CODA Dessert Dining**, Berlin

„Das Leben ist ungewiss. Essen wir den Nachtisch zuerst.“ (Ernestine Ulmer)

Januar 2023

So spät bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht in ein Sternerestaurant eingekehrt – die Zeiger der Uhr neigen sich gegen 22 Uhr, doch ich bin keinesfalls spät dran. Im Gegenteil: in der Hauptstadt gibt es nämlich in Form des CODA Dessert Dining ein Lokal, das pro Abend zwei Seatings veranstaltet und tatsächlich nach einem ersten Durchgang, der um 18.00 Uhr beginnt und ein siebengängiges Menü beinhaltet, eine weitere Runde an Gästen zu einem fünfgängigen Menü um 22.15 Uhr bittet! Allerdings muss ich einräumen, dass diese Eigenheit des Lokals zu dem Zeitpunkt, da ich diese Zeilen aufsetze, schon bald passé sein wird, denn laut einer zwischen meinem Besuch (Anfang Januar) und der Veröffentlichung dieses Berichts annoncierten Meldung wird es diese Praxis zugunsten noch höherer Qualität künftig ab April nicht mehr geben. Das mag für Nachtschwärmer einerseits bedauerlich scheinen, aber ich kam ja glücklicherweise noch in den Genuss, am Nachmittag des selben Tages im Facil gewesen zu sein und nach einer ausgiebigen Erkundung der Neuen Nationalgalerie (in welcher es geradezu vor Publikum wimmelte) und des Kulturkaufhauses Dussmann – eine meiner Stammadressen in der Hauptstadt – hier spätabends noch einkehren zu können. Wenn es andererseits der Qualität dienlich ist, dann kann ich daran nichts Verwerfliches erkennen.

Vor der Fortsetzung der Geschichte sei an dieser Stelle erst einmal überhaupt das Ziel näher vorgestellt: mitten im Bezirk Neukölln hat René Frank ein in Deutschland bisher einmaliges Konzept erfolgreich etabliert, das außer in der Hauptstadt wohl in keiner anderen deutschen Metropole derart reüssieren könnte. Der gelernte Pâtissier verbrachte nämlich einige Jahre im ehemaligen Osnabrücker Dreisterner La Vie bei Thomas Bühner, doch spätestens mit der völlig überraschenden Schließung dieses Lokals im Jahre 2018 reifte wohl in dem Freigeist der Gedanke, ein gewagtes und beispielloses Konzept auf den Weg zu bringen: die gesamte Menüfolge solle auf Techniken aus der Pâtisserie beruhen und somit von vornherein quasi aus Desserts bestehen. Tatsache ist, dass seit 2021 zwei Michelin-Sterne über dem Lokal leuchten, was eine komplette Enttäuschung zumindest sehr unwahrscheinlich macht. Mich selbst treibt zweierlei Motivation in das Lokal: zum einen möchte ich schlicht und ergreifend am eigenen Gaumen erfahren, wie gut dieser wahlweise skurril oder seltsam anmutende Geistesblitz in der Praxis tatsächlich funktioniert, und zum anderen ist das CODA eines der noch ganz wenigen fehlenden Exemplare in meiner Sammlung an deutschen Zweisternern – nach diesem Besuch stehen noch vier aus …

Schon die Anreise zum CODA ist ein kleines Abenteuer, denn es sind noch gut und gerne zehn Gehminuten durch das nächtliche Neukölln von der nächstgelegenen U-Bahn-Station aus. Allein in dieser kurzen Zeit saugt man schon etliche Eindrücke auf: seien es Dönerbuden zuhauf, marode Gehwege mit reichlich Stolperfallen oder umherziehende, nur bedingt vertrauenswürdig wirkende Jugendcliquen. Von der vielbeschworenen Gentrifizierung in Neukölln nehme ich während dieses kurzen Spaziergangs dagegen nur wenig wahr. Bei der Ankunft am Lokal dann der nächste, aber irgendwie doch erwartbare Schock: von außen betrachtet könnte das mit zwei Michelin-Sternen gekrönte Restaurant gut und gerne ein Bestattungsinstitut beherbergen. Allerdings sammelt sich mit der Zeit immer mehr auffallend junges und durchaus schick gekleidetes Publikum vor dem Etablissement, um Einlass zu erbitten. Als es dann soweit ist, bietet das Intérieur erwartungsgemäß den denkbar großen Kontrast zu dem schäbig anmutenden Eingang, der indes ein Markenzeichen von etlichen Berliner Sternelokalen ist und das vorherrschende Understatement wohl noch betonen soll. Innen drin nehmen Individualgäste wie ich eher Platz an der Bar mit den steilen Hockern, während die Pärchen im allgemeinen eher an den Tischen zum Fenster platziert werden – wobei es selbst bei Tageslicht nicht wirklich etwas Nennenswertes zu sehen gäbe. So sind die echten Blickfänge allesamt im Inneren untergebracht: angefangen bei der fast komplett offenen Schauküche, weiter über die sorgsame, punktuelle Ausleuchtung speziell an der Bar bis hin zu einigen Trouvaillen unter den Spirituosen, wovon später noch die Rede sein wird.

