Ikarus**, Salzburg (UPDATE)

„Langsam, Schritt für Schritt die Treppe weiter hinauf! Wahrlich, die Welt bietet nicht solch ein Übermaß von Genüssen, dass man sie in Sprüngen überfliegen dürfte. Und ist nicht jede Stufe, die man augenblicklich aufwärtssteigend betritt, ein Glück? Und ist nicht der Treppenabsatz, auf dem man einen Moment stillhält, und sich nochmals fasst, eine Seligkeit?“ (Wilhelm Raabe)

UPDATE (Dezember 2023)

Auch zwanzig Jahre nach seiner Feuertaufe bleibt das Ikarus im Hangar-7 des Salzburger Flughafens ein weltweit einmaliges Wagnis: wo sonst gibt es das weltweit zu bestaunen, dass jeden Monat ein anderer, überaus renommierter Koch ein Gastmahl präsentieren darf und diese Chefs auch noch aus allen Winkeln der Welt stammen? Was 2003 einst als belächeltes und zum Scheitern verurteiltes Projekt des Patrons Eckart Witzigmann und des Geldgebers Dietrich Mateschitz begann, hat sich inzwischen zu einer Erfolgsgeschichte von ungeahntem Ausmaß entwickelt. Auch nach dem Tod der an der Spitze des Limonadenherstellers stehenden Galionsfigur, die all dies erst ermöglichte, stehen die Köche reihenweise Schlange in der vagen Hoffnung, irgendwann mal eine Einladung für einen Gastauftritt hier zu ergattern. Österreichs bekannteste Marke ist in der öffentlichen Wahrnehmung fraglos umstritten, aber wenn dieser Konzern eines verkörpert, dann dies: Nägel mit Köpfen zu machen. Mit der Hilfe von Servus TV wird der jeweilige Koch medienwirksam präsentiert und die Neugier der Gäste befeuert, doch wäre all dies ohne das engagierte Team mit dem gebürtigen Elsässer Martin Klein an der Spitze nicht möglich. Jeden Monat besucht er einen Gastkoch einiges im Voraus, um die anstehenden Menüs zu besprechen, und muss dann mit seiner Equipe binnen kürzester Zeit am Ersten des jeweiligen Monats die Vorstellungen des anwesenden Gastkochs umsetzen. Die jüngsten Auszeichnungen belegen, mit wie viel Bravour und wie souverän die Küchenbrigade diese Herausforderungen inzwischen meistert: der österreichische Gault&Millau und der Falstaff zücken bereits die Höchstnote, während der Guide Michelin zumindest vorerst noch auf zwei Sternen beharrt. Mit der Rückkehr des roten Führers in die gesamte Alpenrepublik im Jahr 2025 kommt jedoch vielleicht noch etwas Bewegung in die ganze Geschichte …

Der Gastkoch im letzten Monat des Jahres 2023 ist Kevin Fehling aus dem dreifach besternten The Table in Hamburg, wo ohne den Vorlauf mehrerer Monate meist kein Platz zu bekommen ist. Selbstverständlich habe ich das moderne Lokal in der Hafencity auch schon zweimal besucht, aber zum einen ist der Weg nach Salzburg kürzer und zum zweiten war ich ja tags zuvor ohnehin im Chiemgau kulinarisch unterwegs. Da das Wetter an diesem ersten Dezemberwochenende gehörige Kapriolen schlug, nährte dies meine vage Hoffnung, entweder Kevin Fehling oder Eckart Witzigmann mögen dort im Schneechaos gestrandet sein. Leider traf dies auf weder den einen noch den anderen zu, doch dafür blieben zum Leidwesen des Lokals einige Tische von Gästen, die es offenbar nicht rechtzeitig nach Salzburg geschafft hatten, verwaist.

Kevin Fehling kocht seit 2016 erfolgreich in der Hamburger Hafencity auf, nachdem seine vorherige Wirkungsstätte La Belle Epoque in Travemünde dem nunmehr reduzierten Engagement der Columbia-Hotelgruppe zum Opfer fiel und geschlossen wurde. Seit dem Umzug hat sich bei dem Chef auch ein stilistischer Wandel vollzogen, denn im Gegensatz zu den Zeiten an der Ostsee wirkt seine Ästhetik nun deutlich reduzierter und stärker an den Prinzipien der Nouvelle Cuisine orientiert. Diese hatte ja Eckart Witzigmann bekanntlich in den 70er-Jahren in Deutschland salonfähig gemacht, nachdem er ihre Prinzipien höchstselbst bei Paul Bocuse und vor allem Paul Haeberlin kennenlernen durfte. Erwartungsgemäß sollte diese Herangehensweise auch Martin Klein bestens vertraut sein, so dass einem großen nachmittäglichen Mahl nichts im Wege stehen dürfte.

Bei einer Stippvisite in Hamburg zwei Monate nach dem Menü in Salzburg fiel mir (ohne im The Table einzukehren) auf, dass das aktuelle Menü im Wesentlichen eine leicht modifizierte und verlängerte Variante der Darbietung in der Mozartstadt darstellte. Die verknappte Auslegung sollte sich dennoch als vollkommen ausreichend erweisen, um sich frische Impressionen zu verschaffen oder demjenigen erste Eindrücke zu vermitteln, der als Gast noch nie zuvor im The Table eingekehrt war. Dementsprechend wird wie in Hamburg auf Brot ganz verzichtet und der Fokus des Essers auf die komprimierte Ästhetik gelenkt. Das dank des Einsatzes von viel Glas licht wirkende Ambiente mit den großzügigen blanken Tischen korrespondiert in diesem Fall besonders gut mit der Klarheit auf den Tellern, während die geräumigen Abstände zwischen den Tischen indes die ursprüngliche Idee des The Table konterkarieren, welche darin besteht, alle Gäste an einem einzigen geschwungenen Tisch zu platzieren und diese so leichter ins Gespräch miteinander kommen zu lassen. Auch als Drei-Sterne-Koch kann man eben nicht alles haben …

Die Elbmetropole vermarktet sich ganz gerne als Tor zur Welt, was in den Petitessen zu Beginn eine Entsprechung findet: die vier Apéros führen Einflüsse aus aller Welt zusammen und verdeutlichen Kevin Fehlings profundes Wissen um diverse Produkte und Techniken. So interpretiert er den klassischen Hummer Thermidor etwa als launige, mit einer Cognachollandaise gefüllten Tartelette von Hummer, Erbsenpurée und Forellenkaviar, während der mexikanische Taco stilecht mit Tamarillo und Salsa, aber auch ungewöhnlich mit einer feinen Comténote veredelt wird. Erwartungshaltungen des Gastes (im positiven Sinne) zu enttäuschen oder in die Irre zu führen gehört seit jeher zu den bevorzugten Stilmitteln des Chefs – kein Wunder, dass die weitere Menüfolge darauf immer wieder Hinweise geben wird. Fehlings klassisches Ei Carbonara, das er virtuos mit Risoni, Spinat, Parmesanschaum und Alba-Trüffeln veredelt, entpuppt sich (auch angesichts des durchaus augenzwinkernden Hühnerbeins aus Keramik, auf dem es steht) wie immer als echter Höhepunkt, doch die letzte Inspiration mit dem Namen „Die See“ toppt diesen Eindruck sogar noch – entstanden ist das Gericht nach einem Spaziergang des Chefs mit seinem Sohn an der dänischen Nordseeküste. Getrieben von der Frage, wie man möglichst viele verschiedene Elemente des „Strandguts“ in ein Schälchen drängen kann, machte sich der Chef ans Werk und ersann ein Apéro, das zu seinen ikonischsten und besten Einfällen jemals gehören dürfte: Venusmuscheln paart das Team mit ausgelösten und frittierten Nordseekrabben, Seeigel, Thunfischtatar, gepickeltem Rettich und Vongole-Espuma. Das mag akustisch wie ein am Rande der Überfrachtung wandelnder Beitrag klingen, doch in der Realität finden all diese Komponenten zu einem überaus harmonischen und transparenten, wenn auch komplexen Einklang von ungeheurer aromatischer Kraft. Die minutiöse Auseinandersetzung der Küche mit jedem Detail merkt man diesem Schälchen auf absolut beeindruckende Weise an – ein ganz großer Wurf, dessen Virtuosität praktisch das Level eines Christian Bau erreicht! Flüssig begleitet wird dieser Reigen übrigens mit einer winterlichen Getränk aus dem Sortiment des Hauses, bestehend aus Limonade an Cassis, Heidelbeere, Zimt und Birne.

