Burg Schwarzenstein**, Geisenheim (UPDATE)

Anmerkung: nach der temporären Schließung und dem Abgang von Nils Henkel wird das Restaurant auf erheblich niedrigerem Niveau von Nelson Müller weitergeführt.

„Ein jeglicher muß seinen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp hinauf sich nacharbeitet.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

UPDATE (Februar 2021): Das Restaurant an sich existiert zwar weiterhin in denselben Räumen, wird aber inzwischen von Chefkoch Nelson Müller unter dem Namen Müllers auf der Burg mit signifikant niedrigerem Anspruch weitergeführt. Im Frühjahr 2020 hatte die Geschäftsleitung der Anlage bekanntgegeben, dass die Auslastung bereits vor der Corona-Pandemie einen recht kritischen Punkt unterschritten hatte und spätestens mit dem Lockdown das endgültige Aus für das unrentable Lokal in der ehemaligen Form besiegelt wurde. Aus meiner Sicht erscheint dies wie eine überraschende Aussage, denn vor erst wenigen Jahren wurde Henkels Vorgänger Dirk Schroer hier geschasst – mutmaßlich, weil die Ansprüche der Geschäftsleitung auf einen zweiten Michelin-Stern unter Schroer nie erfüllt wurden und stattdessen ein renommierterer Koch geholt wurde. Dass die damit verbundenen (und offensichtlich von vornherein eingeplanten) höheren Kosten nun auf einmal ausschlaggebend für die Schließung des Gourmet-Flaggschiffs gewesen sein sollen, ist dabei durchaus als erstaunlich zu bezeichnen.

Chefkoch Nils Henkel heuerte jedenfalls inzwischen im Bootshaus in Bingen an und versucht wohl nun auf der anderen Rheinseite wieder von vorne durchzustarten – kein so leichtes Unterfangen für einen Koch jenseits der 50 Lenze. Ich hoffe jedenfalls auf das Beste und wünsche ihm viel Erfolg dabei.

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UPDATE (März 2020)

Wenn der Weg zum kulinarischen Gipfel in Form von drei Michelin-Sternen nur dadurch zu erreichen wäre, dass man kulinarische Helden braucht, dann hätte es Nils Henkel schon längst dorthin geschafft. Als rechte Hand von Dieter Müller – zusammen mit Harald Wohlfahrt der Koch, der die meisten Sterneköche ausgebildet hat – in dessen damaligem Restaurant im Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach bringt Nils Henkel natürlich alles mit, wessen es dafür bedarf. Auch dieses Jahr wurde er wieder als heißer Kandidat gehandelt, doch ein neuer dritter Stern ging ziemlich überraschend stattdessen ans Berliner Rutz.

Wir wollen uns nach zweieinhalb Jahren ein eigenes Bild vom Stand der Dinge machen und stellen dabei vor allem fest, dass das Lokal inzwischen von dem kleineren Saal in den größeren und weitaus mondäner anmutenden Bereich umgezogen ist. Der Paradeblick über die Weinberge zum Rheingau, das edle Ambiente und der aufmerksame Service unter der Leitung von Marina Saldaña Alonso bieten beste Voraussetzungen für den noch fehlenden Ritterschlag. An diesem Abend entpuppt sich die Anreise wegen eines Schneesturms als durchaus problematisch, doch der Besuch zuvor im nahen Kloster Eberbach (in dem auch Szenen aus Der Name der Rose gedreht wurden) bekam dadurch schon fast etwas Feierliches. Beflügelt von diesen Eindrücken trotzen wir dem miserablen Wetter und harren gespannt der Eindrücke, die in den nächsten Stunden auf uns einwirken werden – wohl wissend, dass Nils Henkel beständig auf höchstem Niveau kocht und auch in allen anderen Guides hoch angesehen ist.

