Gasthof Lamm Rosswag*, Vaihingen an der Enz (UPDATE)

„Es ist gewiß, dass keine Musik komponiert, kein Gemälde gemalt und kein Gedicht gedichtet würde, wenn nicht der Trieb, auf andere zu wirken, im Menschen läge.“ (Carl Maria von Weber)

UPDATE (Februar 2023)

Die Enz entspringt zwar im Schwarzwald, windet sich aber zwischen Mühlacker und dem Weindorf Besigheim in zahllosen Schleifen der Mündung entgegen und prägt so das Bild einer Landschaft nördlich von Stuttgart, die stark vom Weinanbau geprägt ist. Ein besonders pittoreskes Dörfchen – das zudem mit einem herausragenden Landgasthof aufwarten kann – ist der zu Vaihingen an der Enz gehörende Ortsteil Rosswag mit seinen malerischen, engen Gassen und dem reizenden Fachwerk. Im nahe gelegenen Mühlhausen, einem direkt im Enztal befindlichen Ortsteil von Mühlacker, gibt es zudem an einer Enzschleife eine imposante Felsformation direkt oberhalb der mit Weinreben gesäumten Hänge zu bestaunen.

Direkt im Ortskern von Rosswag gelegen, führt Stefan Ruggaber sein mustergültiges Etablissement hier bereits seit mehr als 20 Jahren und wird dem Vernehmen nach immer noch besser. Die vielfach gerühmte Tradition der Landgasthöfe in Süddeutschland lebt in erster Linie natürlich von zahlreichen, mehr oder weniger durchschnittlichen Lokalen, doch berühmte Ausnahmen wie Rebers Pflug in Schwäbisch Hall oder der Schwarze Adler in Vogtsburg demonstrieren deutlich, dass die Qualitätsspanne recht weit gestreut sein kann. Auch das Lamm Rosswag gehört zurecht in die illustre Liste der Spitzenlokale, denn hier ließ sich auch schon ein gewisser Jürgen Dollase (Deutschlands wohl derzeit bekanntester Restaurantkritiker) blicken, der schwerlich jedes gewöhnliche Lokal besucht. Die Referenzen des Chefs sind ja auch durchaus beachtlich – neben derzeit 9 Pfannen im GUSTO sind es auch die Namen seiner Lehrmeister: zum einen Dieter Müller im Schloss Lerbach und zum anderen Dieter L. Kaufmann aus der Traube in Grevenbroich. Beide inzwischen geschlossenen Restaurants erlebten ihre Blüte natürlich in einer anderen Zeit, doch viele Köche würden sich wohl allzu gerne dieselbe klassische Handwerksbasis für ihr Schaffen wünschen.

Im zeitgemäß gestalteten Innenraum des Lokals mit Makroaufnahmen von Weintrauben dominiert neben viel Holz und anthrazit-farbener Tönen ein üppiger Weinschrank, der vor allem mit heimischen Gewächsen bestückt zu sein scheint. Davon beeindruckt, steige ich dennoch lieber mit einem Apfelsecco aus dem Hause Raumland ein und entscheide mich für das sechsgängige Menü zu € 160, das übrigens jeden Monat wechselt und daher stark saisonal geprägt sein sollte. Dennoch kann ich nicht verhehlen, dass mich das (nur auf Vorbestellung erhältliche) vegetarische Menü durchaus auch angesprochen hätte und möglicherweise bei der nächsten Stippvisite den Vorzug erhalten wird. Das Lokal ist an diesem Samstagnachmittag gut gefüllt und besteht meiner Auffassung nach überwiegend aus Stammgästen, die zu meiner Überraschung das große Menü fast durchweg ausschlagen und eine Auswahl à la carte zu präferieren scheinen.

Das erste augenzwinkernde Häppchen – eine Lauchquiche und zugleich schon eine Art Signature Dish – weckt Assoziationen mit dem Zwiebelkuchen im Landgasthof Adler zu Rosenberg, denn die rustikal interpretierte Köstlichkeit überzeugt mit genauso herzhaftem und präsentem Geschmack. Fraglos ein unverwechselbarer Einstieg mit viel Charme, der Appetit auf mehr macht.

