Bareiss***, Baiersbronn (UPDATE)

„Beständigkeit ist oft nur die Furcht, schwach zu erscheinen, wenn man seine Meinung ändert.“
(Alberto Moravia)

UPDATE (Dezember 2023)

Unter den deutschen Dreisternern gehört das Bareiss mit Sicherheit zu denjenigen Institutionen, die es am wenigsten nötig haben, mit viel Tamtam auf sich aufmerksam machen zu müssen: viel zu eingespielt sind die Mechanismen in dem Team, dessen Stützpfeiler Claus-Peter Lumpp und Thomas Brandt schon so lange dabei sind, dass sie gefühlt schon alles erlebt haben. Die wohltuende Gelassenheit ist im Hinblick auf die verlässlich dargebotene Konstanz und Opulenz der wohl beste Kompagnon, den man sich in diesem Umfeld nur wünschen kann – selbst wenn der Chef am Ende unsrer jüngsten Stippvisite einräumt, dass die eine oder andere leichte Modifikation des Menüs tatsächlich dem Umstand geschuldet war, dass der immense Aufwand dem Team über den Kopf zu wachsen drohte. Der Blick vorab in die Speisekarte verriet noch nichts von dieser leichten Nachjustierung an den Stellschrauben, doch sind es gerade in solchen Lokalen oftmals minimale und doch höchst effektive Maßnahmen, die das beständige Verweilen eines Restaurants in der höchsten Liga weiterhin garantieren. Das weiß auch Claus Peter Lumpp und hinterfragt sein Kulinarium selbst noch in einer Phase, als der Herbst der Karriere naht, auf kritische Weise.

Dank der Reife, Weisheit und Umsicht eines Chefs, der im März 2024 seinen 60. Geburtstag feiern konnte, kann man sich hier jederzeit sicher sein, ein Menü vorgesetzt zu bekommen, das allenfalls wegen seines großen Umfangs minimalen qualitativen Schwankungen unterworfen ist. Ein Feuerwerk an Überraschungen oder Erkenntnisse zu den neuesten Trends darf man hier freilich nicht erwarten, aber dafür eine Lehrstunde in Sachen gediegener Eleganz und Demut vor den Produkten, die Claus Peter Lumpp wie kaum ein Zweiter in ungeheuer vielen Varianten überzeugend durchdeklinieren kann, wenn es in dramaturgischer Hinsicht angebracht ist. So wird ein Hauptteller im Bareiss weitaus öfters als anderswo mit ein oder zwei Satelliten begleitet, doch verbirgt sich dahinter niemals alibihafte Effekthascherei ohne geschmacklichen Mehrwert. Dank einer ausgewogenen Mischung aus ästhetischer Optik und dem gleichzeitigen Verzicht auf allzu knallige Elemente gelingt es der vielköpfigen Brigade zudem immer wieder, trotz einer vergleichsweise kleinen Zahl an favorisierten Viktualien ansprechende Gerichte zu kreieren, deren äußerste Harmonie stets aufs Neue betört.

Am Ambiente und den Rahmenbedingungen hat sich ebenfalls nichts Nennenswertes geändert – im Hinblick auf die Auswahl bei den Speisen darf dies als ein überaus großes Lob aufgefasst werden, denn hier dürfen Speisekarten noch Speisekarten sein: neben zwei unterschiedlich langen Degustationsmenüs offeriert man ein vegetarisches Menü, ein Mittagsmenü und eine stattliche Auswahl à la carte, die preislich allerdings in der Oberliga angesiedelt ist. Ich entscheide mich so kurz vor Weihnachten (wie meist) für das große Degustationsmenü, das inzwischen mit € 295 zu Buche schlägt, und rein äußerlich gleich aufgebaut ist wie immer. Fast schon wie bei einem Ritual werden also zu Beginn die ersten Petitessen auf der silbernen Etagère präsentiert, die tatsächlich einen Tick moderner als sonst erscheinen: auf die Quiche mit Sellerie und bayrischem Bergkäse mag dies weniger zutreffen, aber die Gänserillette auf einem ungewöhnlichen Rotkohlbaiser scheint mir an dieser Stelle schon ungewöhnlich. Auch der Rückgriff auf Sushireis mit Paprika, Tomate und Eigelb wäre vor wenigen Jahren wohl noch nicht denkbar gewesen, während die Mürbteigtartelette mit Saibling, roter Bete und Kaviar eine klassische Allianz an Produkten thematisiert. Insgesamt überwiegt nicht nur der Eindruck eines etwas farbenfroheren, sondern auch intensiveren und mutiger gewürzten Auftakts als früher. Der Zero Sekt vom badischen Schloss Neuweier stellt einen würdigen Begleiter dar, welcher dem edlen und festlichen Rahmen einen perlenden Glanz verleiht.

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Kellnerinnen noch mit der Zange die vom Gast favorisierten Brotsorten vom Tablett auf den Brotteller beförderten. Die klassische Begleitung des Brots mit zweierlei Butter (gesalzen und ungesalzen) setzt in puncto Qualität Maßstäbe, aber ein besonderer Fokus wird auf diesen Teil des Menüs offenbar nicht gelegt – wozu auch, wenn der an anderer Stelle im Menü betriebene Aufwand so immens ist, dass man es sich erlauben kann, für dieses Detail nicht ein Höchstmaß an Kreativität zu investieren? Selbst mit dem reduzierten Einsatz an Kraft ist das Brot immer noch überzeugend genug, um die Phasen zwischen den Gängen angemessen zu überbrücken.

Das für die Verhältnisse dieses Hauses recht kühne kalte Amuse besteht diesmal aus einem zweiteiligen Arrangement namens Variationen von Sellerie (u.a. Mousse und Salat) mit einem Pâte de fruit von der Kirsche und Maronen. Die nussig-erdigen Noten des Gerichts müssen in beiden Fällen ziemlich gegen die dominante Süße der Kirsche ankämpfen, da die Balance für meine Begriffe unter einer gewissen Unwucht leidet. Eine sorgsamere Dosierung der Kirsche hätte vielleicht Abhilfe geschaffen, …

… doch spätestens beim Genuss des warmen Amuse ist diese marginale Enttäuschung schon wieder vergessen. Der sanft gegarte Heilbutt, dessen Saftigkeit durch die erdig-herben Aromen von in Rotwein gekochtem schwarzen Reis bestens kontrastiert wird, könnte kaum mustergültiger abblättern. Zum endgültig großen Wurf wird diese Kreation durch die herbe Fruchtigkeit des leicht alkoholisch verfeinerten Orangensuds, der für eine vorzügliche Balance sorgt und ein exzellentes Gericht würdig abrundet. Große Kunst mit wenigen Komponenten eben!

Am Tag unseres Besuches zeigt sich das Winterwetter von einer sonnigen, wenn auch kalten Seite. Angesichts des fehlenden Schnees, den es im Jahr zuvor gab, wirkt die Stimmung an sich zwar nicht ganz so weihnachtlich, aber spätestens bei der gehaltvoll umspielten Gänseleber, die hier praktisch immer das Menü einläutet, fühlt man sich wieder wie auf einen heimeligen und stimmungsvollen Weihnachtsmarkt versetzt. Dank seines Gespürs für saisonale Effekte und eines offenbar niemals versiegenden Ideenquells gelingt es Claus Peter Lumpp auch heuer, eine durch und durch klassische Variante wieder so ansprechend zu inszenieren, dass keinerlei Gefahr des Abkupferns vom Vorjahr besteht: waren es damals Feige, Spekulatius und Glühwein, die den Hauptdarsteller umspielten, so setzt die Küche diesmal auf eine vergleichbar intensive Variante, allerdings mit durchaus anderen Produkten. Virtuos und sehr aufwendig eingefasst in die Terrine der Innerei sind mehrere Schichten von Salzkaramell und Portweingelée, wobei weitere kreative Varianten für zusätzliche reizvolle Momente sorgen – beispielhaft seien an dieser Stelle Quittensorbet und -gel auf Mousse von Honigwein, ein Parfait auf Quittenchutney mit Ummantelung von Ananas (auf dem Löffel) oder temperierter Honigwein erwähnt. Das Brioche fügt sich mit weiteren, kaum in allen Details zu erfassenden Ausführungen nahtlos ein und rundet einen Gang ab, der ganz old school ist. Was dem Gang vielleicht an Risikofreude fehlen mag, kompensieren die stimmigen Proportionen sowie das atemberaubende Handwerk überreichlich. Dieser ausgesprochen aristokratische und edle Gang gerät trotz seiner Fülle an Effekten zudem etwas leichter als sein Vorgänger aus dem letzten Jahr und überzeugt auf ganzer Linie. Wer Gänseleber gerne klassisch interpretiert erleben möchte, der kommt um einen Besuch hier nicht herum: in dieser Disziplin setzt das Bareiss auch nach drei Jahrzehnten noch immer Maßstäbe. Was für eine Opulenz!

Nach so einem intensiven Auftakt ist Kontrastprogramm angesagt: gebratener Langostino wird deutlich puristischer in Szene gesetzt mit einem vorzüglichem Krustentiersud und Crustacégelée obenauf. Der Einfall, den Gang in mehreren Varianten von Kürbis (Kerne, Mousse und geflämmt) und Ingwer zu begleiten bringt zudem reichlich geschmackliche Dividenden ein. Trotz der großen Kreativität bei der organisch anmutenden Begleitung bleibt das Krustentier im Zentrum des Geschehens – ein Gang, der ganz in sich ruht, seine Stärken subtil ausspielt und einer ausgesprochen cleveren Dramaturgie folgt.

Im nächsten Gang mache ich eine versteckte Hommage an Eckart Witzigmann aus, da die Kombination von roter Bete und Sauerrahm unter dem Jahrhundertkoch salonfähig wurde. Sein ehemaliger Schüler Claus Peter Lumpp rückt die Rübe zwar nicht in den Mittelpunkt des Geschehens, doch dekliniert er sie in verschiedenen Konsistenzen durch und wertet sie damit auf. Sie findet Eingang in diese Kreation in recht mürber, vermutlich gedämpfter Form als rotes Segment und als knackiges „Blatt“ von gelber Bete, zumal auch der Sauerrahm darunter mit der Bete aromatisiert wurde. Protagonist des Gangs ist jedoch ein konfierter und mit Zitrone eingeriebener Kabeljau, dessen vorzügliche Zubereitung durch die sensationelle und ungewöhnliche Sternanissauce besonders gut zur Geltung kommt: sie steuert ordentlich Körper bei und ist zugleich von wohldosierter Aromatik. Zu behaupten, dass nun alles ein wenig entschlackter wirkt, wäre angesichts so weniger Teller bisher ein etwas vermessenes Urteil, aber ein erster Trend wird hier tatsächlich angedeutet, zumal sich dieser Gang für meine Begriffe ganz den Idealen der Nouvelle Cuisine verschrieben hat. Die Konturen sind klar, die Aromen trennscharf und kraftvoll – Genießerherz, was willst du mehr?