Nach wie vor bietet man hier zwei achtgängige Menüs mit den programmatischen Namen „Flora“ und „Fauna“ an, wobei das erste davon – wie unschwer zu erraten sein dürfte – rein vegetarisch ist. Das Menü „Fauna“, für das wir uns entscheiden, schlägt mit € 210 zu Buche, offeriert aber durchaus hochpreisige Viktualien und viele generöse Extras, die den Preis rechtfertigen. Zu einem Glas alkoholfreien Secco aus dem Hause „Pomp“ (Apfel, Gurke und Stachelbeere) trägt man vier exquisite Petitessen auf, die es wahrlich in sich haben: Gillardeau-Auster mit Buttermilch und Estragon (Schaum und Vinaigrette), Krabbe im Tempurateig mit Paprika und Koriandermayonnaise, Feldsalatmousse aus Baiser mit Kaviar und Limette sowie ein scharfes Thai-Süppchen auf Fugo-Basis mit Blumenkohl. Das ist ein vielseitiger und facettenreicher Einstieg, der Spaß macht und beeindruckt. Allenfalls der Tempurateig mutet vielleicht nicht ganz zeitgemäß an, doch wen kümmert das angesichts solch grandioser Aromenspiele?!

Der offizielle Gruß aus der Küche hebt das Niveau nochmals spürbar an: geflämmtes Rindertatar in einem Chorizosud mit Texturen von Zwiebeln und einer Scheibe von getrocknetem Chorizo. Selten habe ich herzhafter inszeniertes und schlüssigeres Tatar erleben dürfen – vor allem die komplexe Schärfe vermag zu überzeugen

Die Brotauswahl, bestehend aus Traubenkernbrot und Salzbutter wird um zwei bemerkenswert gute Aufstriche aus Oxalis und aufgeschlagener Nussbutter bereichert. Bis hierhin ist schon mal alles bestens!

Der Einstieg ins Menü mit Königskrabbe, Schwarzwurzel, Miso, Mandarine und Verjus sieht auf dem Teller hübsch aus, vermag aber leider nur bedingt zu überzeugen. Das Krabbenfleisch ist fast schon irritierend weich, während die Fülle an verschiedenen Aromen dieses auffallend kalte Gericht schwer zugänglich machen. Wie so oft bei Nils Henkel haben die Kreationen einen mediterranen Touch, doch insgesamt wird uns beiden hier die intendierte kulinarische Aussage nicht deutlich, zumal das Potpourri aus verschiedenen Aromen kein sinnvolles Ganzes ergibt – nach dem grandiosen Prolog gleich in doppelter Hinsicht ein unterkühlter Einsteiger. Es sollte jedoch der klar schwächste Teller an diesem Abend bleiben …

Die Fortsetzung mit mild geräuchertem Seesaibling, Périgord-Trüffel und Rapskernmilch ist relativ wild in einem Schälchen arrangiert, erreicht geschmacklich aber ein anderes Niveau als der Vorgänger. Das edle Gericht gerät puristischer sowie weniger überfrachtet und gewinnt durch den federleichten Sud spürbar an Frische. Die ungewöhnliche Begleitung des Fischs durch die Trüffel wird allemal gerechtfertigt, da die erdigen Aromen einen schönen Kontrast zum Sud darstellen.

Gegrillte Jakobsmuschel mit Ponzusud, Brunnenkresse und Sojaschaum braucht für die Beschreibung nicht viele Worte, da alles klar erkennbar und unverfälscht auf den Teller gelangt. Der würzige Sud verhindert eine gewisse Langeweile, da neben der großartigen Produktqualität auch eine gewisse, überraschungsfreie Vorhersehbarkeit auffällt.

Eine sichere Bank ist hingegen das Signature Dish „Makrele Marrakesch“, auch wenn es im Laufe der Jahre immer wieder mal leicht modifiziert wurde: diesmal paart es Henkel mit Aubergine, Calamares und Gewürzjoghurt. Das kleinteilige Arrangement birgt jede Menge Überraschungen und spannt einen aromatischen Bogen, der kaum weiter gefächert sein könnte. Immer wieder schafft es der Grand Chef, der schmelzigen Makrele den leicht fettigen Charakter zu nehmen: durch würzig-rauchige Noten von Paprika, fruchtige Noten von confierter Aubergine und leichter Schärfe des Joghurts, während Calamares für Biss, Frische und texturelle Abwechslung sorgt. Phänomenal gut – und die Erkenntnis, dass man bei Nils Henkel immer dieses Gericht sowie das Schwertmuschel-Gericht vom letzten Besuch nehmen sollte, wenn es auf der Karte steht, setzt sich wieder einmal durch.

