Döllerers Genießerrestaurant, Golling an der Salzach (UPDATE)

„Gespannte Erwartung wird selten befriedigt.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

UPDATE (August 2021)

Der überragende Besuch hier vom letzten Jahr (siehe unten) war mir noch in lebhafter und bester Erinnerung, so dass die Hoffnung auf eine erneute Sternstunde schon vor Beginn des Abends tüchtig genährt wurde. Doch auch wenn der Besuch im Salzburger Ikarus zwei Tage darauf den Hauptgrund für die Wochenendreise ins Salzburger Land darstellte, so gab es doch keinen ernsthaften Grund, davon auszugehen, dass der erneute Besuch in Golling nicht gut gelingen würde. Das einzig echte Manko, das sich schon frühzeitig angedeutet hatte, war die unterirdische Wetterlage, die wegen des Dauerregens prompt zu den verheerenden Überschwemmungen in Berchtesgaden und Hallein führen sollte. Durch beide Orte waren wir tags zuvor noch durchgefahren – und wenn man dann die Wucht der Fluten sieht, dann wird einem schon anders zumute.

Auch im 15 Kilometer von Hallein entfernten und südlich von Salzburg gelegenen Golling hat der Himmel seine Schleusen dauerhaft geöffnet: überflutete Felder, gesperrte Straßen und vollgelaufene Gullys, wohin man schaut. Unter diesen Vorzeichen ist an touristische Aktivitäten nicht zu denken, so dass der Aufenthalt im hauseigenen Hotel dazu führt, dass wir uns mit allen Einrichtungen des Hauses vertraut machen können. Dazu später noch etwas mehr.

Andreas Döllerer hat hier seine Cuisine Alpine inzwischen auf ein Niveau geschraubt, das Gäste von weiter her anlockt und ihn in den kleinen, illustren Kreis der besten Restaurants der Alpenrepublik gehievt hat. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie durchdacht und stimmig die Kreationen vom letzten Jahr wirkten bei all der Beschränkung auf mehr oder weniger heimische Zutaten in bester Qualität. Teils werden die verwendeten Kräuter und Beeren vom Chef höchstpersönlich handgepflückt und eingesammelt – einen sehr individuellen Küchenstil nennt dieser große Koch somit seit langer Zeit schon sein Eigen. In den besten Momenten zelebriert Andreas Döllerer eine vergleichsweise rustikale Hochküche, die allerdings mit einem Weltklasse-Anspruch auftritt und diesem auch immer wieder gerecht wird. Vor diesem Hintergrund sollte einem gelungenen Abend nichts im Wege stehen.

Der Abend im eleganten Genießer-Restaurant beginnt an einem geräumigen Tisch, wo wir sogleich nach einem Apéritif gefragt werden. Zu einem herben Cocktail mit Waldmeister und Erdbeermark serviert man sechs Einstimmungen, die höchst aufwendig inszeniert werden. Auf einem hölzernen Brett in Form des Bundeslandes Salzburg befinden sich bewegliche Puzzleteile, die die verschiedenen Gaue des Landes Salzburg darstellen. Lediglich der kleinste unter ihnen, die Stadt Salzburg selbst, wurde quasi ausgelagert und wegen seiner geringen Fläche stark vergrößert als Extrateil präsentiert. Auf jedem Teil befindet sich nun ein stilisiertes Amuse, das für den jeweiligen Gau besonders typisch ist.

Es sind dies:
1) Molke, Apfel, Karotte und Camelina-Öl (Pongau, hinten)
2) Radieschen auf Kressebutter (Lungau, links davor)
3) Tartelette mit junge Erbsen, Minze und Bierfleisch (Salzburg, ganz rechts)
4) Kohlrabi, Enzianwurzelöl und Tomate (Flachgau. vorne links)
5) Bluntauforelle, Räuchermayonnaise und Paprika (Tennengau, vorne rechts)
6) Staudensellerie, Gewürzkäse und Fichtenöl (Pinzgau, ganz vorne)

Diese raffinierten Einstiege zeigen die Bandbreite der Küche schon einmal in beeindruckender Weise auf, selbst wenn nicht jede dieser Eingebungen gleich gut funktionierte. Als besonders gelungen empfanden wir die herzhaft gewürzte Forelle, während beispielsweise die Radieschen nicht so außergewöhnlich gerieten – dennoch ein fraglos gelungener Start.

Wir entscheiden uns danach für das 7-gängige Menü „Göllüberquerung“ zu € 189, was sicherlich trotz der Erhöhung gegenüber dem Vorjahr immer noch einen anständigen Preis auf diesem Niveau darstellt. Neben einem zweiten Menü namens „Oberjoch“, das lediglich eine Verknappung des anderen Menüs auf fünf Gänge darstellt, gibt es noch ein paar Gerichte à la carte, die wir allerdings ignorieren. Die alkoholfreie, ausgesprochen gut gelungene Getränkebegleitung überzeugte mich letztes Ma(h)l dagegen so sehr, dass diese Bestellung außer Frage steht.