Der nun folgende Reigen, der nicht ganz wahrheitsgemäß als „kleiner Einstieg“ tituliert wird, besteht aus nicht weniger als einem weiteren Apéro und zwei Amuses bouches: los geht es mit einer Krustentiermousse auf einem Knoblauchcracker mit etwas Zitronengel. Die kompakte Aromendichte im Verbund mit dem typischen, leicht herben Abgang des Krustentiers überzeugt und hält das Niveau absolut hoch.

Ihren Ruf als kulinarischer Leuchtturm der Region untermauert die Küche mit dem ersten Amuse, nämlich Raviolo mit Frischkäse, Grünkohl in frittierter und cremiger Variante, Trauben und Kartoffeljus. Die verschiedenen Texturen und Temperaturen erzeugen ein schönes Spannungsfeld unter den Komponenten, ohne dass die vorherrschende Harmonie dadurch irgendwie gestört würde. Wie dieses vegetarische Gericht beweist, bewegt man sich hier durchaus am Puls der Zeit, wenngleich dieser Teller eher kosmopolitisch als rural wirkt und in dieser Form auch ohne Weiteres in einer deutlich größeren Stadt bedenkenlos serviert werden könnte. Ausgezeichnet!

Ein zweites Amuse rückt gebratene Jakobsmuschel in durchaus generöser Portionierung in den Mittelpunkt des Geschehens. Ein aparter Reigen aus Steckrübe, Tofu, Shiitake-Pilzen und Dashi verleiht diesem Teller asiatisches Kolorit und präsente Würze, die hauptsächlich auf gerösteten Sesam zurückzuführen ist. Trotz der Vielfalt an Texturen bleibt jeder Bestandteil gut fassbar und die Transparenz zwischen den Komponenten stets gegeben, wobei die kluge Dramaturgie bis hierher noch durch ein Schlückchen Pflaumwein kongenial abgerundet wird. Die Brotauswahl, bestehend aus Focaccia und Kartoffelbrot mit Salzbutter sowie Limetten-Frischkäse vergesse ich im Eifer des Gefechts glatt aufzunehmen – weshalb das Foto leider fehlt.

Allmählich dämmert es mir, weshalb auch die Süddeutsche Zeitung diesem Lokal vor einigen Jahren ein ausführliches Portrait widmete: seit meinem letzten Besuch vor viereinhalb Jahren hatte sich offenbar nicht nur das Menüangebot geändert, sondern auch die Stilistik. Das damals erhältliche viergängige Mittagsmenü zu € 59 gehört der Geschichte an, denn es bewegte sich selbstredend nicht auf demselben Niveau wie die seinerzeit nur abends dargebotene Spitzenleistung. Inzwischen lohnt sich auch die Einkehr mittags weitaus mehr, denn ein volles Menü an einem Samstagnachmittag hat sich inzwischen zu einer wahren Seltenheit in Deutschland entwickelt. Die komplette Leistungsschau ist somit nicht mehr an bestimmte Termine oder Uhrzeiten gebunden und kann daher bei jedem Besuch erlebt werden – fraglos ein Fortschritt, der zur Popularität des Lokals deutlich beigetragen haben dürfte.

Stefan Ruggaber setzt – ganz im Sinne von Webers Eingangszitat – zum Auftakt des Menüs in einem gar noch stärkeren Maße auf Beeindruckung, was unter sporadischen Besseressern seine Wirkung nicht verfehlen sollte. Doch auch mir, dem erfahreneren Gast, imponiert dieses Entrée durchaus: der Center Cut vom Gelbflossen-Thunfisch wird recht bunt umspielt, unter anderem von Gurken-Wasabi-Espuma (getoppt mit Fliegenfisch-Rogen), geflämmtem Rettich und Gurke in weiteren Texturen. Sein Gepräge erhält der Gang vor allem durch die Würze von Koriander – Gel, Sponge und Sud sorgen im Verbund mit Wasabi für variable und sehr angenehme Schärfe, die das Gericht allerdings niemals unvorteilhaft übertüncht. Im Gegenteil: neben der vorzüglichen Transparenz und der großartigen Produktqualität ist es auch die extreme Frische der verwendeten Viktualien, die ein gesondertes Lob verdient. Mit diesem frühlingshaft-heiteren Auftakt setzt die Küche ein wirklich beachtliches Ausrufezeichen, auch wenn reichlich viel auf dem Teller passiert.

