Maerz&Maerz*, Bietigheim-Bissingen (UPDATE)

„Heimatverbunden und dennoch weltoffen – so sind wir und so kochen wir auch.“ (Benjamin Maerz)

UPDATE (April 2023)

Rund um den Speckgürtel von Stuttgart gibt es gut ein Dutzend Sternerestaurants, in denen etwa auf demselben Niveau gekocht wird und die von der Nähe zur Landeshauptstadt profitieren. Unter ihnen befindet sich auch das Gourmetrestaurant von Benjamin Maerz, der in dem blassgrauen Gebäude des Hotels Rose am Rande der Bietigheimer Altstadt sein Lokal zuverlässig von Jahr zu Jahr in der Sterneliga behaupten kann. Viel verändert hat sich äußerlich nicht, doch seit einigen Jahren gibt es hier auch noch ein ambitioniertes Burgerrestaurant, das meiner Wahrnehmung nach besser als das Gourmetrestaurant angenommen zu werden scheint – fast so, als würde die Mehrzahl der Gäste der Hochküche noch immer nicht so recht trauen. Ich kann mich diesbezüglich täuschen, aber selbst an einem Samstagabend gab es hier noch einen freien Tisch. Wie dem auch sei: nach kleinen, aber stetigen Fortschritten hob der eine oder andere Guide in den vergangenen Jahren die Note immer wieder mal dezent an, weshalb eine erneute Stippvisite in der holzvertäfelten Stube mit den blauen Bänken und Stühlen durchaus Sinn zu machen schien.

Nach Abschluss der hier öfters mal enervierenden Parkplatzsuche geleitet mich Serviceleiter Christian Maerz, der Bruder des Chefs, zu meinem Platz inmitten des recht rustikalen Ambientes. Der blanke und mit einer Platzmatte eingedeckte Holztisch dient gleich als Bühne für die ersten Apéros, die zusammen mit einem Glas Prisecco Nr. 11 von Jörg Geiger (unreifer Apfel und Eichenlaub) gereicht werden. Ein klassisches Rindertatar in einer Tartelette hinterlässt dabei angesichts eines durchschnittlichen Niveaus keinen bleibenden Eindruck, während zumindest die Kreation aus Kimchi und Kohl daneben individueller umgesetzt wirkt. Genau wie bei der Kreation aus Kerbelwurzel, Mayonnaise und geriebenem Trüffelkäse (der kreativste Einfall unter den Einsteigern) sowie dem Cornetto mit Blumenkohltatar und Salsa bleibt aber zu festzuhalten, dass alle drei Beiträge eher durch teils unausgewogene Würze als durch geschmackliche Tiefe bestechen. In Summe lässt mich dieser Einstieg jedenfalls etwas unterkühlt zurück. Das von der ortsansässigen Bäckerei Stöckle samt Gewürzmischung gelieferte Brot hinterlässt da in Summe einen nachhaltigeren Eindruck, denn die Fichtensprossenbutter und die Auswahl an Sauerteigbroten aller Art (z.B. Speck und Zwiebel) weiß zu überzeugen.

Das auf den Namen „Heimweh / Fernweh“ getaufte Menü besteht aus fünf Gängen zu € 139 und lässt dem Gast lediglich beim Hauptgang die Wahl zwischen zwei Gerichten. Die Bestellung ist daher rasch aufgenommen, doch vor dem Auftakt ins Menü schickt die Küche noch ein Amuse, in dessen Mittelpunkt die zahlreichen Variationen von Mais stehen (gegrillt, als Tatar und eingelegt). Gebettet auf einer Misosauce und mit Hanfbutter verfeinert, kann man diesem Gang eine gewisse Originalität nicht absprechen, zumal es mit dem Mais ein etwas sperriges und bei der Mehrzahl an Profiköchen eher unbeliebtes Produkt aufgreift. Dank der ökonomischen Handhabung der Produkte entsteht die angestrebte Harmonie, die allerdings wie schon bei den Apéros eine gewisse Tiefe im Geschmack vermissen lässt und daher nur bedingt einschlägt.