„Hip“ möchte man hier um jeden Preis erscheinen – mit Ausnahme von Küchenchef René Frank, der sich wegen anstehender Bürotätigkeiten nicht sonderlich lange im Gastraum aufhalten wird, fällt zunächst das erstaunlich junge Personal sowohl in der Küche wie im Service in der Tat rasch auf. Noch Ungewöhnlicheres registriere ich bei der genaueren Betrachtung des Publikums, denn nach gut und gerne 500 Besuchen in Sternerestaurants könnte dies das erste Mal gewesen sein, dass ich zur älteren Hälfte der Gäste gehörte! Auch sonst findet man hier Gepflogenheiten, die in Berlin schon fast zum guten Ton gehören, während anderswo daraus ein Affront entstünde: so wird beispielsweise jeder Gast ohne Ausnahme geduzt und trotzdem kompetent von verschiedenen Mitarbeitern durch den Abend geleitet. Berlin war halt schon immer anders …

Das alternativlose, fünfgängige Menü wird wahlweise mit einer Getränkebegleitung „ohne Umdrehungen“ oder mit Alkohol offeriert: bei der zweiten Variante kommt auch anstelle von Wein durchaus mal ein „Berliner Weisse“ zum Einsatz, doch auch bei der ersten Option haben sich die Macher einiges einfallen lassen. Schon bei der Reservierung gibt man an, welche Variante man bevorzugt, da sie Teil der Inszenierung ist und der Verzicht auf die Begleitung offenbar unerwünscht ist. So kostet die fünfgängige Variante mit alkfreier Begleitung unter der Woche € 128 (an Wochenenden gesellt sich für dieselbe Leistung ein Aufpreis dazu, um die traditionell schwächer besuchten Werktage unter der Woche aufzuwerten), wobei zum nicht ganz geringen Preis von € 40 das Signature Dish des Hauses, der Caviar Popsicle, zusätzlich bestellt werden kann. Es handelt sich dabei um eine mit Kaviar ummantelte Glace am Eisstengel, die beim Publikum offenbar sehr gut ankommt. Ich dagegen verzichte wegen der Sättigung vom Nachmittag her auf den Bonus und stelle hinterher fest, dass mir trotzdem nichts gefehlt hat.

Nach der langen Introduktion wird es jetzt aber Zeit für das Wesentliche: mit einem ersten augenzwinkernden Einstieg, scherzhaft „Gummibär“ auf der Karte genannt, beginnt das Abenteuer. Dieses Exemplar besteht als gelber Bete und hat eine Konsistenz, die dem Original durchaus nicht unähnlich ist. Die zunächst gekochte Bete wird anschließend reduziert, weil sie dadurch erheblich an Geschmack gewinnt, und schließlich in etwas eingedickter Form von einem Pulver aus Ahornsirup ummantelt. Voilà – fertig ist der gelungene Einstieg abseits der Routine!

Als nächstes kommt die spanische Brandteigspezialität Churro zu ihrem Recht: dezent gewürzt mit Kinako, einem Sojapulver, bekommt der Hauptdarsteller eine mit etwas Haselnuss verfeinerte Misopaste als Begleiter zur Seite gestellt. Das erweist sich ein subtil abgeschmecktes Häppchen von unerwartet differenziertem Geschmack. Beachtlich!

Eines der ikonischsten Gerichte in der noch junge Historie des Hauses ist der Kopfsalat, welcher in stark verfremdeter Form in das Schälchen gelangt: die zunächst getrockneten, dann kandierten und sous vide gegarten Blätter umkränzen einem mit Salzgurkenpulver veredelten Frischkäse im Zentrum des Geschehens. Von allen Apéros bisher hinterlässt dieser Beitrag einen nochmals deutlich stärkeren Eindruck als die trotz allem ordentlichen Vorgänger. Die meist berechtigte Frage, ob die starke Verfremdung eines Produkts tatsächlich mit einer Verbesserung einhergeht, kann ich diesem Fall mit Sicherheit bejahen, zumal ich Salat in so einer Menüfolge vor meiner Recherche nicht unbedingt erwartet hätte. Der Erfolg gibt der Küche fraglos recht.