Dank der Vielseitigkeit dieser Ouverture sowie der beachtlichen Bandbreite an Konsistenzen und Intensitäten bestätigt die Küche schon jetzt den kosmopolitischen Ruf, der ihr zurecht vorauseilt. Qualitativ knüpft der erste Gang des Menüs (€ 255) jedenfalls genau dort an, wo die kulinarische Visitenkarte zum Auftakt zuvor aufgehört hatte: Carpaccio (als Sashimi) von der Jakobsmuschel in bestechender Qualität paart die Küche auf dem Hauptteller mit Texturen von Staudensellerie und der spritzigen Säure von Granny-Smith-Apfel in Form von Tropfen einer Essenz. A part reicht man dazu pochierte Gillardeau-Auster auf gelierter Essenz von Jakobsmuschel (die auch pur in einem Gläschen zum Trinken gereicht wird) mit Dilltropfen. Als wäre der betriebene Aufwand nicht schon hoch genug, wird die Auster außerdem in Yuzu mariniert und auf einem Tatar der Muschel gebettet! Der dezenten Begleitung kommt die Aufgabe zu, die beiden Hauptprodukte einerseits voller Charakter zu begleiten und sie andererseits in glasklarer Schärfe zu präsentieren, um ihre herausragende Qualität zu betonen – eine entsprechend maritime Atmosphäre evoziert auch das außergewöhnliche Geschirr mit dem blauen Aufdruck. Alles in allem ein ganz vorzüglicher Auftakt!

Als nächstes steht ein langjähriger Klassiker von Kevin Fehling auf dem Programm, der im Laufe der Jahre bestenfalls leicht verändert, ja optimiert wurde. Hauptsächlich thematisiert dieser Gang die Liaison franko-japanischer Elemente in Form von ungestopfter Gänseleber einerseits und geräuchertem Unagi (Aal nach japanischer Art) andererseits. Der aus fünf streng abgegrenzten Teilen zusammengesetzte Teller setzt sich zusammen (oben beginnend im Uhrzeigersinn) aus Terrine von Foie gras in einer Ummantelung von Nori-Algenpulver mit einem Shisoblatt obenauf, dann eine mit Estragon abgeschmeckte Nocke von Wasabi mit Granny Smith und danach Unagi mit Reiscrème und -cracker. Weiter geht es mit einer Gänselebercrème unter einem Shisogel, während Aal und Gänselebercrème im letzten Baustein schließlich ganz zueinander finden. Die immer neue, heitere Zusammensetzung derselben Komponenten in anderen Kombinationen oder Texturen lässt einen fast vergessen, wie reduziert diese Komposition zum einen wirkt und wie viel Arbeit zum anderen doch dahinter steckt. Dieser Gang, der kaum typischer für Fehlings Stil seit dem Umzug nach Hamburg sein könnte, animiert zum genauen Verkosten, um all die winzigen und doch wichtigen Details erfassen zu können. Bei aller Präzision muss ich allerdings der Terrine der Gänseleber eine suboptimale Konsistenz bescheinigen, da sie leicht klumpig geraten ist und der Brigade sicherlich schon einmal besser gelungen sein sollte.

Reduktion ist auch das oberste Gebot beim dritten Gang, bestehend aus zwei Teilen: lauwarmer und mustergültiger gegarter Kabeljau, der wunderbar abblättert, bildet das Fundament für eine Nocke AKI-Kaviar. Da AKI für „Altonaer Kaviar Import“ steht, ist es für den Chef ein Leichtes, persönlich beim Produzenten vorbeizuschauen und die optimale Sorte für dieses Gericht auszuwählen. Platziert wird die Tranche schließlich auf Kressepurée, Champagnerschaum und Rapsöl, doch eine zweite, wesentlich kraftvollere Variante aus Ceviche mit Senfeis und rote Bete gesellt sich noch hinzu. Die weltoffenen Eindrücke, die Kevin Fehling auf seinen zahlreichen Kreuzfahrten als Koch auf der MS Europa sammeln konnte, sind allenthalben spürbar und schlüssig ins Menü eingebettet. Durch den starken Kontrast einerseits und die Klarheit andererseits wird das Produkt in seiner Vielfalt letztlich voll und ganz in den Mittelpunkt gerückt, so dass unterm Strich durchaus eine zeitgemäße Variante der Nouvelle Cuisine steht.

Es geht danach weiter mit Crépinette von der Wachtel in einem Mangoldblatt und in Gänseschmalz konfierter Keule mit Garnitur von Pistazie – begleitet werden die beiden Protagonisten von einem Ratatouille-Kuchen und Gremolata. Eine Paprikacrème mit Kaper sowie ein Colatura-Gel aus Sardine am Rande des Tellers steuern typisch mediterrane und variable Würze bei, doch der alles verbindende Estragon-Basilikum-Sud dominiert ganz klar. Das kleinteilige Arrangement erweist sich als vielseitig, aber trotz aller Qualität fehlt mir bei diesem Gang so etwas wie ein roter Faden, weil die Einzelteile kaum in Interaktion treten. Folgte der Unagi-Gang noch einer Dramaturgie, deren Höhepunkt die Zusammenführung von Aal und Gänseleber war, so wirken die Komponenten diesmal einigermaßen isoliert auf mich.

Einer ganz ähnlichen Ästhetik, die meiner Auffassung nach während dieser Menüfolge inzwischen über Gebühr strapaziert wird, folgt auch Rinderfilet „Rossini“, das natürlich mit gebratener Entenleber belegt ist und stilecht mit Trüffeljus, Poverade, Spinatcrème, Gänselebercrème und Sauce Béarnaise begleitet wird. Filet und Trüffeljus sind von ausgezeichneter, aber eben doch nicht von Referenzqualität, was von einem Dreisterner durchaus erwartet werden kann. So überwiegen letztlich ähnliche Eindrücke wie beim vorigen Gang: die extreme Reduktion und Dekonstruktion in die einzelnen Bestandteile wirkt auf mich bei ständiger Anwendung seltsam kühl und irgendwie distanziert. Kein einzelnes Mosaiksteinchen wäre qualitativ irgendwie zu beanstanden, doch in seiner Gesamtheit überwiegt in mir das Urteil eines fast schon asketischen Gangs, der in seine Einzelteile zerfällt. Wohltuende Abhilfe schafft freilich das separate Schälchen mit Alba-Trüffeln auf klassischer Kartoffelmousseline – eine Kompaktheit, die ich mir zumindest von so manch anderem Teller gewünscht hätte.

Ein gleich dreiteiliges Dessert gibt es zum Abschluss zu bestaunen: bereits die Amarena-Kirsche als Granité und Crumble in einem Haselnussespuma entpuppt sich als wunderbar austarierter Geniestreich von reizender Säure und eleganter Süße. Die herbe Luftschokolade mit Yuzugel und Haselnuss knüpft qualitativ nahtlos an das erste Schälchen an, doch mit dem Hauptteller namens Guanaja Schokolade „Mon Chéri“ zieht die Pâtisserie alle Register ihres Könnens: auf einer herben und gehaltvollen Schoko-Kirsch-Ganache platziert die süße Abteilung kaum erkennbar unter der Wabe aus Hippenteig eine geeiste Schokohülle, die eine wunderbar abgeschmeckte Bananencrème ummantelt. Die aristokratische Krönung dieses Türmchens mit Kirschsorbet und frittierter Pastinake rundet ein sensationelles Dessert ab, das ganz ohne modische grüne Elemente auskommt und eine vorzügliche Balance der Komponenten zueinander schafft. Im Hinblick auf die dekonstruierten Vorgänger wirkt dieser opulente Ausklang angesichts der stimmigen Verquickung zahlreicher Elemente ungemein wohltuend, zumal eine allzu plumpe Süße durchweg vermieden wurde und der nicht gerade seltene Dialog von Kirsche mit Schokolade geradezu atemberaubend gelungen ist. Hier konnte Kevin Fehling sein Gespür für die Anhebung klassischer Kombinationen auf ein neues Level eindrucksvoll unter Beweis stellen!

