Kulinarisches Erdbeben in Süddeutschland

Die Corona-Pandemie hat die gehobene Gastro-Szene in München und Stuttgart, den beiden größten Metropolen des Südens, bis ins Mark erschüttert. Inzwischen haben hier in einem Maße Personalrochaden Einzug gehalten, die schon entfernt an die Zustände in der Fussball-Bundesliga erinnern. Um den Überblick nicht zu verlieren, habe ich mir gestattet, eine Zusammenfassung über den Status quo in den besten Restaurants dieser beiden Städte zu erstellen.

In Stuttgart haben gleich zwei Lokale seit dem ersten Lockdown im März 2020 nicht wieder geöffnet: zum einen handelt es sich dabei um die prestigeträchtige Zirbelstube, die damals unter Bernhard Diers zu einer Spitzenadresse heranreifte und seit vielen Jahren definitiv zu den renommiertesten Lokalen der Schwabenmetropole gezählt werden muss. Die Geschäftsführung des Althoff Schlossgartenhotels hat noch immer keinen Termin für die Wiedereröffnung benannt, so dass der aktuelle Chef Denis Feix weiterhin ein Koch im Wartestand ist. Man darf gespannt sein, wie lange sich dieser das noch bieten lässt …

Dasselbe trifft auch auf das Restaurant Olivo im Steigenberger-Hotel gegenüber dem Bahnhof zu. Obwohl Küchenchef Anton Gschwendtner binnen kürzester Zeit einen zweiten Michelin-Stern für das Lokal erkochte, ist das Lokal seit März 2020 geschlossen geblieben. Nachdem noch immer kein Termin für die Wiedereröffnung bekanntgegeben wurde und man den Chef quasi am langen Arm verhungern ließ, darf man sich hier nicht wundern, dass Anton Gschwendtner dem Lokal nun den Rücken kehrt und ab September ins Münchner Atelier wechselt. Selten dürfte (zumindest vorübergehend) ein Zwei-Sterne-Restaurant ein unrühmlicheres Ende genommen haben …

Auch das top air am Stuttgarter Flughafen, das schon viele Jahre lang vor dem aktuellen Chef Marco Akuzun einen Michelin-Stern verteidigen konnte, hat es erwischt. Hier zog man allerdings relativ früh die Notbremse und verkündete das Aus für dieses Lokal. Chefkoch Marco Akuzun wagt nun im oberschwäbischen Weingarten einen Neuanfang mit zwei seit August geöffneten Restaurants namens MARKOS – das Restaurant und Kostbar.

Zwei andere Lokale im Raum Stuttgart sind dagegen derzeit auf der Überholspur unterwegs: das jüngst von mir besuchte Goldberg in Fellbach, ein paar Kilometer östlich vom Zentrum, darf sich seit diesem Jahr mit zwei Sternen schmücken. Genau dahin scheint auch die Speisemeisterei in Stuttgart-Hohenheim mittelfristig hinzusteuern. Nach etlichen Jahren der Stagnation und der ständig drohenden Insolvenz scheint diese Institution wieder hohe Ziele anzustreben und an die besten Zeiten mit zwei Sternen unter Martin Öxle anzuknüpfen – lang ist’s her. Ein Besuch bei Chefkoch Stefan Gschwendtner ist fest eingeplant …

 

Im Vergleich zu München sind die Änderungen in der Schwabenmetropole allerdings fast schon als geringfügig zu bezeichnen. Seit einigen Monaten hat in der bayerischen Hauptstadt eine Dynamik Einzug gehalten, die man sonst eigentlich nur von Berlin her kannte.

Fangen wir mit dem Fels in der Brandung an: das EssZimmer in der BMW-Welt kann sich das rege Treiben vom Norden der Stadt aus in aller Ruhe anschauen. Bobby Bräuer hat das Lokal längst bombenfest in der Zwei-Sterne-Liga etabliert und steuert momentan in ruhigen Gewässern.

Christoph Kunz ist noch nicht so lange im Alois tätig, hat aber auch schon Beachtliches erreicht. Das Zwei-Sterne-Lokal im Feinkostgeschäft Dallmayr hat ein neues, aufgefrischtes Profil bekommen und kann einigermaßen gelassen in die Zukunft sehen.

Das war es dann aber so ziemlich mit der Ruhe. Die größte Bombe ist vor einigen Tagen geplatzt: Drei-Sterne-Koch Jan Hartwig verkündete nach sieben Jahren seinen Abschied vom Atelier und möchte sich nun in München selbständig machen. Er tritt quasi in die Fußstapfen des großen Eckart Witzigmann, der 1978 ebenfalls nach sieben Jahren dem Tantris den Rücken kehrte und sein eigenes legendäres Restaurant Aubergine am Maximiliansplatz eröffnete. Wie oben erwähnt, hat die stets umtriebige und gut vernetzte Patronin Innegrit Volkhardt bereits mit Anton Gschwendtner vom Stuttgarter Olivo einen Nachfolger verpflichtet, der übrigens an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt. Von 2006 bis 2014 war er hier bereits Souschef gewesen.