Zum ersten Gang namens „Salat“ kommt ein Romanasalat auf den Teller, der an einigen Blättern mit Almrosenhonig und getrockneten Mairitterlingen mariniert wurde. Daneben befindet sich zudem eine Art Dip von Tomatenwasser, Hollerblütenessig und Kapern. Gerade die Kapern werten den Dip auf unerwartet spannende Weise auf, doch sind die marinierten Blätter und der Dip erst einmal verzehrt, tritt schnell die große Langeweile ein. So empfinde ich diesen Salatkopf auf Dauer als plumpen Sattmacher, bei dem die Hälfte allemal gereicht hätte. Zwar ist die allmähliche Aufnahme von lange Zeit verpönten Salatgerichten in die Hochküche durchaus begrüßenswert, doch mit dem genialen Kopfsalat-Gericht vom letzten Jahr (siehe unten) konnte dieser Beitrag nicht im entferntesten mithalten. Wenigstens ist der gelbe Muskateller aus dem Hause Flein in Österreich ein passender Begleiter.

Auch der zweite Gang, „Kaviar von Walter Grüll“, vermag mich überhaupt nicht vom Hocker zu reißen. Über Holzkohle gegrillter Lauch und fermentierter Lauchsaft stehen eigentlich im Mittelpunkt des Gerichts. Doch wie man es auch dreht und wendet: der penetrante und durch das Grillen noch in seiner Wirkung verstärkte bittere Lauch kleistert sowohl die Erdäpfel als auch den Sellerie-Maggi einfach zu. Der qualitativ keineswegs herausragende Kaviar mit seinen jodigen Aromen trägt nichts Wesentliches zu diesem ausgesprochen herben Gang bei, während die elegante Nussbuttercrème schließlich partout nicht zu diesem rustikalen Gang passen will. Das einzig Positive, das ich diesem konfusen Gang abgewinnen kann, ist die Vielfalt bei den Konsistenzen, doch auch diese vermögen nichts mehr herauszureißen – ein seltsamer Gang. Da erscheint es fast schon symptomatisch, dass der ausgezeichnete rote Apfelsaft aus dem Hause Kohl vollkommen unnötigerweise noch mit Ginger Beer vermischt werden musste.

Angesichts der doch etwas irritierenden Darbietung bisher freut man sich über Bewährtes: an dieser Stelle streut die Küche das herausragende Roggenbrot mit Fenchel, Anis und Kümmel ein. Begleitet wird dieses durch Salzbutter, Erdäpfel und exzellenten Hirschschinken. Da ich im letzten Jahr kein Foto von diesem Intermezzo gemacht hatte, reiche ich das nun hiermit nach. Der Sparkling Tea „Lyserød“ aus Kopenhagen ist dagegen ein gewöhnungsbedürftiger Begleiter.

Das Menü wird fortgesetzt mit einem weitaus gefälligeren Gericht als die beiden Einstiege: „Alpin-Ramen“ besteht aus sous vide gegarter Hendlhaxe in Suppe mit Dinkelnudeln. Als Einlage dienen Rippe vom Duroc-Schwein, zwei Tage lang gebeiztes Ei, Kohl, Mangold und (für meine Begriffe entbehrliche) Tannenwipfel. In Summe ist dieses deftige Wohlfühlgericht weitaus besser als so manches andere an diesem Abend bisher geraten, aber ein außergewöhnlich kunstvolles Handwerk kann ich hier leider auch nicht ausmachen, so dass der Funke nicht recht überspringen will. Unterm Strich somit ein durchschnittlicher Gang, der unsere Laune allmählich ein wenig aufhellt. Als Begleiter kommt ein mit Enzian und Yuzu „aufgewerteter“ Darjeeling ins Glas – wieder ein recht experimenteller Einfall.

Das Bewährte – nämlich der Broteinschub – hat an diesem verwirrenden Abend bislang die stärksten Eindrücke hinterlassen, so dass der nächste Gang, der mir noch vom Vorjahr bekannt vorkommt, sich als sichere Bank erweist: „Zackelschaf BBQ“ mit Fencheljoghurt, jungen Erbsen und Roggenfocaccia bringt die Qualitäten von Lammschopf und Schulter in vorzüglicher BBQ-Marinade bestens zur Geltung. Was im letzten Jahr so gut funktionierte, klappt zum Glück auch heuer wieder prächtig: die kraftvollen Barbecue-Aromen korrespondieren prächtig mit den herb-würzigen Fenchelnoten und zeigen wieder einmal mehr, dass die Stärken von Andreas Döllerers Küche bei markanten und direkt in Szene gesetzten Aromen oftmals am besten zum Tragen kommen. Der alkoholfreie Radler dazu steuert mit seinem ausgeprägten Malzgeschmack weitere Power bei.

Der nächste Gang verdeutlicht auf besondere Weise, woran die Menüfolge dieses Abends immer wieder zu kranken scheint: „Gletscherrübe“ bedeutet, dass Goldrübe im Gletscherschliff gebacken und glaciert wird. Bei dieser Zubereitung wird die Rübe in einer Hülle aus dem Gestein am Ende von Gletschern ummantelt und soll so die mineralische Frische annehmen, die sie aufwertet. Das tut die Rübe auch – allerdings um den Preis, dass dem eigentlichen Hauptdarsteller des Ganges, Bluntausaibling, nur eine Statistenrolle bleibt. Da hilft auch kein Abflämmen oder Beizen in Tomaten, zumal Chioggiarüben, Fichtenwipfel und Physalis meinen, das Gericht noch unbedingt weiter aufwerten zu müssen und es dabei doch nur überfrachten. Mit der Beigabe eines Tomatenfonds ist der Reigen rund um fruchtige und vegetabile Aromen auf hochkomplexe Weise komplettiert, aber wie soll sich das zarte Fischlein bloß all dieser Komponenten erwehren? Mit anderen Worten: bei praktisch jedem Gang ist der enorme Arbeitsaufwand ersichtlich, aber der resultierende Geschmack zahlt es nicht mit Dividenden zurück. Leider kann ich nicht verhehlen, dass auch der PriSecco Nr. 8 von Jörg Geiger (Stachelbeere, unreifer Apfel und Douglasie) ziemlich abgestanden war.