Deutlich aromensatter als bisher geht es bei der optisch unscheinbar, aber akustisch kraftvoll anmutenden letzten Petitesse zu: Beefcake bedeutet konkret Rindermark in einer Kugel aus Süsskartoffel und Mandelmehl, doch die vollmundigen Verheißungen des Service treten nur bedingt ein. Dieser Beitrag ist für so einen wuchtigen Abschluss deutlich zu süß und hätte mit mehr Deftigkeit sicherlich an Profil gewonnen – von den vier Visitenkarten zu Beginn sehe ich bei dieser jedenfalls noch am deutlichsten Luft nach oben.

Nach vollbrachtem Auftakt werden die Portionsgrößen ab jetzt nochmals deutlich zulegen, zumal sich nun auch die flüssigen Begleiter hinzu gesellen (bislang kam ich mit Wasser und einem alkoholfreien Fruchtsecco ganz gut über die Runden). Ach ja: eine Brotauswahl darf man in einem auf Desserts setzenden Lokal ebenfalls keine erwarten, aber wer würde schon um diese vorgerückte Stunde sich noch mit massigen Kohlenhydraten vollstopfen?!

Jetzt wird es richtig ernst, denn ein Dessert im 1. Gang stellt natürlich etwas Außerordentliches dar, zumal das Design dieses Gangs auch gar keinen Hehl aus diesem Umstand machen möchte: zu einem Getränk von Mandelmilch mit Akzenten von Aprikose, Kaffee und Koriander (klingt exotisch, überzeugte auf ganzer Linie) serviert man als erstes gelbe Tomate, Kichererbse und Zitrone. Die Tomate findet in dreierlei Texturen (die ungewöhnlichste davon als Confit) Eingang in das Gericht, doch den Großteil der optischen Aufmerksamkeit beansprucht das Baiser von Aquafaba (das Kochwasser der Kichererbsen). Zum Sorbet der Tomate gesellen sich außerdem Tapiokaperlen mit Spritzern von Zitrone, eine Kichererbsenmousse und halbgetrocknete Tomaten von erstaunlicher Konsistenz. Das völlig unkonventionelle Gericht überzeugt nicht nur durch Originalität, sondern auch durch einen Reichtum an sinnvollen Texturen und eine nicht zu süße Grundausrichtung. Gerade das für eine Pâtisserie besonders typische Spiel mit Konsistenzen verblüfft wohl am meisten und lässt mich erahnen, dass ich zurecht hier bin.

Zu einem Oolong-Tee mit Apfelessig und Kardamom rückt die Küche nun Aubergine in den Mittelpunkt. Auf einem Tartelette von Pekannuss schichtet die Küche confierte Aubergine, ein Pekannuss-Sorbet und schließlich einen Chip auf etwas Auberginengelée. Ziemlich präsente, wenngleich kontrastierende Spitzen setzen außerdem Tropfen von Apfelbalsamico und etwas Lakritzsalz außen herum. Unwillkürlich frage ich mich, was Eckart Witzigmann wohl von einer derartigen Verfremdung seiner Lieblingsfrucht halten würde?! Ich für meinen Teil finde die Reduktion auf zwei Hauptprodukte und das heitere Spiel mit den Texturen gelungen, zumal jede Vorhersehbarkeit fehlt und keinerlei Zuckerlastigkeit vorherrscht.

Zum vielleicht gelungensten Gang des Abends gelangt zu einem Glas Apfel-Quitten-Secco aus dem Hause Van Nahmen eine Raclettewaffel auf den Tisch. Die aus Maismehl gebackene und mit geschmolzenem Raclette-Käse gefüllte Waffel ist zum Verzehr mit der Hand gedacht, denn auf dem eigentlichen Teller befindet sich als eine Art Dip etwas griechischer Joghurt, umgeben von pulverförmigem dehydriertem Kimchi. Die im Grunde genommen simple Idee besticht durch die großartige Konsistenz der Waffel und den weitgehenden Verzicht auf Zucker. Der puristisch anmutende Teller erfordert allerdings einen großen Aufwand, wie mir ein Küchenmitarbeiter glaubhaft versichert. Tatsächlich fällt es mir als Laie schwer, die Techniken einer Pâtisserie dahinter überhaupt zu erkennen (wenn man einmal von der Herstellung der Waffel selbst absieht). So oder so große Klasse!