Ein Favorit in der Puzzle Bar, die zu Kevin Fehlings Imperium gehört, ist die Kombination von Wodka und Champagner sowie Passionsfrucht, Ananas, Mango (als Sorbet von drei Früchten) unter Yuzuschaum in Form von „Yuzu Porn Star“, präsentiert im Martiniglas unter einer falschen Vanillestange aus Hippenteig. Snickers „Jamaika“ mit Salzkaramell, einem Schuss Rum und Haselnuss ist ähnlich süß wie das Original, weshalb der letzte Beitrag mir am besten zusagt: der Bienenstich als Macaron mit Krokant, Zitronenzeste und Vanillecrème erweist sich als umwerfend guter, ja geradezu unvergesslicher Ausklang, der ein etwas schwankendes Menü überaus versöhnlich abrundet.

Vielerorts ist in der Hochküche derzeit ein Trend zu mehr Reduktion, Klarheit und Einfachheit zu beobachten, dem sich offenbar auch Kevin Fehling angeschlossen hat. Fraglos kann diese Herangehensweise überzeugende Teller wie den Gang mit Aal und Gänseleber generieren, doch mit der Zeit schien sich der Effekt auch ein wenig abzunutzen – erst recht dann, wenn die präsentierten Produkte in reiner Schlichtheit auftreten und dann nicht allerhöchste Ansprüche befriedigen können. Es ist ja nichts Verwerfliches dabei, eher mit Subtilität als durch Kraft in den Gerichten beglücken zu wollen, zumal die plakative und teils recht farbenfrohe Inszenierung viele Gäste ansprechen dürfte. Auch der zeitgemäß interpretierte Rückgriff auf die Nouvelle Cuisine erscheint durchaus verständlich, zumal der Patron des Hauses vor fünfzig Jahren ja selbst so etwas wie der Geburtshelfer dieser Stilistik in Deutschland war. Dennoch fehlte mir ein gewisses Maß an Faszination während dieser Parade, da die Teller mit der Zeit recht vorhersehbar gestrickt waren und fast schon akademisch seziert wirkten. Denjenigen Gästen, die Kevin Fehling noch zu Travemünder Zeiten erleben durften, geht es möglicherweise ähnlich wie mir, wenn ich etwas Wehmut äußere. Im Hinblick auf so manches ausgelassene und unfassbar kreative Gericht gebe ich unumwunden zu, dass ich dieser Zeit durchaus etwas nachtrauere. Ich entsinne mich beispielsweise noch eines Piña-Colada-Desserts, das in einem Streifen auf einem steilen Tellerrand drapiert war und regelrecht in die Senke hineinzufließen schien. Ebenfalls in bester Erinnerung habe ich noch ein farbenfroh inszeniertes Carpaccio von Kaisergranat, das von Fehlings heutiger Stilistik doch ziemlich weit entfernt war.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: es gab Gerichte zuhauf, die mich wirklich überzeugen konnten, zumal Martin Klein samt Equipe seinem Ruf als hochprofessioneller und akribischer Arbeiter mal wieder vollauf gerecht geworden ist. Einzeln betrachtet hätten die Kreationen wohl auch noch besser abgeschnitten, aber eine zum Hauptgericht hin eher abfallende Dramaturgie, die hauptsächlich der ständigen Anwendung einer auf Dauer etwas ermüdenden Dekonstruktion geschuldet war, führte auch zu einigen spannungsärmeren Phasen. Diese überbrückte ich dank durchaus animierender Konversationen mit der hochkompetenten und tadellos agierenden Servicebrigade zwar mühelos, aber den vorherrschenden Eindruck konnten auch sie nicht restlos entkräften. Mich verwundert, dass Kevin Fehling sein Talent für komplexere Kreationen wie dem ikonischen „Die See“ nicht stärker zur Entfaltung kommen lässt, weil sein Schaffen auf diesem Gebiet meines Erachtens noch schlüssiger wirken würde. Viel falsch machen kann der Mann andererseits schwerlich, wenn er drei Michelin-Sterne sein Eigen nennt, aber er selbst spricht ja nur zu gerne von einem Weg, auf dem man nicht stehen bleibt und sich immer weiterentwickelt. Sein stets ausgebuchtes Restaurant in der Hafencity spricht ja ebenfalls eine deutliche Sprache bezüglich seines Erfolges, und doch sehe ich Fehlings größte Stärken nicht in der Stilistik, die er derzeit favorisiert.

So oder so hat sich der Ausflug zum auch architektonisch stets inspirierenden Hangar natürlich mal wieder gelohnt, zumal beim nächsten Besuch (wann auch immer) dann wieder ein ganz anderer Gastkoch sein Schaffen präsentiert. Vielleicht sollte man das Lokal auch ganz bewusst mal im August besuchen, weil sich in diesem Monat die hauseigene Truppe selbst präsentiert. Dann wäre ja auch noch die Festspielzeit …

Mein Gesamturteil: 19 von 20 Punkten

 

Ikarus
Wilhelm-Spazier-Straße 7a
5020 Salzburg (Österreich)
Tel.: 0043/662/21970
www.hangar-7.com

Gault&Millau Österreich 2023: 19 Punkte
Falstaff 2023: 100 Punkte
A la carte (Österreich) 2023: 97 Punkte

6-gängiges Menü „Tor zur Welt“: € 255

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„In England gibt es drei Saucen und dreihundertsechzig Religionen, in Frankreich sind es drei Religionen und dreihundertsechzig Saucen.“ (Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord)

UPDATE (November 2022)

Der Hangar 7 am Salzburger Flughafen ist eines der Prestigeobjekte des Red-Bull-Konzerns und zählt gleichzeitig zu den bekanntesten Bauwerken Österreichs. Im Erdgeschoss des gläsernen Baus lassen diverse Rennwägen, Flugzeuge und sonstige Meisterleistungen bei kostenlosem Eintritt die Herzen von Technikfans höher schlagen, während die kulinarisch interessierten Gäste in den oberen Stockwerken nicht nur eine Bar mit Terrasse nach innen, sondern auch das Gourmetrestaurant Ikarus finden, welches seit diesem Jahr mit der Höchstnote von fünf Hauben in der österreichischen Ausgabe des Gault&Millau bewertet wird. Weltweit einmalig geblieben ist das kühne Konzept, das 2003 aus der Taufe gehoben wurde und bis heute Bestand hat. Der Patron des Hauses – kein Geringerer als der legendäre Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann – sorgt zusammen mit seinem Chefkoch, dem gebürtigen Elsässer Martin Klein, dafür, dass sich hier jeden Monat ein neuer namhafter Gastkoch (größtenteils von Weltruf) einfindet und sich die Gäste regelrecht die Klinke in die Hand geben, weil man nicht um den gesamten Erdball von Südamerika bis Japan reisen muss, um internationale Topstars der Szene (oder zumindest deren Menüs) erleben zu können. Am ersten Tag des Monats ist der jeweilige Gastkoch persönlich anwesend und präsentiert sein Menü vor Ort.

Bis dahin ist es freilich ein weiter Weg: ungefähr drei Monate, bevor es soweit ist, reist Martin Klein zum Restaurant des Chefkochs, um dessen Stilistik noch besser kennenzulernen und zu besprechen, wie die Menüfolge einmal aussehen soll. Dabei geht es zum einen darum, sich das entsprechende Know-how rund um unbekannte Techniken oder Produkte anzueignen, aber zum anderen auch darum, was vor Ort in der für den Gastkoch dann fremden Küche möglich sein wird. Der hauseigene Sender Servus TV berichtet einmal pro Monat über das aktuelle Menü und den entsprechenden Gastkoch – ein Luxus, der deutsche Spitzenköche vor Neid erblassen lässt!