Tendenziell gefallen mir Fischgänge hier besser als die Fleischgänge, doch bei Sot-l’y-laisse vom Truthahn mit Vadouvanjus, Sauerklee und knusprigem Buchweizen überrascht nicht nur die festfleischige Konsistenz angenehm, sondern auch die stimmige Liaison von Linsen mit dem Buchweizen – ein mäßig scharfes und doch recht elegantes Gericht. Allerdings ist die bisherige Aromenklaviatur noch nicht sehr breit gefächert, da recht häufig Schärfe bislang im Mittelpunkt stand.

Da trifft es sich gut, dass Damhirsch mit getrüffelten Kerbelrübchen und Holunderpfeffer ganz klassisch mit Sauce Rouennaise begleitet wird. Das tiefrot gebratene Fleisch mit seinen vorzüglichen Röstaromen hätte neben den geschilderten Begleitern die knallgrüne Kerbelsauce, in der die Rübchen aufgestellt sind, wahrscheinlich gar nicht gebraucht. Trotzdem hält sich diese dezent zurück und überlässt der Wildsauce, bei der sich mir Vergleiche mit Christian Jürgens‘ Beitrag vom letzten Herbst im Überfahrt aufdrängen, ganz die Bühne. Unterm Strich ein intensives, aromensattes und würdiges Hauptgericht.

Das erste Dessert weckt Kindheitserinnerungen: Kokosmilchreis, Granatapfel-Ingwersorbet und Mango ist eine originelle und farbenfrohe Modifikation eines Klassikers. Dennoch können die hauchdünnen Kokosschnitze, die Granatapfelkerne und die launigen Texturen der Mango (Sponge und Würfel) trotz guter Abstimmung der Aromen den insgesamt relativ harmlosen Eindruck nicht ganz entkräften. Für höchste Ansprüche ist das zu wenig.

Blutorange, Hibiskuscurry, Litschisorbet und Schokolade (Beni Wild Harvest) zieht im Vergleich dazu nochmals sämtliche Register: das säurebetonte Dessert mit zwei Sorbets (Litschi und Hibiskus) bettet die kräftigen Schokoladenaromen gekonnt ein und bringt dennoch die fruchtigen Aromen der filetierten Blutorange bestens zur Geltung. Ein anspruchsvolles Dessert als angemessener Ausklang einer über weite Strecken gelungenen Menüfolge.

Doch auch bei den Petits fours fällt die Dramaturgie nicht merklich ab: ein Shisosorbet mit Ananas, Ingwer und Mango verblüfft beispielsweise durch die überaus klar herauszuschmeckenden Komponenten. Ein Karamell mit Meersalz, ein mit Whisky aromatisiertes Brombeer-Törtchen und eine geeiste Cassis-Sauermilch-Praline können uns ebenfalls überzeugen, doch die umwerfende Krönung ist der generöse Macaron aus Kokos und Koriander – Sünde pur!

Die Küche hatte diesmal vielleicht nicht ihren allerbesten Tag erwischt, doch der Service ließ es an nichts fehlen: die aufmerksame und stets präsente Art, nah am Gast durch den Abend zu geleiten, hat uns sehr zugesagt. Señora Saldaña Alonso erweist sich als hochprofessionelle und zugleich herzliche Gastgeberin, der Anbiederung und Bevormundung des Gastes gleichermaßen fremd sind. Die kleine Brigade junger Damen hat das Geschehen fest im Griff und agiert dennoch angenehm dezent im Hintergrund. Diese Darbietung war ein wahrlich seltenes Beispiel für formvollendeten Service ohne Fehl und Tadel.