Mit dem ersten Gang erreicht die Küche ein neues Level im Vergleich zu den Vorgängern: die in Togarashi gebeizte Dorade mit Noten von Sesam, Algen, Chili und Orange besticht durch die große Streuung an subtil eingesetzten Effekten. Die eingelegten ausgestochenen Sterne aus roter Bete thronen auf einer marinierten Kugel desselben Produkts und werden mit einem knalligen Shisosorbet gepaart. Eine ungewöhnliche und intensive Vinaigrette aus Sojasud, Molke und Ceta-Kaviar trägt noch zusätzlich zu dem Wechselspiel von Schärfe und Salinität bei – das allerdings mit noch besserer Balance (die Schärfe war spürbar zu dominant) deutlich mehr profitiert hätte. Unterm Strich ist dies dennoch ein gelungener Einstieg, dem eben das Feintuning noch etwas fehlte.

Den Großteil der Aufmerksamkeit im nächsten Gang beansprucht die Faux gras, welche mit einer Crème aus Pilzen und Nüssen eine Gänseleberterrine imitiert. Ein klassisches Brioche reicht man trotzdem, obwohl auch ungewöhnlicherweise in Wachs eingelegte Melone zwischen mit Bärlauch und Kapuzinerkresse gewürzte Frischkäseperlen dem Gang zu etwas wohltuender Fruchtigkeit verhilft. Gebettet auf einer mit Borretsch und Pfeffer aromatisierten Vinaigrette, gelingt es der Küche diesmal, den Hauptdarsteller mit einer konzentriert wirkenden Idee solide umzusetzen, die allenfalls mit etwas weniger Würze noch zusätzlich gewonnen hätte.

Dass die beiden hauptverantwortlichen Brüder nicht nur bei der Wahl ihrer Viktualien mit der Zeit gehen (die ethisch unbedenkliche Variante der Leber zeugt davon), belegt auch die Auswahl an Spirituosen, die zu meiner nicht geringen Überraschung auch mit Bränden der Firma Brezger bestückt ist. Da der Firmensitz dieses privat geführten Unternehmens in Hermaringen auf der Ostalb liegt und es diese Marke zudem noch keine fünf Jahre gibt, werte ich den Rückgriff auf die noch wenig bekannten, doch sehr bemerkenswerten Destillate auch deshalb als beachtlich, weil sie nicht aus der unmittelbaren Region stammen und sich dennoch bereits einen Ruf erarbeitet haben, der über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus nachhallt.

Kaisergranat von insgesamt durchschnittlicher Qualität und Zubereitung labt sich an einer recht wässrigen Krustentierbisque, weshalb den Begleitern angesichts fehlender Extraklasse schnell mehr Gewicht zukommt als gewünscht. Dabei dekliniert die Küche vor allem weißen Spargel und Bärlauch in allen möglichen Varianten durch: doch selbst als gestockte Crème, Tatar oder Küchlein gelingt es dieser Begleitung angesichts fehlender Tiefe nicht, ein adäquates Maß an Ausdruck zu erzielen. Fast schon symptomatisch wirkt die Beigabe von gepufftem Quinoa, die bereits in vielen Lokalen des öfteren fehlende handwerkliche Akkuratesse kaschieren musste. Auch diesem Teller gelingt es nicht, das Mittelmaß in irgendeiner Weise zu durchbrechen.

Ein eingestreutes Apfelsorbet von der roten Sternrenette mit Granny-Smith-Stiften bekommt durch zwei weitere individuelle Details in Form von kandierter Yuzu-Schale und minimaler Wasabi-Schärfe ein eigenes Gepräge, mit dem man zumindest dem Eindruck der so häufig anzutreffenden Beliebigkeit bei Sorbets erfolgreich entgegen tritt. Alles in allem ein netter Gaumenkitzler vor dem Hauptgang, der die Papillen nochmals reinigt und aufs Hauptgericht vorbereitet.

Das sous vide gegarte und dann über Binchotan gegrillte Roastbeef von der Memminger Färse erreicht nicht nur ein überzeugendes Ein-Stern-Niveau, sondern überrascht auch allein schon durch die schiere Größe dieser üppigen Tranche. Dank einer gelungenen Begleitung aus mit Kimchi gefüllten Gyoza, wunderbar mürben Morcheln und Petersilienwurzel (mit einem allerdings nahezu identischen Topping wie im Gang zuvor) erreicht die Küche somit den Höhepunkt ihrer Schaffenskraft an diesem Abend. Trotz einer gewissen Wiederholung bestimmter Produkte spielt das Fleisch seine mineralische Frische voll aus und trägt somit zu unkompliziertem, aber durchaus profundem Genuss bei, der sich bei den Darbietungen zuvor nicht immer einstellen wollte.