Spätestens mit dem Auftragen des nächsten Gangs wird deutlich, dass die Teller in diesem Haus eher kosmopolitisch als rustikal geprägt sind: die Gamba Carabiniero mit leichtem Biss bedecken Tropfen von fermentiertem Knoblauch und Kokos obenauf, während „Blumen“ und Kaviar von Passionsfrucht zur rechten Seite fruchtige Akzente setzen – dominiert wird der Teller allerdings von Blumenkohl in unterschiedlichster Auslegung. Der aufgegossene Mumbai-Currysud weist auch Noten von Estragon auf, während etwas Quinoa den Teller abrundet. Mehr hätte dieser an der Grenze zur Überfrachtung wandelnde Beitrag nicht verkraftet, doch hinterlässt auch dieser Gang einen nachhaltigen Eindruck, der in erster Linie auf die diffizile und variable Begleitung mit Aromen von fruchtig bis leicht bitter zurückzuführen ist.

Überraschend erdig wird dagegen der galizische Steinbutt interpretiert: die geschmackliche Basis dieser Kreation bildet ein mildes Espuma von Nussbutter sowie ein Schaum von Marone, die auch als cremige Tropfen Verwendung findet. Besonders originell gerät die Idee, kunstvoll die Birne unter dem generös portionierten, fein gehobelten Wintertrüffel auf dem Fisch zu verstecken. Deutlich kräftigere Akzente setzt Pastinake in verschiedener Auslegung, doch gerade der geschmackliche Feinschliff mit Kerbelstaub und -öl erweist sich als besonders durchdacht. Trotz der mehr oder weniger beharrlichen Weigerung der Küche, ein Produkt auch mal in größerer Klarheit und mit weniger Ablenkung zu präsentieren darf der Steinbutt angesichts der aromatisch dezenten Zurückhaltung der Begleiter seine Qualitäten voll ausspielen.

Übrigens soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass das Herzblut, welches die Küche in ihre Kreationen steckt, eine animierende Wirkung auf den Service hat, der kenntnisreich und charmant vor allem heimische Gewächse anpreist und souverän an den Mann bringt. Dennoch ist dieses Vorzeigelokal auf diesem Gebiet ganz Landgasthof geblieben: dem Service haftet nichts Steifes oder Überkorrektes an.

An dem kross gebratenen Zander gibt es für sich betrachtet objektiv ebenfalls nur wenig auszusetzen: eher herbstliche Akzente setzen Butternutkürbis und geschmolzene Blutwurst auf dem Fisch, während Hagebutte und Purple Curry aromatische Spitzen setzen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Dennoch kann ich nicht ganz verhehlen, dass die teils überkompliziert wirkenden Bouquets das Erfassen sämtlicher Details nicht nur erschweren, sondern auf Dauer ziemlich ermüden. Es dämmert mir allmählich, dass mir trotz der individuellen Vorzüge eines jeden Gangs so etwas wie ein roter Faden fehlt.

