„Stil ist richtiges Weglassen des Unwesentlichen.“ (Anselm Feuerbach)
Oktober 2023
In Münchens Maxvorstadt liegt eine wenig einladende Einkaufspassage (falls man sie überhaupt so bezeichnen möchte) mit 70er-Jahre-Flair, die irgendwie von der Zeit vergessen zu sein scheint. Mein knappes Interesse zog sie erstmals auf sich, als Christoph Kunz, der ehemalige Chef des zweifach besternten Alois im Herbst 2022 verkündete, hier sein kurzlebiges (und inzwischen aufgegebenes) Pop-up bis zur Eröffnung des KOMU installieren zu wollen. Christoph Kunz hat zwischenzeitlich sein neues Refugium bezogen (Bericht folgt!), doch eine gewisse kulinarische Tradition genoss dieser verwinkelte Hinterhof auch schon vor besagtem Pop-up. Hier, in den Amalienhöfen, befand sich nämlich vor einigen Jahren die Terrine, das Zweitrestaurant des Tantris, in dem Hochküche im Bistrostil serviert wurde. Dieses Lokal ist zwar inzwischen ebenfalls seit fast einem Jahrzehnt Geschichte (zumal das Tantris nach der Wiedereröffnung im Jahre 2021 ja mit dem Tantris DNA sein Zweitrestaurant inzwischen unter demselben Dach leitet), doch beherbergt es interessanterweise auch heute noch ein Sternerestaurant namens Sparkling Bistro, in welchem eine selten produktbezogene Küche zelebriert wird.
Wer es nicht besser weiß, würde hinter dem voll auf Understatement setzenden und unscheinbar wirkenden Eingang nie und nimmer ein Sternerestaurant vermuten – wir sind ja hier nicht in Berlin, wo schäbige Fassaden praktisch selbstverständlich geworden sind. Mag sein, dass auch der unscheinbare Zugang bei der Tatsache, dass ich der einzige Gast an diesem Nachmittag bleiben sollte, eine Rolle spielt, aber als plausiblere Erklärung mutet der Fakt an, dass veränderte Öffnungszeiten der Hauptgrund sein sollten: die nachmittägliche Öffnung wurde erst vor kurzem bekanntgegeben und umgesetzt. An der Qualität per se kann es jedenfalls schwerlich liegen, denn neben 8,5 Pfannen im GUSTO und einem Michelin-Stern führte mich nicht zuletzt auch ein euphorischer Bericht des nicht so leicht zu beeindruckenden Christian Bau in der Welt hierher.
Chefkoch des Lokals ist Mittdreißiger Jürgen Wolfsgruber, der unter seinen Ausbildern so illustre Namen der Avantgarde wie Ferran Adrià und Heston Blumenthal versammelt. Das 2015 eröffnete Lokal genoss trotz der unscheinbaren Lage bald immer mehr Aufmerksamkeit und erreichte ab 2021 möglicherweise den vorläufigen Höhepunkt der bisherigen Entwicklung: gute zwei Jahre lang stand hier mit Johannes Maria Kneip ein gleichberechtigter zweiter Küchenchef am Herd, doch hat dieser das Lokal aus privaten Gründen inzwischen Rheinland-Pfalz wieder verlassen. Als ich hier im Herbst 2023 eintreffe, leitet der Österreicher Jürgen Wolfsgruber die Geschicke des Lokals also wieder selbst – und das mit relativ wenigen Mitarbeitern, denn neben einer ausgesprochen engagierten Kellnerin und einem Servicechef passen in die winzige Küche nicht viel mehr als nur zwei, drei weitere Mitarbeiter, die dem Chefkoch helfend zur Hand gehen.
Das minimalistische, aber stylishe Urban Chic korrespondiert weitgehend mit dem Küchenstil, denn alles, was hier auf den Teller gelangt, wird schnörkellos und in geradezu radikalem Purismus präsentiert. Dank sorgsamer Ausleuchtung und der großflächigen Fensterfront kommen die wenigen Details dennoch gut zur Geltung, so dass einem kurzweiligen Nachmittag nichts im Wege stehen sollte – potenziert durch den Umstand, dass ich erst tags zuvor um eine Reservierung an diesem kühlen, aber sonnigen Samstag gebeten und eine Zusage bekommen hatte. So sitze ich also tiefenentspannt, schlürfe einen Zerozzante aus dem Hause Raumland und lausche den nostalgischen Klängen aus den Lautsprechern von Frank Sinatra, Johnny Cash, The Byrds, Bob Dylan und weiteren Legenden des Showbiz. Nicht jeder würde sich wohl über solch eine Musikauswahl in einem Sternerestaurant freuen, aber es mutet irgendwie erfrischend anders an – was erst recht für die abgestellte Kuckucksuhr an der Wand gilt, die ich erst später erspähe.