Zu einem mit Pekannuss verfeinerten Sanddornsaft thematisiert die Küche im vorletzten Gang geschmorte Süsskartoffel, welche mit rohem Apfel, einem Granité von Schmand (gibt’s das?!) und einem Shiitakepulver bedeckt ist. Die geschmackliche Vielfalt ist bei diesem Gang noch ausgeprägter, da Erwartungshaltungen hier durchaus mal (absichtlich) in die Irre geleitet werden und die Verfremdung der Produkte besonders überzeugende Ergebnisse hervorbringt. Angaben zu den einzelnen Techniken hätte ich gerne präzisiert, aber die Vorträge des Service hätten teils jede Gedächtnisleistung gesprengt.

So geleite ich sanft zum Dessert über – pardon, da bin ich ja schon die ganze Zeit. Wie man sieht, sind Etiketten wie zum Beispiel „Amuse, Hors d’œuvre, Pré-Dessert“ in diesem Lokal wertlos, da die Grenzen absolut fließend verlaufen und die Interpretation des Charakters von einem jeden Gang dem Gutdünken des Gastes überlassen bleibt. Jedenfalls beschließt eine Kreation aus Kakao, lila Karotte, Zichorie und Haselnuss den offiziellen Teil des Menüs. Die hausgemachte Schokolade aus vorfermentierten Kakaobohnen bedeckt teils den keineswegs süßen Hasselnussespuma, während sich links eine Glasur von lila Karotte sanft anschmiegt. Die feinen Kräuternoten der Zichorie setzen dem Dessertcharakter eine wohltuende Herbheit entgegen, die von dem Merlotsaft mit Apfelessig und Walnuss ein wenig konterkariert wird. Alles in allem ein solider Ausklang, aber kein Highlight.

Zum guten Schluss wandert der Service mit einem üppig gefüllten Tablett an Schokoladen durch den Gastraum und bietet jedem, der noch etwas Platz im Magen gelassen hat, Petits fours an. In meiner Auswahl befinden sich jedenfalls Pralinen von Piemonteser Haselnuss, Mandel, Wagyu-Fett, Taggiasca-Olive (!) sowie eine Luftschokolade – bei genauem Verzehr sicherlich eine besondere Erfahrung, aber die nun merklich einsetzende Müdigkeit nach einem langen Tag lässt dies einfach nicht mehr in einem wünschenswerten Maße zu.

Das war allein schon deshalb ein Abend abseits aller Routine, weil ich gegen 1.30 Uhr das Lokal verlasse und um diese Uhrzeit auf ein Taxi angewiesen bin (unter der Woche verkehren selbst in Berlin die U-Bahnen nicht rund um die Uhr). Die Mahlzeit an sich bot natürlich überreichlich Eindrücke, deren Einordnung mangels Vergleich zunächst alles andere als leicht fällt. Tatsächlich lasse ich das Erlebte erst einmal ein paar Tage sacken, bevor ich so etwas wie ein Fazit ziehe und mich zu einer Bewertung der Darbietung hinreissen lasse.

Je genauer man jeden einzelnen Gang isoliert betrachtet, desto stärker drängen sich einem die Vorzüge dieser Küche auf. Ein bis dato kaum gekanntes Handwerk führt immer wieder zu neuartigen Erfahrungen und Geschmackserlebnissen, deretwegen man die recht umständliche Reise aus dem Zentrum heraus gerne in Kauf nimmt. Trotz einer durchaus vorhandenen Vielfalt bei den eingesetzten Produkten kann ich leider nicht ganz verhehlen, dass das Menü mit der Dauer dennoch ein wenig langweilte, wenn man den Fokus stärker auf die Gesamtheit richtete. Dies war hauptsächlich auf das ständige Setzen derselben Vorzüge zurückzuführen – soll heißen, dass die variablen Texturen per se durchaus beeindruckten, aber in den wenigsten Fällen gab es eben auch mal andere Kriterien wie geschmackliche Tiefe oder Balance, die einen stärkeren Eindruck hinterlassen hätten. So verstärkte sich der Wunsch allmählich, auch mal bissfestere Elemente anzutreffen, doch gerade dies blieb konsequent aus. So durchzogen fast durchweg weiche, schaumige oder dickflüssige Komponenten das Menü, während knackige Elemente eine absolute Ausnahme blieben oder gar wie beim Kopfsalat-Apéro gezielt in ihrer Wirkung minimiert wurden. In der Gesamtheit trat somit nach und nach eine gewisse Vorhersehbarkeit ein, zumal der Verzicht auf allzu süße Aromenwelten noch nicht automatisch einhergeht mit der Dominanz einer anderen geschmacklichen Grundausrichtung. Mit anderen Worten: die Menüfolge wirkte keineswegs zu süß, aber die Hoffnung auf einen auch nur annähernd salzig oder säuerlich interpretierten Gang hatte ich schnell begraben. Die Frage, die sich mir aufdrängt, lautet, ob die eingesetzten Techniken diese Forderung von vornherein unmöglich erscheinen lassen oder ob eventuell eher der Mut fehlte, die in diesem Menü vernachlässigten Geschmäcker stärker einzubinden.

