Speisemeisterei**, Stuttgart (UPDATE)

„Jede glänzende Leistung muss das Unterpfand einer größeren sein, und im Beifall der ersten schon die Erwartung der folgenden liegen.“ (Baltasar Gracián)

UPDATE (Februar 2024)

Die Speisemeisterei hat spätestens seit der Schließung der Zirbelstube Stuttgarts fraglos feudalsten Speisesaal zu bieten, doch neuerdings ermöglicht es eine angrenzende Galerie sogar noch, an besonders betriebsamen Abenden weitere Gäste zu bewirten. Diese strömen auch in durchaus nicht geringer Zahl auf das Gelände der Universität Hohenheim, seitdem das Lokal vor zwei Jahren den angestrebten zweiten Michelin-Stern erhielt, welchen es seit den glorreichen Zeiten von Martin Öxle um die Jahrtausendwende nicht mehr hatte. Verantwortlich dafür zeichnet Stefan Gschwendtner mit seinem Team – die hier ersonnenen Gerichte ruhen erkennbar auf französischem Fundament, doch allzu konservativ soll es auf den Tellern nicht zugehen. So finden immer wieder augenzwinkernde Beiträge Eingang in die Menüfolge und lockern die Parade spürbar auf. Der Chef selbst wirkt dabei trotz der inzwischen erworbenen Meriten immer noch erstaunlich bescheiden, und tut einfach das, was er am besten kann: kochen.

Ansonsten hat sich gegenüber dem letzten Besuch erfreulich wenig verändert: nach dem freundlichen Empfang defiliert man den weiß getünchten Gang entlang und nimmt in dem aristokratisch anmutenden Séparée Platz. Dort erwartet uns am Platz bereits die Karte mit einer Auswahl an Apéritifs, die fachkundig von Sommelière Johanna Renz erläutert werden. Meine Begleitung entscheidet sich für einen 2015 Suez Vintage Riseling aus der Pfalz, während meine Wahl auf einen alkoholfreien Perlino vom Weingut Markus Held fällt. Dazu reicht man die ersten vier Apéros, die recht unterschiedlich ausfallen: besonders gefällt dabei die immer mehr in Mode kommende Irish-Mor-Auster auf Tatar von Jakobsmuschel mit einem Granny-Smith-Granité und einer Gurkenvinaigrette, zumal etwas Crunch die Texturen noch variabler gestaltet. Optisch strukturierter wirkt dagegen die fast fettfreie Waffel mit ausgestochenen Kugeln von Rettich und Avocado Crème, die mich an Christian Baus ikonisches Apéro erinnert, wenngleich die Virtuosität im Vergleich hier etwas reduzierter ausfällt. Allerdings bildet eine recht ähnlich gestaltete, diesmal längliche Waffel eine schöne Variante dazu: sie ist mit Sardine, Sojapaste, Texturen von Paprika und Kalamata-Olive belegt. Trotz einer bunten Optik gerät dieser Beitrag nicht zu kleinteilig und schafft es, den säurebetonten Charakter dieser Petitesse hervorzuheben bei gleichzeitiger Betonung der Garnitur, deren Details bei aufmerksamem Verzehr sehr gut zum Tragen kommen. Der bei weitem avantgardistischste Einfall gäbe rein optisch fast nichts von sich preis, wenn die Produkte nicht auf der Karte annonciert wären: unter einem Reiscrunch versteckt sich ein Thunfischtatar, das mit Mayonnaise und der japanischen Gewürzsauce XO meisterhaft verfeinert wurde – ein kompakter und mutiger, doch gelungener Beitrag, dessen Optik zudem alle instagram-affinen Blogger abtörnen dürfte. Als erstes kleines Fazit scheinen wir schon jetzt festhalten zu können, dass die Küche gerade möglicherweise eine Art Übergangsphase durchläuft, mit der ausgelotet werden soll, inwieweit die ausgetretenen Pfade verlassen werden können, ohne die spezifische Ästhetik des Hauses allzu sehr zu verwässern. Dem durchweg positiven Eindruck auf Zwei-Sterne-Niveau schadet es jedenfalls kein bißchen.

Das fix vorgegebene Menü in sieben Gängen zu € 230 startet danach mit einem in Nordseenähe häufiger eingesetzten Produkt: das Team ersinnt ein Arrangement von Schnittlauchvinaigrette, Rote-Bete-Emulsion, Baeri Kaviar und Kapuzinerkresse als ansprechende Begleitung für Räucheraal von der renommierten Fischzucht Nikolai Birnbaum aus Penzing bei Landsberg am Lech. Weshalb dieses Unternehmen inzwischen zahlreiche Sternerestaurants im süddeutschen Raum beliefert, wird schnell deutlich: der ausgesprochen aromatische, fettreiche Hauptdarsteller punktet nicht nur in der natürlichen Textur, sondern taugt auch zum Aromatisieren einer Sauce oder gar als Eis (!) mit Pomme Soufflé. Die ausgesprochen subtile Dosierung der Salinität und der trotz bunter Optik bewahrte Fokus aus das Hauptprodukt gewährleisten bei aller scheinbaren Verspieltheit, dass die geschmacklichen Eigenschaften sämtlicher Viktualien im besten Licht erscheinen und somit den sehr starken Eindruck prächtig abrunden.

Von der gleichen Zucht stammt auch die gebeizte Seeforelle im nächsten Gang, der wesentlich kompakter interpretiert wird. Gebettet auf einem mit Koriander verfeinerten Forellensud, reichen schon wenige Segmente von Peperoni und eingelegtem Rettich aus, um im Verbund mit Speck und japanischer Mayonnaise ein stimmiges Ergebnis zu erzielen. Dank des im Gegensatz zu früheren Zeiten schärferen Fokus auf die Produkte wirkt die globale Dramaturgie, die geschickt mit Opulenz und Reduktion im Wechsel arbeitet, nun um einiges durchdachter und souveräner – fraglos eine kluge Wahl.

Danach folgt confiertes und pochiertes Ei mit Blumenkohl, der gemäß der Angaben des Service (vermutlich in einer Tajine) im Stile eines Couscous geräuchert ist. Dazu gibt es als Carpaccio den Toro von Balfego-Thunfisch, Kaviar und Katsuoboshi-Flocken unter dem Blatt aus einem mir nicht eindeutig zugeordneten Teig. Wie auch immer man dazu stehen mag, ob die Vermischung klassischer Elemente mit moderneren Elementen erstrebenswert ist – es bleibt auf jeden Fall festzuhalten, dass mir die Aromen diesmal etwas zu verwaschen und ohne die nötige Trennschärfe daherkommen, weshalb hier angeregt sei, ob dieser Gang nicht auch mit einer Komponente weniger hätte auskommen können. An der fraglos reichlich vorhandenen Qualität der Produkte lag es jedenfalls nicht, dass der typische Geschmack des besonders fettreichen Bauchs vom Thunfisch nicht ganz so zur Geltung kam wie ich es mir gewünscht hätte.