Wie zur Bestätigung der obigen Theorie bewegt sich die Küche nun auch noch am Rande der Fusion-Bewegung, da man offenbar keine Scheu zeigt, das Striploin vom australischen Black Angus Rind mexikanisch interpretieren zu wollen. Das sous vide gegarte und gegrillte Fleisch von ordentlicher, aber nicht überragender Qualität wird abwechslungsreich von Mais (auch als Polenta) und Avocado umspielt, doch die kraftstrotzende Mole setzt sich dagegen mühelos durch. Jalapeños verleihen der Begleitung mehr Präsenz, doch gerade das à part gereichte Schälchen verdeutlicht trotz seiner inhärenten Qualität, dass mir die Logik bei diesem Hauptgericht etwas auf der Strecke bleibt: das mit Avocado und Paprika gewürzte Rindertatar thront auf einem Sauerrahmespuma und sorgt mit seiner gänzlich anderen Stilistik für einen Stilbruch mit dem Hauptteller, der damit nicht wirklich in Einklang zu bringen ist. Dem nicht ganz unberechtigten Vorwurf einer gewissen Beliebigkeit unter den Begleitern leistet so ein heterogen anmutender Satellit jedenfalls Vorschub.

Spätestens nach dem Hauptgang drängt sich einem der Eindruck einer kulinarischen Weltreise auf – was durchaus seinen Reiz hat, aber andererseits fast zwangsläufig dazu führen muss, dass ohne die Fokussierung auf einen enger umrissenen Sektor höchste Meisterschaft schlicht nicht zu erlangen ist. Nichtsdestotrotz sei darauf hingewiesen, dass Stefan Ruggaber offenbar in den vergangenen zwanzig Jahren seine Gäste ordentlich erzogen haben muss, denn so eine mondäne Menüfolge würde man in so einer ländlich geprägten Region schwerlich erwarten. Bestünde die Klientel dieses Lokals aus einem uneingeschränkt konservativen Publikum, so könnte man hier wohl kaum solche kulinarischen Höhenflüge erfolgreich verkaufen.

Ein als dekonstruiertes „Campari Orange“ betiteltes Pré-Dessert wirkt Anfang Februar recht sommerlich, wenngleich es weder in kreativer noch handwerklicher Sicht etwas auszusetzen gibt: unter dem Orangenespuma verbirgt sich eine geeiste Orangenkugel, deren Inhalt sich als der alkoholische Anteil an diesem Gericht entpuppt. Der Süße des Krokantchips setzt die Pâtisserie ein Tagetes-Eis entgegen, das seine eher herbe Wirkung voll ausspielen kann und daher sehr erfrischend gerät. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass sowohl die Küche als auch die Pâtisserie – wie sich auch beim echten Dessert zeigen wird – offenbar eine Vorliebe für eher weiche Texturen haben.

Im Zentrum des Geschehens befindet sich beim Dessert die Schafmilch, die in nicht weniger als vier (!) Varianten auftreten darf: als ganz leicht eingedickte Milch, Mousse, Panna Cotta und Baiser. Erfreulicherweise kommt dieses Dessert mit gefühlt viel weniger Komponenten als die meisten anderen bisherigen Beiträge aus, denn neben einer Praline und einem Granité von Bergamotte ist es hauptsächlich der markige Kontrast zum Rucola, welcher sich in Form von Eis, Gel und Sponge ausgesprochen bemerkbar macht. Manche Komponenten wurden noch hauchzart mit Limette bestrichen oder eingerieben, was einen scharfen und federnden Kontrast zu den bitteren Aromen entstehen lässt. So sehr ich diesem Dessert einerseits eine beachtliche Harmonie und Leichtigkeit attestieren kann, so sehr muss ich andererseits bemängeln, dass ein derart sommerliches Dessert Anfang Februar einfach deplatziert auf mich wirkt.

Ein Après-Dessert streut man zu meiner nicht geringen Überraschung auch noch ein: Aprikose, Earl Grey und Mandel sind als Granité, Espuma und Crunch in dem Schälchen versammelt, doch inzwischen ist nach den vergangenen Aromengewittern meine Aufmerksamkeit für Details deutlich erlahmt, zumal die Zusammenstellung auf mich nur bedingt schlüssig wirkt.

Den Ausklang bilden schließlich ein Vanille-Macaron und eine Johannisbeerenpraline, die in ihrer Schlichtheit beide sehr wohltuend geraten und auch qualitativ überzeugen.