Vergleichsweise konventionell ist dagegen der bewährte Rückgriff auf Mara-de-Bois-Erdbeeren,  Rhabarber und Original Beans Schokolade. Dank einer optischen Aufwertung mit zahlreichen Texturen wie Crumbles oder zweierlei Ganaches von unterschiedlicher Intensität, die zwischen das Obst und die Sorbets platziert werden, wird die an sich wenig originelle Grundidee etwas aufgewertet. Selbiges trifft auch auf die mit Vanilleöl verfeinerte Erdbeerjus zu, doch angesichts des Fehlens eines echten Reizpunkts und einer gewissen Vorhersehbarkeit bleibt die den Teller dominierende Harmonie nur kurze Zeit in meinem Gedächtnis haften. Allzu oft habe ich schon vergleichbare Kreationen verkostet, die mit weniger verspielt anmutenden Elementen auskamen und stattdessen auf eine stärkere Betonung des Eigengeschmacks drängten – etwas, das an diesem Abend mehr als nur einmal fehlte.

Die Petits fours, bestehend aus marmoriertem Käsekuchen, Vanille-Macaron, einer Wabe aus Mandel und Honig sowie einem Cornetto mit Ananas, Kokosschaum und Rum erreichen nochmals ein absolut vorzeigbares Niveau, wenngleich sich angesichts des eher trüben und kühlen Wetters draußen kein echtes Karibik-Feeling einstellen will, das zudem auch mit der restlichen Menüfolge gefremdelt hätte.

Ich denke, es schwingt zwischen den Zeilen durch, dass mangelnde Präzision und eine teils seltsame aromatische Balance mehr als nur einmal diesen Abend prägten. Abgesehen vom Hauptgericht wirkten viele Gerichte wie von dem Wunsch beseelt, mit kreativen Texturen oder ungewöhnlichen Produkten eine eigene Handschrift etablieren zu wollen – allzu oft ging dies jedoch zu Lasten des Geschmacks, der öfters etwas diffus wirkte und an einer wenig durchdacht anmutenden Balance litt. Wenn sich die Küche wie beim Hauptgang darauf besann, ihr Hauptprodukt durch raffinierte, aber natürlich anmutende Verfeinerung zum Strahlen zu bringen, dann erzielte sie damit die besten Ergebnisse. Wenn dagegen dem Hauptdarsteller (wie beim Kaisergranat) bei der Zubereitung oder schon bei der Produktauswahl nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde, dann musste allzu oft eine pseudo-originelle Garnitur darüber hinwegtäuschen, dass es bisweilen an Akkuratesse und geschmacklicher Substanz mangelte. So blieb der Eindruck einer zu häufig verspielt wirkenden und bisweilen oberflächlich agierenden Küche an diesem Abend haften. Dass Benjamin Maerz kochen kann, steht für mich trotz allem schon seit dem letzten Besuch außer Frage – dennoch hinterließ der erste der beiden Besuche unterm Strich den weitaus stimmigeren Eindruck. Drücken wir die Leistung der Küche an diesem Abend mal vorsichtig wie folgt aus: insgesamt hat das Mahl in etwa so geschmeckt wie es der Preis (der auch bei den Nebenkosten sehr moderat war) erwarten ließ. Ein überragendes Niveau durfte man daher sicherlich nicht erwarten, aber angesichts der durchaus nicht zurückhaltenden Urteile der Profiguides in den vergangenen Jahren bestand die berechtigte Hoffnung auf eine stimmigere Darbietung als sie letztlich geriet durchaus. Offenbar sahen es auch die Tester des G&M ähnlich, denn die zum Zeitpunkt meines Besuches noch gültige Note wurde einige Wochen später in der aktualisierten Ausgabe um eine halbe Toque herabgestuft.