Noch deutlicher werden die Referenzen an die Nouvelle Cuisine beim folgenden Gericht: bei der klassischen Kombination von Spinat, Kartoffel (als Brunoise) und Alba-Trüffel verzichtet der Chef allerdings auf das häufig anzutreffende Ei und bettet sein Werk stattdessen auf einer makellosen, geschäumten Sauce Hollandaise. Ein Teil des Spinats wird zu einer Crème verarbeitet, während der restliche Teil als Farce eines asiatischen angehauchten Dumplings Verwendung findet. Viel deutlicher könnte die Verbeugung vor Eckart Witzigmann in der Tat kaum ausfallen – wer sich dies zutraut, der muss allerdings Sorgfalt in jedem Detail walten lassen. Es braucht wohl kaum eigens betont werden, dass Claus Peter Lumpp mit diesem Gang voll überzeugt und selbst progressiv gestimmte Esser überzeugt, die der Nouvelle Cuisine sonst bescheinigen, ein alter Hut zu sein. Wenig Zutaten, viel Geschmack – so luxuriös und relativ einfach kann große Hochküche sein!

Reh aus der Bareiss-Jagd findet hier beim Hauptgericht häufig Eingang in die Menüfolge. So auch diesmal, doch scheint es, als wollen dem Chef die Ideen einfach nicht ausgehen: andere Köche wären froh, wenn sie in der Lage wären, eine so ansprechende Begleitung aus Rosenkohlpurée, Preiselbeeren, Rehschinken und Gewürzjus überhaupt zu ersinnen und diese dann auch noch so schlafwandlerisch sicher umzusetzen, zumal allein die Farbe des Fleisches Bände spricht. Dabei lässt man es im Bareiss jedoch nicht bewenden, denn mit größter Selbstverständlichkeit gesellt sich noch ein weiteres Schälchen hinzu, das mit Ragout von der Schulter und sautiertem Rosenkohl gefüllt ist. Freilich haben erfahrene Gourmets all dies vermutlich schon in ähnlicher Form mehrfach gegessen, doch wie selten man erlebt man, dass aromatische Tiefe, vollendete Balance, klassische Harmonie und souveränes Handwerk derart eindringlich nachhallen?! Mustergültiger kann Klassik kaum sein!

Die Bewahrung klassischer Ideale und Prinzipien wird von der Mehrzahl der Gäste hier einfach erwartet, weshalb der herrlich altmodische und in aller Pracht bestückte Käsewagen trotz extremer Kosten, die er verursacht, hier nach wie vor nicht zur Debatte steht. Die Auswahl ist so opulent wie eh und je – kein Wunder, dass da keine Wünsche offen bleiben und wirklich jedem Gast, so er will, etwas geboten wird. Die nicht im Bild festgehaltene Begleitung mit Brot, Trauben und einer reichhaltigen Auswahl an Chutneys gehört dabei genauso zum guten Ton wie die mustergültige Präsentation der gut vier Dutzend Sorten.

Einen unentbehrlichen Teil des Teams im Bareiss stellt seit vielen Jahren Pâtissier Stefan Leitner dar, der für meine Begriffe nach wie vor der beste klassisch orientierte Meister seines Fachs in Deutschland ist. Sein jüngster Einfall gelangt in farbenfroher Heiterkeit und betörender Optik zum Gast, wobei diese im Geschmack ihre Entsprechung findet: Mascarponemousse mit Apfel, Sanddorn, Praliné und Bratapfelsorbet vereint nicht nur Spitzenhandwerk mit ausdrucksstarker Kreativität, sondern auch erfreulich leichten Geschmack, der hauptsächlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass auf Zuckerlastigkeit zugunsten der Betonung des Obstes verzichtet wird. Dabei bewahrt dieses entzückende Dessert seinen winterlichen Charakter und kommt ohne große Verfälschung der Produkte aus. Die Einzelkomponenten bleiben als solche stets gut erkennbar, so dass der Eindruck großer Natürlichkeit trotz aller Details nirgends verwässert wird. Man mag sich nicht vorstellen, wie viel Hingabe und Leidenschaft notwendig sind, um solche Höhenflüge in die Tat umzusetzen …

Die Petits fours überzeugen sowohl in der vorgegebenen als auch in der individuell vom Wagen zusammengestellten Auswahl gleichermaßen. Die feste Selektion besteht aus Meringue mit Passionsfrucht, Schwarzwald-Cornetto, Linzer Auge, Cassis mit Vanille und Chantilly sowie einem winzigen Türmchen aus Pistazie, Erdnuss und Johannisbeere, während die überbordende Auswahl vom Wagen allerlei Pralinen und insbesondere die Torte von Mousse au chocolat offeriert.

Mit größter Verlässlichkeit liefert das Bareiss Jahr für Jahr: fest auf dem Fundament der französischen Klassik stehend, gelingt es dem Team um Claus Peter Lumpp ein ums andere Mal, den verwendeten Produkten atemberaubend viele und stets überzeugende Facetten abzugewinnen. Dank dieser Kunst, die er wie kaum ein Zweiter hierzulande beherrscht, ist es dem Grand Chef stets möglich, je nach Bedarf einen ausladend üppigen oder auch mal einen etwas schlichteren Gang zu kreieren – in der Vergangenheit fiel die Wahl dabei fast immer auf die erstgenannte Möglichkeit, während neuerdings die zweite Option stärker an Gewicht gewonnen zu haben scheint. Solange diese Maßnahme durchdacht bleibt, werden die Gäste eine solche Herangehensweise fraglos weiterhin honorieren, denn aus der Not eine Tugend zu machen hat schon so manch unverhoffte, positive Wendung bewirkt: der grenzwertige Aufwand für die Küche wird spürbar reduziert, während die Inspiration auf dem Teller kein bißchen darunter leidet. Sollte das Team weiterhin diesen Weg einschlagen, dann dürfte diese luxuriöse Küche sogar noch weiter an Profil gewinnen – eine Aufwertung im GUSTO hat dieser Schritt dem Lokal jedenfalls schon mal eingebracht! Es steht dabei nicht zu befürchten, dass neumodische Experimente rund um grüne Desserts oder ewig lange fermentierte Gemüsesorten hier jemals Einzug halten werden, weil die Stärken dieser Brigade in der klassischen Stilistik liegen und leichte Modifikationen schon große Veränderungen bewirken können. Nach diesem Besuch meinte ich tatsächlich eine gewinnbringende Reduktion in so manchem Gericht ausgemacht zu haben, zumal der Rückbesinnung auf Klassiker der Nouvelle Cuisine ja nichts Verwerfliches anhaftet. Die große Oper wird man hier fraglos auch weiterhin geboten bekommen, da die fulminanten Saucen in Kombination mit allerbesten Produkten weiterhin einen Eckpfeiler der hier zelebrierten Stilistik darstellen werden.

Die Servicebrigade unter dem gewohnt souveränen Dirigat des überaus erfahrenen Maîtres Thomas Brandt arbeitet präzise wie ein Uhrwerk und sorgt dafür, dass es dem Gast an nichts fehlt. Der üppig bestückte Weinkeller wartet zudem mit Weinempfehlungen für jeden Geldbeutel auf, die von Sommelier Teoman Mezda fachkundig und mit großem Einfühlungsvermögen empfohlen werden. Die entspannte Atmosphäre, die Kellnerinnen in Schwarzwald-Kleidern, der ausladende Blumenschmuck – all dies sind unverzichtbare Teile des Genusserlebnisses im Bareiss, das in seiner Herzlichkeit einzigartig bleibt. Genießen wir also noch die Jahre, die uns bleiben, bis sich der Grand Chef entscheidet, den Kochlöffel an den Nagel zu hängen …

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Bareiss
Hermine-Bareiss-Weg 1
72270 Baiersbronn
Tel.: 07442/470
www.bareiss.com

Guide Michelin 2023: ***
Gault&Millau 2023: 4+ Toques
GUSTO 2024: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 5 F

7-gängiges Degustationsmenü: € 295

======================================================================

„Die Eleganz ist der Geschmack der anderen.“ (Arthur Schnitzler)

UPDATE (Dezember 2022)

Deutschlands vielleicht opulentester Dreisterner empfängt uns an diesem Tag als echtes Winterwunderland: am bislang kältesten Wochenende des Winters liegt reichlich Neuschnee, der den ohnehin schon sehr weihnachtlich geschmückten Hotelbau wunderschön aufwertet. Außerdem glänzt die Sonne am strahlend blauen Himmel, so dass die perfekte Bühne für ein vorweihnachtliches Erlebnis bereitet ist. Sollte nichts Unerwartetes passieren, so wird die Küche von Claus Peter Lumpp in gewohnt zuverlässiger Konstanz und Qualität die letzten Festtage vor Weihnachten würdig einläuten – eine Enttäuschung ist praktisch von vornherein ausgeschlossen. Darum kehren wir hier gleich zu dritt ein und erfreuen uns einmal mehr an dem gewohnt edlen Ambiente, das selbst mitten im Winter festlich mit Blumen geschmückt ist. Ansonsten hat sich erfreulich wenig geändert, wenn man bedenkt, wie viele andere Lokale einer vergleichsweise radikalen Änderung unterzogen wurden: neue Servicekräfte, anderes Ambiente oder gar eine komplett neue Stilistik sind Attribute, die den Verantwortlichen im Bareiss nur ein müdes Lächeln abringen können. Selbstverständlich ist die Krise der letzten Jahre auch hier nicht spurlos vorübergegangen, doch im Vergleich brauchte man angesichts großer Beständigkeit und der weiterhin großen Nachfrage nach Bewährtem keine substantiellen Änderungen vornehmen.

Meine Wahl fällt – fast wie immer – auf das große Degustationsmenü zu sieben Gängen, welches mit € 265 zu Buche schlagen wird. Das verlässlich seit mehr als einem Vierteljahrhundert von Maître Thomas Brandt geführte Serviceteam tischt zu Beginn zu einem Glas Sparkling Tea aus Kopenhagen wie gewohnt die silberne Etagère auf, die heuer mit den folgenden vier Petitessen belegt ist: Räucheraal, Sauerrahm und Limette gehen schon mal eine höchst launige, weil Säure und Süße geschickt dosierende Liaison ein, die von Wagyu-Pastrami mit roter Bete ebenso stimmig wie edel begleitet wird. Sushireis wird hier immer wieder mal variiert (diesmal mit gerade habhafter Würze von rotem Curry), während die herbstliche, fast schon herbe Pilztarte mir unbekannt vorkommt, aber voll überzeugt.

Ein in diesem Haus recht modern anmutendes kaltes Amuse aus Rettich (mariniert und als Crème), Sauerrahm, Schnittlauch-Vinaigrette und grünem Apfel wird zu einem durchaus faszinierenden geschmacklichen Erlebnis mit reichlich überraschenden Wendungen – nicht zuletzt, weil der Schaum von grünem Apfel die richtige Dosis an Süße zu dem ansonsten recht bitteren Arrangement beisteuert. Die genau ausgelotete Intensität der Aromen ist so verblüffend, dass die scheinbar disparitätischen Komponenten erstaunlich gut miteinander harmonieren.