Diese für einen Landgasthof höchst ungewöhnliche Küche genießt fraglos ihre Vorzüge, so dass der regelmäßige Zustrom an Gästen (von denen die Mehrzahl vermutlich bisher eher selten besser gegessen hat als hier) logisch und vollkommen verdient ist, zumal in der näheren Umgebung keine Adresse existiert, welche dieser das Wasser reichen könnte. Stefan Ruggabers Küche überzeugt für meine Begriffe immer dann am meisten, wenn eine klar erkennbare Idee auf dem Teller artikuliert wird und verhältnismäßig wenige Begleiter ein Hauptprodukt zum Strahlen bringen – besonders gut glückte dies gleich im ersten Gang, als die inhärenten Qualitäten des Thunfischs souverän zum Tragen kamen. Auf der anderen Seite bewegen sich viele Kreationen gefährlich nah am Rande des Überladenen, wodurch der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit oder Überkompliziertheit bei den Begleitern entsteht; außerdem war mir der Anteil an weichen Komponenten insgesamt etwas zu hoch im Laufe des Menüs. Die einen mögen zudem den Anteil an Stilen aus aller Welt begrüßen, während andere (wie ich) dies eher skeptisch betrachten.

Dem gegenüber stehen allerdings mehr als genug offensichtliche Argumente, dieser Adresse einen Besuch abzustatten: das Handwerk selbst ist untadelig und zielt fast immer darauf ab, die außergewöhnliche Klasse der Luxusprodukte ins beste Licht zu rücken. Die Wahl der Mittel mag nicht immer gleichermaßen überzeugend sein, aber so weit weg von einer produktbezogenen Küche wie es zunächst den Anschein wecken mag bewegt sich Stefan Ruggabers Stilistik keineswegs – nur etwas mehr Reduktion möchte man bisweilen anraten. Andererseits ist die farbenfrohe Interpretation der Gerichte ein unverwechselbares Erkennungsmerkmal dieser Küchenstilistik, die sicherlich einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg des Hauses hat, selbst wenn die schönste, instagram-affine Optik per se – wie jeder erfahrene Gourmet weiß – nichts über den Geschmack auszusagen vermag. Ein hochattraktives Preis-Leistungs-Verhältnis beim Menü (man bedenke die zahlreichen Extras und die hochpreisigen Luxusprodukte) sollte zudem weitere Neulinge von der Dringlichkeit einer Stippvisite hier überzeugen, selbst wenn die Nebenkosten nicht ganz so konsumfreundlich ausfallen. Nun gut: es ist ja verständlich, dass irgendwo anders ein Gewinn erwirtschaftet werden muss, wenn dies nicht beim Menü geschieht.

Unterm Strich ist und bleibt dies natürlich eine höchst lobenswerte Institution mit herzlichem Service und einer Küche, die sich weit weg vom Alltag bewegt und schon deshalb erlebenswert ist. Den grundsätzlichen Optimismus des GUSTO teile ich zwar ausnahmsweise nicht im selben Maße, aber der Michelin-Stern ist fraglos hochverdient und sollte auch weiterhin problemlos gehalten werden können. Gerade Vinophile finden hier eine besonders lohnenswerte Adresse, doch auch ambitionierte Gourmets sollten dieser Adresse auf jeden Fall Beachtung schenken.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Lamm Rosswag
Rathausstr. 4
71665 Vaihingen-Rosswag
Tel.: 07042/21413
www.lamm-rosswag.de

Guide Michelin 2022: *
Gault&Millau 2022: 3 Toques
GUSTO 2023: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 3 F

6-gängiges Menü: € 160

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Juli 2018

Eine gute halbe Stunde nordwestlich von Stuttgart liegt Vaihingen an der Enz. Die Region punktet nicht nur mit ihrer Nähe zu Pforzheim und den zahllosen Weinbergen, die der Landschaft ihr typisches Gesicht verleihen, sondern auch mit dem berühmten Kloster Maulbronn, das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Ein Besuch des Gasthauses Lamm im Vaihinger Ortsteil Rosswag lässt sich also problemlos mit einem kulturellen Tagesausflug verbinden, der in einem gehobenen Abendessen gipfeln kann.

