Atelier**, München (UPDATE)

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ (Hermann Hesse)

UPDATE (März 2022)

Das war ein gewaltiger Schock für München und das traditionsreiche Haus Bayerischer Hof am Promenadenplatz, als Jan Hartwig im letzten Juli verkündete, das Drei-Sterne-Restaurant Atelier verlassen und sich selbständig machen zu wollen. Nach sieben sehr erfolgreichen Jahren, in denen er sich ungeheuer rasch weiterentwickelt hatte, kehrte er seinem einstigen Karrieresprungbrett also nun den Rücken zu und wagte den Sprung in die Selbständigkeit. Stand jetzt wird der Ausnahmekönner nach seinem kurzen Intermezzo in Form eines Pop-ups namens JAN im Nymphenburger Schloss (siehe meinen Bericht) sein neues Lokal im Sommer unter demselben Namen im Münchner Rhaetenhaus eröffnen.

Dass einem um die Zukunft des Atelier indes nicht bange sein musste, war angesichts der umtriebigen und bestens vernetzten Patronin des Grandhotels, Innegrit Volkhardt, praktisch gewährleistet. Binnen kurzer Zeit zauberte sie den illustren Nachfolger aus dem Hut: der bereits in diesem Haus vor einigen Jahren als Souschef tätige Anton Gschwendtner würde die Nachfolge von Jan Hartwig antreten – fraglos eine vielversprechende Personalie. Warum? Der mir bereits gut bekannte Koch holte im Frühjahr 2020 für das Stuttgarter Olivo den zweiten Stern, stand dort aber praktisch anderthalb Jahre auf dem Abstellgleis, nachdem wahlweise die Pandemie oder dringend anstehende Sanierungsarbeiten der Wiedereröffnung immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten. Kein Wunder also, dass dieser angesichts seiner mehr als vorzeigbaren Referenzen und der mangelnden Perspektive in Stuttgart dem Lockruf aus der bayerischen Landeshauptstadt folgte und die Rückkehr an den einstmals heimischen Herd favorisierte. Im Gegensatz zum Olivo durfte er hier jedenfalls auf etwas mehr Mitarbeiter in der Küche und auf bessere finanzielle Rahmenbedingungen beim Einkauf der Produkte hoffen – kein Wunder, dass er dieser Verlockung nicht widerstehen konnte und gleich fast sein gesamtes Serviceteam, das praktischerweise schon gut eingespielt war, mitbrachte. Der Guide Michelin vergab heuer gleich wieder die zwei Sterne aus Stuttgarter Zeiten – ein erwartbares Urteil, denn natürlich war auch der Geschäftsleitung klar, dass die drei Sterne erst wieder neu erarbeitet werden müssen. Beste Vorzeichen also für einen gelungenen Abend – hoffe ich jedenfalls!

Angesichts all dieser Veränderungen tut es auf der anderen Seite auch ganz gut zu sehen, dass sich an den Räumlichkeiten und sonstigen Gepflogenheiten des Hauses nicht sehr viel verändert hatte. Das vom belgischen Designer Axel Vervoordt gestaltete Lokal blieb unangetastet, und auch an der etwas ungewöhnliche Garderobe der Servicekräfte, die durchaus an Bademäntel erinnert, hielt man weiterhin fest. Neu zum Team dazugestoßen ist Serviceleiterin Daniela Heinzmann, über die später noch ein paar Worte zu verlieren sind.

Wie immer läute ich den Abend mit einem Cocktail von der exzeptionell guten Bar ein – diesmal ist es ein Garden of Paradise, eine Art alkoholfreier Campari Orange mit Grenadine und tropischen Früchten. Dazu trägt der Service die ersten Petitessen auf, die – typisch für Anton Gschwendtner – gleich mit starken Aromen und einprägsamer Optik punkten. Im Hintergrund ein Hamachi-Tatar auf Sepia, gefüllt mit indonesischer Lauchcreme und mit Yuzu verfeinert – ein Apéro mit ausgeprägter Meeresaromatik, filigran und diffiziler im Geschmack als es die Optik vermuten ließe. Vorne links Saiblingskaviar mit fermentierter Karotte und Pistazie – die vegetabilen Aromen dominieren und gehen mit frühlingshafter Frische einen schönen Kontrast zum Vorgänger ein. Abgeschlossen wird die Trias mit Carne cruda, Anchovis, Salzzitrone und Parmesan in Form eines Mini-Sandwich, wobei die starke, aber nicht aufdringliche Salinität noch lange im Gedächtnis haften bleibt. Fraglos ein starker Auftakt …,

… doch mit dem Amuse bouche lässt die Küche noch einen echten Kracher folgen: die Kombination von Zandertatar in einem Shisoblatt mit Gurke, Wasabi, einem Eis von Crème fraîche, einem Kataifi-Nest und einer Shiso-Vinaigrette lässt nicht nur jede kulinarischen Mut, sondern auch ein glänzendes Handwerk erkennen. Wie einträchtig hier leicht süßliche Aromen mit cremigen und bitteren Aromen korrespondieren, lässt erahnen, dass diese Petitesse von äußerster geistiger Durchdringung zeugt. Fürwahr großartig!

Die Brotauswahl reicht in puncto Opulenz fast an die Darbietungen früherer Tage heran: Sauerteig-, Roggen- und Dinkelbrot sind von ausgezeichneter Qualität, doch neben dem Aufstrich von Sesam, japanischen Reisperlen, Szechuan und Frischkäse (links) ist es vor allem der formidable und regelrecht süchtig machende Aufstrich (rechts) von Yuzu und Spirulina-Algen, der dieser Selektion die Krone aufsetzt.

Eine Auswahl beim Menü gibt es derzeit keine (sieht man einmal von einer zuschlagspflichtigen Wagyu-Alternative beim Hauptgang ab), doch angesichts der aktuellen Situation mit Personalknappheit und krankheitsbedingten Ausfällen allenthalben fällt es mir nicht schwer, vollstes Verständnis dafür zu entwickeln. Jedenfalls geht es nach diesem verheißungsvollen Auftakt mit dem alternativlosen siebengängigen Menü zu € 235 los, welches gleich zu Beginn ein weiteres Ausrufezeichen mit Atlantik-Makrele setztTrotz des delikaten Defilées obenauf und der subtilen Verfeinerung mit Tofucrème, Rettich, Nori-Algen und Edamame bleibt der schmelzige Fisch, bei dem die salzigen Noten durchaus gewollt sehr betont werden, samt dem opulent drapierten Kaviari-Kristal-Kaviar schön im Mittelpunkt des Geschehens. Feine Säure und eine auf der Vielzahl von Texturen basierenden Mundfülle machen den Genuss zu einer äußerst angenehmen Angelegenheit, zumal die Ceviche-Koriander-Vinaigrette eine vorzügliche Basis der Komposition darstellt und diese angemessen abrundet. Alles in allem ein ausgezeichneter, bis ins Detail ausgeklügelter Auftakt, der große Kunst verrät!

Wie ich zwischenzeitlich erfahre, ist im hinteren Teil des Lokals, einer Art Separée, übrigens die Belegschaft der Speisemeisterei in Stuttgart-Hohenheim zu Besuch, um den neu erlangten zweiten Michelin-Stern, zu dem ich an dieser Stelle ebenfalls noch gratulieren darf, zu feiern. Der Abend könnte also unter dem Motto „Gschwendtner trifft Gschwendtner“ stehen, da der Chefkoch der Speisemeisterei Stefan Gschwendtner heißt, aber nicht mit Anton Gschwendtner, dem Chefkoch des Atelier verwandt ist. Ich erfahre jedoch, dass ein Mitglied der Truppe fehlt:  es handelt sich dabei ausgerechnet um den Chef Stefan Gschwendtner, der an diesem Abend krankheitsbedingt fehlt. So fällt das Treffen der Namensbrüder leider ins Wasser – wie ärgerlich!

Der Trend zu Süßwasserfischen lässt im süddeutschen Raum (oder zumindest in Bayern) den Namen eines bestimmten Produzenten immer häufiger auf den Karten auftauchen: so stammt auch dieses Prachtexemplar von einer Lachsforelle aus der Fischzucht Birnbaum bei Landsberg am Lech, der auch schon Jan Hartwig bei meinem jüngsten Besuch im JAN das Vertrauen aussprach. Kein Wunder, denn der exemplarische Gehalt von Eiweiß und die feine, mürbe Struktur zeugen ja auch von höchster Qualität. Anton Gschwendtner garniert die Forelle mit Schnittlauch und gebeiztem Eigelb, das schon fast zerläuft. Ein kleiner Salat von Staudensellerie und Kalbszunge à part liefert einen recht deftigen Kontrast, doch auch die Wirkung von Brunnenkresse-Crème und Thymianblüten sollte nicht unterschätzt werden, sorgen doch beide für eine markige Abrundung. Die leicht geräucherte Kräutervinaigrette schließlich verbindet alles auf stimmige Weise, doch trotz aller Komplexität bleibt der Gang leicht zugänglich und erstaunlich duftig – und somit ein weiterer, hervorragender Beitrag.

Handgetauchte Jakobsmuschel wird als nächstes mit Freekeh kombiniert – hier werde ich wieder einmal gewahr, dass ich auch nach über zehn Jahren in der Szene noch längst nicht ausgelernt habe und immer wieder auf neue Namen und Produkte stoße: in diesem Fall wird das unreif geerntete Getreide (Freekeh) zu einer Art alternativem Risotto mit dezentem Biss. Die kurz geflämmte Muschel labt sich an einer sämigen und nicht zu dominanten Sauce Normande, die ungewöhnlich mit cremigen Texturen von Blumenkohl (meiner Meinung nach einem weithin unterschätzten Produkt!) interpretiert und aufgewertet wurde, während sich die sautierten Bouchotmuscheln natürlich als eine hochwillkommene, luxuriöse Umspielung des teuren Hauptdarstellers erweisen. Spätestens mit diesem Teller ist die Rechtfertigung für den zweiten Stern erbracht.

Fernöstliche Anklänge finden sich im nächsten Gang, wobei die Felsenrotbarbe einen alles andere als zurückhaltenden Schub durch Chorizo erfährt, zumal sie auch noch mit deutlichen Paprikanoten geflämmt wurde. Taschenkrebstatar betont den maritimen Charakter noch weiter, während der urbayrisch anmutende, aber asiatisch interpretierte Gochujang-Krautwickel samt der Pinienkerne einen spannungsgeladenen Kontrast liefert. Die Grätenjus schließlich weist deutliche Noten von Estragon und Kerbel auf, bringt gehörig Körper ins Spiel und hält einen Teller zusammen, auf dem viel passiert. Dennoch bleiben alle Komponenten transparent und der Gang in sich sehr stimmig – abermals ein wunderbarer, stark umgesetzter Einfall.

Die vier Tage lang gebeizte, sous vide gegarte und auf der Karkasse über Binchotan gegrillte Taube verströmt überraschend intensive Röstaromen – umso überraschender, dass das Fleisch dabei trotz allem so zart geblieben ist. Allein das stellt schon eine kleine Meisterleistung dar, doch die Begleitung muss sich keineswegs dahinter verstecken. Belebende und entwaffnende Säure von Sanddorn verleiht dem Gang ein ganz eigenes Gepräge, während die süß und scharf lackierte Keule den intensiven Kontrapunkt dazu repräsentiert. Texturen von Schwarzwurzel und etwas Mohn bereichern den Gang mit angemessener Zurückhaltung, während der ungewöhnliche Miso-Cognac-Schaum ein echtes und ziemlich wuchtiges aromatisches Statement setzt. Dass ein Hauptgang eine derart klare kulinarische Aussage erkennen lässt ist anderswo beileibe leider keine Selbstverständlichkeit – hier ward’s jedoch zum Ereignis! Wenn kein Wunder mehr passiert, dürfte dies eines der drei stärksten Hauptgerichte des Jahres werden.

Die leider (und vermutlich wegen der aktuellen Bestimmungen) vorab zusammengestellte Käseauswahl von Maître Antony überzeugt im Gegenzug mit Lorbeerbrot, kandierten Walnüssen, Feigen, getrüffeltem Honig und Armagnac-Pflaumen. Angesichts solch üppiger Begleiter sieht man gerne über das soeben geschilderte Manko hinweg. Vielleicht greift man hier ja schon bald wieder die Tradition auf, dass die Käsegänge aus auskomponierten Kreationen bestehen?!

Den vielleicht kühnsten Gang des Abends, der mit ungewohnt herben Aromen überrascht, gibt es beim Pré-Dessert zu bestaunen. Das Küchlein aus weißer Schokolade wurde mit Shiso und rote Bete aromatisiert, während Süßholz, Blätter der Kresse, Campari und Eis von Blutorange ein alles andere als süßes Dessert definieren. Mit diesem kühnen Einfall bewegt sich Anton Gschwendtner am grassierenden Trend entlang, Gemüse in Desserts einzubauen – während bei den meisten Kollegen in diesem Fall jedoch die Farbe grün dominiert, ist es hier der rötliche Ton, der dem Gang seine optische Charakteristik verleiht. Ungeachtet aller Farbenspiele ist dies ein kreativer und ganz stark umgesetzter Gang, der ein absolut souveränes Handwerk erkennen lässt. Spitze!

Beim eigentlichen Dessert setzt die Küche ebenfalls ein starkes Zeichen: auf einer Ganache von karamellisierter Felchlin-Schokolade platziert man ein Eis von Piemonteser Haselnüssen, während die Jus von Passionsfrucht den cremigen Aromen eine straffe Säure entgegenstellt. Die Blume aus Hippenteig ist eine reizende optische Abrundung, doch auch ohne diese wären die trennscharf ausgearbeiteten Aromen und das Spiel mit Texturen bestens zur Geltung gekommen. Auch dieser Ausklang weist Stil und Klasse auf!

Zu meiner Überraschung folgt noch ein Après-Dessert, das so experimentell wie kein zweiter Beitrag an diesem Abend gerät. Meinem Gefühl nach gilt es bei der recht verwegen interpretierten Kombination von Papaya, Buttermilch, Joghurt-Espuma, Matcha und Limette noch etwas auszuloten, wie die Proportionen optimiert werden können: alles in allem der am wenigsten überzeugende Beitrag des Abends, doch auch keine echte Enttäuschung.

Chefkoch Anton Gschwendtner gehört eher zu der Sorte von Chefs, die sich selten im Gastraum blicken lassen und lieber die intime Zurückgezogenheit ihrer Küche bevorzugen, doch angesichts des Besuchs eines Stammgasts aus Stuttgarter Zeiten verlässt er sein Reich dann doch und nimmt sich kurz Zeit für einen Plausch mit dem erfahrenen Gourmet, der ich zu sein scheine. Wiedersehen macht Freude – kann ich da nur sagen! Man spürt unwillkürlich, dass der Chef seine neue Aufgabe mit großem Ernst angeht und sich der an ihn gestellten Erwartungen vollauf bewusst ist. Dass ich zum Wiederholungstäter werden dürfte, kann ich ihm schon mal zusichern!

Klotzen statt kleckern lautet dann bei den Petits fours die Devise: einer entsprechenden Auswahl von Pralinen sowie dem à part gereichten Profiterol kann ich natürlich nicht widerstehen und runde einen im Luxus schwelgenden, sehr gelungenen Abend sündig ab.

Für meine Begriffe ist Anton Gschwendtner bereits nach wenigen Monaten voll angekommen. Natürlich kann in diesen seltsamen Zeiten nicht gleich alles wieder so geschmiert wie früher laufen, aber allen Mitarbeitern ist das Engagement deutlich anzumerken, zumal weite Teile des Teams ja bereits eingespielt sind. Serviceleiterin Daniela Heinzmann tritt in die großen Fußstapfen von Barbara Englbrecht und kann nach so kurzer Zeit natürlich noch nicht denselben prägenden Eindruck wie ihre Vorgängerin hinterlassen. Trotzdem verrichtet sie ihre Arbeit auf absolut untadelige Weise und kann sich zudem auf eine Brigade verlassen, die weitgehend autark agiert und es ihr gestattet, sich auch mal öfters den Gästen mit einem kurzen Plausch zuzuwenden. Ich habe keine Zweifel, dass Frau Heinzmann in ihre Rolle hineinwachsen wird und schon bald eine neue Ära prägen kann.

Die Küche selbst beeindruckte über weite Strecken mit einem ziemlich individuellen Menü, das vielleicht ganz so intensiv oder knallig wie die Menüs von Jan Hartwig geriet, doch das muss auch gar nicht sein. Erstens ist der Stil von Anton Gschwendtner deutlich klassischer (wenngleich eine gewisse Vorliebe für fernöstliche Einflüsse immer wieder durchklingt), und zweitens sollte sich kein Koch nur deshalb verstellen müssen, weil er nun einem illustren Vorgänger nachfolgt. Das weiß auch Anton Gschwendtner und steigert seine Fähigkeiten stattdessen lieber weiter, indem er das Maximum aus den Rahmenbedingungen herausholt und dank sowohl mehr Mitarbeitern als auch noch besserer Produkte neue Maßstäbe an sich selbst setzen kann. Die Kreationen auf den Tellern wirkten ausgesprochen durchdacht und wiesen auch eine enorme Spannbreite auf: der Umgang mit unterschiedlichsten Produkten und Aromen aus aller Welt gelang ganz souverän und wirkte streckenweise schon sehr ausgereift. Wenn es überhaupt etwas auszusetzen gab, dann war es am ehesten der bisweilen noch fehlende kulinarische Mut, noch stärker auf die eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Die eine oder andere Jus wies noch keine Extraklasse auf, während anderswo vielleicht noch am letzten handwerklichen Feinschliff gefeilt werden kann. Machen wir uns indes nichts vor: welch kleine Kritik ist dies angesichts der derzeitigen Umstände! Die Rechtfertigung für den zweiten Stern ist längst erbracht, während mittelfristig auch der dritte Macaron durchaus wieder angestrebt werden kann. Das Potential für die höchsten Weihen sehe ich sowohl bei den Rahmenbedingungen als auch beim Talent des Chefs als gegeben an. Da die Menüs in diesem Haus seit jeher stattliche Preise aufweisen, sollten auch monetäre Aspekte keinen Hinderungsgrund auf dem Weg nach oben darstellen.

Unterm Strich wurde ich Zeuge einer starken Entwicklung, deren Ende längst noch nicht absehbar ist. Weitere Besuche hier sind meinerseits fest eingeplant – und das gleich aus zwei Gründen. Erstens halte ich diesem Haus ohnehin schon seit etlichen Jahren die Treue, und zweitens macht die gebotene Parade absolut Lust darauf, die weitere Entwicklung hier zu verfolgen. Das Atelier gehört seit vielen Jahren zu den ersten kulinarischen Adressen der bayrischen Landeshauptstadt und scheint diesem Ruf auch weiterhin vollauf gerecht werden zu können. Danken wir insbesondere der Patronin Innegrit Volkhardt für ihre Energie und Weitsicht, stets aufs Neue angemessene Lösungen für komplexe Probleme liefern zu können – auch diesmal wurde sie den Anforderungen vollauf gerecht und liefert internationalen Gourmets somit weiterhin reichlich Gründe, das Atelier nicht links liegen zu lassen. Es lohnt sich definitiv!

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Atelier
Promenadenplatz 2-6
80333 München
Tel.: 089/2120743
www.bayerischerhof.de

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2021: 19 Punkte (noch unter Jan Hartwig)
GUSTO 2022: 9
Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 3 F

7-gängiges Menü: € 239

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„Die gute Küche ist das innigste Band der guten Gesellschaft.“ (Luc de Clapiers Vauvenargues)

UPDATE (Januar 2020)

Es ist mir inzwischen schon eine liebgewonnene Tradition geworden, das neue Jahr kulinarisch in Münchens Drei-Sterne-Restaurant Atelier einzuläuten. Warum auch nicht? Es ist eines der Spitzenrestaurants, das am schnellsten wieder nach den Weihnachtsferien öffnet, und bezüglich der kulinarischen Qualität der Darbietungen ist praktisch schon alles an Lob ausgeschüttet worden, was nur denkbar erscheint. Außerdem ist das Publikum hier so bunt und gemischt wie kaum anderswo – fast so als wäre es problemlos möglich, das Zitat des französischen Philosophen Vauvenargues, der im 18. Jahrhundert lebte, auf die heutige Zeit zu übertragen. Münchens drittes Restaurant, dem jemals die Ehre einer Auszeichnung mit drei Sternen zuteil wurde (nach Witzigmanns Aubergine von 1980 bis 1994 und dem Tantris unter Heinz Winkler von 1982 bis 1991), bietet alles, was man sich von einer zeitgemäßen Küche nur wünschen kann und noch vieles darüber hinaus. In einer Sonderbeilage vom Februar 2019 kürte der FEINSCHMECKER-Guide die seiner Meinung nach besten 100 Restaurants der Welt und nahm das Atelier prompt in diese elitäre Liste mit auf – keine schlechten Referenzen für Chefkoch Jan Hartwig, der gerade einmal Mitte Dreißig ist und doch schon mehr erreicht hat als wovon viele andere Köche lediglich träumen können.

Das meiner Meinung nach größte deutsche Talent der letzten Dekade hat längst seinen eigenen Stil etabliert und eine Menge verlässlicher Mitarbeiter um sich geschart, die ihm treu zur Stange halten. Kein Wunder, dass auch der Gault&Millau in seiner 2020er-Ausgabe (endlich, möchte man fast schon sagen) nachzog und mit 19 Punkten die zweithöchste zu vergebende Note zückte. Dennoch erscheint es amüsant, dass die anderen Guides bereits durchweg das Maximum zugestehen und den Ausnahmerang dieses Lokals somit eindrucksvoll untermauern. Gegenüber früheren Besuchen hat sich rein äußerlich nichts verändert – was aber weiß Gott keine Kritik darstellen soll! Im Gegenteil: mit Ausnahme von Pâtissier Christian Hümbs, den es weiter nach Zürich zog, wurden alle Spitzenkräfte wie Restaurantleiterin Barbara Englbrecht und Sommelier Jochen Benz gehalten. In einer Branche, deren Schnellebigkeit manchmal an die Verweildauer von so manchem Fussballtrainer bei Bundesligisten erinnert, ist dies beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Nachdem man uns an unseren Tisch mit den großen steinernen Präsentiertellern geleitet hat, wird nach der Auswahl des Cocktails zum Aperitif (auf keinen Fall auslassen!) sogleich die erste kleine Parade an Amuses aufgetischt: ein Tramezzinichip mit Bachforellenmousse und gelierter roter Bete ummantelt, dann ein mit Blutwurst, Mandel und Schnittlauch gefüllter Mini-Palatschinken und als drittes eine winzige, mit ganz wenig Zitrone abgeschmeckte Quiche lorraine mit etwas Ceta-Kaviar obenauf. Das ist äußerst fein sowie delikat gearbeitet und bringt die Geschmackspapillen trotz der kleinen Größe rasch auf Betriebstemperatur.

Als nächstes kommt der offenbar schon zum Signature Dish avancierte Gruß vom letzten Jahr: eine Sardine in der Dose, bestens abgeschmeckt mit Zitrone sowie Limette und in Olivenöl eingelegt. Die Sardine ruht auf einer Mayonnaise und ist getoppt mit hauchzarten Streifen von Ingwer, die trotzdem präsent wirken. Abgerundet wird diese augenzwinkernde, aber keineswegs harmlose Einstimmung mit einem Kräuterbaguette.

Der warme Gruß schließlich ist eine unglaublich schmelzige „Kärntner Nudel“, verfeinert mit Speck, Apfel, Perlzwiebel und brauner Butter. Wie immer bei Jan Hartwig wird schon vor dem Einstieg ins Menü die Messlatte sehr hoch gehängt, ohne dass die Küche dabei schon die Muskeln spielen lassen würde. Im Gegenteil: vieles wirkt hier immer so harmlos und bescheiden, doch welch harte Arbeit dahinter steckt, sollten wir später noch erfahren – siehe unten für Details.

Ich entscheide mich für das siebengängige Menü zu € 245 (ein durchschnittlicher Preis für Deutschland auf diesem Niveau), das wieder mit einigen hochpreisigen Viktualien gespickt ist. Vor dem offiziellen Beginn wird natürlich noch die Brotauswahl aufgetragen, deren eigentlicher Inhalt sich nur selten ändert, während von den begleitenden Aufstrichen das Gegenteil behauptet werden kann. Diesmal werden drei aromatisierte Aufstriche in der Form der jeweils verwendeten Zutat präsentiert: Aubergine, Tomate und Olive. Immer wieder spannend!

Roh marinierte Gelbschwanzmakrele kombiniert Jan Hartwig zu Beginn mit in Salz gegartem und in Essig eingelegtem Winterspargel. Über dem eiförmigen Hauptprodukt wird der Spargel flach in Scheiben aufgetragen und mit Tupfen von Austernmayonnaise veredelt. Die Bonito-Vinaigrette liefert dafür den passenden Untergrund und veredelt dieses ganz auf maritime Aromen fokussierte Gericht auf vollendete Weise. Die punktgenaue Garung der Makrele setzt dem Gericht schließlich die Krone auf. Auffallend ist, dass dieser Gang im Vergleich zu früherer Einstiegen etwas reduzierter und fokussierter wirkt – auch ein Kennzeichen von Reife. Was für ein Einstieg!

Eine originelle Inszenierung von gebratener Jakobsmuschel leitet zum nächsten Gang über: versteckt unter einer Scheibe Winterradi ruht der Hauptdarsteller auf Koshihikari, teils bissfestem und teils weichem Reis. Das Fundament des Gerichts bildet eine Sauce aus den Rogen der Muschel, während sich zwischen Muschel und Radi auch noch etwas Eisenkraut befindet. Getoppt wird der Rettich schließlich von winzigen Speckwürfeln und Croutons. Insgesamt war dies der vielleicht am schwersten zugängliche Gang des Abends, doch mit immer bewussterem Verzehr trat auch hier das diffizile Aromengeflecht immer deutlicher hervor – ein Gang für Fortgeschrittene, aber definitiv reizvoll.

Optisch geradezu harmlos mutet der nächste Gang an, denn Sepia und Alblinsen (offenbar ein beliebtes Modeprodukt derzeit) verstecken sich anfangs in dem tiefen Schälchen unter einem Champagnerschaum mit N25 Kaviar obenauf. Dieser Beitrag erinnert ein wenig an Christian Jürgens‘ Einfall vor drei Monaten im Überfahrt, doch spätestens mit dem Lauch wirkt dieser Gang weitaus herber und auch deftiger als die Jürgens’sche Variante mit Gurke. In dramaturgischer Hinsicht finde ich dieses Gericht besonders clever, weil hier der Hauptdarsteller noch stärker als beim Gericht zuvor zunächst vollkommen verdeckt ist und im Gegensatz zum ersten Gang nicht ins Zentrum drängt. Das erhöht die Spannung und den Unterhaltungsfaktor, ohne dass dabei geschmackliche Abstriche in Kauf zu nehmen wären. Ganz große Kunst!

Beim Kalbsbries ist hingegen keine falsche Zurückhaltung angesagt: der voll im Mittelpunkt des Geschehens thronende Hauptakteur wird hier wie immer kräftig gebraten, aber stets neu begleitet. Heuer bestand die Unterlage aus (keineswegs versalzenen) klein geschnittenen Don-Bocarte-Anchovis und Kapern sowie (meines Erachtens sogar entbehrlichen) Rumrosinen. Die Velouté aus Rindssuppe hat unglaublich viel Körper und wird außerdem noch mutig mit geräucherter (!) Crème fraiche begleitet. Eine optisch aparte und geschmacklich leicht bittere Salatgarnitur obenauf bietet einen schönen Kontrast und schwächt die Wirkung dieses vor Umami nur so strotzenden Gerichts ein wenig ab. Was ich schon mehrfach feststellte, gilt jedoch noch immer: in Sachen Kalbsbries ist Jan Hartwig für mich ein absoluter Großmeister! Auch die insgesamt vierte Variante, mit der ich es zu tun bekomme, ist wieder ein echter Volltreffer.

Vor dem Hauptgang wird wie immer die „Radler“-Kreation, bestehend aus einem mit Vanille und Zitrone aromatisiertem Granité mit Tonic Water (bzw. Bier) aufgegossen. Nach dieser stets willkommenen Erfrischung fährt die Küche allerdings gleich wieder ein schweres Geschütz auf …

… in Form von Cabezada vom Maldonado-Schwein. Das ungewohnt festfleischige und deftige Produkt wird hier mit Kohl in diversen Varianten gepaart: ein aufgewickeltes Kohlrabiblatt mit Kohlrabi-Brunoise darin und dann noch eine halbe Scheibe von aufgeschnittenem Rotkohl. Abgeschmeckt wird der ganz vom Hauptdarsteller dominierte Teller mit Vadouvan, schwarzem Knoblauch und Ingwer – ein Hauptgericht, das nach dem ohnehin schon intensiven Kalbsbries-Vorgänger vielleicht gar zu wuchtig gerät, aber per se natürlich wieder einen tollen Einfall darstellt.

Der bescheiden portionierte Käsegang ist der vielleicht harmloseste des Abends, kann aber auch nach all den Erfahrungen zuvor als wohltuend zurückhaltend empfunden werden: schmelziger und ein in diesem Umfeld gar nicht so würziger Roquefort wird bedeckt von einer kreisrunden Scheibe von gelierter Pflaume, während dezente Walnuss-Segmente und dünne cremige Streifen, die fast nach Karamell schmecken, ein ausgewogenes Umfeld zwischen süßlichen und würzigen Aromen schaffen – sehr gut, aber kein Highlight. Wenn es im Atelier überhaupt noch irgendwo Luft nach oben gibt, dann wohl am ehesten bei den Käsekreationen.

Als Pré-Dessert reicht man einen „Schneeball“ in einem Schälchen: deutlich auszumachende Texturen von Litschi und Kokosnuss werden von einem hauchdünnen geeisten Schokoladen-Blatt getoppt und ruhen auf blauem Tee, einer thailändische Spezialität. Optisch wirkt es fast so als würde Schnee in Scheibenwischer-Flüssigkeit schmelzen, zumal sich das Gemisch überraschenderweise nach und nach auch noch violett färbt! Doch keine Sorge: der frisch-fruchtige Geschmack beeindruckt über die Maßen und stimmt den Gaumen gekonnt auf das Finale ein.

Dieses besteht aus – typisch bayrisch! – Brezel. Allerdings ist dieses kleine Exemplar so gefälscht wie nur denkbar: es handelt sich um eine in Brezelform gebrachte Laugenmousse, die mit Karamellschokolade und vermutlich gepufften Reiskörnern überzogen ist. In die Brezellöcher gießt der Service sodann noch einen Extrakt von gelben Pflaumen, während ein Sorbet von Passionsfrucht der Brezel alles Schwere gekonnt austreibt. Originell und beeindruckend – zugleich eine Abkehr von der Stilistik des ehemaligen Pâtissiers Christian Hümbs, der für seine außerordentlich komplexen und jeden Vergleich fast unmöglich machenden Desserts berühmt war. Für manche mag dies ein herber Verlust sein, während andere möglicherweise einen Gewinn darin sehen, dass die Desserts nun wieder leichter fassbar sind.

Das galt für die Petits fours fast seit jeher, doch tut es ihrer großartigen Qualität überhaupt keinen Abbruch: seien es nun die üppigen Pralinen (Cru de Cacao und Vanille für mich) oder die Macarons (Zitrone und Blaubeere): alles ist hier einfach umwerfend gut! Doch auch die elaborierten Ausklänge wie das Zitronentörtchen, das Profiterol von Arabica-Kaffee und Johannisbeere sowie die Kreation um Piemonteser Haselnuss, Karamell und Krokant können sich alle sehen lassen. Was für ein Abend!

Die Servicebrigade um die stets charmante, authentische und höchst aufmerksam agierende Barbara Englbrecht (die ebenfalls noch sehr jung für eine derart verantwortliche Position ist) funktioniert wie ein Uhrwerk und ist bestens aufeinander abgestimmt. Die Restaurantleiterin selbst beherrscht dabei den bayrischen Charme genauso selbstverständlich wie die internationale Geste für ausländische Besucher, von denen es hier nicht wenige gibt. Dass auch Jochen Benz zu den besten Vertretern seiner Zunft gehört, bewies der Sommelier ja beispielsweise schon in Reinhold Würths Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe und in Geisels Werneckhof in München-Schwabing. Außerdem scheint er die (schlicht umwerfenden) Cocktails der hauseigenen Bar mindestens genauso gut wie die Bouteillen im Keller zu kennen. Mit anderen Worten: in allen Schlüsselbereichen ist das Personal hochprofessionell, kompetent und fast schon beneidenswert gut besetzt. Patronin Innegrit Volkhardt stellt meiner Einschätzung nach außerdem alles an Mitteln zur Verfügung, was notwendig erscheint, um solch hohe Auszeichnungen nicht nur zu erlangen, sondern auch verteidigen zu können.

Das scheint sich auch animierend auf die Leistung der Küchenbrigade auszuwirken, denn erstmalig wurde mir und meiner Begleitung der Einblick in die Küche gestattet. Als halber Stammgast mit offenbar überdurchschnittlichem Interesse für dieses Metier handelte ich diese Maßnahme offenbar unbewusst schon bei meinem letzten Besuch aus – natürlich sagten wir da nicht nein, zumal so etwas in ausländischen Lokalen weit üblicher als hierzulande ist. Grand Chef Jan Hartwig steht hier noch persönlich am Herd, legt selbst Hand an und erteilt klare Befehle, die jedoch nichts mit dem Kommandoton cholerischer Chefs aus längst vergangenen Tagen gemeinsam haben. Die Arbeit in der relativ kleinen Küche ist fordernd und verlangt höchste Konzentration von allen Mitarbeitern, weil drei Michelin-Sterne nun einmal Bürde und Ansporn gleichzeitig sein können. Dass die Crew die Aufgabe indes meisterhaft bewältigt, zeigt sich dann aber doch wieder auf den Tellern: sorgsamst ausbalancierte und durchdachte Kreationen voll intensiver Aromen bestätigen eindrucksvoll, dass hier nichts dem Zufall überlassen wird. Die von Jan Hartwig ersonnenen Aromenallianzen sind nicht nur stets ausdrucksstark und intensiv, sondern auch kompakte Wunder an Aromendichte auf kleinem Raum. Beispielhaft möge das Kalbsbries herhalten, das der Grand Chef immer auf dieselbe Weise zubereitet – dagegen scheint das Füllhorn an Ideen rund um eine stimmige Begleitung dieses Lieblingsprodukts von ihm unerschöpflich zu sein. Spärlich fließen auch asiatische Akzente immer wieder gekonnt mit ein, wenn diese Sinn machen. Ansonsten bleibt festzuhalten, dass ich nicht den geringsten handwerklichen Makel ausmachen konnte und kein einziges der Gerichte auch nur annähernd enttäuschend geriet. So beschränkt sich meine Kritik, die in Wirklichkeit eher ein fulminantes Lob darstellt, auf zwei praktisch vernachlässigbare Dinge: zum einen die spürbaren Nebenkosten (doch man weiß ja, worauf man sich einlässt, nicht wahr?) und zum anderen die extrem fordernde Intensität der Gerichte, die dem Gast einiges abverlangt. Ansonsten ist das Atelier nichts weniger als eines der grandiosesten Restaurants, das die Republik derzeit zu bieten hat. Wer das und den prächtigen Rahmen des Hotels Bayerischer Hof versäumt, der hat es nicht besser verdient!

Mein Gesamturteil: 20 von 20 Punkten

 

Atelier
Promenadenplatz 2-6
80333 München
Tel.: 089/2120743
www.bayerischerhof.de

Guide Michelin 2019: ***
Gault&Millau 2020: 19 Punkte
GUSTO 2020:
10 Pfannen mit Bonuspfeil
FEINSCHMECKER 2020: 5 F

7-gängiges Menü: € 245

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UPDATE (Januar 2019)

Das neue Jahr kulinarisch mit einem Besuch hier einzuläuten, hat für mich fast schon Tradition, da es sich bei dem Atelier um eines der Restaurants handelt, das nach dem ganzen Trubel an Weihnachten und Silvester seine Pforten schon relativ bald nach einer kurzen Pause wieder öffnet. Doch auch dies bewahrt einen inzwischen nicht mehr vor der Notwendigkeit, gut und gerne zwei Monate im Voraus reservieren zu müssen. Seit Jan Hartwig 2018 mit 34 Jahren zum aktuell jüngsten – und nach Heinz Winkler überhaupt zum zweitjüngsten – deutschen Drei-Sterne-Koch ausgezeichnet wurde, hat das Interesse an diesem Lokal nochmals sprunghaft zugenommen. An zwei oder drei Tischen pro Abend wird inzwischen meist kein Deutsch mehr gesprochen, denn längst haben internationale Foodies und Gourmets dieses Lokal auf dem Schirm. In der Beilage zur Februar-Ausgabe 2019 kürte das Magazin FEINSCHMECKER die seiner Meinung nach 100 besten Restaurants der Welt, zu denen es das Atelier bereits zählt. Ergo kommt eine Absage des Besuchs nicht in Frage, selbst wenn das entsetzliche Winterwetter an diesem Abend die Anreise zu einer Tortur macht und einem die Laune gehörig verhageln könnte.

Man muss sich nochmals vergegenwärtigen, welch kometenhafte Entwicklung dieser Koch nahm: einst als Souschef von Sven Elverfeld im Wolfsburger Aqua als Nachfolger des von Heinz Winkler abgeworbenen Steffen Mezger im Mai 2014 nach München gekommen, führte Hartwig das Lokal – nicht zuletzt dank der Umsicht und der finanziellen Mittel von Patronin Innegrit Volkhardt – in weniger als fünf Jahren in die kulinarische Weltspitze (der spontane Vergleich mit Jürgen Klopps jüngsten Erfolgen beim FC Liverpool drängt sich mir auf). Dabei hat dieser Ausnahmekoch seinen Zenit mit Sicherheit noch nicht einmal erreicht. Seine eigene und unverwechselbare kulinarische Handschrift – heutzutage wichtiger denn je – hat Hartwig bereits entwickelt, und doch ist dies nur ein Teilaspekt des großen Erfolges. Mit ungebremster Experimentierlust und Mut zum Risiko lockt Hartwig scharenweise aufgeschlossene Gäste in sein Gourmet-Refugium, das gut versteckt im Bauch des Nobelhotels Bayerischer Hof liegt. Zum Erfolg trägt auch die überdurchschnittliche Bar im Eingangsbereich des Lokals und das individuelle, von Axel Vervoordt entworfene Ambiente bei, das mit seinen vielen Naturmaterialien tatsächlich wie das Atelier eines Künstlers wirkt.

Erfreulicherweise offeriert man hier noch zwei Menüs zu fünf bzw. sieben Gängen, bei denen die Gerichte theoretisch auch anders als vorgesehen kombiniert werden können. Meine Wahl fällt auf das siebengängige Menü: bei einem Preis von € 239 bewegen wir uns in einem durchschnittlichen Rahmen für ein Drei-Sterne-Restaurant im Herzen einer Metropole. Sommelier Jochen Benz schlägt mir vor, ihm die Wahl des Cocktails zu überlassen. Ich stimme zu und werde nicht enttäuscht: von der mehrfach prämierten Bar kommt „Promenade“, ein superber neuartiger Cocktail mit Zitronen-, Maracuja- und Ananassaft sowie Vanillesirup, Zitronengras und gelber Paprika(!). Es klingt exotisch, schmeckt aber vorzüglich. Später genehmige ich mir noch einen „Nullpromille“ mit Blutorangensirup, Zitronen- und Mangosaft, Kiwi, Salatgurke und Spicy Ginger – ein weiterer Beleg dafür, dass sich auch die Cocktails auf zeitgemäßem Niveau bewegen und voll überzeugen können.

Drei Amuses werden zu Beginn präsentiert: ein Profiterol mit Blutwurst, Cassis und Meerrettichcrème, dann ein Tartelette mit Dörrpilzen, Avocado und Lardo sowie ein Pilzschäumchen mit Enoki-Pilzen obenauf – allesamt schön drapiert und wohlschmeckend. Der erste Gruß aus dieser Küche ist diesmal eher ein kleiner Gag als eine hochkomplexe Angelegenheit: in einer Sardinenbüchse sind zwei Sardinen (Aufschrift auf der Büchse: Jahrgang 2018 – Jan Hartwig) in Olivenöl eingelegt und mit etwas Limettensaft mariniert. Dazu gibt es noch etwas Wurzelbrot, so dass diese Variante – wenig überraschend – ungleich eleganter und bekömmlicher als die salzige Pizzavariante beim Italiener schmeckt. Vor dem offiziellen Einstieg ins Menü wird die wie immer opulente und auch stets ein wenig modifizierte Brotauswahl aufgetragen, die heuer neben diversen Brotsorten aus einer Heumilchbutter vom Tegernsee, einer großartigen Tomatencrème, einer Olivenölbutter mit Pesto sowie Salz aus dem australischen Murray-Fluss besteht. Soviel Mühe geben sich beim Brot jedenfalls nur noch ganz wenige Lokale in der Republik. Der zweite Küchengruß schließlich ist überragend: ein Ragout vom Taubenherz mit gehobelten Champignons, Granatapfelkernen und einem aromatisierten Schaum von der Taube erweist sich als filigran ausgearbeitete Petitesse von vorzüglicher Qualität.

Rinderfilet (roh mariniert) mit Wasabi-Mandel-Ganache, Guacamole, Parmesan und gebeiztem Eigelb ist ein gewagter, aber überzeugender Einstieg: das von einer hauchdünnen Scheibe Filet ummantelte Tatar wird kreisrund von der mutig gewürzten Ganache umgeben, während Eigelb und Parmesan die Schärfe dieses Begleiters wieder gekonnt relativieren. Das aufwendig gestaltete Gericht punktet mit den Tugenden, die Hartwigs Küche auszeichnen: komplexe Kreationen mit intensiven Aromen, die von einer Experimentierlust leben wie man sie nur selten erlebt. Ein meist klassisches Produkt der Hochküche wird mit neuen Produktallianzen in Szene gesetzt – und meist ist das Ergebnis (so auch hier) hinreissend.

Jakobsmuschel auf Binchotan gegrillt mit Sushi-Reis (Risotto-Style), Gai Lan und Sauce aus den Jakobsmuschelrogen klingt schon beim Lesen wie ein individuell geratenes Gericht – und erweist sich natürlich auch als solches: der herzhaft gegrillte Hauptdarsteller thront in der Mitte des Tellers und wird von dem chinesischen Brokkoli (Gai Lan) als Stange bedeckt, während der herrlich süffige Reis und die unglaublich tiefgründige Sauce zu einem facettenreichen Teller, in dem die komplexe Aromatik bestens austariert ist, beitragen. Grandios! Da sehe ich sogar darüber hinweg, dass diesmal leider kein Gericht mit Kalbsbries auf der Karte steht …

Noch besser wird es mit Sankt Petersfisch, geflämmtem Spitzkohl, Avocado und Sauerkrautnage. Der säuerlich inszenierte Hauptdarsteller bildet die Basis eines unglaublich komplex gestalteten Türmchens mit den Nebendarstellern. Weitere aromatische Spitzen setzen kleine Speckwürfel und diverse essbare Blüten obenauf. Teil des Zaubers von Hartwigs Küche ist, dass der geneigte Amateur kaum erahnen kann, wie es der Küche gelingt, derart viele und filigran herausgearbeitete Aromen so wohldosiert, balanciert und komprimiert auf den Teller zu zaubern. Insbesondere die Sauerkrautnage gerät sehr komplex und hievt das ohnehin schon durchdachte Gericht nochmals auf ein anderes Niveau: das beste Gericht an einem wunderbaren Abend!

Kaninchenrücken, Couscous, Pistazien, Ricotta und Kapern-Limonensauce gerät insgesamt überschaubarer auf dem Teller, doch sind hier im Gegensatz zum überraschenden Vorgänger die Komponenten auch gut erkennbar. Das ausgefallene Spiel mit Texturen, das ebenfalls ein Markenzeichen von Hartwigs Küche ist, macht auch diesen Teller zu einem farbenfrohen Gang. Ein zusätzliches Stück Zunge vom Kaninchen wertet den Gang, dessen Aromenreigen auch hier überzeugt, weiter auf. Das zwanglose und ausgelassene Spiel mit unterschiedlichsten Komponenten, das laut Hartwig selbst auf „100% Wahnsinn“ beruht, führt zu ganz neuartigen Erfahrungen, bei denen sich Vergleiche mangels Vorgängern als schwierig erweisen. Von dem oftmals beschworenen Kopierwahn durch schwächere Köche ist Hartwig insofern fast schon sicher, da der gigantische Aufwand und das Zusammensetzen all dieser Teile höchste Meisterschaft erfordert. Seine Gerichte werden Sie so schnell nirgendwo anders in ähnlicher Form vorgesetzt bekommen.

Vor dem Hauptgang wird wie immer die Erfrischung eingeschoben, die hier aus einem „Radler“ der etwas anderen Art besteht: ein aromatisiertes Granité aus Yuzu, Sake, Ingwer und Vanille wird mit Tonic Water aufgegossen und bringt die Geschmackspapillen – sofern nötig – wieder auf Betriebstemperatur. Muss man noch eigens erwähnen, dass alle aufgelisteten Aromen deutlich herauszuschmecken sind?

Miéral-Perlhuhn „Excellence“, Erdnüsse, Petersilie, Kohlrabi, Mandarine und eingekochte Hühnerbrühe setzt nahtlos die eingeschlagene Stilistik fort: erfreulicherweise gelingt es der Küche diesmal, mittels einer wenigen intensiven Aromatik den Hauptdarsteller nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Während bei manchem Vorgänger-Teller zahlreiche Begleiter die Wirkung eines Produkts meist abfedern mussten, tummeln sich hier die Komponenten insgesamt zwangloser auf dem Teller. Die fast schon orientalisch anmutende Kreation lenkt den Fokus stärker auf das tatsächliche Geheimnis der Hartwig’schen Küchenstilistik: auch hier sind es wieder einmal die Brühen, Saucen und Schäume, die die vertracktesten Aromen beisteuern und den Gerichten ihren unvergleichlichen Reiz verleihen. So harmoniert die Brühe mit dem Petersilienschaum ohnehin schon prächtig, doch häufig werden die Saucen noch weiter durch nicht annoncierte Komponenten so tiefgründig veredelt, dass hier schlicht neue Maßstäbe gesetzt werden. Dies ist kulinarische Erweiterung des Horizonts für den Gast in seiner schönsten Form!

Als eines der wenigen verbliebenen Spitzenhäuser, die noch eigene Käsegerichte kreieren, bleibt der Grand Chef seinem Anspruch, Außergewöhnliches zu bieten, treu: die Kugel (etwa 3 cm Durchmesser) aus Brie de Meaux ist mit Périgord-Trüffel ummantelt und wird mit einer von Williams-Christ, Walnuss und Sherry aromatisierten Sauce begleitet. Manch ein Kritiker spricht von Umami-Bomben in Hartwigs Küche – und einen besseren Beleg als diesen Gang könnte man dafür kaum anführen. Der Sättigungsgrad durch diese intensive Eingebung ist an sich schon unglaublich, doch die beispiellose Komplexität der Sauce entzieht sich fast jeder Beschreibung. So mutig, herzhaft und auch ein wenig kontrovers würden sich das nur die wenigsten Kollegen trauen!

Ein eingeschobenes Pré-Dessert besteht aus einer adretten Kreation rund um Topinambur in verschiedensten Texturen. Das alles andere als pappsüß geratene Schälchen wird durch Essig sogar noch weiter entwaffnet, während lediglich ein ganz unten verstecktes Gelée aus Sauerkirschen (wenn ich mich noch recht erinnere) leichte Süße beisteuert. Desserts aus Gemüse ist ein Trend, dem man auch hier huldigt – und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen.

Dagegen ist das eigentliche Dessert wieder hochkomplex und ungleich vertrackter als sein Vorgänger: Felchlin „Edelweiß“, Banane, Petersilie, Ingwer und Sauerteig ist wie schon so oft ein Dessert, das etliche Komponenten bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und nicht unbedingt zu deren Vorteil in Szene setzt. Christian Hümbs‘ Stilistik lebt zwar von Avantgarde-Techniken, Unverwechselbarkeit und grenzenloser Kreativität – die Ergebnisse sind jedoch absolut herausfordernd und können mit ihrer oft diffusen Aromatik keineswegs immer überzeugen. Kontroversen um seine Desserts gibt es öfters, denn so etwas wie ein ihnen klar zugrunde liegender Einfall ist nicht immer leicht auszumachen. Seine Fähigkeiten an sich sollen hier natürlich nicht in Frage gestellt werden, denn was die Patisserie nach dem offiziellen Ende des Menüs auffährt, ist natürlich große Handwerkskunst – seien es die Macarons (Pistazie, Honigkuchen und Brombeere), der Orangen-Schaumkuss, die komplexe Shiso-Praline oder die einfach großartigen Halbkugel-Pralinen, gefüllt mit Crème von weißem Trüffel, Cru de Cacao oder Vanille Noir.

Ein Besuch im Atelier ist wie immer ein Erlebnis: neben bleibenden kulinarischen Eindrücken gibt es immer auch Anregungen zum Nachdenken und die Erkenntnis, dass kein Amateur ernsthaft erwägen sollte, diese Gerichte nachzukochen. Dass der Gault&Mllau sich nach wie vor nur zu 18 Punkten durchringen kann, ist mir schleierhaft. Wirklich alles an diesem Etablissement ist hochprofessionell: das erkennt man schon daran, dass die Küche auch im Krankheitsfall ihres Chefs (wie an diesem Tag) keinen Deut in ihrer Präzision nachlässt. Die Patisserie unter Christian Hümbs ist extrem fordernd, entwirft sie doch immer wieder Kreationen, bei denen der rote Faden nicht immer leicht zu finden ist. Außerdem kommen derart abstrakte und verwegene Techniken zum Einsatz, dass Vergleiche nahezu unmöglich sind. Gleichwohl ist klar, dass ohne einen überragenden Patissier der dritte Michelin-Stern kaum zu erlangen ist und Frau Volkhardt mit der Abwerbung des damals angesagtesten Patissiers vom Hamburger Haerlin der vermutlich entscheidende große Wurf gelang, um den begehrten dritten Stern verliehen zu bekommen.

Auch die Servicebrigade muss wie ein Uhrwerk funktionieren, wenn so eine Auszeichnung gehalten werden soll. Die erst 30-jährige Barbara Englbrecht, die vom Restaurant Dallmayr zum Team stieß, ist eine außerordentlich professionell und liebenswürdig agierende Restaurantleiterin, die bereits sämtliche Facetten ihres Berufs sicher beherrscht. Der Gast wird zwanglos und locker begrüßt (gerne auch auf bayrisch), charmant durch den Abend geleitet und stets mit allem umsorgt, woran es gerade mangelt. Sommelier Jochen Benz empfiehlt nicht nur mit profunder Kenntnis edle Tropfen, sondern genauso stilsicher aufregende, neuartige Cocktails von der Bar oder passende Digestifs. Die weiteren Servicekräfte erscheinen wie absolut gleichberechtigte Teamplayer, von denen jeder klar zugeteilte Aufgaben bekommen hat und diese auch sicher umsetzt. In der Gesamtheit war dies eine der beeindruckendsten Leistungen einer Servicebrigade, die mir je untergekommen ist: engagiert, leidenschaftlich und jederzeit (auch in Fremdsprachen) mit sicherem Auftreten.

Im Klartext: das Atelier hat sich vollkommen zurecht binnen kürzester Zeit zu einer der besten Adressen von Deutschland gemausert. Ich sehe das Lokal derzeit unter den besten fünf der Republik und kann voll und ganz nachvollziehen, weshalb der Andrang auf dieses Lokal kein bisschen abflaut, sondern im Gegenteil noch weiter zunimmt. Die überragende Kochkunst des Jan Hartwig mit ihren kreativen, zeitgemäßen und überaus aromenstarken Kreationen verdient alle Anerkennung und dürfte dem Traditionshaus am Promenadenplatz noch lange Zeit „full house“ bescheren.

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UPDATE (Januar 2018)

Dass in der Sternegastronomie ein Jahr eine gefühlte Ewigkeit lang sein kann, wurde bei meinem jüngsten Besuch in diesem Lokal wieder einmal bestätigt. Veränderungen gab es in dieser Zeit nämlich zuhauf: im Mai 2017 stieß mit Jochen Benz einer der besten und gefragtesten Sommeliers zur Servicetruppe hinzu, und mit der Verpflichtung von Patissier Christian Hümbs glückte Partonin Inngerit Volkhardt ein ganz großer Wurf. Fast schon logische Konsequenz dieses enormen Ehrgeizes und Aufwands war die Krönung des Lokals mit dem dritten Michelin-Stern im November 2017. Unangenehmster Nebeneffekt: die wohl unumgängliche und einigermaßen signifikante Preiserhöhung trat ebenfalls umgehend ein – das große siebengängige Menü schlägt inzwischen mit € 220 zu Buche.

Damit hat München zum dritten Mal in seiner Geschichte ein Restaurant, das sich mit den höchsten Weihen des roten Guides schmücken darf. Zuvor war dies Eckart Witzigmann in seinem 1994 geschlossenen Restaurant Aubergine gelungen. Auch Heinz Winkler führte in den 80er-Jahren das heute noch bestehende Kultlokal Tantris in München-Schwabing unter seiner Ägide in die internationale Spitzenklasse. Die vergleichsweise lange Durststrecke ist somit nun endlich Geschichte – trotzdem ist der kometenhafte Aufstieg des erst 35-jährigen Grand Chefs Jan Hartwig eine kulinarische Sensation wie sie diese Republik schon lange nicht mehr erleben durfte. Das Schönste daran: angesichts seines jungen Alters und seiner überbordenden Kreativität stehen Hartwig ja alle Türen offen. Dass man von ihm noch viel in Zukunft erwarten darf, steht praktisch schon jetzt außer Frage. Ich scheine jedenfalls nicht der einzige zu sein, der dies genauso sieht: die Nachfrage bei den Reservierungen ist seit November natürlich nochmals sprunghaft in die Höhe geschossen.

Schon die Einstiege wussten wie immer gleich zu überzeugen: Geflügellebercreme, Sellerie, Walnuss und Blutorange im Frühlingsrollenteig war ein hochintensiver Flash, der zwei weitere Apéros würdig umrahmte: Daidai-Baiser mit Fjordlachstatar und Wasabi sowie Profiterole mit Kalbstafelspitz, Pilzduxelles und Röstzwiebelmayonnaise. Auf engsten Raum packt Hartwig hier eine Aromendichte von grandioser Intensität.

Das erste Amuse bestand aus roh marinierter Gelbschwanzmakrele in einem Saft aus Passionsfrucht, veredelt mit Jalapeno, Miso und Limone. Die hinreißende Frische der zitrischen Aromen verlieh diesem luanischen Gericht eine Leichtigkeit, mit der Hartwig bewies, dass er asiatische Prinzipien durchaus zu schätzen und umzusetzen weiß.

Auch der zweite Gruß mit zwei glasigen Tranchen vom Kaninchenrücken wusste zu gefallen: die Veredelung des Produkts in einer leichten Sauce mit Pommery-Senf, Champagner, Alblinsen und Nashi-Birne führte zu einer zauberhaften Liaison scheinbar völlig disparitätischer Elemente. Auch bei der Brotauswahl wird fleißig weiter experimentiert: neben den etablierten Beigaben wurde diesmal unter anderem eine hausgemachte Barbecuecrème mit Speckwürfeln obenauf offeriert.

Der Einstieg ins Menü mit Garnelen aus Bayern, Rinderfilet Carpaccio, Nori-Alge, Chorizo, Mandel und Cocktailsauce bot höchste Kreativität: die aus Erding (Krusta Nova) stammenden Garnelen wurden roh mit dünnen Chorizostreifen umwickelt und von dem Carpaccio dann ummantelt. Winzige Türmchen drumherum setzen spannende Kontraste: die leicht bittere Alge und die Cocktailsauce harmonieren prächtig, während das nussige Mandelaroma eine dezent bittere Note beisteuerte. Das von säuerlichen Aromen dominierte Gericht funktionierte jedenfalls prächtig.

Geflämmter Thunfischbauch, Gurke, geräucherte Shiitakecrème, Avocado, Ingwer und Ponzu klingt nach einem hoffnungslos überfrachteten Gericht, erweist sich aber als Wunder an Konzentration: der wunderbar glasige Fisch (mit Wasabi-Sesam garniert) wird von etlichen Türmchen umspielt: während winzige Portionen der anderen Komponenten ein aromatisches Feuerwerk entzünden, ist der eigentliche Clou die kongeniale Sauce, die aus dem übrigen Fett des Thunfischs nach dem Braten und 25 Jahre altem Mirin-Essig erstellt wurde. Phänomenal!