Vergleichsweise nüchtern und irdisch gerät dagegen der warme Gruß aus geschmorten Kalbsbäckchen auf Perlgraupen in einer Kalbsjus – eine augenzwinkernde und ganz nette Darbietung, die einerseits sicheres Handwerk verrät, aber andererseits in ihrer Schlichtheit schwerlich an so manche frühere Darbietung mit deutlich virtuoseren warmen Amuses heranreicht, weil sie in Summe einfach zu simpel gestrickt ist und recht harmlos gerät.

Schnell ist diese marginale Enttäuschung vergessen, denn unter den zahlreichen gelungenen Interpretationen der Gänseleber von früheren Besuchen her scheint mir der aktuelle Beitrag ganz besonders gelungen zu sein: so überzeugt die Variation von der Gänsestopfleber als Terrine nicht nur dank der wie immer verlässlich exzellenten Qualität der Innerei, sondern durch die besonders schlüssig anmutende Entourage mit ausgeprägt weihnachtlichem Charakter. Bildschön drapiert schmiegen sich hier nämlich Eis und Gel von Feige sowie zahlreiche kreative Texturen von Spekulatius an. Außerdem wird die Leber nicht nur als cremige Variante interpretiert, sondern auch noch à part mit etwas Glühwein und einem klassischen Brioche perfekt abgerundet. Das absolut reizend in Szene gesetzte Tellergemälde stellt fraglos einen echten Höhepunkt in der langen Liste an Gänselebergerichten in diesem Hause dar. Wunderbar!

Auf einer Brunoise von Süßkartoffel sowie einer mit rote Bete aromatisierten Mousseline platziert die Küche als nächstes sautierte Gamba Carabiniero von absolut mustergültiger Konsistenz: knackig, von leichtem Biss und festfleischig. Markige Säure steuert Sanddorn in unterschiedlichen Varianten bei, die vor allem in Form von Gel bestens zum Tragen kommt. Weitere Texturen der roten Bete runden das optisch wie geschmacklich gelungene Gericht angemessen ab und lassen ein luxuriöses, doch gänzlich unaufdringliches Erlebnis zu einem Vergnügen ersten Ranges werden.

Das nächste Intermezzo stellt nicht nur einen echten Höhepunkt, sondern eines der kühnsten Gerichte in diesem Haus seit Jahren dar. Der mit Zitrusaromen marinierte Kingfisch harmoniert prächtig mit den säuerlichen Crèmes obenauf, doch seine Qualität allein reicht schon aus, um in mir die Frage aufkommen zu lassen, warum er in deutschen Landen ein solch rarer Gast auf den meisten Speisekarten ist. Fraglos hat nicht jeder Koch die Klasse eines Peter Claus Lumpp, um daraus gleich solche eine Eingebung zu machen, doch die wunderbar glasige Konsistenz und der daraus resultierende leichte, aber keineswegs körperlose Geschmack lohnt die Mühe allemal. Dass der Grand Chef dieses Prachtexemplar mit schwarzem Risotto sehr erdig betont, kommt ohnehin schon recht überraschend, doch den letzten geradezu genialen Feinschliff bekommt dieser Teller durch die Orangenblüten-Kardamomsauce, auf welcher der Fisch gebettet ist. Die virtuos zwischen dezent süßlichen und betont bitteren Aromen changierende Sauce hievt diese Eingebung in den Rang eines Meisterwerks, das zudem sehr winterlich in seiner kraftvollen Intensität gerät und einen Mut erkennen lässt, der in dieser radikalen Form hier bislang eher selten zu beobachten war – alles in allem ein wuchtiger, aber sehr starker Beitrag. Bravo!

Von deutlich reduzierter Kraft – was nach dem Gang zuvor auch dringend anzuraten war – ist im Anschluss die Brandade vom Steinbutt mit Staudensellerie und weißem Alba-Trüffel. Hier muss man nicht viele Worte verlieren, denn das in seiner relativen Einfachheit erstrahlende Gericht überzeugt sowohl durch den saftigen und zarten Geschmack des Hauptdarstellers wie mit der feinen Balance, welche verhindert, dass die grünen Komponenten die subtilen Aromen der „weißen Diamanten der Küche“ (so bezeichnete der große Gourmet Brillat Savarin einst die weißen Trüffeln) zu sehr kaschieren könnten. Fraglos ein Teller der leisen Töne, aber deswegen nicht weniger ansprechend – ausgezeichnete Klassik ohne Firlefanz eben.

Zum Hauptgang schöpft die Küche aus einem gefühlt endlosen Quell an Ideen und setzt einmal mehr eines ihrer Lieblingsprodukte, nämlich Reh aus der Bareiss-Jagd, in einer abermals neuen Variante um: gebratener Rehrücken mit glasierter Petersilienwurzel und Birne profitiert von einer sehr tiefen und erdigen Jus von winterlichem Charakter, während die zweite Variante …

… aus geschmorte Rehschulter mit gewürztem Quittenfond und Marone einmal mehr beweist, dass es keine handwerkliche Herausforderung zu geben scheint, an der diese Küche auf klassischem Gebiet scheitern könnte. Dem Anspruch, den die meisten Gäste an dieses Lokal haben, wird dieser Gang vollauf gerecht: opulente Klassik ohne moderne Manierismen und geschmackliche Tiefe von erhabener Eleganz. Das mag bis zu einem gewissen Grad altmodisch erscheinen, doch würde man sich öfters von so manch jungem Wilden ein solches Verständnis für essentielle Techniken und klassische Geschmacksbilder wünschen. Genau deshalb lohnt sich eine Einkehr hier immer wieder aufs Neue.

Die selten opulente Käseauswahl, deren Auslagen hier noch immer auf dem klassischen Christoffle-Käsewagen präsentiert werden, überzeugt mit ihrer inhärenten Qualität, aber auch stets aufs Neue durch die Chutneys, Weintrauben und die reichhaltige Brotauswahl. Es gibt nicht mehr viele Lokale, die sich noch den Luxus eines Käsewagens leisten, doch setzt das Bareiss für all diejenigen, die ihm nacheifern, noch immer den Maßstab, an dem sich alle anderen zu orientieren haben.

Mit dem Herannahen des großen Auftritts von Ausnahme-Pâtissier Stefan Leitner schlägt das Herz hier sowieso zum Ende eines Menus nochmals ein gutes Stück schneller: diesmal hat er sich ein weißes Schokoladentörtchen mit Mandarinen, Rumtopf und Lebkucheneis einfallen lassen, dessen Qualität Worte kaum angemessen huldigen können: neben einer Vielzahl an komplexen Arbeitsschritten, die man als Gast nur erahnen kann, ragen der besonders knusprige Boden, die geradezu unfassbare Cremigkeit und die extrem sublime Balance zwischen allen Komponenten so heraus, dass selbst dieses für die Verhältnisse des Meisters optisch eher etwas reduziert anmutende Dessert ein durchweg exzellentes Handwerk verrät, welches in Summe in einen großartigen Ausklang von durch und durch klassischem Charakter mündet. Hervorragend!

Vor lauter Begeisterung vergesse ich glatt, mir das Après-Dessert zu notieren, welches – wenn ich mich noch richtig entsinne – ein Sorbet von Passionsfrucht in den Mittelpunkt stellte. Über die restliche Zusammensetzung möge die Fantasie des Betrachters entscheiden …

Abgerundet wird der offizielle Teil durch Kokosparfait mit Ananas, Marshmallow und Aprikose, Cannelé, Mandelküchlein mit Heidelbeere und Karamell sowie ein Törtchen von Pistazie, Erdnuss und Johannisbeere. Wer danach noch Platz hat (was bei mir selbstverständlich angesichts der verblüffenden Auswahl der Fall ist), spricht noch dem überreich gedeckten Wagen aus der Pâtisserie zu, der eine schier unüberschaubare Fülle an Pralinen, Macarons, Fruchtgummis und Bruchschokolade offeriert. Höhepunkt ist wie immer die Torte von Mousse au Chocolat – ein Verzicht auf sie würde diesen Besuch einfach unvollendet ausklingen lassen und ist daher schlicht undenkbar. Jetzt kann Weihnachten kommen!

Das Bareiss hat sich dem uneingeschränkten Genuss von geradezu opernhaften Dimensionen verschrieben und wird diesem Anspruch auch nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch vollauf gerecht. Das ist zuvorderst das Verdienst von Claus Peter Lumpp, der seine größte Stärke immer wieder voll ausspielt und damit ein ums andere Mal bei seinen Gästen punktet: kaum wird man einen anderen Chef finden, der in schöner Beständigkeit Produkte in geradezu atemberaubender Vielfalt durchdeklinieren kann und sein Kulinarium auf diese Weise trotz einer gewissen Bevorzugung von denselben Grundprodukten stets dynamisch und interessant hält. Beispielhaft mag dafür der erste Gang herhalten, der die Gänseleber trotz einer grundsätzlich süßlichen Auslegung wunderbar saisonal in Szene setzte und die Intensität immer wieder geschickt drosselte. Beim Kingfish dagegen überraschten die kraftvoll-herbe Aromatik und der Mut, mit dem Gäste auch mal aus der Komfortzone gelockt wurden, gleichermaßen. So weit hatte sich der Chef noch selten aus dem Fenster gelehnt, doch nach solch langjähriger Berufserfahrung weiß ein Vollprofi wie Claus Peter Lumpp nur allzu gut, wie weit er gehen und was er seinen Gästen zumuten kann. Dass die handwerklichen Voraussetzungen und die Erfahrung, derer es für einen solch kühnen Gang bedarf, zweifellos vorhanden sind, ist unstrittig. Selbst wenn mal (was selten genug der Fall ist) ein kleiner dramaturgischer Hänger ins Menü Einzug hält, so wird spätestens Stefan Leitner, der mit Sicherheit eine der wichtigsten Trumpfkarten des Hauses darstellt, den Gast wieder in ungeahnte Höhen der süßen Verlockung führen.