Wir haben auch für den ersten Tag des Monats gebucht, aber hauptsächlich in der berechtigten Hoffnung, der „Mutter aller Köche“ – Eckart Witzigmann höchstselbst – einmal zu begegnen, da er einer guten Tradition folgend den jeweiligen Gastkoch schon nachmittags persönlich begrüßt. Das ist auch diesmal der Fall, doch da er noch einen anderen Termin an diesem Tag hat, ist er beim Eintreffen der Gäste am Abend leider schon wieder entwischt. Es soll einfach nicht sein …

Der Gastkoch des Monats November ist jedenfalls Jon Bowring vom Restaurant Dinner by Heston Blumenthal in London. Namensgeber dieser Dépendance ist Heston Blumenthal, der Chefkoch des dreifach besternten Restaurants The Fat Duck in Bray. Als Vertreter der Avantgarde ist seine Bewertung international umstritten – so äußerte sich beispielsweise der Kritiker Wolfram Siebeck nach einem Besuch dieses Restaurants seinerzeit verächtlich mit den Worten: „Wenn das ein Koch ist, dann bin ich eine Bratwurst.“ Doch wie auch immer man zu diesem Chef stehen mag: das Dinner liefert weitaus weniger kulinarischen Sprengstoff als The Fat Duck und verfolgt auch ein gänzlich anderes Konzept, das indes nicht uninteressant ist. Mit „dinner“ wurde im Englischen früher nämlich nicht zwingend auf den Abend als eine bestimmte Uhrzeit des Tages für die Nahrungsaufnahme angespielt, sondern eher auf die Dimension des Essens: es stellte die bedeutendste Mahlzeit des Tages dar, musste aber keineswegs zwingend abends stattfinden. Jedenfalls recherchiert Chef Jon Bowring in schöner Regelmäßigkeit Rezepte aus englischen Kochbüchern, die bis ins späte Mittelalter zurückreichen, um sie dann unter Konsultation von Historikern mit den küchentechnischen Mitteln der heutigen Zeit in die Gegenwart zu übertragen. Wir sind sehr gespannt, da wir uns im Vorfeld nicht viel darunter vorstellen können, was uns so in den nächsten Stunden erwartet. Eines ist uns allerdings klar, nämlich dass sich die Esskultur der Briten schwerlich derart primitiv gestaltet wie einst vom französischen Diplomaten Talleyrand im Eingangszitat manifestiert …

… wovon wir uns gleich persönlich überzeugen, denn zu einem RB Energy Drink von Feige und Apfel serviert man zunächst drei Apéros: knusprige Hühnerhaut mit Impérial-Kaviar, Austernblatt und Lauchcrème (mit starker Akzentuierung der Meeresaromen), dann ein kunstvolles und vollmundiges Kartoffelbällchen mit Camembert und Trüffel sowie zuletzt ein Tartelette mit Bresse-Huhn, Mandel und Marille, welches mit ausgeprägt indischer Aromatik punktet.

Eine harmlos anmutende, aber in Wirklichkeit sehr komplexe Beigabe ist die zum gerösteten Mandelbrot gereichte Hühnerlebercrème, die in einer gelierten Mandarine untergebracht ist und abseits der Konventionen mit herzhaftem und edlem Geschmack überzeugt. Die Butterselektion zum Baguette stammt wie schon beim letzten Mal von Jean-Yves Bordier aus der Bretagne.

Den Auftakt ins fixe, achtgängige Menü zu € 225 macht in Bergamotte, Limette und Koriander gebeizter und in Heu geräucherter Label Rouge Lachs. Abgeschmeckt mit etwas großartigem Gentleman’s Relish (einer für das 18. Jahrhundert besonders typischen britischen Anchovipaste) sowie Rettich entsteht aus dem proteinreichen und vorzüglichen Fisch ein leichtes und transparentes Gericht, das dank der säuerlichen Feinjustierung mit Spritzern von Amalfi-Zitrone und dem salzigen Kaviar eine vorzügliche und transparente, ja perfekte Abrundung erfährt. Absolut großartig! Das Gericht geht zurück auf Charles Carters The Complete Practical Cook aus dem Jahre 1730 und wird perfekt auf die Gegenwart übertragen.

Inspiriert von John Notts The Cook’s and Confectioner’s Dictionary aus dem Jahre 1723 serviert man als nächstes „Salamagundy“ – nach allgemeiner Auffassung in der damaligen Zeit ein kaltes Gericht rund um Fisch oder Fleisch mit Salaten und weiteren Zutaten. In dieser Variante bildet lauwarm confierte Hühnerkeule den Mittelpunkt des Gerichts, die höchst launig umspielt wird: neben einem gut versteckten Walnusscrumble kommt nicht nur Schwarzwurzel sowohl in glasierter als auch in eingelegter Form auf den Teller, sondern auch herzhaftes Ochsenmark. Radicchio und Bittersalate setzen knackig-herbe Akzente, während Kren wohldosierte Würze zu einem Gang beisteuert, der delikat ausbalanciert ist und einen Klassiker der britischen Küche auf originelle Weise interpretiert.

Chronologisch gesehen wird das Menü mit einem großen Sprung rückwärts fortgesetzt, denn die Grundidee der Jakobsmuschel „Frumenty“ entstammt dem Buch The Forme of Curry by the Master Cooks of King Richard II. aus dem Jahre 1390 – ein Werk, das es Jan Bowring offenbar besonders angetan hat, denn es wird noch für zwei weitere Gänge die Vorlage liefern. Jedenfalls thront das Prachtexemplar von gebratener Jakobsmuschel auf einer ausgesprochen herben Begleitung von geräuchertem Muschelsud, Salicorn-Algen und geröstetem Dinkel. Die vergleichsweise milde Liebstöckel-Crème federt das markige Gericht mit seinen ungewöhnlich grellen aromatischen Kontrasten etwas ab, doch insgesamt bleibt dies ein alles andere als gefälliger Gang, der dem Gast aber auch vor Augen führt, dass zur damaligen Zeit etliche heutzutage selbstverständliche Zutaten wie Zucker damals die absolute Ausnahme darstellten.

Derselben Quelle ist auch das Gericht im nächsten Gang entnommen: „Rice and Flesh“ klingt zunächst recht nichtssagend, doch gerade die kontrastierende Schlichtheit im Vergleich zu den bisherigen Beiträgen sollte sich als wohltuend erweisen: zur geschmorten Ochsenbacke gesellt sich ein Safranrisotto „al dente“ von sehr tiefem und eindringlichem Geschmack. Die Verfeinerung des Gangs mit etwas Mascarpone und Essig verleiht den schön mürben Bäckchen aristokratischen Glanz in einer Kreation, die zwar einfach gestrickt ist, aber dank tadellosen Handwerks dennoch exzellent gerät. Die große Variabilität der Menüfolge, die durch die ihr zugrundeliegende Idee trotz allem kohärent wirkt, erweist sich als der vielleicht größte Trumpf dieser Küche, selbst wenn ein überragender „Knaller“ bislang fehlte (obwohl der Lachs zu Beginn schon ziemlich nah dran war).

Kurz gebratener und wunderbar glasiger Steinbutt mit grüner Sauce geht auf ein Rezept von Elias Ashmole aus dem Jahre 1440 zurück (eine genauere Quelle wurde nicht genannt) und besticht ebenfalls mit einer fast schon als puristisch zu bezeichnenden Inszenierung, welche die makellose Qualität des Fischs ins beste Licht rückt. Die markigen Bitterstoffe des geschmorten Chicorées, der Rosenkohlblätter und des gepickelten Rettichs interagieren wunderbar mit dem heimlichen Star des Tellers, der höchst arbeitsintensiven grünen Sauce (die nichts mit dem kräuterlastigen hessischen Klassiker zu tun hat) aus Eukalpytus, Pfeffer sowie einem Purée aus Petersilie und Liebstöckel. Die präzise Detailarbeit, die in dem eleganten Changieren der unwahrscheinlich vielschichtigen Sauce zwischen säuerlichen und süßlichen Spitzen kulminiert, zahlt sich auch hier voll aus und wertet ein simpel anmutendes Gericht ganz erheblich und souverän auf.