Der Hauptgang, „Rauriser Reh“, wird in zwei Varianten interpretiert: das konventionelle Ossobuco mit Schupfnudeln, Artischocken und Oliven in einem kleinen Schälchen ist schlichtweg mustergültig. Das Fleisch ist herrlich mürb, aromensatt und bestens in Einklang mit den Begleitern gebracht; außerdem ist die straffe Jus ein konventioneller, aber über jeden Zweifel erhabener Begleiter.

Der zweite, wesentlich größere Teller hingegen wirft einige Fragen auf: warum muss der traumhaft sicher zubereitete und zarte Rehrücken wieder um jeden Preis mit artfremden Begleitern wie Sellerie und vor allem weißen Erdbeeren begleitet werden? Anstatt ganz puristisch den Fokus auf den für sich sprechenden Hauptdarsteller zu richten, wird hier in einer krampfhaft originellen Weise versucht, einem superben Produkt noch eine völlig ungewöhnliche, aber leider auch komplett überflüssige Facette angedeihen zu lassen. Es hätte nicht viel gefehlt, dass ich diese Komponenten demonstrativ beim Verzehr auf dem Teller gelassen hätte …
Als Begleiter veredelt der Service einen roten Traubensaft mit Verjus und Rosmarin – ein ordentlicher, aber keineswegs überragender Begleiter.

Man muss das aus unserer Sicht leider so deutlich sagen, dass unter den bisher unbekannten Gerichten dieses Tages das Dessert mit Abstand am besten abschneiden sollte. „Himbeer und Sauerampfer“ verdient seinen Namen absolut zurecht, denn außer durch Latschenmeringue bezieht dieser auf zwei Komponenten reduzierte Gang seinen Reiz aus der Vielzahl an stimmigen Konsistenzen und Temperaturen: Eis, Espuma, marinierte Frucht. Zwar werden die geeisten Sauerampferperlen in einer kleinen Showeinlage am Platz aufgetragen (so dass sie zum Teil auf dem Foto immer noch dampfen), doch der Geschmack hätte dies zum Glück gar nicht nötig gehabt. Eine exakt ausbalancierte Harmonie zwischen Süße und Säure, Fruchtigkeit und Herbheit sowie Bissfestigkeit und Weichheit machen aus diesem inspirierten Gang ganz klar den gelungensten Beitrag des Abends.

Bei den Ausklängen setzt man auf „süßes, altes Österreich“ und verzichtet damit – glücklicherweise, wie man an diesem Tag festhalten musste – auf alles Experimentelle. Stattdessen besinnt sich die Küche nochmals auf ihre Stärken und schafft einen versöhnlichen Abschluss mit ganz ausgezeichneten, klassischen Beiträgen. Dies wären im Einzelnen: Mozartkugelpraline (ganz hinten), Linzer Torte mit Obers (links davor), Blattlkrapfen mit Marmeladenfüllung (rechts daneben), Esterházyschnitte (davor) und schließlich geeister Topfenknödel (ganz vorne), der Höhepunkt unter den Ausklängen.

Vorweg die ernüchterndste Erkenntnis dieses Tages: nach der fulminanten Darbietung im vergangenen Jahr hätte ich eine so enttäuschende Abfolge nicht für möglich gehalten. Dass Andreas Döllerer absolut außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt, hat er ja im letzten Jahr eindrücklich bewiesen. Hatte ich also Glück gehabt und wurde damals Zeuge einer zufälligen Sternstunde? Wohl kaum, denn eher verhielt es sich diesmal so, dass diese Menüfolge mich nicht aus der Reserve zu locken vermochte. Das Irritierendste an der diesjährigen Darbietung war die Erkenntnis, dass der Geschmack den horrenden Aufwand nicht wirklich lohnte und die Mehrzahl der Teller tendenziell überfrachtet wirkte. Außerdem versuchte man mehr als nur einmal, auf gewaltsame Weise allein schon problematisch klingende Kombinationen unter einen Hut zu bringen. Experimente tragen naturgemäß den potentiellen Samen des Scheiterns in sich, doch sollten sie zur Abwechslung wenigstens mal hin und wieder gelingen – etwas, das heuer zu selten der Fall war. Dass die Küche einen schwachen Tag erwischt hatte, halte ich für wenig plausibel, da es diesmal nicht am Handwerk an sich lag, sondern daran, dass den Chef sein sonst sicheres und untrügliches Gefühl für spannungsgeladene, aber homogene Kreationen ernsthaft im Stich ließ: von den gezeigten Darbietungen wären meines Erachtens einige schnell wieder zu verwerfen.