An die ungewöhnliche Platzierung der Brotauswahl in der Menüfolge hat man sich hier inzwischen gewöhnt, wenngleich ihr selbst nach mehreren Besuchen noch kein fixer Platz zugewiesen zu sein scheint. Diesmal jedenfalls kommt ofenwarmes Sauerteig-Focaccia mit den stilistischen Elementen eines Caesarsalad an den Tisch: die beiden Romanesco-Blätter sind beispielsweise mit Speckwürfeln und Parmesan belegt, und auch der Aufstrich neben der klassischen Salzbutter weist deutliche Aromen von Anchovis auf. Fraglos gibt man sich hier noch besondere Mühe bei diesem oft vernachlässigten Teil der Menüfolge, zumal sich das Ergebnis absolut sehen lassen kann.

Die gleichmäßig gebratene Elsässer Taube von mittlerer Intensität thront auf einem fragilen Türmchen von Crumble aus Piemonteser Haselnuss, Sellerie-Brunoise und eingelegten Kirschen. Die auf einer klassischen Taubenjus gebettete Kreation wirkt stärker strukturiert als so mancher Teller zuvor und zeigt in schöner Bandbreite die Vielfalt der durchaus ungewöhnlichen Begleiter auf, die sich allerdings nie in den Vordergrund drängen und so dem Geflügel eine schöne Bühne bereiten. Das ist mit Sicherheit kein „lauter“ Gang, aber ein solider Beitrag von großem Ernst und langem geschmacklichen Nachhall.

Zum Hauptgericht wird Ultra-Puristen eine ganze Menge zugemutet, denn es darf bezweifelt werden, ob diese den Einsatz von Wagyu im Stile eines Tafelspitz absegnen würden! Jedenfalls hat Chefkoch Stefan Gschwendtner offenbar keinerlei Bedenken, einmal mehr mit klassischen Konventionen zu brechen, wenn er der Ansicht ist, dass das finale Ergebnis solche Maßnahmen rechtfertigt. Es fällt auch schwer zu widersprechen, denn die mineralischen Aromen des Fleischs kommen durchaus zur Geltung – erst recht im Hinblick auf die handwerklich sichere und durchdachte Begleitung mit Champignons, wildem Brokkoli, Petersilie und japanischer BBQ-Emulsion. Alle Komponenten sind deutlich herauszuschmecken und hieven das mustergültige Fleisch, selbst wenn es (noch) nicht zu meinen Top-5-Erlebnissen mit Wagyu gehört, auf ein beachtliches Niveau. Angesichts der klaren Struktur und der unverwechselbar in Szene gesetzten Aromatik des Fleischs hatte ich etwaige Vorbehalte gegen den Tafelspitz schnell über Bord geworfen und wurde mit einem überzeugenden Hauptgang dafür belohnt.

Stammgäste und treue Leser meiner Rezensionen werden wissen, dass Dekonstruktion sowie bewusst fehlgeleitete Erwartungshaltungen ein wichtiges und regelmäßig eingesetztes Erkennungsmerkmal dieser Küche sind, selbst wenn die Ergebnisse bisweilen durchaus kontrovers diskutiert werden dürften und das erzielte Niveau dabei schwankend gerät. Einen viel besseren Beleg für das soeben Gesagte als die mit bloßem Auge kaum als solche erkennbare Butterbrezel könnte es kaum geben, denn das Ausmaß an Dekonstruktion toppt so ziemlich alles Bekannte bisher: ein aus einer Laugenbrezel hergestelltes Eis ruht auf einem Crumble von karamellisierten Cashewkernen, was in Summe zu einer feinen und delikaten Aromatik mit einem naturgemäß nussigen Touch führt. Aus meiner Sicht ist das eine augenzwinkernde Dekonstruktion at its best!

Das eigentliche Dessert kommt für die winterliche Saison erstaunlich leicht daher und besteht aus Sauerrahmeis mit Meringue von Rosmarin, einem Limettensud und etwas versteckter Avocadocrème unter der Wabe aus Hippenteig. Das im Grunde recht simpel gestrickte Dessert überzeugt dennoch, da man mit dem Einsatz der Avocado durchaus dem grünen Zeitgeist huldigt und dabei einen geschmacklich effektiven, kompakten Einfall zu einer wirklich reizenden Idee erhebt. Das ist fraglos ökonomisch gestaltet, aber sicher umgesetzt und von einer Struktur, die besonders klar und deutlich zutage tritt, zumal das Spiel mit den Texturen ganz und gar nicht verkrampft oder gar wie aus reinem Selbstzweck heraus wirkt. Schön!

Unter den Petits fours hinterlässt vor allem eine geeiste Praline von Himbeere, Shisokresse und weißer Valrhona-Schokolade den originellsten und nachhaltigsten Eindruck. Dies ändert jedoch wenig daran, dass auch die weniger knalligen Beiträge wie stets ein hohes Niveau erahnen lassen: der Windbeutel mit Kaffee und Schokomousse sowie die Salzkaramell-Praline knüpfen nämlich nahtlos dort an, wo die rote Kugel angesetzt hatte. Alles in allem gerät dies zu einem runden Abschluss eines Menüs mit bisweilen kleinen, aber zahlenmäßig deutlich reduzierten Wacklern gegenüber früheren Besuchen.

Die Berechtigung für den zweiten Stern hat die Speisemeisterei inzwischen vollständig erbracht, wenn man das Menü in seiner Gesamtheit betrachtet. Stefan Gschwendtner kann auf ein kleines, aber verlässliches Team in der Küche bauen, welches ihm bei der Umsetzung seiner bisweilen ungewöhnlichen Ideen sicher zur Hand geht. Die klassische Basis seiner Küche bleibt dabei fraglos gegeben, doch der Versuchung, hier mit liebgewonnenen Konventionen auch mal zu brechen, kann der Chef nicht immer widerstehen. Aufgrund dessen gerät das Dinieren an diesem Ort durchaus zu einem Erlebnis, das die Gäste auch mal aus ihrer Komfortzone lockt und zum Nachdenken anregt. Dank des Verzichts auf besonders bizarre Zubereitungsmethoden und des Rückgriffs auf weitgehend bekannte Produkte muss sich allerdings niemand Sorgen machen, dass vom Pfad des guten Geschmacks hier jemals signifikant abgewichen würde. Dennoch resümiere ich, dass die Küche bei den besonders strukturierten Beiträgen immer noch ihre souveränsten Ergebnisse abliefert, weil das klassisch französische Handwerk nun mal die Basis dieser Küche darstellt und ihre Stärken hier besonders gut zur Geltung kommen. Dagegen sind die deutlich experimentierfreudigeren Beiträge stets gut gemeint, aber in Summe noch nicht ganz auf demselben Niveau angesiedelt – allerdings wurde auch auf diesem Gebiet fraglos ernsthaft gearbeitet, denn im Gegensatz zu früheren Zeiten sind etwaige Ausreißer in ihrer Zahl deutlich reduziert worden und auch vom Grad der Abweichung längst nicht mehr so augenscheinlich.