Bevor es mit dem viergängigen Mittagsmenü namens „Gustostückerl“ zu € 80 losgeht, tischt die Küche zunächst zwei Petitessen auf, deren Beurteilung recht unterschiedlich ausfällt: die recht brave Kohlrabitasche mit einer Blutwurstfüllung ist ganz nett, aber kaum mehr als das, während die Tartelette zur rechten schon mal einen hervorragenden Eindruck davon vermittelt, warum sich ein Besuch hier lohnen könnte: in bestechender Frische und Klarheit inszeniert die Küche hier einen Dialog von Languste und Quitte auf derart überzeugende Weise, dass jede einzelne unter der Vielzahl an Texturen Sinn macht. Zusammengehalten wird diese Miniatur von einer markanten Räuchercrème, doch auch ohne sie würden die superbe Konsistenz des Krustentiers sowie die leichte und doch komplexe Säure enorm viel hermachen. Dass sich bei entsprechendem Können großer Geschmack und Kompaktheit keinesfalls gegenseitig ausschließen müssen, konnte die Küche bereits hier zum ersten Mal souverän nachweisen.
Das exzellente Sauerteigbrot von Arnd Erbel aus dem mittelfränkischen Dorf Dachsbach überzeugt auf ganzer Linie – kein Wunder, wenn man weiß, dass dieser Meisterbäcker etliche Sternerestaurants beliefert und in seinem Metier weithin bekannt ist. Passend dazu serviert man eine nicht weiter auffällige Butter aus dem Zillertal – wäre da nicht das Geschirr, das offenbar aus dem Fundus des Tantris stammt, woran es angesichts des ikonischen Designs keinen Zweifel geben kann.
Das Amuse gerät fraglos zu einem weiteren Highlight, denn es ist in großer Variabilität rund um ein Produkt konzipiert: gemeint sind die selbstgezogenen Tomaten, die Experte Peter Kunze aus Nürnberg anliefert. Die vollreifen Tomaten aller Couleur sind praktisch naturbelassen (angesichts ihres überragenden Geschmacks bietet sich das einfach an) und in einen Nussbutterschaum auf Schnittlauchöl gebettet. Seit der legendären Tomatenkreation aus dem Hertog Jan habe ich kein vergleichbar gutes Gericht rund um dieses Produkt gegessen: das ist schlichter, aber großartiger Genuss ohne Chichi, der das Prädikat der Hochküche voll und ganz bestätigt. Erhebt sich nur noch die Frage, weshalb der Chef offenbar eine Vorliebe dafür hat, Großmutters Geschirr zu verwenden …
Mit hocharomatischem und ungeheuer dichtem Geschmack geht die Küche dann zum Auftakt zu Werke und drückt das Gaspedal voll durch: die kurz, aber kräftig angebratenen Kobernaußer Steinpilze paart Jürgen Wolfsgruber mit Spinatcrème und Safterl von Schweinebraten. Es wirkt absolut erstaunlich, wie es der Küche gelingt, mit solch minimalistischem Einsatz von Produkten eine solch kompakte Umami-Wucht zu erzielen. Die vollmunidge Erdigkeit der Pilze und deren wunderbarer Biss erhöhen das Essvergnügen zudem nochmals spürbar, so dass dieser harmlos anmutende Teller in Wirklichkeit ein kraftstrotzendes Paket darstellt, das fraglos zu den besten Gängen des Tages gezählt werden muss.
Weniger Begeisterung löst in mir die Terrine von Foie Gras aus, obschon sie eine luxuriöse Einlage von schwarzem Trüffel erfährt und stimmig mit ein paar durchaus präsenten Salzkristallen belegt ist. In puncto Konsistenz blättert die etwas zu kühle Leber jedoch ohne nennenswerte Cremigkeit ab und erweckt in mir den Eindruck, dass dies schwerlich so gewollt war. Die eingelegte Quitte und die Nocke aus Salat von roter Zwiebel tragen nichts Bereicherndes bei, so dass letztlich das mustergültige Brioche den stärkeren Eindruck hinterlässt. In diesem Fall fanden die Komponenten für meine Begriffe nicht stimmig zueinander, weshalb unterm Strich das Urteil des am wenigsten überzeugendsten Gerichts der Menüfolge stand – schade, denn diesen Gang bekam ich sogar zusätzlich spendiert.