Im Vergleich zum ersten überragenden Besuch 2017 wartete die Menüfolge diesmal mit zwei etwas schwächeren Gerichten (erster Gang und erstes Dessert) auf, die uns nicht restlos überzeugen konnten. Welches Potential die Küche andererseits hat, wurde beim Signature Dish und dem Hauptgericht hingegen gleichermaßen deutlich. Interessanterweise verarbeitet Nils Henkel eine unglaublich große Palette verschiedenster Produkte, ohne sich dabei in irgendeiner Weise einzuschränken. Dennoch gilt sein Hauptaugenmerk kreativen und ausgewogenen Kompositionen, die trotz aller Ausgelassenheit natrülich und unverkrampft daherkommen sollen. Einer seiner Schwerpunkte – Gemüse – wäre im anderen Menü sicher deutlicher hervorgetreten, doch auch so attestiere ich ihm gerade bei Fisch ein sicheres Gespür für Kombinationen. Bei den Fleischgerichten war ich bislang zurückhaltender, doch die Zubereitung des Damhirschs und der Rouennaiser Sauce konnte mich voll überzeugen (über die Begleitung konnte man streiten). Zum Zeitpunkt des Besuchs war klar, dass Burg Schwarzenstein auch weiterhin zu den drei besten Adressen in Hessen gezählt werden muss.

Nun darf man gespannt sein, wie es hier irgendwann mal nach der Corona-Krise weitergeht. Ich glaube nicht, dass der Fortbestand dieses Lokals angesichts des Hotels im Hintergrund so gefährdet wie der anderer Lokale ist, doch die neuen Herausforderungen werden auch hier nicht spurlos vorübergehen. Über den Sinn von Prognosen kann man derzeit trefflich streiten. Daher halte ich es lieber – zugegebenermaßen in ganz leichter Abwandlung – mit einem Zitat des Fussballtrainers Otto Rehhagel: „Die Wahrheit liegt auf dem Teller.“

Mein Gesamturteil: 18 von 20 Punkten

 

Burg Schwarzenstein
Rosengasse 32
65366 Geisenheim
Tel.: 06722/95500
www.burg-schwarzenstein.de

Guide Michelin 2020: **
Gault&Millau 2020: 18 Punkte
GUSTO 2020: 10 Pfannen
FEINSCHMECKER 2020: 4,5 F

8-gängiges Menü „Fauna“: € 210

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Oktober 2017

Im vergangenen Februar schlug eine Nachricht in der Gourmet-Szene wie eine Bombe ein: Nils Henkel, ehemaliger Chefkoch im Schlosshotel Lerbach in Bergisch Gladbach, würde die Leitung des Gourmetrestaurants auf Burg Schwarzenstein im Rheingau übernehmen. Diese Ankündigung verdiente zweifellos das Prädikat „Comeback des Jahres“, wenn nicht gar „Comeback des Jahrzehnts“.

Als die Althoff-Hotelgruppe 2014 zu dem Schluss kam, dass ihre zwei Hotels in Bergisch Gladbach sich eher gegenseitig Konkurrenz machen würden, entschieden sie sich dafür, das Kronjuwel (Schloss Bensberg) zu behalten und das Hotel Lerbach zu verkaufen. Die nachfolgenden Pächter übernahmen zwar dieses Hotel, konnten sich aber auf kein Konzept zum Erhalt des Spitzenrestaurants einigen, so dass Bergisch Gladbach seit Januar 2015 nur noch ein Spitzenrestaurant (Joachim Wisslers „Vendôme“ auf Schloss Bensberg) vorweisen kann. Nils Henkel wurde durch die Aufgabe seines Restaurants arbeitslos und tauchte bis zu jener Nachricht im Februar 2017 nur sporadisch öffentlich auf dem einen oder anderen Koch-Event auf. Manch einer hatte schon spekuliert, er sei in den Vorruhestand getreten, doch wissen wir inzwischen besser, dass sie sich nicht fundamentaler hätten irren können. Der bereits unter Koch-Legende Dieter Müller ausgebildete Starkoch übernahm nach Müllers Ausstieg im Jahre 2010 das Restaurant Lerbach – doch auch wenn er den dritten Michelin-Stern nicht halten konnte, so galt das Restaurant auch unter der Leitung von Nils Henkel mindestens als eine der 20 besten Adressen von Deutschland. Sprich: wäre er der Gourmet-Szene nicht erhalten geblieben, so hätten ihm sicherlich viele nachgetrauert. Doch dies hat nun ein Ende …

