Anmerkung: dieses Restaurant ist inzwischen endgültig geschlossen.
„Wir sehnen uns nach Beständigkeit, wir sehnen uns nach Gewissheit. Aber wären wir Menschen nicht auch mutig und offen für das Unerwartete, dann wären schon die Hirten vor Bethlehem auseinander gelaufen.“ (Frank-Walter Steinmeier)
UPDATE (April 2021)
Das Olivo ist seit März 2020 mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet – meine im letzten Absatz angedeutete Prognose ist somit seither mehr als bestätigt worden. Bedauerlicherweise hat das Restaurant wegen einer Renovierungsphase und Corona-Bestimmungen seit der neu erlangten Auszeichnung nicht einen Tag geöffnet gehabt.
UPDATE (Dezember 2019)
Das gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof im Steigenberger-Hotel gelegene Olivo wird seit nunmehr anderthalb Jahren von Anton Gschwendter geleitet, der die Nachfolge des nach Schorndorf abgewanderten Nico Burkhardt übernommen hat. Seither wird hier auf meines Erachtens beständig hohem Niveau gekocht und gleichzeitig immer wieder Neues ausprobiert. Lediglich der Gault&Millau sieht das offenbar anders – dazu später mehr. An den sonstigen Grundfesten seit meinem Besuch im Mai hat sich nichts geändert: Maître Julia Pleintinger hat alles im Griff und dirigiert eine kleine, aufmerksame Servicetruppe, die durchaus nah am Gast agiert und die Atmosphäre auflockert. Bei der Küche dagegen wird erfreulicherweise gerade bei den Einstiegen und der Brotauswahl neuerdings immer wieder fleißig und gefällig experimentiert. Bedenkt man dann noch die weiteren zwei Grüße sowie das Pré-Dessert und die großartigen Petits fours, so ist der Preis für das viergängige Mittagsmenü zu € 98 durchaus gerechtfertigt, zumal die eingesetzten Produkte teils alles andere als billig sind.
Diesmal erfolgte der Einstieg mit drei feinen Petitessen, die sich sehen lassen konnten: zu einem Glas PriSecco Nr. 12 von Jörg Geiger (Schwarzriesling und Johannisbeerzweige) serviert man Aal auf Baiser von grünem Apfel, dann Butternusskürbis auf Rindertatar in einem kleinen Blätterteigschälchen sowie schließlich Entenleber auf Profiterol – allesamt gelungen und apart.
Die ständiger Neuerung unterworfene Brotauswahl überzeugte auch diesmal wieder genauso wie die opulente Fortsetzung des Reigens: Fine-de-Claire-Auster wird mit Dill, Perlzwiebel, Apfel, einer asiatisch inspirierten Vinaigrette und schließlich à part Pumpernickel ansprechend begleitet – keine geringe Überraschung für einen Einsterner. Auch die Bündner Graupensuppe mit Speck changiert elegant zwischen rustikal und edel – ein starker Beginn.
Der erste Gang an diesem Tag bestand aus Tatar vom Luma-Kalb, das auf eine Art und Weise präsentiert wird, die (durchaus auch geschmacklich) an eine hochwertige Sülze erinnert. Feine und leicht scharfe Noten von Savora-Senf sowie Haselnüsse, die etwas Biss beisteuern, sorgen für gekonnte Abwechslung, während mir Kohlrabi in diesem Umfeld trotz vielfältiger Texturen eher wie ein entbehrlicher Fremdkörper erschien. Sieht man davon ab, handelte es sich hierbei um eine ausgewogene und gelungene Kreation – wer mag, kann den Kohlrabi ja notfalls beiseite schieben.
Sichere Pfade betritt die Küche mit cremigem Bio-Ei, Spinat und weißem Trüffel aus Istrien. Der Teller ist allerdings weit mehr als eine geistlose Kopie von altbewährten Vorbildern, sondern punktet einerseits durch die Beigabe von herzhaftem, mit Vacherin Mont d’Or aromatisiertem Schaum und zum anderen durch die unglaublich fein gehobelten Späne des (durchaus üppig eingesetzten) Trüffels, die das Geschmackserlebnis noch um einiges diffiziler erscheinen lassen als bei hauchdünnen Scheiben des Trüffels. Gerade durch die Idee mit dem Käse wird dieses recht klassische Gericht zu typischem Soulfood mit hohem Wohlfühlfaktor – großartig!