Das in der Region durchaus bekannte Haus ist ein Fachwerkbau, dessen moderne Einrichtung überrascht, aber ausgesprochen viel Geschmack beweist. Neben den gläsernen Weinschranken wären insbesondere die helle Atmosphäre und die sorgsame Ausleuchtung mit individuell entworfenen Lampen zu nennen. Die Tische sind dagegen recht konventionell gehalten, wenn man einmal von den schlanken, gläsernen Blumenvasen absieht. Seit Familie Ruggaber das Anwesen übernommen hat, kann das Lokal auch einen Chefkoch mit beachtlichen Referenzen vorweisen: Steffen Ruggaber stand schon bei so renommierten Köchen wie Dieter Kaufmann (Traube Grevenbroich) oder dem legendären Dieter Müller (Schloss Lerbach) am Herd. Derzeit wird das Lokal mit 8,5 Pfannen im GUSTO bewertet – es schmückt sich zudem mit einem Michelin-Stern und 15 Punkten im G&M. Mittags wird ein drei- oder viergängiges Menü angeboten, während Neulinge mittwochs und donnerstags am Abend ein verkürztes Gourmetmenü genießen können. Auch weniger ambitionierten Gästen bietet das Lokal eine ansprechende Küche, weil es laut Ruggaber in wirtschaftlicher Hinsicht in dieser Region nicht funktionieren würde, ausschließlich eine raffinierte Hochküche anzubieten. Das große sechsgängige Menü, das daher nur freitags und samstags am Abend angeboten wird, gilt als das kulinarische Aushängeschild des Hauses, das von Sonntag bis Dienstag Ruhetage hat.

Auch an diesem verregneten Samstagnachmittag ist das Haus gut gefüllt. Wir sind gespannt, ob das viergängige Mittagsmenü Rückschlüsse auf die zu erwartende Küchenleistung am Abend zulässt und ob ein Besuch abends in nächster Zeit Sinn machen würde.

Zu einem Glas Prisecco „Sommerbirne“ von Jörg Geiger reicht man als erste kleine Einstimmung eine kleine Quiche, veredelt mit Kräutern und etwas Blutwurst – ein intensiver und gelungener Einstieg. Der Gruß aus der Küche gerät für einen Landgasthof ziemlich modern: in einen tiefen Teller, der mit Crème fraiche sowie Paprika und Gurke in verschiedenen Texturen gefüllt ist, wird noch eine (selbstverständlich) kalte Gazpacho mit Noten von Paprika, Holunder und Rote Bete aufgegossen. In der Mitte des Tellers thront noch eine falsche Kirsche aus Rote-Bete-Gelee und Ziegenfrischkäse-Füllung – ein recht gewagtes Experiment, doch das Kalkül geht auf: Ruggaber beherrscht nicht nur das, was gemeinhin vom durchschnittlichen Gast erwartet wird, sondern kann mit Leichtigkeit überraschende Ideen, die weit von der Norm eines konventionellen Landgasthofs entfernt sind, anbringen. Die leicht überdurchschnittliche Brotauswahl rundet zudem die guten ersten Eindrücke ab.

Der Wildkräutersalat mit Rehfilet, Avocado und Balsamicolinsen überzeugt uns nicht nur durch eine schöne Optik, sondern insbesondere durch die großartige Qualität des kurz gebratenen Rehfilets, das in drei dünnen, abgekühlten Tranchen über den Teller verteilt ist. Der Salat ist getoppt mit Blättern vom Blattspinat, während die Linsen mit ihrer gelbbraunen Farbe das Fundament dieser farbenfrohen Kreation bilden. Die Avocado schmückt den Teller dagegen nur in Form von sparsam dosierten Tropfen. Fraglos ein mehr als solider und weit überdurchschnittlicher Einstieg, aber der Chef kann bestimmt noch mehr …