Die ambitionierten Besitzer des Hotelkomplexes auf Burg Schwarzenstein suchten, nachdem es Vorgänger Dirk Schröer nicht gelungen war, einen zweiten Michelin-Stern ins Rheingau zu holen, nach einem charismatischeren und bekannteren Koch – und wurden bei Nils Henkel fündig. Seit Februar 2017 ist Henkel also kein Phantom mehr, sondern ein wieder aktiver Koch, der sich während seiner zweijährigen Auszeit offenbar keineswegs ausgeruht, sondern unermüdlich an der Schärfung seines Profils und dem Ausbau seiner Fähigkeiten gefeilt hat. Beste Vorzeichen also für ein gelungenes Menü, zumal ihn der Feinschmecker in seinem Guide für 2018 gleich mal zum „Koch des Jahres“ ernannte und mit Lob überschüttete.

Schon die Anreise durch den herbstlichen Rheingau ist selbst bei trübem Wetter angesichts der goldgelb blühenden Weinreben ein echter Hingucker. Das Lokal, das 20 Gästen Platz bietet, befindet sich in einem separaten Anbau neben der künstlichen (!) Burg aus dem 19. Jahrhundert und punktet mit viel Helligkeit. Glas, Holz und andere Materialien rund um den Farbton Braun schaffen hier im Verbund mit den wunderbar bequemen Stühlen eine absolute Wohlfühlatmosphäre. Nimmt man noch den Blick von der Terrasse über die Weinreben hinzu, so darf man von einem nahezu vollendeten Gesamterlebnis sprechen. Außerdem ist – angesichts des gegenüber liegenden Burghotels – der Konsum von einem Gläschen Wein mehr ebenfalls sorgenfrei möglich. Das relativ klein wirkende Ensemble aus Burg, Restaurant und Hotel ist somit definitiv eine der ersten Adressen in ganz Hessen.

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Der Gast hat die Wahl zwischen zwei achtgängigen Menüs, die auch auf sechs Gänge reduziert werden können. Das Menü „Fauna“ bietet sozusagen alles auf, während das Menü „Flora“ komplett vegetarisch gehalten ist und – schenkt man den Eindrücken der anderen Gäste sowie der Profi-Guides Glauben – derzeit zum Besten gehört, was Gemüse in Deutschland zu bieten hat. Ich dagegen entscheide mich für das Menü „Fauna“ und bin gespannt, ob meine hohen Erwartungen erfüllt oder gar übertroffen werden können; außerdem nehme ich die angebotene Saftbegleitung auch noch wahr.

Zum Einstieg serviert man zu einem Glas Apfel-Quitten-Secco (van Nahmen) den ersten Teil des Prologs: einen Fregola-Salat in Fisch-Sud, eine Sphäre von Artischocke auf geschäumtem Parmesan und etwas Tomate obenauf, ein Dim Sum aus Hummer mit Kalamansi und Dashi sowie ein mit Koriander verfeinertes Rindertatar auf einem Tapioka-Chip. Allesamt exzellent!

Der zweite Teil des Einstiegs besteht aus einem leicht geflämmten australischen Lachs mit Kichererbsen-Hummus. Zu meiner Überraschung wird bereits hier ein Saft gereicht, obwohl in der Karte nur von einer 8-gängigen Begleitung die Rede ist. Und was für ein Saft dies ist: ein selbst hergestellter, mit Ginger Spice veredelter Kombucha passt vollendet dazu und verleiht dem Gericht eine phänomenal würzige Note. Sensationell gut!

Die Brotauswahl besteht aus einem hausgemachten und sehr guten Traubenkernbrot, zu dem man drei Aufstriche offeriert: exzellente geschäumte Nussbutter, Beurre de Baratte und eine Butter aus Sauerklee – alles in allem weit überdurchschnittlich.