Nach all den Berichten in der Vergangenheit laufe ich ein wenig Gefahr, mich zu wiederholen, doch wie gerne entscheidet man sich für diese Option, wenn die Alternative darin bestünde, fundamentale Änderungen von zweifelhaftem Charakter ankündigen zu müssen?! Nein, umwälzende Maßnahmen sind hier weder erwünscht noch notwendig. Da auch die Servicetruppe zu weiten Teilen nach der Krise noch aus Stammkräften besteht, die Preise nicht signifikant angehoben wurden und auch die Weinkarte nach wie vor höchsten Ansprüchen gerecht wird, ließe sich kaum ein Restaurant denken, von dem die Aussage, es habe sich nichts verändert, so sehr als Kompliment verstanden werden kann. Es kommt daher wohl keiner großen Überraschung gleich, wenn ich sage: ich komme wieder!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Bareiss
Hermine-Bareiss-Weg 1
72270 Baiersbronn
Tel.: 07442/470
www.bareiss.com

Guide Michelin 2022: ***
Gault&Millau 2022: 4+ Toques
GUSTO 2023: 9 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2022: 5 F

7-gängiges Degustationsmenü: € 265

======================================================================

„Alle Kunst ist der Freude gewidmet.“ (Friedrich Schiller)

UPDATE (Juni 2021)

Im Grunde genommen enthalten meine vergangenen Berichte bereits genug Einsichten darüber, weshalb das Bareiss zu den unumstrittenen und beständigsten Vertretern der Drei-Sterne-Liga in Deutschland gehört. Doch auch wenn die Leitung des luxuriösen Feriendomizils in Mitteltal inzwischen sanft übergleitet aus den Händen von Hermann Bareiss in die seines Sohnes Hannes, so kann man sich doch hundertprozentig sicher sein, dass dieses Lokal seine Pforten erst dann wieder öffnen würde, wenn der gewohnte Qualitätsstandard absolut gewährleistet war. Selbstverständlich hielten Maître Thomas Brandt und Sommelier Teoman Mezda dem Haus trotz siebenmonatigen Lockdowns die Treue. Bei unserem Besuch, der auf den zweiten Tag nach der Wiedereröffnung Anfang Juni fiel, wirkten auch die neuen Servicekräfte so tadellos eingespielt als hätte es niemals eine quälend lange unfreiwillige Unterbrechung gegeben. Dass der gewohnte Standard auch sonst in allen Belangen weiterhin eingehalten wurde, konnte man auch an dem wie immer ausladenden Blumenschmuck, dem opulent bestückten Käsewagen und dem legendären Pâtisserie-Wagen erkennen. Jetzt fehlte sozusagen nur noch die Bestätigung der gewohnten Küchenleistung, doch wer glaubte ernsthaft daran, dass dies ein Problem darstellen könnte?!

Wie immer wird hier bereits vor der Karte die silberne Étagère mit den ersten Kleinigkeiten gereicht, die zwar recht ähnlich ausfallen wie beim letzten Besuch kurz vor dem Lockdown, doch angesichts ihrer makellosen Qualität dürfte sich daran niemand stören. Es sind dies eine intensive Käse-Lauch-Quiche, ein Sushi mit Tandoori, Massaman-Curry, schwarzem und weißem Sesam, dann ein Ikarimi-Lachs mit Imperial-Kaviar auf Schüttelbrot und schließlich ein Tartelette mit Kalbstafelspitz. Wie immer fällt man hier nicht gleich mit der Tür ins Haus, doch um einen Novizen unter uns dreien bereits zu ersten Anflügen von Begeisterung zu verhelfen reicht es schon allemal.

Zu einem hausgemachten Fruchtcocktail reicht man uns sodann die Karte. Meine Wahl fällt dabei erneut auf eine Zusammenstellung à la carte, obwohl sich das große Menü natürlich weiß Gott nicht schlecht liest. Das kalte Amuse bouche im Anschluss überrascht mich dagegen auch nach inzwischen mehr als einem halben Dutzend Besuchen hier: im Mittelpunkt des Haupttellers thront ein mit Granatapfel aromatisiertes Sauerrahm-Espuma, das von gebratenem Blumenkohl, Tandoori und Couscous umspielt wird. Die Krönung des Ausflugs in die Moderne ist das à part gereichte Granité von Ras-el-Hanout (!), das ich in dieser Form hier sicherlich nicht erwartet hätte. Zwar ist dies nur eine dezente Hommage an moderne Ästhetik und Aromenwelten in diesem ansonsten durch und durch klassischen Ambiente, doch eine plumpe Anbiederei an ansonsten anderswo beheimatete Zutaten ist dies beileibe nicht. Der Gang ist sehr durchdacht und punktet nicht nicht nur mit der souveränen Verquickung artfremder Aromen, sondern auch mit erstaunlich differenzierten Temperaturen, die keine Langeweile aufkommen lassen. Selten habe ich hier ein überraschenderes Gericht genießen dürfen! Chapeau!

Das warme Amuse gerät weitaus konventioneller und steuert wieder heimatliche Gefilde an. Dass die Küche hier ganz bei sich ist, beweist sie bei weißem Heilbutt mit Croutons und Spargel. Diese federleichte Überleitung zum Hauptteil verstört niemanden und überzeugt mit Ausgewogenheit, geschmacklicher Tiefe und leichter Fassbarkeit. Es kann losgehen! Am Rande sei noch erwähnt, dass die Brotauswahl keiner separaten Erwähnung bedarf und so ziemlich als einziges hier gewöhnlich ausfällt. Wer kommt allerdings schon hierher, um Brot zu genießen?!

Es ist wahrlich selten, dass in diesem Lokal ein à la carte bestelltes Gericht nur auf einem einzigen Teller kommt, doch so aromensatt wie diese Vorspeise ausfällt, ist dies nicht weiter verwunderlich. Milchkalbsbries (€ 68) inszeniert Claus-Peter Lumpp als ein luxuriöses Gericht von ungeheurer Grandezza. Wer es sich erlauben kann, den vortrefflichen und makellos zubereiteten Hauptdarsteller mit Vanille und Balsamico zu glacieren, ohne ihn dabei vollkommen in den Hintergrund zu drängen, der braucht nicht nur überragende Produkte, sondern auch ein fundiertes Wissen über die Stärken und Schwächen der eingesetzten Produkte. So wird der erstaunlich krosse Hauptdarsteller mit zwei Vanilleschoten gespickt, während die Glace leicht getrüffelt ist und der Teller mit Madeira umspielt wird. Das ist zugegebenermaßen ein sehr gehaltvoller Einstieg mit hohem Sättigungspotential, doch das unnachahmlich edel und elegant in Szene gesetzte Gericht verblüfft mit ungeahnter Intensität ohne dabei zu sehr zu belasten, woran auch das leichte weiße Bohnenpüree und die sorgsame Portionierung ihren Anteil haben. Das ist Luxus in ziemlich dekadenter Form, doch genau den erwarten die Gäste hier!

Zum Hauptgang (eher ungewöhnlich, doch nach dieser opulenten Vorspeise in weiser Voraussicht von mir mit einem Krustentier gestaltet) lasse ich mir Hummer in gleich drei Varianten präsentieren (€ 130) und möchte mich einmal mehr von der Paradedisziplin des Claus Peter Lumpp überzeugen, die seit jeher darin besteht, einem einzigen Produkt unglaublich viele Facetten abzuringen. Auch diesmal werde ich nicht enttäuscht, denn der Hauptteller lässt den Hummer in bestem Licht erscheinen: lauwarm, mit leichtem Biss und zusammen mit grünem Spargel sowie einer Grillgemüsecrème insgesamt sehr mediterran und leicht interpretiert.

Ähnlich bekömmlich, aber ungleich fruchtiger begleitet wird der Hummer als Tatar in einem lauwarmen Süppchen mit Cavaillon-Melone. Das grandios abgeschmeckte Süppchen ist von ganz leicht cremiger Konsistenz und korrespondiert auf charmante Weise mit dem Hauptdarsteller – ebenbürtig, aber keineswegs zu vordergründig.

Den bewussten aromatischen Kontrapunkt setzt die erdige Hummerbisque, die mit Hummergelenken und Cognac auf grandiose Weise aromatisiert wurde – wuchtig, intensiv und süchtig machend. Definitiv eine der besten Hummerbisques, die ich je verkosten durfte! Dass der hohe Aufwand und die exorbitante Produktqualität ihren Preis haben, versteht sich von selbst …

Den Käsegang sollte sich hier nach wie vor nur entgehen lassen, wer befürchtet, das Menü andernfalls absolut nicht stemmen zu können. Angesichts von vier Dutzend Sorten zur Auswahl und der besten Begleitung weit und breit (diverse Brotsorten, Weintrauben, Chutneys usw.) fiele es wahrlich schwer, darauf zu verzichten – noch dazu, nachdem dieser Christofle-Käsewagen in Deutschland praktisch konkurrenzlos gut ausstaffiert ist. Das sollte man schon mal erlebt haben!

Saisonal bedingt gibt es eines der besten Desserts von Ausnahme-Pâtissier Stefan Leitner nicht allzu lange auf der Karte – wie passend, dass momentan die ideale Saison für Himbeeren ist und dem Genuss dieses Desserts endlich einmal nichts im Wege steht! Der Stilistik des Grand Chefs folgt die Dessert-Abteilung, indem dieser Gang (€ 52) mit nicht weniger als fünf Schälchen oder Tellern aufwartet! Auf dem Hauptteller ist ein weißes Schokoladen-Himbeertörtchen auf Schokoladensablé mit Himbeersauce platziert. Flankiert wird dieses von links nach rechts von einer Lychee-Himbeerpraline, Himbeersorbet auf Apfel und Thymiansauce, geeiste Yuzu mit marinierten Himbeeren und schließlich Himbeercrème mit Vanille-Essig-Gel. Der Grad an Sättigung hat bereits bedenkliche Ausmaße angenommen, die nicht zu verbergen sind, doch der Verzicht auf dieses Dessert – die Bilder lassen es wohl schon erahnen – wäre einer Sünde gleichgekommen (sein Verzehr kommt ebenfalls einer gleich …). Mit praktisch perfektem Handwerk in großer Vielfalt inszeniert und im Habitus doch sehr leicht erscheinend, trat die Pâtisserie-Abteilung unter Stefan Leitner wieder einmal gekonnt den Beweis an, warum ich sie zu den drei besten in Deutschland zähle. Hier wird kein noch so großer Aufwand gescheut, um aus Kunst Freude am Verzehr entstehen zu lassen – Schiller hätte im Hinblick auf sein Eingangszitat sicherlich bedingungslos beigepflichtet.

Natürlich wird das gebotene Niveau auch bei den Friandises durchgehalten. Sei es ein Mandelküchle mit Heidelbeere, ein Zitronentartelette (hintere Reihe von links nach rechts), ein Türmchen aus Marzipan, Pistazie und Nougat, eine Aprikosen-Praline oder ein Marshmallow (vordere Reihe von links nach rechts): all dies gibt es in der gewohnt grandiosen Qualität.

Wer danach noch Platz gelassen hat, sollte zum Abschluss natürlich auch noch dem Wagen mit weiteren Versuchungen eine Chance geben. Das Foto zeigt nur meine individuelle Wahl, die logischerweise nur einen kleinen Bruchteil des gesamten Angebots abdeckt.