Französische Taube „Royal“ wird im Hauptgang relativ kurz gebraten und unter hauchdünn geschnittenen Kräuterseitlingen kunstvoll versteckt. Neben dem Hauptdarsteller befindet sich ein kunstvoll durchdekliniertes Arrangement von Topinambur, Preiselbeere, Petersilie und Buchweizen, wobei die Zutaten nicht großartig verfremdet und doch in stimmigem Bezug zueinander gebracht werden. Der Fokus beim Verzehr liegt eindeutig auf dem Hauptdarsteller, doch in Summe ist dies ein mehr als ordentliches Hauptgericht ohne Fehl und Tadel – lediglich die Zubereitung der Taube an sich mag Geschmackssache sein.
Als außergewöhnlich gutes Pré-Dessert erweist sich die Komposition aus Topfen-Mousse, Sanddorn (Eis und Gel), Walnuss-Grenola und Russisch Brot, das wie ein Ast auf der Komposition thront. Die gelungene Mischung an weichen und bissfesten Texturen sowie die Spannbreite zwischen nicht zu süßen und leicht herben Aromen hievt diesen Einfall auf weit überdurchschnittliches Niveau und überzeugt auf ganzer Linie.
Doch auch Birne, Joghurt, Estragon und Honig erweist sich als pfiffiges und einfallsreiches Dessert, in welchem die Texturen keineswegs nur sinnlose Spielereien darstellen. Die auf einem asiatisch anmutenden Sud (vermutlich mit Zitronengras aromatisiert) platzierten Zutaten unterhalten beim Verzehr mit Varianten wie Crumble, Kompott, Gel, Baiser und schließlich Estragon-Eis. Durch die Vermeidung von primitiver Süße prägt sich auch dieser Beitrag länger als konventionelle Desserts im Gedächtnis ein – ich habe nichts Prinzipielles hier auszusetzen.
Gekrönt wird ein über weite Strecken angenehmer Nachmittag (der mit Sicherheit mehr als die aktuellen 15 Punkte im Gault&Millau wert ist) mit folgenden, großartigen sechs Petits fours: Dulcey de Leche mit Passionsfrucht und Banane, Piña-Colada-Praline, Madeleine, Gewürznougat-Praline, Mandarinen-Praline und schließlich als Krönung mit einem sensationellen Sauerkirsch-Macaron.
Ich konnte an diesem Nachmittag keinen signifkanten Abfall der Küchenleistung feststellen und wundere mich nicht schlecht über die Abwertung des Gault&Millau von 16 auf 15 Punkte in seiner 2020er-Ausgabe. Besagte Rezension scheint mir nach deren Lektüre unterschwellig die angeblich wenig einladende Hotellobby und die Lage gegenüber der Großbaustelle um Stuttgart21 in Teilen in die Note einzubeziehen, obwohl in den Leitlinien des Guides zu lesen ist, dass nur das Essen selbst (und alles, was damit zusammenhängt) bewertet wird. Ich hoffe, dass sich das Team rund um Anton Gschwendtner nicht von dieser schwer nachzuvollziehenden Kritik beeinflussen lässt, denn die anderen Guides wie FEINSCHMECKER (3,5 F) und Gusto (8 Pfannen) sahen keinen Anlass für eine weitere Abwertung in ihren jüngsten Ausgaben. Die zuvor vergebenen 16 Punkte hätten für mich weiterhin Bestand – ich würde im Gegenteil sogar über eine Aufwertung nachdenken, aber beim G&M sieht man das offenbar anders.
Ungeachtet dieser Rezension bleibt festzuhalten, dass Anton Gschwendtners Küchenstil immer wieder asiatische Akzente gekonnt einfließen lässt und Luxusprodukte handwerklich sicher in farbenfrohe, heitere Kreationen integriert – gerade das opulente Trüffelgericht oder das besonders gelungene Pré-Dessert mögen als Beispiele herhalten. Echte Enttäuschungen waren dagegen für mich weit und breit keine auszumachen, so dass ich weiterhin mit einer gewissen Regelmäßigkeit hier vorbeischauen und auch anderen dies empfehlen werde, da das Olivo meines Erachtens Spitzenküche im oberen Ein-Stern-Bereich offeriert.
Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten
Olivo
Arnulf-Klett-Platz 7
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/2048277
www.olivo-restaurant.de
Guide Michelin 2019: *
Gault&Millau 2020: 15 Punkte
GUSTO 2020: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3,5 F
4-gängiges Mittagsmenü: € 98
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UPDATE (Mai 2019)
Seit knapp einem Jahr ist Anton Gschwendtner nun der neue Küchenchef des Olivo im Steigenberger-Hotel direkt gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Mit seiner asiatisch inspirierten Stilistik schlägt er ja einen etwas anderen Weg als den seines Vorgängers Nico Burkhardt ein, der ja inzwischen im Pfauen in Schorndorf gelandet ist (siehe den entsprechenden Bericht). Der bisherige Maître Philipp Berg entschied sich jüngst ebenfalls für den Weg in die Selbständigkeit und wurde nun durch Julia Pleintinger, die mir vom Münchner Werneckhof noch gut in Erinnerung ist, ersetzt. Diese Personalie dürfte sich zumindest schon einmal insofern bewähren, da die neue Sommelière eine profunde Sake-Kennerin ist und sich längst daran gemacht hat, das Digestif-Sortiment um einige fernöstliche Pretiosen zu erweitern und damit adaquäte hochprozentige Getränke anbieten kann, die besonders gut mit der Stilistik der Küche harmonieren. Einzig der bayerische Dialekt mitten in Stuttgart ist noch gewöhnungsbedürftig…! Ansonsten sind mehr als drei Servicekräfte für das an diesem Nachmittag nur spärlich besuchte Restaurant nicht wirklich nötig, doch auch bei vollem Haus abends machte die emsige Servicetruppe in der Vergangenheit stets einen sicheren und freundlichen Eindruck – das hohe Niveau konnte auf diesem Gebiet also problemlos gehalten werden. An den weiteren Rahmenbedingungen (generöse Extras, hohe Nebenkosten und eine umstrittene Inneneinrichtung, die schon so manchen Spötter an ein Möbelhaus erinnerte) hat sich ansonsten nicht viel verändert.
Bleibt also die spannendste Frage: wie sieht es mit der Küche aus? Drei Appetizer eröffnen den lukullischen Genuss an diesem Tag: eine Sommerrolle mit Thai-Spargel, Mango und rote Garnele sowie ein Chip mit schottischem Loch-Duart-Lachs auf aromatischer Seeigelcreme mit Alge und schließlich ein Flammkuchen mit Chorizo, Basilikum und Paprika – drei höchst unterschiedliche, aber sorgsam komponierte Petitessen mit Charme und interessantem Geschmack. Die nach wie vor generöse Brotauswahl (diesmal unter anderem mit einem Bärlauch-Dip) verdient wie immer ein kleines Sonderlob, doch auch die beiden Amuses danach sparen nicht mit hochpreisigen Viktualien: eine Nocke N25-Kaviar thront auf Blumenkohl in verschiedenen Texturen, der auf einer gelierten Steinpilzessenz ruht und mit Tupfen von Schnittlauchcrème weiter veredelt wird. Das zweite Amuse überzeugt mit lauwarm mariniertem Bruchsaler Spargel mit Eigelb, Erbsencrème und – ausgezeichnete Idee! – dünn geriebener Belper Knolle (ein würziger Schweizer Hartkäse). Zu alledem genehmigt man sich noch einen Shirley Temple von der Bar, und schon ist der gewohnt ausgezeichnete Einstieg wieder einmal perfekt gelungen.
Geflämmter Hamachi leitet das Menü ein und wird in einem zweiteiligen Teller präsentiert. Im linken Teil des durch einen Streifen Salatgurke geteilten Tellers findet sich die Makrele auf einem Gurkensud mit etwas Avocadocrème, während der rechte Teil mit einem Wasabi-Eis und einer kleinen Scheibe auf einem Türmchen aus eingelegten Graupen gestaltet ist. Die frühlingshafte Frische des Gerichts und die dezent abgeschmeckte Schärfe tragen zum runden Eindruck dieses Gangs bei, der kaum typischer sein könnte für Gschwendtners Küche.
Fortgesetzt wird das Lunchmenü mit Seesaibling „Omble Chevalier“, der in einer nicht allzu präsenten Krabben-Beurre-Blanc schwimmt und in puncto Optik von launigen Begleitern wie Radieschen sowie Spitzmorcheln in verschiedenen Texturen umrahmt wird. Einen geschmacklich präsenteren Kontrapunkt als die Beurre Blanc setzen außerdem kleine Tupfen von cremiger Brunnenkresse. Beide bisherigen Gerichte können mich aufgrund der Klarheit in der Präsentation und der Frische der Edelprodukte überzeugen, während die Kompositionen an sich wegen des letzten fehlenden Quäntchens an aromatischer Tiefe noch nicht ganz die Begeisterung hervorrufen wie beim ersten Besuch.