Angesichts eines fairen Preis-Leistungs-Verhältnisses mir reichlich Extras steht hier einem gelungenen Abend praktisch nichts im Wege. Es ist wahr, dass der Service bei diesem Besuch zu Beginn im Hinblick auf teils sehr junge und offenbar noch nicht vollständig eingearbeitete Servicekräfte etwas fahrig wirkte, doch mit der Zeit legte sich die Nervosität. Eine denkwürdige Leistung war es bei Weitem nicht, doch spätestens bei meinem Besuch des Chefs in der Küche waren die kleinen Mängel vergessen. Der vollständig geerdete und fast schon schüchtern auftretende Stefan Gschwendtner wirkt auf mich wie ein Chef, der von bescheidenem Habitus ist und seine Arbeit ganz gerne schlicht als das darstellt, was er eben am besten kann. Einen echten Grund für solche Beiläufigkeit gibt es freilich nicht, denn längst hat die Speisemeisterei im Großraum Stuttgart als einziger Zweisterner die kulinarische Pole Position inne. Es steht auch nicht zu befürchten, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert, denn der Trend der vergangenen Zeit zeigt weiter klar nach oben: Ausrutscher werden immer seltener, während die Teller immer durchdachter und organischer wirken. Das haben auch die Profiguides erkannt und ihre Noten zwischenzeitlich angepasst. Von einer profanen Universitätsküche ist die Speisemeisterei ohnehin schon Lichtjahre entfernt …

Aus nostalgischer Sicht stellt die Tatsache, dass dieses Lokal nach über fünfzehn Jahren völlig zurecht wieder die zwei Sterne erlangen konnte, die es zur Jahrtausendwende unter Martin Öxle hielt, die vielleicht befriedigendste Erkenntnis dar. Ohne jeden Zweifel hatten Küche und Management klar auf dieses Ziel hingearbeitet, zumal ganz nebenbei die Altlasten von mehreren drohenden Insolvenzen Mitte der 2010er-Jahre beseitigt werden mussten. Inzwischen ist dieses Spitzenrestaurant glücklicherweise wieder in deutlich ruhigerem Fahrwasser unterwegs und arbeitet daran, wieder an die schillernde Tradition anzuknüpfen – man darf gespannt sein, wohin der Weg noch führen wird!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Speisemeisterei
Schloss Hohenheim
70599 Stuttgart
Tel.: 0711/34217979
www.speisemeisterei.de

Guide Michelin 2023: **
Gault&Millau 2023: 3+ Toques
GUSTO 2024: 9 Pfannen
FEINSCHMECKER 2024: 4 F

7-gängiges Menü: € 230

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„Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen.“ (Ludwig Feuerbach)

UPDATE (Juli 2022)

Der letzte Besuch war noch kein Jahr her, doch mit der zuletzt von mir prognostizierten Erlangung des zweiten Michelin-Sterns klappte es ja bekanntlich schon in diesem Frühjahr. Mein Wunsch, hier möglichst rasch wieder vorbeizuschauen, war damit erneut genährt worden – und die Einladung einer Verwandten zu ihrem Geburtstag hierher sollte den würdigen Rahmen dafür darstellen. Zu überzeugend geriet schon die letzte Darbietung als dass man ernsthaft mit einer Enttäuschung hätte rechnen müssen, und außerdem war ich ja dem gesamten Team (mit Ausnahme des erkrankten Chefs) im Frühjahr im Münchner Atelier begegnet, als dort der zweite Michelin-Stern gebührend gefeiert wurde. Die Auszeichnung hatte die Motivation im gesamten Team natürlich nochmals spürbar gefördert, so dass ich die steile Entwicklung nicht an mir vorbeigehen lassen wollte.

Schon beim ersten Besuch hatte uns das breite Spektrum an Stilistiken, zwischen denen sich Chefkoch Stefan Geschwendtner schon recht sicher bewegt, imponiert, selbst wenn die Umsetzung der Gerichte in den Details ein wenig schwankte. Die Leidenschaft, mit welcher der zweite Stern angestrebt wurde, schien trotzdem förmlich aus allen Poren zu quillen und übertrug sich schon damals rasch auf den Gast. Gerade eine eher klassisch orientierte Küche wie in der Speisemeisterei, die den Intellekt und die Erfahrung des Gastes nicht über Gebühr strapaziert, kann zu solch einem Anlass wie einem Geburtstag in recht heiterer Runde eine besonders gelungene Wahl darstellen. Dennoch hegen wir keinen Zweifel, dass unsere durchaus nicht so geringen Erwartungen angesichts launiger und am Puls der Zeit umgesetzten Einfälle aller Voraussicht nach vollständig erfüllt werden dürften.

So finden wir uns also zu dritt an einem warmen Sonntagabend (zu dieser Zeit geöffnete Sternerestaurants gibt es auch nicht allzu viele in Deutschland) erneut hier ein und nehmen trotzdem unsere Plätze im großen Speisesaal mit den wunderschönen weißen Stuckarbeiten ein, da der böige Wind draußen dem Service nicht ganz geheuer ist. Sofort strahlen die schönen blauen Sitzbänke und die hohe Decke eine aristokratische Wohlfühlatmosphäre aus, die mit Recht seit der bedauerlichen Schließung der Zirbelstube als die angenehmste in der Schwabenmetropole gelten darf. Da möchte der Service gleich seinen Teil dazu beitragen und trägt zu einem Glas Champagner Bratbirne von Jörg Geiger die ersten Apéros auf: gebeizte Forelle aus Calmbach mit Texturen von Granny Smith, Auster und einer asiatischen Dashi eröffnet den Reigen und überzeugt gleich mal mit angenehmer Konsistenz wie mit kompakter und feinsäuerlicher Mundfülle gleichermaßen.

