Anmerkung: Simon Taxacher kocht inzwischen wesentlich schlichter auf und führt das ehemalige Gourmetlokal auf erheblich niedrigerem Niveau weiter.
März 2017
Mitten im malerischen Brixental und unweit von Kitzbühel, einem der Hot Spots der High Society im Winter, liegt das Relais Rosengarten. Simon Taxacher, Anfang 40, hat sich hier als Haubenkoch und Hotelier in Personalunion ein Refugium aufgebaut, das inzwischen weit über die Grenzen Tirols hinaus bekannt ist. Das Hotel mag insgesamt vielleicht nicht so herausragend wie das Restaurant sein, aber dies ist ein lediglich subjektives Empfinden meinerseits, da dies nur auf wenigen Eindrücken und nicht etwa auf einer Übernachtung basiert.
Bereits bei einem meiner Besuche 2016 im Landgasthof Adler in Rosenberg sprach mich die Gastgeberin Marie-Luise Bauer auf den „Rosengarten“ an und fragte, ob ich ihn kennen würde. Einige ihrer Gäste hätten nämlich behauptet, dies sei in kulinarischer Hinsicht die derzeit beste und aufregendste Adresse in ganz Österreich. Angesichts solcher Vorschusslorbeeren geriet das Adrenalin schon vor dem Besuch mächtig in Wallung – und die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden.
Das Restaurant selbst ist ziemlich puristisch mit viel Glas, edlen Materialien und Holz eingerichtet, bietet aber leider keine wirklich nennenswerte Aussicht. Die Tische selbst sind aus relativ grobem Holz, verzichten ganz auf ein Tischtuch und sind lediglich mit einer schicken Kerze und einem kleinen Blumengesteck dekoriert. Auch beim Service hat mancher elitäre Gast vielleicht andere Vorstellungen, da manche jungen Kellner in lässigen Jeans, Hemden und Turnschuhen unter der Leitung der charmanten Lebensgefährtin des Chefs für manchen Geschmack sicherlich fast schon zu locker agieren – andere Servicekräfte wiederum tragen Küchenbekleidung. Die Tatsache, dass das Wasser in einem Glas, das von der Optik her einem Zahnputzbecher nicht unähnlich sieht, ausgeschenkt wird, ist ein weiterer Aspekt, der zur wohldosierten Provokation in diesem Haus gehört. Alte Schule dagegen ist die Einstimmung: Champagner vom Feinsten sowie optional Austern, aber auch die alkoholfreien Einstimmungen können sich durchaus sehen lassen.
Moderne und zeitgemäße Küche sollte allerdings nicht generell vor Kontroversem zurückschrecken, da ohne Experimentierlust kein echter Fortschritt denkbar ist. Das zeigt bereits der beeindruckendste Reigen an Einstimmungen seit langem: da wird schon einmal ein Macaron aufgetischt, der anstelle von süßen Aromen mit Rindertatar und Paranuss gefüllt ist. Ein würziger Topinamburshot reiht sich nahtlos ein in die Parade von Perlhuhn und Haselnuss auf einem hauchdünnen Cracker, einem Meeresfrüchtesalat mit Litschi und einem Blattl mit Kraut. Höhepunkt des Schaulaufens ist die phantastische Gerstlsuppe mit Selchfleisch – was auf der Karte vielleicht ein wenig öde klingt, ist in der Umsetzung ein aufregender Appetizer mit großartigem und intensivem Geschmack. Mit dieser Visitenkarte gibt Taxacher gleich zu verstehen, dass das Niveau nicht langsam angehoben wird, sondern konstant anspruchsvoll bleiben soll. Wer seine Ansprüche bewusst so hoch schraubt, wird es schwer haben, den ganzen Abend mit einem siebengängigen Menü (keine Auswahl) zu überzeugen, sollte man meinen …
Die Gänseleber in Begleitung von Blutorange und Schwarzwurzel ist ungleich aufregender als die kryptische Beschreibung des Gerichts, die sich in der Karte quasi stets auf drei bis vier Komponenten reduzieren lässt, obwohl sich auf dem Teller nicht selten sieben oder acht weniger prominente Begleiter tummeln. Mit Verlaub: dies ist die spannendste Kreation mit Gänseleber seit Äonen: ummantelt in einer schwarz-weißen Hülle (vermutlich aus Sesam und Kokos) entfaltet das Gericht vor allem aufgrund der Zesten von der Blutorange eine spritzige Wirkung, die der Leber alles Schwere nimmt. Für alle Gerichte gilt bei Taxacher im Grunde genommen stets, dass man die vielen Komponenten kaum erfassen kann und das Handwerk dahinter – einem Zauberer nicht unähnlich – kaum entschlüsseln kann. Wie dem auch sei: das Ergebnis ist ganz großes Kino und besticht durch eine aufregende Aromenvielfalt, von der man in diesem Universum bislang nur selten etwas gehört hat. Phänomenal!
Haptik und Sensorik werden auch beim nächsten Gericht nicht minder beansprucht: Jakobsmuschel, Rosine und Kurkuma ist eine Kreation, die sich fast an den Tellerrand der „Petrischale“ schmiegt und schon optisch ungemein viel hermacht. Die Rosinen sind ein spannender Einfall im Kontext mit den (diesmal zahlenmäßig etwas reduzierten) Begleitern und verleihen dem Gericht eine originelle und leicht süßliche Note. Das Ergebnis ist hohe Kunst, auch wenn man schnell Gefahr läuft, den Faden zu verlieren, sollte man sich nicht ganz dem Gericht hingeben.