Bei der Anjou-Taube stand Charlotte Masons The Ladies‘ Assistant and Complete System of Cookery von 1780 Pate: das an der Karkasse gebratene Geflügel wird mit geschmorter Zwiebel und zweierlei Artischocke angerichtet, doch in noch weitaus stärkerem Maße verleiht der mit Ale verfeinerte Malzsud dem Gang sein Gepräge. Dieser überaus erdige und ziemlich herb umgesetzte Gang scheint eine Brücke zur Aromenwelt des Gangs mit der Jakobsmuschel schlagen zu wollen, denn auch dieses Hauptgericht erweist sich als ausgesprochen fordernd und verzichtet auf allzu Gefälliges. Randnotiz: da eine Sehne fast die komplette Tranche der Taube auf dem Teller meiner Begleitung durchzieht, werden wir nach dem Hinweis an den Service darauf unerwartet mit einem zweiten Hauptgericht nach gleicher Bauart, aber diesmal mit einem Rinderfilet anstelle der Taube, entschädigt. Na gut, wenn es unbedingt sein muss …!

Der „Sambocade“, ein mittelalterlicher Käsekuchen mit Holunderblüten, scheint es auch schon Richard II. angetan zu haben, weshalb hier zum dritten Mal auf das Kochbuch von 1390 zurückgegriffen wird. Scheiben und Mousse von Ziegenkäse werden auf einem Keksboden drapiert und am Ende mit einer Ascheummantelung zu einem wirklich aparten Törtchen von überwältigendem Geschmack geformt: fluffig, von einer leicht den Gaumen kitzelnden Fruchtigkeit und unfassbar cremig. Das einerseits ziemlich kleinteilige, aber andererseits eher unkomplizierte Dessert mit eingebetteten Texturen von Apfel erfährt durch karamellisierte Walnüsse und mit einem Gelée ummantelte Brombeeren eine schlichte, aber würdige Abrundung.

Leider kann ich für das zweite Dessert, ein Sauerteigbrot-Eis, nicht annähernd dasselbe Lob aussprechen. Entnommen von Maria Eliza Rondells Buch A New System of Domestic Cookery aus dem Jahre 1830, hält mich diese Kreation unentwegt auf Distanz: das Arrangement aus gesalzenem Butterkaramell und Malzhefesirup ist von derart penetranter Zuckerlastigkeit, dass auch Texturen von Birne an der vorherrschenden Süße nichts zu ändern vermögen. Dieser fast komplett ohne Kontraste auskommende Ausklang belastet den Magen einfach nur ohne erkennbaren Genuss und gerät zu einem so schweren Abschluss wie seit dem altmodischen Dessert in der Auberge de l’Ill im Frühjahr nicht mehr. Schade, dass auch die Petits fours dieser Ästhetik weitgehend folgen und keine Reizpunkte mehr zu setzen vermögen – seien es nun der Macaron von Gänseleber, Maroni-Tartelette, ein Brownie mit Yuzu und Earl Grey, ein Ananas-Tartelette oder Schoko-Banane-Karamell. Weshalb ein derart pappsüßes Finale die überwiegend exzellenten bisherigen Eindrücke so relativieren musste? Keine Ahnung …

Dieser Abend geriet zu einer kurzweiligen und absolut erhellenden Exkursion in die vergleichsweise stiefmütterlich behandelte Geschichte der britischen Kulinarik. Über weite Strecken gelang es Jon Bowrings Team zusammen mit dem Team des Ikarus aufzuzeigen, wie eine geglückte Mélange aus modernen Techniken und antiquiert wirkenden Rezepten gelingen kann ohne dabei jemals forciert oder gekünstelt zu wirken. Leichtfüßig wurden hier klassische oder gar fast schon in Vergessenheit geratene Zutaten in zeitgemäß gestaltete Teller eingebaut, die mit ihrer Klarheit indes von der Anrichte eines Eckart Witzigmann gar nicht so weit entfernt zu sein scheinen und auf eine Überfrachtung mit unwesentlichen Elementen verzichten können. Wäre da nicht der aufdringliche finale Akt gewesen, dann hätte dieses Menü mit Ausnahme der zwei sehr herben und ziemlich kühnen Einschübe im Hauptgericht und bei der Jakobsmuschel wohl vollständig überzeugt. Alles in allem verfolgt man also im Dinner ein interessantes Konzept, dessen Ergebnisse allerdings in seltenen Fällen noch etwas unstet wirken und eine Bewertung des Stammhauses mit zwei Sternen als angemessen erscheinen lassen. Gastkoch Jon Bowring macht am Ende des Abends eine kurze Runde durch das Restaurant, aber viel mehr als ein kurzer und pflichtbewusster Smalltalk kommt an den meisten Tischen dabei nicht herum.

Für das leidenschaftliche und hochprofessionell agierende Ikarus-Team selbst bin ich dagegen wieder voll des Lobes: es ist einfach faszinierend zu sehen, wie es Chefkoch Martin Klein Monat für Monat immer wieder gelingt, seine Truppe auf eine gänzlich neue Ästhetik einzuschwören, die es zudem binnen kürzester Zeit und an einem für den Gastkoch fremden Ort umzusetzen gilt. Für den Inhalt des Menüs zeichnet natürlich nicht die kochende Brigade verantwortlich, weshalb marginale Qualitätsschwankungen in erster Linie auf die Gastköche und nicht das hauseigene Team zurückzuführen sind. Ich gehe davon, dass die meisten Profi-Tester in dem Monat kommen, in dem sich das Team mit seiner eigenen Ästhetik präsentieren darf – und dabei zuletzt offenbar erneut so sehr überzeugt hat, dass dieses Lokal im Gault&Millau der Österreich-Ausgabe nun mit der Höchstnote ausgezeichnet wird. Das geradezu galaktische Erlebnis mit dem Jubiläumsmenü zum 80. Geburtstag von Eckart Witzigmann konnte angesichts der bewährten und überragenden Beiträge von gleich fünf Gastköchen erwartungsgemäß nicht getoppt werden, doch hatte die gezeigte Leistung auch heuer wieder das Potential, um zumindest auf nationaler Ebene ganz vorne mitzuspielen. Ohne das für meine Begriffe mindestens als unglücklich zu bezeichnende zweite Dessert wäre ein Punkt mehr ohne Weiteres drin gewesen.

Dennoch wird jeder Koch, dem einmal eine Einladung ins Ikarus zuteil wird, dies schwerlich als etwas anderes wie eine Ehre und einen Karriereschub empfinden. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: das glitzernde Ambiente, die großzügige Finanzierung, die mediale Aufmerksamkeit durch den hauseigenen TV-Sender, die hochprofessionelle Truppe um Martin Klein und die Strahlkraft des Patrons stellen für Köche und Gäste gleichermaßen offensichtliche Gründe dar, immer wieder mal hier vorbeizuschauen und sich nach dem neuesten Stand der Dinge zu erkundigen. Kein Wunder, dass es dieses weltweit einmalige Konzept so schnell auch kein zweites Mal geben wird!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Ikarus
Wilhelm-Spazier-Straße 7a
5020 Salzburg (Österreich)
Tel.: 0043/662/21970
www.hangar-7.com

Gault&Millau Österreich 2022: 19 Punkte
Falstaff 2022: 99 Punkte
A la carte (Österreich) 2022: 97 Punkte

8-gängiges Menü: € 225

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„Man steigt auf den Berg in einem Zustand, in dem sich Rastlosigkeit und Erschöpfung die Waage halten. Dann, wenn man nicht mehr in Gedanken vorauseilt, ist jeder Schritt nicht mehr bloß Mittel zum Zweck, sondern ein einmaliges Ereignis.“ (Robert M. Pirsig)