Auch der Service agierte manchmal unglücklich: wenn nicht gerade Christian Maerz am Tisch war, dann reichten schon oft einfache Nachfragen meinerseits aus, um die Kellner aus dem Konzept zu bringen – angesichts des immer noch nicht so seltenen Phänomens, Service in erster Linie als Herunterbeten auswendig gelernter Informationen zu interpretieren, ist dies auch nicht so verwunderlich. Im Hinblick auf die geringe Häufigkeit meiner Besuche hier kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Küche einfach mal einen schwächeren Tag genehmigte. Dennoch war in Summe die Liste der Details, die mich etwas irritieren, zu lang als dass es sich nur damit erklären ließe. Für die Habitués im Großraum Stuttgart ist dies sicherlich auch weiterhin eine ansprechende Adresse, aber eine echte Empfehlung kann ich basierend auf meinen jüngsten Eindrücken diesmal leider nicht vorbehaltslos aussprechen.

Mein Gesamturteil: 15 von 20 Punkten

 

Maerz&Maerz
Kronenbergstrasse 14
74321 Bietigheim-Bissingen
Tel.: 07142/42004
www.maerzundmaerz.de

Guide Michelin 2023: *
Gault&Millau 2022: 3+ Toques
GUSTO 2023: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2023: 3 F

5-gängiges Menü „Heimweh / Fernweh“: € 139

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Anmerkung: im Rahmen der UPDATE-Version mit Bildern wurde der Name des Restaurants angepasst, das seit einigen Monaten nicht mehr Maerz, sondern Maerz&Maerz heißt.

„Die Jugend hat doch das Recht, etwas verrückt zu sein, ihre Leidenschaften auszuleben.“ (Jack Lemmon)

Dezember 2019

Bietigheim-Bissingen, 25 Kilometer nördlich von Stuttgart, wartet mit einem überdurchschnittlichen Lokal auf: das Maerz&Maerz, benannt nach dem Chefkoch des Hauses und seinem Bruder. Es befindet sich im Business-Hotel Rose, einem unauffälligen, blassgrauen Gebäude auf einem Hügel am nördlichen Rand der kleinen, aber sehenswerten Altstadt. Schwer vorstellbar, dass sich ohne die Empfehlungen der einschlägigen Guides allzu viele Gäste hierher verirren würden, doch dank dieser hat es mich ja auch dorthin verschlagen; andere Besucher lassen sich übrigens von der attraktiven Weinbar anlocken. Voller Optimismus hoffe ich, dass sich die Anreise bei nasskaltem Winterwetter gelohnt hat und harre der Dinge, die in den kommenden Stunden auf mich zukommen werden. Ich betrete also die holzvertäfelte Stube mit den blanken Tischen, werde sogleich an meinen Tisch mit der Platzdecke geleitet und lasse mich von Benjamin Maerz‘ Speisen verwöhnen. Aus dem Lautsprecher tönt ziemlich laute, weihnachtliche Swing-Musik, doch die anderen Gäste scheinen sich nicht daran zu stören.

Der 31-jährige Chefkoch Benjamin Maerz gehört zu einer Handvoll junger Spitzenköche um die Dreißig im Speckgürtel rund um Stuttgart. Im familieneigenen Betrieb hat er sein kulinarisches Refugium zu einer beachtlichen Adresse geformt, in der er einen weitgehend regional betonten, aber durchaus nicht radikalen Stil pflegt. Vielmehr geht es ihm laut eigener Aussage um unverfälschten Geschmack und authentische Erlebnisse mit Langzeitwirkung – eine durchaus hohe Erwartungshaltung an sich selbst. Sein Bruder Christian steht dem Service vor und greift ihm dabei tatkräftig unter die Arme.

Zum Einstieg serviert man eine intensive Kleinigkeit, bestehend aus einer mit Gurkencrème, Dill und weiteren kleinteiligen Elementen gefüllten Gurkenrolle, die zwar erfrischend gerät, aber zur Jahreszeit nicht wirklich passt. Besser gefällt in Summe ein knuspriges Alb-Linsen-Tatar auf Karottenstampf, begleitet von einem Kokos-Curry-Sud. Auch der hausgemachte Fruchtcocktail und die Brotauswahl, bestehend aus zwei sehr guten Sorten (Feige-Nuss und Speck-Zwiebel) sowie zwei Aufstrichen (Frischkäse und Kräutercrème) können überzeugen. Außerdem reicht man ein Erfrischungstuch, das allerdings eiskalt ist und so seine Wirkung verfehlt. Nach der Lektüre der Speisekarte, die zwei fünfgängige Menüs zu je € 109 offeriert, entscheide ich mich für die Variante Eins, die etwas weniger gemüselastig als die zweite ist.