Auch der Service lieferte diesmal eine weit unterdurchschnittliche Leistung ab: dabei rede ich hier nicht von der Tatsache, dass die Begleitung durch den Abend eher sachlich als persönlich geriet. Dennoch darf ich daran erinnern, dass genau der herzliche Service beim letzten Mal maßgeblich zu einem so gegenteiligen Eindruck führte. Weit schwerer wiegt die Tatsache, dass die Brigade insgesamt schlecht eingespielt wirkte – ein Umstand, den man auf den Lockdown schieben könnte, doch letztes Jahr funktionierte es bei ganz ähnlichen Vorzeichen dennoch prächtig. So oder so darf vergessenes und erst bei auf dem Platz stehenden Teller nachgereichtes Besteck auf diesem Niveau einfach nicht passieren (zumal in Österreich ja ganz dezidiert immer das Gedeck noch extra berechnet wird). Gleiches gilt für die Getränke, als dies im Laufe des Abends gar bei zwei Gelegenheiten nachgeholt werden musste; der abgestandene PriSecco passte da leider ebenfalls ins Bild, obwohl sich die Qualität der Getränkebegleitung ohnehin nicht auf dem Niveau des Vorjahres bewegte. Alles in allem wirkte die Betreuung den Abend hindurch leider sehr fahrig und wenig souverän. Maître Alexander Koblinger war an diesem Abend wohl nicht zugegen – und sein Fehlen machte sich an allen Ecken und Enden bemerkbar.

Nach all den Beanstandungen und eher spärlichen positiven Eindrücken sei zur Ehrenrettung des Hauses dennoch etwas Positives angeführt: aufgrund der Wetterlage hatten wir nicht nur die Gelegenheit, den kleinen Spa-Bereich des Hauses und die etwas außerhalb vom Ort befindliche, qualitativ hochwertige Vinothek kennenzulernen, sondern kehrten am Abend danach ins Wirtshaus ein, das quasi das Zweitrestaurant des Etablissements darstellt. Hier funktionierte der Service wie ein Schweizer Uhrwerk, und außerdem waren die dargebotenen Speisen für Wirtshausniveau als geradezu phänomenal zu bezeichnen. Neben einer sehr günstigen und verblüffend guten Rinderconsommé mit dreierlei hochwertigen Einlagen aus der hauseigenen Metzgerei blieben insbesondere der Hauptgang und das Dessert im Gedächtnis haften: gebackenes Milchkalbsbries mit Erdäpfel-Vogerlsalat und Sauce Tartare war so herausragend, dass man diesen Teller auch ohne Weiteres im Genießerrestaurant hätte auftragen können. Die Krönung des Abends war jedoch der phantastische, karamellisierte Kaiserschmarrn mit Brombeermarmelade und dem so ziemlich denkwürdigsten Vanilleeis, das mir jemals untergekommen ist. All das gab es zusammen für unter 60 Euro pro Kopf, so dass wir am Ende des zweiten Abends schon weitaus versöhnlicher gestimmt den Weg nach Salzburg am nächsten Morgen antreten sollten.

Meine Bewertung bezieht sich dennoch ausschließlich auf den Besuch im Genießer-Restaurant, der leider mit einer nicht zu übersehenden Ernüchterung endete – ein Eindruck, der sich auch meiner Begleitung aufdrängte und somit nicht allein auf meinem eigenen subjektiven Empfinden beruhte. Essen wenig berauschend, Service weit unterdurchschnittlich – leider muss man festhalten, dass ein massiver Abzug gegenüber dem Vorjahr unterm Strich steht.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Döllerers Genießerrestaurant
Markt 56
5440 Golling an der Salzach (Österreich)
Tel.: 0043/6244/42200
www.doellerer.at

Gault&Millau Österreich 2021: 18,5 Punkte
Falstaff 2021: 98 Punkte
A la carte (Österreich): 99 Punkte

7-gängiges Menü: € 189

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„Auf dieser Wanderung durch die Salzburger Alpen brauchen Sie kein festes Schuhwerk, sondern Messer, Töpfe und Pfannen sowie einen Rucksack voller Liebe zum Kochen.“ (Andreas Döllerer)

Juli 2020

Der Komponist Arnold Schönberg bemerkte einmal, dass wer wissen wolle, wie Europa vor fünfzig Jahren aussah, der müsse sich nach Wien begeben. Doch auch wenn dieses Zitat bereits mehr als hundert Jahre alt ist, so würden vermutlich immer noch etliche Deutsche unserem Nachbarland eine überwiegend konservative Denkweise bescheinigen. Für die Haute Cuisinie in Österreich jedenfalls trifft dies hingegen in weiten Teilen überhaupt nicht zu, denn neue Konzepte und frischer Wind haben hier inzwischen in einem Maße Einzug gehalten, dass gehobenes Dinieren zu einer wahren Wonne werden kann. Eine der profiliertesten und zeitgemäßesten Küchen des Landes, das Genießerrestaurant von Andreas Döllerer, findet man im (kulinarisch privilegierten) Bundesland Salzburg.

Der kleine Ort Golling, knappe dreißig Autominuten südlich der Stadt Salzburg, liegt malerisch im Tal der Salzach und beherbergt eines der fraglos besten Restaurants der Alpenrepublik. Seit Andreas Döllerer hier den Kochlöffel schwingt, wurde das vormals ohnehin schon sehr gute Etablissement nochmals auf eine neue Qualitätsstufe gehievt. Im 111. Jahr seines Bestehens hat sich dieser Vorzeige-Familienbetrieb inzwischen eine Reputation erarbeitet, die weit über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus nachhallt. Von außen mutet das im Ortskern gelegene, alpin gestaltete Haus nicht sehr spektakulär an, doch schon bald nach dem Betreten ändert sich das.

