Einem breiteren Publikum wurde Eckart Witzigmann möglicherweise erst 2019 bekannt, als er sich in der Kochshow „Top Chef“ als Mitglied der Jury zur Verfügung stellte. Seine eigentlichen Meriten liegen natürlich ganz woanders, denn bei ihm dürfte es sich wohl um den besten deutschsprachigen Koch aller Zeiten handeln.
Geboren am 4. Juli 1941 in Hohenems (Österreich) und aufgewachsen im mondänen Bad Gastein, interessierte sich Witzigmann früh für die Kochkunst und sammelte Erfahrungen in einigen der renommiertesten Häuser der Welt. Am prägendsten für ihn dürfte jedoch Paul Haeberlin von der legendären Auberge de l’Ill im elsässischen Illhaeusern gewesen sein – jenes Lokal, das bis zu seiner vieldiskutierten Abwertung auf zwei Sterne durch den Guide Michelin im Jahre 2019 die drei Sterne mehr als vier Jahrzehnte lang halten konnte (und damit nur von Paul Bocuse überboten wurde).
Selbst als Witzigmann den Posten des Grand Chefs im Münchner Tantris 1971 übernahm, war er dem deutschen Publikum ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Der Münchner Unternehmer Fritz Eichbauer hatte Witzigmann für sein damals als äußerst gewagt empfundenes Ansinnen, ein Feinschmeckerlokal in München-Schwabing zu eröffnen, gewinnen können – und Witzigmann lieferte rascher als gedacht. In einer Zeit, in der Genussfreude für die allermeisten Deutschen ein Fremdwort war, holte Witzigmann bereits 1974 zwei Michelin-Sterne und damit eine Auszeichnung, die bis dato kein anderes deutsches Lokal hatte erringen können. Der heute noch legendäre Ruf des Tantris als Keimzelle des deutschen Küchenwunders war geboren. Zahllose Anekdoten über die Schwierigkeiten, typische Luxusprodukte aus Frankreich überhaupt beziehen zu können sowie über seltsame Vorlieben der Gäste, die beispielsweise lieber reihenweise Entrecôte als ein saftig-zartes und mühevoll bezogenes Bresse-Huhn bestellten, könnten ganze Bücher füllen. Nicht zuletzt dank der Bemühungen des scharfzüngigen Kritikers Wolfram Siebeck, der unermüdlich kulinarische Mißstände wie Konservenfutter und Segmentteller geißelte, wuchs das Interesse an der Hochküche in Deutschland zwar nur sehr langsam, aber immerhin stetig. Nachdem Witzigmann das Tantris 1978 verließ und seinem Souschef Heinz Winkler die Bühne überließ (der 1982 drei Sterne für das Tantris holte), gründete er sein legendäres Restaurant Aubergine am Maximiliansplatz 5 in München im Haus Regina. Der Name des Lokals ist doppeldeutig, denn er spielt sowohl auf Witzigmanns Lieblingsfrucht wie auch auf den Namen des elsässischen Ausnahmelokals an, das ihn am meisten prägte (siehe oben).
Witzigmann holte 1980 in der Aubergine als erst drittes Restaurant weltweit außerhalb Frankreichs die begehrten drei Michelin-Sterne und verteidigte diese bis zur Schließung des Lokals im Jahre 1994. Der Ausnahmekoch etablierte die Nouvelle Cuisine auch in Deutschland erfolgreich – jenen Küchenstil, den Paul Bocuse zwar nicht erfand (wie oft irrtümlich behauptet wird), aber maßgeblich vorantrieb und in ungeahnte Höhen führte. Die Befreiung der Gerichte von schwerem Damast, wie er bis in die 1960er-Jahre üblich gewesen war, führte damals zu einem ganz neuen Verständnis von Hochküche und auch Professionalisierung der kochenden Zunft. Legendäre Gerichte aus jener Zeit (wie das 1976 auf Betreiben von Siebeck entstandene „Kalbsbries Rumohr“) sind heute Klassiker, die jeder ambitionierte Gourmet kennt. Obwohl sich Witzigmann später längere Zeit mit Siebeck überwarf, tat es seiner Reputation keinen Abbruch. Als der Aubergine schließlich die Konzession wegen einer Kokainaffäre Witzigmanns entzogen wurde, ernannte ihn der Gault&Millau kurzerhand noch zu einem der „Köche des Jahrhunderts“ – eine Auszeichnung, die seit 1994 nicht wieder vergeben worden ist und zuvor nur an Paul Bocuse, Joël Robuchon und Frédy Girardet verliehen wurde. Da die beiden Erstgenannten inzwischen leider verstorben sind, wird der Seltenheitswert dieser Auszeichnung noch deutlicher.
Witzigmann übernahm danach kein Restaurant mehr, sondern wurde nach einer ausgiebigen Pause zunehmend aktiver als Berater in gastronomischen und kulinarischen Fragen gleichermaßen. Für seine Kochbücher tat er sich auch öfters mit Prominenten wie Alfred Biolek oder Johann Lafer zusammen. Heute zählt er zu den berühmtesten und angesehensten deutschsprachigen Köchen überhaupt – vermutlich können ansonsten nur Dieter Müller, Harald Wohlfahrt und Heinz Winkler einigermaßen mithalten. Viele ehemalige Schüler Witzigmanns sind heute selbst Ausnahmeköche – mit Christian Bau, Christian Jürgens und Claus-Peter Lumpp gibt es beispielsweise gleich drei unter ihnen, die heute in Deutschland mit drei Michelin-Sternen dekoriert sind.
Die Menschen für gutes Essen zu sensibilisieren ist ihm stets ein wichtiges Anliegen geblieben. Seit 2003 fungiert er als Patron eines Projekts, das damals als sehr riskant angesehen wurde: im Hangar-7 des Salzburger Flughafens etablierte er ein weltweit einmaliges Projekt im Restaurant Ikarus. Jeden Monat lädt man einen anderen Gastkoch ein (nicht selten reisen diese schon mal aus Brasilien oder Japan an), der zusammen mit dem Stamm-Team des Hauses ein Menü nach den Vorstellungen des Gastkochs konzipiert und den Gästen anbietet. Was damals als großes Wagnis gilt, hat sich inzwischen längst als ein voll tragfähiges Konzept erwiesen, das scharenweise Gäste anlockt. Wie passend, dass Witzigmann in diesem Monat (Juli 2021) gleich mehrere enge Freunde und Vertraute einlud, die ihm sozusagen die Ehre erweisen. Namen wie Jan Hartwig (Atelier, München), Marc Haeberlin (Auberge de l’Ill, Illhaeusern), Tohru Nakamura (Salon ROUGE, München), Martin Fauster (ehemals Königshof, München) und Matthias Hahn (Tantris, München) lassen die Herzen der Gourmets schneller galoppieren – soviel steht fest! Außerdem wird kolportiert, dass der Maestro selbst ein Gericht zur Menüfolge beitragen wird!
Ich persönlich bin Eckart Witzigmann leider noch nicht begegnet, hoffe aber, dies noch nachholen zu können. Die unvergleichliche Aura dieses kosmopolitischen Kochs ist einfach ansteckend, weshalb sie jeder Gourmet einmal erlebt haben sollte. Soweit ich das beurteilen kann, ist Witzigmann umgänglicher als die Mehrzahl seiner Kollegen und besitzt die seltene Fähigkeit, seinem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen und ihm stets seine Würde zu lassen – ganz gleich, ob es sich bei seinem Gegenüber nun um einen Amateur oder leidenschaftlichen Gourmet handelt. Gekrönte Häupter aus aller Welt und die wichtigsten internationalen Politiker haben bei ihm diniert – eine viel höhere Auszeichnung seiner Kunst kann es nicht geben.
Voller Anerkennung sage ich: Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!