August 2021

Vor den Toren der Stadt Salzburg findet man am Flughafengelände den Hangar 7. Dabei handelt es sich um ein prestigeförderndes, gläsernes Schaugelände des österreichischen Milliardärs Dietrich Mateschitz, in welchem es nicht nur Flugobjekte, sondern auch schnelle Rennwägen zu sehen gibt. Kein Wunder, dass gerade an einem völlig verregneten Sonntagnachmittag hier ein reges Treiben herrscht: das Publikum besteht aus großen wie kleinen Gästen gleichermaßen, kommt von nah und fern (man hört einige Personen Russisch sprechen) und ist von der spektakulären gläsernen Architektur genauso fasziniert wie von den Ausstellungsstücken. Die Limonade bzw. die Marke, die Herrn Mateschitz zum Milliardär gemacht hat, ist nicht sonderlich beliebt bei jedem, doch eilt diesem Konzern der Ruf voraus, dass wenn er etwas anpackt, dann gerät es meist recht extrem und hat doch praktisch immer Hand und Fuß. Längst hat man auch hier erkannt, dass eine würdige kulinarische Institution ein unverzichtbarer Bestandteil von solch imagefördernden Bauten ist und zum Renommée eines solchen Geländes maßgeblich beiträgt. So befindet sich ja beispielsweise auch im Innern der Münchner BMW-Welt das Zwei-Sterne-Restaurant Ess.Zimmer oder auf dem Gelände der Wolfsburger Autostadt das Hotel Ritz-Carlton mitsamt dem Drei-Sterne-Restaurant Aqua. Hier in Salzburg ist es das Zwei-Sterne-Restaurant Ikarus, dessen Patron seit der Eröffnung im Jahre 2003 kein Geringerer als der legendäre Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann ist. Damit das stetige Interesse an dem hauseigenen Vorzeigerestaurant nicht erlahmt, hat man hier nicht nur ein einmaliges und seinerzeit als höchst gewagt empfundenes Konzept aus der Taufe gehoben (von dem gleich die Rede sein wird), sondern sorgt auch dafür, dass ein großer privater österreichischer TV-Sender jeden Monat über das Lokal berichtet – davon können deutsche Spitzenrestaurants nur träumen!

Anlass für die Reportagen ist das Konzept des Lokals selbst: jeden Monat kommt ein anderer Spitzenkoch aus den unterschiedlichsten Winkeln der Welt für einen Monat zu Gast nach Salzburg und präsentiert dem gleichermaßen neugierigen wie aufgeschlossenen Publikum ein von ihm entworfenes Menü. Dieses wird zusammen mit dem Gastkoch und dem hauseigenen Team unter der Leitung des gebürtigen Elsässers Martin Klein in die Tat umgesetzt und einen Kalendermonat lang präsentiert. In normalen Zeiten sind somit elf Köche pro Jahr hier zu Gast, denn in einem der zwölf Monate darf sich das hauseigene Team selbst in Szene setzen. Der über all diesem Rummel schwebende Eckart Witzigmann ist verständlicherweise nur noch recht selten zu Gast (er feierte unlängst seinen 80. Geburtstag, wie einem meiner Essays zu entnehmen war), sorgt aber mit seinem Namen, seinem Perfektionismus und dem Produktbewusstsein weiterhin dafür, dass die Küchenleistung niemals signifikant nachlässt. Für das Team um Martin Klein bedeutet diese Praxis somit eine gigantische logistische Herausforderung, die ein extrem hohes Maß an Flexibilität erfordert, doch glaubt man den Reportagen, dann gibt es hier keinen einzigen Mitarbeiter, der seinen Arbeitsplatz gegen einen anderen tauschen wollte!

Anlass unseres Premierenbesuchs ist das spezielle Menü, das von nicht weniger als sechs Spitzenköchen anlässlich des 80. Geburtstags von Eckart Witzigmann zusammengestellt wurde. Aufgrund des unterschiedlichen Alters der beteiligten Köche sind es zum einen langjährige Weggefährten wie Marc Haeberlin, aber auch junge Köche wie Jan Hartwig oder Tohru Nakamura, die dank ihrer Arbeit in München ständig von Witzigmann im Auge behalten werden – schließlich ist die bayerische Metropole die Stadt, in der Witzigmanns eigene kometenhaften Karriere vor fünfzig Jahren im Tantris begann und ihre folgerichtige Krönung in Form des damals als Sensation empfundenen dritten Michelin-Sterns in der Aubergine fand.

Es erscheint völlig klar, dass die Menüfolge in diesem Monat somit nicht gleichermaßen homogen wie sonst üblich in ihrer Stilistik ausfallen kann, doch angesichts eines Aufgebots von Köchen, deren Namen sich wie das Who’s who internationaler Spitzengastronomie lesen, sieht man darüber natürlich gerne hinweg. Die jüngere Generation ist mit Jan Hartwig (noch bis Mitte August im Münchner Atelier tätig und dann nach Selbständigkeit in München strebend) und Tohru Nakamura (ehemals Geisels Werneckhof und derzeit mit den weiteren Plänen zum Erhalt seines Pop-ups SALON Rouge nahe dem Münchner Marienplatz beschäftigt) vertreten. Die mittlere Generation ist mit Matthias Hahn (der neue Executive Chef im Tantris), Martin Fauster (ehemals Königshof, bevor dieser am Stachus abgerissen wurde, und kurz vor einem Neustart in Freiburg im Breisgau) und Martin Klein, dem Küchenchef des Ikarus, bestückt. Marc Haeberlin schließlich ist der Sohn des legendären Paul Haeberlin von der elsässischen Restaurant-Legende Auberge de l’Ill in Illhaeusern. Von letzterem wurde Witzigmann am stärksten bei seinem Weg nach oben geprägt. Der 2008 im Alter von 84 Jahren verstorbene Senior-Chef gab gegen Ende seiner Karriere unumwunden und voller Demut zu, dass Witzigmann einer der sehr seltenen Fälle gewesen sei, in denen der Lehrling den Meister später sogar noch übertroffen habe.

Somit scheint schon lange vor dem eigentlichen Besuch klar zu sein, dass die weit im Voraus bekanntgegebene Menüfolge ein Feuerwerk an Höhepunkten darstellen sollte. Was kann man schließlich einem Jahrhundertkoch, der schon alles hat (unter anderem eine gigantische Bibliothek mit Kochbüchern unterschiedlichster Köche und Zeiten) und auch alles erlebt hat, noch schenken? Die Antwort lautet: ein denkwürdiges Menü als Hommage an den großen Meister, an dem auch irdische Sterbliche zum Spottpreis von € 210 teilnehmen dürfen – das ist wirklich ohne jedwede Ironie zu verstehen, denn solch eine einmalige Gelegenheit lässt man sich nach Möglichkeit einfach nicht entgehen, was auch immer der Preis! Doch nun sind der Worte genug gewechselt – es kann endlich losgehen, nachdem ich diesem Event wochenlang entgegengefiebert habe!

Angesichts des exzeptionellen Anlasses nehmen wir auch gerne das furchtbar verregnete Wetter in Kauf, sehen uns nach der Ankunft noch ein wenig im Hangar um und nehmen dann, als es endlich an der Zeit ist, den gläsernen Aufzug nach oben zum Lokal. Einen viel treffenderen Namen hätte dieses Restaurant kaum bekommen können, denn aufgrund des hohen Anteils an Glas als Werkstoff wirkt der Speiseraum ohnehin schon sehr leicht und geradezu schwebend. Die kulinarischen Höhenflüge passen indes auch hervorragend zum mythologischen Inhalt, wobei man sich und den Gästen freundlicherweise den tragischen Absturz am Ende lieber erspart. Ein großflächiges Kunstwerk, welches an der Wand prangt, greift auch die Ikarus-Thematik nochmals bildlich für alle Nicht-Eingeweihten auf – schnell wird unsere Aufmerksamkeit allerdings weg vom Bild auf die Teller gelenkt werden!