Es folgt ein klassisches Rindertatar mit Crème fraîche in einer launigen, zeitgemäßen Interpretation: auf einem Sellerie-Kräuter-Sud ruhend, wird es von einer Wabe mit Selleriearomen, einem Selleriechip und etwas Ponzu-Gel getoppt. Das überzeugt genauso wie der Vorgänger …

…, doch mit den letzten beiden Happen erreicht diese kleine Parade ihren Höhepunkt: zum einem genießen wir eine mit Balsamico-Gelee ummantelte Poularde zwischen zwei Parmesanchips, zum anderen weiß warmer Schweinebauch in einer Ummantelung von Röstzwiebeln mit Miso-Mayonnaise obenauf wirklich zu beeindrucken. Der kraftvollen, asiatischen Umami-Wucht der zweiten Petitesse stellt die Küche mit der Poularde eine kaum weniger kompakte, aber etwas detaillierter in der Umsetzung gelungene Idee voran. Jedenfalls stellen diese vier Appetizer eine höchst beachtliche Visitenkarte dar, die gefühlt schon jetzt den zweiten Stern vollständig rechtfertigt. Hoffen wir, dass es so weiter geht! Die Menüwahl fällt jedenfalls leicht, da nur ein einziges Menü angeboten wird, welches in vollem Umfang sieben Gänge zu € 205 offeriert und uns allen drei sehr gut zusagt.

Das Entrée bildet diesmal Carabinero aus Spanien, der, obschon er optisch wie geschmacklich auffällt, der virtuos umgesetzten Tomate fast den Vorrang lassen muss. Diese gelangt nicht nur als Gelée auf den Teller, sondern auch als Crunch im Türmchen und als markige Facette der mit Koriander veredelten Brühe, welche erst am Platz aufgegossen wird. Das Krustentier selbst ist in eine Marinarde von Schnittlauch, Yuzu sowie Ingwer eingehüllt und gerät trotz seiner kühlen Temperatur recht kraftvoll in der Aromatik. Innen noch recht glasig, korrespondiert er bestens mit einem mediterran anmutenden Umfeld, welches mit herben Akzenten und subtiler Würzung auf sich aufmerksam macht. Fraglos ein ausgezeichneter Start, der Lust auf mehr macht!

Wie in diesem Hause durchaus üblich, wird das Brot erst jetzt eingestreut. Wahlweise kann das Sauerteig-Focaccia mit Butter, Fleur de Sel oder einer wahrhaft köstlichen und geradezu süchtig machenden Butter mit Parmesan, Speck und Sardellen bestrichen werden. Großartig!

Das diesmal offenbar mehr als gewöhnlich an Klassikern orientierte Menü wird fortgesetzt mit wachsweich pochiertem Ei vom Biolandhof Denzler. Das originelle Topping besteht aus Quinoa, Speck und Saiblingskaviar, während eine relativ weiche Julienne von weißem Spargel im Verbund mit Birnbaums Räucheraal (ein weiterer Beleg für das Qualitätsbewusstsein in diesem Haus, da die Fischzucht Birnbaum nahe dem Ammersee eine echte Spitzenadresse darstellt) eine facettenreiche Begleitung darstellt. Ohne die sorgsame Dosierung von Dill und Kalamansi wäre das Gericht allerdings um eine wichtige Komponente ärmer, denn gerade die asiatische Zitrusfrucht verleiht diesem fast schon verspielten Gang einen heiteren und leichten Charakter, so dass der Verzehr dieses Gangs eine unbeschwerte und doch genussvolle Angelegenheit darstellt, die einmal mehr sehr schön gelingt.

Auch aus der klassischen Kombination von Auster (Gillardeau Nr. 1) und Kaviar (sibirisch) zaubert die Küche eine ungewöhnliche Variante. Die ausgelöste, pochierte Auster labt sich an einem markigen Sud aus Beurre Blanc und geschmolzenem Rindermark, während wilder Brokkoli etwas vegetabile Noten beisteuert. Der exzellente Sud changiert ganz vorzüglich zwischen herben und säuerlichen Spitzen; da auch Produktqualität und Zubereitung überaus stimmig sind, bekommt auch diese individuelle Variante einer klassischen Paarung unseren uneingeschränkten Segen. Die Vergabe des zweiten Sterns ist gemäß unseren bisherigen Eindrücken nicht umsonst erfolgt! Hinter jedem Teller stand bisher eine klare kulinarische Aussage, die durch das überzeugende Handwerk zudem unserer Auffassung nach immer so wie beabsichtigt umgesetzt werden konnte. Da wirkt nichts überdreht oder wenig durchdacht, sondern bestenfalls ausgelassen und heiter. So macht Hochküche Spaß!

Mit dem nächsten Teller drosselt die Küche die Intensität zur rechten Zeit etwas: der ausgeprägt saure und keineswegs körperlose Vin-Jaune-Schaum schmiegt sich wunderbar an den sanft gegarten und makellosen Zander aus Dänemark an. Die eher schlichte und unkomplizierte, aber trotzdem wirkungsvolle Begleitung mit Morcheln, Erbsen und Radieschen verfehlt ihre Wirkung nicht, lässt dem Zander aber den notwendigen Raum zur aromatischen Entfaltung – ein Gericht von eher stiller, doch edler Größe, das ohne jede Aufdringlichkeit daherkommt und dramaturgisch würdig zu den Fleischgängen überleitet.

Der letzte Gang vorm Hauptgericht besteht aus einer kompakten Interpretation vom Älbler Lamm. Offenbar kann man sich auch in einem Zweisterner erfolgreich darum bemühen, möglichst viele heimische Produkte einzubauen, wenn dies vernünftig erscheint. Hier gelingt das Ansinnen ganz wunderbar, denn das vorzügliche Fleisch wird auch im Sinne der Nachhaltigkeit mit einem Crunch aus Krumen vom Lammfilet und Texturen von Shiitake-Pilzen getoppt. Außer dem Fond bietet dieser aufgeräumte Teller nichts weiter als ein kleines Türmchen aus Kohlrabi, fermentierter Blaubeere und einem Klecks Crème fraîche obenauf. Dennoch schafft es die Küche auch diesmal, einem eher profanen Produkt große Ausdruckskraft zu verleihen, indem kein unnötiger Schnickschnack von der tadellosen Zubereitung ablenkt. Im Verbund mit der dezenten, aber nicht blassen Begleitung entsteht so ein Gericht, dessen Produktfokussierung weit stärker ausfällt als bei den Gängen zuvor – was aber ausdrücklich als Lob zu verstehen ist.

War der Hauptgang beim ersten Besuch noch das schwächste Gericht, so gab es auch hier eine deutliche Steigerung zu vermelden: Tafelspitz vom Full Blood Wagyu (aus Australien) verströmt eine mineralische Frische mit Röstaromen von mittlerer Intensität. So kann auch Kimchi mit grünem Spargel und Mayonnaise (die fast ein Nacho-Dip sein könnte, so herzhaft ist sie geraten) zu seinem Recht kommen, wobei der Spargel selbst auch noch in das Salatbouquet eingearbeitet wurde. Spitzpaprika und Schalotte veredeln die mit Kalbskopf verfeinerte Jus, so dass das fast schon mexikanisch wirkende Bouquet eine schlüssige Begleitung darstellt, welche das Fleisch kongenial begleitet – das stellt fraglos eine deutliche Steigerung gegenüber dem letzten Jahr dar. Stark!

Den einzigen aus meiner Sicht deutlich weniger gelungenen Beitrag stellt das Pré-Dessert dar, welches als Sellerie-Cino angepriesen wird. Dabei platziert die Küche auf einem rohen Cookieteig ein Sellerie-Eis, Piemonteser Haselnüsse, Espresso-Aromen und schließlich ein Sellerie-Espuma, welches wohl der Schaumkrone auf einem Cappucino ähneln soll. In Summe gerät dieser recht experimentelle Teller ziemlich bitter und kann uns angesichts eines nicht sehr stimmigen Zusammenklangs der Aromen kaum überzeugen. Aus der Grundidee selbst lässt sich sicher noch etwas machen, aber in dieser Form konnte ich diesem Einfall leider nichts abgewinnen – ein entbehrlicher Ausritt in die Avantgarde.

Angesichts des „echten“ Desserts ist diese Enttäuschung aber auch rasch wieder vergessen: auf einer Basilikummousse umkreisen Texturen von Erdbeere und die halbgefrorene Yuna-Edelweiss von Original Beans ein Gurkensorbet, welches intensive Spritzigkeit ins Spiel bringt. Obschon sich dieses Finale eher konservativer Techniken bedient, so bezieht es seinen reizenden Zauber aus der Fülle an Texturen und der großen Spanne an Temperaturen. Alles in allem ein kreativ umgesetzter Ausklang im oberen Durchschnittsbereich, der ein sehr vielseitiges Menü würdig abrundet.

Speziell die Petits fours hielten beim letzten Mal das Niveau bis zum Ende hoch – auch diesmal verhielt es sich nicht anders, denn die Haselnuss-Kugel, das Buchweizen-Macaron mit Kalamansi und speziell die individuell gewürzte Cheesecake-Praline mit Rhabarber und Estragon spielen allesamt in der Oberliga mit. Mehr als nur ein gelungener Ausklang, sondern nochmals ein echtes und selbstbewusstes Statement der Pâtisserie.

Wie das Team um Stefan Gschwendtner unablässig an seinen Fähigkeiten feilt und binnen kurzer Zeit erneut spürbare Fortschritte für sich verbuchen konnte, ist schon beeindruckend. Trotz teils regionaler Produkte wirkt diese Küche in Summe eher mondän und kosmopolitisch, weil sie mit unterschiedlichsten Aromenwelten hantiert und fast immer ein stimmiges Gesamtergebnis zu erreichen vermag. Die geschickt ausgeklügelte Dramaturgie erweist sich als ein weiterer Vorzug, denn die schwankenden Intensitäten sorgen für ein wenig vorhersehbares und stets die Vorfreude auf den nächsten Gang weckendes Menü, das sich inzwischen nur ganz selten noch Ausreißer nach unten gestattet.

Die Servicetruppe unter dem sicheren Dirigat von Maître Benedikt Doll verrichtet ihre Arbeit nicht nur verlässlich, sondern auch aufmerksam: während andernorts ein Toilettengang häufig keinen Hinderungsgrund darstellt, einen Teller trotz eines abwesenden Gastes abzustellen, so hält man hier das Essen lieber warm und trägt es eben ein wenig zeitversetzt auf – eigentlich selbstverständlich, aber leider keineswegs Usus. Berücksichtigt man noch die durchschnittliche Preisgestaltung bei den Nebenkosten, so steht einem gelungenen Abend hier nur wenig im Weg.

Angesichts eines Menüs mit nur ganz wenigen Schwächen und vielen großartigen Momenten kann ich unumwunden einräumen, dass die von mir beim letzten Ma(h)l noch verwehrten 18 Punkte inzwischen vollauf verdient sind. Das kreative Schaffen Stefan Gschwendtners und dessen sichere Umsetzung hat mich nachhaltig beeindruckt und mich darin bestärkt, dem Hause weiterhin treu zu bleiben, da das Ende der Fahnenstange hier noch lange nicht erreicht zu sein scheint. Nach wie vor ist zwar die persönliche Handschrift noch nicht besonders stark ausgeprägt, doch im Gegenzug gleitet die Küche sicher und fast mühelos durch unterschiedlichste Stilistiken. Bei alledem ist Stefan Gschwendtner bemerkenswert bescheiden und auskunftsfreudig geblieben: beim Gespräch an unserem Tisch hört er bereitwillig zu und wirkt fast ein wenig schüchtern, wofür es aber wirklich keinen Grund gibt. Seine zeitgemäße Kulinarik sorgt für einen kurzweiligen, aber aromatisch sehr eindringlich verlaufenden Abend, der unser Kommen mehr als gerechtfertigt. Weitere Besuche werden folgen – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Speisemeisterei
Schloss Hohenheim
70599 Stuttgart
Tel.: 0711/34217979
www.speisemeisterei.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 3 Toques
GUSTO 2022: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 3 F

7-gängiges Menü: € 205

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„Die gute alte Zeit verdankt ihr Dasein unserem schlechten Gedächtnis.“ (Anatole France)

November 2021

Da hat die Corona-Pandemie die Karten in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs aber mal tüchtig neu gemischt! Vor zwei Jahren stritten noch die Zirbelstube, das Olivo und das top air um die Pole Position in Stuttgart, doch inzwischen sieht die Lage ganz anders aus: letztgenanntes Lokal ist definitiv Geschichte, denn nach der Bekanntgabe der endgültigen Schließung im April 2020 wechselte Chefkoch Marco Akuzun zum Syrlin-Quartier in Weingarten nach Oberschwaben und eröffnete dort sein neues Lokal MARKOS – über meinen Besuch dort berichtete ich vor drei Monaten. Das Olivo muss wohl auch ad acta gelegt werden, denn seit der Verleihung des zweiten Michelin-Sterns im Frühjahr 2020 hat das Lokal nicht einen Tag lang geöffnet gehabt! Die für November letztes Jahr vorgesehene Wiedereröffnung fiel dem Winter-Lockdown zum Opfer – mit dem Ergebnis, dass das Lokal bis heute geschlossen ist und auch nichts Neues kommuniziert wurde. Der bisherige Chefkoch Anton Gschwendtner ergriff daher die sich bietende Chance, den freigewordenen Posten des Chefkochs im Münchner Atelier zu bekleiden, nachdem Jan Hartwig dort überraschend seinen Abschied verkündet hatte. Folglich steht das Olivo derzeit ohne Chefkoch da, doch auch die Tage der Zirbelstube scheinen gezählt. Zum einen gab es seit mehreren Monaten keine Wasserstandsmeldung mehr, und zum anderen wird ohnehin über einen Abriss des Hotels am Schlossgarten spekuliert.