Ganz anders dagegen, ja geradezu unvergesslich, geriet das Highlight des Menüs: die frisch ausgelöste Jakobsmuschel wurde kurz in Butter gebraten, so dass sie innen noch schön glasig auftritt. Gebettet ist sie auf Taubenklein, was im Hinblick auf das Hauptgericht zunächst nur wie ein Indiz für Nachhaltigkeit anmutet, aber geschmacklich sehr viel Sinn ergibt. Die umwerfend gute, mit Sherry veredelte Beurre blanc von perfekter Säure und grandioser Tiefe bildet den ideal umgesetzten Begleiter für die Muschel, doch luxuriös und geradezu perfekt abgerundet wird der Gang mit dem generösen Einsatz der allerersten Alba-Trüffel der Saison. Großzügig ist Jürgen Wolfsgruber auch noch, denn eigentlich werden € 12 pro Gramm der Delikatesse fällig, doch lässt er die Waage einfach weg, hobelt deutlich mehr über das Gericht und berechnet trotzdem nur ein einziges Gramm! Machen wir es kurz: ein nicht zu optimierendes Meisterwerk, das die Worte des Dichter Antoine de Saint-Exupéry unterstreicht: „Ein Meisterwerk ist nicht dann perfekt, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn nichts mehr weggelassen werden kann.“ Dieses Plädoyer für Minimalismus könnte kaum beeindruckender ausfallen!
Zum Hauptgericht bleibt sich die Küche ihrer Stilistik treu und inszeniert die klassisch an der Karkasse gebratene Burgundertaube mit einem Purée von roter Bete sowie einer Nocke von eingelegten Oliven des Vorjahres. Die separat gereichte Pomme Anna wird mit eingelegtem schwarzen Trüffel, Salzkristallen und – wenn ich mich richtig erinnere – Rinderzunge begleitet. Die Umsetzung dieses Klassikers in zeitgemäßer und nüchterner Reinheit gelingt dank des sicheren Handwerks auf überzeugende Weise, wenngleich sich aus meiner Sicht der Reiz der konsequent durchgezogenen Ästhetik mit der Zeit etwas abnutzt und vorhersehbar wird. Isoliert betrachtet handelt es sich jedoch zweifelsohne um eine zupackende Komposition, die aus einem Zeichen der Stärke heraus nichts kaschieren muss und ganz bewusst die Vorzüge der eingesetzten Viktualien betont. Mehr muss bisweilen gar nicht sein, wie dieser Gang beweist.
Das Dessert weckt in mir starke Assoziationen an den Adler in Rosenberg, da auf der Ostalb nicht selten ähnlich reduzierte Beiträge das Menü abrunden. In diesem Fall handelt es sich um eine klassische, mit etwas Ingwer markig gewürzte Tarte Tatin mit einem Eis von Schafsmilch auf einem Schokocrumble. Übermäßig raffiniert mag dieser Ausklang zwar nicht sein, aber die im Grunde bewusste Entscheidung, bar jeden Zierrats den Fokus des Gastes auf den Eigengeschmack der Lebensmittel zu lenken, funktioniert prächtig. Offenkundig setzt man hier regelmäßig auf Bewährtes, was aber beileibe kein Fehler sein muss, solange Qualität und Handwerk stimmen. So kommen auch bodenständige Gerichte zu ihrem Recht und halten dennoch das Niveau hoch.
Nach dieser verkürzten Menüfolge am Nachmittag treibt mich vor allem die Frage um, ob eine derart asketisch anmutende Stilistik das Interesse der Gäste auch über sieben oder acht Gänge hinweg hoch zu halten vermag. Klar ist, dass der Reiz dieser Küche mit der Ausgangsqualität der Produkte steht und fällt, die hier praktisch nicht den kleinsten Makel aufweisen dürfen, um hier ein hohes Maß an Faszination auszulösen. Da spielt es fast nur eine untergeordnete Rolle, ob die Gerichte dann eher klassische Geschmacksbilder bedienen (wie beim Dessert) oder sich moderneren Einflüssen öffnen (wie beim Pilzgericht) – entscheidend ist allein, ob es gelingt, die Vorzüge der eingesetzten Produkte ins bestmögliche Licht zu rücken. Während andere Chefs mit kühnen Kombinationen oder ungewöhnlichen Techniken den Fokus auch mal vom Produkt ablenken, so geschieht hier nichts von alledem: eine schnörkellosere Küche habe ich noch selten erlebt, zumal die einzigen Ornamente vom Geschirr auszugehen scheinen.