Das nur einen Steinwurf entfernte und zweifach besternte Les Deux musste ebenfalls den Abgang des Chefkochs Edip Sigl verkraften, der in Grassau im Chiemgau anheuerte und dort ein neues Restaurant namens ES:SENZ eröffnete. Eine Doppelspitze hat hier übernommen: Nathalie Leblond, Souschefin von Jan Hartwig im Atelier, und Gregor Goncharov, der bisherige Souschef des Hauses. Man darf also gespannt sein, ob das bisherige Niveau und die zwei Sterne gehalten werden können. Jedenfalls ist Gastgeber Fabrice Kieffer eine der größten Trumpfkarten des Hauses, das pfiffig-leichte Küche im Bistro-Stil serviert.

Das vielleicht renommierteste und bekannteste aller Lokale in München, das Tantris, legt einen großen Umbruch hin. Nach 29 Jahren verabschiedete sich Chefkoch Hans Haas in den wohlverdienten Ruhestand, der wegen der Pandemie leider heimlich, still und leise vollzogen werden musste. Nach einer aufwendigen Sanierung soll das Lokal im Herbst mit einem neuen Konzept pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum des Hauses wiedereröffnen. Neben der Tantris Bar wird es nun zwei Lokale unter einem Dach geben: das Tantris wird von Benjamin Chmura, der zuletzt drei Jahre lang im französischen Dreisterner Troisgros geschult wurde, in die Zukunft geführt werden. Des weiteren wird es ein zweites Restaurant namens Tantris DNA geben, in dem all die Gerichte, die die Geschichte des Hauses maßgeblich geprägt haben, serviert werden. Verantwortlich dafür ist die junge französische Köchin Virginie Protat, die gemeinsam mit Monsieur Chmura ausgebildet wurde. Außerdem holte man als Executive Chef mit Matthias Hahn einen weiteren erfahrenen Koch. Das klingt alles ziemlich verlockend …

Bereits im Juni 2020 wurde das Ende des Werneckhofs verkündet – ein bedauerlicher Umstand, da Chefkoch Tohru Nakamura meines Erachtens auf dem besten Wege zu drei Sternen war. Etwas überraschend wird nun ein Jahr später Sigrid Schelling, die 14 Jahre lang die rechte Hand von Hans Haas im Tantris war, das Lokal übernehmen. Es hat bereits seit einigen Tagen geöffnet. Auch davon verspreche ich mir einiges.

Tohru Nakamura selbst eröffnete letztes Jahr in unmittelbarer Nähe zum Marienplatz ein Pop-up namens SALON Rouge, dessen Zukunft derzeit ungeklärt ist. Das ursprünglich für sechs Monate konzipierte Lokal konnte wegen des zweiten Lockdowns nur erheblich kürzer öffnen. Derzeit betreibt Herr Nakamura ein Pop-up-Restaurant im Werkviertel, strebt aber wohl eine dauerhafte Etablierung des SALON Rouge an alter Stätte neben dem Marienplatz an. Man darf gespannt sein, ob es klappt!

Der seit 2019 abgerissene Königshof wird derzeit an derselben Stelle wieder neu aufgebaut. Der frühere Chefkoch Martin Fauster wird dann nicht mehr zur Verfügung stehen, denn dieser eröffnet demnächst in Freiburg im Breisgau ein Restaurant namens Morillon. Dass Herr Fauster nichts von seinem Metier verlernt hat, bewies er jüngst mit seinem Beitrag im Salzburger Ikarus, als er zwei Gerichte zum Jubiläumsmenü für Eckart Witzigmann beisteuerte.

Der Fall des Alfons Schuhbeck schließlich, der selbstredend nicht zu den allerbesten Köchen Münchens gehört, wird derzeit heiß in den Medien gehandelt. Ausstehende Corona-Hilfen und die damit verbundene Beantragung der Insolvenz auf der einen Seite, Ermittlungen wegen fehlender Finanzberichte andererseits – ein gefundenes Fressen für die Regenbogenpresse, das mich allerdings als Gourmet nur am Rande tangiert. Sein Lokal am Platzl, die Südtiroler Stuben, muss man jedenfalls nicht zwingend besucht haben.

Schauen wir mal, welche überraschenden Konsequenzen die Pandemie noch für die Gastro-Szene bereit hält …