Um es kurz zu machen: all die Beobachtungen, die in der Vergangenheit schon zutrafen, konnten wir auch heuer bestätigen. Trotz des unsäglichen Einschnitts von sieben Monaten waren alle beteiligten Akteure sofort wieder voll einsatzbereit und offenbar bis in die Haarspitzen motiviert. Alles in allem könnte man anführen, dass sich manche Dinge nie ändern – wo eine solche Aussage aber andernorts eine Kritik darstellten würde, so verhält es sich hier eher umgekehrt. Immer wieder gelingt es dem gesamten Team hier, die Erwartungen aufs Neue zu befriedigen – als ob dies eine beiläufige Aufgabe ohne besondere Anforderungen darstellte!

Wenn es überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann nur auf allerhöchstem Niveau. Zum einen wäre da eine minimale Vorhersehbarkeit bei den Gerichten. Um es anders auszudrücken: Überraschungsmomente sind nicht unbedingt die Stärke dieser Küche, aber meistens dürften diese auch gar nicht gewollt oder angesichts solcher Produkte schlicht überflüssig sein. Zum anderen muss man hier ein wenig achtgeben, nicht gar zu sehr den Anschluss an veränderte Zeiten zu verschlafen – was im Hinblick auf veränderte Lieferwege und -zeiten im Hinblick auf die aktuelle Pandemie tatsächlich noch ein Problem werden könnte. Ansonsten gibt es neben diesen leisen Anregungen praktisch nichts zu beanstanden. Die drei Michelin-Sterne sind für meine Begriffe derzeit nach wie vor in Stein gemeißelt und dürften so schnell auch nicht in Gefahr geraten. Mit anderen Worten: das Bareiss ist auch nach dem Lockdown die kulinarische Trutzburg der Klassik geblieben, die sie schon immer war und noch jedes Mal einen Besuch gelohnt hat!

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Bareiss
Hermine-Bareiss-Weg 1
72270 Baiersbronn
Tel.: 07442/470
www.bareiss.com

Guide Michelin 2021: ***
Gault&Millau 2021: 19 Punkte
GUSTO 2021: 9 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2020: 5 F

7-gängiges Degustationsmenü: € 258

======================================================================

„Ein Jahr ohne Bareiss ist ein verlorenes Jahr.“ (Bernd Grill)

UPDATE (November 2020)

Es bleibt dabei: das Bareiss ist und bleibt ein Ort der unbeschwerten und heiteren lukullischen Freuden auf höchstem Niveau. Dass Claus-Peter Lumpps Küchenstil dabei trotz aller Raffinesse, Veredelung und Kunstfertigkeit so nahbar bleibt, ist dabei die vielleicht größte Überraschung. Jedenfalls wäre dies nach wie vor das erste Drei-Sterne-Lokal in Deutschland, das ich einem Neuling der Szene zum Besuch nahelegen würde. Hier sucht man all die extremen Experimente modernerer Küchen genauso vergeblich wie ein Streben nach dem ach so angesagten Casual Fine Dining. Nein, hier ist alles noch ziemlich „old school“ und damit ein wohltuender Kontrast zu der allgemeinen Gastro-Landschaft in der Bundesrepublik – wobei sich das natürlich keineswegs auf die Qualität bezieht, denn viele Köche wären wohl froh, wenn sie jemals halb so gut in ihrem Leben kochen würden. Ähnlich wie im Sonnora in der Eifel huldigt man hier den althergebrachten Tugenden der Haute Cuisine, die nun einmal ihr Fundament darstellen. Extrem hohe Qualität und reine Genussfreude – das entspricht der Erwartungshaltung der Gäste, die hier von Claus-Peter Lumpp stets zuverlässig bedient wird.

Nicht vergessen wollen wir dabei das ziemlich feudale, barock anmutende Ambiente mit dem ausladenden und stets frischen Blumenschmuck in der Mitte des Raumes, die hochwertige Ausstattung im Allgemeinen (SIlberbesteck, Christofle-Käsewagen usw.) und eine Servicetruppe, die immer noch zu den besten in ganz Deutschland gezählt werden muss. All dies steigert jedoch eher nochmals den Genuss, denn von Spießigkeit oder weihevoller Würde ist hier weit und breit keine Spur. Die ausladende Opulenz des Festmahls spiegelt sich somit auch in den Details drumherum wider und stellt hier eine Art Mantra dar, wenn es um große Gastlichkeit geht.

Angeführt von Restaurantleiter Thomas Brandt, der hier seit fast einem Vierteljahrhundert die Geschicke im Service leitet, und Sommelier Teoman Mezda agiert hier eine stets aufmerksame und diskret zu Werke gehende Servicetruppe, die dafür sorgt, dass es einem an nichts mangelt. Kaum Platz genommen, fragt man schon nach einem Apértif und serviert dazu die ersten Kleinigkeiten auf der herrlich altmodischen Silber-Étagère. Zu einem Traubensecco aus dem Hause Raumland genießen wir (von oben nach unten) Zwiebeltarte mit Feige und Bacon (!), Sushi mit Kokos-Curry-Crème und Sesam, dann gebeizten Saibling mit Kaviar und Crème fraîche sowie zu guter Letzt ein Mürbteigtartelette mit Kalbstafelspitz und Schnittlauch. Wie immer in diesem Haus sind die Petitessen zu Beginn fokussiert und auf das Wesentliche konzentriert, so dass sie auch diesmal wieder allesamt überzeugen ohne die Messlatte dabei gleich zu Beginn zu hoch zu hängen.

Bereits der kalte Gruß kommt in zwei Teilen (mehrteilige Kreationen haben in diesem Haus bereits eine lange Tradition): ein stimmiges Arrangement aus Mango, Süsskartoffel und geröstetem Quinoa überzeugt mit vielseitiger, zwischen fruchtig und erdig changierender Aromatik, die mit thailändischem Massaman-Curry weiter veredelt wird. Durch die Quinoa erhält die Komposition zudem leichten Biss und korrespondiert prächtig mit dem wunderbar sämigen Mangosüppchen, das durch dezente Noten von Zitronengras belebende Säure erhält. Die normale Betriebstemperatur ist hier fraglos schon erreicht mit diesem starken Auftakt.

Beim warmen Gruß labt sich Heilbutt an einem leicht alkoholischen Apfelschaum, während Perlgraupen der fruchtigen Komponente eine bissfeste und erdige Komponente zum Ausgleich zur Seite stellen. Durch die recht straffe Säure und die grandiose Produktqualität schlägt auch dieses Amuse voll ein. Vermutlich wegen Corona wird hier übrigens derzeit nicht wie gewohnt mit der Zange Brot aufgetragen, sondern eine nicht weiter bemerkenswerte Brotauswahl samt gesalzener und ungesalzener Butter auf dem Tisch abgestellt.

Tatsächlich breche ich diesmal mit einer langjährigen Tradition und bestelle hier danach zum ersten Mal drei Gänge à la carte – ein nicht ganz billiges Vergnügen, aber die zahlreichen Satelliten, die hier jeden Hauptteller zu begleiten pflegen, sorgen schon dafür, dass der Sättigungsgrad am Ende definitiv das übliche Ausmaß erreicht. Da das aktuelle Degustationsmenü zudem einiges an mehr oder weniger bekannten Gerichten enthält, entscheide ich mich diesmal dafür, die größte Stärke des Chefs auf die Probe zu stellen: berühmt ist der hochdekorierte Claus-Peter Lumpp vor allem dafür, einem einzigen Produkt ungeahnt viele geschmackliche Facetten und Präsentationsformen entlocken zu können. Ich bin gespannt, wie gut das gelingt.

Es geht los mit Saibling aus dem Buhlbachtal zu € 89. Der quasi einheimische Hauptdarsteller wird dabei auf nicht weniger als drei Tellern verschieden interpretiert. Auf dem Hauptteller thront confierter Saibling, umgeben von Bergamotteöl, Ur-Karotte und Earl Grey. Das hochkomplexe Defilée an der Seite wartet mit ungeahnter aromatischer Vielfalt auf, die einen ausgelassenen Bogen um typisch herbstliche Aromen spannt. Unumstrittener Star des Tellers ist und bleibt aber der Hauptdarsteller, der wunderbar mürb gerät, dabei Säure und cremigen Schmelz gleichermaßen vereint und eine ideale Balance mit den Nebendarstellern eingeht.

Auf dem ersten Satelliten befindet sich Saiblingsfilet, umspielt mit Beluga-Linsen und einem kalten Ingwer-Karotten-Sud. Allein die Vielfalt an Texturen auf dem Fisch spricht schon Bände, doch genau der erwartet komplexe Geschmack ist damit verbunden: federleicht und doch dominiert von nussigen Aromen. Absolut erstaunlich!

Den Abschluss der Trilogie bildet Tatar vom Saibling mit Crustini (eine Art fluffiges Brioche) und Saiblingskaviar. Kompaktheit, Eleganz und Harmonie tummeln sich hier auf engstem Raum und machen aus diesem Happen eine hochkonzentrierte Umami-Bombe mit Langzeitwirkung sowohl im Gedächtnis als auch am Gaumen. Bereits nach diesem ersten Gang dürfte auch dem letzten Zweifler klar geworden sein, dass die ungeheure Vielfalt bei der Verarbeitung eines einzelnen Produkts tatsächlich die Paradedisziplin des Claus-Peter Lumpp darstellt. Phänomenal!

Der eingeschlagenen Stilistik der hemmungslosen Variation bleibt die Küche auch beim Hauptgang treu, denn auch Taube aus dem Elsass zu € 106 erfährt hier eine Metamorphose von schier unglaublicher Ausprägung. Der Hauptteller trumpft auf mit gebratener Taubenbrust, Sellerie, eingelegten Zedra-Zitronen und Tonkabohnenglace. Allein der Farbe des Fleischs kann kaum ein genügend großes Lob ausgesprochen werden, doch erwartungsgemäß erweist sich das saftige und ungemein zarte Täublein als würdiger Haptdarsteller, der hier nicht sonderlich kräftig, sondern eher elegant (vor allem durch die unverwechselbare Aromatik der leicht süßlichen Tonkabohne) interpretiert wird.

Ansonsten macht dieser Teller allerdings kein großes Aufheben um sich selbst, sondern überlässt den kleineren Begleitern die Show: da wäre zum einen Ragout von der geschmorten Keule mit Polenta, roh marinierter Gänseleber und Cassis als fruchtige Begleitung. Dieser handwerklich untadelige und aromensatte Gang erweist sich als würdiger Begleiter …

… doch der heimliche Star der Trilogie ist Crustini mit Taubeninnereien, Crème fraîche und farbenfrohem Apfel-Sellerie-Salat. Neben der umwerfenden Optik entpuppt sich die Aromenwelt dieses kompakten Beitrags als ungeheuer subtil: während anderswo Innereien häufig nur durch bittere Aromatik langweilen oder gar unangenehm auffallen, wurde hier durch das teils säuerliche Einlegen und durch aromatisierte Crèmes aller Couleur dem gezielt entgegengesteuert. Unter all den Tellern dieses gesamten Mahls ist dieser vermutlich sogar der beeindruckendste. Aus einem scheinbar unerschöpflichen Quell an Ideen zaubert die Küche hier immer wieder Eingebungen auf den Teller, die schlafwandlerisch sicheres Handwerk erkennen lassen und dabei kein bisschen verkopft wirken.

Als Dessert wähle ich für die Pâtisserie eine Disizplin aus, die kaum altmodischer, aber andererseits auch kaum anspruchsvoller sein könnte. Bei einem Soufflé (€ 50) entscheiden oft Sekunden über Wohl und Weh des Gelingens, doch ein solcher Spitzen-Pâtissier wie Stefan Leitner bewältigt dieses Prüfung natürlich nicht nur mühelos, sondern auch besonders souverän: sein Meisterwerk ist fluffig, schön heiß und schlicht das beste Exemplar, das mir bislang jemals vorgesetzt wurde. In der Mitte aufgestochen und am Platz mit Passionsfruchtsauce aufgegossen, wird der Verzehr zu einer reinen und unbeschwerten Wonne. Doch keine Sorge, denn auch beim Dessert bleibt das Bareiss seiner Linie treu und sendet weitere Begleiter zur Verstärkung: in dem Schälchen befindet sich ein Bananeneis, dessen Qualität einige Lichtjahre von derjenigen der Eisdiele um die Ecke entfernt ist.

Damit hat sich die Angelegenheit aber natürlich noch nicht erledigt, denn ganz beiläufig wird hier auch noch ein federleichtes Cheesecakemousse mit Ananas-Tamarindensorbet und Limettensablé serviert. Dazu muss man nicht allzu viele Worte verlieren: fraglos eher altmodisch, aber dafür wunderbar fruchtig, cremig und ausgesprochen harmonisch. Dieser Ausklang hat jedenfalls so viel Format, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken eine ganze Reihe anderer, modernerer Desserts dieses Jahres dagegen eintauschen würde.

Vor dem großen Finale mit dem legendären Pâtisserie-Wagen streut man hier wie immer zunächst die Friandises ein, diesmal bestehend (von links nach rechts) aus einem Passionsfrucht-Marshmallow, einer Heidelbeer-Praline, einem Törtchen aus Nougat, Pistazie und Himbeere sowie im Hintergrund Madeleines. Wie immer ist dies alles sehr delikat und sorgfältig erstellt.

Immer wieder frage ich mich, wie andere Gäste es wagen können, dem Pâtisserie-Wagen mit einer überbordenden Fülle an süßen Sünden eine Abfuhr zu erteilen. Sind dies Erstbesucher und wussten sie es daher nicht besser oder gibt es tatsächlich Gäste, die nicht in der Lage sind, ihre Kräfte so einzuteilen, dass sie bis zum Schluss durchhalten?! Wie dem auch sei – diesem Wagen einen Korb zu geben, wäre das Letzte, was mir in diesem Hause einfallen würde! Ob nun Macarons, Pralinen, Gelées oder Mousse-au-chocolat-Torte: alles ist derart großartig und verführerisch in der Qualität, dass ein Verzicht darauf fast schon unter Strafe gestellt gehört! Sättigung hin oder her – wer sich das entgehen lässt, dem ist nicht zu helfen! Einen würdigeren Abschluss kann man sich kaum ausmalen – im schlimmsten Fall die Waage eben wegsperren …

Einmal mehr hat das Team um Claus-Peter Lumpp die Rechtfertigung für die drei Michelin-Sterne überzeugend geliefert. Dass die Küche wo immer dies möglich ist und sinnvoll erscheint auf regionale Produkte zurückgreift, stellt für mich immer wieder eine der größten Überraschungen dar. Während andere internationale Spitzenadressen auf beste Produkte rund um den Globus angewiesen sind, kommt man hier zwar nicht komplett ohne, aber doch mit erheblich weniger weit gereisten Luxusprodukten aus. Einem praktisch vor der Haustür gefangenen Fisch entlockt Lumpp einen derart unvergleichlichen Geschmack, der die Notwendigkeit von Edelfischen aus weit entfernten Meeren tatsächlich infrage stellt. Gut, bei der Taube wurde auch auf höchste Qualität aus dem Elsass Wert gelegt, doch befindet sich diese Region ja quasi in direkter Nachbarschaft zum Schwarzwald und ist damit fast schon einheimisch. Dass der Küche auch nach gut dreißig Jahren die Ideen immer noch nicht ausgehen und neue Modifikationen langjähriger Klassiker stets souverän und kein bisschen verkrampft wirken, stellt ebenfalls einen beachtenswerten Umstand dar. Selbst den leisesten Anflug von kulinarischer Langeweile habe ich hier wieder vergeblich gesucht. Vielleicht mag den einen oder anderen Gast die Vorstellung überkommen, dass ein Schuss Moderne hier und da nicht das Schlechteste wäre – dennoch wäre dies entbehrliches Jammern auf allerhöchstem Niveau. Schließlich weiß man doch, worauf man sich hier einlässt?!

Fraglos gleicht ein Besuch hier bis zu einem gewissen Grad einer Inszenierung, die allerdings nie enttäuscht oder irgendwie aufgesetzt wirkt, zumal auch der Service praktisch immer den richtigen Ton trifft. Unbeschwerter Genuss zu gastfreundlichen Nebenkosten trifft (auch bei der Weinauswahl un den Spirituosen) auf ausladende Opulenz in jederlei Hinsicht – all dies macht das Bareiss zu einem unvergleichlichen Lokal unter den deutschen Spitzenadressen, das ich jedenfalls nicht missen möchte. Es gehört definitiv zu den zehn besten Adressen der Bundesrepublik, genießt fast schon Legendenstatus und rechtfertigt jede Reise. Eine absolute Sternstunde war dieser Besuch zwar nicht, doch die zweithöchste von mir vergebene Note drückt auf jeden Fall einen extrem hohen Respekt vor dieser wieder einmal überragenden Darbietung aus, der zur internationalen Spitzenklasse nur ein Wimpernschlag fehlt.

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Bareiss
Hermine-Bareiss-Weg 1
72270 Baiersbronn
Tel.: 07442/470
www.bareiss.com

Guide Michelin 2020: ***
Gault&Millau 2020: 19 Punkte
GUSTO 2020: 9 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2020: 5 F

7-gängiges Degustationsmenü: € 245

======================================================================

UPDATE (Oktober 2019)

Der alljährliche Besuch in Deutschlands opulentestem Drei-Sterne-Restaurant sollte diesmal – und mal wieder bei Regen – im Herbst erfolgen, da ein Besuch zu dieser Jahreszeit bisher noch ausstand. Gesagt, getan: der Weg führt uns in den Ortsteil Mitteltal und schnurstracks durch die wie immer top in Schuss gehaltene Hotelanlage zu dem leicht barock anmutendem Raum mit dem stets ausladenden Blumenschmuck in der Mitte, wo uns Maître Thomas Brandt schon erwartet. Wie (fast) immer – ich bin doch nicht zum Spass hier! – fällt meine Wahl auf das große Degustationsmenü zu € 245 – ein scheinbar recht stolzer Preis, aber kaum irgendwo sonst gibt es so ausladende Extras. Für Details siehe die bisherigen Rezensionen.

Zu einem klassischen Traubensecco von Raumland wird wie immer die klassische Silber-Étagère aufgetischt, die heuer mit vier recht unterschiedlichen Petitessen belegt ist: ein Sushi mit schwarzem und weißem Sesam sowie Shiitake-Pilzen, dann eine herzhafte Lauchtarte (die an Vincent Klinks Klassiker erinnert), ein Limettenbaiser mit Texturen von Saibling und schließlich eine Rillette von der Entenkeule auf Blätterteig, abgeschmeckt mit Grapefruit und Preiselbeeren. Auf diesen Einstieg war noch immer Verlass – und auch dieser Besuch machte da keine Ausnahme.

Das anschließende kalte Amuse beeindruckte mich wie schon lange keines mehr: eine Variation von Waldpilzen aller Art wird kreativ auf Pastinakencrème drapiert und in Verbindung mit einer heißen Pilzessenz serviert. Ein besonders netter Clou ist ein falscher Steinpilz, der einem echten Exemplar täuschend ähnlich sieht, aber in Wirklichkeit aus Texturen von Pastinaken angefertigt wurde. Chefkoch Claus-Peter Lumpp erweist sich wieder einmal als echter Könner, wenn es darum geht, einem Produkt möglichst viele Facetten abzuringen.

Weniger verspielt, aber kaum schwächer gerät der heiße Gruß: gebratener Zander ruht hier puristisch auf Crème und Essenz von Topinambur – ein erdiger Begleiter, dessen leicht süßliche Aromen bestens mit dem Fisch korrespondieren. Die Brotauswahl wurde zwar leicht verändert, verdient aber weiterhin keine besondere Erwähnung.

Das trifft aus den ersten Gang dagegen gar nicht zu: Gänsestopfleber ist ein regelmäßiger Gast bei Herrn Lumpp, doch kaum ein anderer Koch hat so viele Modifikationen bei diesem Produkt im Repertoire. Dieses Mal wurde die herrlich kühle Terrine mit einer Schicht Mascarpone bedeckt und mit einem nicht zu süßen, genau richtig dosierten Sud von Fragolino-Trauben begleitet. Doch damit (natürlich) nicht genug: neben dem mustergültigen Brioche wird die Leber nochmals gekonnt variiert: als Eis auf einem knusprigen Crumble. Abgerundet wird der Hauptteller übrigens von einem Bouquet aus Tupfen von Aprikosengel und Mascarpone sowie essbaren Blüten. Superb! Auf die Gänseleber-Gerichte ist hier praktisch immer Verlass.

Sautierte Jakobsmuscheln interpretiert die Küche diesmal relativ würzig: im Verbund mit winzig klein gehacktem und leicht geschmolzenem Blumenkohl sowie der klassischen Sauce Rouille (Safran und Knoblauch) entsteht hier ein elegantes, fast schon aristokratisches Gericht mit hohem Wohlfühlfaktor, das keine überbordende Kreativität nötig hat. Sehr schön – ein kleines Highlight.

Auch bei kross gebratenem Wolfsbarsch steht die Produktqualität im Vordergrund: ausgehöhlte Rotweinschalotten dienen als Behälter für Crèmespinat und gebeiztes Eigelb. Zusammen mit der Sauce, die ebenfalls mit Eigelb gebunden zu sein scheint, entsteht hier ein eher ungewöhnliches Gericht, da andernorts dieser spezielle Fisch meist eher mit etwas kräftigeren Begleitern ausstaffiert wird. Macht aber nichts, denn das Gericht verfehlt seine Wirkung dennoch nicht und gerät zu einem bescheiden anmutenden, aber gelungenen Beispiel für Reduktion – was in diesem Haus nicht gerade ein Markenzeichen ist.

Als nächstes thront Brust und Keule vom Rebhuhn (leider mitsamt verirrter Schrotkugel – manchmal ist weniger eben doch mehr …) auf einem attraktiven, opulenten und aromatisch dichten Bett von glacierten Maronen. Eine vegetabile Note steuert Ofensellerie bei, während vereinzelte Preiselbeeren fruchtige Akzente setzen. Kongenial veredelt wird die Kombination allerdings mit der Glasur von Tonkabohnen, deren unverwechselbare Aromatik erstaunlich gut zu diesem Gericht passt. Das ausgezeichnete, zarte Fleisch rundet das beste Gericht des Abends würdig ab – wäre da nur nicht diese Schrotkugel gewesen …

Dunkelrot gebratener Rehrücken (aus hauseigener Jagd) mit karamellisiertem Wirsing und Hagebutte (in einem cremigen Streifen) ist ein recht zurückhaltend gestalteter Hauptgang, der dem vorbildlich zubereiteten Hauptdarsteller die Bühne praktisch komplett überlässt. Doch da gibt es ja noch den zweiten Teller, der mit Ragout von der Schulter, Brioche-Croutons und Herbsttrompeten gestaltet ist. In Summe ein ordentlicher Hauptgang, aber ohne großartige Langzeitwirkung im kulinarischen Gedächtnis.

Allen Grund zur Freude bietet wie immer der Anblick des ausladendsten Christofle-Käsewagens, den ein deutsches Drei-Sterne-Restaurant zu bieten hat. Das mit fast fünf Dutzend Sorten bestückte Exemplar bietet eine unschlagbare Auswahl, zumal Weintrauben, Chutneys, Nüsse und Früchtebrot ebenfalls zum festen Ritual hier gehören – diesen Gang hier bitte nur auslassen, wenn der Grad an Sättigung schon zu hoch sein sollte! Ansonsten würde bald die große Reue über diese einmalige Gelegenheit einsetzen …

Zum Dessert kreiert Stefan Leitner – fraglos einer der Besten seines Fachs – Mousse von Schokolade und Passionsfrucht mit Ananas-Tamarinden-Sorbet und Kakaobohnenstreusel. In einem spearaten Schälchen befindet sich unter Ananas-Stückchen besagtes Sorbet, während die restlichen Zutaten kreativ auf dem Hauptteller drapiert wurden. Das ist weiß Gott kein schlechtes Dessert, aber im Vergleich mit all den Eindrücken vergangener Jahre kann ich es schwerlich als Ruhmesblatt für die Patisserie bezeichnen, weil es mir recht simpel gestrickt scheint. Gemessen am eigenen Anspruch empfinde ich diesen Beitrag eher als kleine kreative Verschnaufspause.

Das gewohnt herausragende Niveau gibt es dagegen wieder bei den fünf kleinen Ausklängen zu bewundern, deren Stammgast wie immer das Schwarzwald-Cornetto ist – doch auch die variablen Beiträge wie beispielsweise ein Schokoladen-Pistazien-Türmchen oder ein Passionsfrucht-Marshmallow enttäuschen nicht. Zu guter Letzt kommt ja noch wie immer der einmalig dekadente Patisserie-Wagen mit Macarons, Mini-Schokoladen-Tafeln, Canelés und allem, was das süße Herz sonst noch so begehrt. Wer die unbeschreibliche Mousse-au-chocolat-Torte auslässt, dem ist nicht zu helfen!

In Summe ist auf dieses Lokal so sehr Verlass wie eh und je. Zwar räume ich ein, dass der jüngste Besuch zur minimal schwächsten Stippvisite bisher geriet, doch lag es fast eher daran, dass der Service diesmal nicht ganz die gleiche Souveränität und Brillanz an den Tag legte. Selbstverständlich sei der kompetenten Brigade auch mal ein schwächerer Tag zugestanden, weshalb ich hier kein Fass aufmachen möchte und Details erspare. Die Küche rief ihr gewohnt hohes Niveau ab und legte eine dezente Bereitschaft zur Erneuerung durchaus an den Tag. Speziell das Rebhuhn-Gericht überraschte durch die moderne Präsentation und die überraschende Aromatik durch die Tonkabohne. Keine Sorge: dies ist nach wie vor eines der eher klassisch geprägten deutschen Drei-Sterne-Restaurants, doch die Zeichen der Zeit hat man auch hier erkannt. So gibt es hier bereits seit einigen Jahren ein vegetarisches Menü, und die Auswahl à la carte ist hier ebenfalls so umfangreich wie sonst kaum irgendwo. Wer hier auf der Speisekarte nicht fündig wird, dem ist nicht zu helfen. Von der Ästhetik her ist das Bareiss jedenfalls immer noch das mit der am leichtesten verständlichen Küche, die keine abgehobenen Spielereien nötig hat oder den Gast überfordert. Nein, hier geht es um unbeschwerten und unkomplizierten Genuss, weshalb sich hier ein Besuch noch immer gelohnt hat und ich dem Haus auch weiterhin die Treue halten werde.

======================================================================

UPDATE (Dezember 2018)

Kann es für ein würdiges Weihnachts-Festmahl ein besseres Retaurant als das adventlich geschmückte und kulinarisch stets zuverlässige Bareiss geben? Nein, sage ich mir und mache mich an einem völlig verregneten Samstagmittag auf in den Schwarzwald. Auch bei meinem inzwischen fünften Besuch hier betrete ich nach wie vor erwartungsvoll das Restaurant und harre gespannt der Dinge, die da in den kommenden Stunden auf den Teller gezaubert werden wollen.

Ich entscheide mich – wie gewohnt – für das große siebengängige Degustationsmenü zu € 235 und erhalte umgehend einen fruchtigen Cocktail und die Brotauswahl. Etwas überrascht bin ich dann angesichts der silbernen Etagère zum Einstieg, die diesmal ungewohnt modern belegt ist: am klassischsten geraten noch die aromatische Gänserillette und ein Käse-Tartelette mit Schnittlauchcrème, während Sushi mit Sesam und Muskatkürbis sowie insbesondere das Rote-Bete-Baiser mit geräucherter Forelle eine für dieses Haus ungewohnte Modernität an den Tag legen. Diesem Trend huldigen auch das kalte und das warme Amuse: einem Arrangement von Feldsalat mit Rettich und Crème von Brillat Savarin folgt ein Fischragout mit zwei Stücken Heilbutt auf Rahm-Kohlrabi. Das schmeckt durchaus nicht schlecht, mutet aber für einen Stammgast irgendwie als ein Fremdkörper an. Man möchte Chefkoch Claus-Peter Lumpp zurufen, der Schuster möge bitte bei seinem Leisten bleiben …

… und prompt erhört dieser meinen Wunsch. Nach dem gewagten und doch ziemlich ausgefallenen Einstieg steuert die Küche nun wieder die bewährten klassischen Gefilde an – und schneidet damit doch erheblich besser ab. Bei Tatar von Milchkalb mit Mascarponecrème und Alba-Trüffel ist das Küchenteam wieder ganz bei sich. Der überaus großzügige eingesetzte Trüffel verbindet sich auf großartige Weise mit den cremigen Noten der Mascarpone und dem salzigen Aroma des Tatars. Ebenfalls typisch Lumpp ist der zweite Teller, der ein wunderbar mürbes Kalbsfleisch in Kartoffelmousseline bettet und damit einmal mehr einem Produkt weit mehr als nur eine Facette abringt. Grandios!

Gambas mit schwarzem Reis und Chicorée erweist sich im Vergleich zum Vorgänger als nicht ganz so kreatives Gericht, überzeugt aber dennoch mit großartiger Produktqualität und genau richtiger Bissfestigkeit des Reises. Abgerundet wird der Teller durch eine faszinierend leichte und doch wunderbar weihnachtlich anmutende Orangenblütensauce, an die sich die übrigen Komponenten schön anschmiegen dürfen.

Konfierter weißer Heilbutt mit karamellisiertem wirsing, Maronen und Cinq Epices stellt sich als Gericht der mutigeren Sorte heraus: der Hauptdarsteller thront ganz puristisch auf einer Sauce aus der asiatischen Gewürzmischung und wird nur von dem klein geschnittenen Wirsing als Türmchen und Maronen (als Crème und Nuss) begleitet. Während das säuerliche Aroma perfekt mit dem zarten Fisch harmoniert, empfinde ich die rustikalen Noten der Maronen als zu dominant und eher entbehrlich – trotz allem gut gelungen.

Gänseleber mit Kardamom-Quitten-Sauce, Trompetenpilzen und Kürbischutney ist insofern eine kleine Überraschung als Lumpp die Gänseleber eher selten brät. Hier jedoch harmonieren die eleganten, aber durchaus präsenten, cremigen Noten der Gänseleber bestens in diesem spätherbstlichen Umfeld – ein in sich ruhender Teller, der (ohne ein Höhepunkt zu sein) zu gefallen vermag.

Rehrücken in Wildaromen gebraten mit Wildglace und glasiertem Rotkraut ist ein wuchtiges Hauptgericht, das genauso intensiv gerät wie es klingt. Das traditionell aus der hauseigenen Jagd stammende Fleisch kommt in Form von zwei dunkelroten Tranchen auf den Teller und wird eher spartanisch nur von Tupfen und Brot-Halbkugeln mit Rotkraut und Crème fraiche obenauf begleitet. Der herzhafte Hauptdarsteller steht dabei voll im Mittelpunkt des Geschehens, wird aber selbstverständlich in einer weiteren Variante à part als Kompott aus der Schulter mit Gewürzschokolade und geröstetem Panko gereicht. Barocke Opulenz wie man sie aus diesem Hause kennt und für die man die Reise hierher antritt – phänomenal!

Die Käseauswahl von Maître Antony aus dem Elsass ist wie immer ein Traum: gut sechzig Sorten tummeln sich auf dem Christoffle-Wagen. Nachdem jeder die „richtigen“ Käsesorten ausgesucht hat, gibt es wie immer nicht weniger als vier Chutneys, fünf Brotsorten und Weintrauben zur Auswahl. Kurzum: in Deutschland gibt es derzeit keine zweite Käseauswahl wie diese. Die Beigaben, die Qualität der Käsesorten, mit denen der Wagen bestückt ist sowie die immense Auswahl würden allein schon den Besuch rechtfertigen.

Dass Stefan Leitner zu den besten Patissiers hierzulande gehört, ist kein großes Geheimnis mehr. Trotzdem wirkt jedes seines Desserts so als müsste er stets aufs Neue den Beweis antreten, dass er zurecht in der Eliteliga seiner Zunft spielt. Seine klassisch inspirierten Kreationen punkten stets mit überbordender Kreativität, sensationellem Gespür für Harmonien und dem souveränsten Handwerk weit und breit. Während jüngere Vertreter seines Metiers ganz gerne puristisch denken und munter experimentieren, verlässt sich Leitner eher auf bewährte Zutaten, kombiniert diese aber immer wieder so faszinierend neu und federleicht, dass es eine wahre Pracht ist. Jüngstes Beispiel war die Zartbitterschokolade mit Kakaobohnenstreusel, Mandarinen und Lebkucheneis. Was in der Beschreibung eher banal klingt, ist in Wirklichkeit große Kunst: eine Ganache der Schokolade schlängelt sich über den Teller und wird dabei von Mandarinenschnitzen, Blüten und dem Eis flankiert. Höhepunkt dieser Geschmackssinfonie ist jedoch die große, mit geeister Schokolade ummantelte Kugel, die mit sensationellem Schokoladeneis gefüllt ist. Ganz nebenbei wird noch ein Sorbet aus Mandarinen aufgetischt, das dem Gericht superbe Frische verleiht.