Leider habe ich das Lokal nicht zu Zeiten der oben geschilderten Doppelspitze erlebt, da es durchaus vorstellbar wäre, dass das seinerzeit gebotene Niveau angesichts einer größeren Flexibilität beim Personal noch etwas höher anzusiedeln war. Das bedeutet natürlich keineswegs, dass dieser Besuch enttäuschend geriet, aber selten fiel es mir schwerer, der Versuchung zu widerstehen, die Gerichte in einer Art Schwarz-Weiß-Denken zu beurteilen: gelungen oder nicht? Viel Raum für Interpretation lässt der Minimalismus auf dem Teller einfach nicht zu, und so rückt unvermeidlich die Beurteilung des Produkts an sich an die allererste Stelle – und dann kommt erstmal lange Zeit nichts. So stehen zwei fast schon geniale Gerichte (Jakobsmuschel, Tomaten) unvermittelt neben weniger überzeugenden Gängen (Gänseleber), obwohl sie sich derselben Ästhetik bedienen und allein aufgrund der divergierenden Produktqualität gänzlich unterschiedlich einzuordnen sind.
Jürgen Wolfsgruber nimmt sich noch einige Zeit für ein Gespräch mit mir in der Küche (dem einzigen Gast kann man so etwas ja mal anbieten) und plaudert aus dem Nähkästchen über seine Ansichten und Erfahrungen. Seine Überzeugungen sind bisweilen gegen den Strich gebürstet, doch steht er konsequent für diese ein und scheut sich auch nicht, mal damit anzuecken, wenn es der Sache an sich dient. So legt er beispielsweise seine Sicht der Dinge dar, wenn er über die jüngere Entwicklung der Spitzengastronomie in München sinniert und betont, wie wichtig ihm ein unverwechselbarer Stil ist. Des weiteren soll Hochküche noch einigermaßen erschwinglich bleiben (was gerade in München nicht so einfach zu bewerkstelligen ist), weshalb der Menüpreis hier eher niedrig angesetzt ist und die für den Gast leichter zu überschauenden Nebenkosten höher ausfallen. Bedauerlicherweise sind die Buchteln, die es Christian Bau so angetan haben, nur Teil des Abendmenüs, aber als Kompensation gibt man mir ein abgepacktes Exemplar als Wegzehrung mit. So wird mir also am Ende meines Besuches noch ein spezieller Service zuteil, doch auch die zuvor gezeigte Leistung der Kellnerin, die mich an diesem Nachmittag unterhielt, war über jede Kritik erhaben. Die Abwicklung geriet recht zügig, und die Gespräche waren keineswegs so reduziert wie die Gerichte, denn die Kompetenz der jungen Dame erwies sich als durchaus beachtlich, zumal es sich der Chef auch nicht nehmen ließ, zweimal persönlich eine Kreation an meinem Platz zu erläutern – die Nummer mit dem Alba-Trüffel vergesse ich nicht!
Ach ja: der aus dem Tantris gekommene Chef-Sommelier Nicolas Spanier ist (eventuell wegen des geringen Andrangs) an diesem Nachmittag gar nicht anwesend, aber allein die Auswahl an Spirituosen aus dem Hause Rochelt sowie Spiritus Rex macht einiges her. Wenn die Weinkarte ähnlich ansprechend bestückt sein sollte, dann dürfte die Arbeit großen Spaß machen!
Kurz vor der Publikation dieser Rezension eröffnete Jürgen Wolfsgruber übrigens in den ehemaligen Räumen des Kochstudios von Hans Haas das Tschecherl. In diesem Lokal, dessen Name soviel wie ein kleines, einfaches Gasthaus bedeutet, sollen bodenständige, einfache Gerichte der österreichischen Küche auf gehobenem Niveau geboten werden. Das verspricht doch einiges …
Das Sparkling Bistro ist wahrlich kein Sternerestaurant wie jedes andere und macht es seinen Gästen dabei durchaus nicht leicht. Man sollte in der richtigen Stimmung für eine so reduzierte Ästhetik sein, wenn man den größten Nutzen aus ihr ziehen will: das erforderliche Maß an Konzentration bei der Einordnung des Geschmacks ist hoch. doch wer bereit ist, dies auf sich zu nehmen, der darf auf jeden Fall auf einen gelungenen Besuch hoffen. Jedenfalls hat sich das einfach besternte Sparkling Bistro zu einer vollwertigen Alternative im Dunstkreis der zahlreichen und meist erheblich kostspieligeren Zweisterner entwickelt, dessen Besuch durchaus neue Horizonte öffnen kann. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein!
Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten
Sparkling Bistro
Amalienstr. 89
80799 München
Tel.: 089/46138267
www.restaurantsparklingbistro.de
Guide Michelin 2023: *
Gault&Millau 2023: 3 Toques
GUSTO 2024: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 3,5 F
4-gängiges Gustostückerl (mittags): € 80