Der federleichte Einstieg ins Menü mit Carabiniero, Avocado, Tomate, Jalapeno und Basilikum gerät schon einmal vielversprechend und hat große Klasse: der vegetabile Kontext emanzipiert sich zu einem gleichwertigen Begleiter mit dem Carabiniero, der sich aufgrund seiner idealen, lauwarmen Temperatur genau richtig von dem kühlen Umfeld abhebt. Hochelegant die Balance, die durch die Jalapeno-Creme in einem kleinen Knusper-Röllchen vollendet abgerundet wird. Dazu gibt es einen trinkbaren Carabiniero-Sud, der mit Tomate und Basilikum verfeinert ist. Superb!

Kräftigere Aromen bietet der Petersfisch, der zusammen mit Paella-Sud, Bohnen, Räucheraal und Sepia präsentiert wird. Der kross auf der Haut gebratene Fisch harmoniert prächtig mit dem Sepia, das anderswo oft nur als optische Komponente eingesetzt wird. Hier jedoch entsteht ein spürbarer Mehrwert an Geschmack, der durch den sparsamen Einsatz von gewürfeltem Räucheraal und Safran-Noten noch weiter aufgewertet wird. Es scheint, dass Henkel auch mediterrane Einflüsse spielend beherrscht. Großartig! Prächtig harmoniert dazu der Saft von Bohnen mit Noten von Safran.

Offenbar ist der Grand Chef auch willens, dem einen oder anderen Modetrend zu folgen, solange sich dieser mit seiner Küchenphilosophie vereinbaren lässt. Während andernorts lediglich gedankenlos eine mehr oder weniger blasse Version von Ceviche aufgetischt wird, ist Henkels Version von der Dorade mit Blumenkohl, Koriander und Grapefruit inszeniert. Das auch in optischer Hinsicht hinreißend gelungene Gericht gerät zu einem lustvollen und durchdachten Spiel um saure und scharfe Aromen – eine fragile Konstellation, die Henkel vortrefflich auslotet. Phänomenal! Ein würdiger und spannender Begleiter ist die Grapefruit-Limonade aus Frankreich, die somit ausnahmsweise nicht hausgemacht ist – was dem Genuss aber keinen Abbruch tut.

Schwertmuschel mit Dill-Tapioka, Gurke und Büsumer Krabben ist eine Hommage an Henkels Heimat Kiel. Dieses Gericht, das es neulich sogar auf eine großformatige Doppelseite in die Oktober-Ausgabe des Feinschmeckers schaffte, zeugt ein weiteres Mal von Henkels Extraklasse. Die Muschel wird in der eigenen Schale präsentiert und rundherum von den anderen Begleitern in diversen Texturen so ansprechend drapiert, dass man das Gericht eigentlich gar nicht zerstören möchte. Doch auch in geschmacklicher Hinsicht punktet dieses Gericht mit einem meisterhaft ausgeklügelten Sinn für erfrischende Säure. Der nächste Volltreffer! Man schenkt dazu „Inspiration 4.1“ aus dem Hause Jörg Geiger ein: Apfelsaft mit Vogelmiere und Meersalz – ein schöner Kontrast!

Vor dem Hauptgericht wird die Intensität (glücklicherweise, möchte man fast schon einwerfen) dann nochmals ein wenig heruntergefahren. Taubenbrust im Lorbeersud mit confierter Zwiebel und schwarzem Knoblauch ist ein schweres Gericht mit viel Tiefgang, das passenderweise nur in recht kleiner Portion serviert wird. Die erdigen Noten bilden einen Kontrast zur bisherigen Menüfolge, der indes nicht ganz souverän gerät. Isoliert betrachtet hat dieser Menüpunkt sicherlich ebenfalls seinen Reiz, doch im Kontext mit der bisherigen Menüfolge wirkt diese Kreation auf mich ein wenig deplatziert. Trotz dieser leisen Kritik ist das Gericht selbst natürlich immer noch weit von einer echten Enttäuschung entfernt. Auch das servierte Getränk ist das gewöhnungsbedürftigste der gesamten Selektion: Ayurveda-Eistee mit Süssholz und Gewürze schmeckt genauso ätherisch wie es klingt und erinnert in puncto Geschmack an so manche Inhalationslösung.

Dem Hauptgericht geht eine Fleischbeschau voraus, bevor dann Kalbskotelette mit Zitronenthymianjus, Kürbis, geräuchertes Mark und Pilze serviert wird. Die großzügig gehaltene Tranche wird kongenial von Kürbis in allen nur denkbaren Varianten und Pilzen absolut stimmig umspielt, während das Mark, das in einem kleinen Praliné versteckt ist, zum spannenden Kontrast gerät. Die größte Überraschung ist jedoch nicht die spritzige Jus, sondern das à part gereichte Schälchen mit Pilzschaum obenauf. Darunter verbirgt sich Lunge – selbst die zur Zeit nicht sehr hoch im Kurs stehenden Innereien sind Teil des Henkel’schen Repertoires. Dass die Karte diese wohlweislich verschweigt, dürfte kein Zufall sein – und dennoch: geschmeckt hat die ganze Kreation einfach nur vortrefflich. Abgerundet wird sie von dem Kürbissaft, der mit Stachelbeere und Zitronen-Thymian verfeinert ist.

Das erste Dessert aus Weinbergpfirsich, Sauerrahm, grünem Tee und Verveine vereint auf engstem Raum vielfältige Aromen. Dem klein gewürfelten Pfirsich droht in dieser Kreation fast schon die Statistenrolle – so harmonisch und doch fast schon unscheinbar ist er eingebettet. Das Sauerrahmeis und die Sauce mit deutlichen Noten von grünem Tee dominieren das Gericht so sehr, dass die Hierarchie ein wenig auf den Kopf gestellt wird. Aber auch das ist eben typisch Henkel – nicht immer ist das zuerst annoncierte Produkt auch das wichtigste! Der Saft von Kombualge mit Grüntee und Pfirsich ist asiatisch inspiriert und setzt einen spannenden Kontrast zu dem Pré-Dessert.

Zwetschge, Schokolade, Muscovado, Haselnüsse und Kardamom klingt, wenn man es auf seine Bestandteile an sich reduzieren würde, nach einem eher konservativen Dessert. Im Grunde genommen ist es das auch, aber das makellose Handwerk und vor allem die verblüffende Präsentation hieven das Gericht trotzdem weit über die Ebene des Banalen hinaus. Die im Halbkreis angeordneten Begleiter bieten eine solche Fülle an aparten optischen Eindrücken, dass es schwer ist, alle Konsistenzen der Begleiter überhaupt zu erfassen – wahrscheinlich würde dieser intellektuelle Ansatz den Genuss eher sogar einschränken. Also genieße man die nicht zu süß in Szene gesetzte Zwetschge am besten, indem man sich einfach von dem großartigen Geschmack und der sensationellen Optik des Gerichts überwältigen lässt! Schlichtweg ein Dessert mit Stil und großer Klasse! Selbiges gilt auch für den leicht herben Zwetschgensaft, der mit Kardamom verfeinert wurde.

Unter den Ausklängen ist mir besonders ein Macaron mit Curry und Blumenkohl haften geblieben sowie zwei kleine „Snickers“, die natürlich etwa zehn Mal so gut wie das Original schmeckten. Alles in allem ein würdiger Abschluss eines überwältigenden Menüs!   

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Man muss es so deutlich sagen: dies war ein absolut außergewöhnliches Erlebnis, das den Grand Chef Nils Henkel in velleicht besserer Form als jemals präsentierte. Seine Philosophie der von ihm so getauften Pure-Nature-Küche geht immer besser auf und führt nicht nur zu unvergesslichen Geschmackserlebnissen, sondern auch zu einer unverwechselbaren Handschrift und hochgradig individuellen Gerichten. Selten wird Gemüse so zwanglos und souverän als Begleiter eingesetzt – vielmehr spielen vegetabile Komponenten auf Henkels Tellern oft sogar die Hauptrolle und Luxusprodukte die Nebenrolle. Zahlreiche Präsentationsformen und eine kaum fassbare Vielzahl an handwerklichen Techniken, die aber immer kulinarischen Sinn machen, verzücken den Gast immer wieder aufs Neue. An Eingebungen und Überraschungen mangelt es dieser Küche nun wahrlich nicht – was für einen Koch, der auf die Fünfzig zustrebt, beileibe keine Selbstverständlichkeit ist!

Die Servicebrigade aus zum Teil noch erstaunlich jungen Damen und Herren agierte stets aufmerksam, höflich und zuvorkommend, ohne dass jemals der Eindruck von Steifheit oder Humorlosigkeit aufgekommen wäre. Die Gerichte wurden präzise erläutert, und auch Sommelier Michel Fouquet vermittelt sein profundes Wissen über Weine und alkoholfreie Alternativen auf ungezwungene Art. Seine Weinkarte kann so manchen Konkurrenten schon allein wegen ihres Umfangs vor Neid erblassen lassen! Die einzigartige Saftbegleitung ist aber fast noch beeindruckender, weil sie eben weit mehr als nur sattsam bekannte Standard-Produkte, sondern vor Ort hergestellte Erzeugnisse bietet. Gerade die Saftbegleitung scheint Herrn Henkel ein besonderes Anliegen zu sein. Von diesem hochprofessionellen und kompetent agierenden Serviceteam könnte sich jedenfalls so manches Etablissement eine Scheibe abschneiden.

Ein achtgängies Menü auf diesem Niveau für € 180,- geboten zu bekommen darf heutzutage fast schon als erstaunliche Seltenheit gelten. Wenn man bedenkt, dass das vegetarische Menü sogar nochmals 25 Euro weniger kostet, dann darf man mit Fug und Recht von einem mehr als fairen Preis-Leistungs-Verhältnis sprechen. Die übrigen Nebenkosten halten sich ebenfalls in absolut vertretbaren Dimensionen und sollten wirklich keinen Hinderungsgrund für einen Besuch dieses Lokals darstellen – selbiges trifft sogar auf die teuersten Spirituosen (Hennessy Paradis Impérial) zu, die das Haus zu bieten hat. Das gilt übrigens auch, wenn die Garderobe gerade nicht top sein sollte: der freundliche Herr am Nebentisch machte einen lockeren und kompetenten Eindruck, doch seine Kleidung durfte schon als grenzwertig bezeichnet werden. Wenn man trotz ausgebleichter Jeans und einem Oberteil, das einem Pyjama nicht unähnlich sah, dennoch ein solches Lokal problemlos betreten darf, dann ist „Casual Fine Dining“ endgültig in Deutschland angekommen …

Wer dachte, dass Henkel nach zweijähriger Pause an neuer Wirkungsstätte etwas Eingewöhnungszeit bräuchte, sieht sich absolut getäuscht. Die Küchenbrigade scheint ganz genau zu wissen, was sie zu tun hat und wird von Henkel präzise dirigiert. Um so schöner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass sich der Chef bei meiner Abreise noch ein paar Augenblicke für ein kurzes Gespräch nahm und ich ihm so meine Anerkennung zollen konnte.

Als Henkel 2014 unfreiwillig schließen musste, war er mit zwei Michelin-Sternen und 19 Punkten im Gault&Millau dekoriert. Dass er die zwei „Macarons“ wieder sofort zurückbekommt, ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche. Die 19 Punkte, die in der Sprache des Gault&Millau eine Note für die weltbesten Restaurants darstellen, erscheinen ebenfalls möglich. Eine echte Sensation wäre es, wenn Henkel gar den dritten Stern zugesprochen bekäme – meiner Meinung nach wäre dies angemessen. So oder so darf Burg Schwarzenstein unter der Leitung von Nils Henkel zu dem besten Dutzend deutscher Restaurants gezählt werden. Seien wir also dankbar, dass uns Herr Henkel ab sofort wieder beglückt und freuen uns auf noch viele unvergessliche Momente in der Zukunft!