Weiter geht es mit Luma Schwein, Sellerie, fermentierten Schalotten und Périgord Trüffel. Der Trüffel, der selbstverständlich am Tisch von Hand in großzügiger Menge über das Gericht gerieben wird, verstärkt die Intensität der Sellerie-Soße noch ganz erheblich und droht fast, den Hauptdarsteller in den Hintergrund zu drängen. Der insgesamt herbe Geschmack verlangt dem Gast alles ab und gerät meines Erachtens nicht ganz so überzeugend wie die ersten beiden Gänge. Nichtsdestotrotz halte ich hier klar fest, dass Erneuerung nicht ohne Experimente auskommen kann und vielleicht genau dieses Gericht mit seinen erdigen Noten den Geschmack anderer wieder besser bedient als die vergleichsweise fruchtigen Einsteiger.
Mit Donauwaller, Puntarelle (auch als Spargelchicorée bezeichnet) und Bronzefenchel folgt ein Gang, der die Intensität rechtzeitig vor dem Hauptgericht ein wenig zurücknimmt, um danach noch einmal mit voller Wirkung zur Entfaltung zu kommen. Der perfekt gegarte Fisch ist von bestechender Qualität und braucht nicht viele Begleiter, um zur Geltung zu kommen. Der subtil eingesetzte Fenchel hält sich wohltuend zurück und überlässt dem Hauptdarsteller in dem gemüselastigen Gericht die Bühne für ein etwas weniger aufregendes, aber dennoch spannendes Gericht.
Mit Wagyu, Purple Curry und Topinambur nimmt das Menü wieder an Fahrt auf. Die begleitende Purple-Curry-Soße ist hochintensiv und begleitet das Fleisch auf bislang wenig ausgetretenen aromatischen Pfaden. Die Zubereitungsart des Fleisches konnte ich leider nicht näher definieren, obwohl ich schon öfters Wagyu vorgesetzt bekommen habe. Jedenfalls bediente diese Kreation recht herbe und etwas säuerliche Noten. Die Lust am Experimentieren führt zwischen mir und meiner Begleitung zu einer uneinheitlichen Bewertung: während ich den Mut zum Experiment und insbesondere die Tiefe der Soße lobte, meinte die Gegenpartei, diese wäre zu dominant gewesen und hätte nicht sonderlich gut zum Fleisch gepasst. Soviel vorweg: fruchtbare Diskussionen dieser Art kann man über dieses Lokal ständig und stundenlang führen. Wo sie aber andernorts ein Ärgernis darstellen, sind sie hier ein Teil der wohldosierten Provokation, ohne die die Avantgarde ohnehin niemals auskommen könnte.
Sehr viel konservativer gerät die Käseauswahl, die so ziemlich alles, was Rang und Namen in der Käsewelt hat, aufbieten kann. Der eigentliche Clou ist jedoch die liebenswürdige Kreation mit erwärmtem Kase, die á part gereicht wird und von Taxachers Tante (wenn ich mich nicht täusche) noch immer persönlich angefertigt und geliefert wird.
Ein phantastisches Pré-Dessert rund um vermeintlich sattsam bekannte und regelrecht ausgelutschte Komponenten wie Erdbeere und Rhabarber gerät bei Taxacher hingegen nirgends zur Routine, sondern zu einem virtuosen und übermütigen Spiel von Konsistenzen und Texturen, das jedoch stets den Geschmack in den Vordergrund stellt – absolut hinreißend, und das bei einem Pré-Dessert! Da kann das eigentliche Dessert fast nicht mehr besser werden!
Ob es tatsächlich noch besser wurde, sei dahingestellt – schlechter war es auf gar keinen Fall! Tiroler Renette mit brauner Butter und Miso war eine herrlich erfrischende und gelungene Komposition, die gemessen an einem Dessert unglaublich viele Nuancen und Facetten zu bieten hatte. Wenn es hier überhaupt etwas auszusetzen gab, dann war es lediglich die Tatsache, dass das sommerlich anmutende Dessert nicht sonderlich gut zur Jahreszeit passte. Wo andernorts das Dessert oft als lästige Pflicht empfunden wird und meistens nicht mehr allzu viel zu bieten hat, scheint man hier nochmals alle Register ziehen zu wollen. Dabei ist der Reigen mit den Ausklängen ja noch gar nicht aufgetragen …
Zum guten Schluss darf auch noch die Patisserie sämtliche Facetten ihres Könnens, die von konservativ bis provokant reichen, präsentieren. Zu den harmloseren Eingebungen gehören französischer Nougat, die exzellente Kakaopraline und ein Heidelbeer-Cupcake. Kontroverser wird es bei einem Orangen-Schoko-Macaron, salzigem Karamell und Quinoa-Bällchen, während die Avantgarde mit Trüffelmilchreis und Schaumkuss von Bergamotte und Eisenkraut zu ihrem Recht kommt.
So ein Feuerwerk muss fast zwangsläufig unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, doch wie auch immer das endgültige Urteil ausfällt: was Simon Taxacher hier auftischt, ist „State of the Art“, erfrischend kontrovers, individuell, immer auf den Punkt gebracht und von vorne bis hinten durchdacht. Die in der Österreich-Ausgabe vergebenen 19 Punkte im Gault&Millau sind absolut gerechtfertigt und hieven dieses Haus in die Elite-Liga der Alpenrepublik. Der Chef zeigte sich am Ende auch noch persönlich und war bei der Verabschiedung durchaus für die Eindrücke der Gäste offen und empfänglich. Der ganze Spaß hat natürlich seinen (nicht übertrieben hohen) Preis, doch selten bekommt man so viel Aufregendes und Anregendes gleichzeitig geboten!
Kurzum – so muss moderne und zeitgemäße Küche heutzutage sein: voller überbordender Ideen und Experimentierlust, bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet und stets darauf aus, den Gast zu fordern und ihm etwas zu bieten. Chapeau!