diese ins bestmögliche Licht zu rücken. Hier entsteht ein filigranes Spiel zwischen herb-bitteren Noten und nussiger Würze – ein Gericht, das die Geschmackspapillen fordert, aber in seiner Extravaganz nicht zuletzt wegen der feinsäuerlichen Abrundung durch die Preiselbeeren und der prägnanten Optik durchaus Eindruck macht.

Stubenküken, Kokos-Joghurt und Tandoori ist wieder leichter zugänglich und insgesamt auch gefälliger. Das Fleisch kommt sowohl in Form von Brust als auch Schenkel auf den Teller und wird von einer wunderbar kräftigen Jus auf der Basis von Tandoori herzhaft in Szene gesetzt. Milde Aromen steuert der Joghurt bei, der in leicht eingedickter Form als Würfelchen mit etwas Avocado obenauf das Gericht komplettiert.

Lamm, Spitzkohl und Kreuzkümmel überzeugt vor allem aufgrund der Präsentation des Lamms. Ein saftiges, genau richtig gebratenes Stück, wurde obenauf mit etwas Puffreis dekoriert, während geschmorte Schulter als eine Art Millefeuille wegen der geschmacklichen Tiefe besonders beeindruckte. Die Begleiter hielten sich hier dezent zurück, während der Puffreis dem Gericht zwar keinen geschmacklichen Auftrieb gab, aber für den notwendigen Biss sorgte – ein ausgezeichnetes Hauptgericht.

Petersilienwurzel, Blutorange und Ingwer sollte – auch wenn es keine echte Enttäuschung war – das schwächste Gericht der Menüfolge werden. Bei der Ausführung, Petersilienwurzel mit Blutorange zu marinieren, siegte diesmal die Kreativität über den Geschmack. Das aufdringliche Aroma der Wurzel wurde durch die begleitenden Komponenten, die durch das Dörren zudem an wohltuendem Saft verloren, nicht wirklich aufgefangen; durch die Schärfe des Ingwers wirkte dieses Dessert zudem sehr mächtig und ließ für meine Begriffe eine eindeutige geschmackliche Aussage doch etwas vermissen. Handwerklich solide, aber in kulinarischer Hinsicht zu würzig-intensiv.

Mango, Milchreis und Sauersack geriet dagegen überzeugender. Wie neuerdings den kurzen Beschreibungen der Gerichte in der Menüfolge zu entnehmen ist, ist der Sauersack eine Zitrusfrucht aus Mittelamerika, die auch Stachelannone genannt wird. Das mir bis dato gänzlich unbekannte Produkt wurde in diversen Texturen von Mango und Milchreis, der auf einer eigens angerichteten Fläche von Mangosoße gereicht wurde, umrahmt. Die Flugmango geriet (wie die Reihenfolge im Menü schon andeutete) zum prominentesten Bestandteil des Gerichts, während man sich von dem Sauersack gerne auch noch etwas mehr Präsenz gewünscht hätte. Jedenfalls schnitt dieses Dessert mit seinen intensiv fruchtigen Noten besser als der Vorgänger ab.

Zum Schluss reichte man noch ein Sorbet von Darjeeling-Tee, das mt einigen Stückchen von Melone begleitet wurde. Ein leichter Abschluss eines Menüs, das durch die Beigabe von aromatisiertem Popcorn zum Sorbet auch noch wahlweise hätte optisch unterstrichen werden können. Ganz lassen kann der Chef die ungewöhnlichen Spielchen dann doch nicht …

Denis Feix‘ Küche ist vergleichsweise naturverbunden und leicht zugänglich. Der konsequente Versuch, einem bestimmten Produkt nur einen Begleiter und ein Gewürz an die Seite zu stellen, funktioniert oftmals erstaunlich gut und schafft trotzdem Raum für neue Geschmackserlebnisse, die nicht unbedingt auf Intensität, sondern eher auf Nachhaltigkeit setzen. Konsistenzen und Texturen bleiben stets nachvollziehbar – molekulare Mätzchen sind diesem Koch beispielsweise völlig fremd. Die Geschmackserlebnisse sind meist subtiler Natur: häufig ist ein raffiniertes Spiel zwischen Säure und Süße oder Schärfe festzustellen, das dem jeweiligen Gericht mehr Tiefgang verleiht. Der Einsatz asiatischer Gewürze war dagegen für meine Begriffe in deutlicherer Form als noch 2014 in Bad Griesbach auszumachen. Außerdem wurde die Zahl an Spielereien aus vergangenen Tagen deutlich reduziert – was der weiteren Schärfung des Profils eher zweckdienlich und gewinnbringend ist.

Die fairen Preise wurden übrigens (vorerst jedenfalls) auch beibehalten und machen einen Besuch in Feix‘ neuer Wirkungsstätte zu einem halbwegs erschwinglichen Erlebnis. Natürlich hofft man in der Zirbelstube, dass der Chefkoch seine jüngsten Bewertungen von vor der Schließung des „Il Giardino“ wieder bestätigen kann, zumal Stuttgart momentan kein Zwei-Sterne-Restaurant vorweisen kann. Die Vorzeichen stehen dafür jedenfalls nicht schlecht – und der kulinarischen Szene in Stuttgart würde ein solches Aushängeschild sicherlich auch nicht schaden.

Eine Rarität gab es an diesem Abend auch noch zu beobachten: dass der Geschäftsführer des Hotels persönlich vorbeischaut und die Gäste begrüßt, erlebt man auch nicht alle Tage. Küchenchef Denis Feix bekamen wir dagegen diesmal nicht zu Gesicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden …