Bembergs Häuschen*, Euskirchen

„Diejenigen, die sich nicht auf neue Methoden einlassen, müssen immer wieder mit den alten Unzulänglichkeiten rechnen. Zeit ist nämlich der größte Erneuerer.“ (Francis Bacon)

September 2020

Manchmal können auch recht spontane Besuche Überraschungen der angenehmen Art hervorbringen – frei nach diesem Motto steht am Ende eines Eifelurlaubs ein Abstecher in die große Kreisstadt Euskirchen westlich von Bonn an, die fast 60.000 Einwohner zählt und an der Nahtstelle von Rheinland und Eifel liegt. Das Sternelokal Bembergs Häuschen liegt etwas versteckt auf dem Gelände der Burg Flamersheim im gleichnamigen Ortsteil und macht von außen in optischer Hinsicht nicht allzu viel her. Drinnen ist die lindgrüne Einrichtung ebenfalls recht dezent und eher klassisch gestaltet, wobei interessanterweise die quadratischen Tische mit einem weißen Leintuch eingedeckt sind, während die kreisrunden Tische mit blankem Holz aufwarten. An diesem schwül-heißen Sommerabend ist man für jedes geöffnete Fenster froh, da es keine Klimaanlage gibt und die ersten Minuten im Lokal durchaus schweißtreibend geraten. Alles in allem ist dies ein eher unscheinbares Ambiente, aber Stammgäste scheint es hier etliche zu geben. Was wussten wir ansonsten im Vorfeld? Nicht viel, sieht man einmal von dem Michelin-Stern und der jüngsten Aufwertung des Gault&Millau auf 17 Punkte ab. Für das leibliche Wohl zeichnen mit Oliver Röder und Filip Czmok gleich zwei Chefköche verantwortlich, während Maik Neumann für die Speisen im etwas anspruchsloseren Eiflers Zeiten nebenan kreiert. Nicht gerade viel insgesamt an Informationen, so dass wir einigermaßen ahnungslos der Dinge harren, die in den kommenden drei Stunden auf uns zukommen werden.

Zur Auswahl steht ein fünfgängiges Menü, das mit bis zu vier weiteren Gängen ausgebaut werden kann. Wir entscheiden uns für die Grundausstattung zum skurrilen Preis von € 103,25 – ein Betrag, der vermutlich auf die Senkung der Mehrwertsteuer zurückzuführen ist. Los geht es dann jedenfalls mit einer Art dekonstruiertem Caesar-Salad: auf den Romana-Blättern befindet sich Eigelb, eine Eigelb-Senfcrème, Speck und ein Parmesanchip, während im Schälchen unter Parmesanschaum ein Kopfsalatgranité versteckt ist. Das klingt zugegebenermaßen ziemlich wild, funktioniert aber bestens! Die verfremdeten Komponenten des Caesar-Salad sind allesamt herauszuschmecken und gehen eine spannungsreiche Liaison miteinander ein. Gerade an diesem heißen Abend macht diese säuerlich-frische Einstieg enorm Laune und lässt uns darauf hoffen, dass noch mehr kreative Höhenflüge folgen werden. So einen kühnen und gelungenen Einstieg hätten wir in diesem Ambiente jedenfalls nicht erwartet.

Ein ebenso gelungenes Amuse ist das Koriandersorbet mit Melone, Ceta-Kaviar, Safran und Jalapeños. Auch dieser sehr gewagte Einfall kann uns überzeugen, denn die Vielzahl an Texturen und Konsistenzen ist weit mehr als reiner Selbstzweck und sorgt für ein Erlebnis, das bis zum letzten Bissen spannungsgeladen und alles andere als vorhersehbar bleibt. Auch das virtuose Spiel mit recht extremen Temperaturunterschieden bleibt noch einige Zeit im Gedächtnis haften, weil es so ungewöhnlich und doch souverän wirkt.