Es folgen die klassischen Friandises: Schwarzwald-Cornetto, Apfel-Tartelette, Himbeer-Pistazie-Törtchen, Johannisbeer-Schokoladen-Praline und ein Heidelbeer-Marshmallow. Muss man noch eigens erwähnen, dass auch dies großartig war? Der eigentliche Höhepunkt folgt ja aber noch: die sündhaft köstlichen Ausklänge aus der Patisserie umfassen wieder einmal alles, was das Herz begehrt: Mousse-au-chocolat-Torte, Bruchschokoladen, Obsttörtchen, hausgemachte Pralinen und so weiter. Bei all der Opulenz kann ich nicht widerstehen und lasse mir noch neun (!) Ausklänge reichen, denn es ist wirklich genug da! Längst ist die Verwunderung über den leicht irritierenden Einstieg wieder der vollständigen Beglückung gewichen.

Die größte Genuss-Oper Deutschlands spielt in Baiersbronn-Mitteltal – eine Erkenntnis, an der auch mein jüngster Besuch wieder einmal nichts veränderte. Es wäre jedoch ungerecht, den Fokus nur auf die lukullischen Freuden zu richten, denn das Serviceteam rund um Restaurantleiter Thomas Brandt läuft so genau und zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Nimmt man dann noch das nach wie vor gastfreundliche Preis-Leistungs-Verhältnis, den riesigen Weinkeller, den ausladenden Blumenschmuck, das Silberbesteck und die Messer mit dem Perlmuttgriff für den Hauptgang hinzu, dann vergisst man für ein paar glückliche Stunden die verregnete Welt um sich herum und besinnt sich doch immer wieder, dass es nicht immer ein ach so hippes, nordisch karges Ambiente sein muss. Von allen Drei-Sterne-Restaurants der Republik ist dies aus gutem Grund das geeignetste für Neulinge der Szene. Unbedingt ausprobieren!!!

======================================================================

Dezember 2016

Es war einmal ein ambitionierter Gourmet. Dieser machte sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen kulinarischen Schlaraffenland auf der Ostalb. Da er dort aber nicht fündig wurde, weitete er seine Suche auf ganz Baden-Württemberg aus und wurde bald darauf im Schwarzwald fündig.

Der Ort Baiersbronn im mittleren Schwarzwald selbst ist schon ein Märchenort für Gourmets, denn es gibt weltweit keinen zweiten Ort, der eine solche Dichte an Michelin-Sternen im Bezug zur Einwohnerzahl aufweisen kann. Trotz seiner nur 15 000 Einwohner funkeln nicht weniger als acht Sterne über dem Ort.

Das im Ortsteil Mitteltal gelegene Hotel-Resort kommt der Vorstellung von einer märchenhaften Bleibe schon sehr nahe. Auch die Mitarbeiter zeigen sich von einer derart freundlichen Seite, die so mancher im deutschen Hotelgewerbe schon verloren geglaubt hatte.

Der unumstrittene Herrscher über die lukullischen Träume ist Claus-Peter Lumpp, seines Zeichens Chefkoch, dessen Lokal mit drei Michelin-Sternen dekoriert ist. Sein kongenialer Partner, Patissier Stefan Leitner, wurde erst jüngst vom Gault&Millau zum Patissier des Jahres gekürt. Nicht zu vergessen wären da natürlich Maitre Thomas Brandt, der seit zwanzig Jahren einen beständigen, höchst aufmerksamen und hervorragenden Job leistet, sowie Sommelier Jürgen Fendt, dem ohne weiteres das Prädikat „wandelndes Weinlexikon“ angehängt werden darf. Vinophilen offenbart sich bei der Lektüre der Weinkarte eine wahre Schatzkammer, und auch Freunde von Digestifs können zu mehr als fairen Preisen nach beendetem Mahl mittels einer exorbitanten und qualitativ herausragenden Auswahl den Gang ins Paradies antreten, z.B. mit dem (fast) gleichnamigen Cognac aus dem Hause Hennessy.

Man betrete also den üppig geschmückten Gastraum, dessen Mittelpunkt eine Amphore mit ausladendem Blumenschmuck ist. Auf dem Tisch nur feinstes Geschirr, edelste Stervietten und zum Hauptgang Messer mit Perlmuttgriff. Erfreulicherweise hat man hier auch noch die Wahl zwischen mehreren Gerichten à la carte und zwei Menüfolgen zu vier bzw. sieben Gängen. Da man ja hier nicht anreist, um nach zwei Stunden schon wieder abzureisen, fällt die Wahl schnell auf das siebengängige Menü …

Den filigranen Einstieg in ein märchenhaftes Menü bildete wie immer die silberne Étagère, die auch heuer wieder mit hochfeinen kleinen Aufmerksamkeiten bestückt war. Ein Maronentörtchen, getoppt mit einem Schuss Portweingelee, eine mit Orange verfeinerte Gänserillette oder eine mit Sesam ummantelte Sushikugel waren erste aromatische Anzeichen der außergewöhnlichen Kunst des Chefs. Die kalte Vorspeise hinterließ besonderen Eindruck: eine kross frittierte Haferwurzel, flankiert von Sanddorn und Schwarzwurzelgemüse in allen nur denkbaren Texturen und Konsistenzen, vermittelte ein tiefes Glücksgefühl. Die warme Vorspeise mit provencalischem Fisch und Sanddorn wusste ebenfalls zu überzeugen, konnte aber nicht ganz mit der kalten Vorspeise mithalten.

Die erste Etappe auf dem Weg ins kulinarische Schlaraffenland war Variation von der Gänseleber mit Williamsbirne und winterlichem Gewürztee. Auch wenn die Komposition handwerklich perfekt und geschmacklich intensiv war, so blieb sie mir im Vergleich zu anderen bisherigen Kreationen mit Gänseleber in diesem Haus als vergleichsweise blass in Erinnerung.

Geflämmte Jakobsmuscheln mit Petersilienwurzelgemüse und Zitronensauce punktete dagegen nach dem kleinen Hänger zu Beginn hingegen wieder mit feinst austarierten Aromen, einer geschickten Balance aller Komponenten und einer Leichtigkeit, die dieses Gericht zu einem echten Vergnügen werden ließen.

Der Trüffelsaison huldigte man mit Risoni-Nudeln mit confiertem Kabeljau. Der am Tisch darüber geriebene weiße Trüffel aus Alba wurde keineswegs sparsam eingesetzt und ging eine nahezu vollendete Harmonie mit dem butterzarten Fisch und den Nudeln ein. Ganz großes Kino!

Der Höhepunkt sollte allerdings erst noch folgen: das marinierte Milchkalbsfilet und geschmortes Ragout mit Kartoffelschaum und braisiertem Wurzelgemüse war der unumstrittene Höhepunkt der Menüfolge. Hier zeigte sich wieder einmal die ganz große Stärke des Chefs: einem einzigen Grundprodukt werden so viele Facetten wie nur irgend denkbar abgewonnen. Da wird schon einmal ein und dasselbe Produkt in drei Schalen oder Tellern präsentiert – kaum zu glauben, wie ein einziges Produkt eine solche Vielfalt ermöglichen kann, wenn man nur einen Meister seines Fachs heranlässt! Die Komposition, die insgesamt auf erdige, nussige und salzige Aromen setzte, wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben.

Rehrücken und Schulterkompott aus eigener Jagd wurde auf spannende Weise in eine tiefe und intensive Kakaosauce eingebettet. Die Nussbrotcrustini und Rosenkohlvarianten nahmen dem Gericht die Schwere. Allerdings war die säuerliche Rosenkohlsauce beim Kompott zu penetrant eingesetzt und ließ dem Kompott keine Chance, seinen Geschmack zu entfalten.

In diesem Schlaraffenland setzt man sich auch nach wie vor mit aller Vehemenz für die Rettung bedrohter Arten ein: während sich anderswo die Käseauswahl als eher lieblos, alibihaft oder gar nicht existent präsentiert, wird hier immer noch der Christoffle-Wagen im Wert eines kleinen PKWs mit dem Besten bestückt, was die weltweite Fromagerie so zu bieten hat. Die phänomenale Auswahl lässt keinerlei Wünsche offen – außer denjenigen, dass man wünschte, mehr Käse essen zu können.

Das winterliche Dessert bestand aus Kokosparfait mit Ananas, Butterstreusel, Rumtopf und Zimtcrème. Das apart zubereitete Dessert punktete mit seiner Optik genauso wie mit dem Geschmack. Einen sehr nachhaltigen Eindruck hinterließ die Kreation jedoch nicht.

Wenn sich zum guten Schluss die Reise ins Schlaraffenland ihrem Ende nähert, dann gibt es ja noch die geeisten Pralinen und einen mit einer barocken Opulenz bestückten Wagen an süßen Verführungen aller Art. Speziell die Torte aus Mousse au chocolat spielt in einer eigenen Liga.

Insgesamt ist die Küche im Bareiss leichter zugänglich als die des noch berühmteren Kollegen Harald Wohlfahrt in seiner „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn-Tonbach. Außerdem kann man selbst an Wochenenden mit weniger Vorlaufzeit hier einen Tisch bekommen.

Das Bareiss in Baiersbronn darf sich vollkommen zurecht mit den drei Macarons schmücken und kommt gemäß den Vorstellungen vieler Gourmets einem traumhaften Mahl ausgesprochen nahe. Das fast schon beschämend gute Preis-Leistungs-Verhältnis ist auf diesem Niveau beispiellos, wenn man bedenkt, wie viele Aufmerksamkeiten man schon inklusive bekommt und wie wenig man für zahlungspflichtige Extras auf den Tisch legen muss. Eine weitere noble Geste: nicht nur der Chef zeigt sich am Ende und ist auch durchaus empfänglicher für konstruktive Kritik als viele andere seiner Kollegen, sondern auch Geschäftsführer Hermann Bareiss begrüßt, sofern er im Hause ist, alle Gäste persönlich und per Handschlag. Davon könnten sich viele andere Hoteliers gerne eine Scheibe abschneiden!

Auch wenn mein allererster Besuch in diesem Lokal mich damals noch mehr faszinierte, so bleibt doch festzuhalten, dass ein Jahr ohne Besuch in diesem Lokal ein verlorenes Jahr bleibt.

 

Liste aller besuchten Restaurants