Der Einstieg mit Ochsenherztomate, getrocknetem Büffelherz und Ponzu-Vinaigrette ist farbenfroh in Szene gesetzt, wobei die Innerei und diverse kleinteilige Blüten auf der halbierten Tomate platziert sind. Geschmacklich ist dies ein bekömmlicher und ordentlicher Einstieg, der recht leicht gerät – aromatisch fast zu leicht, wenn da nicht die gelungene Vinaigrette Abhilfe schaffen würde. Ein würdiger Begleiter dazu ist Jörg Geigers neue Kreation „Aecht Bitter“ (sic).

Ein fast schon an die Ästhetik des Nürnberger Essigbrätlein erinnerndes Gericht ist Kohlrabi, der hier in tournierter Form auf kleinen Türmchen von Bodensee-Aal und Muskatblüte thront. Sicherlich würde in Nürnberg kein Aal zum Einsatz kommen, doch auch diese Variante hat Raffinesse und aromatische Spannung: die Vielfalt an Texturen an Aromen, die Herr Maerz hier seinem Grundprodukt entlockt, ist beachtlich. Gebettet werden die drei Türmchen auf einer Molke, deren säuerliche Aromen bestens korrespondieren. Stark! Ein adäquater Begleiter ist PriSecco Nr. 8 (Stachelbeere, unreifer Apfel und Douglasienspitzen).

Stärker als bisher wird bei Maishuhn, Spicy Mango und Zitronenkopfsalat der Hauptdarsteller in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt – zurecht, denn das saftige Vöglein überzeugt nicht nur in Form von Brust, sondern auch als krosse, heiße Haut zwischen Kopfsalat und Sonnenblumenkernen. Unterschiedliche, gut gelungene Texturen von Mais verleihen dem Gang leichte Schärfe und einen rustikalen Touch, während die Mango die Schärfe mit einem leicht exotischen Touch abfedert. Das Gericht, zu dem Jörg Geigers Inspiration 4.4 (grüne Jagdbirne, Weißdorn und Holz) eingeschenkt wird, erinnert bisweilen an einen Caesar Salad mit einem gewissen Twist.

Als Erfrischung vor dem Hauptgang streut die Küche ein Kürbiskernöl-Sorbet auf Kürbis-Brunoise und Quittengranité ein – der gewagteste Einfall des Abends, der deutlich herber als die meist fruchtig-säuerlichen Einschübe anderswo gerät, aber dennoch keineswegs enttäuscht.

In scharfem Kontrast zur bisherigen Optik steht der Hauptgang, der ganz puristisch aus zwei Tranchen von Lamm besteht: sie werden lediglich von einer mit Schnittlauch ummantelten Kugel aus Lammherz sowie einem winzigen Arrangement von cremigem Topinambur und Brombeere flankiert. Dazu gießt man noch einen Sud von Sansibar-Pfeffer auf – und fertig ist ein Gericht, das seinen Reiz voll aus der Qualität des Fleisches bezieht, das hier nicht sonderlich kräftige Röstaromen aufweist, sondern eher etwas zurückhaltender gerät. Das mit PriSecco Nr. 7 (Hauszwetschge, Gelbmöstler Birne und Zitronenverbene) begleitete Gericht überrascht durch seine Eleganz, hat aber mit der bisher gezeigten Ästhetik wenig gemeinsam.