Zu dem beachtlichen Genussimperium, das sich die Familie im Laufe der Jahrzehnte aufgebaut hat, gehört ein gehobenes Zweitrestaurant, ein Feinkostladen, ein Hotel sowie ein Weinhandel vor den Toren der Stadt. Ein Geheimtipp ist das Lokal somit schon längst nicht mehr, doch was der Koch, der einst bei Großmeister Dieter Müller ausgebildet wurde, inzwischen für ein Niveau erreicht hat, lässt durchaus aufhorchen. Die Profi-Guides sind sich außerdem einig und bewerten das Restaurant praktisch durchweg mindestens mit der zweithöchsten möglichen Note, wodurch es zu den besten zehn lokalen Österreichs zählt. Andreas Döllerers Cuisine Alpine lässt zudem auf eine höchst individuelle Handschrift schließen, die dem Vernehmen nach inzwischen hart an der Perfektion kratzt – jede Menge Vorschusslorbeeren also, die meine hohe Erwartungshaltung noch weiter steigern. Ich bin gespannt wie ein Flitzbogen …

Nach dem herzlichen Empfang durch den Chef selbst (der sich auch die persönliche Verabschiedung nicht nehmen lässt) geleitet man mich durch einen crèmefarbenen und eher dezent illuminierten, aber durchaus stylishen Raum zu meinem Tisch, der in großzügigem Abstand zu den anderen Tischen steht und außerdem mit einer sehr bequemen Sitzbank punktet. Durch die offene große Terrassentür (leider ohne Aussicht) weht zudem eine wohltuende, leichte Brise an diesem recht warmen Abend. Die Rahmenbedingungen für einen gelungenen und zeitgemäßen Abend stimmen also schon mal.

Die Speisekarte, die nach dem Aperitif in Form einer erfrischenden Apfel-Zitrus-Pfeffer-Limonade gereicht wird, wirkt sehr ansprechend. Auf einer faltbaren, im alten Stil gestalteten Landkarte der Region (zum Mitnehmen) sind Papiere befestigt, die die Amuses, das Menü, die einheimischen Bäume und die Aromen ihrer Früchte sowie die Ausklänge näher erläutern. Das große siebengängige Menü, „Göllüberquerung“ in Anlehnung an einen nahen Gipfel genannt, wird recht günstig für dieses Niveau zum Preis von € 179 angeboten. Angesichts der gewissen Entfernung von der Heimat fällt meine Wahl schnell auf das volle Programm, wobei ich mir auch die verlockende alkoholfreie Getränkebegleitung zu € 34 gönne – eine superbe Idee, wie sich später noch herausstellen sollte.

Die Philosophie des Hauses soll durch die Amuses zu Beginn verdeutlicht werden, indem sieben einheimische Bäume bzw. Sträucher Aromen beitragen. Vorne links im Foto eine Molke mit Sellerie, Melisse und Fichtenessenz, rechts daneben Schüttelbrot mit einer Frischkäsecrème und Holunderblüten. Ganz vorne rechts befindet sich ein Törtchen mit Apfel, Hendlleber und Tannennadelstaub, während weiter hinten rechts ein Röllchen aus Rettich etwas Pulled Pork und Salzzitrone beinhaltet. Zu dem Radieschen (auf Eis) in der Mitte gehört die leicht süßliche Lärchenwipfel-Schottencrème als Dip, während ganz hinten auf dem Stein gegrillte Bluntauforelle mit Schwarzbeere und Bergwacholderpesto obenauf thront. Zwischen den dekorativen Kieselsteinen versteckt sich außerdem noch bayrische Garnele mit Zirben-Ingweröl und Zirbenaioli. Um die Details etwas besser erkennen zu können, habe ich das untenstehende Foto größer als sonst abgebildet, doch am generellen Eindruck ändert dies natürlich ohnehin nichts. Mit großem Aufwand (und mehr Show als später im Menü) wird die Neuartigkeit dieser Küche entsprechend inszeniert – und das Ergebnis kann sich auch geschmacklich weitgehend sehen lassen. Ich gestehe, dass ich nach dem Verzehr noch leichte Restzweifel an der Menüfolge hatte, weil mir nicht alles in gleichem Maße zusagte und eine Annäherung an diese Küche beim allerersten Mal nicht sofort gelingen mag. Alle diese Petitessen waren von einer klaren Idee durchdrungen und bis ins letzte Detail durchdacht, aber das Schüttelbrot blieb aromatisch zurückhaltend und die Molke erwartungsgemäß eher säuerlich. Ganz ausgezeichnet dagegen die regelrecht süchtig machende Schottencrème, das herzhafte Pulled Pork im Rettichmantel sowie die gegrillte Forelle. Meine Befürchtung war, dass der Geschmack möglicherweise manchmal zugunsten des Intellekts geopfert werden könnte, doch die weitere Menüfolge räumte meine Bedenken schnell und höchst überzeugend aus. Wenn es an diesem Abend überhaupt etwas auszusetzen gab, dann noch am ehesten bei diesem Einstieg, der sofort alle Geschmacksknospen bis zum Äußersten beanspruchte. Dennoch eine starke Visitenkarte, die allenfalls noch ein wenig Feintuning vertragen könnte.