Schwarzwald-Saibling mit Blumenkohl, Gartenkresse und Emmer lebt vor allem von dem farblichen Kontrast zwischen dem orangenen Saibling und dem knallgrünen Sud der Gartenkresse. Die Emmer-Körner verleihen dem Gericht schönen Biss, während der Fisch eine vorzüglich weiche Konsistenz aufweist und auch geschmacklich voll einschlägt. Originell ist die Vielfalt an Texturen rund um den Blumenkohl, der auch in kurz geflämmter Form auf den Teller kommt und interessante geschmackliche Nuancen beisteuert. Auch dieser Teller gefällt uns durchaus …

Mit dem Hauptgericht fährt der Chef eine Leistungsschau allererster Güte auf: Sûpreme vom Schwarzfederhuhn aus Bresse, Falafel, Spitzpaprika, Aubergine und Gewürzjoghurt ist ein Gericht, in dem das Huhn ein unverkennbar nordafrikanisches Kolorit an die Seite gestellt bekommt. Brust und Keule des Huhns werden in geschmorter und gebratener Form sowie als Ragout auf den Teller gezaubert. Auch in Form einer panierten Kugel darf sich der Hauptdarsteller auf dem Teller, auf den ein Fond vom Huhn aufgegossen wird, austoben. Der eigentliche Clou sind jedoch die Begleiter: die äußerst zurückhaltend dosierten Tropfen von Gewürzjoghurt sowie das Gelée von Zitrone setzen prägnante und hinreißende Kontrapunkte, während die klassisch nordafrikanischen Komponenten dennoch zu ihrem Recht kommen – so ruht besipielsweise die Brust auf einer Spitzparika-Crème von superber Balance. Ein echter Volltreffer und das beste Hauptgericht seit langer Zeit!

Auch beim Dessert hält Ruggaber das Niveau hoch: Erdbeere, Milchschokolade, Mascarpone und Verbene gerät ungleich aufregender als es die Beschreibung vermuten ließe: in der verspielt wirkenden Kreation wird die Erdbeere in allen nur denkbaren Texturen verschleiert, während die aufgegossene Molke den süßlichen Eindruck abfedert. Mascarpone und Luftschokolade verleihen diesem Teller Eleganz und Leichtigkeit, so dass unterm Strich ein hervorragendes und zeitgemäßes Dessert mit klassischen Komponenten steht, das keine ungelenken Eingebungen oder verrückten Techniken benötigt, um seine Wirkung voll entfalten zu können. Großartig! Zum Ausklang gibt es noch ein kleines Türmchen als Mandelkuchen mit einem Klecks Sahne obenauf.

Der Service, bestehend aus jungen Damen, erledigt seinen Job unter der Leitung von Sonja Ruggaber auf sichere und charmante Weise. Das einzige leichte Manko bestand darin, dass die Abwicklung der Menüfolge mit knapp drei Stunden dann doch relativ lange dauerte. Die Nebenkosten sind in diesem Haus nicht überzogen, aber doch als spürbar zu bezeichnen.

Je länger die Menüfolge dauerte, desto mehr dämmerte es uns, welches Potential tatsächlich in dieser Küche zu schlummern scheint. Dass ein viergängiges Menü, das mit vergleichsweise schlappen € 58 zu Buche schlägt, uns so nachhaltig überzeugen konnte, darf dabei schon als kleine Überraschung gelten. Makelloses Handwerk, untadelige Produktqualität und eine angemessene Bereitschaft, auch im Umfeld eines Landgasthofs moderne Akzente zu setzen, sind die deutlichsten Erkennungsmerkmale dieser Küche. Jeder Teller dieses Menüs punktete mit einer klaren geschmacklichen Aussage, ließ einen kulinarischen Sinn erkennen und wirkte trotz einer bisweilen zu erkennenden Kleinteiligkeit niemals sinnlos überfrachtet. Angesichts der gezeigten Leistung kann man hier sicherlich von einer gelungenen Visitenkarte sprechen, so dass ein erneuter Besuch dieses Lokals am Freitag- oder Samstagabend fest eingeplant ist. Spätestens dann würde es micht nicht mehr wundern, wenn die mageren 15 Pünktchen im G&M sich als zu wenig erweisen würden …