Nutznießer der neuen Situation ist ein alter Bekannter: die im Schloss Hohenheim (ein Teil der Stuttgarter Universität) befindliche Speisemeisterei ist ein jedenfalls in der Region gut bekanntes Lokal, das allerdings etliche unruhige Jahre hinter sich hat. Erfahrenen Gourmets sagt der Name dieses Restaurants mit Sicherheit etwas, denn in den Jahren um das Millennium herum gehörte das damals zweifach besternte, noble Etablissement unter Chefkoch Martin Öxle zu den zwanzig besten Lokalen Deutschlands. Seit dem Abgang des Grand Chefs im Jahre 2007 war der Weg nach unten aber vorgezeichnet: ständig neue Köche hätten fast das endgültige Aus für die immer wieder von der Insolvenz bedrohten Speisemeisterei bedeutet. Seit der Übernahme des Lokals durch den Investor Harald Panzer im vergangenen Jahr weht jedoch ein frischer Wind: wie man in Pressestatements verlautbaren ließ, wird nun der zweite Michelin-Stern nach mehr als einem Jahrzehnt mit aller Macht wieder angestrebt. Mit Chefkoch Stefan Gschwendtner (nicht verwandt mit dem oben erwähnten Anton Gschwendtner) und dem neuen Restaurantleiter Florian Kuzler an der Spitze wurde während der Pandemie ein neues, schlagkräftiges Team zusammengestellt, welches das angestrebte Ziel erreichen soll. Nicht nur das Personal, sondern auch die Inhalte selbst wurde auf den Prüfstand gestellt: während man sich in den letzten Jahren ganz gerne mit Nebensächlichkeiten wie Catering verzettelte, wird der Fokus nun wieder voll auf das Kerngeschäft gerichtet. Zu diesem Zweck wurden auch während der langen Lockdown-Phase die Räumlichkeiten renoviert und zeitgemäß aufgehübscht, so dass einem aristokratischen Essensgenuss nun nichts mehr im Wege stehen sollte. Jedenfalls vergab der GUSTO zuletzt beachtliche 8,5 Pfannen, so dass meine Neugierde geweckt war. Allzu lange hatte dieses Restaurant im Mittelmaß gedümpelt und war somit immer unter meinem Radar durchgeflogen, doch das musste sich nun dringend ändern!

Die Anreise zur auf den Fildern gelegenen Universität ist recht zeitraubend und umständlich, da das weit vom Stuttgarter Zentrum entfernte Schloss Hohenheim weder mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch von der A8 aus sonderlich gut zu erreichen ist – doch was tut man nicht alles für ein herausragendes Essen!? Selbst das Schneegestöber an diesem nasskalten Abend kann uns nicht davon abhalten, unseren Termin wahrzunehmen.

Nach Erledigung der (inzwischen recht nervigen) Formalitäten geleitet man uns durch einen langen Flur in das Herzstück des Lokals: den weiß getünchten, mit reichlich Stuck, prächtigen Kristalllüstern und großen Spiegeln versehenen Speisesaal mit den blauen Sitzbänken. Aufgrund der hohen Decke und der großzügigen Abstände zu den Nachbartischen entsteht rasch der Eindruck einer geräumigen Atmosphäre, die nicht einmal durch die Plexiglaswände in Corona-Zeiten geschmälert wird. Wir nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass selbst bei widrigem Wetter, in schwierigen Zeiten und unter der Woche nahezu alle Tische belegt sind – ein erstes Anzeichen dafür, dass die neuen Betreiber schon vieles richtig zu machen scheinen.

Zum Apéritif schenkt man PriSecco Nr. 23 (Rhabarber, Apfel und Blüten) von Jörg Geiger ins Glas und reicht dazu die ersten Apéros, die optisch durchaus etwas hermachen: eine Kreation von Gurkensud, Dill, Lachs und Saiblingskaviar (letztere in einer hauchzarten Teigtasche), dann geräuchertes Rindertatar mit einer Pilzhaube und ein paar Spritzern Zitrone sowie schließlich Poularde mit Avocado ummantelt, mit Senf verfeinert und zwischen zwei Crackern platziert. Unterm Strich handelt es sich um drei kompakte und fein gearbeitete Einstiege mit Charme und konzentriertem Geschmack. Kein schlechter Beginn!

Das Amuse gefällt uns sogar noch besser, selbst wenn es uns entfernt an eine Kreation von Christian Bau erinnert: unter einem mit Paprika verfeinertem Avocadoschaum findet sich Sushireis, der mit einer interessanten, indisch anmutenden Gewürzmischung veredelt wurde. Das klingt nicht sonderlich spektakulär, doch die wohldosierte Würze und die ungewöhnliche Idee machen aus diesem vegetarischen Einschub einen auf den Punkt gebrachten Gaumenkitzler.

Die Entscheidung bezüglich der Speisen ist schnell gefallen, denn bei der siebengängigen Menüfolge (€ 189) besteht lediglich die Wahl, sie auf bis zu fünf Gänge zu reduzieren. Angesichts des von uns in Kauf genommenen Aufwands kristallisiert sich schnell heraus, dass es bitteschön das volle Programm sein soll.