Das ändert sich allerdings mit dem Hauptgericht: der Rücken vom Eifeler Lamm erweist sich in puncto Saftigkeit als das beste Stück Lamm seit Äonen, zumal er in leicht salziger Form perfekt gebraten ist und das Lamm auch noch in Form von mutig angebratenem Lammbries variiert wird. Dazu gibt es als echte Rarität südost-asiatische Mung-Bohne, ausgebackene Kichererbsen und einen Gewürzjoghurt, der dezente Cremigkeit beisteuert. Wer seine Grundprodukte qualitativ so hoch wertig inszenieren kann, braucht keine knalligen Begleiter – die Küche setzt die eben skizzierten Komponenten durchaus präsent, aber keineswegs aufdringlich ein. Fraglos der Höhepunkt der Menüfolge! Wie schon im letzten Jahr beweist Anton Gschwendtner offenbar gerade bei Fleischprodukten ein besonderes Händchen …
Das eingeschobene Pré-Dessert besteht aus einer geeisten Passionsfrucht-Mousse, die mit Whisky-Sour-Schaum abgeschmeckt ist und unter einem luftigen, löchrigen Buchweizen-Cracker versteckt ist. Nicht nur in optischer Hinsicht eine Eingebung, sondern auch geschmacklich erfrischend und überzeugend.
Den offiziellen Abschluss bildet weiße Felchlin-Schokolade, die zu einem cremigen Ring verarbeitet wurde und als Luftschokolade eine weitere texturelle Variante erfährt. Dazu gesellen sich kugelförmig ausgestanzte Frucht-Segmente, eine Eis-Kugel und Meringe von Mango. Für weitere Abwechslung sorgt ein Orangen-Gel sowie ein herzhaftes Eis und eine Vinaigrette von Thai-Basilikum. Dieser Ausklang, der aufgrund seines asiatischen Kolorits durchaus auch für erfahrene Gourmets etwas zu bieten hat, gelingt zur vollsten Zufriedenheit, selbst wenn man ihn wohl kaum als denkwürdig bezeichnen kann. Uneingeschränkt großartig dagegen geraten wieder einmal die Petits Fours: eine Ingwer-Mandel-Praline, eine Himbeer-Halbkugel, ein Zitronen-Macaron, ein Windbeutel, ein Kaffee-Marshmallow sowie ein Rhabarber-Törtchen, das amüsanterweise in ein goldenes Ei eingearbeitet ist und vorzüglich schmeckt (wo gibt es die Hennen, die solche Eier legen?).
Die gebotene Menüfolge hatte mit dem Lammgericht „nur“ einen echten Knaller zu bieten, doch soll dies keineswegs bedeuten, dass die anderen Gerichte merklich abgefallen wären. Im Gegenteil: unterm Strich gab es hier wieder eine gewohnt souveräne Darbietung, die – selbst wenn sie nicht ganz so beeindruckend wie der Premierenbesuch unter dem neuen Chef ausfiel – definitiv die schon letztes Jahr von mir geforderte Aufwertung auf 17 Punkte im G&M verdient hätte. Anton Geschwendtner ist mit seiner zeitgemäßen, asiatisch inspirierten Küche endgültig im Olivo angekommen und kann sich nun der Aufgabe widmen, sein Profil noch weiter zu schärfen. Die hohen Nebenkosten (zum Beispiel € 10,50 für eine Flasche San Pellegrino) werden zumindest durch die üppigen Extras wieder einigermaßen aufgefangen, doch auch ungeachtet der Preise wird hier eine bemerkenswerte Küche geboten, die in ihren stärksten Momenten schon das Potential für zwei Michelin-Sterne erkennen lässt. Ganz so rasch wird es zwar wohl nicht dazu kommen, doch unter den Top3 in Stuttgart hat sich dieses Lokal schon lange etabliert. Die Frage des Chefs zum Abschied, ob alles in Ordnung gewesen sei, wirkt da schon fast unnötig bescheiden, denn verstecken muss sich Anton Geschwendtner hinter dieser Leistung wahrlich nicht. Ein regelmäßiger Besuch in diesem Lokal meinerseits ist jedenfalls nach wie vor fest eingeplant, denn enttäuscht habe ich dieses Restaurant noch nie verlassen. Planen Sie einen Besuch ein, denn es lohnt sich!
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UPDATE (Juli 2018)
Das Gourmet-Restaurant „Olivo“ des Steigenberger-Hotels in Stuttgart schlägt ein neues Kapitel in seiner Geschichte auf: im Mai verkündete der bisherige Chefkoch Nico Burkhardt, sich selbständig machen zu wollen und ab Herbst den „Pfauen“ in Schorndorf zu übernehmen. Das traditionsreiche Haus „Pfauen“ ist in der Region durchaus eine namhafte Adresse, fuhr aber in den letzten Jahren aufgrund ständiger Pächterwechsel einen wenig überzeugenden Schlingerkurs. Man darf gespannt sein, ob Herr Burkhardt dort wieder erfolgreich eine Hochküche etablieren kann, die dem Anspruch des Hauses gerecht wird. Der Bericht im Herbst wird folgen …
Doch zurück nach Stuttgart: es erhob sich auch die Frage, ob es der Geschäftsleitung des Steigenberger-Hotels gelingen würde, einen adäquaten Nachfolger zu präsentieren oder ob die eigenen Ansprüche heruntergeschraubt werden müssten. Seit Juli steht hier Anton Gschwendtner am Herd, der vom Wiener Restaurant „Das Loft“ in die baden-württembergische Landeshauptstadt kam. Das Magazin Rolling Pin zählte ihn bereits zu den besten 50 Chefs von Österreich, so dass ich meinen jüngsten Besuch (erstmals unter dem neuen Chef) durchaus mit gespannten Erwartungen verband. Im Service tritt der überaus erfahrene Maitre Philipp Berg die Nachfolge von Christiaan van Berkel an, den es ins zweifach besternte Opus V nach Mannheim zog, wo mit Tristan Brandt ein ebenfalls noch junger Koch am Herd werkelt.