Mengenmäßig ist die Brotauswahl nicht überwältigend, aber qualitativ mehr als bloßer Durchschnitt, denn kalt gepresstes Olivenöl, Radieschen-Salzbutter sowie mit Oliven und Algen verfeinerte Butter bekommt man auch nicht alle Tage.

Nach diesem überzeugenden Entrée starten wir offiziell mit Bio-Tomate (Tomaten von Theo Frings), weißem Tee, Safran und Jasminblüte. Diese bildschön angerichtete Kreation ist vergleichsweise dezent abgeschmeckt, doch die verschiedenen Tomatensorten sind dadurch umso deutlicher voneinander aromatisch zu unterscheiden. Die abermals vielseitige Inszenierung macht aus dem Verzehr ein bemerkenswertes Erlebnis, das fast schon die Klasse der berühmten Kreationen im Gasthaus Döllerer oder Hertog Jan hat. Als kleiner und überraschender Gag hat sich übrigens ein Segment von Wassermelone unter die Tomaten geschlichen – vom Service bewusst nicht erwähnt und daher eine gut getarnte, stimmige Überraschung. Stark!

Weitaus gefälliger kommt als nächstes Adlerfisch mit wildem Brokkoli, geröstetem Knoblauch und Kakao daher. Die estragonlastige Sauce und das Bouquet an Beigaben (bis auf den kaum auszumachenden Kakao) ist recht dominant, weshalb der an sich mustergültige Fisch nicht optimal zur Geltung kommt. Drücken wir es mal so aus: weit weg von einer Enttäuschung, aber im Vergleich zu den bisherigen Darbietungen etwas schwächer.

Der nächste Menüpunkt hätte allein aufgrund seiner originellen Idee mit Sicherheit das Zeug für ein künftiges Signature Dish hier: nach einer langen Wartezeit kommt das „Herrengedeck“, bestehend aus warmer, mit Sherry verfeinerter Ochsenschwanz-Oxtail im Glas – als falscher Cognac sozusagen. Im Aschenbecher befindet sich Apfelasche, während die Zigarre mit Ochsenschwanz und verhaltenen Texturen von Sellerie gefüllt ist. Hochkonzentrierte Aromen machen aus dieser netten Idee einen Einschub der etwas anderen Art, der sicher umgesetzt wurde. Die Intensität der Oxtail wäre allerdings an einem kühlen und windigen Herbstabend mit Sicherheit passender als an diesem stickig-heißen Abend.

Im Hauptgang tummelt sich Flamersheimer Lamm, das laut Service direkt von den Wiesen nebenan angereist ist, auf dem Teller. Die Umsetzung des Gerichts bedient in erster Linie eher eine erdig-herbe Aromenwelt, passt aber zu diesem Hauptdarsteller ausgezeichnet. Nicht nur, dass Schulter, Zunge und Bries des Tieres verwendet werden und diese auch deutlich unterschiedliche Geschmacksnuancen erkennen lassen – nein, auch das Püree von Sonnenblumenkernen sowie Texturen von Chicorée unter den Sonnenblumenblättern fügen sich zu einem harmonischen Zusammenspiel, das über bloße Gefälligkeit hinausreicht. Die letzte Nuance setzt Schwarzkümmel, der mit dezenter Würzung das ausgezeichnete Fleisch kongenial veredelt.

Das Dessert hingegen wird mehr oder weniger leider von einer Idee, deren Sinn sich uns partout nicht erschließt, ruiniert: Fakt ist, dass weder in optischer noch in geschmacklicher Hinsicht einleuchtet, was die karamellisierte Milchhaut obenauf soll. Die Präsentation des Gerichts ist absolut grenzwertig für meine Begriffe und erinnert mich jedenfalls entfernt an eine gallertartige Qualle. Das darunter versteckte Stachelbeergranité mit Fenchelpollen und Crème-Eis hätte jedenfalls gut ohne den bizarren Einfall mit der Milchhaut auskommen können. Die Konsistenz von besagtem Bestandteil ist glibberig und unangenehm, zumal auch geschmacklich kein Mehrwert erkennbar ist. Hier ist meines Erachtens klar der Gaul mit der Küche durchgegangen. Es wäre unsererseits wohl am klügsten gewesen, die Haut gleich vor dem Verzehr zur Seite zu legen, denn so geriet das Dessert zum Vergessen! Schade, denn so einen Abfall am Ende hätten wir dann doch nicht erwartet – selten so eine misslungene Inszenierung gesehen.