Etwas ungewöhnlich geht es nicht mit einer Brotauswahl weiter, sondern mit dem ersten Gang des Abends. Toro von Balfego thront dabei auf einem Sockel aus Kombualge und wird von Edamame umrundet. Tropfen von Koriander-Mayonnaise sowie weitere Texturen der bereits genannten Produkte obenauf machen aus diesem Gang einen optischen Hingucker, der mich an so manche Kreation von Christoph Rainer aus dem Luce d’Oro in Elmau erinnert. Der am Tisch aufgegossene Schnittlauchsud rundet ein Gericht ab, das verblüffend souverän zwischen säuerlichen und leicht süßlichen Aromen changiert. Dennoch kommen würzige Noten keineswegs zu kurz, selbst wenn der Thunfisch aromatisch gerne noch etwas prominenter hätte betont werden dürfen. Dennoch ist dies fraglos ein starkes Gericht, das nicht nur wegen seiner Idee, sondern auch dank verschiedener Konsistenzen wegen seiner angenehmen Mundfülle im Gedächtnis bleibt. Das zusätzlich angebotene Kaviar-Upgrade ignorierten wir guten Gewissens, da dieser individuelle Einfall keine weitere luxuriöse Veredelung nötig hatte.

Erst jetzt streut man die Brotauswahl ein, die allerdings im Hinblick auf eine spätere Überraschung sehr gewöhnlich gerät. Neben Butter und Salz ist da lediglich ein unspektakuläres, aber immerhin sehr warmes Sauerteig-Focaccia.

Einen sehr durchdachten Gang erleben wir auch beim zweiten Teller: ruhend auf einem Spitzkrautsud, wird lauwarme Forelle aus Calmbach wunderbar feinsinnig und filigran im Zusammenspiel mit Gurkenrelish, Crackern aus Leinsamen und Texturen von Apfel (zum Beispiel dünne Stifte oder Haut) begleitet. Das Aromengeflecht erweist sich als sehr harmonisch und ausgesprochen transparent, doch werden die große Ausdruckskraft und die mineralische Frische des Hauptdarstellers in keinster Weise abgeschwächt. Alles in allem ein federleichtes Gericht von reizender Wirkung und souveränem Handwerk.

Als besonderer Höhepunkt wird uns im nächsten Gang der Kaisergranat aus Norwegen angepriesen. Der präsente Hauptdarsteller ruht unter einem Kartoffelcrunch, doch werden seine Qualitäten dabei nicht kaschiert: schön glasig und auf den Punkt gegart, wird er eher puristisch flankiert von Kalbskopf in einer Art Sülze zur rechten Seite und von Lauch mit Zitrone zur linken Seite. Auch hier verzichten wir auf das Kaviar-Upgrade, denn unnötiges Chichi hat der ziemlich direkt inszenierte Star des Tellers nicht wirklich nötig. Das Zusammenspiel von deftigen Fleischaromen mit den Zitrusnoten läuft dabei ein wenig Gefahr, von der Hauptsache abzulenken. Zuviel versprochen hat der Service nicht, denn auch wenn dieses Exemplar für mich angesichts bedeutender Konkurrenz trotz allem nicht zu den fünf besten aller Zeiten zählte, so dürfte es den meisten Zeitgenossen ausgezeichnet gefallen, zumal Inspiration 4.1 von Jörg Geiger (Apfel, Vogelmiere und Meersalz) ein passender stiller Begleiter ist.

Aromensatt wird es allmählich vor der Annäherung an den Hauptgang mit deftigem Presa Tataky von Joselitos Eichelschweinen, denn das wunderbar magere Fleisch ist trotz allem sehr herzhaft und bekommt durch das Räuchern noch stärker betonte Noten von Lardo. Ein solches Produkt verträgt auch eine etwas rustikalere Begleitung in Form von Radicchio, Fenchel und eingelegte Sommerpaprika in verschiedenen Texturen. Abgerundet wird das auch optisch ansprechende Gericht von einem Chorizoschaum, der für meinen Geschmack aber fast zu zurückhaltend geriet. Mag sein, dass das filigrane Bouquet nicht zugedeckt werden sollte, aber trotz allem hätte das Tataky ohne weiteres eine noch wuchtigere Begleitung vertragen können. Zur Einordnung sei allerdings klargestellt, dass dieser Gang keineswegs enttäuschte, sondern sich allenfalls als ein wenig zu vorsichtig entpuppte.

Mit Hilfe eines vegetarischen Gangs nimmt die Küche nochmals geschickt den Fuß vom Gas vorm Hauptgang, doch unterschätzen sollte man das Ei vom Biolandhof Henzler dennoch nicht. Der 45 Minuten lang bei Niedrigtemperatur gegarte Hauptdarsteller entwickelt eine schöne Schmelzigkeit, doch erweist sich die Begleitung in Form von würzigem Sellerie, geräucherter Sojasauce und dem raren Speisepilz Krause Glucke als ausgesprochen dominant. Keine Frage: der Zusammenklang von exzellenten erdigen Aromen, Bitterstoffen und körperbetonter Säure funktioniert gut, doch muss sich das aromatisch wehrlose Ei darin ein wenig verloren vorkommen. Von der Dramaturgie des Menüs her hätte ich mir außerdem einen Gang mit derart weichen Konsistenzen nicht unmittelbar vor dem Hauptgericht gewünscht.

Der Hauptgang selbst, der vermutlich als Höhepunkt der Menüfolge gedacht war, erfüllte unsere Erwartungen leider auch nicht vollständig. Rücken vom Hokkaido Wagyu der höchsten Marmorierungsstufe A5 drapiert die Küche in Form von großen, würfelförmigen Tranchen (muss das sein?) unter Scheiben von Zunge und Röllchen von Rettich. Die ebenfalls mit Rettich aromatisierte Dashi, etwas Sauce Bearnaise und glasige Zwiebeln sorgen für ein puristisches Ambiente. Gerade bei Wagyu begrüße ich so ein zurückhaltendes Defilée allemal, doch leidet dieser Gang eher darunter, dass die inhärenten Qualitäten des Ausnahmefleischs nicht in bestem Lichte erscheinen. Ich führe das in erster Linie auf die Zubereitung zurück, mit der es nicht gelang, die besondere Aromatik des Luxusprodukts in angemessener Tiefe und Konzentration auf den Teller zu bringen. Das ist trotz allem natürlich ein vorzeigbarer Teller, doch wer zum ersten Mal hier Wagyu essen sollte, der wird vielleicht den Hype um dieses Produkt nicht ganz nachvollziehen können, wenn dieses Fleisch der gewöhnliche Maßstab wäre. „Apfelsinfonie“ aus dem Hause Jörg Geiger, mit rotem Senf verfeinert, empfinde ich ebenfalls als suboptimalen Begleiter. Hier hätte ein kräftiger roter Prisecco oder Saft mehr Dividenden eingebracht.