Von den Rahmenbedingungen hat sich praktisch nichts verändert: sowohl die Innenausstattung als auch die Öffnungszeiten und die Preispolitik des Hauses sind quasi unverändert geblieben. Auch die Wahl zwischen einem drei- oder viergängigen Menü mittags ist geblieben. Bleibt also lediglich die Frage, ob das hohe Niveau gehalten werden konnte.
Die üppige Zahl an Extras, die immer noch in recht verschwendersicher Optik aufgefahren werden, ist jedenfalls geblieben: zum Einstieg gibt es drei Petitessen, die durchaus etwas her machen. Den relativ schwächsten Eindruck hinterlässt der gewürfelte Räucheraal auf einer Tomatencreme; die Quiche lorraine im Lauchring, die mit herzhaftem Geschmack punktet, überzeugt eher, während die mit etwas Zitrone und Eigelb veredelte Garnele, die auf einem ausgebackenen Tapiokachip thront, am besten gelingt. Dazu lasse ich mir einen Shirley Temple schmecken.
Als erster Gruß aus der Küche kommt eine geflämmte Forelle auf den Teller, die in einer federleichten Buttermilchsauce badet und mit etwas Gurke und Dill trefflich abgeschmeckt ist. Auch das zweite, diesmal rein vegetarische, Amuse hält das Niveau weiter hoch: gebackenes Eiglb, umspielt mit einem Petersiliensud und getoppt mit Champignons und australischem schwarzem Wintertrüffel, ist ein intensiver Einstieg mit mehr Körper als erwartet. Die Brotauswahl wurde zwar verändert, darf aber weiterhin als überdurchschnittlich bezeichnet werden, so dass bislang eigentlich nur die Olivensphäre, die dem Haus ja den Namen verlieh, abhanden gekommen ist.
Als ersten Gang serviert man Toro vom Balfego Thunfisch und „Royal Anna Dutch“-Kaviar mit geräuchterte Dashi und Daikon. Das herb-säuerliche Gericht mit japanischen Akzenten überzeugt durchweg: trotz keineswegs zurückhaltender Optik bleibt der Hauptdarsteller klar im Mittelpunkt und profitiert ungemein von dem herzhaften Dashi, in dem er schwimmt. Rettich (Daikon) und Kaviar werden kreativ und gewinnbringend in Szene gesetzt, so dass unterm Strich ein gar trefflicher Einstieg steht.
Noch besser wird es mit bretonischem Steinbutt, Beurre Blanc mit Yuzu, Miso, Kohlrabi und Schnittlauch. Die à point gegarte Tranche vom Steinbutt ist von herausragender Qualität und strotzt nur so vor Saft. Die süffige und süchtig machende Beurre Blanc ist ein herrlich säuerlicher Begleiter, der auch die übrigen Zutaten sinnvoll einbindet. Diese tummeln sich in äußerst einfallsreichen Texturen auf dem Teller, auch wenn der klein geschnittene Schnittlauch auf dem Butt nicht eigens hätte erwähnt werden müssen. Sensationell gut – davon hätte man gerne noch etwas mehr gehabt!
Ein erstaunlich herzhaft inszeniertes Hauptgericht ist Luma-Roastbeef (aus der Schweiz), Steinpilz, Ponzu, Haselnuss und schwarzer Knoblauch. Das vor allem erdige und nussige Aromen verwendende Gericht punktet nicht nur mit erneut exzellenter Produktqualität, sondern auch mit sinnvoll und wohldosiert eingesetzten Begleitern. Zwei winzige Türmchen von intensiver Knoblauchcreme mit jeweils einer Haselnuss obenauf sowie kräftig angebratene Steinpilze liefern ein wahres Füllhorn an interessanten und stimmigen Aromen – und doch bleibt der Hauptdarsteller der unangefochtene Star des Gerichts. Erneut absolut hinreißend!