Jakobsmuschel, Périgord-Trüffel, Topinambur, Haselnuss und Vin Jaune kombinierte Zutaten, die eher selten in dieser Konstellation zu beobachten sind: der Trüffel toppte sowohl in fein geriebener als auch in eingelegter Form das exzellente Muschelfleisch. Umspielt wurde das Ganze von einer federleichten Sauce aus Topinambur und Vin Jaune, wobei einige kleine Würfel aus Topinambur für etwas Biss sorgten. Hätte man hier auf die meines Erachtens deplatzierte Haselnuss verzichtet, hätte das vorzügliche Gericht dadurch sogar noch gewonnen.

Dann kam das Gericht, auf das ich mich den ganzen Abend schon freute. Die beiden besten Gerichte meines Lebens mit Kalbsbries durfte ich bei meinen bisherigen beiden Besuchen hier genießen und war daher voller Hoffnung, auch diesmal ein Wunderwerk vorgesetzt zu bekommen. Prompt wurde ich auch dieses Mal nicht enttäuscht und kann feststellen, dass ich inzwischen die drei besten Kalbsbries-Gerichte jemals allesamt hier verzehren durfte! Heuer war es eine Variante mit einem Blatt aus gebranntem Wirsing, das den durchaus üppig portionierten Hauptdarsteller vollständig verdeckte. Drapiert wurde der kräftig gebratene Hauptdarsteller mit Rieslingskraut und einer Kapern-Rosinensauce, deren geschmackliche Nuancen sich jedweder angemessenen Beschreibung widersetzen. Kaum ein anderer Koch traut sich, Kalbsbries derart kraftvoll in Szene zu setzen – und doch muss man sich nach dem Genuss dieser umwerfenden Kreation fragen, weshalb eigentlich. In Sachen Kalbsbries kann Hartwig jedenfalls derzeit keiner das Wasser reichen!

Als kleine Erfrischung vor dem Hauptgericht gibt es dann einen „Radler“ in hauseigener Interpretation: ein aromatisiertes Granité aus Yuzu, Sake, Ingwer und Vanille wird mit Tonic Water aufgegossen und gelingt vorzüglich. Das Erstaunlichste ist, dass alle konträren Aromen des Granités deutlich zutage treten und vortrefflich ausgearbeitet sind. So eine Erfrischung gibt es nicht alle Tage!

Die mild geräuchterte Challans-Entenbrust punktet mit saftig und auf den Punkt gebratenem Fleisch. Kontraste setzen in kleinen Türmchen nicht nur fein pürierte Blutwurst, Meerrettich und Rote Bete (eine kleine, ganz „normale“ Scheibe?!), sondern auch die dezente und doch präsente Portwein-Feigen-Sauce sowie ein Cracker aus Parmesan obenauf. Das nicht so knallig wie mancher Vorgänger erscheinende Gericht überzeugt mit Zurückhaltung und komplexen, aber nie aufdringlichen Aromen.

Talleggio, Capocollo, Maroni und Barolo als Käsegang ist eine kompakte und ziemlich individuell geratene Kreation. Der in dünnen Streifen des Schinkens umwickelte Weichkäse wird zunächst von einer Scheibe Schüttelbrot mit Blüten obenauf verdeckt. Unter dieser wiederum befindet sich auch noch eine cremige Schicht aus Maronen. Die Vielseitigkeit der verwendeten Käsesorte hätte es fast schon gestattet, diesen Gang durchaus noch eine Spur süßer zu gestalten. Wie dem auch sei: originell, aber vielleicht der einzige Gang des Abends, der noch nicht ganz internationales Spitzenformat hatte.

Gespannt war ich auf das Finale, da Christian Hümbs fraglos zu den besten fünf Patissiers von Deutschland gezählt werden muss. Allerdings erinnere ich mich noch gut an eine Dessertkreation vom Sommer 2015 (als er noch im Hamburger Haerlin tätig war), die hochkomplex geriet, aber ein wenig den roten Faden vermissen ließ. Diesmal bestand das Pré-Dessert aus einem Preiselbeer-Eis, das mit Sandelholz, Sanddorn, Petersilie, Tapiokaperlen und Quinoa umspielt wurde. Hümbs‘ Kreationen sind durchaus gewöhnungsbedürftig: kaum Süße und Aromenfülle, diesmal auf engstem Raum. Der Patissier erschafft Kreationen wie sie keinem Zweiten hierzulande gelingen und lädt seine Gäste auf Entdeckungsreisen in kulinarische Regionen ein, die sie noch nie zuvor erkundet haben. Ein derart mutiges Dessert aus überwiegend säuerlichen und bitteren Aromen mit ordentlich Biss ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Einem spontanen Urteil entzog sich diese radikale Komposition daher fast zwangsläufig, aber rückschauend bleibt festzuhalten, dass dies ein gewagtes und spannendes Gericht voller ungewohnter Kontraste war, das anregend und überzeugend geriet.

Nicht viel konservativer ging es auch beim eigentlichen Dessert zu: grüner Apfel, Fichtennadeln, Gerste und Vanille noir. Eine Aufzählung aller Techniken in diesem Dessert stellte schon an die Servicekräfte eine kaum lösbare Aufgabe und würde hier jeden Rahmen sprengen. Am präsentesten blieb mir die Vanille im Gedächtnis, die so oft aus der Schote reduziert wurde, dass nur eine winzige schwarze Essenz übrig blieb, aus der dann ein Eis gemacht wurde. Außerdem enthielt eine hauchdünn gelierte grüne Kugel eine Essenz von grünem Apfel, die beim Anstechen förmlich explodierte. Dieses launige Dessert, von der Optik her einem Millefeuille nicht unähnlich, das zudem mit etwas Russisch Brot dekoriert war, erforderte höchste Konzentration beim Verzehr, um auch nur annähernd alle Nuancen erfassen zu können. Einmalig, wenn auch leicht kontrovers.

Dass Hümbs auch das klassische Handwerk im Schlaf beherrscht, bewiesen zuletzt die Petits fours. Da wären zunächst ein Schaumkuss-Schneemann, gefüllt mit einer Crème aus roter Shiso-Kresse, sowie ein Türmchen aus Kakao-Baiser und Araguani-Schokolade. Die sechs Macarons (je zwei Pekannuss, Cerealien sowie Schokolade mit Bailey’s) gerieten himmlisch, und auch die phantastischen Halbkugeln aus Tonkabohne und schwarzer Vanille hinterließen einen genauso bleibenden Eindruck wie der restliche Abend.

Eine offenbar verstärkte Hinwendung zu säuerlichen und fruchtigen Aromen sowie ein wachsendes Interesse an japanischen Zutaten und Techniken zeichnen derzeit Hartwigs Küche aus. Man darf gespannt sein, ob sich dieser Trend in Zukunft noch weiter verstärken wird. Das Atelier ist jedenfalls ein absolut würdiger und verdienter Neuling unter den Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland. Dass der Gault&Millau dieses Jahr lediglich an seinen 18 Punkten festhielt, war vermutlich nicht nur in meinen Augen eine große Enttäuschung. Schwachpunkte suchte man praktisch den ganzen Abend lang vergeblich, während Genussmomente genauso zu ihrem Recht kamen wie eher fordernde Momente, die auch erfahrene Gourmets aus ihrer bequemen Komfortzone locken – auch der aufmerksame und untadelige Service trug zum vollendeten Abend seinen Anteil bei. Das war ganz großes Kino und ein Erlebnis der absolut außergewöhnlichen Art, das man möglichst schnell wiederholen möchte!

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Januar 2017

Das Schöne an der bayerischen Landeshauptstadt ist, dass sie meiner Meinung nach von allen deutschen Großstädten die faszinierendste stilistische Vielfalt von Spitzenrestaurants bietet. Nicht weniger als acht Lokale haben im Gault&Millau 2017 drei von vier möglichen Hauben – außerdem funkeln über fünf dieser Lokale bereits zwei Michelin-Sterne. Der interessierte und geneigte Gourmet hat es somit nicht leicht, in dieser Stadt stets aktuell zu bleiben und überhaupt eine Wahl zu treffen, welches Lokal es denn beim nächsten Mal sein soll.

Das Traditionshaus am Promenadenplatz ist nur fünf Gehminuten vom Marienplatz entfernt und liegt damit so zentral wie nur irgend möglich. Dass immer mehr solcher Luxusherbergen auf herausragende Restaurants setzen, ist ebenfalls ein Trend, der in den letzten Jahren zu beobachten war. Nicht selten machen diese Restaurants sogar Verlust, aber die daraus entstehenden Synergieeffekte bescheren dem Hotel wiederum eine deutlich spürbare Zunahme an übernachtenden Gästen, die beim Restaurantbesuch logischerweise gerne auch mal ein Glas Wein mehr trinken wollen als sonst. Der Abend ist ja lang, das Geld sitzt locker, und schließlich ist die Auswahl an Weinen ja auch erheblich besser als in gewöhnlichen Lokalen …

Basierend auf diesen Überlegungen setzt man auch im Bayerischen Hof neben dem gläsernen Atrium auf nicht weniger als sechs (!) Bars und vier hauseigene Restaurants. Das Aushängeschild unter diesen ist das mit zwei Michelin-Sternen dekorierte Restaurant „Atelier“ im Bauch des Hotels. Der überwiegend in Braun- und Grautönen gehaltene, viel Holz verwendende und fensterlose Raum lässt nur in das nebenan gelegene Restaurant „Garden“ blicken. Er wirkt dabei tatsächlich wie das Atelier eines Künstlers und wurde von den Topdesignern Axel Vervoordt und Dirk van der Eecken entworfen. Als im Jahre 2014 der bisherige Chefkoch Steffen Metzger von Kochlegende Heinz Winkler für dessen Residenz in Aschau im Chiemgau abgeworben wurde, bewies Innegrit Volkhardt, die Chefin des Hotels (das gleichzeitig laut eigenen Angaben das umsatzstärkste in Deutschland ist), große Umsicht bei der Verpflichtung eines Nachfolgers.