Dass das engagierte Team mit seinem Mastermind René Frank sicherlich noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist, steht für mich außer Frage. Wir dürfen zweifellos noch jede Menge kreative Einfälle und Gerichte abseits der ausgetretenen Pfade von diesem Lokal erwarten, doch drängt sich mir eben die Frage auf, ob auch die Qualität noch weiter ausgebaut werden kann. Isoliert betrachtet war jedes der gezeigten Gerichte mindestens als solide zu bezeichnen, aber in der Gesamtheit entwickelt sich eine Dramaturgie, die ab der Mitte des Menüs deutlich an Spannung und Intensität einbüßte. Folgerichtig drang bei mir irgendwann nach Mitternacht angesichts zunehmender Müdigkeit und erwartbarer Teller der Wunsch nach einem baldigen Ende immer stärker in den Vordergrund – ein echter Knalleffekt zum Ende hin blieb aus. Dieser hätte übrigens gerne darin bestehen dürfen, dass alle fünf Whiskyflaschen aus dem Hause Springbank zur Verkostung angeboten würden. Leider traf dies aber nur auf die drei gut bekannten Standardsorten (12, 15 und 18 Jahre) zu, während das 21 Jahre alte Lebenswasser (bereits von mir in Nördlingen bei Joachim Kaiser verkostet) wohl eher zur Zierde im Regal stand. Selbiges galt leider auch für die ultrarare, 30 Jahre alte Flasche, für die im Internet locker vierstellige Beträge mittlerer Höhe gefordert werden. Meine Anfrage, ob denn eventuell 2 cl (zu einem entsprechenden Preis, versteht sich) zu verkosten wären, wurde damit beantwortet, dass es sich um eine noch originalversiegelte Privatanschaffung des Chefs handle, die „nur so“ herumstehen würde. Na dann! Was hätte das für ein Abschluss werden können …

Zusammenfassend lohnt sich ein Besuch hier allein schon deshalb, weil die in diesem Hause praktizierte Ästhetik nicht nur in Deutschland, sondern auch über die Grenzen der Republik hinaus bislang einzigartig geblieben ist. Angesichts einer fairen Preisgestaltung bekommt der Gast eine attraktive Möglichkeit geboten, ihm bislang vermutlich völlig unbekannte Facetten der Kochkunst in einem ansprechenden und zwanglosen Ambiente zu erleben. Den Service- und Küchenmitarbeitern (wirklich trennscharf ist die Grenze in diesem Lokal nicht) merkt man die Begeisterung und das Engagement jederzeit an, woran sicherlich auch der zweite Macaron der roten Gourmetbibel einen signifikanten Anteil hat. Transparenz bei der Kommunikation über die Gründe für die Vergabe war noch nie eine Stärke dieser Institution, und so würde ich spekulieren wollen, dass vor allem der Aufbruch zu neuen Ufern und die Einmaligkeit der gesamten Idee gewürdigt werden sollte. Exklusiv auf die Qualität des Essens bezogen wäre das CODA für mich noch kein eindeutiger Zweisterner, aber unter Berücksichtigung aller Umstände kann ich die Vergabe schon nachvollziehen. Es war den Besuch jedenfalls wert – und das zählt am Ende.

Mein Gesamturteil: 17 von 20 Punkten

 

CODA Dessert Dining
Friedelstr. 47
12047 Berlin
Tel.: 030/91496396
www.coda-berlin.com

Guide Michelin 2022: **
Gault&Millau 2022: 3+ Toques
GUSTO 2023: 8,5 Pfannen
FEINSCHMECKER 2022: 3,5 F

5-gängiges Abendmenü (ohne Upgrades): € 128