Die vielleicht schwächste Eingebung des Tages ist das Pré-Dessert, das in einem tiefen Schälchen Orangeneis mit Melone und Estragon vereint. Trotz der zusätzlichen klein gewürfelten Obststückchen entsteht diesmal kein Geschmack von bleibendem Eindruck. Erfrischend ist dieser Einschub, aber die Intensität der Aromen fällt diesmal deutlich schwächer als bei den Gerichten zuvor aus. Trotzdem: Schwamm drüber …,
… denn das „echte“ Dessert, bestehend aus Original Beans „Edelweiss“, Himbeere, Tahiti-Vanille und Oxalis erweist sich wieder als Wohlfühl-Dessert allererster Güte. in einem verspielt daherkommenden Dessert ist die leicht eingedickte weiße Schokolade kreisrund angerichtet, so dass in der Mitte noch Platz für etwas Himbeergelée ist. Überhaupt fällt die ausgelassene Verwendung der Himbeere auf, die als Mini-Eiskugel, naturbelassen oder eben als Gelée eingesetzt wird. Feine Vanillearomen und die leicht säuerlichen Akzente der Oxalis runden das Bild stimmig ab, doch die zusätzlich angebotene Erdbeersauce zum Aufgießen lehne ich trotz allem nicht ab. Fünf Petits fours (ein Cannelé, eine Praline aus Kaffee und Limette, ein Schaumkuss, ein Mini-Fiorentiner sowie eine weitere Praline von Schokolade und Minze) runden einen stimmigen Nachmittag würdig ab.
Zum (fast) uneingeschränkt gelungenen Eindruck trägt auch Philipp Berg mit seiner Servicetruppe aus jungen Männern bei, die allesamt schon sehr sicher, durchaus herzlich und aufmerksam ihren Job erledigen (auch wenn an diesem brütend heißen Tag nur zwei weitere Gäste anwesend waren). Der neue Chef ließ sich freundlicherweise auch noch kurz an meinem Tisch blicken, so dass ich ihm gleich versichern konnte, dem Lokal weiterhin die Treue zu halten.
Dafür gibt es auch gute Gründe, denn nach dem Abgang von Nico Bukhardt hätte das Hotel ohne weiteres seine Ambitionen begraben und die aufwendige Suche nach einem geeigneten Nachfolger auch vorzeitig aufgeben können. Die getroffene Entscheidung geriet jedoch absolut überzeugend und keineswegs nur als Notlösung. Das Credo des Chefs, kein Produkt so entstellen zu wollen, dass man es nicht mehr erkennen könne, war klar umgesetzt und stets mit einer deutlichen geschmacklichen Aussage verbunden. Dieses wunderbare sommerliche Menü war überaus inspiriert, phantasievoll und trotzdem wohl durchdacht. Sinnlose optische Elemente gab es trotz bisweilen farbenfroher Inszenierungen nie, und geschmacklich wurde vieles hier in einer Reinheit überzeugt, die heutzutage nicht mehr so selbstverständlich ist. Außerdem wurden viele asiatische Elemente überzeugend und ohne jede Effekthascherei eingebaut.
Klares Fazit: auch unter dem neuen Chef behält das Olivo meines Erachtens weiterhin alle Chancen, den angestrebten zweiten Michelin-Stern erlangen zu können. Die bislang vergebenen 17 Punkte im Gault&Millau sollten weiterhin Bestand haben, da die Möglichkeiten, die diese vergleichsweise kleine Küche bietet, eingeschränkt sind und das, was auf den Teller kommt, vor diesem Hintergrund erst recht gewürdigt werden sollte. Ich komme wieder!
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UPDATE (Dezember 2017)
Chefkoch Nico Burkhardt macht aus seinen vergleichsweise bescheidenen Möglichkeiten nach wie vor sehr viel, auch wenn ein einziges Menü mit bis zu sieben Gängen im ersten Moment dies nicht vermuten ließe. Die zahlreichen Extras zu Beginn, die überdurchschnittliche Brotauswahl und die exzellenten Petits fours kompensieren diesen Umstand jedoch mehr als ausreichend. Schwache Gerichte sucht man praktisch stets vergebens – und selbst wenn nicht jedes Gericht voll einschlagen kann, so hat seine Menüfolge doch stets ein paar echte Highlights zu bieten, wie zum Beispiel die herrlich erfrischende Gelbschwanzmakrele, die im Kontext mit Gartengurke, Imperial Kaviar, Buttermlich und Dill zu einem leichten und säuerlichen Gericht erster Güte wird.