Nach diesem ausladenden Einstieg starte ich ins Menü mit mariniertem Bluntausaibling, Apfel-Zitronenverbenesaft und Kapuzinerkresse – ein wahrlich aufregender Einstieg, denn in erster Linie sind es Blätter, Blüten und Wurzeln der Kresse, mit denen das außergewöhnliche Gericht drapiert ist. Die säuerlichen Verbene-Crèmetupfen harmonieren prächtig mit den vegetabilen Aromen der Kresse, doch der eigentliche Clou ist der unglaublich facettenreiche Sud aus dem reduzierten Saft, der übrigens in purer Form (aus dem Hause Kohl) ins Glas eingeschenkt wird. Exquisite Frische, eine sorgsam ausgelotete Balance und die sehr variable Säure lassen dieses Gericht weit aus der Masse herausragen. Das alles schmeckt in Summe federleicht und schlichtweg grandios, doch durch die Verbindung von Getränk und Gericht werde ich erst gewahr, wie ausgeklügelt und raffiniert umgesetzt diese Ouverture gerät. Ganz stark und sehr beeindruckend!

Zugegebenermaßen klingt Tomaten und Häuptelsalat (Kopfsalat) und Kaviar von Walter Grüll nicht sehr aufregend, wenn man einmal davon absieht, dass der Kaviar eventuell ein durchschnittliches Gericht etwas aufwerten soll – es wäre nicht das erste Mal, dass ich einem solch alibihaften Prozedere begegnen würde. Doch das hat dieser Gang, wie ich schnell merke, weiß Gott nicht nötig: schon das Tomatengelée, das als Basis dient, ist perfekt abgeschmeckt und changierend im Geschmack. Die verschiedenen anderen Texturen der Tomate (Mark, Pulpa, Crème) punkten nicht nur mit unterschiedlichen Konsistenzen, sondern auch Temperaturen. Die straffe Säure des Gerichts wird durch die herbe Salatcrème und die jodigen Kaviararomen schön abgefedert, was aber an der grandiosen Intensität des Gerichts nichts ändert, zumal ein fast schon geeister Rote-Bete-Saft (mit Apfel und Enzian verfeinert) mit enorm viel Körper ins Glas eingeschenkt wird. Ferran Adrià, der Pate der molekularen Küche, sagte einmal, „dass man ein ganzes Leben bräuchte, nur um sich mit Tomaten auszukennen“. Nun, Andreas Döllerer hat entweder genau dies getan oder spielend leicht den katalanischen Starkoch widerlegt. Tatsache ist, dass dieser Gang für mich auf einer Stufe mit der denkwürdigen Tomatenkreation aus dem Hertog Jan im August 2018 steht. Phänomenal gut!

Für zwischendurch (leider ohne Foto) streut die Küche ein Roggenbrot mit Fenchel, Anis und Kümmel ein, das bei der Dame am Nebentisch ob des Kümmels für Naserümpfen sorgt. Ich muss unweigerlich schmunzeln, denn diese Geste hätte ohne weiteres auch einer mir nahestehenden Person entweichen können. Doch Brot ist hier nicht einfach nur Brot: nicht genug damit, dass eine mehrfach ausgezeichnete ortsansässige Bäckerei das Brot für dieses Lokal nach den Vorgaben der Döllerer-Küche backt, nein, es wird auch noch im Verbund mit Leindotteröl, Salzbutter (soweit noch Routine!), drei kleinen gekochten Erdäpfeln und großartigem Hirschschinken serviert. Da ich den außerordentlich gehaltvollen Laib Brot sicherheitshalber nicht ganz verzehre, um keine vorzeitige Sättigung zu erreichen, packt man mir kurzerhand den Rest auch noch ein – eine aufmerksame Geste, zumal Nachhaltigkeit hier groß geschrieben wird und das Wegwerfen von Lebensmitteln die Ultima Ratio zu sein scheint.

Man glaubt es kaum, aber der nächste Gang übetrifft den Vorgänger meines Erachtens nochmals: Zackelschaf BBQ mit Roggenfocaccia, jungen Erbsen und Fencheljoghurt vereint alles in sich, was man von einem superben Gericht nur verlangen kann. Die im Grunde genommen simplen Zutaten werden in eine feinsinnige Balance gebracht (bei der die Erbsen zur Abwechslung einmal nicht den Rest zukleistern!) und aromatisch dicht auf engstem Raum komprimiert. Der Dillschaum, auf dem die Komposition ruht, ist ein zugleich komplexer und komplementärer Begleiter, der mit entwaffnender Leichtigkeit der BBQ-Sauce alles Rustikale austreibt – und dennoch punktet das Gericht mit enorm viel Umami. Das unter dem Focaccia versteckte, schmelzige Fleisch könnte nicht mustergültiger geraten, und selbst die Getränkebegleitung, die mich zunächst skeptisch stimmte, passte vollendet: ein herber und ziemlich kühler Heu-Radler, bestehend aus alkoholfreiem Bier, Heusirup und Sodawasser. So bekommt das hervorragende Gericht durch die Getreidearomen noch eine weitere Facette verliehen, die sich ausgesprochen harmonisch einfügt.

Mit dem nächsten Gang fährt die Küche kurzzeitig die Intensität ein wenig zurück – und das ist auch gut so, denn eine solche Intensität wie die bisherige wäre auf Dauer gar zu fordernd. Dennoch begeistert auch Ofenzander mit grünem Spargel, Austernpilzen, Gebirgswermut und Dashi aus Röstkartoffeln: die reduziert wirkende Darbietung kommt recht rustikal daher, doch der gar nicht so milde Dashi und dezent würzig Spitzen von Wermut machen aus diesem etwas einfacher zu durchschauenden Gang dennoch einen Happen, der mehr als bloße Routine zu bieten hat. Der Begleiter ist ein Apfelsaft der seltenen Sorte Wintercalville aus dem Hause Kohl.

