Gasthof Zum Bad*, Langenau (UPDATE)

„Optimisten haben gar keine Ahnung von den freudigen Überraschungen, die Pessimisten erleben.“
(Peter Bamm)

UPDATE (November 2020)

Das nicht gerade überreich mit herausragenden Adressen gesegnete östliche Württemberg hat bei genauerem Hinsehen dennoch so manch feine Location zu bieten, die gerade für zwangloses Essen auf Sterneniveau besonders geeignet ist. Neben den beiden Sternerestaurants Siedepunkt und Seestern in Ulm wäre hier vor allem der Landgasthof Zum Bad in Langenau zu erwähnen. Dieser Landgasthof liegt nur wenige Kilometer von der A7 entfernt und dürfte daher auch so manchen spontanen Besucher anlocken. Warum auch nicht? Die Chancen, in dieser wenig touristischen Region auch kurzfristig einen Platz zu bekommen, stehen gut, da das für einen Landgasthof eher funktional gestaltete Restaurant recht geräumig ist und von Dienstag bis Sonntag auch nachmittags geöffnet hat. Seit nunmehr sechs Jahren hält der unter anderem von Frank Widmann (Widmann’s Löwen in Königsbronn-Zang) ausgebildete Chefkoch Hans Häge Jr. nicht nur den Michelin-Stern, sondern baut seine Fähigkeiten kontinuierlich aus. Das bringt ihm inzwischen im GUSTO wohlverdiente 7,5 Pfannen und im G&M 16 Punkte ein – Tendenz steigend. Ein Trendsetter kann und will eine Landhausküche in der Regel nicht sein – stattdessen setzt man hier auf farbenfrohe und heitere Kreationen, die trotz einer gewissen Bodenständigkeit mit so manchem Twist überraschen und nicht vor dezenter Herausforderung der Gäste zurückschrecken. Die Gäste danken es eher, denn bloße Routine sucht man hier vergebens – das wird übrigens auch schon beim Betreten des Lokals deutlich, wenn man sieht, wie überdurchschnittlich gut der Wagen mit den Digestifs bestückt ist. Mein letzter Besuch hier liegt auch schon fast zweieinhalb Jahre zurück, so dass es höchste Zeit für ein Update wird.

Rein äußerlich hat sich nichts verändert: das weitläufige und relativ sparsam ausgeleuchtete Lokal wirkt eher funktional, doch im Gegensatz zu manch verkitschter Einrichtung in Landgasthöfen ist dies durchaus mal ein wohltuender Kontrast. An diesem nasskalten Abend ist das Lokal mit einem guten Dutzend an Gästen gefüllt, die sich von der Hochküche verwöhnen und überraschen lassen möchten. Kürzere Menüfolgen und wenige Gerichte à la carte gibt es hier auch, aber da ich hier eher selten vorbeikomme, entscheide ich mich natürlich für das siebengängige Menü zum fairen Preis von € 130 und bin gespannt, wie viel Landhausküche hier noch drin steckt: durchaus präsent in meiner Erinnerung sind noch die von üppiger Optik geprägten Kreationen vom letzten Besuch.

Zu einem Glas PriSecco „Bio Weiss“ von Jörg Geiger tischt man die ersten Amuses auf: eine hausgemachte Maultasche in der Brühe mit geschmälzten Zwiebeln, eine mediterrane Kartoffeltasche mit Paprika und ein kleiner Caesar-Salad. Diese augenzwinkernden Einstiege decken bereits eine recht große Spannweite an Aromenwelten überzeugend ab, doch sehr viel individueller wird es danach noch mit zwei Eingebungen rund um Kürbis: zum einen ein Kürbis-Macaron mit gebeiztem Saibling und zum anderen ein Panna cotta mit Kürbisgelée und Krabbe. Beide Darbietungen überzeugen mich durchaus: der Macaron mit ungewöhnlichen Geschmacksbildern, das Panna cotta mit leichter, animierender Säure. Fraglos ein gut gelungener Start, der einen schönen Bogen von der bodenständigen Maultasche bis zu den fast schon kosmopolitisch anmutenden Kürbis-Kreationen spannt.

Auch die Brotauswahl mit fünf hevorragenden Sorten (darunter eine hausgemachte, mit Sepia eingefäbrte) und einem großartigen Aufstrich aus Kürbis, Süßkartoffel, Zwiebel und Sauerklee gelingt ausgezeichnet. Wem der Aufstrich zu mutig ist, der kann auch auf Salzbutter ausweichen.

Doch damit nicht genug: nach diesen kleinen Häppchen folgt noch ein Gruß aus der Küche, der es in sich hat und der Jahreszeit schön huldigt (gerade in dieser Saison offenbar keine Selbstverständlichkeit): ein apart gestaltetes Kürbisschaumsüppchen wird mit Lachstatar, Kürbiskernen, Kürbiskernöl, Kresse, kleiner Salatgarnitur und Radieschen zu einem optischen Fest, das auch geschmacklich mit komplexer und überraschend tiefer Aromatik punktet. Dass angesichts des schummrigen Lichts im Lokal die Fotos mit Blitz besser geraten, erkenne ich nun auch endgültig an …

Mehr und mehr setzt sich in mir die Erkenntnis durch, dass die auffällige Optik hier überaus zweckdienlich eingesetzt wird. Während anderswo substantielle Schwächen dadurch kaschiert werden müssen, scheinen die vielen kleinteiligen Komponenten hier praktisch immer Sinn zu machen, indem sie die Gerichte mit durchdachten und subtilen Akzenten bereichern. Keine Ausnahme bildet da der erste Gang: Schwarzwald-Forelle überzeugt allein schon durch die dezent säuerliche Marinade und die glasige Konsistenz, wird aber dank einer Vielzahl an reizenden Elementen zu einem belebenden Einstieg voll vibrierender Frische. So sorgen Gurke und Avocado in diversen Texturen für vegetabile Power, während gut versteckte Senfsaat und Meerrettich präsente Würze beisteuern. Auch die Säure kommt nicht zu kurz, denn der aufgegossene Sud aus Gurke, Liebstöckel und Yuzu macht sich durchaus positiv bemerkbar. Von der Grundidee her eigentlich ein recht simples Gericht, aber ausgelassen interpretiert und in der Balance sorgsam ausgelotet. Tadellos!

Gänseleberparfait nach dem Fisch ist leicht ungewöhnlich, doch nicht weiter störend: zu dem exzellenten Brioche platziert die Küche auf einem hauchdünnen Kaffeeflan nicht nur das kühle und schön schmelzige Parfait, sondern auch relativ sauer eingelegte Kirschen und hauchdünne Scheiben von frittiertem Blumenkohl, die durchaus präsent geraten und dem Gang gleichzeitig etwas Biss verleihen. Die Interpretation dieses Produktklassikers an sich ist schwerlich als neuartig zu bezeichnen, doch zwei Faktoren tragen dennoch erheblich zum guten Gelingen bei: zum einen wurde plumpe Süße hier geschickt vermieden, und zum anderen gerät die aromatische Dichte des Gangs angesichts des gedrängten Raums auf dem Parfait als bemerkenswert. Das erinnert mich fast schon an die Kunst von Christoph Rainer aus dem Luce d’Oro in Elmau.

Der Höhepunkt der Inszenierung ist mit dem dritten Gang erreicht: das Trio von Kabeljau, Kalbszunge und Venusmuschel gerät zu einem knalligen Erlebnis, dessen Wirkung durch den Teller sogar nochmals verstärkt wird. Hier bleiben die drei vorzüglichen Hauptdarsteller (leicht bissfester Kabeljau, lauwarme und magere Kalbszunge sowie ganz leicht rauchige Venusmuschel) im Mittelpunkt des Geschehens, obwohl Texturen von Paprika und die fundamentale Bouillabaisse, die sich erstaunlich harmonisch anschmiegt, unentbehrliche Begleiter darstellen. Mit einer Vielzahl winziger Details wird die Optik noch weiter aufgewertet, doch erstaunlicherweise wird selbst hier das schlüssige Geschmacksbild nicht der Optik geopfert. Das hat wirklich Stil und dürfte in einem Landgasthof so von den Wenigsten erwartet werden.

Das Auge isst mit – das gilt auch für rote Garnele, die in ein Gewand aus orientalischen Aromen gekleidet wird. Gut versteckt unter den essbaren Blüten sorgen mehrere Texutren von Kürbis für Abwechslung, während spritzige Bergamotte dem Gericht angenehme Leichtigkeit verleiht. Süßkartoffel als erdiger Geschmacksträger und etwas Kernöl zur Verfeinerung runden dieses extrem durchdachte und komplexe Gericht ab, das knapp vor der Überladung stand. Große Harmonie und ein trefflich knackiges Hauptprodukt sorgten aber gekonnt dafür, dass auch dieser Gang nicht aus der Bahn geworfen wurde. Wunderbar!

Der nächste Gang mit Taube litt dagegen für meine Begriffe ein wenig unter dem zu bescheidenen Hauptdarsteller: natürlich kann man das zarte Vöglein so kurz und elegant wie hier anbraten, doch dann sollte das kräftige Defilée aus roten Beten, roter Zwiebel und Waldpilzkräutersud weniger dominant auftreten – die à part gereichte krosse Praline mit geschmorter Taube hätte mit ihrer aromensatten Wucht besser zum Hauptteller gepasst. So dagegen rang die Taube förmlich zwischen knackigen Zwiebeln, Champignons und dem erdigen Sud um die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Das an sich ordentliche Spiel mit Konsistenzen und die mehr als vorzeigbare Optik gerieten somit ein wenig zur Nebensache, da die Taube von der Balance her fast unterging.

Geradezu asketisch mutet im bisherigen Vergleich das Hauptgericht an: Dreierlei vom Kalb mit Lauchherzen und geröstetem Sellerie kommt ohne Chichi aus und vertraut voll auf die Grundqualität des verwendeten Produkts. Gut so, denn das saftige Filet, das eher kräftig gebratene Bries und vor allem das unter dem Bries versteckte Ragout von der Backe wird in dem erdig-herben Kontext von Sellerie (Crème, geschmort, geröstet) eher schlicht, aber angemessen begleitet. Dass Hans Häge Jr. trotz aller Vorliebe für farbenfrohe Inszenierungen auch mal Teller produktfokussiert und schlicht gestalten kann, ist ein Qualitätsmerkmal für Vielseitigkeit und flexibles Denken. Die aromensatte Umami-Wucht dieses Gangs gibt dem Chef fraglos recht – es muss nicht immer der große Zirkus sein!

Den mit Abstand modernsten Einfall stellt hingegen das Pré-Dessert dar. Ein Gurkensorbet mit Gin-Fizz-Granité, Gurkenschaum, Sahne und Kakao-Nibs ist in diesem Umfeld ein gewagtes Experiment, doch das Kalkül geht auf: trennscharf herausgearbeitete Aromen und vibrierende Frische kennzeichnen diesen leichten Einschub, der beim Anblick aus dem Fenster indes vielleicht zu sommerlich gerät. Rein handwerklich gesehen ist dies jedoch ein starker Beitrag!

Mit dem Dessert setzt die Küche praktisch wieder von der Stilisitk nahtlos dort an, wo sie vor dem Hauptgericht aufgehört hatte. Doch bei weißer Schokolade, Pistazie, Pfirsich und Feige will der Funke diesmal bei mir nicht überspringen. „Schuld“ daran ist weder die gewohnt souveräne Optik noch das hausgemachte Pistazieneis, sondern in erster Linie die fast geschmacksneutrale Crème von weißer Schokolade, die durch den relativ eng gesteckten Rahmen fruchtiger Aromen umso auffälliger wird. Hier passiert leider nichts wirklich Bemerkenswertes, das sich mit dem Niveau der vorherigen Darbietungen vergleichen ließe – ein eher enttäuschender und fader Ausklang, wenngleich dies am sehr guten Gesamteindruck dieses Abends natürlich nichts mehr zu verändern vermochte. Mein Grad an Sättigung hat inzwischen einen Grad erreicht, dass mich der Verzicht auf Petits fours (die es nur zu bestelltem Kaffee gilt) nicht weiter stört.

Die Serviceleistung an diesem Abend empfinde ich durchaus als persönlich und aufmerksam, wenngleich nicht sonderlich herzlich, sondern von eher sachlicher Art. Dennoch: man kann mit den Damen durchaus ins Gespräch kommen und erfährt auch bei einer kurzen Stippvisite der Ehefrau des Chefs das eine oder andere Wissenswerte. Dass gerade in Corona-Zeiten die Leitung eines Familienbetriebs eine anstrengende und kraftraubende Angelegenheit darstellen kann, versteht sich dabei fast von selbst. Dass zwischen Vorschriften und Corona-Bestimmungen nicht alles reibungslos funktionieren kann, ist auch selbstverständlich. Gastronomen haben es derzeit schwer und schlagen sich häufig dennoch mehr als ordentlich durch. Wenn der Gasthof dann noch abseits der touristisch geprägten Regionen liegt, dann nötigt mir das noch größeren Respekt ab. Schließlich gehören noch ein Hotel und eine schick eingerichtete Lounge zur Ausstattung des Hauses hier dazu. All das muss man erst einmal unter einen Hut bringen!

Dass Hans Häge Jr.’s Küche inzwischen einen beachtlichen Grad an Reife und Können erreicht hat, ist für mich nach diesem Abend unstrittig. Selten habe ich eine Küche erlebt, die derart zahlreich optische Effekte einbaut, ohne dass diese die geringste Alibifunktion hätten. Im Gegenteil: diese Küche basiert weitgehend auf klassischen Techniken, die aber spielerisch zeitgemäß interpretiert werden. Das macht sie insgesamt leicht fassbar, so dass sie ihre Wirkung nicht verfehlt und in ihren stärksten Momenten sehr zu beeindrucken weiß. An ganz wenigen Stellen geriet mir die Balance der Gerichte ins Wanken, doch die aromensatten Darbietungen überwogen dabei ganz klar. Ich verspreche mir noch einiges von dieser Küche, zumal der Chef noch relativ jung ist. In diesem durch und durch professionell geführten Gasthof kann man jedenfalls zwanglos einkehren und ohne Umschweife glücklich werden, wenn es vom Anspruch her auch mal weniger als das Allerbeste sein darf. Die genussfreundlichen Nebenkosten schließlich belasten das Portemonnaie auch nicht sonderlich und erhöhen den Genuss nochmals, zumal auch die Weinkarte ordentlich bestückt ist. Ohne das etwas maue Dessert hätte vielleicht auch dieser Besuch schon von mir mit 17 Punkten honoriert werden können – die Chancen, dass es beim nächsten Mal klappt, stehen jedenfalls nicht schlecht!

Zwangloser Genuss trifft herausragende Optik – das rechtfertigt einen Besuch allemal!

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Gasthof Zum Bad
Burghof 11
89129 Langenau
Tel.: 07345/96000
www.gasthof-zum-bad.de

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 16 Punkte
GUSTO 2020: 7,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 2,5 F

7-gängiges Menü „Hans Häge Jr.“: € 130

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Juni 2018

Im beschaulichen Langenau, 15 Kilometer nordöstlich von Ulm gelegen, steht am Burghof ein großes, blassgelbes Haus, das einen recht bemerkenswerten Landgasthof beherbergt. Das keineswegs in rustikal-ländlichem, sondern durchaus zeitgemäßem Stil eingerichtete Haus hat sowohl für konservative als auch progressive Gäste etwas zu bieten – was für den Hotelbetrieb wie für die Küche gleichermaßen gilt. So nimmt man in der Hotellobby eher in einer Art Lounge mit großzügigem TV-Gerät Platz, und auch im Restaurant dominieren helle Crèmetöne, die durch orange schimmernden Lampen an der Decke einen wohltuenden Kontrast erfahren. Zur Rückseite des Hauses hat man außerdem noch einen Blick über einen kleinen künstlichen Teich, der vielleicht auch Pate stand bei der Namensgebung des Lokals.

Die Speisekarte offeriert erfreulicherweise schwäbische Schmankerl genauso wie ein mehrgängiges Menü für ambitioniertere Gourmets. Dass Küchenchef Hans Häge junior einige Zeit beim legendären Josef Bauer in Rosenberg am Herd stand, spürt man dabei immer wieder. Nicht nur bei der Gestaltung der Speisekarte geht er dabei im Prinzip denselben Weg, sondern auch bei der Küchenphilosophie, die Regionalität durchaus zu schätzen weiß. Bei der Stilistik auf dem Teller hingegen gibt es doch einige Unterschiede: während Bauers Stil eher plakativ und puristisch war, ist Häges Stil ungleich ziselierter und komplexer.

Zu einem mit Orangensaft aufgegossenen Sanbitter kommen die ersten Kleinigkeiten, die indes noch nicht sonderlich viel hermachen: eine mit Sepia schwarz gefärbte Kartoffelkugel mit Kräutercrèmefüllung, ein Praliné von der Currywurst sowie etwas Schinken und geriebener Käse auf einem luftigen Obstkuchenboden. Ungleich beeindruckender gerät der zweite Gruß: ein farbenfroh und äußerst stimmig in Szene gesetztes Entrée mit Lachs, Radieschen, Gurke und paniertem Wachtelei gerät vorzüglich und lässt bereits erahnen, dass die eher blassen und wenig einprägsamen Eindrücke bei meinem ersten Besuch vor einigen Jahren inzwischen der Vergangenheit angehören. Offenbar haben der Gault&Millau und der GUSTO ihre jüngsten Bewertungen nicht von ungefähr angehoben. Dazu passt auch ins Bild, dass die Brotauswahl sehr ordentlich gerät und mit Bratkartoffelcrème als Aufstrich durchaus Originelles ins Spiel bringt.

Zu Beginn des fünfgängigen Menüs (bis zu sieben Gänge wären möglich gewesen) gerät der Einstieg ganz vorzüglich. Ein bildschönes Arrangement aus Thunfisch, Gurke, Avocado, Miso, Rettich und Senfeis entwickelt große aromatische Vielfalt. Perfekt abgestimmte Aromen, bei denen keines sich in den Vordergrund drängt und verschiedene Texturen (den Thunfisch gibt es beispielsweise als Tatar und in roh marinierter Form), die ganz zwanglos und überraschend eingebaut werden, hieven dieses Gericht sehr weit nach oben. Glänzend!

Keinen Deut schlechter gerät auch der zweite Gang: Königskrabbe, Kürbis, Karotte und Bergamotte bitten zu einem übermütigen Tanz, der nicht nur farbenfroh gerät, sondern auch durch elegant-komplexe Aromenwelten begeistert. Ganz leichte Schärfe im Verbund mit Säure und Süße sorgt für eine wunderbare Begleitung der Krabbe, die sich übrigens durchaus generös bemessen auf dem Teller tummeln darf. Hinreißend!

Als weniger gelungen empfinde ich dann Landei, Erbse, Spargel und Morchel. Die Komponenten sind allesamt in einem tiefen Teller versammelt, der zudem mit einem Morchelsud aufgegossen wird. Alles in allem führt die zu einem diffusen Aromenbild, da die Trennschärfe der Aromen durch die omnipräsente weiche Konsistenz verschwimmt. Der Spargel als vergleichsweise festeste Komponente kann diese Manko nicht vollständig auffangen, so dass unterm Strich eine Komposition steht, die mit dem Einsatz eines separat gereichten Schälchens gewinnen würde, damit sich nicht alle Zutaten in dem weichen Bett verlieren.

Mit dem Hauptgericht ist dann das kleine Zwischentief wieder überwunden: Rücken vom Langenauer Reh, Sellerie, Mispel, Buchenpilze und Serviettenknödel ist ungleich klarer konturiert als es die Beschreibung vielleicht vermuten ließe. Das nach all den berauschenden Farbspielen fast schon wohltuend zurückhaltend inszenierte Gericht ist schwerlich eine gewagte Kreation, sondern vielmehr eine zeitgemäß interpretierte Zusammenstellung bewährter Produkt-Konstellationen, die allenfalls durch den Einsatz der zur Zeit so beliebten Mispel einen indidivuellen Twist erfährt. Ansonsten punktet der Teller mit klar herausgearbeiteten Aromen, netten Ornamenten mit geschmacklichem Mehrwert (wie z.B. ein Jurancon-Gelee) und leicht verständlicher Aussage.

Zum Höhenflug setzt die Küche nochmals mit dem Pré-Dessert an: in einem tiefen Schälchen gehen Gurkeneis, Gin Fizz, Champagnerschaum und geeister Dill eine wunderbare und sehr kreative Liaison ein – herrlich sommerlich und ein echter Volltreffer!

Auch das in verbaler Hinsicht wenig Vorfreude erregende Dessert Erdbeere, Buttermilch und weiße Schokolade gerät ungleich aufregender als gedacht. in einem stimmig als Sichel arrangierten Reigen wird die Erdbeere in nicht weniger als sieben Texturen verarbeitet und federleicht von mit Limette aromatisierter Buttermilch umspielt. Die sparsame eingesetzte Schokolade setzt kleine, aber intensive Akzente, die das großartige Dessert veredeln. Eine sommerliche Komposition mit toller Optik und diffizilen Aromen, die indes keinen überfordert – was will man mehr? Die Antwort darauf lautet allenfalls: ein paar Petits Fours, auf die man hier leider verzichten muss. Dennoch gibt es keinen Grund zur Klage, da das Pré-Dessert einen absolut würdigen Ersatz darstellte.

Insgesamt schnitt die Küchenleistung erheblich besser als bei meinem Premierenbesuch ab und konnte immer wieder regelrecht begeistern – speziell dann, wenn umwerfend in Szene gesetzte Kreationen auch noch geschmacklich etwas hermachen und nicht einfach sinnlose Kleckse beliebig auf dem Teller verstreut werden. Hans Häge ist für meine Begriffe auf dem Weg nach oben und tut dies heimlich, still und leise. Medienecho gibt es hier am östlichen Rand von Baden-Württemberg lediglich in sehr überschaubarem Rahmen, so dass sich die Küchenbrigade voll und ganz auf ihre Aufgaben konzentrieren kann.

Der Service, der im Grunde genommen nur aus zwei Personen besteht, agiert vollkommen zwanglos und tiefenentspannt – eine Haltung, die rasch auf den Gast überschwappt und für ein Wohlgefühl der besonderen Art sorgt. Bedenkt man dann noch die faire Preispolitik, so ist dies ein Lokal, das gerade Einsteigern besonders empfohlen werden kann. Der Michelin-Stern und die 16 Punkte im Gault&Millau bedeuten eine angemessene Würdigung der Leistungen, die man hier bereits seit einigen Jahren auf stetig wachsendem Niveau erleben darf. Wer also in einer für Gourmets nicht allzu attraktiven Region nach brauchbaren Adressen sucht, wird hier jedenfalls nicht enttäuscht werden. Zusammen mit den beiden Ulmer Spitzenlokalen Siedepunkt und dem Treibgut (der neue Name des Sterne-Restaurants im Hotel LAGO) bildet dieser Gasthof derzeit die (überschaubare) kulinarische Spitze im Großraum Ulm.