Das Niveau ist unverändert hoch und konstant. Die größte Neuerung ist die Reduzierung der Petits fours auf eine Sammlung von etwa zehn vorgegebenen, hochfeinen und superben Kleinigkeiten. Das üppige Angebot früherer Tage (zuerst Minitörtchen, dann gefüllte Kugeln und zum Schluss noch Macarons) war wohl angesichts der übrig gebliebenen Mengen letztlich zu kostspielig – einerseits bedauerlich, aber andererseits nachvollziehbar. So oder so: ehrliche Arbeit und gehobene Küche mit vereinzelten Highlights darf man hier nach wie vor erwarten. Das „Olivo“ bleibt eine der ersten Adressen in Stuttgart.
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November 2016
Seit dem krankheitsbedingten Ruhestand von Bernhard Diers im Jahre 2013 war nicht so leicht abzusehen, wer in den folgenden Jahren die Spitzenposition in Stuttgart von seiner „Zirbelstube“ erben würde. Zwar gab es eine recht stattliche Zahl an Sternrestaurants in der Schwabenmetropole, doch keines davon konnte sich in puncto Leistung so recht von den anderen absetzen. Inzwischen kristallisiert sich jedoch langsam heraus, dass das „Olivo“ der aussichtsreichste Kandidat auf eine Beförderung sein sollte.
Das im 1. Stock des Steigenberger-Hotels gelegene Lokal liegt direkt gegenüber dem Hauptbahnhof. Das Hotel wirkt eher auf Businessgäste als auf Gourmets abgestimmt und ist vordergründig eher funktional in puncto Design. Das Lokal selbst wartet mit einem etwas eigenwilligen Interieur auf, an dem sich die Geister scheiden. An den Wänden prangen beispielsweise Nahaufnahmen diverser Viktualien, während an einer anderen ein kleiner Kamin eingelassen ist. Der Tischschmuck ist eher spartanisch, und die vanillefarbenen Stühle sind durchaus bequem. Der Blick durch die großen Plexiglasscheiben gibt leider nicht viel mehr als das Bahnhofsgebäude und die triste S21-Baustelle her. Noch ein Grund mehr, seine Aufmerksamkeit voll und ganz den Tellern zu widmen, denn die haben es durchaus in sich …
Der Reigen wird mit einer Reihe kleiner Aufmerksamkeiten eröffnet wie Thunfischcanneloni, geeiste Gazpacho (im Reagenzglas!), Krabbenchip mit Büsumer Krabben und einem weiteren Cracker, der aus gebratener Haut vom Hähnchen besteht. Nicht zu vergessen das Signature Dish im Miniaturformat: die fast flüssige Olive, die in einer dünnen Haut zusammengehalten wird. Es folgt ein essbarer Stein aus mit Sepia gefärbter Kartoffel, getarnt in einem Bett aus Kieselsteinen. Trotz des sehr guten Safran-Aioli-Dips ist der optische Eindruck stärker als der kulinarische. Weiter geht es mit argentinischer Wildgarnele, die in einer krossen Panade aus Petersiliengemüse daherkommt – sehr gut. Der letzte Gruß (quasi das zweite Signature Dish des Hauses) ist der beste: im goldgefärbten Hühnerei befinden sich diesmal getrüffelte Linsen in einer Nussbuttercreme, getoppt mit einem weiteren Cracker, auf dem sich unter anderem Trüffelkaviar befindet. Über die Amuses lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Chefkoch Nico Burkhardt die Messlatte hier noch nicht extrem hoch hängt – und das ist auch gut so, da eine durch die Amuses bereits ins Unermessliche steigende Erwartungshaltung in anderen Lokalen anschließend schon allzu oft enttäuscht wurde. Im Gegenteil: durch eine intelligente Dramaturgie wird ein kleiner Spannungsbogen aufgebaut, der durchaus Appetit und Neugier auf das Kommende weckt. Unübersehbar ist auch, dass der Chef durchaus seine Freude an optischen Spielereien hat – und das ist auch legitim, solange der Geschmack nicht der Optik zum Opfer fällt.
Die Speisekarte beschränkt sich meist auf das Aufzählen der Komponenten des jeweiligen Ganges und verhüllt damit eher mehr als sie preisgibt. Während sich also der erste Gang des Mittagsmenüs (wahlweise drei oder vier Gänge) „Lauwarmer Kalbskopf – Zwiebel – Pilz – Petersilie – Essigjus“ nicht sonderlich aufregend liest, belehrt einen die Komposition auf dem Teller schnell eines Besseren. Der Kalbskopf wird in einer kreisrunden Form präsentiert und von den übrigen Zutaten obenauf dekoriert. Die wunderbar anzusehende Kreation schmeckt vortrefflich und wird durch die begleitende Essigjus, die dem leicht säuerlichen Gericht mehr Körper verleiht, kongenial abgerundet. Erstaunlich, wie viel Geschmack man auf so engen Raum packen kann!