Nun kocht hier mit Jan Hartwig, seines Zeichens inzwischen 34-jähriger Chefkoch, vielleicht der Aufsteiger der jüngeren Vergangenheit schlechthin. Nach diversen Stationen holte er sich den letzten Feinschliff bei Sven Elverfeld in dessen Wolfsburger Drei-Sterne-Restaurant „Aqua“. Die Verpflichtung Jan Hartwigs zahlt sich nach noch nicht einmal drei Jahren mehr als aus. Hartwig holte 2016 den zweiten Michelin-Stern und wurde vom Gault&Millau 2017 auf 18 Punkte angehoben. Für diesen stellte er gleichzeitig den „Aufsteiger des Jahres“ dar, während ihn das Magazin „Feinschmecker“ gleich zum Koch des Jahres kürte – ein echter Senkrechtstarter eben! Hartwig selbst gab dem „Feinschmecker“ in dessen Dezember-Ausgabe 2016 ein ausführliches und lesenswertes Interview.

Im Servicebereich agiert seit einem Jahr Talisa Bernthaler, die zuvor bereits im „Vendome“ in Bergisch-Gladbach und im Schlossgarten-Restaurant Stuttgart reichlich Erfahrungen sammeln konnte. Sie leitet eine emsige und aufmerksam agierende Truppe, an deren Spitze der stets mit einem roten Jackett bekleidete junge und kompetente Sommelier Moritz-Christian Blaß steht. Beeindruckend ist auch, wie viele verschiedene teils hochkomplexe Beschreibungen von Gerichten die Servicekräfte beherrschen müssen.

Nach dieser ausführlichen Einleitung wird es aber nun Zeit für das Wesentliche. Zum Einstieg wurden diverse kleine Köstlichkeiten mit einem Augenzwinkern gereicht. Besonders im Gedächtnis haften geblieben sind zwei winzige Schäumchen, die jeweils von verschiedenen Zutaten getoppt wurden, die (nur rein akustisch) so gar nicht zueinander passen wollten, aber großen Geschmack auf kleinem Raum boten. Beispiel gefällig? Bitte schön: Limette und Anchovis …

Die erste echte Einstimmung, von der Küche „Strandspaziergang“ getauft, bot in einer Petrischale eine Fülle diverser Spezialitäten aus Neptuns Reich, darunter Büsumer Krabben und Calamaretti – der eigentliche Clou dieser hochkomplexen und überaus ziselierten Komposition bestand in der Beigabe von Yuzu und Ponzu-Soße, die dem Gericht eine sensationelle Frische verliehen.

Auch der zweite Gruß wusste zu überzeugen: ein goldenes Ei war gefüllt mit Eigelb von der Wachtel und begleitet mit Sauce hollandaise und Senfsauce. Wer bislang immer glaubte, dass sich diese Kombination nicht vertragen würde, sah sich spätestens beim Verzehr getäuscht!

Nach der Brotauswahl (die mit Fug und Recht zu den Top5 dieser Republik gezählt werden darf) erfolgte der Start ins Menü mit Schottischem Loch Duart Lachs (Ananas, Kardamom, Misokaramell, Kohlrabitapioka, Pak Choi & Dashi Beurre blanc). Bereits die bloße Auflistung der Zutaten, die so übrigens der Karte zu entnehmen ist, macht deutlich, welch riesigen Aufwand die Küche betreibt. Auch wenn es schwer fiel, jede einzelne dieser Komponenten bewusst wahrzunehmen, so bleibt doch festzuhalten, dass der ultrafrische und butterzarte Lachs bestens von diesen Komponenten begleitet wurde und einen ganz starken Einstieg ins Menü darstellte.

Bei der Jakobsmuschel (grüner Spitzpaprika, Erdnuss, Jalapeno, Karotte & Combava) war die Zahl der Komponeten dann doch des Guten etwas zuviel: letztlich konkurrierten zu viele – zwar handwerklich sicher umgesetzte – Nebendarsteller um die Gunst des geflämmten Hauptakteurs. Hier wären meines Erachtens weniger Begleiter mehr gewesen.

Die ganz leichte Enttäuschung verflog aber beim nachfolgenden Gericht St. Pierre & Calameretti (Danielibutter, Artischocken-Gröstl, Oliven & Felsenfischfumet) rasch wieder. Diese Kreation bediente vor allem mediterrane Noten, und zwar auf sehr überzeugende Weise. Die gelbe Butter bildete den kreisrunden optischen Rand für den köstlichen Fisch in der Mitte des Tellers. Die Zahl der verwendeten Produkte war hier geringer als zuvor und kam dem äußerst stimmigen Gericht spürbar zugute.

Die Krönung des Abends wurde Kalbsbries (Kalbskopfgraupen, Cornichons, Radieschen & Schnittlauch). Schon bei meinem ersten Besuch ein Jahr zuvor bewies Hartwig sein Händchen bei diesem speziellen Produkt, das damals eher von erdigen Aromen begleitet und kongenial von einem Schuss Madeira abgerundet wurde. Dieses Mal wurde das Bries von einer knalligen grünen Schnittlauchsoße begleitet. Die Graupen und Radieschen sorgten für angenehmen Biss und verhinderten, dass sich das Gericht gar zu weich präsentierte. Der unumstrittene Star des Gerichts war jedoch das Bries selbst, das in einer Art Panade zur Perfektion zubereitet wurde. In diesem noch jungen Jahr 2017 war dies bislang jedenfalls der Kracher!

Eine nette Erfrischung vor dem Hauptgang war das Granité von Sake, das mit Tonic Water aufgegossen wurde und die Geschmackspapillen wieder auf Betriebstemperatur brachte.

Challans Entenbrust (Thaicurry, Blaukraut, Hibiskus, Kokos & Enten-Ingwer-Tee) war eine wohltuende Abwechslung zu Wild und Rind, die in den letzten Monaten sehr häufig das Hauptgericht darstellten. Das Fleisch war noch mit leichtem Fettrand versehen und war eine fast perfekte Tranche, die nur so vor Saft strotze. Der Ausflug in die asiatische Aromenwelt geriet sehr überzeugend, zumal die verschiedenen Konsistenzen des Blaukrauts keineswegs nur eine optische Spielerei darstellten, sondern auch in geschmacklicher Hinsicht ihre Daseinsberechtigung hatten. Als alles zusammenhaltende Komponente diente die als „Tee“ klassifizierte Sauce mit leichtem Kokosgeschmack. Sehr gelungen!

Das Käsegericht Fourme d’Ambert mit Pflaume und Vanille Noir ließ dagegen noch Wünsche offen. Auch die amüsante Tatsache, dass der Blauschimmelkäse einmal naturbelassen und direkt daneben als Mousse in derselben tiefen Schüssel präsentiert wurde, konnte nicht meinen Eindruck zerstreuen, dass die Begleiter insgesamt zu blass blieben und dem Gericht nicht ihren nachhaltigen Stempel aufdrucken konnten.

Als Pré-Dessert reichte man eine Kreation, deren plakative Optik haften blieb: ein geeistes und wie ein Ast erscheinendes Stück Russisch Brot lag oben auf einer weißen Creme und einer Art ganz leicht geliertem grünen Boden aus Kalamansi.

Leider gelang es dem Team an diesem Abend nicht. die Menüfolge binnen viereinhalb Stunden abzuwickeln. Die genaue Ursache ist mir nicht bekannt – wenn man einmal davon absieht, dass ausgebuchte Restaurants und der erste Tag nach den Betriebsferien typische Umstände sind, die den Prozess nicht gerade beschleunigen. Skurrilerweise ist es letztes Jahr selbst in Christian Baus Drei-Sterne-Restaurant im saarländischen Perl-Nennig bei den gleichen Begleitumständen vorgekommen, dass das Essen an diesem Abend unerträglich lange sechs Stunden ging. Der Unterschied bestand darin, dass man sich dort nicht entschuldigte …

So kam das eigentliche Dessert meinem Begleiter, der nur die fünfgängige Menüvariante gewählt hatte und nicht auf die Deutsche Bahn angewiesen war, zugute. Herr Hartwig und Frau Bernthaler entschuldigten sich beide jeweils in aller Form für die Unannehmlichkeit und gaben mir wenigstens noch für die Zugfahrt ein kleines Holzkästchen mit Petits fours mit. Der Weg zum Bahnhof geriet zu einer sehr eiligen Angelegenheit, aber nachdem ich den letzten Zug noch erreicht hatte, wendete ich mich nach einigen Minuten besagtem Kästchen zu: darin befanden sich unter anderem zwei der besten Macarons, die ich je probieren durfte. Spätestens dann war der leichte Ärger über das verpasste Dessert verflogen.

Den Eindruck des vorigen Jahres konnte der Chefkoch an diesem Abend jedenfalls mühelos bestätigen, ja sogar leicht toppen. Wie schnell bzw. ob es weiter nach oben gehen wird, steht natürlich noch in den Sternen. Mit der einen oder anderen Reduktion bei den Gerichten würden diese vielleicht noch mehr an kulinarischer Aussage und Geschmack gewinnen. So oder so ist die Aussage, dass Herr Hartwig bis 2020 mit dem dritten Stern rechnen darf, keineswegs vermessen.

Ein Besuch im „Atelier“ ist für einen ambitionierten Gourmet inzwischen Pflicht, auch wenn die Nebenkosten (aufgrund der Premium-Lage des Hotels ist wohl auch kaum etwas anderes zu erwarten …) nicht gerade niedrig sind. Die Vielzahl an herausragenden Extras macht diesen Umstand jedenfalls mehr als wett. Außerdem darf man ja wohl bei einem Restaurant, das zu den 20 besten in Deutschland gezählt werden darf, solche Preise erwarten, oder?