Kommen wir nun zur Brotauswahl zurück, denn eine spezielle Gepflogenheit in diesem Haus besteht offenbar darin, einen eigenen Brotgang nach dem Hauptgericht einzustreuen. Der Hauptgrund dafür besteht in der ausgesprochen würzigen Gochujang Butter, die im Verbund mit dem ebenfalls nicht unter falscher Bescheidenheit leidendem Lardo die Geschmackspapillen beansprucht und gleichzeitig reinigt. Immerhin erstrahlt das schon von vorher bekannte Sauerteig-Focaccia angesichts dieser Begleiter plötzlich in einem ganz neuen Licht.

Als reizendes Pré-Dessert streut man eine Kreation aus griechischem Joghurt ein, der in einer Art Tapioka unter den Waben aus einem nicht namentlich genannten Produkt ruht und im Verbund mit Trauben, Nüssen und Honig eine zurückhaltende, aber wohltuende Aromatik entwickelt, die ohne großartigen Zusatz von Zucker auskommt. Dieser gut ausbalancierte Einschub ist mehr als ein harmloses Intermezzo und vermag uns zu überzeugen.

Der Philosophie der meist auf engen Raum gedrängten Präsentationen bleibt sich die Küche auch beim offiziellen Dessert aus Buttermilch, roter Bete und Mango treu. Diese hinreißende Kreation, die sich an dem Mangosüppchen unten labt, bezieht ihren Reiz ganz aus ihrer Kompaktheit, der Fülle an Texturen und dem federleichten Geschmack: auf einer Ganache von weißer Schokolade und einem Buttermilcheis darüber tummeln sich in ausgelassener Heiterkeit Schaum und Meringue von roter Bete. Der Dialog zwischen Obst (Mango) und Gemüse (Bete) wäre sogar noch besser geworden, wenn eine etwas bissfestere Komponente noch beigesteuert worden wäre. Das ist aber praktisch der einzige Einwand, den man vorbringen kann, denn ansonsten ist die Einbeziehung von Gemüse bei gleichzeitiger Reduktion von kompensierender Süße hier selten gut gelungen. Stark!

Auch am Ende eines langen Abends fällt das Niveau nicht ab: als Petits fours gibt es zum Abschluss noch Churros (vorne rechts), ein Macaron von Passionsfrucht und schwarzem Sesam (hinten), eine Salzkaramell-Erdnuss-Praline (davor) und als fulminante Krönung ein umwerfend gutes Cheesecake mit Shisokresse und Pflaume. Die Pâtisserie geht bei den süßen Ausklängen nochmals mit einer selten gewordenen Präzision zu Werke und erschafft kleine Kunstwerke von Ausnahmerang – sehr beachtlich!

Vergleiche mit der Vergangenheit kann ich keine ziehen, da dies wie bereits geschildert meine Premiere hier war. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass dieses Lokal dieselbe Qualität in den letzten Jahren geboten hatte, da die mediale Aufmerksamkeit fast ausschließlich negativ ausgeprägt war. So oder so reicht die gezeigte Leistung jedenfalls für meine Begriffe ganz klar aus, um das Kommando in der Schwabenmetropole zu übernehmen und Konkurrenten wie das Délice, den Zauberlehrling oder das in die zweite Reihe zu verweisen. Mag sein, dass noch nicht jede Idee in gleich gutem Maße umgesetzt werden konnte, aber dem Versprechen der Geschäftsleitung, den zweiten Stern anzustreben, hat man hier definitiv schon einige Taten folgen lassen.

So wirkten die meisten Teller sehr durchdacht und darum bemüht, mit wenigen Zutaten großen Geschmack auch auf gedrängtem Raum zu präsentieren. Das Wissen um die Vorzüge der jeweils eingesetzten Produkte machte sich auch an mehreren Stellen ausgesprochen positiv bemerkbar, wenngleich bedauerlicherweise gerade dort, wo dies am wichtigsten gewesen wäre (beim Wagyu im Hauptgang) das Gefühl einmal abhanden kam. Bei der Dramaturgie wirkte auch noch nicht alles ausgereift, aber die isolierte Betrachtung jedes einzelnen Gangs fördert wirklich nur marginale Schwächen und im Gegenzug viele Stärken zutage. Der Einsatz einschlägiger und sattsam bekannter Luxusprodukte wird von der Klientel hier sicherlich erwartet, aber langweilig oder gar wie aus der Zeit gefallen gerieten die Kreationen zu keinem Zeitpunkt. Im Gegenteil: das Bemühen um individuelle Ideen, die jedoch nie anecken, verbuchten wir als besonders positiv. Die aufgerufene Summe für das Menü ist jedenfalls angebracht und sollte keinen Hinderungsgrund darstellen, diesem Lokal mal einen Besuch abzustatten. Jedenfalls ist es mir absolut schleierhaft, wieso der Gault&Millau dieser Darbietung derzeit nur kümmerliche 15 Punkte verleiht.

Auch die Servicetruppe ist stets darauf bedacht, alles Steife oder Spießige, das man mit diesem Ambiente in Verbindung bringen könnte, zu vermeiden und geleitet sicher durch den Abend. Insgesamt hat man sicherlich schon persönlicher anmutende Leistungen gesehen, aber sieht man einmal von der eher fragwürdigen Getränkebegleitung zum Hauptgang ab, so war dies eine solide Leistung, an der es nichts auszusetzen gab. Ich kann mich täuschen, aber Restaurantleiter Florian Kuzler schien an diesem Abend nicht anwesend zu sein, denn fast die gesamte Serviceleistung an diesem Abend wurde von einem weiblichen Team erbracht.

Ob es schon im nächsten Jahr für den zweiten Stern reicht, ist eine berechtigte Frage. Einerseits gab es etliche ambitionierte Gerichte, die uns sehr zu überzeugen vermochten. Dem gegenüber standen andererseits ein, zwei Gerichte, deren handwerkliche Umsetzung uns noch Luft nach oben zu haben schien. Wie dem auch sei – die Weichen für die Zukunft sind jedenfalls gestellt und lenken das Lokal in die richtigen Bahnen. Gut möglich, dass der nächste Besuch schon bald wieder ansteht, da der Trend eindeutig nach oben zeigt! Für 18 Punkte reichte es mir noch nicht ganz, aber die vergebenen 17 Punkte sind auf jeden Fall mehr als angemessen und verdient. Man darf daher gespannt weiterverfolgen, ob Stefan Gschwendtner und sein Team wieder an die besten und glanzvollsten Zeiten dieser Stuttgarter Institution anknüpfen können …

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

Speisemeisterei
Schloss Hohenheim
70599 Stuttgart
Tel.: 0711/34217979
www.speisemeisterei.de

Guide Michelin 2021: *
Gault&Millau 2021: 15 Punkte
GUSTO 2022: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2021: 2,5 F

7-gängiges Menü: € 179