Als zweite Vorspeise trägt man „Atlantischer Seeteufel – Fenchel – Tomate – Bouillabaisse-Sud“ auf. Der auf den Punkt gegarte Fisch steht ohne das Gericht zu dominieren schön im Mittelpunkt und kann seine Wirkung aufgrund der wohlproportionierten Begleiter voll entfalten. Speziell der Fenchel gelingt großartig – das bedarf schon deshalb der Erwähnung, weil diese Diva unter den Gemüsen ganz schnell ein Gericht auch ruinieren kann (zu massiv eingesetzt, zu lange geschmort usw.). Eine weiter absolut stimmige Komposition.
Der Rehrücken zum Hauptgang wird flankiert von Boudin Noir (Blutwurst), Spitzkohl und Süßkartoffel. Die aparte Optik beruht vor allem auf der Präsentation der Begleiter: in kleinen Türmchen (Kartoffel unten, Spitzkohl mittig, Blutwurst oben) werden diese Zutaten aufeinander geschichtet, wobei das Praliné von Blutwurst obenauf trotz seiner winzigen Größe erstaunlich intensiv und präsent schmeckt. Die begleitende Jus aus Dörrobst hält das Gericht zusammen und schafft große Harmonie. Das Reh selbst ist kräftig gebraten, mutig gewürzt und zudem mit ein paar Salzkristallen bestreut. Mit diesem Teller tritt Burkhardt den Beweis an, auch ein häufig bemühtes Produkt originell und zeitgemäß präsentieren zu können. Große Klasse!
Das (auf der Karte nicht erwähnte und daher für Erstbesucher immer wieder überraschende) Pré-Dessert war diesmal „Crèpe Suzette“, allerdings nicht in klassischer Form. Vielmehr wurden die Komponenten in dekonstruktivistischer Weise interpretiert und auf engstem Raum in einer tiefen, aber recht kleinen Schlüssel neu angeordnet und zusammengefügt. Von diesem Klassiker blieben somit nur die Zutaten an sich übrig, doch störte das angesichts dieser kleinen Köstlichkeit niemanden.
Das Dessert schließlich war mein persönliches Highlight – ohne jede Übertreibung bleibt hier festzuhalten, dass dieser Nachtisch sicherlich zu den besten Drei des Jahres 2016 gehörte. In die Mulde eines großen Tellers eingelassen befand sich – wiederum auf engstem Raum – ein Kunstwerk, das schon rein optisch große Lust machte. Der Geschmack war kaum zu beschreiben: kleine und leicht geeiste Sticks aus Ivoire-Schokolade ragten aus einer Art Beet heraus, das mit Walnüssen und einer mit Kokos umhüllten Kugel aus Nougat belegt war. Das ohnehin schon vortreffliche Gericht erhielt durch eine sorgsam eingesetzte Dosis an Yuzu eine säuerlich-frische Note, die diese Komposition weit aus der Masse herausragen ließ. Sensationell!
Das ohnehin schon üppige Angebot der Patisserie wurde jüngst sogar noch erweitert: zunächst hat der Gast eine riesige Auswahl an Mini-Törtchen. Dann folgt ein weiteres großes Kästchen an süßen Trüffeln mit allerlei köstlichen Füllungen. Neuerdings wird zum Schluss sogar noch eine Auswahl an Macarons angeboten, wobei speziell die Variante „Sanddorn“ mich sehr überraschte. Diese Sorte gab es nicht einmal im legendären Café Gerbeaud in Budapest!
Die Nebenkosten sind in diesem Lokal – typisch Großstadt! – nicht gerade billig, aber der Bericht sollte doch deutlich werden lassen, dass die weit überdurchschnittliche Zahl an Extras diesen Umstand mehr als wettmacht.
Der niederländische Maitre Christiaan van Berkel, der Anfang 2016 vom (inzwischen geschlossenen) Sylter „Fährhaus“ nach Schwaben wechselte und die Nachfolge des zur (nur zwei Steinwürfe entfernten) „Zirbelstube“ zurückgekehrten Pascal Foechterlé antrat, hat sich mit seinem Serviceteam nahtlos eingefügt und die Erwartungshaltung zu jeder Zeit erfüllen können. Die Brigade aus jungen Damen und Herren agiert aufmerksam, souverän und ohne jede Biederkeit oder Steifheit.
Wenn der berühmte rote Guide am 1. Dezember erscheint, dann darf man gespannt sein, ob es für den zweiten Stern reicht. Verdient wäre er meiner Meinung nach inzwischen auf jeden Fall, denn der junge Chefkoch (der erst Anfang 30 ist) hat längst einen persönlichen Stil entwickelt und an der kontinuierlichen Verbesserung seiner Fähigkeiten gewissenhaft gearbeitet. Ein Besuch dieses Lokals sollte sich daher auf jeden Fall lohnen!