Leider kreuzen einige wenige der Gäste hier offenbar nur auf, weil es gilt, Äußerlichkeiten wie sündhaft teure Handtaschen oder Nobelkarossen zur Schau zu stellen und die gesellschaftliche Konvention dies offenbar in solchen Kreisen erfordert. Eine solche Attitüde äußert sich dann folgerichtig in nahezu beiläufigem, hastigem und praktisch ignorantem Verzehr der Speisen – bei Lokalen von internationaler Reputation beileibe kein so seltenes Phänomen, doch auf solche Besucher ist man eben leider auch angewiesen. Im Grunde genommen muss man Gäste, die selbst bei einem solchen Menü gelangweilt sind und keinerlei Genuss daraus ziehen können, fast schon bemitleiden. Glücklicherweise hat die Mehrzahl der Gäste für solche Oberflächlichkeiten nichts übrig und wird zum Dank mit einem außergewöhnlichen Erlebnis belohnt. Auch wir werden bei diesen Eindrücken schon bald entschweben und vor Entrückung regelrecht die Bodenhaftung verlieren …

Schon die Einstiege hängen die Messlatte enorm hoch: los geht es mit einer Austernkugel, die mit geeistem Champager ummantelt ist und in einer Sauerampfervelouté ruht (Jan Hartwig) – ein Einstieg, der die Jodigkeit der Auster perfekt mit der Säure der Velouté in Einklang bringt und bestens funktioniert. Im Schälchen dahinter befindet sich eine Gänselebercrème, die mit etwas Müsli und eingelegtem Rhabarber begleitet ist (Martin Fauster). So klein und doch so effektiv: die grandiose Qualität der Leber und die bestens dosierte dezente Süße der Begleitung führen dazu, dass mir diese Petitesse noch sehr, sehr lange im Gedächtnis haften bleibt. Der dritte Gruß (Matthias Hahn) könnte geradewegs aus dem Nürnberger Essigbrätlein stammen (wobei man dort sicherlich ohne Trüffel auskäme) und verdeutlicht, dass sich bisweilen auch mit völlig profanen Produkten eine formidable Kreation zaubern lässt. Etwas schwarzer Trüffel und grünes Sommergemüse verbinden sich zu einer meisterhaften Kombination, da die perfekte Zubereitung, die genau richtige lauwarme Temperatur und der leichte Biss aus diesem im Grunde genommen simplen Einstieg eine zauberhafte Darbietung machen, die ganz in sich ruht. Stark! Auch die Limonade von Kaktusfeige aus der hauseigenen RB-Produktion, die offenbar in ein eigens dafür kreiertes Glas geschenkt wird, passt erstaunlich gut, da sie erstaunlich wenig Zucker hat und ziemlich erfrischend gerät.

Die Brotauswahl kann sich ebenfalls sehen lassen: neben dem hochwertigen Sauerteigbrot sind es vor allem die fünf verschiedenen Butter-Aufstriche, die sehr viel hermachen: sie stammen aus der Bretagne und sind von vorne nach hinten naturbelassen, gesalzen, mit Yuzu aromatisiert, mit Algen verfeinert und schließlich mit Piment d’Espelette gewürzt.

Jetzt wird es aber Zeit für den ersten Gang: Ora King Lachs, Blumenkohl, Safran und Impérial-Kaviar von Martin Klein – und Eckart Witzigmann, der den Gang noch minimal modifiziert. Ganz im Geiste der Nouvelle Cuisine werden die Produkte unverfälscht, leicht und mit größtmöglichem Geschmack in Szene gesetzt. Das gelingt ganz vortrefflich, denn auf dem Lachs-Carpaccio in der Mitte tummeln sich Lachsröllchen mit Crème fraîche gefüllt und bestem Kaviar getoppt. Die zahlreichen Texturen von Blumenkohl werten den sensationell guten Lachs weiter dezent auf und unterstreichen in großer Klarheit seine Vorzüge. Dass ein Gericht unter den Augen von Witzigmann immer optimal zubereitet gehört, muss hier fast nicht mehr eigens betont werden, denn es ist einfach perfekt. Als Getränk kommt Tonic – Black Orange – Ingwer ins Glas.

Beim nächsten Gang überrascht mich die aromatische Zurückhaltung ein wenig: von Tohru Nakamuras Kreationen erwarte ich fast immer knallige und selbstbewusste Aromen, während dieser Teller eine überraschende Demut an den Tag legt und damit auch einen Reifeprozess erkennen lässt, der mir so neu war. Jedenfalls ist Kalbstatar mit Langustine, Shiitake-Sülze, Maitake, Shiokoji und Anchovis zurückhaltender als erwartet. Die Langustine ist recht gut getarnt, da sie in Form von Mousse, Tatar, Gelée und in gegrillter Form in gleich vier verschiedenen Texturen auf den Teller gelangt. Durch die Shiokoji wird die Langustine zart und doch leicht würzig, während der Maitake-Pilz leichten Biss beisteuert. Die Anchovis geraten weniger salzig als erwartet und fügen sich nahtlos in dieses hochkomplexe, filigrane Geflecht von Aromen ein, das bei der Herstellung höchste Kunstfertigkeit verlangt. Dies ist fraglos ein ungewöhnlicher Teller von Tohru Nakamura – aber eben auch ein exzellenter! Pilztee – Mango – weiße Traube ist ein gewöhnungsbedürftiger flüssiger Begleiter, aber wo kämen wir denn hin, wenn wir immer nur mit Routine konfrontiert würden?!

Bayerische Forelle mit Linsen, Kräuter, Champignons und Molke setzt wie zuletzt häufiger bei Jan Hartwig verstärkt auf heimische Produkte. Dennoch ist dieser Einfall schlichtweg grandios: zwei große Scheiben von höchst aromatischen Champignons (wobei die obere einen knusprigen Boden hat, der vermutlich durch ganz kurzes Frittieren entstanden ist) bedecken die unendlich zarte, in Rapsöl gegarte Forelle und machen aus ihr einen Fisch, der in puncto Geschmack mühelos auch ein weitaus teureres Exemplar wie ein Steinbutt oder ein Seeteufel sein könnte. Gerade im Verbund mit der Schnittlauch-Velouté wird daraus eine für Hartwig typische Umami-Bombe, die dennoch einen beispiellosen Schmelz und eine wunderbare Cremigkeit an den Tag legt. Ganz großes Gaumenkino! Mate – Milch – Gurke fügt sich wunderbar in die Stilistik ein.

Es folgt der größte Klassiker der Menüfolge: seinerzeit von Paul Haeberlin kreiert und ohne Unterbrechung seit nunmehr 60 Jahren in der Auberge de l’Ill zu haben, ist die legendäre und sagenumwobene Froschschenkel-Mousseline eines der Gerichte, das damals maßgeblich zu den drei Michelin-Sternen für den elsässischen Feinschmeckertempel beitrug. Natürlich beherrscht auch sein Sohn Marc dieses kulinarische Aushängeschild im Schlaf, doch von Routine ist hier weit und breit keine Spur: gefüllt mit Froschschenkeln und einer Zanderfarce, ruht die Mousseline auf Blattspinat in einem Rieslingschaum. Ich hatte diesen Klassiker bis dahin noch nie verkosten dürfen, doch bereits nach dem ersten Bissen wird mir klar, warum diesem Gericht eine Aura anhaftet, die ans Mystische grenzt. Die Mousseline ist unübertroffen cremig, fluffig und von ungeahnter Intensität – einfach nicht von dieser Welt, um es mal klar zu sagen. Dass sie dennoch jederzeit so federleicht und bekömmlich wirkt, mag das größte Wunder an diesem ikonischen Gericht sein. Dies ist schlicht und ergreifend ein wahr gewordener kulinarischer Traum wie er uns ganz selten einmal zuteil wird. Wenn eines noch eines einzigen Arguments bedarf, weshalb die große Klassik nie aussterben wird, dann steht es direkt vor mir. Riesling – Ahorn – Zitrone ist ein würdiger Begleiter, aber im Zweifel hätte ich angesichts dieser Sternstunde auch ganz darauf verzichten können. Ich sage schon jetzt: Merci beaucoup, Monsieur Haeberlin! Ich komme mir selbst schon wie Ikarus vor und gleite nach diesem Gang unmerklich in überirdische Sphären hinüber …