Nach der leichten Erholung eben sollte man denken, dass auch weiße Aubergine in Buttermilch mit Hahnenkämmen, Paprika und Ribisel (Johannisbeere) nochmals einer Ruhepause vor dem Hauptgang gleich käme. Weit gefehlt: das mediterran anmutende Gericht überzeugt ohnehin schon durch die kompakte Präsentation und das hinreißende Spiel zwischen Schärfe und Säure, doch der unangefochtene Star dieses Tellers ist der geradezu demütig versteckte Hauptdarsteller. Bis zu diesem Tag hätte ich mir schwerlich vorstellen kann, eine Ode an eine Aubergine zu schreiben, doch dieses Prachtexemplar hätte sich auch eines Eckart Witzigmann (der übrigens im gar nicht so weit entfernten Bad Gastein aufwuchs) würdig erwiesen, dessen Lieblingsprodukt ja bekanntermaßen die Aubergine war – so sehr, dass er seinem berühmten Restaurant am Münchner Maximiliansplatz bei der Eröffnung im Jahre 1978 den Namen Aubergine gab.
Andreas Döllerers Aubergine lässt den Gaumen jubilieren: eine vermeintlich langweilige Frucht ward hier zu einem denkwürdigen Erlebnis! Der unglaublich facettenreiche, elegante und intensive Geschmack der unwahrscheinlich mürben Aubergine muss das Ergebnis nicht nur von höchster geistiger Durchdringung, sondern auch von stundenlanger Bearbeitung sein. Ich tippe auf Einlegen und längeres Schmoren, doch dass die Küche aus der Zubereitung ein Geheimnis macht, ist nur allzu nachvollziehbar. Es mag übertrieben klingen, aber allein für diese Aubergine hätte sich die Anreise schon gelohnt! Man muss fast schon nicht mehr erwähnen, dass auch der alkoholfreie Sauvignon Blanc aus Flein in der Steiermark ein optimaler Begleiter ist.

Short Rib vom Holzkohlegrill mit Salat, Schnittlauchsauce und Kren (Meerrettich) würde sich auch in einem gewöhnlichen Wirtshaus als Hauptgericht eignen, doch ein Andreas Döllerer entreißt mit seinen Fähigkeiten auch einen solchen Gang mit derartiger Leichtigkeit dem Durchschnitt, dass ich mich nach dem Verzehr gegenüber dem Kellner zu der Aussage hinreißen lasse, ich hätte soeben den besten Tafelspitz meines Lebens gegessen! Der zunächst grotesk anmutende Vergleich ist aber gar nicht so weit hergeholt, denn abgesehen von den subtil marinierten Salatblättern und der wunderbar sämigen Sauce ist die Aromenwelt durchaus vergleichbar: nur eben, dass die sekundengenaue Verweildauer des Fleischs auf dem Grill dazu führt, dass es unbeschreiblich zart und mürb gerät, dabei aber die Holzkohlearomen gleichzeitig bewahrt und diese deutlich herauszuschmecken sind. Es wirkt recht simpel, aber in den Details ist dies schlichtweg grandios, einmal mehr! Der passende Begleiter dazu: ein eiskalter Apfelsaft, abgeschmeckt mit Enzian, Minze und Zitrone.

Die reizende Optik des Desserts macht allein schon einiges her, doch nach der bisherigen Parade durfte man auch hier geschmacklich von einer überdurchschnittlichen Darbietung ausgehen. Ich wurde abermals nicht enttäuscht: „Erinnerung an Kobe“ stellt ein Kojireis-Eis in den Mittelpunkt. Das Getreide, das als Basis für die Herstellung von Sake dient, wartet mit eher herber Aromatik auf, weshalb die aparte Begleitung aus Erdbeeren, karamellisierten Haselnüssen und Milchschokolade durchaus gerechtfertigt ist. Die Schokolade in der Mitte ist nicht fest, sondern cremig (eine kleine Illusion!), und wird als süßer Kontrapunkt mit Aromen von Tannenwipfel und Alpensäuerling recht herb und leicht fruchtig flankiert. Erneut zahlt sich des Chefs profunde Kenntnis der heimischen Produkte aus, denn die sorgsame Balance der Aromen könnte auch beim Dessert kaum trefflicher ausgelotet sein. Insgesamt gerieten hier die Aromen weniger knallig als bei manch anderem Gericht, doch hier erwies sich dies als wohltuender Kontrast – ein Gericht mit Grandezza, das in sich ruhte. Eine Limonade aus Himbeere, Zitrone, Soda und Waldmeister erwies sich dabei als kühne, aber angemessene Begleitung.

Zu diesem Zeitpunkt hätten selbst missratene Petits fours nichts mehr an meinem Urteil zu ändern vermocht, doch auch zum finalen Akt ließ mich die Küche nicht im Stich. Ähnlich aufwendig wie zu Beginn trägt man sechs Ausklänge rund um alpine Wildfrüchte auf: vorne links wilde Brombeeren unter Brombeerholzsirup, Getreide und Joghurt; vorne rechts Schwarzbeere mit Likör und Bergheu-Eis (Sachen gibt’s …!). Dahinter in der Mitte ein karamellisierter Buchweizencracker mit Berberitze, links davon ein gebackener Bauerntopfenkrapfen mit Ribisel und rechts davon ein Wildkirsche-Zuckerl mit altem Balsamessig. Ganz hinten auf dem Einmachglas thront noch eine Schokoladenpraline mit Vogelbeerenfüllung. All das gerät erfrischend ungewohnt und weitet den kulinarischen Horizont abermals – fürwahr ein würdiger Ausklang!