Einen unerwarteten Höhepunkt stellte dann das Dessert dar, das mit Fug und Recht zu den fünf besten des Jahres gezählt werden durfte: Schokolade (Original Beans Esmeraldas Milk) wird als Ganache und in weiteren Varianten so hinreißend mit einem Eis von Weinbergpfirsich, Ziegenkaramell, Mascarpone und Fichtensprossen kombiniert, dass das Tellergemälde (zu dem Jörg Geigers „Mirabellengold“ eingeschenkt wird) fast wie eine kleine Waldlandschaft wirkt. Noch überraschender ist allerdings die Tatsache, dass die Aromenkonstellationen in diesem komplexen Geflecht großartig harmonieren und eine Spannbreite entfalten, die atemberaubend ist: ganz leichtfüßig werden hier süße, bittere, cremige und fruchtige Akzente ausgewogen unter einen Hut gebracht. Verblüffend gerät nicht nur die Tatsache, dass dem Team um Herrn Maerz das Spiel mit Texturen so virtuos gelingt, sondern dass dieser Ausklang bis zum letzten Bissen spannend bleibt und alles andere als eindimensional gerät. Chapeau!

Zum Abschluss kommt Chefkoch Benjamin Maerz noch höchstpersönlich an der Tisch und überreicht nach einem kurzen Gespräch noch das letzte Schälchen, in dem sich Eis von Pomelo, Mandarine und Yuzu befindet. Dieses wird nochmals gelungen mit vielen kleinteiligen Elementen und Honigperlen veredelt, was gleichzeitig vielleicht auch als versteckter Werbehinweis für die käuflich erwerbbaren, ausgezeichneten diversen Honiggläser des Hauses verstanden werden kann.

So geht ein ordentlicher Abend mit einem unerwarteten Knalleffekt von Dessert zu Ende, der die „Erlebnisse“ (so bezeichnet Herr Maerz auch seine Kreationen in der Speisekarte) nochmals spürbar aufwertete.

Da an diesem Abend ganze vier Gäste den Weg hierher finden (das ungemütliche Wetter mag seinen Teil dazu beigetragen haben), reicht Restaurantleiter Christian Maerz ein weiterer Helfer vollkommen aus, um den Andrang sicher zu bewältigen. Beide Kellner erledigen ihren Job im Wesentlichen unauffällig und mit einer soliden Leistung, die vielleicht nicht besonders persönlich gerät, aber andererseits auch kaum Anlass zur Kritik liefert: die Speisen und Getränke werden kompetent erläutert. Das Auftreten ist korrekt, ohne steif zu sein, und relativ sachlich. Mehr als nur einmal habe ich mir allerdings selbst Wasser nachgeschenkt.

Die ganz große Begeisterung blieb an diesem zwar Abend aus, doch solide Ein-Stern-Küche – und damit Besseres als vieles andere in der näheren Umgebung – hat dieses Restaurant allemal zu bieten. Die dargebotenen Kreationen wussten optisch zu gefallen und überzeugten jedenfalls in ihren besten Momenten voll und ganz. Nicht immer einleuchtend war dagegen der Wechsel zwischen detailverliebten und geradezu schlichten Gängen, wenngleich der jeweilige Teller – isoliert betrachtet – meistens einen wirklich guten Einfall zu bieten hatte. Untadeliges Handwerk, leidenschaftliche Kreativität und ausgezeichnete Produkte als Basis ambitionierter Arbeit waren allesamt vorhanden – und so darf man gespannt sein, ob der noch junge und Experimenten gegenüber durchaus nicht abgeneigte Chefkoch in den kommenden Jahren noch eine Schippe drauflegen kann und will. Allzu radikalen Ideen räumt man hier zwar keinen Platz ein, doch die gemütliche holzvertäfelte Stube böte auch einen wenig passenden Rahmen dafür. Alles in allem ist dies ein Lokal, das eine weitere Anreise eigens für ein Mahl (noch) nicht unbedingt rechtfertigt, aber für Gourmets aus der Umgebung mit Sicherheit eine lohnenswerte Adresse darstellt. Die 16 Punkte im Gault&Millau sowie die (neuerdings) acht Pfannen im GUSTO haben sicherlich ihre Daseinsberechtigung, und auch der Michelin-Stern sollte im nächsten Jahr locker gehalten werden können. Bei passender Gelegenheit lohnt sich hier ein Besuch also mit Sicherheit, zumal auch die absolut fair bepreisten Getränke (insbesondere die Weine) einen weiteren Grund für eine Stippvisite darstellen.

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Maerz&Maerz
Kronenbergstrasse 14
74321 Bietigheim-Bissingen
Tel.: 07142/42004
www.maerzundmaerz.de

Guide Michelin 2019: *
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2,5 F

5-gängiges Menü: € 109