Zum Ausklang (leider ohne Foto) dieses sich über weit mehr als drei Stunden hinziehenden Abends stimmen drei Petits fours versöhnlich: eine Praline von weißer Schokolade mit Himbeeressig verfeinert, dann ein Vanille-Macaron und schließlich ein kandiertes Gelée von Paprika und Johannisbeere. Kenner werden sich außerdem an einer stattlichen Auswahl von gehobenen Spirituosen erfreuen.

Die drei unauffällig und im Wesentlichen eher zurückhaltend agierenden Servicedamen machen einen ordentlichen Job, der allerdings nicht sonderlich lange im Gedächtnis haften bleibt. Die Gerichte werden relativ sparsam erläutert, was aber den Vorteil hat, die eine oder andere Überraschung nicht gleich preiszugeben. Ansonsten gerieten die Wartezeiten zwischen den Gängen teils recht lange für ein fünfgängiges Menü – andererseits wissen wir natürlich nicht, welche Einschränkungen man in der Küche in Corona-Zeiten verkraften muss. Wir verbuchen das daher als nicht weiter störend, sondern bestenfalls auffällig.

Die Küchenleistung zu beschreiben fällt gar nicht so leicht, denn das Fehlen einer einheitlichen Stilistik ist vermutlich das erste Merkmal, das mir in den Sinn kam. Manche Gerichte wurden gleich ganz dekonstruiert, während andere in farbenfrohe Pracht gekleidet wurden und wiederum andere mit etwas verkrampft anmutenden Ideen aufgewertet werden sollten. Handwerklich war an den Gerichten nichts auszusetzen, doch so manche von der Küche ersonnene Kreation wartete mit einer Konstellation an Produkten auf, die uns nur bedingt überzeugen konnte. Da das eingangs beschriebene Trio an Küchenchefs anscheinend bis vor Kurzen noch für beide Restaurants gleichermaßen verantwortlich zeichnete, gehen wir davon aus, dass die beiden hier verbliebenen Küchenchefs derzeit eine Art Findungsphase durchlaufen und die Ausrichtung erst neu justiert werden muss. Positiv nehmen wir jedenfalls zur Kenntnis, dass Küchenchef Filip Czmok am Ende des Abends nicht nur an unserem Tisch erscheint, sondern auch den einen oder anderen Einblick in die Küchenphilosophie sowie die aktuellen Zustände gewährt.

Zusammenfassend handelt es sich bei Bembergs Häuschen um ein typisches, durchschnittliches Ein-Stern-Restaurant, auf das die Region durchaus stolz sein darf. Lokale dieser Art haben inzwischen viele Regionen in Deutschland vorzuweisen (ja, auch die Ostalb!), so dass ein Besuch hier wohl kaum als verpflichtend für ambitionierte Gourmets angesehen werden muss. Vielmehr handelt es sich hier um eine dieser Adressen, über die man froh ist, wenn man einmal in einer unbekannten Region unterwegs ist und zwanglos gehoben speisen möchte, zumal die Nebenkosten im durchschnittlichen Bereich angesiedelt sind.

Mein Gesamturteil: 16 von 20 Punkten

 

Bembergs Häuschen
Burg Flamersheim, Sperberstraße 1
53881 Euskirchen
Tel.: 02255/945752
www. burgflamersheim.de

Guide Michelin 2020: *
Gault&Millau 2020: 17 Punkte
GUSTO 2020: 8 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 3 F

5-gängiges Menü: € 103,25