Dem Service unter der Leitung von Christl Döllerer (die Ehefrau des Grand Chefs) und Sommelier Alexander Koblinger muss man nichts weniger als eine Weltklasseleistung attestieren: charmant, aufmerksam, diskret und – typisch österreichisch – doch überaus herzlich. Doch damit nicht genug: jede meiner Nachfragen wurde kompetent beantwortet, Lektüre wurde mir ohne Umschweife angeboten, und auch im Serviceablauf gab es nicht den kleinsten Fehler zu bemängeln. Obwohl nicht weniger als ein halbes Dutzend Kellnerinnen und Kellner im Laufe das Abends den Tisch umschwirrten, wusste jeder immer genau Bescheid, was Sache war: es gab genausowenig doppelte Nachfragen (z.B. bezüglich Kaffee) wie etwa vergessene oder zu spät nachgereichte Getränke zum jeweiligen Gang. Außerdem war dies wohl die am perfektesten auf die Menüfolge abgestimmte alkoholfreie Getränkebegleitung, die ich je erleben durfte – zumal sie absolut fair bepreist war und mehr als nur routinemäßig geöffnete Flaschen beinhaltete. Nicht selten wurden die Getränke eigens kredenzt und auf eine ideale, teils ungewöhnliche Temperatur gebracht – höchste Anerkennung dafür! Vinophile dürften angesichts der opulent bestückten Weinfibel allerdings genauso ins Schwärmen kommen. Die konservative Weinbegleitung hätte übrigens € 85 gekostet, doch wer es exklusiv liebt, der kann stattdessen auch die Weinbegleitung mit dem Namen „Best of Döllerer“ bestellen, die mit schlappen € 290 zu Buche schlägt und solche Pretiosen wie einen 1995er Château d’Yquem (Premier Grand Cru Classé) offeriert. Hier kann also jeder nach seiner Façon glücklich werden!

Kommen wir noch zur Küchenleistung selbst: gab es meinerseits ganz zu Beginn nach den Einstimmungen noch letzte kleine Zweifel ob teils leicht verkopft anmutender Ideen, so wurden diese spätestens mit dem ersten Gang zerstreut. Das Menü offerierte von vorne bis hinten einen imposanten Reigen an Gerichten, die allesamt weit überdurchschnittlich gerieten, vor pfiffigen Ideen strotzen, profunde Kenntnis über die Produkte erkennen ließen, traumwandlerisch sichere Zubereitung verrieten und eine absolut unverwechselbare Handschrift an den Tag legten. Selbst wenn es mal im Menü inspirierte Anklänge an Fernost, ans Mittelmeer oder an die nordische Küche gab, so blieb die Darbietung durchweg genuin alpenländisch und heimatverbunden. Am überraschendsten geriet dabei die Tatsache, dass die selbst auferlegte Beschränkung bei den verwendeten Produkten trotz allem noch ein so variables, ausgelassenes und überragendes Ergebnis zuließ. Speziell die virtuose Verwendung bestimmter Kräuter oder Früchte, die von einheimischen Nadelbäumen stammen, beeindruckte ein ums andere Mal nachhaltig. Dabei wurde jedoch der Geschmack nie dem Intellekt geopfert, sondern in eine feinsinnige Balance zueinander gestellt. Weiterhin wies jedes Gericht trotz einer nicht zu übersehenden Rustikalität einen wohltuenden Grad an Eleganz auf. Dass ein insgesamt recht zügiger Ablauf ohne qualitative Abstriche trotz einer stattlichen Gästezahl – noch dazu in Corona-Zeiten – garantiert war, stellte sich ebenfalls als Überraschung der angenehmen Art heraus.

Ein gewisses Maß an Aufgeschlossenheit kann bei einem Besuch hier schwerlich schaden, doch wer sich (wie inzwischen erstaunlich viele andere Gäste auch) erst einmal bereitwillig auf Andreas Döllerers Cuisine Alpine einlässt, der wird von seiner Kunst reich belohnt werden. Die Darbietung bewegte sich praktisch durchgängig auf allerhöchstem Niveau, weshalb ich diesem Lokal guten Gewissens das Prädikat „Weltklasse“ attestieren kann. Dieser Besuch geriet schlichtweg zu einem denkwürdigen und unvergesslichen Abend, der auf Platz acht meiner besten Gourmet-Erlebnisse aller Zeiten eingestuft werden wird. Da sieht man auch gerne über diese scheinbar genuin österreichische Unsitte hinweg, selbst in Weltklasserestaurants noch das Gedeck mit sechs Euro extra zu berechnen. Auch wenn mir die eine oder andere Spitzenadresse noch fehlt, so lege ich mich jetzt schon fest: dieses Lokal gehört definitiv zu den besten fünf in Österreich. Wer dem Bundesland Salzburg einen Besuch abstattet, sollte eine Reservierung hier, die angesichts der Größe des Lokals zudem mit recht geringem Vorlauf zu haben ist, auf keinen Fall versäumen. Sie werden es nicht bereuen!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Döllerers Genießerrestaurant
Markt 56
5440 Golling an der Salzach (Österreich)
Tel.: 0043/6244/42200
www.doellerer.at

Gault&Millau Österreich 2020: 18,5 Punkte
Falstaff 2020: 98 Punkte
A la carte (Österreich): 99 Punkte

7-gängiges Menü: € 179