… wo ich nach dem nächsten Gang von Martin Fauster gleich noch ein gutes Stück länger verweilen kann: Loup de Mer mit Bouchotmuscheln und Fenchel klingt nicht so aufregend, ist aber ganz typisches Understatement für meinen uneingeschränkt liebsten Fischkoch. Spätestens seit einem denkwürdigen Wolfsbarsch vor einigen Jahren im Königshof konnte ich Herrn Fauster dieses Prädikat völlig bedenkenlos anheften, doch diesmal übertraf er alle Erinnerungen nochmals um ein gutes Stück. Der leicht geflämmte Fisch ist schlicht perfekt gegart, doch damit nicht genug: die Bouchotmuscheln mit ihrer unverwechselbaren Aromatik fügen sich in diesem Bouquet mit Texturen von Fenchel und weiterer kleinteiliger Begleiter so wunderbar ein, dass ein komplementäres Aroma den Röstaromen des Barschs noch mehr Größe verleiht. Abgerundet wird das Ganze von dem kongenialen Safranschaum, der schlicht umwerfend ist: seidig-leicht und trotzdem nicht ohne Körper. Absolut unvergesslich und zum Niederknien gut! Gelber Tee – Apfelquitte – Purple Berry ist ebenfalls ein echtes Highlight unter den Getränken.

Der Hauptgang ist gar nicht so kompliziert, passt aber dadurch auch wieder ganz gut zu der seinerzeit von Witzigmann geförderten Nouvelle Cuisine, wo die herausragenden Eigenschaften der Produkte in großer Klarheit, ohne nennenswerte Verfälschung und ohne dicke Saucen auskommen können. In Summe ist dies zwar vielleicht nicht der stärkste Teller des Abends, aber mit seiner Opulenz punktet dieser hochpreisige Gang von Matthias Hahn namens Bresse-Poularde mit Flusskrebsen und schwarzen Trüffeln auf jeden Fall. Die sorgfältige Zubereitung bedarf keiner großen Worte, wenn man solche Produkte hat: an der Karkasse gebratene Brust mit der generösen Menge an schwarzen Trüffeln verleiht diesem erdigen Gang eine höchst beglückende Tiefe. Die Saftigkeit der Flusskrebse trägt noch ihren Teil dazu bei und schafft einen Hauptgang, der auch seinen Namen verdient – sowohl von der Qualität her als auch von der Menge. Auch das überzeugt uns vollkommen. Rote Beeren – Birne finde ich zunächst eine überraschende Begleitung, doch sie fügt sich wunderbar ein.

Kirsche mit Kombu, Chicha Kokiguri und Sakura von Tohru Nakamura ist ein faszinierendes und modernes Dessert, das entwaffnend leicht und sommerlich daherkommt. Mit seiner Ästhetik zeigt Nakamura auf, dass ein Produkt wie Kombualgen vielseitig einsetzbar ist – mal röstet er sie, mal wird – wie hier – das fluffige japanische Eis mit leichtem Lakritzgeschmack einfach „pur“ damit begleitet. Fermentierte Ananas verbirgt sich wohl hinter der kryptischen japanischen Zutat, wie man uns verrät, aber auch so bleibt mir die Zubereitung dieses grandiosen Pré-Desserts über weite Strecken schlicht ein Rätsel. Das ist state-of-the-art und schmeckt großartig, einfach großartig.

Weitaus konservativer – und indirekt auch ein Beleg dafür, welche Fortschritte gerade die Pâtisserie in den letzten Jahrzehnten gemacht hat – gerät Marc Haeberlins Klassiker La Pêche Haeberlin. Dennoch mindert das den Wert dieses langjährigen Klassikers mit Pistazieneis, Pfirsich (la pêche) und Champanger-Zabaglione um keinen Deut. Gerade der nicht sonderlich hohe Schwierigkeitsgrad, der es ambitionierten Amateuren durchaus gestattet, mit Hilfe des Rezepts dies nachzumachen, zeigt, dass Spitzenküche keineswegs immer nur abgehoben sein muss und auch durchaus in einfachem Gewand gekleidet erscheinen kann. Der weiße Schokotaler als Hommage an den Meister ist natürlich eine augenzwinkernde Referenz, die wir nur begrüßen können. Wer dies mit heutigen Desserts vergleicht, mag vielleicht angesichts des altmodischen Charakters ein wenig die Nase rümpfen, aber die geschmackliche Substanz macht das wett. Pfirsich – Verjus ist ein dezenter und passender Begleiter.

Vor lauter Entzückung vergesse ich glatt, mir die Petits fours zu notieren und begnüge mich daher mit der Feststellung, dass auch diese erwartungsgemäß ausgezeichnet gerieten.

Es gibt keinen Zweifel, dass sich jeder Mitarbeiter in diesem Haus einem Anspruch unterwirft, der nichts weniger als Weltklasse in allen Belangen sein will. Das gilt nicht nur für die Küche, sondern auch für den Service. Die junge Truppe ist wirklich bestens eingespielt und hat alles jederzeit im Griff: kompetente Antworten auf Nachfragen, superbe Getränkeempfehlungen und eine Präsenz, die weder aufdringlich noch zurückhaltend gerät. Selten habe ich eine überzeugendere Darbietung auf diesem Gebiet erleben dürfen!

Gerade weil auch nicht weniger als fünf Gastköche hier mitgewirkt haben, ist der Stressfaktor in der Küche noch größer als sonst. Dennoch ist es wirklich beeindruckend zu sehen, dass das Team um Martin Klein die speziellen Arbeitsabläufe in diesem Haus vollkommen verinnerlicht hat und sich nicht den kleinsten Fehler gestattet. Lohn der Bemühungen sind schließlich zwei Michelin-Sterne, doch wenn es nach mir ginge, dann wären auch drei absolut denkbar. Dass sich dieses Haus (noch) nicht mit den höchsten Weihen des roten Gourmetführers schmücken kann, liegt für meine Begriffe weniger in der Leistung der Küche begründet, sondern eher darin, dass nicht jeder Gastkoch dieselbe Klasse hat und nicht immer ein gleichermaßen überzeugendes Menü zusammengestellt wird. Dieses Jubiläumsmenü hingegen erfüllte höchste Ansprüche internationaler Gourmets, so dass logischerweise wegen der frühen Bekanntgabe der Namen der Köche und ihrer Gerichte an den meisten Terminen seit Monaten kein Tisch mehr zu haben war. Ich fühle mich dankbar, dass es uns dennoch gelungen ist, einen dieser raren Plätze zu ergattern und kann nur sagen, dass ich es sofort wieder tun würde: dieses Menü werde ich bis zum Ende meiner Tage nicht vergessen. Sowohl die Qualität als auch die Begleitumstände lassen eine Einordnung auf Platz 5 meiner besten Erlebnisse aller Zeiten mehr als gerechtfertigt erscheinen – gerade angesichts der heterogenen Menüfolge ein noch größeres Lob! Für das Küchenteam um Martin Klein muss diese Gelegenheit eine ähnliche Erfahrung wie die im Eingangszitat beschriebene dargestellt haben. Dass mal die internationale Elite einem ihrer größten Chefs hier huldigen würde und eine Menüfolge für die Ewigkeit abliefern würde, muss für dieses Team einfach einen bleibenden Eindruck darstellen, dessen Herausforderungen sie mit Bravour gemeistert haben. Ich denke, der Bericht liefert ein wahres Füllhorn an Argumenten, weshalb ich hier beim besten Willen keine andere Note als die Höchstwertung vergeben kann – den einzigen Wermutstropfen bildet die Tatsache, dass es dieses Menü so nie mehr geben wird, aber andererseits dadurch der Moment des Einmaligen noch eindringlicher konserviert werden wird.

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Ikarus
Wilhelm-Spazier-Straße 7a
5020 Salzburg (Österreich)
Tel.: 0043/662/21970
www.hangar-7.com

Gault&Millau Österreich 2021: 18,5 Punkte
Falstaff 2021: 98 Punkte
A la carte (Österreich) 2021: 95 Punkte

7-gängiges Menü: € 210